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Coverence Manor

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25.12.21 09:25
16 Ab 16 Jahren
Fertiggestellt

Es dämmerte. Myriaden an Regentropfen fielen vom Himmel hinab und prasselten auf die Dachziegel des alten Hauses. David konnte das dumpfe Klopfen weit oben fast hören. Ob das Dach wohl undichte Stellen aufwies? Er hoffte es fast. Tief in seinem Inneren wünschte er sich, dass der Regen dieses Haus flutete und es bis auf sein Fundament verrotten würde.“

Ich kann noch immer nicht glauben, dass das jetzt alles uns gehört”, sagte Louise, indem sie mit ihrer Handfläche über die antike Ledercouch strich, auf der sie sich fläzte. In der anderen Hand hielt sie ein Glas Rotwein.

“Ja, es ist wirklich schön.” David hatte sein Glas unangerührt vor sich auf den Mahagonitisch stehen lassen und schaute abwesend dabei zu, wie die einzelnen Regentropfen sich ein Wettrennen auf der Fensterscheibe lieferten.

“Ich will eine Reifenschaukel”, sagte Louise und grinste dabei wie ein kleines Kind, was sich im Laden ein Spielzeug aussuchen durfte.

“Was?”, sagte David leicht genervt.

“Eine Reifenschaukel. Einen Reifen, den man mit einem Seil an einem Baum befestigt. Mum und Dad hatten früher so eine im Garten. Und ich habe gesehen, dass da draußen eine große Eiche steht. Also ...”

“... soll ich dir so ein Ding bauen?, beendete David den Satz.

“Ja bitte, Schatz! Tust du das für mich?”

“Habe ich denn eine Wahl?” Mehrere kleine Tropfen vereinten sich zu einem Großen.

“Okay? Was hast du denn bitte für ein Problem?”

“Ich glaube es war ein Fehler hierher zu ziehen.” Noch bevor er darüber nachdenken konnte, hatte er es auch schon ausgesprochen.

Louise lachte freudlos auf. “Du willst mich wohl veralbern, oder? War es nicht sogar deine Idee, ein Haus zu kaufen?”

“Ja, war es, aber das hier ist was anderes.”

“Natürlich ist es was anderes. Wir sind umgezogen. Neues Umfeld und so weiter.”

“Das mein ich doch gar nicht.” Der große Tropfen glitt die Fensterscheibe hinab.

“Was meinst du denn? Rede mit mir David. Ich bin deine Verlobte, verdammt nochmal!” Dabei hämmerte sie ihr Weinglas so beherzt auf den Tisch, dass die Hälfte des Inhalts herausspritzte. Rote Flecken blieben auf der weißen Spitzen-Tischdecke zurück. “Na schau, was du angerichtet hast!”

David ging bewusst nicht darauf ein. “Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es ist die Atmosphäre. Das ganze Haus hat etwas … Bedrückendes. Ach, keine Ahnung.”

Louise schaute ihn nur verständnislos an.

“Die Atmosphäre”, wiederholte sie. “Du willst uns wieder in eine lausige Zweizimmerwohnung pferchen, weil dir die Atmosphäre nicht gefällt.” Sie wedelte theatralisch mit den Armen.

“Du wolltest doch, dass ich mit dir rede. Kein Grund bissig zu werden.”

“Und das ist eben meine Antwort. Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht so wieder weg. All unsere Möbel haben wir verkauft. Und vergiss nicht, warum wir uns für diesen Schritt entschieden haben. Wir wollen mal eine Familie gründen. Meinst du, das könnten wir alles so in unserem alten Drecksloch mit diesem Arsch von einem Vermieter tun? Zum ersten Mal habe ich Hoffnung, David. Mach es mir bitte nicht kaputt.”

“Vielleicht hast du recht.” Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr darüber zu diskutieren.

“Natürlich habe ich recht.” Sie schlug die Beine übereinander und grinste ihn selbstgefällig an. “Und jetzt sei ein Schatz und hol uns eine neue Flasche Wein aus dem Keller. Der Abend ist noch jung!”

Resigniert stand David auf. Sie war ganz und gar ihr Vater. Ein launisches Nervenbündel.

Im Korridor heftete sich sein Blick unwillkürlich an dieses scheußliche Porträt, was ihm bereits bei der Besichtigung negativ aufgestoßen war. Darauf abgebildet war eine griesgrämig dreinschauende Frau mittleren Alters. Ihr hochgestecktes Haar war mit vielen kleinen Elementen verziert, die Schädeln von Vogelküken erschreckend ähnlich sahen. Das ausladende graue Kleid und der backsteinrote Lippenstift, welche sie insgesamt wie einen überdimensionierten Truthahn wirken ließen, rundeten dieses groteske Bildnis ab.

Sein Blick wanderte ein Stück nach unten. Erst jetzt fiel ihm die Vase mit den Rosen auf, die auf der Kommode stand.

“Lou? Hast du die Rosen hier hingestellt?”, rief David, ohne den Blick von der Vase zu nehmen.

“Ja. Warum?”

“Im Vertrag stand ausdrücklich, dass-”

“Dave. Es sind doch nur Blumen.”

Es war vermutlich einer der Haken, weswegen das Haus so billig war. Der Kauf war an die Verpflichtung geknüpft, nichts im Haus zu verändern. Fremde Möbel und Dekorationen durften unter keinen Umständen die Türschwelle überschreiten. Diese Formulierung klang schon verrückt, als der Makler sie ihnen bei der Besichtigung erläuterte, aber sie ließen es einfach so auf sich beruhen. Zu groß war die Euphorie, ein eigenes Haus zu besitzen. Im Nachhinein hatte es für David einen bitteren Beigeschmack und er wünschte sich, dass er Fragen gestellt hätte.

Eine Welle des Unbehagens überkam ihn, als die Dielenbretter unter dem Teppichläufer knarzten. Unwillkürlich schaute er zum Porträt. Er kannte sich nicht mit Kunst aus, aber es machte einen unangenehm lebendigen Eindruck. Es waren die Augen. Er wusste nicht wie, aber diese Frau schien jeden Einzelnen seiner Schritte zu beobachten. Als würde sie auf eine Gelegenheit warten, sich für die Rosen zu rächen.

Der Eingang zum Keller befand sich hinter einer schmucklosen Holztür, die sich in einer dunklen Ecke unter der Haupttreppe befand, als wäre das Haus bemüht, diesen Schandfleck zu verbergen, der sich einfach nicht in den eleganten Barockstil einfügen wollte. Der Keller schien dafür prädestiniert zu sein, um dort Dinge loszuwerden und sie für immer zu vergessen.

David zog sachte die Tür auf und starrte in eine schwarze Leere, die in den Rest des Hauses zu fluten schien, wenn man nicht schnell die Tür schloss. Mit einem Knipsen des Lichtschalters flüchtete die Dunkelheit in kleine unbeleuchtete Ecken, die das spärliche Licht nicht erreichte. Wo die Lampen im Rest des Hauses edel verziert waren, bestand die Beleuchtung im Keller nur aus einer einzigen eingefassten Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing. Das einzige Fenster ließ sich nicht komplett schließen, weshalb der Wind kontinuierlich hindurch pfiff. Das ewige Klagelied eines vernachlässigten Kindes. Für den nächsten Tag hatte David sich vorgenommen, es zu reparieren und hatte schon seinen Werkzeugkasten darunter bereitgestellt.

Die vorletzte Stufe knarzte so furchtbar wie die Dielenbretter oben. Waren diese Geräusche hier wirklich so laut, oder war es im ganzen verdammte Haus einfach so still. Ein Raubtier, was sich an seiner Beute heranpirschte. Während David, auf der Suche nach den Spirituosen, seinen Blick durch den spärlich beleuchteten Raum schweifen ließ, kam ihm unwillkürlich der Gedanke, dass manche Raubtiere gefallen daran fanden, mit ihrer Beute zu spielen. Louise wollte sich ja unbedingt einen Weinkeller anlegen. David wäre es aber lieber gewesen, den Eingang zu zumauern und so zu tun, als hätte es ihn nie gegeben.

“Da seid ihr ja”, sagte David, als er die Kiste mit den Spirituosen sah. Er nahm eine Flasche von Louises guten Rotwein aus der Kiste. Das Licht der Glühbirne über ihm spiegelte sich auf der Oberfläche. Einen Moment später verblasste die Spiegelung, bis das Etikett der Flasche kaum noch zu lesen war. Das Licht versagte. David drehte sich mit einem Schaudern im Rücken um. Und tatsächlich, der schwach ausgeleuchtete Bereich wurde kleiner und die dunklen Ecken preschten immer weiter in die Mitte des Raumes vor.

Er hastete mit der Flasche in Richtung Treppe, doch bevor er auch nur in die Nähe kam, erlosch die Birne.

Zum Erwachsenwerden gehörte es, dass man aufhörte an das Monster zu glauben, dass unter seinem Bett oder Kleiderschrank lebte. Doch wenn man alleine ohne Orientierung in einem dunklen Raum festsaß, wurde doch jeder zur Vernunft begabte Mensch wieder zu einem Kind. Und so ging es David. Er hatte zwar nie besonders viel Fantasie, aber jetzt, wo er nur noch von Schemen umgeben war, formte sein Geist alle möglichen Dinge.

Da fiel David ein, dass er eine Taschenlampe in seinem Werkzeugkasten hatte. Er tastete sich bis zum Fenster vor und wühlte zwischen den Werkzeugen, bis er einen kleinen Zylinder zwischen die Finger bekam.

“Da bist du ja!”, sagte David mit einer Mischung aus Triumph und Erleichterung in seiner Stimme. Der schmale Lichtbalken wies ihm den zur Treppe.

David fuhr zusammen, als hätte jemand vor ihm zum Schlag ausgeholt. Es war das Fenster. Es pfiff nach wie vor, jedoch wurde das Pfeifen immer melodischer.

Ja, jetzt erkannte er es. Singing in the rain. I’m singing in the rain. What a glorious fee-

Ein ohrenbetäubender Schrei. David ließ vor Schreck Lampe Flasche fallen. Berstendes Glas. Es war, als hätte man ihm von beiden Seiten in die Ohren geschrien.

In jeher Panik rannte er in irgendeine Richtung, rutschte jedoch auf den Scherben aus und fiel längs auf den Betonboden. Wein durchtränkte den Saum seiner Jeans und ein stechender Schmerz durchzog seine rechte Wade. Davids zitternde Hand bekam nur mit Mühe die Taschenlampe zu fassen. Er beleuchtete sein Bein. Eine Glasscherbe hatte sich ihren Weg in seine Wade gebahnt. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie viel von der Flüssigkeit am Boden zu ihm gehörte. Er versuchte sich wieder aufzurichten, doch der Schmerz ließ ihn wieder zu Boden sacken.

Ein weiterer Schrei. Diesmal war er aber gedämpft und kam aus einer bestimmten Richtung. Von oben … Louise!

David war so schnell wieder aufrecht wie ein Stehaufmännchen. Voll Adrenalin zog er sich die Treppe hinauf, bis er wieder oben im Korridor angekommen war.

“Louise?”, rief David, während er in Richtung Wohnzimmer humpelte.

Abrupt blieb er beim Beistelltisch mit den Rosen stehen. Zumindest davon, was von ihnen noch übrig war. Die Stängel ließen ihre Knospen hängen und etliche Blütenblätter verzierten jetzt den gemusterten Läufer. Unwillkürlich blickte er zum Porträt auf. Ein Lächeln. Es war kaum merklich, wie das der Mona Lisa. David hätte aber schwören können, dass es vorher noch nicht da gewesen war. In ihm spannte sich alles an.

“Louise!”, rief er aus seiner trockenen Kehle.

David rannte am ganzen Körper zitternd durch das Haus. Die Treppe hoch. Die Treppe runter. Nichts. Louise war nirgends aufzufinden.

“DAVE! HILFE!” Es kam aus dem Garten.

David eilte, seine Schmerzen ignorierend, zur Hintertür und warf dabei eine Büste um. Er hörte nur das Geräusch von berstendem Marmor hinter sich.

Gerade als er die Tür aufriss, schwang sie mit einem ordentlichen Ruck wieder ins Schloss. David, der mit der Hand noch die Klinke umklammerte, riss es fast von den Füßen. Er zog und ruckelte. Vergebens. Sie war fest verschlossen. Von seiner Panik angetrieben schlurfte er Richtung Haustür, die sperrangelweit offen stand. Das subtile Lächeln auf dem Porträt war inzwischen ein breites Grinsen.

Als ihn draußen der kalte Regenschauer durchnässte, schepperte die Haustür hinter ihm zu. David fuhr zusammen. Mit eingeschalteter Taschenlampe lief er einmal um die Hausfassade. Dabei kam er an dem Kellerfenster vorbei, aus dem Licht heraus schien.

Im Garten leuchtete er in alle Richtungen, bis der Lichtkegel etwas traf, wovon er sich wünschte, es nie gesehen zu haben. Mit einer Schlinge um den Hals baumelte Louise von einer knorrigen Eiche. David ließ die Taschenlampe fallen. Das Letzte, was er sah, bevor das Licht erlosch, war ein Rosenbusch, der am Fuße des Baumes wuchs.

So stand er nun im strömenden Regen da. Wieder unfähig sich zu bewegen.

“I’m laughing at clouds. So dark, up above. The sun’s in my heart and I’m ready for love”, hallte Louise’ Stimme durch die Dunkelheit.

Im nächsten Moment packten ein paar leichenkalte, knochige Hände seine Kehle. Er ließ es geschehen. Sie hätten niemals hierher kommen dürfen. Das Letzte, was er wahrnahm, war die Kühle des Regens und Lous Geträller.

 

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Miras Profilbild
Mira Am 25.12.2021 um 14:15 Uhr
Hallo Schimaere,
Ich finde die Kurzgeschichte wirklich spannend. Hast du dir Gedanken darüber gemacht, was passiert ist? ich bin wirklich sehr neugierig.
Viele Grüße
Mira

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Sätze: 174
Wörter: 2.024
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Diese Story wird neben Horror auch im Genre Angst gelistet.

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