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Der Eisbär

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26.01.20 19:29
Fertiggestellt

„Alles schmilzt!“, stammelt das Eisbärenkind erschöpft. Es sucht sich einen Platz bei seiner Mutter und rollt sich ein. Die Dämmerung hat eingesetzt und die Kälte dringt bis in die Tiefen der Höhle.

„Wovon sprichst du mein Kind?“, fragt seine Mutter. „Wo warst du überhaupt?“

„Dort wo die letzten Sonnenstrahlen das unendliche Eis beleuchten.“ 

„Und was hast du gesehen?“

„Das Eis bricht, Mama. Unser Eis.“

„Ich weiß“, murmelt die Bärin. „Wir werden uns bald ein neues Zuhause suchen müssen.“

„Wirklich?“, fragt das Kind entsetzt. „Aber meine Freunde sind hier und –.“

„Lass uns morgen weiter sprechen. Gute Nacht, mein Schatz.“ Die Bärin gibt ihrem Sohn einen Nasenstupser und schließt die Augen. 

Das Bärenkind liegt noch lange wach. Es hat seiner Mutter nicht alles erzählt. Wer konnte ahnen, dass sich eine Eisscholle unter seinem Gewicht vom Festland lösen würde ... Er ist um sein Leben geschwommen. Fast hätte ihn ein Orca verschlungen. 

„Guten Morgen, Langschläfer!“, hört der junge Eisbär eine zarte Stimme. Oh, wie mag er sie. Seine Freundin. Das Eisbärenmädchen.

„Was machen wir heute?“, fragt sie und legt ihre Pranke auf seinen Rücken. „Menschen angaffen?“

„Was? Wieso?“, stammelt der junge Eisbär verwirrt und reißt die Augen auf.

„Ich werde heute ins Wasser springen, dann bekomme ich sicher vom Wärter einen Extra Fisch geschenkt.“ 

„Mama?“ Der Eisbär sieht sich im Gehege um. 

„Du hast keine Mutter“, erwidert seine Freundin verwundert. „Du bist alleine hier her gekommen. Hast du das vergessen?“

Der junge Bär seufzt leise und folgt seiner Freundin ins Außengehege. „Aber meine Mutter ist da!“, murmelt das Bärenmädechen. „Du magst sie doch.“ 

„Ja schon. Aber ich hab von Mama geträumt.“ Der Jungbär setzt sich vor die Glaswand und glotzt hinaus auf den menschenleeren Zoo. Es ist Sommer und er fühlt sich wie in einer falschen Welt. Seine Artgenossen leben in der Arktis und er in einem Zoo in Europa? Ohne Verwandte? Nur mit seiner Freundin und deren alter Mutter? Was ist das für ein Leben? 

„Komm schon!“, ruft seine Freundin. „Lass den Kopf nicht hängen. Wir haben es doch schön hier!“

„Das sagst du nur, weil du die Wahrheit nicht kennst“, erwidert der Bär.

Ja, das Bärenmädchen ist in Gefangenschaft geboren und hat keine Ahnung vom wahren Leben der Eisbären. Doch bei ihm wird immer die Sehnsucht bleiben ....

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Autor

Kathi71s Profilbild Kathi71

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Sätze: 60
Wörter: 413
Zeichen: 2.316

Kurzbeschreibung

Die Geschichte eines Eisbärenjungen

Kategorisierung

Diese Story wird neben Freundschaft auch im Genre Familie gelistet.