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of everything that stands: the end

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19.10.22 16:27
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

of everything that stands: the end

For again, this old world's end is the gate of a world fire-new, of your wild future, wild as a hawk's dream
- 'The Torchbearer's Race', Robinson Jeffers



[…] die Menschen erwarten, daß die Welt, die ohne Ausgang ist, von einer Allheit in Brand gesetzt wird, die sie selber sind und über die sie nichts vermögen. 

Ich höre sie den Berg heraufkommen. Die kleine Prozession, die raschelnd-schlurfenden Schritte. Ich lege den Kopf in den Nacken. Es knackt. Wie lange habe ich mich nicht bewegt? Ein Seufzen entrinnt mir, legt sich auf die Stille in meiner Höhle, die bald von der Handvoll Gesandter erfüllt werden wird, die noch mit mir sprechen wollen und müssen. Das leise Murmeln kommt näher. Vielleicht könnte ich einzelne Wörter hören, würde ich mich anstrengen, doch es kümmert mich nicht. Nichts kümmert mich. Ich überbringe nur Botschaften, des Führens bin ich müde.

Regentropfen fallen vom felsigen Überhang der meine Kammer vor den grauen Schauern der vergangenen Tage geschützt hat. Die Schritte der Näherkommenden sprechen auch von der Feuchte des Bodens. Das Rascheln ist gedämpfter als üblich. Sie sind nun so nahe, dass ich in den Schritten, dem Rascheln der Kleidung, den Atemzügen, einzelne Personen ausmachen kann. Die Gleichen wie immer.

Die Schritte werden langsamer. Als brauche der kleine Zug für jeden Schritt einen der ruhigen Atemzüge, die ich mache. Das schwache Flimmern ihrer Fackel, die kaum mehr erhellt als das immediate Dasein, schiebt sich durch den Höhleneingang in mein Blickfeld. Dann die ersten Füße. Ein Räuspern ertönt, ein „Shh!“, ein „Meister. Wir sind da.“

Ihre Unterwürfigkeit macht mich krank, für einen Augenblick wallt Wut auf. Ich bin froh, dass die Dunkelheit meine verzerrten Züge verbirgt. Sie suchen schließlich nur Erlösung. Erlösung und Gnade, und während ich Erstes doch nicht bieten kann, kann ich Zweites walten lassen.

„Kommt.“ Meine Stimme ist rau und heiser von den Wochen, in denen ich sie nicht gebraucht habe. 

Sie treten ein, in ihren zerlumpten Roben, doch Roben immerhin. Gemessenen Schrittes der Erste. Ein Schritt, ein Atmen, ein Schritt. Wäre es heller, könnte ich in seinem Gesicht das Zucken mühsam verborgener Furcht sehen. Gemessenen Schrittes läuft er; wäre ich ungeduldig, wäre ich grausam, ich würde brüllen. Weshalb verbergen sie ihre Furcht vor mir, dessen einzige Funktion es doch ist, alles zu sehen? Endlich steht er, an der Rückwand der Höhle, am von mir am weitesten entfernten Punkt. Schon wieder entfährt mir ein Seufzer und ich kann sein Zusammenschrecken fühlen.

Erst als der Älteste steht geht die nächste los. Hastigere Schritte, nicht ganz so abgemessen. Ein Klacken, ein Scharren, ein Klacken, ein Scharren – sie humpelt, stolpert fast, steht still. Aufrecht. Soldatisch. Trägt keine Fackel sondern einen Speer, den sie nun vor sich hinstellt was auf dem trockenen Felsboden ein überraschend lautes Geräusch macht. 

Das ist das Zeichen für den Letzten. Es sind immer diese drei und er ist immer am nervösesten. Ein hektisches Atmen als lägen alle Blicke auf ihm, dabei sind es nur unsere Ohren die seinen Schritten folgen. Er ist es, der so schlurft, dass ich ihn immer schon hören kann, wenn sie erst den halben Aufstieg geschafft haben. Ich bin froh, dass er fast am Eingang stehenbleiben darf. 

Sie bilden einen Halbkreis um mich. So ist es mir nicht möglich, sie gleichzeitig im Auge zu behalten. Als würden sie mir etwas antun wollen! Bin ich doch der einzige, der die Karten lesen kann. Und wäre es nicht Notwendigkeit, die Schuld würde sie davon abhalten, weiteren Schaden anzurichten.

Die Schuld ist es auch, die ich von allen Empfindungen am deutlichsten in der Stimme des Ältesten höre, als er endlich spricht:

„Haben wir es nun getan?“ Sein trockenes Schlucken rührt mich fast. „Ist das Ende unausweichbar geworden?“

Der bittere Teil in mir möchte Lachen; ich beiße mir auf die Zunge. Sie haben lange genug auf den Mut hingearbeitet, die Frage zu stellen, die gleichzeitig ein Schuldeingeständnis ist. Im Licht des eben Gesprochenen nimmt das Flackern der Fackel einen sinisteren Ton an. Oh, gäbe es noch andere Methoden, Licht und Wärme herzustellen, keiner von ihnen, niemand, würde noch mit Feuer hantieren.


Die falsche Klarheit ist nur ein anderer Ausdruck für den Mythos. Er war immer dunkel und einleuchtend zugleich.

Ich könnte ihnen eine einfache Antwort geben. Schlicht nicken. Sagen: "Ja. Ihr seid schuldig. Es ist vorbei, ganz bald. Euch ist vergeben."

Doch diese Offenheit wollen sie nicht. Sie wollen die einzige Wahrheit, die sie noch akzeptieren: Eine übermenschliche, ja, überirdische Wahrheit. Nicht ich soll deutlich sprechen: durch mich soll gesprochen werden – in einer scheindeutlichen Bildlichkeit.

Betont langsam, denn ein Mindestmaß an Theatralik wird erwartet, greife ich in meine Tasche. Vom ständigen Durchblättern, Mischen, Betrachten, Verinnerlichen sind die Kanten der Karten weich geworden. Nahezu lebendig fühlen sie sich an, als ich sie auffächere, mische, abtaste.

Ich stelle den kleinen Stapel vor mir auf den Boden. Unter meinen Knien werde ich mir jeder Unebenheit gewahr. Ich bin nicht wie sie, ich glaube nicht, dass ich Schmerz verdiene, doch ich kann mich eines gewissen Gefühls der Gerechtigkeit nicht erwehren. All die Unbequemlichkeit meiner steinernen Hallen ist nichts gegen das Brennen der Schuld in ihren Herzen.

Mit der Handfläche fahre ich über den Boden vor mir, als müsste ich ihn von Beschmutzungen befreien. Es ist nur eine kleine Geste, doch ich kann ihre Wirkung spüren. Die drei Erschauern. Diese drei, und alle, die sie führen, wissen, dass sie die Beschmutzung sind, von denen die Erde befreit werden muss. Ich bin mir der Wirkung allen, was ich tue, genau bewusst.

Um die Spannung noch nicht ins gänzlich Unerträgliche zu steigern, lege ich rasch die sechs Karten aus, die ihr Schicksal besiegen werden. Dann, in sechs raschen, geschmeidigen Handbewegungen, decke ich sie auf. Von drei Seiten höre ich das Geräusch scharf eingezogener Luft, doch schenke ich ihnen nicht einmal die Gnade eines erhobenen Blickes. Ich werde gnädig sein, doch erst, wenn sie ihre eigene Zerstörung als Unausweichlichkeit erkannt haben. Solange es noch Hoffnung gibt, verschenke ich kein Mitleid.

Sie können die Bilder im Halbdunkel weder sehen noch verstehen, doch sind schon verängstigt. Sie wollen es wissen, aber noch nicht, jetzt nicht, nie, um ehrlich zu sein.


Es soll kein Geheimnis geben, aber auch nicht den Wunsch seiner Offenbarung. 

Es ist so düster, dass ich meinen eigenen Finger kaum sehen kann, mit dem ich nun auf die Karte deute: „Diese Karte ist das auslösende Ereignis.“ 

Bevor er sich zurückhalten kann, platzt der Älteste heraus: „Wir kennen das Ereignis! Deshalb ist alles, wie es ist. Deshalb sind wir hier.“

Er ist mir keine Aufmerksamkeit wert. Unüberlegtheit entsteht durch Angst. Seine Angst ist so überwältigend, dass ich ihn nicht bestrafen muss. Er will meine Lesung nicht hören, aber er muss, das ist Strafe genug für tausend brennende Zeitalter.

Nur schemenhaft kann ich die Gestalt auf der Karte ausmachen, doch das genügt. Die Zeichen sind immer gleichsam das, was meine Worte ohnehin offenbart hätten. „Es ist der Narr. Er zeigt, dass der Ursprung all dessen“ – ich muss nicht einmal um mich zeigen, wir alle tragen den Gestank des Verderbens ständig mit uns – „in eurer übermütigen Befassung mit flüchtigen Nichtigkeiten liegt. Ihr habt diese Welt leichtsinnig verloren, wie einen Schlüssel, den man liegen lässt.“

Als wüsste ich nicht, wie schmerzhaft sie bereits an der Schuld leiden, erwähnen ich den Schlüssel als Zeichen so vieler Dinge, die seitdem für immer verloren sind: Privatheit, Trennung zwischen dir und mir, Mensch – und Gott – und Tier.

„Die nächste Karte zeigt mir, wie ihr euch verhalten habt, im Hinblick auf das, was ihr ausgelöst habt. Ob ihr gelernt habt, oder nicht. Ob die Menschheit sich Angesicht ihrer Macht zur Katastrophe wandelte.“

Es ist totenstill. Manchmal knackt die Flamme leise. Ich breite mir der Stille auch die Furcht um mich herum aus und ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Es ist fast schade, dass sie den gehängten Mann, der die Karte ziert, wohl kaum erkennen können.

„Stagnation.“ Hier lege ich zum ersten Mal Verachtung in meine sonst so gleichmütige Stimme. „In euch selbst seid ihr zurückgesunken wie ein eingefallenes Kartenhaus. In einer Zeit, in der nichts so wichtig gewesen wäre, wie Bewegung und Offenheit habt ihr euch von Furcht erstarrt von allem Lebenden abgesondert.“

Der Jüngste macht eine hastige Bewegung, doch bevor er mit einem unbedachten Wort herausplatzen kann, rede ich schon weiter, auf die nächste Karte zeigend: „Wie sich heute manifestiert, was ihr damals ausgelöst habt, verrät der Turm.“

Hier mache ich wieder eine dramatische Pause. „Alles, was war, stürzt zusammen. Sämtliche Strukturen, an die ihr euch noch verzweifelt geklammert hat. Ihr lebt in einem Zeitalter des Zusammenbruchs.“

Hier kann niemand auch nur daran denken, zu widersprechen. Ich habe nur das Offensichtlichste in Worte gefasst.

Nun ist es an der Zeit, meine Stimme, und damit die harte Offenbarung dessen, was kommen wird, wieder mit Milde zu versüßen. Ich fahre mit meiner Hand an den letzten drei treppenförmig angeordneten Karten entlang. „Doch zum Glück zeigt uns dies einen Ausweg.“

Meine Stimme trieft vor falschem Honig. Ich weiß, dass wir alle wissen, was der einzige Ausweg ist.

„Das Rad des Schicksals verheißt von der unaufhörlichen Beweglichkeit des Universums. Nichts ist je beständig und für immer, auch nicht der Schrecken, der nun herrscht.“

Das klingt gut, zu gut um wahr zu sein. Es ist ja auch erst der Anfang der Endgültigkeit, die ich vor ihnen ausbreite.

„Die nächste Karte ist das Gericht. Es zeugt von, recht offensichtlich, Gerechtigkeit. Das zu Unrecht Vergessene, Begrabene, Verbrannte kann neu erblühen. Ein neuer, gerechter Anfang ist möglich – wenn ihr nur, und das ist wichtig, die richtige Entscheidung trefft.“

Die drei Menschen seufzen gequält. Sie tun mir Leid, ja, doch sie hatten gewusst, was ich sagen würde. Sie hätten nicht kommen sollen, wenn sie zu schwach sind.

„Hier, die oberste Karte: Es ist der Tod.“ Soviel Dramatik habe ich mir gegönnt. „Ja, ihr seid entsetzt. Doch, wie ihr wisst: der Tod ist kein hartes Urteil. Birgt er doch im Endeffekt mehr Möglichkeiten, als alle anderen Karten, da keine so viele Samen neuer Anfänge mit sich bringt.“

„Das ist es nun also?“ Die Stimme des Alten reist mich ein wenig zu früh aus dem, was ein beeindruckender Monolog werden sollte, doch ich schätze, sie können es nicht länger ertragen.

„Ja, das ist es. Ihr wusstet es doch schon, bevor ihr hier aufgetaucht seid. Ihr seid der Zivilisation müde geworden und nun schüttelt die Wildnis euch ab wie ein Tier die Schmeißfliegen. Zwar könnt ihr versuchen, ein längst verloschenes Feuer zu schüren, doch ihr könnt auch das richtige tun. Ihr wisst es. Ich spreche von einem anderen Feuer, einem endgültigen. Von der fruchtbaren Erde frischer Asche.“

Sie fallen auf die Knie, alle drei. Sie schluchzen, stöhnen, schütteln sich. Vor Trauer, Furcht, Verzweiflung, doch, ja, endlich: Erleichterung. 

Die größte Gnade ist eben manchmal, dass man auch aufhören darf. Dass man Dinge zu Ende bringen kann, und den Neuanfang in stärkere Hände legt. 

Sie richten sich wieder auf, schwankend und zitternd, doch so viel gelöster. Nun sind ihre Schritte kein Schlurfen mehr, sondern fast ein Tänzeln. Ein befreiter Totentanz, selbst für die humpelnde Frau. Viel schneller entfernen sie sich von meiner Höhle, als sie gekommen sind.


Die Götter können die Furcht nicht vom Menschen nehmen, deren versteinerte Laute sie als ihre Namen tragen. 

Natürlich haben sie noch Angst. Das weiß ich, das rieche ich, das habe ich ihren Fratzen angesehen. Doch ihre Angst gehört den Menschen in einem Maße, das ich nicht kontrollieren kann. Ihre Angst kann ich ihnen nicht nehmen. Ich bin nur hier, ihnen zu sagen, was sie schon wissen, doch sich selbst nicht glauben können.

Ein wehmütiges Lächeln umspielt meine Lippen, als ich im Eingang meiner Höhle stehe und aus der Ferne Flammen, Rauch, Rausch und Schreie zu mir dringen.

Mehr Feuer, mehr Ekstase, als damals.

Genug Feuer? Für die Menschen ja, doch ich bin aus dem Stein, der auch in den Flammen nicht vergeht. Ich werde sehen müssen, was entsteht, wenn alles, was nun aufrecht war, gefallen ist. Und es ist mir Privileg wie Qual zugleich.

Ich hoffe, es wird weniger Sprache haben, denn ich bin es leid, Namen zu tragen.


 

Autorennotiz

Die kursiven Sätze stammen aus "Die Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer & Theodor W. Adorno, der Titel aus dem Lied "The End" von The Doors.

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Kurzbeschreibung

Ihr wusstet es doch schon, bevor ihr hier aufgetaucht seid. Ihr seid der Zivilisation müde geworden und nun schüttelt die Wildnis euch ab wie ein Tier die Schmeißfliegen.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch im Genre Tragödie gelistet.