Warum trinkt sie das Gift immer noch mit weit aufgerissenem Rachen? Weiß sie nicht, dass es Gift ist?
Nein.
Sie weiß es sehr wohl. Sie leidet. Sie möchte den Gifthahn zudrehen. Warum macht sie es nicht?
Es ist schwer. Das Gift hat ihr Leben erfüllt, war ihre Nahrung, gab ihr Existenz. Das Gift ist vertraut, bekannt. Nun einfach so Neuland zu betreten, ist etwas, das sie nie gelernt hat.
Irgendwie hat sie das Gift auch liebgewonnen. Oder vielmehr: Es ist ein Teil von ihr. Es loszulassen heißt, einen Teil von ihr zu verlieren, egal wie sehr er ihr schadet.
Angst. Da ist auch Angst. Vor dem, was die Lücke ausfüllt? Was da kommen mag? Etwas Neues, über das Sie keine Kontrolle hat? Das Gift kennt sie immerhin.
Sie weiß von der Notwendigkeit, sich des Gifts zu entledigen. Es auch zu wagen, ist ein gewaltiger Schritt. Ein Schritt auf einem unbekannten Pfad. Wohin wird er sie führen?
Wird sie führen? Alles neu. Noch ist das Neue beängstigend. Doch das Gift zerfrisst sie allmählich, bis nichts mehr von ihr bleibt. Erste kleine Schritte hat sie bereits getan. Nur Mut.