Autor
|
Bewertung
Statistik
Sätze: | 58 | |
Wörter: | 1.143 | |
Zeichen: | 6.443 |
Vor sehr langer Zeit stellte ein Mann in seiner Werkstatt sieben kleine Tongefäße her, die er mit besonderer Hingabe formte und verzierte. Sie hatten alle die gleiche Füllmenge und waren doch jedes für sich einzigartig.
Nachdem er sein Werk vollendet hatte, begutachtete er jedes einzelne Gefäß nochmals und war zufrieden mit dem, was er geschaffen hatte. Also stellte er sie draußen vor die Tür auf eine Holzbank und hoffte darauf, dass jemand sie kaufen würde, was eine Zeit dauern konnte, denn seine Hütte befand sich mitten im Wald auf einer Waldlichtung.
Es vergingen etwa zwei Wochen, bis ein Wanderer an seiner Werkstatt vorbei kam und dort eine kurze Rast einlegte. Er setzte sich ins Gras vor der Hütte und blinzelte in die Sonne, die ihm verriet, dass es schon fast Mittag sein musste - was das Knurren in seinem Magen bestätigte. Dann erblickte er die sieben Tongefäße auf der Holzbank und fragte sich, was diese wohl enthalten würden. So erhob er sich und begutachtete sie aus der Nähe.
Der Schöpfer dieser Gefäße bemerkte den Wanderer vor seiner Werkstatt und ging vor die Tür, um ihn zu begrüßen. Als er jedoch vernahm, wie der Magen des Wanderers zur Begrüßung knurrte, hatte er Mitleid und lud ihn zu Wein, Brot und Käse ein. Der erschöpfte Mann nahm die Einladung dankbar an und verbrachte den ganzen Nachmittag bei dem Schöpfer der Gefäße. Sie unterhielten sich über viele Themen und verloren die Zeit aus den Augen.
Am Abend saßen die beiden draußen am Lagerfeuer und kamen in ihren Gedanken langsam zur Ruhe. Dann bot der Mann, der die Gefäße hergestellt hatte, dem Wanderer an doch bei ihm zu übernachten, damit er ausgeruht am nächsten Tag seinen Weg fortsetzen könne. Der Wanderer war sehr dankbar dafür, denn seine Augenlider wurden immer schwerer...
Am nächsten Morgen bedankte sich der Wanderer für die sehr freundliche Gastfreundschaft und wollte mit seinem Rucksack schon losziehen, als ihn der Schöpfer der Gefäße an seiner Schulter packte und ihn aufhielt.
"Nun mein Freund. Du hast mir einsamen alten Mann deine Gesellschaft geschenkt. Und jetzt schenke ich Dir dafür die sieben kleinen Gefäße, die ich hergestellt habe. Jedes ist einzigartig und hat doch die gleiche Füllmenge wie die anderen. Mit was Du sie auffüllst, bleibt Dir überlassen. Doch wähle nicht nur mit dem Auge, sondern auch mit dem Herzen, was der Inhalt sein soll."
Der Wanderer war überrascht und zugleich sehr dankbar für dieses großzügige und besondere Geschenk. Er packte die Gefäße in Lumpen gewickelt in seinen Rucksack und umarmte den alten Mann herzlich, bevor er sich verabschiedete und seinen Weg fortsetzte. Der Schöpfer der sieben kleinen Gefäße schaute ihm noch eine Weile nach und ging dann mit einem Schmunzeln im Gesicht zurück in seine Hütte...
Die Jahre vergingen und inzwischen war der Wanderer ergraut und sehr betagt. Er hatte sich inzwischen sesshaft gemacht und besaß eine kleine Holzwerkstatt, in der er allerlei Gebrauchsgegenstände anfertigte: Holzlöffel, Holzeimer...aber auch einige Holzfiguren.
Eines Abends saß er am Lagerfeuer vor seiner Holzwerkstatt und verbrannte ein paar Holzreste, die ihm gleichzeitig ein wenig Wärme schenkten. Und da kam ihm wieder der Schöpfer der sieben kleinen Gefäße in den Sinn. Die Tongefäße hatte er in seiner Werkstatt in einer Reihe auf einem Holzregal stehen und sah sie jeden Morgen an. Sie wiesen Spuren der Zeit auf - wie der Mann selbst... und er hatte nicht vergessen, wer sie ihm geschenkt hatte.
Dann dachte er an die Worte, die im der alte Mann damals sagte, als er ihm die wunderschönen Gefäße schenkte. Aus einem unerfindlichen Grund hatte er auf einmal das Bedürfnis, die Tongefäße genauer anzusehen; und so schritt er langsam mit seinem Gehstock in seine Holzwerkstatt.
Als er vor dem Regal stand, nahm er das erste Gefäß in seine Hand und begutachtete es mit seinen Händen und seinen Augen. Plötzlich nahm er mit seinen Fingern eine Unebenheit auf dem Boden des Gefäßes wahr. Es fühlte sich wie eine Einkerbung an, wie er sie auch auf seinen Holzwerken hinterließ. Er drehte das Gefäß um und entdeckte ein paar Buchstaben, mit denen er zunächst nichts anfangen konnte. Dann nahm er das nächste und drehte es um, damit er die Unterseite genauer betrachten konnte. Doch er wurde nicht schlau aus dem, was dort stand. Erst als er alle Gefäße genau untersucht hatte, lichtete sich der Schleier in seinen Gedanken.
Jedes hatte eine Inschrift, die er nie zuvor wahrgenommen hatte und dessen Bedeutung er erst nach einiger Zeit verstand: Odin stand für Mittwoch... Thor für Donnerstag... Frija für Freitag... und so weiter. Das war also das Vermächtnis, das ihm der alte Mann damals hiterließ und das er solange unwissend auf seinem Regal stehen hatte. Nun konnte er auch die Worte von ihm verstehen, die er ihm einst auf dem Weg mitgegeben hatte.
In der folgenden Nacht erschien ihm der alte Mann im Traum und ließ ihn wissen, dass er die sieben Gefäße weise gefüllt hatte. Dann verschwand er wieder wie in einem dichten Nebel...
Als der Mann am nächsten Morgen erwachte, war er zunächst ein wenig stutzig über seinen Traum. Doch dann durchfuhr ihn ein Gedanke, den er sogleich in die Tat umsetzen wollte. Nachdem er sich gewaschen und etwas gefrühstückt hatte, ging er in seine Holzwerkstatt und suchte das beste Holz , das er hatte und begann es an der Drechselbank zu bearbeiten.
Nach etwa sieben Tagen hatte er sein Werk vollendet und begutachtete es zufrieden von allen Seiten. Dann baute er vor seiner Werkstatt eine Holzbank auf und stellte darauf sieben kleine Gefäße aus Holz, die alle die gleiche Füllmenge hatten - und doch war ein jedes einzigartig in seiner Form und Verzierung...
*
Anhang:
Die meisten werden den Sinn dieser Geschichte sicherlich schon begriffen haben. Trotzdem möchte ich es noch erklären, was ich mir bei dieser kleinen Geschichte gedacht habe.
Die Gefäße stehen für die sieben Wochentage; und jedes Gefäß hat die gleiche Füllmenge, womit natürlich die 24 Stunden an einem Tag gemeint sind.
In der Geschichte gleichen sich Anfang und Ende - und doch sind sie verschieden... genauso, wie sich die Wochentage wiederholen, die trotzdem verschieden und einzigartig werden, weil jeder Tag einen anderen Inhalt in sich trägt.
Nun bleibt es jedem Menschen selber überlassen, womit er das einzelne Gefäß bzw. den Tag füllt: Ob es die Arbeit ist, ein Besuch bei einem Freund oder mit allen Sinnen die Natur zu genießen...
"Was Dich erfüllt, liegt in deinem Herzen..."
*
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!
1
|
BerndMoosecker • Am 01.10.2021 um 20:12 Uhr | |||
Liebe Silly, eine schöne Parabel und eine gute Idee, die sieben Tage der Woche als sieben gleich große Gefäße darzustellen. Die sieben Tage der Woche sinnvoll zu füllen ist eine lebenslange Aufgabe - eine tägliche Herausforderung. Deine Gedanken dazu hast Du in Deiner Kurzgeschichte anschaulich dargestellt. Liebe Grüße Bernd |
||||
|
|
Sätze: | 58 | |
Wörter: | 1.143 | |
Zeichen: | 6.443 |