Autor
|
Bewertung
Statistik
Kapitel: | 9 | |
Sätze: | 266 | |
Wörter: | 3.993 | |
Zeichen: | 27.640 |
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Anfängen der Pädagogik als Wissenschaftsdisziplin in Deutschland. Als Ausgangspunkt liegt ein Artikel von Juliana Jacobi zugrunde, in welchem die Autorin fragt, inwieweit die Allgemeine Pädagogik allgemein ist. (Jacobi, 1991, 193-206)
Was ist eigentlich unter Allgemeiner Pädagogik zu verstehen? Der Erziehungswissenschaftler Hans-Jochen Gamm meint dazu folgendes:
Allgemeine Pädagogik hat es, ihrem Namen gemäß, mit der Aufgabe zu tun, das Allgemeine der erzieherischen Prozesse herauszuschälen, in Grundbegriffen festzuhalten und damit das Wesen der intergenerativen Formung zu verdeutlichen. (Zit. n. Gamm, 1979, 27)
Als Wissenschaftsdisziplin begründete sich die Allgemeine Pädagogik an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Es handelte sich um ein Erziehungskonzept, das sich aus der Bürgerlichen Gesellschaft heraus entwickelte. Die Kindheit als besonderer Lebensabschnitt wurde entdeckt. Man glaubte, Kinder (die man allgemein als ‚unbeschriebenes Blatt’ sah) formen zu können und dachte, dies sei mit Hilfe von Bildung zu bewerkstelligen. So erst konnte Pädagogik als eigenständige Disziplin überhaupt Bedeutung gewinnen. Da sich die Pädagogik an das Bürgertum wandte, war das Ziel hierbei die Erziehung zum aufgeklärten Menschen und ordentlichen Bürger.
Die Allgemeine Pädagogik sollte der Idee nach geschlechtsneutral sein. Aber ist sie das wirklich? Und inwieweit spiegelt sich in ihr ein Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern wider?
Die vorliegende Arbeit greift diese Fragen auf und versucht sie zu klären.
2. Gesellschaftliche Gegebenheiten an der Wende vom
18. zum 19. Jahrhundert
Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war eine Umbruchzeit. Durch die zunehmende Bedeutung von Handelsbeziehungen und die Erfindung von Maschinen zur Massenanfertigung löste sich die auf dem mittelalterlichen Denken basierende Feudalordnung allmählich auf.
Durch die Industrialisierung wanderten immer mehr Menschen vom Land in die Städte und bildeten die neue Gesellschaftsschicht der Fabrikarbeiter und –arbeiterinnen. Aufgrund des mit dem durch die Industrialisierung einhergehenden Kapitalismus entwickelte sich die immer stärker den gesellschaftlichen Ton angebende Gruppe des Bürgertums. In dieser Schicht erfolgte eine Trennung zwischen Privatleben und Öffentlichkeit, wodurch sich eine Neuformung des Geschlechterverhältnisses ergab. Der Mann verdiente das Geld außer Haus, während seine Frau die Hausarbeit verrichtete und die Kinder erzog. Das Individuum wurde entdeckt, ebenso die Kindheit als eine besondere Periode im Leben des Menschen. Aufgrund dessen gewannen Erziehung und Bildung als Instrument der Statusbildung für das Bürgertum eine zentrale Bedeutung.
Auf dieser Grundlage konnte sich eine Allgemeine Pädagogik als wissenschaftliche Disziplin bilden. Akademisch tätige Philosophen und Theologen sahen sich veranlasst, eine wissenschaftliche Grundlage erzieherischen Handelns zu entwickeln. Pädagogik sollte sich als eigenständige neue Wissenschaft konstituieren.
Die Erziehungsziele für die Kinder lauteten aufgrund der neuen Geschlechterkonstellation:
Ø Jungen sollten gebildete Staatsbürger werden
Ø Mädchen sollten Gattinnen, Hausfrauen und Mütter werden
3. Konstituierung des Frauenbildes in der bürgerlichen Gesellschaft
Das im bürgerlichen Zeitalter entworfene Bild von der Frau baute direkt auf dem traditionellen christlichen Bild auf, das die Kirchenväter entworfen hatten. Danach hatte die Urmutter Eva ihren Mann Adam verführt und durch ihr Handeln die göttliche Ordnung durcheinander gebracht, was beide das Paradies kostete.
Dieser Rollenzuschreibung lag die Hierarchisierung der Geschlechter zugrunde. Der Mann als Ebenbild Gottes wurde zum Maßstab aller Dinge. Während jedoch trotz allem die adligen Frauen eine gewisse Macht besaßen und Bäuerinnen immer mitgearbeitet hatten, ebenso wie später die Arbeiterinnen, wurden mit der Herausbildung des Bürgertums die Geschlechterrollen neu gelesen und dergestalt ausgelegt, dass die Frau im Haus bleiben und für Mann und Kinder leben sollte. Dies setzte sich zunächst im Bürgertum, später aber auch – zumindest als Idealvorstellung – in der Arbeiterschaft durch.
Als der wichtigste, der die Geschlechtsstereotypie auch für Deutschland begründete, kann Jean Jacques Rousseau gelten. In seinem Erziehungsroman „Emile“ entwirft er eine Frauenfigur (Sophie), die ganz auf die Bedürfnisse des Mannes hin erzogen ist. Sie ist praktisch die Ergänzung zu Emile. Neu war, dass Rousseau diese Geschlechterzuschreibungen als natürlichen Zustand postulierte. Alles, was davon abwich, war demnach wider die Natur und also abzulehnen. Mann und Frau hatten ihre Bestimmung. Durch die getrennten Lebenssphären sah dies so aus, dass der Mann durch seinen Beruf die Familie ernährte, die Frau sich hingegen um Heim und Familie kümmerte. Es gab zwischen beiden Sphären kaum eine Verbindung.
Zunächst war es jedoch so, dass diese beiden „Welten“ zusammen gehörten und sich notwendigerweise ergänzten. Beide machten die Natur des Menschen aus, so dass die Aufgaben der Frau denen des Mannes prinzipiell gleichgeordnet waren.
In einer kurzen Phase der Aufklärung galt die Frau als gleichwertige Gefährtin des Mannes und genoss potentielle Gleichrangigkeit, d. h. man achtete die Frau und sie erfreute sich einer positiven Anerkennung ihrer Aufgaben. (Vgl. Dölling, 1991, 121) Man verwies auf die spezifisch „weiblichen“ Fähigkeiten und Leistungen, welche für das Fortkommen der Menschen unersetzlich wären. (s. hierzu auch Anm. 1)
Die notwendige Ergänzung schließt aber nicht Hierarchiebildung aus. Fakt blieb, dass die Frau in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Mann war.
--------------------------------------------------------------------------------------------------
Anm. 1:
Das Damen-Conversations-Lexikon hält hierzu unter dem Stichwort „Frauen“ fest: „Die Kulturgeschichte der Frau ist zugleich die der ganzen Menschheit; denn die Frauen sind der Hebel, ihre Bildung ist der Maßstab für jede Kultur. Wo das Weib die Sklavin des Mannes, wo sie ohne höhere Liebe an ihn gefesselt, wo sie ausgeschlossen ist vom öffentlichen Leben, wo sie keine beratende Stimme hat im großen Familienverband der nation, das gibt es keine Kultur! – Die Allmacht hat, um das Ideal der Menschheit zu erzielen, die Idealität in beiden Geschlechtern ausgeprägt; nur die Vereinigung beider, ihrer gleich großen, wenn auch verschiedenen Anlagen und Fähigkeiten, das Zusammenwirken derselben, bildet das Meisterwerk der Schöpfung. – Mann und Weib im Vereine sind dieses Ideal. Eins ergänzt und fördert so die Eigenschaften und Kräfte des anderen.“ - Zit. n. Damen-Conversations-Lexikon, hrsg. im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen von Carl Herloßsohn, 10 Bde, Adorf 1834-1838. In: Klemt-Kozinowski/Wildermuth, 1989, 97-98.
3.1 Romantisches Liebesideal und Mutterschaft
In der Frühaufklärung konstituierte sich das Ideal der Gleichrangigkeit der Geschlechter, die geistig und seelisch vollkommen ebenbürtig waren. Aufgrund dessen hatte man eine sehr freie Auffassung über Liebe und Sexualität. Die Idee der wahren Liebe beruhte auf der Annahme, dass dies nur möglich wäre, wenn sich zwei Seelen vollkommen ergänzten: „Gelöst von aller leiblichen Begehrlichkeit, sollte der Liebende sich der Seele des anderen vermählen...“ (Zit. n. Bennent, 1985, 75)
In der Frühromantik wurde allerdings auch unterschieden zwischen einer erotisch-geistigen Verbindung zweier Seelen-Partner, die als ideal galt, und der institutionalisierten Ehe, die lediglich der Fortpflanzung diente. Diese wurde abgewertet, da sie durch ihr „niedriges Fortpflanzungsgeschäft“ die „reine Geistigkeit der seelischen Verschmelzung“ beschmutze. Denn die Ehe als Institution wurde normalerweise aus lebenspraktischen Erwägungen heraus geschlossen, nicht aus absoluter Liebe. Die Verbindung zweier wahrhaft Liebender galt hingegen als die „wahre Ehe“, die keiner rechtlichen Grundlagen bedurfte. Nur diese idealisierte Eheform galt als unauflösliche Verbindung, während alle anderen vorherigen Bindungen überwindbar waren. (Vgl. Bennent, 75 ff.)
Hier ist ein Ansatz zur Emanzipation erkennbar, der Frauen aufgrund der absoluten Liebe eine freiere erotische Entfaltung zugestand. Allerdings dauerte die „romantische Revolte gegen Ehe- und Geschlechternorm“ nur wenige Jahre an. Dann besann „mann“ sich wieder darauf, ein durchaus romantisches Eheideal mit hohen sittlichen Anforderungen (vor allem für die Frau) rechtlich zu verankern. (Vgl. Bennent, 79) Nun wurde der Sittlichkeitswert über die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen gestellt und die Ehe als unentbehrliche Grundlage des Staates gesehen.
Heidemarie Bennent vermutet, dass das Interesse am weiblichen Individuum von sekundärer Bedeutung war und in dem Moment verschwand,
„...als ein Modus gefunden war, der Selbstverwirklichung des einzelnen Mannes im Rahmen einer objektiven Rechtsordnung Platz einzuräumen. Der Gesinnungswandel der Romantiker in Ehefragen prägte auch ihr Weiblichkeitsbild derart, daß die Persönlichkeitsentwicklung und freie Handlungsfähigkeit der Frauen nun unterbunden wurde. Von hierher verstärkt sich rückblickend der Verdacht, dass auch die früheren progressiven Programme zur Individualentfaltung vorwiegend das Wohl des Mannes im Auge hatten.“ (Zit. n. Bennent, 79)
Durch die Idealisierung des romantischen Ideals wurde die Sexualität zur (Gatten)Liebe verklärt, die so genannte „eheliche Pflicht“ dadurch veredelt.
Statt der vorherigen gepriesenen Seelenfreundin, die eine geistig ebenbürtige Partnerin war, avancierte die Hausfrau und Gattin nun zur „Familiengöttin“. (Vgl. Bennent, 174) Ihre Fähigkeit zu gebären wurde idealisiert, die „Mutterliebe“ zu einem „Inbegriff weiblicher Welterfahrung.“ (Vgl. Dies., 111)
Während in früheren Zeiten die Mutterschaft lediglich eine der vielen Aspekte des Frauseins darstellte, wurde sie im Bürgertum zur wesentlichen Bestimmung der Frau. Sie verschmilzt nun mit ihren Kindern zu einer Einheit und erhält dadurch ihre Daseinsberechtigung. Den Kindern hat ihre Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit zu gelten. (Vgl. Dölling, 125 f.) Dazu hält das Damen-Conversations-Lexikon unter dem Sichtwort ‚Mutter’ fest: Die Frau „ist erst als Mutter vollendetes Weib.“ (Zit. in Dölling, 126)
Diese Vollendung gilt als natürlicher Prozess. Dafür benötigt die Frau keine Bildung oder gar Ausbildung, es liegt in ihrer Natur: „Re-Produktion ist die eigentliche Bestimmung der Frau – wie die Natur bringt sie immer erneut hervor, was schon vielfach da ist.“ (Zit. n. Dölling, 126)
3.2 Weibliche Bildung
Da das Erziehungsziel für Mädchen nun festgelegt war auf ihre Bestimmung als Gattin, Hausfrau und Mutter, erachtete man Bildung für diese als entbehrlich bis nicht notwendig. Das Vorbild der Mutter sollte für Mädchen genügen. So hielt man es beispielsweise bis Ende des 18. Jahrhunderts für ausreichend, wenn ein Mädchen im Gebetbuch lesen und ein wenig rechnen konnte (für seine spätere Haushaltsführung). Mädchenschulen wurden auf Privatinitiative gegründet. In der so genannten Höheren Töchterschule, einer Bildungsanstalt für Bürgerstöchter, lernten Mädchen vor allem Handarbeiten und Haushaltsführung, darüber hinaus erhielten sie Unterricht in Etikette, Tanz, Klavierspiel und französischer Sprache. Letzteres galt als Kennzeichen „feiner Lebensart“.
Männliche Lehrer wurden bevorzugt eingestellt. Man duldete nur wenige weibliche Lehrkräfte als Gehilfin, und auch nur darum, weil man den Mädchen eine typisch weibliche Erziehung zukommen lassen wollte. (Vgl. Blochmann, 1990, 5)
Rousseaus Roman „Emile“ prägte entscheidend das Frauenbild und hatte großen Einfluss über die Philantropen auf die Diskussion um Mädchenbildung in Deutschland. Rousseaus weibliche Figur Sophie galt als Leitbild der Frau für das Mädchen des Bürgertums. Sophie wird ganz auf den Mann hin konzipiert; es ist ihre Bestimmung, ihm liebende Ehefrau und Mutter seiner Kinder zu sein.
Zwar meint Rousseau, dass beide Geschlechter im Grunde von Natur aus geistig ebenbürtig seien, hebt aber ihre Unterschiede hervor:
Mann = aktiv – stark – gebend – Gesellschaft
Frau = passiv – schwach – empfangend – Haus
Diese Disposition evozierte die Zuteilung der gesellschaftlichen Rollen dergestalt, dass der Mann für das Leben erzogen wurde, die Frau hingegen für sein Haus.
Im wesentlichen ergibt sich aus der Lektüre des Emile, dass Mädchen zu einer treusorgenden, liebenden Ehefrau erzogen werden sollten:
„Die Ausrichtung weiblicher Bildung auf die Liebesehe hin wurde von den Romantikern als der tiefere Lebenssinn männlich-weiblicher Beziehungen propagiert.“ (Zit. n. Becker-Cantarino, 1987, 158)
Dies blieb bis heute als Ideal lebendig.
4. Begründung der Allgemeinen Pädagogik
Auf dieser Grundlage baute die Allgemeine Pädagogik als Wissenschaftsdisziplin auf. In der Zeit um die Jahrhundertwende war man bemüht um eine rechtliche und wissenschaftliche Universalisierung. Man versuchte grundsätzlich, das Verhältnis des Individuums zum Staat und zu den gesellschaftlichen Institutionen zu regeln.
Die Konstituierung einer wissenschaftlichen Pädagogik führte zu einer Allgemeinbildungstheorie mit universalistischem Anspruch, die sich für Frauen erübrigte. Der angenommene Geschlechtsgegensatz setzte sich als Allgemeingültigkeit durch.
Selbst Schleiermacher war der Ansicht, dass beide Geschlechter unterschiedliche psychische Dispositionen hätten:
Mann > Anschauung
Frau > Gefühl
Die darauf aufbauende männliche Form der Erkenntnis ist die des Denkens, die weibliche die des höheren Gefühls. Daraus werden folgende Schlussfolgerungen gezogen:
Ø Die Frau braucht keine allgemeine Bildung. Sie findet ihre Bestimmung in sich selbst.
Ø Beim Mann muss die Entfremdung von sich selbst durch allgemeine Bildung aufgehoben werden.
Infolge dessen ergibt sich die Frage, wie das autonome Individuum als Bürger zu erziehen sei.
Im Folgenden werden drei Autoren vorgestellt, die für die Begründung der Pädagogik als Wissenschaft bedeutsam waren:
· Herbart
· Niemeyer
· Schleiermacher
Johann Friedrich Herbart (* 04.05.1776 in Oldenburg, + 1841 in Göttingen) studierte Jura und Philosophie und arbeitete als Hauslehrer, bevor er seine Berufung erhielt.
Mit seinem Buch „Allgemeine Pädagogik aus dem Zwecke der Erziehung abgeleitet“ (Erstauflage 1806) tauchte der Begriff Allgemeine Pädagogik erstmals auf. Damit begründete Herbart philosophisch die „Pädagogik als autonome Wissenschaft“. (Vgl. Jacobi, 194) Dort führt er zwar aus, dass Pädagogik als Wissenschaft so allgemein sein sollte, dass Reflexionen über das Geschlechterverhältnis nicht vorkommen, räumt aber ein:
„Natürlich aber erinnert die vollständige Uebersicht dessen, was zur durchgeführten Geistes Cultur gehört, mehr an männliche, als an weibliche Erziehung...“ (Zit. n. Herbart, 1887, in: Jacobi, 193)
In diesem Zitat wird klar, dass er sich bei dem Entwurf seiner Theoriekonzeption eigentlich auf die männliche Erziehung (s. hierzu Anm. 1) bezieht; Geschlechterkonstellationen spielen hier also sehr wohl eine Rolle. Herbart selbst stellte fest, dass in seiner Konzeption der „Erziehung durch Unterricht“ Frauen keinen Platz haben. Zur Abgrenzung geht er auf ein Erziehungsverständnis ohne Unterricht ein:
„Die Erzieher sind überhaupt genommen nicht eben diejenigen, welche die meisten Kenntnisse haben. Aber es giebt deren, (besonders unter den Erzieherinnen,) die so viel wie gar Nichts wissen, oder was sie wissen, so viel wie gar nicht pädagogisch zu brauchen verstehen; - und die dennoch mit grossem Eifer an ihr Geschäft gehen. Was können sie thun? Sie bemächtigen sich der Empfindungen des Zöglings;...“ (Zit. n. Herbart, 1960, 12)
Und eben in dieser ‚Bemächtigung der Empfindungen des Zöglings’, die er besonders verabscheut, sieht Herbart den ‚Sündenfall’ der Erzieherinnen – denn Frauen, so meint er, wären für diese Erziehungsform besonders prädestiniert. Daraus folgt seiner Meinung nach, dass Männer die besseren Erzieher sind.
Herbart geht in den ersten Kapiteln über Kindererziehung auf die beiden seiner Meinung nach notwendigen Komponenten für Disziplin ein, nämlich auf „Autorität“ und „Liebe“. Ersteres ordnet er dem Vater, Letzteres der Mutter zu. Diese stellen für ihn „natürliche“ Zuordnungen der Geschlechter bei der Erziehungsaufgabe dar:
Der Mutter (Frau) bleibt die Erziehung über ihre Gefühle (d. h. sie versteht es aufgrund ihres „zarten Geschlechts“, sich in die Bedürfnisse des kleinen Kindes einzufühlen).
Dem Vater (Mann) gebührt die Aufgabe, den Knaben zu Größe und Würde zu erziehen. Als „männliches“ Erziehungsmittel empfiehlt Herbart, dem Knaben eine „interessante Erzählung“ (z. B. aus Sagen oder Mythen) zu geben, die das „stärkste und reinste Gepräge männlicher Größe an sich tragen“ soll.
Die Erziehung der Knaben durch Männer enthält eine Erziehung zur Größe, zur Abwehr und Überwindung des Kindlichen und Abhängigen. Solange der Junge nämlich von der Mutter abhängig sei, fühle er sich klein. Durch die „Erzählung“ (z. B. Homers Odyssee) werde diese Abhängigkeit zwar nicht aufgehoben, aber doch völlig verdrängt. (s. Anm. 2)
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Anmerkungen:
1) So spricht Herbart in seiner Allgemeinen Pädagogik fast nur vom Zögling und seinem Erzieher und davon, wie man Knaben zu Männern erziehen sollte.
2) Herbart ermpfiehlt die griechischen und römischen Sagen. Hier kommen ausschließlich Männer als Helden vor, die sich dadurch auszeichnen, dass sie tapfere Krieger sind, die rücksichtslos ihre Interessen durchsetzen.
August Hermann Niemeyer (*01.09.1754, + 07.07.1828 in Halle/Saale) war evangelischer Theologe und 1784 Ordentlicher Professor der Theologie.
Seine Schrift Grundsätze der Erziehung und des Unterrichts (Erstauflage 1796) war eine erste systematische Darstellung der Pädagogik und enthält in sich die Erziehung zum sittlichen und vernünftigen Bürger. Frauen kommen hier nur als Störfaktoren für die Hauslehrer vor, und zwar in Gestalt der Gouvernante. Für die Erziehung seien diese Frauenspersonen gänzlich ungeeignet; gebrauchen könne man lediglich ihre besseren Sprachkenntnisse.
Niemeyer setzte sich zudem kritisch mit Pestalozzi auseinander, wobei er 1810 ganz speziell dessen mutterzentristische Pädagogik im Blick hat. (s. hierzu Anm. 1) Diese hält er für eine gefährliche Tendenz, da seiner Meinung nach Frauen vollkommen ungeeignet dazu sind, Kinder zu erziehen. Ihnen fehle angeblich der nötige Ernst für den Unterricht. Niemeyer begründet außerdem, dass selbst Väter kaum in der Lage sind, dem schweren Geschäft der Erziehung sittlich-moralisch gerecht zu werden. Wie sollte es dann eine Frau können?
Für die Mädchen schlägt Niemeyer eine Differenzierung der Erziehung nach Ständen vor:
· Arbeitermädchen ® Erziehung zur „Arbeitslust“
· Mädchen des Mittelstands ® Ausbildung eines „gesunden
Menschenverstands“
· Höhere Töchter ® Ausbildung eines „kultivierten
Geschmacks“
Generell aber forderte er für Mädchen ungeachtet ihres jeweiligen Standes eine Ausrichtung der Erziehung auf die Funktionen der Frau innerhalb der häuslichen Gemeinschaft. (Vgl. Blochmann, 13)
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Anmerkungen:
1) In seinem Roman Lienhard und Gertrud (2. Aufl. 1792) verklärt Pestalozzi die Gestalt der aktiv-handelnden Gertrud, die – o Schreck! – ihr Haus verlässt, um den Landesherrn über das despotisch-ausbeuterische Verhalten des Dorfvogts aufzuklären. Dadurch erreicht Gertrud eine Besserung der Dorfverhältnisse und auch ihres spielsüchtigen Ehemannes. Sie hat es gewagt, in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen, statt in der ihr zugewiesenen Rolle der passiven Frau zu bleiben. In dem Roman wird Gertruds Kindererziehung als eine ideale herausgestellt, sie selbst als „Sonne“ gepriesen. Des Weiteren tritt sie durch ihr Handeln, das der ganzen Dorfgemeinschaft zugute kommt, als „Große Mutter“ (in ihrem positiven Aspekt) auf. – Pestalozzis Sicht der Frauen läuft also konträr zu Niemeyers Ansichten.
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (*21.11.1768 in Breslau, +12.02.1834 in Berlin) war evangelischer Theologe, Philosoph und Pädagoge. 1804 wurde er Außerordentlicher Professor der Theologie in Halle.
In zwei Nachschriften aus den Jahren 1814 und 1826 über Schleiermachers Vorlesungen finden sich erste Versuche einer historischen Begründung der Pädagogik.
Einleitend beginnt er, ausführlich auf das Problem des Verhältnisses vom Allgemeinen zum Besonderen aufmerksam zu machen, wobei er in seinen wissenschaftstheoretischen Überlegungen eine Reihe von Differenzen (z. B. zwischen Personen und Ständen, häuslicher und privater Erziehung, zwischen den Geschlechtern u.a.m.) einbezieht, die eine Allgemeine Pädagogik als empirisch-anthropologisch oder historisch gegeben berücksichtigen muss. Dadurch will er verdeutlichen, dass eine Allgemeine Pädagogik ihre Grundsätze so formulieren sollte, dass diese Differenzen von ihr nicht berührt werden, sie andererseits aber die Möglichkeit der Aufhebung dieser Differenzen nicht grundsätzlich verhindert.
Im Kapitel „Ob und wieweit die Erziehung dasselbe sei für beide Geschlechter“ stellt Schleiermacher die soziale Ungleichheit der Geschlechter fest, die tendenziell durch Erziehung aufgehoben werden könne, wenn die Gesellschaft dies wolle. Die Verhältnisbestimmung der Geschlechter zueinander erklärt sich durch deren gesellschaftliche Aufgaben: die öffentliche des Mannes, die häusliche der Frau. Dennoch sieht Schleiermacher eine enge Bezogenheit der beiden Sphären aufeinander, die ihn veranlassen, das Verhältnis in der Pädagogik genauer zu bestimmen. So räumt er ein, dass das weibliche Geschlecht zwar im öffentlichen Leben des Staates zurücktrete, gibt aber zu bedenken, dass das Hauswesen das erste organische Element des Staates sei und die notwendige Grundlage desselben darstelle. Daher hänge vom häuslichen Leben das Wohl des Staates ab, und deshalb sollte die Rolle der Frau und Mutter nicht unterschätzt werden. In der Familie erlernt das Kind nämlich zuerst die Ordnung, die in seiner Gesellschaft herrscht.
Bei Schleiermacher verquickt sich Erziehung zu einer Aufgabe, die sich Eltern (primär die Mutter) und Staat teilen sollten. Die Frau spielt hierbei eine besondere Rolle, da sie es ist, die sich zuerst um das Kleinkind kümmert. Deshalb wäre es wichtig, dass sie eine grundlegende Bildung hätte. Auch spräche nichts dagegen, dass zumindest in der „ersten Phase“ Jungen und Mädchen zusammen erzogen würden. Dies führt nun zu folgender Leitfrage für die weibliche Erziehung:
„Wie ist die weibliche Erziehung so einzurichten, dass auf der einen Seite nichts geschieht, was durch die Naturbestimmung des Weibes vergeblich gemacht wird, auf der anderen Seite dem weiblichen Geschlecht soviel Vorschub geleistet wird, als zur Verbesserung seiner Stellung und seiner Einwirkung auf die künftige Generation notwendig ist, damit, wenn es im Gang der Dinge läge, dass diese Ungleichheit noch weiter abnimmt, die Erziehung nicht entgegenwirke.“ (Zit. n. Schleiermacher, 1966, 65)
Die Aufhebung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hält Schleiermacher jedoch nicht für die Aufgabe der Pädagogik.
5. Zusammenfassung
Ausgehend von der Frage, ob die Allgemeine Pädagogik geschlechtsneutral sei und inwieweit sich hierin evtl. ein Machtverhältnis widerspiegelt, kann folgendes festgestellt werden:
Durch die Industrialisierung und die damit verbundene Konstituierung des Bürgertums wurden neue soziale Funktionen und dazugehörige Rollen geschaffen. Die bürgerliche Frau wurde ideologisch an das Haus gebunden und hatte nur noch für Mann und Kinder zu leben. Außer für die Erfüllung dieser Rolle brauchte sie an sich keine weitergehende höhere Bildung. Durch Rousseau wurde das Ideal der als „natürlich“ geltenden Liebesehe angeregt, womit für die Frau das Korsett geschaffen wurde, sich für andere aufzuopfern (besonders für den geliebten Partner) und niemals an sich selbst zu denken. In dieser Weise sollten Mädchen erzogen werden. Als Belohnung wurde ihnen die Liebe des Partners sowie die Erfüllung ihres Daseins in der Mutterschaft versprochen. Außerdem schrieb man Frauen starke Gefühlskräfte zu, von denen sie beherrscht wurden. Aufgrund dessen sprach man ihnen intellektuelle Fähigkeiten ab.
Darauf basierend wurden in der Allgemeinen Pädagogik nur Erziehungskonzepte für Jungen entworfen, die Männer und Staatsbürger werden sollten.
Aus den Überlegungen von Herbart und Niemeyer wird ersichtlich, dass Erziehung eine männliche Angelegenheit ist und daher der Beruf des Erziehers den Männern vorbehalten bleiben sollte. Dabei gibt sich Niemeyer besonders frauenverachtend. Beide stellen die bürgerliche Ordnung nicht in Frage und kommen gar nicht auf den Gedanken, dass diese sich ändern könnte. Frauen als Erzieherinnen sind uninteressant bis unerwünscht und sollten in der ihnen gesellschaftlich zugewiesenen funktionalen Rolle bleiben.
Auch Schleiermacher lässt sich auf die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse ein, hält es aber durchaus für möglich, dass diese sich mit der Zeit ändern könnten. Er plädiert für eine Geistesbildung des weiblichen Geschlechts, da Kinder ja zunächst von der Mutter betreut und erzogen werden. Auch wertet er Frauen nicht ab.
Aus all dem wird ersichtlich, dass an dem Sprichwort Wissen ist Macht durchaus etwas Wahres ist. Indem man Mädchen und Frauen nämlich intellektuelle Bildung versagte und ihnen lediglich praktisches Wissen für die Erfüllung ihrer Aufgaben als Hausfrauen und Mütter zubilligte, erhielt man ihre anerzogene Ohnmacht und Abhängigkeit aufrecht.
6. Literaturverzeichnis:
Becker-Cantarino, Barbara: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frau und Literatur (1500-1800). Stuttgart, 1987, J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung.
Bennent, Heidemarie: Galanterie und Verachtung. Eine philosophie-geschichtliche Untersuchung zur Stellung der Frau in Gesellschaft und Kultur. Frankfurt a. M.; New York, 1985, Campus Verlag.
Blochmann, Maria W.: „Laß dich gelüsten nach der Männer Weisheit und Bildung“. Frauenbildung als Emanzipationsgelüste von 1800 – 1918. Pfaffenweiler,1990, Centaurus-Verlags-Gesellschaft.
Dölling, Irene: Der Mensch und sein Weib. Frauen- und Männerbilder. Geschichtliche Ursprünge und Perspektiven. Berlin, 1991, Dietz Verlag GmbH.
Gamm, Hans-Jochen: Allgemeine Pädagogik. Die Grundlagen von Erziehung und Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg, 1979, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH.
Herbart, Johann Friedrich: Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgleitet. 3., unveränderte Aufl., Weinheim; Berlin, 1960, Verlag Julius Beltz.
Jacobi, Juliane: Wie allgemein ist die Allgemeine Pädagogik? Zum Geschlechterverhältnis in der wissenschaftlichen Pädagogik. In: W. Herzog, E. Violi (Hg.): Beschreiblich weiblich. Aspekte feministischer Wissenschaft und Wissenschaftskritik, Zürich, 1991, Verlag Rueegger.
Klemt-Kozinowski, Gisela; Wildermuth, Rosemarie (Hrsg.): Die Hälfte des Himmels. Frauen aus 3 Jahrhunderten. Baden-Baden, 1989, Signal-Verlag.
Schleiermacher, Friedrich: Pädagogische Schriften. Erster Band: Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826. 2. Aufl., Düsseldorf; München, 1966, Verlag Helmut Küpper vormals Georg Bondi.
Simmel, Monika: Erziehung zum Weibe. Mädchenbildung im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M., 1980, Campus-Verlag.
Feedback
Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!