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Für Peggy und all die Anderen
Das hier ist ein Text, den ich mal für eine Internetseite verfasst habe. Er wurde aber abgelehnt, weil er nicht in unsere Thematik reinpasste. Einigen war er auch zu düster.
Aber nicht alle dachten so.
„Das ist unser bester Beitrag.“ fand Jemand. Ich war stolz wie Bolle.
Aber bildet euch selber eine Meinung. Hier mein Text:
Jüngere werden es vielleicht nicht mehr wissen, deshalb vorab zur Erklärung:
Papillon ist die Titelfigur des wohl berühmtesten Gefängnisausbruchsfilm der Filmgeschichte aus dem Jahre 1973. Die von den Hauptdarstellern Steve Mc Quinn und Dustin Hofmann verkörperten Gefangenen unternehmen einen gescheiterten Fluchtversuch nach dem anderen und werden nach jedem neuen Ausbruchversuch nur noch härter bestraft. Letztendlich gelingt es aber nur Papillion als Einzigstem aus Französisch Guayana zu fliehen.
Von diesem Film hörte ich das erstemal etwas in meinem Lehrlingswohnheim in MeckPom, als wir Vier abends in unseren Doppelstockbetten lagen, und jede ihren Lieblingfilm nennen sollte. Die, die von uns die Weltläufigste und Reifste war, fand das „Papillion“ der beste Film der Welt war. Ich kannte diesen Film nicht, aber als ich ihn später mal sah, musste ich ihr recht geben. Dustin Hofmann in der Rolle seines Lebens.
Solche Chance bekommt man selten im Leben. Dort entscheidet sich für einen Schauspieler, ob er, wenn er vor dem Himmelstor steht, Einlaß findet oder nach nebenan in die Hölle durchgewinkt wird, was ich für viele der Schauspieler, die in einer Tour Kriminalkommisare verkörpern, befürchte.
Wir vier Mädchen verstanden uns übrigens sehr gut, was wir auch mussten, bei dem engen Zimmer, in das wir während der Lehre drei Jahre eingepfercht waren, aber merkwürdigerweise habe ich nie Sehnsucht verspürt nach dieser Zeit, scheinbar im Gegensatz zu den Anderen, denn sie machen jedes Jahr Klassentreffen. Das hört sich nach heile Welt an. Aber ich habe genausowenig Lust, diesen Ort noch mal zu besuchen, an dem ich mich auch irgendwie eingesperrt fühlte, wie die, von denen in meinem Text die Rede ist, ihre Jugendwerkhöfe.
„Ich bin dort am Wochenende mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Man spürt eine dunkle Atmosphäre.“ sagte ein Freund. Er meint das ehemalige D-Heim in Alt-Stralau.
Dieses schöne, alte, rote Haus, ein architektonischer Augenschmauß mit ungewöhnlichen Zacken auf dem Dach, das schon über hundert Jahre auf dem Buckel hat, ruft in mir Erinnerungen wach an das, was mir viele Kumpels und Freundinnen über ihre Erlebnisse in ähnlichen Einrichtungen der schwarzen Pädagogik der DDR erzählt haben. So zirka ein Drittel meines Bekanntenkreises, gefühlt die Hälfte hatten damit ihre Erfahrungen gemacht.
Und wenn ihr mich fragt, was mich das überhaupt angeht, und warum ich mich so in die Bresche werfe für die Kids, die dort eingesperrt waren. Der Grund dafür ist wohl, dass mein Erzeuger, den ich gar nicht kenne, deshalb will ich ihn nicht als Vater bezeichnen, dort mal gearbeitet hat, als ein sogenannter Erzieher. Irgendwie fühle ich mich für ihn verantwortlich.
Er, der Lehrer war und verheiratet, musste, als sein Verhältnis mit meiner Mutter aufflog, zur Strafe ein paar Jahre im Jugendwerkhof Olgashof arbeiten. In Erzählungen meiner Mutter hörte ich das erstemal etwas über solche Einrichtungen. In dem Guthaus, wo der Werkhof drin war, haben die neuen Bewohner, eine Kommune aus Westdeutschland, im Keller ein Verließ gefunden.
Für den, der es noch nicht weiß, in diesen Durchgangsheimen saßen auf der Straße aufgegriffene Kinder und Jugendliche ein, bevor sie in andere Einrichtungen wie zum Beispiel Jugendwerkhöfe weitertransportiert wurden. Oft waren sie Mißbrauchsopfer und versuchten nur ihren Peinigern zu entfliehen und kamen dadurch vom Regen in die Traufe.
Eine Kollegin erzählte mir einmal, dass sie und ihre Geschwister alle vom Vater mißbraucht wurden. Daraus resultierende Verhaltensauffälligkeiten wurden mit einer Einweisung in den Werkhof bestraft. Sie hat ihr Leben nie wieder richtig in den Griff bekommen und ihre Tochter lebt auch nicht bei ihr.
Eine frühere Bekannte von mir wurde als Kind vom Nachbarn vergewaltigt. Statt Therapie erfolgte eine Einweisung in den Jugendwerkhof, wo sie ihr noch den Rest gaben.
Man muss sich ja mal sie Frage stellen, was ging eigentlich in den Lehrern und Erziehern vor, die das zu verantworten hatten. Was muss ein Mensch erlebt haben, um so gewissenlos zu sein. Waren das ausgesprochene Sadisten, die ihre Freunde an den Quälereien hatten, oder war das Anpassung und Gleichgültigkeit.
Diese Kinder und Jugendlichen hatten keinerlei Rechte, niemand half ihnen. Wegen nichts und wieder nichts konnten sie auf lange Zeit weggesperrt werden, Schule schwänzen allein reichte schon. Sie hatten kein Recht auf juristische Hilfsmittel, kein Recht sich einen Anwalt zu nehmen. Sie waren hilflos dem Erziehungssystem ausgeliefert, nach jedem Versuch sich zu wehren wurden die Ketten nur noch fester gezurrt. Wenn die Wende nicht gekommen wäre, gäbe es diese Einrichtungen immer noch.
Mein ehemaliger Freund und sein Bruder beispielsweise wurden von ihrem Stiefvater,einem großen, agressiven, breitschultrigen Mann, ständig verprügelt. Die Mutter hielt zu ihrem Mann. Als sie es gar nicht mehr aushielten, liefen sie von zu Hause weg, schliefen auf den Feldern und aßen rohe Rüben, bis sie aufgegriffen wurden und in solch ein D- Heim kamen. Später kamen noch verschiedene Jugendwerkhöfe und Knäste dazu.
Eigentlich wollte ich diesen Text ja „Französisch Guayana“ in Alt-Stralau nennen, weil das D-Heim auf beiden Seiten von Wasser umgeben war. Doch Papillon erschien mir passender, denn die Insassen dieser Einrichtungen waren ja ebenfalls ständig auf der Flucht. Genauso wie bei Papillon, der immer wieder ausbricht und sich zum Schluß, nur an einen Sack mit Kokosnüssen geklammert, unbekümmert die steile Felswand herunter in den Atlantischen Ozean stürzt, war ihr Freiheitsdrang größer als die Angst.
Sie überwanden die mit Glas gespickten Mauern, krochen durch enge Gitter und flohen in die Freiheit der Landstraße.
Zu nächtlicher Stunde fanden sich dann minderjährige Mädchen und Jungen an dunklen Straßen wieder und hofften, dass die Autofahrer sie in Richtung Heimat mitnahmen. Die Berliner waren natürlich meist weit außerhalb ihrer Heimatstadt untergebracht. Das nächtliche Trampen war ganz und gar nicht ungefährlich, denn die Autofahrer hatten manchmal anderes mit ihnen vor.
Außerdem wurden sie sowieso bald wieder eingefangen. Dann ging das Elend erst richtig los. Die Eingefangenen schmorten in Isolationszellen, wenn es richtig schlimm kam, wurden sie in den geschlossenen Werkhof nach Torgau überführt. Das war der Vorhof der Hölle. Mein ehemaliger Freund, der dort war, ließ sich jedenfalls überhaupt nicht dazu bewegen, etwas darüber zu erzählen und das will schon etwas heißen. Er verdrängt die Erlebnisse und ist heute Alkoholiker, seinen Bruder hat es noch schwerer erwischt. Er nahm sich das Leben.
Eine Freundin, die im Jugendwerkhof Burg eingesessen hat, erzählte mir, dass nach Fluchtversuchen immer die ganze Gruppe bestraft wurde. Aus Rache versalzten die anderen ihr das Essen, so dass sie in ihrer Zelle, wo sie den ganzen Tag nur auf dem Heizungsrohr sitzen durfte, auch noch unerträglichen Durst litt. Sie hat mir auch erzählt, dass die Mädchen im Jugendwerkhof immer Nut - Fleckentferner aus der Tüte geschnüffelt haben, um die Sache da durchzustehen.
Unter den Jugendlichen gab es wenig Solidarität, jeder dachte nur an sein eigenes Überleben. Viele Ehemalige berichten auch, dass der wahre Horror erst mit dem Abschließen der Schlafsäle anfing, denn dann begannen die Übergriffe durch die anderen, die oft auch sexueller Natur waren.
Die Insassen mussten aber auch einen harten Arbeitsalltag durchstehen. Einmal im VEB Narva saß ich mit einer Studentin, die dort, wie ich auch, tageweise gearbeitet hat, zuzweit am Band. Wir schafften die Arbeit kaum und waren nach der Schicht völlig fertig. Da erzählte mir eine andere Arbeiterin, dass an diesem Platz normalerweise nur ein Mädchen aus dem Jugendwerkhof alleine sitzt.
Das sagt wohl alles über die Erziehung durch Arbeit. Das Mädchen war übrigens auch da und wirkte auffallend freundlich und sympathisch. Ich konnte mir nicht erklären, was ausgerechnet sie im Jugendwerkhof verloren hat.
In einem Heim, ich weiß nicht mehr in welchem, gab es einen kleinen Zwischenraum direkt unter dem Dach, indem die Kinder, die bestraft werden sollten, im Sommer bei großer Hitze und im Winter bei Minusgraden tagelang ausharren mussten. Dort war es wohl so eng, dass man sich kaum um die eigene Achse drehen konnte. Es hat fast den Anschein als wären die verantwortlichen Erzieher beim Einmarsch der Russen ins KZ Sachsenhausen arbeitslos geworden und hätten hier im D Heim in Alt Stralau gleich beruflich Anschluss gefunden.
Mir ist unerklärlich wie Leute, die selbst Folterungen der Gestapo ausgesetzt waren, so etwas wie den Jugendwerkhof in Torgau zulassen konnten, wo aufmüpfige Jugendliche, die so waren wie sie selbst mal, mißhandelt und gebrochen wurden.
Das Gefühl, wie es ist, am Heizungsrohr ankettet, in einem dunklen Verlies zu schmoren, kannten bestimmt viele Mitglieder der Führungsebene der DDR, die selbst Kerkerhaft erlebt hatten, sehr gut.
Ebenfalls wie es ist, die ganze Nacht auf dem Appellplatz barfuß im Schnee zu stehen, weil ein Mitgefangener geflohen war. Das berichteten ehemalige Zöglinge des Jugendwerkhofes in Rüdersdorf.
Wie konnten Leute, von denen wir im Schulunterricht lernten, dass sie sich von frühester Jugend an niemals geduckt hatten, über deren Heldenmut wir Lieder und Gedichte auswendig lernen mussten, Wert darauf legen, andere zu Duckmäusern und Jasagern zu machen?
Wie zum Hohn hießen viele Jugendwerkhöfe und Heime für Schwererziehbare auch noch nach ermordeten Widerstandskämpfern gegen die Nazis, so dass bei manchem Zögling die Erinnerung an die schlimmsten Stunden seines Lebens mit dem Namen von einem Kämpfer gegen den Faschismus verknüpft ist.
Hätten das die unfreiwilligen Namensgeber gewußt, die sich ja nicht mehr dagegen wehren konnten, hätten sie sich im Grabe umgedreht. So hieß z.B. der Jugendwerkhof in Olgashof in Mecklenburg nach dem Dorfbewohner Franz Slomski, der während des Kappputsches getötet wurde. Auch der Spanienkämpfer Hans Beimler, Lilo Hermann, über die wir im Musikunterricht eine traurige Kantate hörten, die Geschwister Scholl, Käthe Kollwitz, Ernst Schneller, Käthe Duncker, der Arbeitersportler Werner Seelenbinder und wie die Werkhöfe noch alle hießen, wurden nicht verschont.
Wahrscheinlich war bei vielen ehemaligen Kämpfern gegen die Nazidiktatur, die den Krieg überlebt hatten, der Idealismus ihrer turbulenten, gefahrvollen Jugend mit steigendem Alter verraucht und einer Desillusionierung gewichen, und sie sehnten sich nach einem warmen Plätzchen und waren bereit, sich dafür anzupassen und bei Problemen wegzusehen und ihr altes Ich zu verraten.
Sie waren vielleicht gar nicht mehr dieselben, die sie früher mal waren, als sie für die Räterepublik gekämpft hatten, die Zeitung „Rote Fahne“ in ihrem Schlafzimmer druckten und überall, wo sie gearbeitet haben, illegale Gewerkschaftsgruppen gegründet hatten.
Aber auch in der alten BRD gab es solche Heime. Seht euch mal den Film Freistatt vom Regisseur Marc Brummund an (habe ich übrigens im Kino Lichtblick in der Rigaer Straße gesehen), der spielt im Torfmoor in Niedersachsen und beruht auf den Aufzeichnungen eines Ehemaligen.
Ich wollte noch anmerken, dass viele, die selbst dabei waren, von solchen Filmen total enttäuscht waren, da die Realität viel schrecklicher war. Der Regisseur erwiderte darauf, dass er Angst hatte, dass ihm die Wahrheit niemand abnimmt. Diese Form der Jugenderziehung hatte Anfang der 70 ziger mit dem Aufkommen der Studentenbewegung ein Ende. Es gab eine Reform der Heimerziehung in der BRD.
In der DDR aber wurden diese Einrichtungen erst mit dem Fall der Mauer geschlossen. Viele Opfer der schwarzen Pädagogik schlugen eine steile Knastkarriere ein, viele sind heute psychisch krank und oder suchtmittelabhängig. Viele Mädchen schämten sich ihrer Vergangenheit und hatten Angst vor Stigmatisierung.
Sie wünschten sich ein normales Leben zu führen, wollten Familien gründen und wollten nicht, dass die Vergangenheit auf ihnen lastet wie ein Kainsmal. Deshalb erzählten sie weder ihren Männern noch ihren Kindern davon. Erst im Zuge der Aufarbeitung dieser Verbrechen konfrontierten sich viele wieder mit ihrer Vergangenheit.
Seien wir froh und glücklich, dass dieses schwarze Kapitel der DDR Pädagogik heute hinter uns liegt.
PS: Übrigens die reale Figur hinter Solo Sunny, der der bekannteste DDR Film war und aus dem Jahre 1980 ist, Sanije Torkas, war auch eine Jugendwerkhofsinssasin.
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