Autor
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Bewertung
Statistik
| Kapitel: | 2 | |
| Sätze: | 55 | |
| Wörter: | 887 | |
| Zeichen: | 5.449 |
Meghan, eine eher zierliche und mit ihren 116 Jahren auch recht junge Lindenfee, stand am Fenster einer einladend wirkenden Backstube. Das golden schimmernde Haar fiel ihr in sanften Wellen bis zu ihren Hüften und verbarg die glitzernden durchsichtigen Flügel. Nach einer langen und harten Zeit der Ausbildung hatte sie vor etwas mehr als 16 Jahren, zu ihrem hundertsten Geburtstag, endlich einen Schützling zugewiesen bekommen. Es war der Tag gewesen, auf den sie nächtelang hin gefiebert hatte - und dann war ihr bloß das Bild eines hässlichen, schrumpeligen Neugeborenen präsentiert worden. Das war‘s. Keine offizielle Veranstaltung, keine Begrüßungsrede und keine glamouröse Aufnahme in das Protektoriat, wie es zuvor bei ihren zwei besten Freundinnen der Fall gewesen war. Sie hatte damals tagelang darüber nachgegrübelt, was sie in ihrer Ausbildung falsch gemacht hatte, wo sie diese doch als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Es hatte lange gedauert, bis sie verstanden hatte, dass diese fast schon auffällige Unauffälligkeit nichts mit ihr zu tun hatte, sondern viel mehr mit dem Kind, dass es zu beschützen galt.
Jean-Jacques Lukas Berger (wer um Himmels Willen gibt seinem Kind einen solchen Namen?!) war der Sohn einer französischen Mechanikerin und eines deutschen Musikproduzenten. Bis vor etwa einem halben Jahr waren die Dinge so gelaufen wie sie sollten, von den gelegentlichen Prügeleien in der Grundschule und den kleinen Reibereien mit seinen Eltern während der Pubertät mal abgesehen. Seine schulischen Leistungen waren okay, er war kein Überflieger, aber besonders ab der Mittelstufe ein für sein soziales Engagement respektierter Schüler. Kurz, Jean-Jacques Lukas hatte nur wenig ihrer Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, die meiste Zeit hatte sie in der Familienkonditorei ausgeholfen. Doch das hatte sich geändert. Seit dem Umzug mit seinen Eltern, übte sein neues Umfeld einen negativen Einfluss auf ihn aus.
Jean-Jacques Lukas schien plötzlich wie ausgewechselt. Anstatt wie zuvor auf Provokationen gelassen zu reagieren und andere mit seiner besonnenen Art zum Nachdenken zu bringen, schien er nun geradezu nach Streit und Aggressivität zu suchen. Aus einem bescheidenen Jungen, der es stets geschafft hatte, seine Freunde mit seinen außergewöhnlichen Witzen zum Lachen zu bringen, war ein übellauniger, gieriger junger Mann geworden, dessen grimmige Miene den ein oder anderen schon aus einigen Metern Entfernung zum Schaudern brachte.
„Meghan, das musst dir ansehen, wir brauchen deine Hilfe!“, die alarmierte Stimme ihrer Schwester Kathy riss die Lindenfee aus ihren Gedanken. Mit schnellen Schritten folgte Meghan ihrer Schwester in den unteren Teil der Bäckerei, wo die Öfen standen. Übler Gestank schlug ihnen entgegen. Kathy spurtete in Richtung des Fensters, um die qualmende Hitze, die aus dem größten der Backöfen zu kommen schien, zu vertreiben. Doch ein Schrei ihrer Schwester ließ sie innehalten: „Nicht! Bist du wahnsinnig?!“ Irritiert drehte Kathy sich um. „Wenn das hier das ist, was ich glaube, dann haben wir ein mächtiges Problem. Und zwar ein deutlich Größeres als das Verbrennen unserer beliebten Glücksplätzchen!“ Ein irres Grinsen stahl sich auf Kathys Gesicht: „Und wenn schon! Lassen wir es raus in die Welt, all das verbrannte Glück!“ Schon wieder machte sie sich am Fenstergriff zu schaffen, doch Meghan war schneller. Noch ehe ihre Schwester reagieren konnte, hatte sie sie über ihre Schulter geworfen und rannte so schnell es mit dem zusätzlichen Gewicht ging, in die gemütliche Familienküche ohne auf Kathys Kreischen, Kratzen und Treten zu achten. Erschöpft lies Meghan sie auf die Küchenbank fallen, doch ihre Schwester schlug weiter um sich, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Dieser Vergleich lies die junge Lindenfee zusammenfahren. Was, wenn dem tatsächlich so war? Wenn sie mit ihrer Vermutung Recht behielt und das Böse sich im Herzen ihrer Schwester einfraß? Panisch drehte Meghan sich im Kreis, auf der Suche nach irgendjemandem, irgendetwas, das ihr helfen könnte. „Die Glückskekse!“, schoss es ihr durch den Kopf. Doch siedend heiß fiel ihr ein, dass diese ja soeben im Gift des Unheils ertränkt worden waren. Verzweifelt riss sie sämtliche Schubladen auf, in denen die Familie ihre Notfall-Rationen aufbewahrte, doch auch hier herrschte gähnende Leere.
Verzweifelt drehte Meghan sich um, als sie Kathy in Richtung des Bads davon stolpern sah. Und in ihrer Hand… in ihrer Hand hatte sie eine kleine Dose, gefüllt mit der eigenen Rettung! Vernunftsplätzchen! Dass sie da noch nicht selber drauf gekommen war! Es war zwar keine längerfristige Lösung, aber zumindest würde es hoffentlich helfen, dass ihre Schwester sich nicht länger wie eine Außerhimmlische verhielt. Mit einem schnellen Sprint hatte sie Kathy eingeholt und versperrte ihr den Weg: „Was willst du?“, fauchte diese. „Dich zur Vernunft bringen!“, knurrte Meghan, als ihr klar wurde, dass ihre Schwester die kostbaren Plätzchen wohl im Klo versenken wollte. Nach kurzem Gerangel schaffte sie es, ihr die Dose aus der Hand zu reißen. Weitere Minuten später, hatte sie Kathy endlich dazu überredet, eins der Vernunftsplätzchen zu essen, indem sie behauptete, sie würden das Unheil in der Welt verstärken. Und tatsächlich schien es zu wirken. „Mama, Mama ist noch da unten! Sie ist wie tot umgefallen, als sie den Backofen geöffnet hat!“, rief Kathy entsetzt, als sie sich der brenzligen Lage bewusst wurde.
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| Kapitel: | 2 | |
| Sätze: | 55 | |
| Wörter: | 887 | |
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