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Dornenbusch-Rose

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28.07.23 22:20
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Autorennotiz

Triggerwarnung: Mobbing

Diese Geschichte sollte eigentlich meine diesjährige Weihnachtsgeschichte werden. Allerdings habe ich dann ein wenig Zweifel bekommen, ob dies mit dem Mobbing, der Selbstzweifel, der körperlichen und verbalen Gewalt vielleicht ein bisschen zu schwer ist, um sie am vierundzwanzigsten zu veröffentlichen.
Deshalb habe ich sie nun in meinem Adventskalender integriert, den ich auf Instagram täglich poste.

Inspirationsquelle: Der ARD-Film "Der Rosengarten von Madame Vernet"

Titelbild von pexels.com Fotograf/in: Julia Filirovska

Ich sitze hier, in diesem kalten Dezember-Wetter. Hier auf der steinernen Treppe von zwei Stufen und einem gläsernen Vordach, das ich seit zehn Jahren mein Heim nenne. Ich bin ehrlich, ich kann gar nicht weiter zählen wie zehn. Wahrscheinlich bin ich schon doppelt so lange hier. Die Tage schwinden, das Wetter ist eine größere Qual als der Hunger. Heute habe ich mir wenigstens eine Mandarine stehlen können. Tut mir zwar ein wenig Leid aber irgendetwas muss in den grummeligen Magen hinein. Neben mir steht der einzige Gegenstand, den ich besitze. Praktisch dieses Teil, welches mich ein wenig wärmt und gleichzeitig das Flusswasser für mich trinkbar macht. Entspannt lehne ich mich zurück, gönne mir einen Madarinenschnitz, trinke etwas warmes Wasser und starre auf das Treiben vor mir.

Adalie Biron Bolut, so nehme ich an, dass diese schöne Frau heißt, tritt aus den Glashäusern der gegenüberliegenden Seite hervor und drückt einem Mann zwei Pflanzen in die Hand, die es bei diesem kalten Wetter zuhauf gibt. Bald jeder holt sie sich aber Ada scheint das nicht so glücklich zu machen, wie wenn sie zur warmen Zeit die dornigen Büsche mit Blüten aus den Häusern holt.

Plötzlich sieht sie zu mir herüber. Ich senke sofort meinem Blick, ohne zu wissen, warum eigentlich. Ada ist eine so schöne Frau, so lebensfroh. Mit einem Lächeln, dass mir immer zu jeden Gedanken raubt. Wenn ich hier sitze, fühle ich mich so anders und es tut nicht weh, wenn ich sie dort sehen kann. Es ist kompliziert aber sie malt mir ein Lächeln ins Gesicht.

Nach einiger Zeit vernehme ich eine zarte, warme Stimme auf der rechten Seite meines Gehörs. Mein Herz schlägt einmal ganz heftig, als ich Adalie direkt vor mir erblicke. Sie sagt etwas. Es ist ihre Stimme, die so freundlich klingt und das Lächeln mit sich trägt, welches ich so oft bei ihr sehe. Allerdings verstehe ich ihre Sprache nicht. Ich höre viele Menschen hier sprechen, ohne sie zu verstehen aber Adalie ...

Ihre Augen werden schmerzlicher und ich fühle einen Stich, der richtig durch mich durchfährt. Wie soll ich ihr antworten, damit sie wieder lächelt? Ich bin ratlos, erinnere mich aber plötzlich daran, wie ich einst meiner Mutter die Tränen entfernte, als ich ihr eine Blume schenkte. Ich habe kein Geld aber vielleicht tut es auch das Grün neben mir. Das eine mit den vier Blättern sieht besonders aus. Mit zittrigen Fingern pflücke ich es und reiche es ihr. Sofort lächelt sie wieder. Es kommt sogar ein Lachen über ihre Lippen. Sie sieht so unendlich bezaubernd aus und dieses Lachen, eine so wunderschöne Melodie.

Sie macht ein Handzeichen, welches sogar ich verstehe: Stopp oder Warte. Eilig läuft sie zu den Glashäusern zurück und kommt mit einem äußerst gut duftenden Brot zurück. Dass sie auch eine Decke mitgebracht hat, merke ich erst, als sie mich wieder verlässt. Ihr Duft hängt in dem Laken, das mir mehr Wärme spendet, als ich es mit meinen glühenden Wangen gerade benötige.

In dieser Nacht träume ich von ihr. Wie am Tage sehe ich sie dort bei den Glashäusern. Sie trägt diese dornigen Blütenbüsche zu einem langen Auto, welches Gegenstände anstelle von Personen fährt. Der Fahrer fährt fort und wir verharren in diesem Moment. Ich betrachte ihr schwarzes Haar, welches im Wind weht, atme ihren Duft ein und würde am allerliebsten noch einmal ihr Lachen hören. Doch dann kommt mir in den Sinn, auch das könnte ich nur geträumt haben und plötzlich verdüstert sich die Stadt und mir wird bitterkalt. Das Feuer neben mir ist erloschen und es beginnt zu schneien.

Ich bemerke nicht, wann ich wieder in die Realität zurückkehre. Doch zwinge ich mich bald schon auf die Beine, um nicht zu erfrieren. Tage lang traue ich mich nicht an meinen Platz zurück. Befürchte, sie ist wirklich nur ein Traum gewesen, sie und diese Begegnung. Diese Begegnung, der reine Gedanke daran, gibt mir wieder Wärme und immer wieder verspüre ich das Verlangen, mich gegen meinen Kopf zu wehren und zu ihr zu gehen. Ja, ich will sogar auf ihre Seite gehen. Zu den Glashäusern, welches ihr zu Hause ist.

Irgendwann siegt eines davon. Ich weiß nicht so genau welches, denn ich suche wieder meinen alten Platz auf. Wie besessen starre ich zu den Häusern aber heute ist sie nicht da. Auch am folgenden nicht. Schließlich muss ich etwas gegen meinen Durst unternehmen. Wohl oder übel muss ich etwas stehlen, den Feuer habe ich keins mehr und der Fluss ist zugefroren.

Als ich den gewählten Laden mit flauem Magen betrete, steht sie vor mir, wie ein Mahnmal! Ich denke, sicher ist sie nur einkaufen aber ich kann nicht vor ihren Augen ... Alle anderen wären mir egal. Doch sie und dieser Blick! ... Sie ist enttäuscht von mir. Ich schäme mich in Grund und Boden und flüchte aus dem Laden. Was dachte ich mir dabei? Ich muss etwas ändern. Irgendetwas muss ich an diesem Leben ändern aber ich bin ein Nichts. Ich kann nicht lesen, nicht schreiben und zählen. Wahrscheinlich kann ich nicht einmal mehr sprechen. Meine letzten Worte lagen so lange zurück, dass ich mich nicht mehr erinnern kann.

Schluchzend bleibe ich etliche Schritte vom Laden entfernt stehen. Was bin ich, frage ich mich und sehe eine Antwort im Fensterglas. Der Junge ist groß und unheimlich geworden. Sein Gesicht verschwindet hinter verfilzten Haar, das vor Dreck auch nicht mehr braun ist. Es hat eine eigenartige Statur angenommen, geht ein wenig in Richtung von der Glöckner von Notre Dame. Schließlich setze ich mich und beginne mich und dieses eigenartige Spiegelbild zu bedauern. Als ich wieder aufsehe, ist sie da, lächelt ein wenig verschüchtert und hält mir ein warmes, bitteres Getränk hin, so wie ein horngeformtes belegtes Gebäck, das ebenfalls warm ist. Sie spricht mit mir, als ich einfach nur starre aber ich kann das nicht annehmen. Wirklich nicht! Allerdings gibt sie nicht nach und legt es mir dann zu Füßen.

Nachfolgend überreicht sie mir einen ausgerissenen Zettel. Etwas steht darauf. Ich würde es gern lesen können. Schließlich erkenne ich in ihrem Gesicht, dass es ihr wichtig ist. Doch auch wenn ich mich anstrenge, sehe ich nicht mehr, als eine eigenartig, aufgeteilte Schmiererei. Zwei Dinger oben, ein langes Ding darunter mit einem sehr kurzen irgendwas daneben, plus zwei beinahe gleich große Teile unten. Erinnert mich an Briefumschläge, glaube ich aber was soll ich nun damit anfangen? Enttäuscht sehe ich auf ihr Geschenk herunter. Ich habe wirklich Hunger aber das darf ich nicht. Vor allem nicht, wenn ich ihrer Bitte nicht nachkommen kann. Als ich wieder zu ihr aufsehen will, bin ich allein in dieser engen Gasse.

Lange zögere ich. Versuche doch das eine oder andere Mal zu verstehen, was sie von mir will, was das ist. Ich kann dieses Papier aber beim besten Willen nicht lesen und es wurmt mich, dass ich sie wohl enttäuschen muss. Ich bin nicht mehr, als diese Monster, dass ich eben gesehen hatte. Dies war die Antwort drauf, was ich war.

Wieder schluchze ich. Ich will sie nicht enttäuschen aber das werde ich. Irgendwann beschließe ich zu den Glashäusern zu gehen und ihr den Zettel wiederzugeben. Ich würde alle Mut zusammen nehmen und ihr sagen, dass ich es nicht lesen kann. Ja, das ist der einzige Weg sie nicht gänzlich zu enttäuschen. Ich laufe den Weg zurück und wundere mich, wie lang er diesmal ist. Ich habe das Gefühl, ewig zu laufen. Doch ich komme an, während es noch hell ist. Adalie steht hinter diesem Auto, welches immer ihre Blumen mitnimmt und belädt es.

In genau dem Moment, als ich Luft hole, um sie anzusprechen, verlässt mich der Mut. Was will ich nur hier, schießt es mir durch den Kopf. Doch bevor ich einen Rückzug machen kann, entdeckt mich Ada und lächelt. Wie begossen bleibe ich stehen, meine Gedanken sind wie weggepustet. Ich sehe nur dieses wunderschöne Lächeln in diesem bezaubernden Gesicht.

Plötzlich deutet sie mir etwas. Was sie sagt, verstehe ich nicht aber ich erkenne, dass sie auf die Kiste mit den Blumen deutet und dann auf das Auto. Ich nehme also die Kiste und stelle sie zu den anderen hinein. Ada ist glücklich und so trage ich ihr gleich noch die anderen hinein, immer wieder prüfe ich, ob ich ihre Bitte auch wirklich richtig verstehe, denn auf keinen Fall möchte ich, dass dieses Strahlen wieder erlischt. Ob sie weiß, welch schöner Mensch sie ist?

Sie berührt meine Schulter und leitet mich daraufhin zur Seitentür des Autos und öffnet diese. Darauf schließe ich, dass ich einsteigen soll. Ada ist glücklich. Sie schließt die Tür und kommt auf die andere Seite, wo dieses runde Teil vorne ist. Wieder lächelt sie mir zu und setzt dieses Auto gekonnt in Bewegung. Alles an ihr ist fantastisch.

Wir steuern mehrere Läden an, in denen Blumen verkauft werden. Am liebsten würde ich ihr auch eine kaufen, doch nach wie vor habe ich kein Geld. Ich gebe mir Mühe, ihre Anweisungen bestmöglich zu verstehen. Anhand ihres Lächelns erkenne ich, wann ich die Hälfte der gewünschten Kisten erreicht habe. Es wird nämlich immer stärker bis dahin. Danach wieder ein wenig schwächer und bei der letzten strahlt sie am allerschönsten.

Selbst der Moment, wo wir im Auto irgendwo stehen, komme ich mir so vor, als sei ich Teil einer Vorlesegeschichte. Ada bestrahlt vom Sonnenlicht ruht neben mir ihre Augen aus, ihre graublauen Augen, einfach neben mir, diesem Wesen. Diesen Augenblick genieße ich so sehr, dass ich bei ihrem Aufwachen erschrecke und mich beschämt wegdrehe. Sie streckt sich hinter mir und sagt etwas. Doch auch wenn ich ihre Sprache gesprochen hätte, bin ich mir sicher, dass ich es nicht verstanden hätte. Mein Kopf glüht wie bei Fieber und ich habe ein lautes Rauschen in den Ohren.

Ziemlich erleichtert bin ich, als unser nächster Stopp bei den Glashäusern ist. In der Eile finde ich kaum diesen Griff aber dennoch hechte ich einigermaßen schnell hinaus. Ada ruft etwas. Ich bin mir sicher, dass es mir gilt aber ich will nicht und kann nicht und trotzdem bleibe ich schließlich stehen. Ich erinnere mich aus dem Nichts daran, dass ich etwas an meinem Leben ändern wollte. Außerdem spüre ich genau, dass mein Körper sich weigert feige zu sein. Ich war nie feige gewesen aber jetzt wäre ich es wirklich sehr gerne gewesen. Ada ist zu schön für mich.

Sanft streicht mir eine Hand über den Rücken. Dann hakt sich Ada in meinem Arm unter. Als ich meinen Blick zu ihr wende, sagt sie erneut etwas und zerrt mich, obwohl sie einen solch zierlichen Arm hat, zu und durch die Glashäuser. Locker lässt sie erst, nachdem sie mich in einen grau gemauerten Raum führt, der sich unter dem Boden befindet.

Sie zeigt auf ein Bett, das dort an einer Wand unbezogen steht. Dass ich hingehen soll, gibt sie mir mit einem Stoß zu verstehen, während sie sich zu einem Schrank abwendet und Sachen für das Bett herausholt. Ich beschließe, auf keinen Befehl zu warten und nehme es ihr aus der Hand. Ungeschickt stelle ich mich an und warte, wie eine der Steinfrauen aus dem Garten meiner Eltern, auf ihre nächste Bitte.

Ada öffnet eine nahegelegene Tür und deutet hinein. Ich erkenne ein kleines blauweiß gehaltenes Bad, verstehe jedoch nicht, was genau ihre Bitte ist. Allerdings scheint es sie auch nicht zu ärgern, dass ich es nicht tue. Schließlich geht sie wieder an den Schrank und holt mehrere dicke, flauschige Pullover hervor, die ihr aber allesamt zu groß sind. Es macht Klick in meinem Kopf. Sie will, dass ich meine Sachen wasche und weil ich sie nicht verstanden habe, überlegt sie mir etwas zu leihen. Mehr oder weniger fliehe ich in das Bad und wasche den abgetragenen Pullover im Waschbecken. Ein langärmliges Shirt und ein Unterhemd, das nur noch einen Träger hat, trage ich noch. Meine Hose würde ich als Letztes waschen, denn die sieht am schlimmsten aus.

Beinahe erwartet, klopft Ada zweimal leicht an die Tür. Sie lächelt, als ich sie ansehe. Danach deutet sie noch einmal auf das Bett, macht die Schlafgeste und zeigt erneut strahlend auf mich. Ich darf hier schlafen, im Warmen. Das war wirklich nett von Adalie. Ich entspanne mich ein wenig und versuche mir von meinem Kopf einreden zu lassen, dass ich das annehmen darf.

Nach einer Weile schaue ich in den Spiegel. Ich bin nun alleine. Es fühlt sich eigenartig an, dass dieses Ding meine Bewegungen nachmacht, auch wenn ich genau weiß, dass ich mich nur selbst sehe. Jenen Jungen, der nichts Besseres ist, als das, was er da gerade sieht. Schließlich wäscht er gestohlene Kleidung und denkt immer noch, dass er es irgendwie hinbekommt, sich zu ändern. Er werde künftig nichts mehr stehlen, nimmt er sich vor und versucht zu lächeln. Doch bei seinen verfilzten Haaren sieht man weder das noch die Augen. Adalie hat blaugraue. Welche habe wohl ich? Ich kann ... Am Waschbecken liegt eine Schere und so ein Ding, das mein Vater früher für seinen Kiefer benutzt hatte. Ich kann ... ich kann eigentlich ganz einfach ... Ein beinahe gruseliger Laut dringt ungewollt aus meiner Kehle aber jetzt habe ich mich und lass mich auch davon nicht mehr beirren. Ada ist so schön, vielleicht bin ich es auch, vielleicht habe ich auch blaue Augen. Adas gefallen mir. Vielleicht habe ich ... Warum soll ich auch so sein? Ada ist ... Ada ist wie eine ... eine Blüte. Ist das mein Ernst? Ich merke richtig, wie sich der Hass auf mich durch den Körper frisst. Nein! Ich bin unkreativ. Nein! Ich mach das jetzt!

Während ich die Haare schneide, zwinge ich meinen Kopf zu schweigen und halte meine Augen geschlossen, somit ich mich nicht mit jedem Schritt wieder entmutige. Es kann nicht schön aussehen, solange ich schneide. Es kann erst schön sein, wenn ich meine Haut wieder sehen kann, wenn dieser Dreck raus ist und wenn ich es mit diesem elektrischen Ding da beschleunige. Es kann erst schön sein, wenn es weg ist und wenn ich mich beruhige und wenn ich endlich schweige. Wenn ich endlich akzeptiere, dass ich es kann! Ich bin kein Monster!

Tatsächlich habe ich Angst, als ich nichts mehr habe auf meiner brennenden Haut. Es meldet sich jedoch keine Stimme mehr in meinem Kopf, obwohl ich diese nun gebrauchen könnte, um den Mut zu finden mich anzusehen. Ich habe so viel Angst, dass ich Minuten brauche, bis ich mich entscheide zuerst eine gründliche Dusche zu nehmen. Das warme Wasser tut gut. Ist zwar in meinem Gesicht unangenehm aber mildert auch den Ärger um meinen leeren Kopf. Ich will mich immer noch nicht ansehen, als ich mit der Dusche fertig bin. Daher laufe ich mit den Händen vor dem Gesicht aus dem Bad heraus uns lege mich in das Bett, wo ich mir die Bettdecke überziehen kann.

Am Morgen klopft es. Zuerst ganz leicht, zweimal. Dann ist es aber kurz ruhig und drei heftiger Schläge folgend donnernd durch den Raum. Irgendwas brummle ich und ziehe mir die Decke von dem Kopf. Ein riesiger Fehler! Zuerst bin ich nur ertstarrt aber dann schlage ich mir die Hände vor mein entstelltes Gesicht. Es ist verschoben, faltig und mein rechtes Auge ist nur eine leere Höhle. Das bin ich nicht! Das kann ich nicht sein, will ich mir einreden. Doch ich weiß genau, dass ich dieses abscheuliche Wesen bin. Ich bin das, was sich da gerade im Spiegel abzeichnet. Ich und nur ich!

Während ich hinter meinen Händen schluchze und eigentlich schreien will, spüre ich eine sanfte Berührung an meinem Arm. Ich versteife augenblicklich. Niemand soll das hier sehen! Niemand! Auf keinen Fall! Schließlich greift mich an dem anderen Arm eine kräftigere Hand. Diese ist so grob, dass es unmöglich ist, ihr Stand zu halten. Plötzlich macht es einen Ruck und meine Hand löst sich, trotz meines schmerzhaften Widerstandes. Ausgerechnet die Seite muss ich offenbaren, die nicht sehen kann. Mein verdächtig langsam schlagendes Herz spürt, dass auch Adalie da ist. Geschlagen senke ich die Hand und sehe sie tatsächlich. Sie ist erschrocken, wie erwartet. Dennoch habe ich das Gefühl, dass mir vor Enttäuschung kurz das Herz stehen bleibt. Mein Kopf bleibt jedoch bei der Sache. Ich weiß, dass ich dem hier nicht entfliehen kann und sperre meine Gefühle wohl extra ein, bevor ich mich dem Mann zuwende.

Ein Anzugträger, mit einem Gesicht, als hätte er etwas Verdorbenes, Schleimiges gegessen. Er sagt etwas, das ich nicht verstehe. Nochmal sagt er etwas, dass ich ebenfalls nicht verstehe aber für eine andere Sprache halte. Zuletzt folgen Worte, die ich fast nicht glauben kann. „Sprechen sie deutsch?“ Meine Verwunderung reicht dem Mann als Antwort. Er grinst absolut widerlich, sodass ich ihn sogar hässlicher empfinde, als das Monster, dass ich im Spiegel gesehen hatte. „Wie heißen sie?“, fährt er fort. Seine Ausdrucksweise ist so drückend ... erdrückend. Vielleicht liegt es daran, dass meine Gefühle langsam zurückkehren und ich meinen Körper wieder wahrnehme.

„Können sie nicht sprechen, oder was?“ Sein Tonfall wird aggressiver. „Doch!“, erwidere ich, obwohl ich das, bis ich es ausgesprochen hatte, nicht wusste. Allerdings merke ich selbst, vor allem weil meine Wange schmerzt, dass es nicht gerade verständlich war. Zu meiner Verwunderung erwidert er grinsend „Geht doch! Wie heißen sie und was wollen sie von Adalie?“ „Arbeit!“, erwidere ich schneller, als meine Gedanken und weiß schlagartig, dass ich diesen Menschen nicht leiden kann. Eigentlich will ich gar nicht weiter mit ihm reden. Doch sieht sein Gesicht so aus, als würde er noch die andere Antwort haben wollen. „Kuno“, verkündige ich, nachdem ich eine Weile überlegt hatte. Schon ewig habe ich mich nicht mehr vorgestellt. Allerdings glaube ich kaum, dass er meine undeutliche Aussprache verstehen kann. „Kuno Löp“, vervollständige ich daher eher unnütz. Das Arschloch zieht eine Augenbraue hoch. Er hatte meine Worte anscheinend verstanden, während ich nun schmerzlich meine Wange reibe. Ich wage einen Blick zu Adalie. Sie ist erschrocken, das sehe ich deutlich aber da ist auch Sorge, die sie ausstrahlt.

Arschloch spricht wieder in ihrer Sprache. Zwar nicht lange aber er teilt ihr auf jeden Fall nicht meinen Namen mit. Es muss etwas anderes sein, das ihm nicht passt aber bei ihr Freude auslöst. Ein wunderbares Strahlen, voller einfacher, lebendiger Freude.

Grob bekomme ich einen Schlag gegen die Schulter, der mich wieder zu ihm wenden lässt. „Frau Biron Bolut könnte dir Arbeit in der Gärtnerei geben.“ Seine Missgunst wird deutlicher. Sie hingegen wechselt auf eine ungeduldige, beinahe bittende Anspannung. „Hast du überhaupt eine Ahnung von Pflanzen?“ Ich kenne mich ein wenig mit Waldpflanzen aus. Trotzdem schüttle ich den Kopf, da ich davon ausgehe, dass nicht das gemeint ist.

Plötzlich greift Ada nach meinen Händen und sagt etwas. Sie ist wieder die Alte, auch wenn ich nicht wirklich weiß, wie ich das gemacht habe. Ihr Strahlen löst eine Kribbeln in mir aus. Doch Arschlochs Stimme erstickt es. „Sie wird ihnen Arbeit geben“, sagt er leicht verärgert. „Mit einem befristeten Vertrag!“ Ich weiß nicht genau was ''befristet'' ist aber ich lese aus seinem Gesicht, dass er dieses Wort erfunden hat und nicht übersetzt. Arschloch kann mir gefährlich sein. Doch die Arbeit würde ich brauchen, um mich zu ändern. „Ich möchte die Arbeit“, sage ich mit Nachdruck, kann aber wirklich nicht allzu deutlich sprechen. Vermutlich liegt es an meinem verschobenem Gesicht. Ich muss urplötzlich lächeln, als sich mir der Gedanke einschleicht, dass ihn das ekelt. Ich mag ihn nicht aber Ada ist wirklich ein guter Mensch.

Ein paar Stunden später sitze ich in einem Raum mit jeder Menge Papier, ihr und dem. Arschloch breitet vier Papiere vor mir aus, während Ada ganz freundlich mit mir spricht. Als es liegt, wie es soll, übersetzt er es mir. Es ist ein Vertrag, den ich mit meinem Namen auf einer Linie unterschreiben sollen. Doch daran scheitere ich. Ich erkenne keine einzige Linie auf dem Blatt, das er mir dafür anzeigt. Alles verschwimmt vor meinem Auge, obwohl ich ganz nah dran gehe. Mir kommt, dass Arschloch etwas von unten erzählt hatte. Vielleicht hilft es mir den oberen Teil mit der Hand abzudecken. Tatsächlich sehe ich dann eine einfache Linie und schreibe freudig meinen Namen dahin. Vermutlich heißt es gar nicht Kuno Löp. Ich mache die Unterschrift meines Vaters nach, da ich ja nicht schreiben kann. Zur Sicherheit mache ich einen Bogen mehr an den ersten Schlingen-Teil und statt der Punkte eine Linie. Ich bin ein bisschen zu stolz auf das Ganze. Doch sehe ich wirklich eine wahre Chance etwas zu sein, dass nicht stehlen muss. Ada lächelt mich an und wieder fühle ich mich völlig leer, als könnte ihr Lächeln jeden noch so kleinen Gedanken auslöschen.

Anscheinend bin ich so neben mir, dass ich ihr aufstehen nicht mitbekomme. Ihre Stimme drängelt neben mir und ihr unruhiges Tun verlangt, dass ich aufstehe. Natürlich tue ich das sofort. Allerdings rechne ich überhaupt nicht damit, dass sie sich bei mir unterhakt und mich mitzerren kann. Nicht das ich mich wehren würde aber da ich nicht so wirklich weiß in welche Richtung ich laufen soll, schleudert sie mich ganz schön hin und her.

Bei einem Stopp, der so plötzlich kommt, dass ich stolpere, muss ich mich an einem Tisch festhalten, der verschiebbar ist. Adalie zieht mich wieder gerade und beginnt mir etwas zu erklären. Erst mit der Übersetzung bemerke ich, dass uns Arschloch gefolgt war. „Das sind Weihnachtsterne“, sagt er genervt. „Die werdet ihr später ausputzen, mit Glitzer bestreuen, in Tüten packen und verladen.“ Er verdreht die Augen, um mir zu verdeutlichen, dass er mich für dumm hält. Aber ich bin schlau genug, um zu wissen, dass er etwas nicht übersetzt, was Ada ein wenig bedrückt. Daher versuche ich, sie anzulächeln. Dabei vergesse ich, dass es vermutlich grässlich aussieht aber ich erinnere mich erst an mein entstelltes Gesicht, als meine Wange schmerzt. Zu meinem Erstaunen strahlt sie mich an, hakt sich wieder unter und macht nun deutlich langsamer.

„Das ist das erste Gewächshaus von achtundzwanzig“, erklärt Arschloch, während wir die Tür zu den Weihnachtssternen erneut durchqueren. Ich weiß nicht, was ''Achtundzwanzig'' ist aber verstehe, dass ''Gewächshäuser'' gleich ''Glashaus'' ist und ''Erste'' wohl eine Hausnummer sein soll. Vielleicht soll ich die Räume mitzählen, denke ich und werde mit einem sanfteren Ruck gebeten weiterzugehen.

Am Ende unseres Weges zähle ich zweimal auf zehn und einmal auf acht. Ich fühle mich dem Arschloch ein wenig überlegen und merke mir, dass dieses Muster am Eingang des letzten Hauses achtundzwanzig heißt. Zweimal auf zehn gezählt und einmal auf acht gezählt ergibt achtundzwanzig, abgespeichert!

„Frau Biron Bolut, wie du sie nennen wirst, besitzt auch mehrere Äcker. Du wirst ihr dort auch ab und an Unkraut entfernen müssen, so wie auch hier in den Gewächshäusern.“ Ich nicke eigentlich nur, da ich weiß, dass ihn meine Entschlossenheit ärgert. Trotzdem werde ich mir merken, Adalie mit Frau Biron Bolut anzusprechen. Ich bin mir sicher, dass mir das sonst unter seinen Augen Probleme bringen könnte und die will ich vermeiden. Kuno braucht diese Arbeit!

Im Anschluss stelle ich mich neben Ada in das erste Gewächshaus und lass mir zeigen, was ich zu tun habe. Mit der Zeit werde ich schneller und ich merke, dass ich sie glücklich mache. An meinen Schmerzen stelle ich fest, dass ich das auch bin. Ich versuche immer wieder zu lächeln und es birrt sie nicht, ganz im Gegenteil. Später als wir alles eingetütet hatten und ich drauf und dran bin in das nächste Haus zu gehen, sagt sie meinen Namen, meinen Vornamen. Als Zweites fügt sie ihren an und verstärkt es noch mit der Geste, dass sie sich meint. „Adalie, nicht Frau Biron Bolut?“, frage ich und lächle, was meine Wange langsam hinnimmt. Ich wiederhole es noch einmal mit Gesten. Nur um sicherzugehen, dass sie mir wirklich das Du angeboten hat. Sie nickt und ist noch glücklicher. Wie sehr sie das alles noch steigern kann? Ich fühle mich schon wieder völlig leer, mit einem ferngesteuerten Grinsen.

Danach schickt sie mich in den Schlafraum, wo ich erst bemerke, wie müde ich geworden bin. Doch ich lege mich nicht hin. Schließlich hatte sie mir gedeutet, dass sie Essen mitbringen will, wenn sie vom Kisten abgeben zurückkommt. Ungeduldig halte ich mir die Müdigkeit mit weiterem Tun fern. So stelle ich einen Tisch auf, den ich hier unten finde. Reinige diesen und suche Stühle. Eigentlich suche ich zwei, das weiß ich genau aber soll ich wirklich zwei hinstellen? ... Tatsächlich finde ich drei Stühle. Ich reinige sie und stelle widerstrebend alle dazu. Zuletzt suche ich eigentlich eher ziellos in den Kartons herum aber das lohnt sich, denn ich kann für Adalie eine Dornenbusch-Blume finden. Zwar ist sie künstlich aber ich bin mir sicher, dass sie das freuen wird. Nachdem ich diese gereinigt habe, suche ich etwas, womit ich sie auf den Tisch stellen kann. Ihr Lächeln wird wieder so schön sein.

Als ich nicht mehr weiß, was ich noch tun kann, gehe ich ins Bad, starre dieses etwas an und beschließe mich zu waschen. Wie lange ich die Wärme genieße, weiß ich gar nicht. Jedenfalls ist Ada zurückgekehrt, als ich den Raum verlasse. Sie sieht schockiert aus. Erst, als sie mich sieht, lächelt sie wieder so bezaubernd und zieht sich einen Stuhl zurück. Sie sagt etwas voller Freude und mit einem gewissen Betteln. Mein Kopf sagt mir, dass sie sich für etwas entschuldigen möchte aber ich weiß nicht wofür. Verwirrt nehme ich einfach auch am Tisch Platz. Sie lächelt, also ist es nicht schlimm, dass ich sie nicht verstehe. Ärgern tut es mich trotzdem. Ich will nicht, dass sie sich für irgendetwas schuldig fühlt. Anscheinend erkennt sie meine Verwirrung, da sie eine Idee hat, wie sie bildlich mit mir sprechen kann. Sie klopf vorsichtig auf den Tisch und deutet sich danach auf das Ohr. Ich hatte ihr Klopfen nicht gehört, meint sie. Daraufhin deute ich ihr mit einer Hand über meinem Kopf und Fingern, die ich abwechselnd hoch und runter bewege, dass ich sie wegen der Dusche nicht gehört hatte. Ada lacht und nickt. Sie hat es sich gedacht.

Schließlich zaubert sie zwei viereckige Kartons auf den Tisch. Warmes Essen, das so gut riecht. Ich kenne den Geruch, nannten das meine Eltern nicht früher Pizza? Mein Vater war ein miserabler Koch und wenn meine Mutter nicht für uns kochte, da im Hause Löp, der Haushalt geteilt wurde, bestellte er immer heimlich etwas. Allerdings hatte nur er selbst geglaubt, dass das nie aufgefallen war. Ich grinse. Es war ein warmes zu Hause.

Ada und ich essen glücklicherweise ohne Arschloch. Am nächsten Morgen reinige und repariere ich einige der Tische. Vereinzelt mache ich ihr ein paar Weihnachtssterne fertig und kümmere mich zuletzt um die Pflanzwasserversorgung, die zu den Tischen führt und quasi einen Menschen ersetzt. Da ich die Lösung wochenlang nicht finde, meint Arschloch, dass er das übernehme. Ich sei schließlich ein dreckiger Penner. Natürlich sagt er das nur zu mir, in der Hoffnung mich zu verletzen. Doch das tun seine Worte nicht. Einzig, was mir dabei auffällt, ist, dass Ada auf ihre Übersetzung wartet. Ich frage daher, ob es der einzige Tisch sei. Die Antwort kenne ich, doch Arschloch würde ihr das ohne Bedenken und Lügen übersetzen. Nach der bejahenden Antwort führe ich ihn zu dem Problem. Adalie folgt uns, was mir nicht so ganz recht ist. Ich möchte nicht, dass sie diese Bemerkungen doch irgendwie mitbekommt.

„Kaputt“, sage ich, wie der letzte Vollidiot, einfach, dass er mich schön weiter dafür hält. Ich schaue zu, wie er genauso planlos daran herumhantiert wie ich, nur dabei auch noch klingt, als würde er Schwerstarbeit verrichten. „Ich habe Geld bekommen. Soll ich Abendessen holen, für uns?“ Ich hatte an den Gewächshausschildern geübt, wie die Zahlen aussehen und kann inzwischen mit den Geldscheinen umgehen, die ich neulich als Lohn bekommen habe. Ada ist die Beste!
„Als würde ich von dir ...“, will er mich gerade beschimpfen, da dreht er am falschen Teil und das Ding fliegt mit einer gewaltigen Wasserladung auseinander. Plötzlich sehe ich schwarz und kippe. Ich habe einen ganz komischen Kopf auf einmal und Adas Stimme dringt zu mir durch, als würde sie in eine Dose sprechen. Kuno, verstehe ich irgendwann. Mein Kopf wird gefühlt immer schwer und meine Augen öffnen sich nicht. Es bleibt schwarz. Ich spüre Adas Hände, die eiskalt sind und vernehme wieder meinen Namen. Sie ist panisch oder bilde ich mir das ein? Erneut versuche ich irgendetwas zu sehen aber dieses Auge ist wie zugeklebt und es brennt. Immerhin hat sich mein Kopf beruhigt oder bilde ich mir das auch ein? Warum ist Adas Stimme so verängstigt?

„Kuno?“, höre ich wieder „Er spricht Deutsch“, höre ich mit starkem Akzent ebenfalls Ada. „Herr Löp, machen sie die Augen auf!“, sagt auf jeden Fall nicht Arschloch aber jetzt schmerzt mein Kopf doch wieder. „Herr Löp, verstehen sie uns?“ Ich mache die Augen auf und brummle nur zur Antwort. „Gut.“ Ada scheint ziemlich verängstigt zu sein. Es klingt irgendwie nicht so ganz nach ihrer Sprache, was sie an den Arzt richtet. „Beruhigen sie sich!“, sagt dieser und legt eine Hand auf ihre Schulter, die sie aber runterschlägt. Unbekümmert davon wendet er sich mir wieder zu. „Sehen sie das?“ Er spreizt seinen Daumen und Zeigefinger aus, ich sehe es nur ungewohnt verschwommen und das Brennen nervt. „Finger!“, antworte ich und bereue es. Meine Stimme fühlt sich an, als würde mir jemand auf den Kopf hämmern. „Gut“, meint der Mann und übersetzt es für Adalie, deren Freude ich dann zu spüren bekomme.

„Sie haben ein Ventil an den Kopf bekommen.“ Wage sehe ich etwas auf mich zukommen, als er das sagt. „Ich sehe schlecht!“ „Ihr Auge ist gereist.“ „Hmh.“ Ich weiß gar nicht so recht, ob ich erleichtert bin. Ich habe ja nur dieses eine Auge. „Ich sollte mir eine Brille kaufen“, sage ich und der Mann in Weiß lacht. Vermutlich übersetzt er es danach für Ada, die mir zitternd über den Arm streicht. „Kann ich gehen?“ „Sie haben eine Gehirnerschütterung.“ „Ich möchte gehen!“ „Und ihr Auge? Wir sollten sie noch näher untersuchen, Herr Löp. Gedulden sie sich.“ „Nein! Ich bin in Ordnung!“ „Sie waren bewusstlos!“ „Ich will gehen!“ „Das empfehle ich ihnen nicht.“ „Ich möchte!“ „Ich kann sie hier natürlich nicht festhalten.“ „Gut!“ Mein Körper musste zugenommen haben, so schwer wie er beim Aufrichten ist. „Es wäre wirklich besser ...“ „Ich möchte nicht bleiben!“ Nun stehe ich. Keine Ahnung wie ich das hinbekommen habe aber ich will hier auf keinen Fall bleiben. „Dann schonen sie sich! Keine Arbeit! Es ist gegen den ärztlichen Rat.“ „Ich werde mich schonen!“ Das ist gelogen. Zumindest fühlt es sich gerade danach an. „Unterschreiben sie das! Es ist gegen jeglichen ärztlichen Rat. Sie sollten bleiben! Sie können immer noch Hirnblutungen bekommen.“ „Ich sagte es bereits!“ Ich schaue nicht, ob der Zettel eine Linie hat. Ich schreibe einfach Kuno darauf oder Kurt, da ich ja die Unterschrift meines Vaters nachahme.

Adalie zieht an meinen Arm. Sie will, dass ich wieder in das Bett gehe aber das werde ich nicht. Schließlich nimmt sie genau diesen Arm und legt ihn sich um die Schultern. Obwohl ich mich auch dagegen wehre, lässt sie mir keine Wahl. Im Gegenteil, nun zieht sie mich nach draußen und ist absolut sauer. Bis sie mich in ihr Auto gedrückt hat, lässt sie mich ihren Missfallen spüren. Fast bereue ich es aber ich kann nicht bleiben. Ich will nicht bleiben!

Während der Fahrt schweigt sie, fährt wie immer, wobei ihre Mimik alles andere als freundlich ist. Da es mir Angst macht, starte ich nach einer Weile den Versuch, ihr irgendetwas zu erklären. Mir kommt nichts Verständliches über die Lippen. Sofort bremst sie und sieht mich panisch an. Ihre Angst ist gerade viel tiefer, als meine. Ich habe genau das Gegenteil erreicht, von dem, was ich wollte. Hektisch streite ich alles per Gesten ab und deute, dass es mir gut geht. Ich habe doch nicht einmal mehr Kopfschmerzen. Ihre Mimik wird besorgt, eher traurig. Dennoch dreht sie sich entschlossen zu mir hin und stellt ihre Frage. Ein Finger tippt auf ihre Stirn. Danach zeichnet sie eine Spirale vor sich in die Luft und wartet auf meine Erwiderung. Ich will ihr nicht wieder einfach nur mit einem Daumen hoch antworten aber mir fällt nichts Besseres ein. Also tue ich genau das, obwohl ich weiß, dass sie das nicht beruhigt.

Ihre Mimik wird wieder zornig. Daher behaupte ich müde zu sein, was ich aber gar nicht bin. Mein ''gerade noch so Einfall'' hindert sie daran, wieder umzudrehen. Einen Augenblick stehen wir noch hier, ehe sie schnaubt und mich zu den Glashäusern bringt. Dort angekommen, lässt sie mich auch wieder nicht alleine gehen. Nur wehre ich mich diesmal nicht dagegen. Flüchtend lege mich in das Bett und hoffe, dass sie geht.

„Ich habe ... Handy“, spricht sie bemüht in meiner Sprache. Sie will mehr sagen aber kann es anscheinend nicht übersetzen. „Was ist das?“, frage ich neugierig und nehme das Ding auf, dass sie neben mich legen will. Natürlich versteht sie mich nicht aber mein Interesse ist sowieso nur gespielt. Anstatt ich auffliege, ruft sie nun nach jemanden, der Antoine heißt. Er hört nicht, also ruft sie insgesamt dreimal und ihrem Klang nach wäre es wohl besser, wenn er sich bald mal blicken lassen würde. Doch er kommt nicht. Genervt reist sie mir das ''Handy'' aus der Hand und drückt darauf herum. „Ich hole Antoine de la Cour.“ „Musst du nicht“, erwidere ich. Wann genau fällt mir eigentlich wieder ein, dass sie kein Wort versteht? Ich bin noch dümmer, als ich versuche, es in ihrer Sprache zu sagen. Das Gemurmel hätte alles heißen können. Glücklicherweise nimmt sie davon gar nichts falsch auf. Sie deutet, dass sie zur Tür gehen will und macht es sofort. Wenige Minuten später kommt sie mit Arschloch zurück.

„Was willst du?“, fragt er genervt. Adalie sticht ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. „Nur was das ist. Ich besitze so etwas nicht“, sage ich schließlich, da Ada sich nicht abwimmeln lassen würde. Vielleicht sollte ich ihr eine Blume schenken? Dann wäre sie wieder glücklich aber nach so etwas kann ich das Arschloch schlecht fragen. „Du weißt nicht, was ein Smartphone ist?“ Als er lacht, haut sie ihm noch einmal in die Seite und faucht ihn wütend an. Sie ist stinksauer und jetzt beim zweiten Mal versteht er das auch. Er redet plötzlich in einem freundlicheren Ton mit mir und sieht neben ihr den Kopf ein. Ada ist einfach klasse.

„Ein Smartphone ist zum Telefonieren.“ Untypisch für ihn, drückt er seinen Hintern auf die Bettkante und nimmt mir das besagte ''Handy'', welches er ''Smartphone'' nennt aus der Hand. „Wage es nicht, meiner ... Lebensgefährtin zur Last zu fallen, Drecksack.“ Er grinst und hält mir das Ding unter die Nase, dass nun leuchtet und bunte Dinge zeigt. „Hier kannst du telefonieren.“ Er zeigt auf etwas Grünes, tippt darauf, es wird weiß und dann tippt er auf noch etwas, das ein Text ist. In Adas Tasche klingelt es kurz darauf und sie lächelt wieder, als sie auch auf ein Handy schaut.

Obwohl er eigentlich noch nicht fertig ist, drängt ihn Adalie zur Seite und streicht die eingedrückte Sitzfläche glatt. Danach drückt sie mit der Hand gegen meinen Oberarm und möchte, dass ich mich hinlege. Durch meine Verwirrung verstehe ich es nicht gleich. Daher lässt sie wieder von mir ab und zeigt mir, mit ihrem einzigartigen Lächeln, die Schlafgeste. Ich sinke gehorsam nieder, als hätte sie noch mehr weggelächelt, wie das, was dazwischen uns gelegen war.

Nach einer Weile macht mich die Stille müde und ich schlafe ein, obwohl ich heute noch gar nichts getan habe. Ich komme erst wieder zu mir, als es klopft. Es ist Adalies Klopfen. Sie klopft immer nur zwei Mal nacheinander und auch gar nicht so laut. „Bin wach“, sage ich, da mir nichts Besseres einfällt. Mit Essen für uns beide kommt sie herein. Doch sie wirkt wieder besorgt. Ich muss ihr unbedingt eine Dornennbuch-Blume besorgen. Mein schnelles Aufstehen gefällt ihr nicht so ganz. Warum auch immer. Kurz bevor ich ganz bei ihr bin, deutet sie mit einem gestellten Lächeln auf ihr Auge und schaut dann fragend. Wieder habe ich das Problem, dass mir nicht Besseres einfällt, als dieser Daumen nach oben. Ein einfaches ''Gut'' ist nicht das, was ich sagen will aber warten lassen will ich sie auch nicht. Unzufrieden zieht sie noch ein schlimmeres Lächeln und setzt sich an den Tisch.

Jetzt hab ich eine Idee! Hastig laufe ich zu meinem Bett zurück und hole einen Stift. Danach stelle ich mich vor den Kartonstapel, der neben ihr steht. Ich male Ada eine Dornenbusch-Blüte auf den Karton und es klappt. Sie lächelt wieder.

Glücklich setze ich mich an den Tisch und meine Wange schmerzt weil ich grinse. Nur damit ich aufhöre, eine gruselige Grimasse zu schneiden, beginne ich etwas von dem Gemüse aufzustechen. Dadurch beginnt auch sie zu essen. Ich muss mich ganz schön zusammennehmen, dass ich sie nicht die ganze Zeit anstarre. Doch dem kommt Abhilfe. Arschloch drängt sich an die kurze Seite des Tisches und tritt mir absichtlich gegen mein Schienbein. Allerdings heuchelt er gleich eine Entschuldigung hinterher, da er auch gegen den Tisch gestoßen war und Adalie deshalb superböse schaut.

„Können sie Frau Biron Bolut sagen, dass es gut schmeckt?“ Ich möchte diese Feindseligkeit nicht und versuche daher seine Attacken zu ignorieren und Ada zu beschwichtigen. Dummerweise erkenne ich an ihrer Verwirrung, dass es nicht gut war, ihren Nachnamen zu benutzen. Dadurch merkt sie, dass ich mich mit Arschloch nicht gut verstehe. Nach einiger Überlegung räuspert er sich und sagt etwas in ihrer Sprache. Ich vermute, dass er genau das übersetzt, was ich gesagt hatte. Immerhin erlischt Adas Hass und wir essen schweigend weiter.

Als wir fertig sind und eine kurze Pause gemacht hatten, erzählt Ada etwas, dass sie sehr streng wirken lässt. „Meine Lebensgefährtin sagt, dass sie dich mindestens eine Woche nicht auf der Arbeit sehen will. Du sollst das Bett hüten und sollte es dir schwindlig, übel oder anders komisch sein, nimmst du das Smartphone und sagst Bescheid.“ Seltsamerweise bin ich mir sicher, dass er wirklich übersetzte, was sie gesagt hatte aber irgendwie auch nicht. „Was war mit Antoine? Ist das nicht ihr Name?“ Eigentlich bin ich mir nicht so ganz sicher, ob ich wirklich seinen Vornamen herausgehört hatte aber ich lasse mich von meinem Misstrauen leiten. „Ich schaue gelegentlich nach dir“, antwortet er leise und sieht danach zu Ada, als würde er sie dafür hassen. „Es wird nicht nötig sein. Ich bleibe im Bett. Sagen sie ihr bitte, dass ich keine Schmerzen habe. Mir geht es gut.“ Er runzelt die Stirn, als würde er zweifeln. Dennoch übersetzt er es korrekt. Zumindest ist Adas Gesicht genauso ungläubig wie seins. Damit die beiden wieder Freunde sind, begebe ich mich gleich zu meinem Bett und lege mich hinein. „Willst du dich nicht waschen, Drecksack!“, brüllt Arschloch rüber aber ich tue so, als würde ich bereits schlafen.

Irgendwann später stehe ich auf und gehe ins Bad. Im Spiegel entdecke ich, dass meine eigentlich nicht entstellte Gesichtshälfte dick und blau war. Hässlicher kann ich wohl echt nicht mehr werden, denke ich und grinse plötzlich. Wenigstens tut das nur auf meiner hässlichen Seite weh. „Brauchst du Hilfe?“, fragt Arschloch ganz normal. Eigentlich war ich mir sicher gewesen, alleine zu sein. „Sind sie auch verletzt worden?“ Schweigend starrt er mit in den Spiegel. Man sieht deutlich, dass er von meinem Aussehen angeekelt ist. Als er nach Ewigkeiten übersetzt, was ich gesagt hatte, habe ich den Grund seiner Höflichkeit. Seine Züge änderten sich im Spiegel. Er würde gleich wieder beleidigend werden.

„Kann ich etwas für Frau Biron Bolut tun?“ Nachdem ich mich zu ihm gedreht hatte, weicht er zurück. Es scheint mir, als habe er zwischen Ekel und Hass auch einen ganz kleinen Funken schlechten Gewissens. „Ich würde gern etwas tun. Hat A ... sie andere Arbeit für mich, die ich tun kann?“ „Du weißt schon, dass du eine Gehirnerschütterung hast? Eigentlich war es unverantwortlich aus dem Krankenhaus zu gehen.“ „Wovon hätte ich das denn bezahlen sollen?“ „Du bist ...“ „Haben sie wirklich nichts für mich zu tun?“ Ihn ignorierend drängte ich mich an ihm vorbei zum Bett und gerate etwas ins Schwanken.

Alles, was in diesem Moment passiert, verschwimmt mir. Arschloch Handeln begreife ich eigentlich erst, als ich wieder an diesem Ort bin. Es macht mir Angst und ich weiß nicht einmal wieso. Ich will eigentlich nur weg. Doch Antoine verhindert es und redet dauernd auf mich ein.

Als er gewonnen hatte, besucht Adalie mich. Schweigend stellt sie gelborangene, künstliche Dornenbuch-Blumen auf einen Tisch. Ein kurzer unangenehmer Blick geht zu mir, ehe sie in dieses Handy-Dings-Smart schaut und etwas tippt. „Für dich. Deine Lieblingsblumen“, liest sie mühsam vor. Künstlich, frage ich mich, warum künstliche. Adalie liebt diese Blumen. „Musst du schlafen?“ Ich lächle sie an und schüttle den Kopf. Eigentlich hatte ich es nicht erwartet, doch sie lächelt so ehrlich zurück, dass ich wieder alles um mich vergesse. Fast alles! Mir geht nur eine Sache nicht aus dem Kopf: Warum kann Adalie keine echte Dornenbusch-Blume haben?

Es vergehen einige Tage in dem Gebäude, dass ich so gar nicht mag. Wenn ich keinen Besuch habe, bekomme ich Medikamente, die mich ruhig machen weil ich Panik habe. Dann fühle ich mich unfähig, schwer wie ein Stein. Manchmal habe ich deshalb eine schrille, hysterische Stimme im Kopf. Kein Wort verstehe ich, vermute jedoch, dass sie zu einem Albtraum gehören, denn ich lange hatte. Irgendwann bin ich so genervt davon, dass ich mich sogar über Antoine freue. Er ist derjenige, der mich abholen kommt.

„Mal Klartext!“, sagt er im Auto und legt eine Akte vor mich auf das schwarze Ding. „Ist ihnen klar, dass sie seit achtundvierzig Jahren vermisst werden. Er legt weitere unzählige Texte auf die Akte nieder. „Ihre Eltern haben vierzig Jahre lang, jeden Tag eine Anzeige geschaltet. Vermisster Junge, entstelltes Gesicht, Urlaubsunglück, aus dem Krankenhaus entflohen.“ Ich verstehe nicht ein Wort, von dem, was er sagt. „Hat Frau Biron Bolut Dornenbusch-Blumen?“ „Dornenbusch-Blumen?“, wiederholt er verwirrt und erstarrt in seiner Bewegung. Zumindest bis er dann mit einem Seufzen zum Fenster hinausschaut. „Was wollen sie von Adalie?“ „Arbeit!“, behaupte ich steif und fest. Ja, ich denke schon, dass es genau das ist. „Wenn es so ist, fang bei mir am 2. als Putze an.“ „In der Gärtnerei?“ „In meinem Büro!“, höhnt er und empfindet sich als etwas Besseres. „Und Adalie? Ich habe bereits einen Vertrag.“ „Hmh“, macht er und fährt los.

Mit ihm zu fahren, ist schrecklich. Er nervt die anderen Autorfahrer und zischt bei jeder Möglichkeit an einem anderen Fahrzeug vorbei. „Um Adalie kümmere ich mich“, fügt er Minuten später bedrohlich an. Gerade haben wir freie Fahrt. „Okay aber ich möchte nicht, dass sie es als undankbar empfindet. Schließlich hat sie mich von der Straße geholt.“ Obwohl ich geradeaus schaue, sehe ich seinen bösartigen aber gleichzeitig auch verwirrten Gesichtsausdruck. „Ich sollte ihr eine Dornenbusch-Blume schenken. Diese mag sie doch, oder?“ Ich habe recht aber irgendwie auch nicht. Wahrscheinlich mochte sie diese Blume aber nicht als ein Geschenk. Das ist echt verwirrend und seine Fahrweise trägt nicht gerade zu meinem Besten bei.

Unerwartet hält er in einer Ausbeulung der Straße. „Kotz' außen!“, befiehlt er und lacht gehässig. „Du meinst eine Rose“, ergänzt er, während ich wirklich neben die Tür kotze. „Nun, ich nehme an, irgendso'n billig Ding.“ Seine Hand zeigt zu einem Laden, der Essen, Plastikzeug und sonstige komische Dinge verkauft. „Weißt du was, die werde ich dir tatsächlich spendieren ... für ... das hier ... aber du bleibst fern von Adalie, verstanden?! Wir werden noch heute deinen Vertrag lösen.“ Eigentlich halte ich es für falsch aber mache es trotzdem. Adalie kann ich dabei nicht in die Augen sehen. Es schmerzt fürchterlich. Nachträglich ärgere ich mich, dass ich es nicht getan hatte. Mir ist es wichtig, dass sie das jetzt nicht missversteht. Wobei ich selbst gar nichts mehr verstehe. Antoine bescheißt mich. Diese Rose bekomme ich nicht ''spendiert''. Ich bekomme sie überhaupt nicht! Und ständig wenn ich nach dem Putzen gehen will, redet er mich voll und leidet mich in mein neues Zimmer.

Neun Monate lasse ich mir dieses ''mehr verdienst du doch gar nicht'' gefallen, ehe mich die Wut packt und ich dem Arschloch seine 10,54 € als Monatslohn zurück in die Hand drücke und einfach rausmarschiere. Das hier ist keine Chance auf ein Leben! Das hier ist die Hinderung daran! Ich soll keine Chance bekommen und schon gar nicht soll ich mich bei Adalie für ihre Güte bedanken können. Ich hasse dieses Arschloch und jeden einzelnen, der mich so angeschaut hatte, als würde ich ihnen irgendeine Seuche einschleppen. Ich bin kein Monster, kein Objekt, das denen dient sich besser und mächtiger zu fühlen!

Vor einem Schaufenster bleibe ich stehen, dahinter sind Gegenstände und ... Dornenbusch-Blumen. Tausendneunhundertfünfzig, dazu diese Fratze, diese hässlich Fratze! Ich weiß, dass ich schreie, danach blutet meine Hand. Hässlich, spuckt es in meinem Kopf. Hässlich, mehr nicht. Die Hand schmerzt nicht, bedeckt sich nur immer mehr mit Blut. Hässlich, kommentiert mein Gehirn. Einfach nur hässlich.

Dumpf dringen Schreie zu mir durch und irgendwie merke ich auch so halb, dass ich niedergerungen werden. Nichts, ich fühle, überhaupt nichts. Ich höre es knacken und ich glaube etwas an meiner linken Schulter zu spüren. Was juckt mich das? Mehre Hände drehen mich zur Seite und meine gesunde Gesichtshälfte schleift einen Moment über den Teerboden.

Wie ich zu diesem Mann an diesem Schreibtisch komme, weiß ich nicht. Mein Kopf schweigt und ich lausche seiner unendlich schweren Stille. Ich weiß, dass er spricht. Ich seh ihn auch und ich weiß auch, dass sich jemand meine Schulter ansieht. Doch ich hänge in dieser Schwere, wie ein Lappen an seiner Aufhängung.

Es knackst in meiner Schulter und ich spüre etwas. Es ist unangenehm und ich brauche mindestens eine Minute, bevor ich begreife, dass es Schmerzen sind. „Lassen sie sich das noch einmal ansehen“, sagt der, der die ganze Zeit daran herumhantiert hat. Nach ihm legt sich eine andere Hand auf meine unbehandelte Schulter. Dass ich sie erkenne, lässt mich frieren. Adalie ist hier! Deshalb hatte der auch Deutsch gesprochen, deshalb hatte ich ihn verstanden. Meine Adalie, sie sagt etwas. Ihre Stimme diese sanfte Melodie. Ich ... Scheiße!

Es werden mehr Stimmen um mich herum und ich höre auch Arschloch heraus. Wie viele stehen denn hier herum? Was hatte ich getan? Mir war eine Sicherung durchgebrannt, einfach so. Ich wollte doch mein Leben ändern, ändern zu etwas, das nicht stiehlt, das ein Bett hat. „Du kannst bei mir arbeiten, um das Geld zurückzuzahlen.“ Ich entdecke eine weitere Frau, die einzeln steht und zu Adas Worten bestätigend nickt. Ich glaube, sie irgendwo gesehen zu haben. „Tut mir Leid“, stammle ich und Arschloch Stimme erklingt. Zögerlich blicke ich mich um. Acht Männer und zwei Frauen, welche uniformiert, zwei in Anzügen, der Rest in schwarzer oder grauer Kleidung. Nur Adalie trägt Orange. „In der Gärtnerei um 7:00 Uhr!“, müht sich Ada ab. „Ich will dich pünktlich und fleißig sehen. Abends putzt du bei Antoine!“ In ihrer Art verstehe ich, dass ich keine Wahl habe. Sie besteht darauf.

Umringt von der Hälfte an Leuten, verlasse ich das Gebäude. „Ich komme, um dich in drei Tagen zu besuchen“, sagt Adalie und hält mich danach an. „Ich möchte dir etwas zeigen.“ Dem folgend dreht sie mir das Handy hin, aus dem sie immer in meiner Sprache liest. In meinen Händen liegend bedient sie es, macht zuerst dieses Ding mit dem Text weg und tippt dann auf ein gelbes, kleines Ding. Der Text ist wieder da aber ich verstehe nicht, was sie von mir möchte.

„Du bereust es noch!“, spricht Arschloch freundlich, obwohl er sich an meine Seite gerempelt hat. „Wehe, du sagst ihr, dass ich dich nicht gut behandle.“ Anschließend nimmt er das Handy in die Hand und macht beinahe denselben Vorgang wie sie, nur dass er erklärt und etwas mehr herumtippt. Vor allem, als er sagt, dass ich etwas reinschreiben kann und es dann auf Adas Sprache übersetzt werde, tippt er viele male mehr darauf herum. Danach spricht das Ding tatsächlich in Adas Sprache und ich weiche erschrocken zurück. Die Leute um mich herum lachen. Am meisten Arschloch, der es aber wirklich böse meint.

Adalie nimmt das Handy-Ding zurück und lässt sich wieder einen Text übersetzen. „Sprich mit jemandem! Du hast ein gutes Herz.“ Ihr Lächeln ist eigenartig gezwungen und nicht gezwungen. Es überfordert mich, als sie sich in meinem Arm einhängt. „Sie stellt dir noch jemand vor“, grummelt Arschloch und folgt mir und ihr zu dem anderen Anzugtyp. „Dion Avocat“, stellt sie ihn mir vor und er reicht mir blöd, freundlich grinsend die Hand. Ich schiebe es auf meine Hand, dass ich sie nicht erwidere aber in Wirklichkeit verabscheue ich diesen eingebildeten, überheblichen, ''ich tu gerade überhaupt nicht so, als würde mich diese grässlich Fratze nicht in irgendeiner weise schockieren''-Typ! „Er kann auch kein Deutsch“, heuchelt mir Arschloch ins Ohr. „Du bist am Arsch.“ „Dein Arsch brennt!“, knurre ich unüberlegt. Ich reise mich sogar von Ada los und wende mich ab. Aber ich komme nicht weit, denn zuerst hält mich Ada zurück und dann das übersetzte Geschwätzt des Anzugs. „Er will dich irgendwann mal sehen.“ „Verpiss dich!“ Ich meine im Moment eigentlich beide, auch wenn nur dem einen davon in die Augen gesehen hatte. Ein drittes Mal werde ich knapp an der Straße gestoppt. Ada sagt nur etwas ganz Kurzes aber ihr Blick dabei ist unendlich flehend. Ich weiß, was sie sagt, obwohl ich sie nicht verstehe. Genauso weiß ich auch, dass ich das nicht will, was sie von mir verlangt und trotzdem siegt ein einziger Blick über all meine Argumente. Warum bin ich nicht als Frau geboren worden, wenn man es damit so leicht haben kann?

Adalie drückt mich in ihren Kleintransporter, noch bevor die Menschenschar hier hergefunden hat. Sie spricht mit Arschloch, einem Fremden und verabschiedet sich von Anzug mit einem Händedruck. Danach setzt sie sich neben mich und lächelt mir zu. Ehrlich, aufmunternd aber nicht glücklich. Scheiße. ...

Nach einer langen Fahrt setzt sie mich bei der Wohnung ab, in der ich hause. Sie nimmt ihr Handy und ich ahne, was sie vorhat zu schreiben. Daher schüttle ich den Kopf und steige aus, ohne sie noch einmal anzusehen oder mich bei ihr zu bedanken.

Am nächsten Morgen wache ich auf weil mir jemand in den Bauch getreten hat. Während ich mich gekrümmt aufrichte, schlägt mir Arschloch flache Hand gegen den Kopf, sodass ich kippe und mir die andere Seite des Kopfes an eine Metallstange anstoße. Diese Stange rutscht aber auch weg, während ich ganz zu Boden gehe und schmerzlich stöhne. „Aufstehen, Arschloch! An die Arbeit und mach sie gründlich!“ Zum Abschluss tritt er mir noch gegen das Schienbein. Nur schwerfällig komme ich auf die Beine. Humple aber dennoch sieben km weit, wo mich Ada aufgreift. Insgesamt hätte ich elf km gehabt, um zu ihr auf die Arbeit zu kommen. Ich winke ab, als ich ihre Sorge sehe und schnappe mir sofort einen Besen, um den Weg vor den Glashäusern sauberzumachen. Zugegeben, ich hatte in dem Moment ganz vergessen, dass ich hier kein Putzdienst war. Auch wenn ich immer noch nicht genau weiß, was ich ihr überhaupt bin, außer dieses hässliche Gesicht. Ich merke sehr wohl, dass Ada mein blickloses Schweigen stört aber irgendwas in mir will einfach nur die Arbeit tun und wieder verschwinden. Ich glaube, ich will einfach nicht, dass sie einen Grund hat enttäuscht von mir zu sein. ...

Nach ein paar Stunden ist es wirklich wieder Zeit für mich putzen zu gehen. Eigentlich will ich laufen aber Ada ist schneller und bestimmter. Auf der Autofahrt schweige ich ebenso. Verfalle sogar in einen kurzen Schlaf. Am Ziel angekommen, steige ich auch wieder aus, ohne mich zu bedanken. Ich fühle mich müde aber hole mechanisch meine Arbeitsgeräte und beginne mit meiner vorgeschriebenen Route. Ich weiß, dass ich genau deshalb in Antoines Arme laufen werde und er das von heute Morgen noch nicht beendet hat. In meinem Inneren höre ich ganz leise den Aufruf, dass er es nicht wert ist. Eine viel lauter Stimme schreit mein neues Lieblingswort, hässlich. Du bist hässlich, du hast was im Gesicht. Das Antoine mich gegen die niedrigen Schränke stößt, ist beinahe eine Erlösung. Ich sage nichts und richte mich einfach wieder auf. Schweigend geht mein Weg fort. Immer weiter bis zu meinem Zimmer, was sich ja dann wohl Feierabend nennt.

Schwerfällig, eigentlich viel zu müde dafür, gehe ich in die Knie und wasche mein Gesicht an dem Hahn, der vielleicht gerademal eine Unterarmlänge vom Boden entfernt ist. Nach meinem Gesicht widme ich mich meinem Oberkörper. Erschrockene stelle ich fest, dass ich drei dunkle Flecken habe. Ich will nicht weinen. Schließlich kann ich doch gar nicht mehr hässlicher werden. Hässlich, immer wieder hallt mir dieses Wort durch den Kopf. Du hast nur ein Auge, du bist überhaupt nichts wert. Nur halbwegs kann ich mein grässliches Geheule unterdrücken und wasche mich zittrig weiter.

Anscheinend schlafe ich dort ein. Zumindest komme ich dort zu mir, bevor Arschloch nach mir treten kann. Ich kann ihm ausweichen. Was mir aber kaum etwas bringt, denn um immer noch der Stärke bleiben zu wollen, greift er mir beim Aufstehen in die Haare und zerrt, oder schmeißt mich eher daran zum Wasserhahn. Er liebt es, mich als ein Dreckschwein zu bezeichnen, egal wie oft er mich zum Waschen auffordert.

„Steh auf Penner! Da hinten steht etwas. Bau es auf!“ „Ich muss zur Arbeit!“ „Nichts da! Aufbauen!“ Er schuckt mich, ohne dass ich diesmal falle, in die Richtung eines mannshohen Karton, der aber der Länge nach auf dem Boden liegt. Ehe ich mich beschweren kann, hastet er hinaus und schließt mich ein. Fliehen kann ich von hier nicht, der Raum besitzt keine Fenster. Im ersten Moment ärgere ich mich noch darüber und ja es floppt ein gewisser Wunsch auf, dass ich ihn durch diese Metalltür hinausprügle, wenn er wiederkommt aber das hässliche Gesicht wendet sich lieber dem Karton zu.

Der Karton ist schon aufgeschnitten. Darin gibt es Holzteile, ein Stoffding, Metall und Plastikteile. Ein Zettel mit Bildern zeigt mir, dass es ein Bett werden soll. Diese spitzigen Metallteile sind bestimmt dafür da, um mir weh zu tun aber ich werde schon einen Weg finden diese zu umgehen. Ich bastle eine Ewigkeit dran. Vor allem weil ich feststelle, dass zwei kleine Teile fehlen und ich improvisieren muss. Auf einmal ist es mir egal, ob Arschloch das bemerkt. Er wird ja sowieso wieder zu schlagen. Gerade als ich fertig geworden bin, ist das Aufschließen zu hören. Ich denke, dass er es ist aber es ist Adalie, die stürmisch hereinkommt. Sauer, Verwirrung und Schock lese ich ihr hintereinander aus dem Gesicht ab.

„Kuno“, berappelt sie sich und strahlt mich an. Nach einer kurzen Pause kommt sie noch einen Schritt auf mich zu. Beim erneuten Stehenbleiben dreht sie ihren Zeigefinger vor sich in der Luft und schaut so, als würde sie etwas nicht verstehen, das ihr aber auch missfällt. Sie meint den kaputten Raum. „Haben du einen Tisch für unser Essen?“ Ich sehe gar kein Essen bei ihr. Scheinbar bemerkt sie meinen skeptischen Blick, da sie kurz zögert aber zu mir kommt und sich setzt. Neben sich klopft sie auf das Bett und ich gehorche.

„Wir müssen reden!“ Genau das unterbricht ein immer näherkommendes Schieben und Ächzen. Dies wiederum endet, als es gegen die Metalltür knallt. Für den Moment vergisst sie, dass sie mittlerweile echt erstaunlich gut in meiner Sprache sprechen kann. Obwohl ich kein Wort verstehe, kommt ihre Bitte bei mir an. Also stehe ich auf und öffne die Tür. Dahinter ist ein Tisch, auf dem gestapelte Stühle stehen und ein keuchendes Arschloch, dass vermutlich damit die ganzen Geräusche verursacht hatte. Hinter mir höre ich das Bett ächzen. Kurz darauf spüre ich Adalies Hand auf meiner Schulter. Sie sagt etwas, das den verschwitzen Typ schockiert. Allerdings übersetzt er es nicht. Stattdessen rammt er sich vor ihren Augen den Weg ins Innere frei. „Wenn ich rauskriege, dass sie zahlt, bist du Tod verstanden?“, zischt er mir zu. Nachdem sie ihm gegen die Schulter geschlagen hatte, stellt er sich wieder freundlich. „Sie fragt, ob du Hunger hast?“ Schwach nicke ich. Eigentlich bin ich mir absolut sicher, dass ich für sie etwas ganz anderes beantworte. „Gut. Mach dich sauber, Drecksack.“ „Ich habe nichts anderes zum Anziehen.“ Er überlegt eine Weile und sieht dann zu Ada. Danach drückt er mir einen grünen Geldschein in die Hand und redet mit ihr anstatt mit mir. Sie strahlt und zieht mich am Arm zu sich ran. „Wenigstens muss ich nicht shoppen gehen“, murrt er und wendet sich ab. Bevor ich aber irgendetwas anderes machen kann, zerrt mich Adalie nach draußen. Zu meinem Erstaunen ist es bereits spät.

„Kuno, warst du wirklich krank?“ Damit hatte er also mein Fehlen begründet. Ich nicke einfach und probiere einen ehrlichen Blick zu ihr zu werfen aber ich halte ihn nicht besonders lange. Im Augenwinkel sehe ich, dass sie wieder das Handy nutzt. Sie ist so eine talentierte Frau.

„Was möchtest du essen?“ Ich weiß es nicht und schaue an mir herunter. Wild entschlossen spricht sie wieder in ihrer Sprache. Danach entschuldigt sie sich lachend. „Gut. Wir werden dir etwas kaufen“, übersetzt sie schließlich und lacht noch immer. Irgendwie begreife ich nicht so ganz, was hier los ist und dass ich plötzlich Kleidung anprobieren muss. Am Ende trage ich etwas senfgelbes, eine dunkelblaue Jeans und neue Schuhe. Die neuen Socken und Unterhosen trage ich ein bisschen beschämt in einer viel zu schweren Papiertüte mit mir herum.

„Wir gehen ...“, sagt sie aus heiterem Himmel und deutet auf ein Essenssitzding für Anzugtypen. Sofort schüttle ich den Kopf und will abhauen aber Adalie ist echt kräftig. Ihre Mimik ist bitterböse. „Du bist Mensch, wie jeder andere auch!“ „Nicht leisten! Nicht Geld!“ „Geld?“ Ich nicke ziemlich panisch. Bloß keine Arschlöcher mit Anzügen mehr. Sie seufzt und legt den Arm um meine Schultern. Damit zwingt sie mich, dort hinzusehen. „Alternative?“ Dieses Angebot nehme ich gerne und vielleicht auch ein wenig zu hastig an. Nun liegt es an mir, sie mitzuzerren. Der kleine Laden, zu dem ich sie bringe, ist selten besucht aber ich mag sein Aussehen und die Wärme dort. Von dem alten Herrn dort hatte ich mein kleines Feuer geschenkt bekommen, weil ich so fror.

„Ich kenne das Restaurant nicht“, erzählt sie mir. Die Wärme hier drin scheint ihr zu gefallen. Sie übernimmt allerdings auch wieder die Führung und lässt uns in einer kleinen Nische Platz nehmen. „Schön“, strahlt sie mich an. Ich habe eine Sache nicht bedacht. Zwar kann ich die Preise aber nicht die Namen der Essen lesen. Soll ich einfach raten? Wie sieht das denn vor Adalie aus?! Ich mache mich total zum Affen! Ich kann einfach gar nichts aber ich muss.

Plötzlich legt sich ihre Hand auf meine. Sie lächelt kurz und nimmt das Papier zu sich. Eigentlich hat sie dasselbe. Dennoch fragt sie mich plötzlich, ob ich Allergien hätte. Auch ohne meine Antwort nennt sie mir einige Essen, die darauf zu stehen scheinen. Ich habe noch etwas nicht bedacht. Selbst wenn ich hätte lesen können, hätte ich kein Wort dieser Sprache verstanden. Da ich nicht antworte, bestellt sie irgendetwas und hält mich an meinem Platz fest. „Kuno, ...“ Mehr verstehe ich nicht, da sie in ihrer Sprache spricht. Es ist nett, dass seh ich und wahrscheinlich ist es auch der Grund, warum ich wirklich bleibe. Höflich bin ich ja nicht gerade. Die ganze Zeit schweige ich, stochere appetitlos im Essen herum und lasse zu, dass sie zahlt.

Am liebsten wäre ich nach dem Verlassen des Hauses sofort weggelaufen, doch wieder hakt sie bei mir unter und hält mich eigentlich fest. „Ich muss noch in die Gärtnerei aber dann bringe ich dich nach Hause“, erklärt sie mir mit einem eigenartigen Lächeln. Was das zu bedeuten hat, merke ich erst, als sie mich vor meiner Arbeits-, Wohnstelle absetzt. Sie hält mich mal wieder an weil ich etwas aus dem Frachtraum holen soll. Bis zu dem Moment, wo sie auf das Auto zeigt und noch deutlicher auf die Hintertür, verstehe ich, was ''Frachtraum'' ist. Mal wieder gehorche ich. Zu meinem erstaunen entdecke ich eine lila Dornenbusch-Blume, die mir beim Herausholen bis an die Hüfte reicht und breiter ist als ich selbst. Adalie strahlt. Sie erzählt mir, dass diese Rose ''Rhapsody in Blue'' heißen würde und sie es mir schenken würde. Ich bin so verwundert, dass ich überhaupt nicht begreife. Nichtmal, dass ich von ihr gezogen die Pflanze in mein Zimmer trage, begreife ich.

„Ich hole dich morgen ab.“ Eine Pause folgt, da sie recht lange tippt. Danach lässt sie es vom dem Ding da vorlesen. „Nehmen du die Rose mit und dann kann sie während deiner Arbeitszeit in der Sonne bleiben. Versprich mir, dass du es tun wirst.“ Diese eigenartige Stimme des Handys mag ich nicht und weiche ungewollt ein Stück zurück. Trotzdem komme ich nicht weit. Sie klopf auf das Bett und signalisiert mir, dass ich mich setzen soll. Wieder tippt sie etwas in dieses blöde Ding ein und liest es mir dann selbst vor. „Du kannst mich besuchen, wann immer du möchten.“ Ich lächle, warum auch immer. Das freut sie. Ruppig streicht sie mir über das Knie und hinterlässt mir zwei zusammengebundene Schlüssel.

Nach ihrem Gehen lege ich mich hin. Später überlege ich, ob ich nicht vielleicht wirklich zu ihr gehen soll. Das Zimmer, dass ich bei ihr bewohnt hatte, war wärmer. Allerdings verwerfe ich es und schlafe ein.

Am Morgen wache ich auf weil sich jemand an meiner Hosentasche zu schaffen macht. Reflexartig schlage ich auf die wandlose Seite meines Bettes und treffe jemanden, der ächzend zurückweicht. Als ich die Augen öffne und mich aufrichte, schlägt Arschloch zurück. Mein Hinterkopf scheppert an die Wand. Ich springe auf, bevor ich es überhaupt bemerke, und drücke diesen Ekeltyp an die Wand. „Was klaust du mich!“ Ich schmecke Blut in meinem Mund und realisiere, dass ich mir auf die Lippe gebissen hatte. „Dich klauen!“ Er lacht und zieht mir eine Faust über den Schädel. Seinem Tritt am Boden unten weiche ich aus. Auch dem zweiten entkomme ich, was ihn ziemlich anpisst. Als er sich zu mir runterbeugt, spucke ich ihn meine Spuke mit dem Blut ins Gesicht. Gewonnen! Angewidert taumelt er zur Wand zurück. „Hör auf, mich zu schlagen! Ich kann mich wehren, Dreckschwein!“ „Was ...“ „Ich kann Straße!“ Mein kopfloses Gerede zeigt Früchte. Arschloch schert sich davon. Nach seinem Verschwinden taumle ich zu meiner Rose, gebe ihr noch ein Schluck Wasser, bevor ich zu Adalie gehe und ihr eine Blüte davon ins Haar stecke. „Du bist schön und ich arbeite gerne bei dir“, sage ich ohne irgendetwas zu begreifen. Die Fahrt verläuft stumm. In der Gärtnerei kümmere ich mich um ihre Rosen. Kurz vor dem Ende kommt der ''Anzug'', wie ich das zweite Arschloch bezeichne, mit einer sehr zierlichen Frau auf mich zu. Sie ist sogar einen ganzen Kopf kleiner als ich und damit ist der Mann neben ihr eineinhalb Köpfe größer als sie.

„Hallo Herr Löp“, grüßt sie mich und reicht mir die Hand hin. Ich weise sie mit meinen erdbeschmierten Händen ab und sie kichert mit der Hand vor dem Mund. „Ich heiße Clementine Aubert, ich bin Dolmetscherin.“ Mein verwirrter Blick reicht aus, damit sie mir erklärt, was das sein soll. „Ich rede nicht mit dem!“ Sofort übersetzt sie es und der Anzug verzieht überrascht das Gesicht. „Ja, ich meine sie, Herr Avocado!“ „Avocat!“, kommt er seiner Übersetzerin zuvor. „Haben sie etwas gegen Rechtsanwälte? Er heißt übrigens Bolut, nicht Avocat. Avocat ist französisch für Anwalt.“ Bei mir kommt eigentlich nur ''Bolut'' an.

„Er kannte ihren Vater.“ Jetzt wechselt mein verwirrter Blick zu ihr. Dumpf nehme ich wahr, dass er etwas sagt und mich in das Zimmer schiebt, in dem ich damals meinen Vertrag unterschrieben habe. Erst dort wehre ich mich gegen seine Hand und unterdrücke es gerade noch, dass ich ihn gegen Wand ramme. ''Bolut'', meldet mein Hirn genau in dem Moment, als ich es vorhatte. ''Ring'', findet mein eines Auge heraus. ''Ring und Bolut, Bolut und Biron Bolut, Eltern? ... dieses ''meine liebe Frau''-Dingens da?'' Mein Kopf schmerzt allmählich aber begreifen kann ich immer noch nichts.

„Sie sind alt.“ Mit Verwirrung wird es übersetzt. Nur ihn verwirrt es nicht. Er lacht und lässt sie antworten: „Er kennt ihren Vater aus dem Fernsehen und den Zeitungen. Deshalb wollte er auch immer Anwalt werden.“ Anzug richtet seinen Anzug und irgendwie flimmerte mir diese Geste vor dem inneren Auge auf.

„Setzen sie sich.“ Die Übersetzerin zieht mir einen Stuhl zurück und läuft noch einmal hinaus. Ihre klappernden Schuhe spüre ich wie Nadeln in meinem Gehirn. Avocado wiederholt die Worte, die ich nicht verstehe und geht um den Tisch herum zu dem bequemeren Stuhl. Ich weiß nicht, warum ich mich setze aber ich tus wohl. „Herr Löp“, nehme ich von ihm zur Kenntnis, alles andere versteh ich nicht. Das Klackern, der Schuhe kommt wieder näher. Sie bleibt hinter mir stehen und legt etwas auf den Tisch. „Nicht erschrecken, ich mache ihnen einen Verband um den Kopf.“ Als ich mich zu ihr wenden will, stoppt sie meinen Kopf in Blickrichtung zu dem Anocot. „Haben sie Probleme?“, übersetzt sie seine Worte. Wieder richtet er seinen Anzug und das Bild, dass ich eben hatte, bleibt mir ein wenig länger vor Augen.

Ich erkenne meinen Vater. Einen grauhaarigen Mann, mit faltiger Stirn, Höckernase und Dreitagebart. Seine Augenbrauen sind extrem buschig, verdecken den Leberfleck, den er über der linken Augenbraue hat.

Den Verband, der mir um den Kopf gelegt wird, merke ich eigentlich erst so richtig, als sie drei oder vier Bahnen gezogen hat. „Ist das in ihrer Wohnung passiert?“ „Bin auf einen Nagel getreten, der vom Bett übrig war, ausgerutscht und hingefallen.“ Ich warte, bis sie das übersetzt hat und füge an, dass ich nicht wieder auf der Arbeit fehlen wollte. Anhand seiner Reaktion stelle ich fest, dass ich ein wahnsinns guter Lügner bin. Plötzlich höre ich ein erschrockenes Keuchen hinter mir. Es ist Adalie. Scheiße! Krankenhaus.

„Es ist nicht so schlimm! Hab nur nicht aufgepasst.“ Kacke, das war absolut schlecht gelogen. Kein Krankenhaus! Ich stehe auf, werde aber bestimmend von vier Händen heruntergedrückt. Zwischen Adalie und Dion entsteht ein Streit, den aber hauptsächlich sie führt. „Temperament wie eine Italienerin“, kicherte die Dolmetscherin, die sich nun neben mich setzt und einen Hundeblick aufsetzt. Sie ist wirklich gut darin. „Lassen sie sich das ansehen. Es sieht heftig aus und ihnen ist nicht gut. Sie sehen wirklich sehr blass aus.“ „Kann Frau Biron Bolut bitte weiterhin Obdachlosen helfen?“ „Natürlich! Da müssten sie ihr aber beweisen, dass sich die Hilfe lohnt. Die Ärzte beißen nicht. Hörn sie, ich werde einen ... Rettungswagen kommen lassen. Dann fahre ich mit, als ihre Dolmetscherin. Kostenlos weil sie mir irgendwie sympathisch sind. Hmh? Wäre das was?“ In meinem Kopf befindet sich ein meterlanges Äh. Ich antworte ihr etwas Einsilbiges. Weiß aber nicht, ob ich bei einem Ja das J verschluckt hatte oder ein Hä mit fünfzig Äs geantwortet hatte. Alles ergibt irgendwie keinen Sinn.

Tatsächlich bleibt die Dolmetscherin bei mir. Betreut mich auch, nachdem ich operiert wurde und massiv Panik schiebe. Stundenlang redete sie auf mich ein, bis dann irgendwann die Beruhigungsmittel wirken. Insgesamt muss ich acht Tage bleiben. Dann werde ich am Abend von Adalie abgeholt. Sie muss kurz zuvor schon auf dem Zimmer gewesen sein, da die Sachen, die mir Dion geliehen hatte, auf dem Rücksitz liegen. Gerade trage ich ein weißes Hemd und kam mir lächerlich vor. Es passte nicht zu mir und ist auch viel zu groß aber meine eigenen Sachen hatte ich nicht gefunden. Ich vermute, dass sie in dieser Tasche sind.

„Okay? Nach Hause“, erklärt sie und lächelt bemüht. Die Sorge erkenne ich trotzdem und dass sie etwas ärgert, sehe ich auch. „Nur etwas müde“, antworte ich und mache das Symbol. Daraufhin nickt sie und steigt ein. „Hast du Hunger?“ Scheinbar hatte sie sich alles bereits im Vorfeld übersetzen lassen. Eigentlich habe ich keinen Hunger aber ich antworte trotzdem mit einem Ja. Es muss wohl ein Zeichen für meinen Magen sein, da dieser lautstark knurrt. Sie lacht. Immerhin löst das ihre Sorge und den Ärger. Auf der Fahrt erzählt sie mir, dass sie all meine speziellen Wünsche zu meiner Rose erfüllt habe. An Wünsche kann ich mich gar nicht erinnern. Allerdings erinnere ich mich auch nicht daran, dass sie mich besucht hatte. Die eigentliche Überraschung ist jedoch, dass sie an meiner Arbeits- und Wohnstelle vorbeifährt. Irgendwas stimmt nicht. Das merke ich vor allem weil sie neben dem Gebäude ein wenig beschleunigt. An sich hätte ich sie sehr gerne gefragt, doch traue ich mich nicht und schweige nun den Rest der Fahrt.

Unser Ziel ist die Gärtnerei. Als wir dort halten, kommt Dion gerade heraus. Er sagt etwas und grüßt mich dann. Seine Freundin erwidert etwas und zwingt mich meinen Arm um sie zu legen. Wieder geht etwas hin und her. Er lacht und scheint mich dann aufzufordern, mitzukommen. Da ich mit meinem Gleichgewicht Probleme habe, läuft er ziemlich dicht bei mir. Unbeschadet lande ich in einem Raum, den ich nicht kenne. Trotzdem sagt mir mein Innerstes, die Farbe hatte Ada gewählt und Dion die Einrichtung. Es war ein bisschen so, als wären zwei unpassende Welten aufeinander getroffen und hatten trotzdem eine Einheit gebildet. „Setzt dich“, befielt Ada, deren Nachkommen ich nicht bemerkt habe. Sie stellt die Tasche vor eine Tür, hinter der ich vermute, dass man da seine Kleidung waschen kann. Da ich mich immer noch nicht gesetzt habe, verlangt das ihr Mann wohl auch von mir. Deshalb versuche ich ohne zu fallen an den Tisch zu kommen.

Soll ich etwas kommentieren? Dion verschwindet in die Küche und Adalie scheint noch auf etwas zu warten. „Schön habt ihr es hier.“ Ach verdammt, sie verstehen es doch nicht. Hastig lehne ich das blöde Handy ab, das mir zum Übersetzen gereicht wird. Toll gemacht, jetzt hast du sie enttäuscht, blöder Kuno! So einfach lässt sie sich nicht abwimmeln. Mit eiligen Schritten geht sie um mich herum und streicht mir über den Rücken. Wahrscheinlich denkt sie, dass es mir nicht gut geht weil ich meinen Kopf stütze. Bevor sie aber etwas Weiteres machen kann, stellt mir der Anzug einen Teller unter die Nase. Danach bekommt auch sie einen und er geht erneut zur Küche zurück. Es ist selbst gekocht. Der Duft veranlasst mich dazu, dass ich es sofort probiere und es schmeckt fantastisch. Meinen Teller habe ich bereits leer, bevor er sich zu uns setzt. „Schmeckt es dir?“ Beide sehen fröhlich aus. Ich nicke, ohne zu begreifen, warum sie das so fröhlich macht. Nach einer gemütlichen Runde bringt er mich in den Keller der Gärtnerei. Sogar meine Rose bringt er mir noch runter. Einer von beiden scheint dem noch eine Schale mit Erdtöpfen hinzugefügt zu haben. Das allerdings habe ich verschlafen.

In den nächsten Tagen werde ich immer hochgeholt und abends wieder hinuntergebracht. Ich bekomme drei Mahlzeiten am Tag und darf diese immer mit ihr oder mit beiden verbringen. Er ist wirklich nett. Manchmal kommt er mir zwar so vor, als hätte er zwei Seiten aber trotzdem fühle ich mich bei den beiden wohl. Viel zu wohl, denn wenn ich ehrlich bin, ist das nicht mein zu Hause.

Es vergehen drei Wochen. Gerade als wir zu Ende gegessen haben, schaut er mich eigenartig an. Ich kann es nicht so recht deuten aber seine fröhliche Stimmung ist auf einmal weg. Da ich seinen Blick nicht ertrage, staple ich schnell die Teller. Doch es nützt nichts, denn nun macht er deutlich, dass er mit mir reden muss. Auf dem Weg ins Büro bekomme ich Angst. Was könnte er nur von mir wollen? Kurz nachdem wir das Büro betreten haben, folgt uns die Dolmetscherin Clementine. Sie grüßt mich fröhlich, setzt sich dann aber nervös auf den Stuhl, der neben mir stehen würde. Bevor ich mich allerdings setze, läuft er um den Tisch und setzt sich auf den Chefsessel. Die Stimmung ist nicht gut. Inzwischen fühle ich mich aber eher unwohl als ängstlich.

„War für diese schlimme Verletzung Antoine de la Cour verantwortlich?“ Meine verfluchte Reaktion antwortet schneller, als ich eine Lüge parat habe. Dion plumpst genervt gegen die Lehne. Obwohl er nur Adalies Namen fallen lässt, übersetzt mir die Dolmetscherin mehr. „Adalie möchte, dass sie ihn anzeigen.“ Diesmal schaffe ich die Reaktion vor meine eigentliche Verblüffung zu setzen. Ich schüttele hektisch den Kopf, was ich aber mit Schwindel bezahle. „Haben sie Angst vor ihm oder vor irgendjemand anderem?“ Letzteres betont er anders, aufdringlicher. „Hat nichts gemacht, war ich selbst! Ich möchte mich jetzt um meine Rose kümmern.“ Stellvertreten dafür nehme ich die Schale mit den Pflanztöpfen auf, in der Adalie Sämlinge meiner Rose ausgesät hatte. Scheinbar war es einer meiner seltsamen Delirium Wünsche gewesen. Zweieinhalb Zentimeter schauten die kleinen Rosen bereits heraus. Was schnell war, denn sie erklärte mir, dass Rosen aus Samen gezogen ewig brauchen würden.

„Laufen sie bitte nicht weg, Herr Löp!“ „Ich will nicht, dass Adalie jemandem böse sein muss!“, schießt es mir unkontrolliert über die Lippen. „Monster“, schallt es mir durch den Kopf. Ich hatte sie erschreckt. „Kuno!“, wird sie nun auch etwas harscher oder waren das meine Gedanken? Diesen Hundeblick beherrscht sie in Perfektion. „Dion möchte mit dir über deine Eltern sprechen.“ „Unfall“, korrigiere ich sie und merke, wie sich jetzt schon wieder mein Kopf der Sache entzieht. „Anschlag“, übersetzt sie und krampft mit ihrem Fingern. „Was weißt du noch darüber?“ „Über den Unfall?“ Meint sie jetzt Antoine? Ihre Übersetzung erinnert mich wieder an Dion. Mit dem Stuhl war er näher an den Tisch gerückt und seine Unterarme liegen jetzt auf der Tischplatte. Seine Mimik jedoch ist absolut kalt. Nichts zu sehen, keine Freude, kein Ernst, keine Sorge, nichts! „Warum?!“ Ich klinge ihm gegenüber irgendwie sauer. Allerdings warte ich nicht, bis er das Übersetzte vollständig erwidern kann und nehme wieder die kleinen Rosen auf. „Will nicht reden! Lasst mich!“

Beim Abwenden ramme ich mit dem Arm gegen den Türrahmen. Mein Gleichgewicht ist immer noch kaputt. Kaputt ist alles an mir. Warum sonst, kommen mir gerade jetzt die Sätze eines Albtaums in den Sinn. Ohne dass ich es richtig verstehe, nimmt er mir die Rosen ab und bringt mich auf den Stuhl zurück.

„Sie müssen nicht mit ihm reden.“ Soll das nicht eigentlich ihnen heißen? „Sie müssen auf ihren Kopf achtgeben, ihnen fehlt ein Stück des Knochens.“ „Balken!“ Keine Ahnung, warum ich das erwidere. „Meinen sie, dass sie einen Dachbalken a ... abbekommen haben?“ „Ins Gesicht. Hier.“ Ich deute meine entstellte Gesichtshälfte hinunter. Warum mache ich das? Clementine rückt unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ich mache ihr Angst.

„Es gibt Gerüchte, dass sie angegriffen wurden ... mit dem Dachbalken.“ Immer noch nicht wirklich bei Sinnen schüttele ich den Kopf, deute wieder meine entstellte Gesichtshälfte hinunter und sage „Peng.“ Dion wartet nicht und hängt sich ungeduldig über die Tischplatte. Kein Wort verstehe ich aber ich habe Bedenken, dass er mich gleich schüttelt. „Warum ist dein Interesse so groß, D?“ Meine Stimme ist zornig, obwohl ich nicht zornig, sondern völlig leer bin. Dion schnaubt verächtlich und geht zurück, um seinen Anzug zu richten. Jetzt spüre ich etwas und zwar, dass mich diese Geste unendlich nervt. Sie ist so eingebildet, nicht aufdringlich aber selbstverliebt. „Warum nennst du ihn D?“ Als wäre die Übersetzung von ihm gekommen, beuge ich mich jetzt über den Tisch. Leider zwinge ich ihn nicht vor Ekel zurück, das hätte mir wahrlich Freude bereitet. „Weil du das hier machst weil du für das Arschloch arbeitest. Ablenkst! Dabei will ich dieses kleine Dreckschwein gar nicht anzeigen. Hatte ich schon gesagt, D! ... “ Ich komme nicht weiter weil er mich mit „What is D?“ kalt überrumpelt. Keine Emotion, nichts! Ich verlasse den Tisch wieder und spüre meine Leere. „Was ist D?“, schwirrt mir seine Frage im Kopf herum.

Von der Dolmetscherin vernehme ich einen Laut, der aber von ihm ausgebremst wird. „Ich kümmere mich jetzt um meine Rose!“, sage ich und erhebe mich steif und langsam. Ich dulde jetzt keinen Schwindel und ich werde in meinen Keller gehen.

„Clementine“, sagt er plötzlich wieder freundlich und weist in ihre Richtung. Sie nickt. „Ich bringe dich.“ Bestimmend zieht sie meinen Arm an sich und hackt sich bei mir unter. Es ist anders als bei Adalie aber sie ist ja auch kleiner und lustiger von der Art. Ich mag sie. Sie ist nett.

Später bringt er mir meine Mutterrose runter. Er stellt sie ab, sieht mich kurz an und setzt sich dann zu mir an den Tisch. „Strafverteidiger“, sagt er und schiebt mir einen beschriebenen Zettel zu. „Kann ich nicht lesen“, brummle ich und schiebe es ihm wieder zu. Irgendetwas tut sich in seinem Gesicht. Doch kann ich es nicht deuten. Lieber gebe ich mich meinen folternden Gedanken hin, die gerade nicht mehr als ein nervtötendes Brummen sind. Sie wollen nur nerven und nicht verstanden werden. Darum brummen sie, wie Stimmen mehrerer Menschen. Während ich drifte, greift er in eine Tasche, die er dabei hat. Er holt dieses Dolmetscher-Handy heraus und legt es auf den Tisch. „Kann auch nicht schreiben!“, zische ich und schiebe es so, dass es in seinem Schoss landet. Erbärmlich muss ich dabei aussehen, wie ich mich einarmig auf den Tisch stütze und meine Schläfe der nicht hässlichen Seite massiere.

„Du kannst nicht lesen“, sagt das Handy. Ich nicke ausversehen. Nach dem Missgeschick nehme ich mir fest vor, ihn wie Luft zu behandeln. Jedoch erzwinkt er sich meine Aufmerksamkeit und hält sich dann ein Auge zu, als ich ihn ansehe. „Es liegt nicht an meinem Auge. Ich bin einfach nur doof.“ Irgendetwas betrachtet er unter dem Tisch. Nachdem er verstanden hatte, was ich gesagt habe, vermute ich, dass es das Handy war. Sprechen kann es ja schließlich auch. Er schiebt mir den Zettel zu und meint, dass ich es versuchen solle. Zuerst sehe ich das Papier, dann ihn an. „Kann ich nicht.“ Nach einem Blick unter den Tisch legt das verhasste Handy wieder auf den Tisch. „S“, spricht er ausnahmsweise einmal selbst. Dabei deutet er auf den Zettel. Aus irgendeinem Grund bin ich mir sofort sicher, dass er eine bestimmte Stelle meint.

Zu meinem Unfrieden bin ich neugierig und sehe es mir an. Ich erkenne aber nichts. „S“, sagt er erneut und tippt eindringlicher auf die Stelle. Er lässt nicht nach, bis ich das Wort erkannt habe. Morgen, meint er, wolle er Zeit finden, um mir das Schreiben beizubringen. Von dem Gespräch im Büro fängt er gar nicht mehr an. Das überrascht mich, denn irgendwie glaube ich, dass er das eigentlich will. Vermutlich liege ich damit aber genauso daneben, wie damit, dass sein Versprechen hohl ist. Tatsächlich sitzt er am Abend des nächsten Tages wieder hier, streng und unnachgiebig, bis ich das mitgebrachte Wort gelesen und sogar geschrieben habe. Er kommt immer wieder in unregelmäßigen Abständen und lässt nicht locker. Das imponiert mir und ich wusste gar nicht, dass ich auch solch einen Ehrgeiz habe.

Im Nu ist wieder Winter. Ich kann schon so gut lesen, dass ich den übersetzten Zeitungsartikel einwandfrei in nur wenigen Minuten hinter mich bringe. Bestimmt war es Absicht von Clementine, dass es um einen Anschlag auf ein Hotel ging, den nur ein kleiner Junge überlebt hatte. Ich! Derselbe Idiot, der im Krankenhaus Panik bekam und davonrannte. Mit einem irritierten, stolzen Lächeln sehe ich auf. Beide sind zu Frieden, sowohl mein strenger Lehrer als auch meine Arbeitgeberin, die gerade am Kochen ist. Seiner Gewohnheit folgend legte er nun das Übersetzer-Handy auf den Tisch und lässt nun das, was ihm übersetzt wurde, wieder in meiner Sprache vorlesen. Ich nicke.

„Später reden?“, frage ich und deute dabei auf Teller und Uhr. Danach mache ich mit der Hand ein Zeichen für Reden. Er nickt ebenfalls und grinst müde. Doch ich kann mich nicht zurückhalten. Überstürzt erzähle ich ihm von den Albtraumstimmen. Muss es noch einmal tun, da er das Handy erst zuhören lassen muss. Jemand, der Englisch sprach, sagte „Fuck ... D! Look! Eine französische Stimme, die Antoines ähnelte, erwiderte etwas mit Doktor. Nach meinem aufgeregten aussprechen verstehe ich, dass es die ganze Zeit Erinnerungen waren. Ich war in einem dunklen Raum aufgewacht, stand völlig neben mir und bemerkte, dass jemand hereinkam und das Licht einschaltete. Ich erinnerte mich an weiß und wie ich in Englisch „Fuck, D, look“, brüllte. Immer und immer wieder, bis ich wegrannte und immer noch genau das brüllte. Als würde ich wollen, dass dieser Text nicht vergessen wird, ihn irgendjemand hört und versteht.

Dion nickt nur halb interessiert, während er sich die Übersetzung anhört. Manche Dinge sind ihm anscheinend klar. „Ich habe die Adresse deiner Eltern bekommen“, berichtet das Handy unerwartet. „Deine Mutter hat geschrieben, dass du herzlich willkommen bist. Sie wartet auf dich.“ Meine Spucke bleibt mir im Hals hängen. Nicht einmal habe ich mir Gedanken darum gemacht, wie es meinen Eltern nach vierzig Jahren ergeht. Immerhin wussten sie die ganze Zeit nicht, ob ich noch lebe. „Wenn du bereit bist, wird Adalie dich hinfahren.“ „Nein!“ Ich springe auf. Bin total überfordert. „Warten!“, befehle ich und deute mit meinen Händen, dass er sitzen bleiben soll. Unsicher, was ich tun will, gehe ich dazu über aus dem Raum zu hasten. Vorlauter Eile falle ich die kurze Treppe runter, komme aber wieder zittrig auf die Beine.

Nach sieben Minuten stehe ich wieder bei ihnen in der Wohnung. Mein Gesicht ist nicht zu sehen, da ich eine Dezemberrose, wie ich sie nenne, vor mein Gesicht halte. Sie blüht hellblau, untypisch aber schön für eine Rose. Etwas zu fest, stelle ich sie auf den Esstisch und kann nun so Dions Überforderung und Adalies Überraschung erkennen. „Gefällt sie euch?“ Erst danach drücke ich auf die Aufnahme des Dolmetscherphons. „Gefällt sie euch? Ich möchte sie euch schenken.“ Noch immer antworten beide nicht, fast so, als würde ich ihnen einen Außerirdischen in Handschellen präsentieren. Ich lache und stoße ihn an. „Es ist deine Lieblingsfarbe und Adalie mag Rosen. Es ist wie eure Wohnung. Es passt einfach.“ Die Aufnahme hatte ich jetzt vergessen aber verstanden wurde ich im groben trotzdem. Sie umarmten mich und dieser Tag wurde damit zu meinem schönsten in meinem ganzen Leben.

Noch am selben Tag kehre ich zu meiner Mutter zurück. Ich nehme sie in den Arm, als sie nicht weiß, wie sie reagieren soll. Das wusste ich auch nicht aber ich war ein kopfloser Mensch, jemand der halt einfach nicht dachte, sondern fühlte. Auch hier bei meiner Mutter bekomme ich ein warmes zu Hause. Die Kälte, andere Menschen spüre ich oft aber ich weiß immer, dass ich ein Mann mit einem entstellten Gesicht, Gefühlen, Ehrgeiz, kindlichem Blödsinn und trocken Humor bin. In der Nähe meines zu Hauses baue ich eine Näherei auf, reise als Dolmetscher für sieben Sprachen umher und unterstütze einen Verein mit Therapietieren. Meine französischen Freunde und Familie vergesse ich nie.

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Autor

RhodaSchwarzhaars Profilbild RhodaSchwarzhaar

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Kurzbeschreibung

Warum blühen ihre geliebten Dornenbusch-Blumen nicht auch im Winter? Es macht sie traurig und das soll sie nicht sein. Ich werde ihr eine schenken! ... Nur ... ich habe kein Geld ... ich kann nicht lesen, nicht schreiben ... manchmal noch nicht mal denken! Ich bin undankbar.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Freundschaft auch in den Genres Drama, Entwicklung, Trauriges, Schmerz & Trost gelistet.