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Zwischen Himmel und Hölle Ebene Eins

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11.07.21 17:18
16 Ab 16 Jahren
Heterosexualität
In Arbeit

Autorennotiz

Hallo, dies ist mein neustes Werk.

2 Charaktere

Inessa

Inessa ist ein sehr zielstrebiges, lebensfrohes Mädchen. Sie ist sehr ehrgeizig und lernt viel. Denn bald steht ihre Abschlussprüfung bevor. Inessa liebt ihren Vater und Marlene, seine Verlobte. Die beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben neben der Familie, sind Michelle und Jérôme. Ihre engsten Freunde seid Kindheitstagen. Inessa verstirb bei einem tragischen Unfall und findet sich in der Seelenschmiede wieder. Ein Ort zwischen Himmel und Hölle.

Taryn

Taryn ist ein Anwärter der Hölle. Seit über Sechzig Jahren ist er in der Seelenschmiede gefangen. Denn seine Rivalin ist noch am Leben. Taryn ist im Herzen gut, doch sein Handeln hat seine Seele geformt.

Man sagt, wenn man stirbt, kommt man in den Himmel oder in die Hölle. Es heißt, wenn die Seele rein ist, fährt man hinauf. Ist die Seele jedoch beschmutzt, fährt man hinab. Doch so einfach, ist es nicht. Wenn man stirbt, erscheint kein Heller Tunnel. Kein gleißendes Licht. Es wartet auch kein Fährmann auf jemanden. Kein Styx der überquert werden muss. Auch kein Tor. Nichts. Dies durfte ich am eigenen Leib erfahren. Besser gesagt, stecke ich mittendrin.

Aber beginnen wir ganz am Anfang. Als alles noch in Ordnung war. Als ich noch ein ganz normales siebzehn Jahre altes Mädchen war. Welches sich über den Tod und seine Folgen keinerlei Gedanken machte. 

 

Es war einer der lauen Frühlingstage. Jene die man sich sehnlichst nach einem langen kalten Winter herbei wünschte. Die ersten Blumen sprießten bereits. Die ersten Insekten waren erwacht. Schmetterlinge und Bienen flogen von Blüte zu Blüte. Sammelten den ersten Nektar ein. Ich sah mir das immer gerne an. Die Natur entschleunigte mich von meinem Abi Stress. Es waren nur noch wenige Wochen bis zum Abschluss. Dies würde ich noch gerade so verkraften können. Ich lümmelte mit einem meiner vielen Lehrbücher auf meinem Bett herum. Wünschte mich nach draußen, in die Natur. Genervt versuchte ich, mir die letzte Passage in den Kopf zu hämmern. Doch er war bereits rand voll. Stöhnend ließ ich mich nach hinten fallen. Starrte an die Decke. Ich benötige eine Auszeit. Dringend. Der Nachrichtenton meines Handys, zauberte mir umgehend ein lächeln ins Gesicht. Dies konnte nur Michelle oder Jérôme sein. Meine zwei engsten Freunde und das schon seit dem Kindergarten. Es lag wohl auch daran, dass unsere Eltern immer schon befreundet waren. Was bedeutete, dass wir sehr viel Zeit gemeinsam verbrachten. Ich schnappte mir mein Telefon und zwirbelte eine meiner blonden langen Strähnen zwischen meinen Fingern. Das tat ich immer, wenn ich leicht aufgeregt war. Es war Jérôme. 

 

Leg deine Bücher weg. Wir sind in zehn Minuten da. Bist du nicht fertig, wird Michi dich entführen. Keine Widerrede.

 

Grinsend sprang ich von meinem Bett. Einen Moment lang verharrte ich. Natürlich waren meine Abschlussprüfungen mir wichtig. Doch hin und wieder war es auch mal schön, etwas zu unternehmen. Vor allem an einem so schönen Tag, wie heute. Also schloss ich mein Buch und schnappte mir meine Lieblingsjeans. Ein kurzer Blick in den Spiegel folgte. Ich band meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Meine grünen Augen funkelten vor Aufregung. Schminken würde ich mich nicht. Ich besaß auch so gut wie gar kein Make up. Ich war eher der natürliche Typ. Ein Spritzer Parfum, das sollte genügen. Zufrieden nickte ich und schnappte mir meine Weste . Ich riss die Tür auf und polterte die Stufen hinab. Dad saß mit Marlene in der Küche. Wie immer waren sie in eine Partie Schach vertieft. 

 

„Hey Dad, Jérôme und Michi kommen mich abholen. Ist es okay, wenn ich ein wenig Zeit mit ihnen verbringe?", fragte ich und lehnte mich an den Türrahmen.

 

Mein Dad kratzte sich an seinem ergrauten Bart. Man sah ihm an, wie sehr die letzten Jahre an ihm nagten. Seit meine Mutter uns verlassen hatte. Ich war ihr nicht böse deswegen. Sie hatte eben jemand neues kennengelernt. Richard war ihr wichtiger gewesen als Dad und ich. Ich konnte damit leben. Mein Dad, verstand dies nicht. Er hatte alles versucht um sie zu halten. Beinahe wäre er daran zerbrochen. Doch Marlene hatte ihn aufgefangen. Ich mochte sie sehr gerne. Wir verstanden uns auf Anhieb gut. Für mich gehörte sie bereits zur Familie. Sie war schon jetzt mehr Mutter, als meine es jemals war. 

Dad blickte nicht auf. Denn er war der festen Überzeugung, dass Marlene schummelte. Sobald man ihr für eine Sekunde keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich fand das sehr lustig. Denn Dad verlor so gut wie immer.

 

„Bist du denn fertig mit lernen?", nuschelte er gedankenverloren und zog den Springer.

 

Das diese Frage kommen würde, war mir vorher schon klar. Dad wollte, dass ich einen guten Abschluss machte. Das wollte ich ja auch.

 

„Ich benötige eine Auszeit. Mein Kopf ist so vollgestopft, das er droht zu explodieren. Komm schon Dad. Nur für ein paar Stunden. Bitte", zog ich das letzte Wort dramatisch in die Länge. Woraufhin Marlene lächelte.

 

„Leon, ein paar Stunden sind entbehrlich. Inessa lernt so viel. Und heute ist der erste schöne Tag. Sei nicht so hart", half mir die Verlobte meines Vaters und zwinkerte mir verschwörerisch zu. 

Was mir umgehend ein Lächeln auf meine Lippen zauberte. 

 

„Na schön. Aber stellt nichts dummes an. Hast du gehört Inessa. Beim letzten Mal hatte das eine Woche Hausarrest zur Folge. Ihr zieht Ärger magisch an. Vor allem Jérôme. Er ist unkontrollierbar", brummte er, den Blick stur auf das Brett gerichtet.

 

Ich wusste worauf er hinaus wollte. Jérôme wollte unbedingt Fußball spielen. Natürlich haben Michi und ich mitgespielt. Wir hätten auf einen dafür vorgesehenen Platz gehen sollten. Doch wir spielten am Einkaufszentrum. Es war ein Sonntag und der Parkplatz war wie ausgestorben. Leider hat Jérôme mit seinem Schuss, eines der vielen Fenster zerbrochen. Natürlich haben Michi und ich auch Ärger bekommen. 

 

„Ja Dad, wir werden nur die ersten Sonnenstrahlen genießen. Unten am Pier. Einfach nur die Seele baumeln lassen. Entschleunigen", gab ich augenrollend von mir. War aber froh, dass er es nicht gesehen hatte. 

 

„Dann bis später liebes. Ich vertraue auf deinen Verstand", nickte er und Marlene zwinkerte mir erneut zu. 

 

Erleichtert, mit einem Lächeln auf den Lippen wandte ich mich um. Gerade als ich zur Tür hinaus schritt, sah ich Jérôme's Geländewagen in die Straße einbiegen. Sein altes klappriges Ding, war sein ganzer Stolz. Er hatte ihn von seinem Großvater geschenkt bekommen. Jérôme war ein Jahr älter als Michi und ich. Deshalb nannten wir ihn auch liebevoll unsern Taxifahrer. Als er anhielt, warf Michi mit einen erstaunten blick zu. Sie sah wie immer fantastisch aus. Ihr schwarzer Bob war ordentlich gestylt. Das rot ihrer vollen Lippen stach jedermann umgehend ins Auge. Michi war eine Perfektionisten. Ihre Kleidung war farblich abgestimmt. Je nachdem wie sie ihre Nägel lackiert hatte oder welchen Lippenstift sie trug. Ihre blauen Augen hob sie mit Lidschatten hervor. Sie war außerordentlich hübsch. Jérôme war der typische Nerd. Aber gutaussehend. So wie Peter Parker. Er war groß gewachsen, dunkelhäutig und schlank. Auch ein paar Muskeln hatte er sich den letzten Wochen antrainiert. Jérôme war eben sportlich. Davon könnte ich mir eine Scheibe abschneiden. Nicht das ich kräftig wäre, aber Sport war einfach nicht mein Ding. Ich hatte schon Probleme, nicht beim gehen über meine eigenen Füße zu stolpern. 

 

„Mal wieder über pünktlich. Oder hattest du etwa Angst, ich würde Jérôme's Drohung wahr machen?", grinste Michi über beide Ohren. Zwinkerte mir jedoch zu.

 

„Als ob ich vor dir Angst hätte", lachte ich und warf ihr einen Kussmund zu. 

 

Michi konnte zu einem wahren Biest werden. Jedoch war sie mir gegenüber selten zickig. Außerdem kam ich damit klar. Meist war ich ihre einzige Anlaufstelle. Wenn ihr mal wieder etwas die Suppe versalzt hatte. Nicht jeder kam mit ihrer offenen, direkten Art zurecht. Michi sagte stets was sie dachte. 

 

„Steig schon ein Bücherwurm. Oder bist du hier festgewurzelt?", klopfte Jérôme auf den Platz neben dem seinen. 

 

Jérôme fand, dass ich viel zu viel lernte. Eigentlich fanden das beide. Er war auch der Meinung, dass ich das überhaupt nicht nötig hatte. Meine Noten waren auch ohne lernen sehr gut. Doch ich war eben ehrgeizig. Gut war für mich nicht gut genug. Ich stieg ein und legte den Haltegurt an. Dann fuhren wir los.

 

„Sascha wird übrigens auch da sein. Er hat nach dir gefragt", schrie Michi über den Gesang von Kurt Cobain hinweg. 

 

Augenrollend wank ich ab. Sascha konnte mir gestohlen bleiben. Ich hatte ihn gestern in Joesy's armen gesehen. Von wegen er mag mich. Er war nur auf Beutefang. Da war er bei mir genau richtig. Ich konnte eiskalt sein. Gerade wenn jemand versuchte, mich emotional zu verletzen. 

 

„Schön für ihn. Sascha kann mich mal kreuzweise", schrie ich zurück und erntete fragende Blicke von beiden. 

Ich schwärmte seit geraumer Zeit von Sascha. Erstaunlicherweise war er auch von mir nicht abgeneigt. Flirtete offensiv mit mir und mir gefiel es. Natürlich hatte ich mich meinen zwei engsten Freunden anvertraut. Wir hatten keinerlei Geheimnisse vor einander. 

 

„Ich habe ihn wohl in Joesy's arme getrieben. Anscheinend hat es ihm zu lange gedauert", erörterte ich den beiden und blickte aus dem Fenster. 

 

„Dann ist er noch dümmer, als ich gedacht habe", gab Jérôme von sich.

„Gerade dieses Miststück?! Ich hatte gleich den Eindruck, dass sie auf ihn steht", fügte Michi noch hinzu.

 

Ich würde lügen, wenn es mir nichts ausmachen würde. Doch bei mir hatte er nun verspielt. Heute würde er mit der Eiskönigin Bekanntschaft machen.

 

„Alles halb so wild Leute. Ihr kennt mich doch", grinste ich Schulterzuckend. 

 

Jérôme bog zum Navy Pier ab. Dort hielten wir uns oft auf. Es war einer der schönsten Orte hier in Chicago. Wenn er nicht gerade von Touristen überrannt wurde. Der Parkplatz war noch relativ leer. Gut für uns. Jérôme parkte seine alte Klapperschüssel und wir stiegen aus. Umgehend traf mich die sanfte Meeresprise. Lächelnd schloss ich meine Augen und genoss diesen Moment. Es war das erste mal für dieses Jahr, dass wir hier waren. 

 

„Erde an Inessa. Kommst du nun mit oder willst du hier am Auto wache schieben?",hob Michi meinen Pferdeschwanz hoch und ließ ihn wieder fallen.

 

Jérôme drängte sich zwischen uns, legte uns seine Arme um die Schultern. 

Das tat er immer. Er zeigte sich gerne mit Michi und mir. Dies schien sein Selbstbewusstsein zu steigern. 

 

„Ich wollte nur diesen Moment genießen. Immerhin ist es das erste mal für dieses Jahr", grinste ich und ließ mich von Jérôme mitschleifen. 

 

Es war eine gute Idee gewesen, herzukommen. Wir schlenderten über den Pier, bis hin zu unserm Lieblingsplatz. Dort saß Sascha mit einer Gruppe Jungs. Einige von ihnen kannte ich vom sehen. Natürlich wies ich ihm die kalte Schulter. Er hatte verspielt. Natürlich versuchte er Blickkontakt herzustellen. Genauso wie er versucht hatte, mit mir zu reden. Doch ich ignorierte ihn einfach. Irgendwann ist er dann angesäuert gegangen. Ich grinste, doch innerlich tat es mir leid. Ich mochte ihn wirklich. Aber er wollte mich nicht, sowie ich ihn wollte. 

 

„Du bist so kalt wie Alaska", tadelte mich Jérôme lachend.

 

„Das ist er selbst schuld. Ich bin eben keine Beute. Du weißt darauf reagiere ich allergisch", wandte ich mich ihm zu. 

 

Das ich so reagierte, da war wohl auch meine Mutter dran schuld. Immerhin hatte sie uns verlassen. Für einen anderen Kerl. Ich hatte das altmodische Bild vor meinen Augen. Der Mann an meiner Seite, sollte mein erster und auch der einzige sein. Mich Lieben und Ehren, bis der Tod uns scheidet. So und genau so sollte es bei mir ablaufen. Bisher waren alle Männer leider genau das Gegenteil. Also war ich vorsichtig und sparte mir meine Jungfräulichkeit auf. 

 

Hätte ich vorher schon gewusst, was bald geschehen würde, hätte ich die letzten Tage voll ausgekostet. 

 

Jedenfalls wirkte Michi irgendwie zerknautscht. Etwas muss sie aufgebracht haben. Ich merkte ihr an, wenn ihre Lust und Laune in den Keller fiel. Jérôme tauschte einen wissenden Blick mit mir aus. Auch er hatte es bemerkt. Wir entschieden uns zu fahren. Ich hatte die ganze Zeit über ein flaues Gefühl. Schob es auf die Sterbenden Schmetterlinge in meinem Bauch ab. Die Rückfahrt war schweigsam. Jeder war in seine Gedanken versunken. Kurz vor unserer Kreuzung schwoll dieses flaue Gefühl an. Wie ein Stein lag es mir im Magen. 

 

Plötzlich ging alles ganz schnell und doch war es, als hätte jemand die Zeit angehalten. Ein lauter Knall, woraufhin das Auto sich zu drehen begann. Mein Herz hämmerte wie eine Abrissbirne. Ich wusste nicht was geschah. In Sekundenbruchteilen sah ich wie die Scheiben zerbarsten. Spürte wie sich der Gurt tief in meine Schulter Schnitt. Unsanft wurden wir umher geschleudert. Pure angst hinderte mich daran zu schreien. Mein Mund war offen, doch kein Ton brachte ich zustande. Ich wusste nicht mehr was oben und was unten war. Meine Orientierung war in diesem Durcheinander verloren gegangen. Auch hörte ich nicht einen einzigen Laut. Nichts. Stille. Als das Auto zum stehen kam, blickte ich nach rechts und sah den Lastwagen, welcher mit qualmenden Reifen auf uns zu schlitterte. Voller Angst riss ich meine Augen auf. Versuchte den Gurt zu öffnen. Doch ich zitterte so stark, dass ich ihn nicht greifen konnte. Adrenalin durchflutete meinen Körper. Entsetzt wandte ich mich Jérôme zu, er wahr weggetreten. Michi schrie wie am Spieß. Der Lastwagen kam immer näher. Ein Treffen war unvermeidbar. In diesem Moment wurde mir klar, dass ich unter Umständen sterben könnte. Ich hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht. Als ich plötzlich mit voller Wucht herausgeschleudert wurde.

Verwirrt blickte ich mich um. Halluzinierte ich etwa? Meine Hände bewegten sich an meinen Körper entlang. Alles war an Ort und stelle. Auch verspürte ich keinerlei Schmerzen. Wo war ich hier? Eben noch saß ich in Jérôme's Klapperkiste. Mein Herz raste so schnell, dass es zu kollabieren drohte. Angst stieg empor und ich war nur noch einen Hauch von einem Nervenzusammenbruch entfernt. Der Unfall. Wir hatten einen Unfall. War dies das Krankenhaus? Ein heller leerer Raum eröffnete sich vor mir. Keine Fenster. Nur künstliches kaltes Licht. Keine Tür. Zumindest keine die ich sah. Ich war alleine. Völlig alleine. Mir lief es eiskalt den Rücken hinab. Tausende Gedanken flogen mir durch den Kopf. Lag ich in einer Narkose? Oder gar im Koma? Oder war es einer dieser seltsamen Träume? In denen man gefangen war? Ich zwickte mich selbst in den Arm. Ein seltsames Gefühl wurde frei gesetzt. Es war kein Schmerz, eher eine stumpfe Berührung. Ein taubes Kribbeln. Ich vernahm ein Geräusch. Ängstlich hielt ich inne. Lauschte meinem Atem. Langsam wandte ich mich um. Vor mir wirbelte Nebel auf. Erst ganz langsam. Doch er nahm kontinuierlich zu. Ungläubig und mit geweiteten Augen, schritt ich zurück. Was geschah hier? Aus dem Augenwinkel erkannte ich eine weitere Bewegung. Unmittelbar an meiner linken Seite. Ein weiterer Nebelwirbel manifestierte sich. Entsetzt stellte ich fest, dass diese beiden nicht die einzigen waren. Vier weitere gesellten sich hinzu. Mein Herz schlug derweil so unkontrolliert schnell, dass mir schwindelig wurde. Keuchend schritt ich immer weiter zurück, bis ich die Wand im Rücken spürte. Als die Nebel sich verzogen, traute ich meinen Augen nicht. Dies konnte nur ein Traum sein. Ich erschrak fürchterlich. Vor mir standen plötzlich sechs Personen. Welche genauso ungläubig und ängstlich umhersahen. Die stille in diesem Raum war erdrückend. Niemand sagte auch nur ein Wort. Wie waren sie hier her gekommen? Kamen sie durch den Nebel? Was war das hier für ein Ort? Umgehend fiel mir ein altes Videospiel ein. Silent Hill. Dieser Gedanke verschaffe mir eine Gänsehaut. War ich in einer anderen Dimension gelandet? Bestünde die Möglichkeit, einen Übergang gefunden zu haben? Ängstlich beäugten wir uns. Immer noch schweigend. Ein Mädchen, mit langen roten Haaren wog ihren Kopf im Takt hin und her. Dann manifestierte sich ein weiterer Nebelwirbel. Schnell und kontinuierlich. Was zur Folge hatte, dass alle anwesenden sich diesem Wirbel zuwandten. Als der Nebel sich verzogen hatte, stand ein älterer Herr mit braunem Haar vor uns. Er trug eine Art schwarze Tunika. Welche mit goldenen Verzierungen bestickt war. Seine Füße steckten in schwarzen Sandalen. Sein Blick war freundlich, doch seine Gesichtszüge waren markant. Beinahe schon hart. Seine Grünen stechenden Augen schien jeden einzelnen von uns zu fixieren. In seiner Hand hielt er eine steinerne Tafel. Der alte Mann zog seine buschigen Brauen kraus und öffnete den Mund. 

 

„Ich heiße euch alle in der Seelenschmiede willkommen. Mein Name ist Noah und ich werde euch unterweisen. Euch euren Einstieg hier erleichtern. Ich weiß es ist verwirrend, aber ich werde euch all eure Fragen beantworten. Wer von euch ist Inessa?", sprach er mit heller engelsgleichere Stimme und blickte auf seine Tafel hinab.

 

„Das bin ich", hauchte ich und hob zittrig meine Hand.

 

Mein Herz verkrampfte sich ununterbrochen. Alle Blicke lagen auf mir. Erdrückten mich. Ich verstand einfach nicht was hier geschah. Was war denn eine Seelenschmiede? Mein Kopf pulsierte kribbelnd. 

 

„Würdest du mir bitte folgen", lächelte Noah mich an und wandte sich von uns ab. 

 

Er ging einfach auf die Wand zu. Mit weichen Knien schritt ich an den anderen vorbei. Keine Ahnung was nun auf mich zu kam. Am liebsten wäre ich davon gelaufen. Doch wo wollte ich hin? In einem Raum welcher nur aus Wänden bestand. Als Noah bemerkte, dass ich hinter ihm war, schritt er einfach durch die Wand hindurch. Ungläubig starrte ich auf diese Wand direkt vor mir. Was war da gerade geschehen? Ängstlich hob ich meine Hand und streckte sie aus. Wie durch Zauberhand, drang meine Hand einfach hindurch. Als wäre diese Wand überhaupt nicht da. Erschrocken zog ich sie zurück. Erneut verkrampfte sich mein Herz. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Atmete tief ein und schritt hindurch. Es war ein seltsames Gefühl. Wie wenn man durch einen seidenen Vorhang schritt. Ganz vorsichtig und langsam öffnete ich meine Augen. 

Ein weiterer Raum mit künstlichem kalten Licht empfing mich. Vor mir stand ein kleiner Tisch und ein Stuhl. Noah saß gegenüber und blickte mich wartend an. Dies konnte nur ein Traum sein. Wie sonst hätte ich durch eine Wand schreiten können? 

 

„Würdest du dich bitte setzten Inessa", riss mich Noah aus meinen Gedanken.

 

Vorsichtig ging ich seiner Bitte nach. Setzte mich ihm gegenüber. Angespannt. Verkrampft. Keine Ahnung was mich nun erwartete. Ich hoffte ich würde aufwachen. Doch dies geschah nicht. Stattdessen begann der alte Mann zu reden.

 

„Ich möchte das du mir genau zuhörst Inessa. Du hattest einen Unfall. Bei diesem Unfall bist du gestorben. Du bist einer der wenigen, die ausgewählt wurden. Das ist ein Privileg. Nur wenige dürfen die sieben Ebenen meistern. Aber dazu später mehr. Hast du das soweit verstanden?", sprach Noah ruhig und sachlich. 

 

Dennoch brannten bei mir gerade alle Sicherungen durch. Hatte er gerade gesagt ich bin gestorben? Tod? Ich wurde auserwählt? Wofür? Und was faselte er von wegen Privileg? Ich war tot! Was daran war bitte ein Privileg?! In mir tobte ein Wirbelsturm der Gefühle. Mein Dad. Ich würde ihn nie wieder sehen können. Oder Marlene, oder Michi und Jérôme. Waren sie noch am leben? Ich war noch viel zu jung. Hatte mein ganzes Leben noch vor mir. Dies war nun mit einem Wimpern Schlag beendet. Ich würde nie wieder die Vögel hören. Nie wieder den Wind und die Gicht in meinem Gesicht spüren. Ich würde keine eigene Familie haben. Keinen Partner der mich liebt. Ich war als Jungfer gestorben. Ich durfte mein Leben nicht leben. Es war so ungerecht. Aber wenn ich tot war, warum fühlte ich? Warum? 

 

„Wenn ich tot bin, warum fühle ich? Warum bin ich noch hier? Denke? Ich... ich habe deine Worte verstanden, doch verstehen tue ich nicht", fiepte ich Noah an. Welcher noch immer ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen trug. 

 

„Es ist so, dass gewisse Seelen, wie die deine, aus purer Reinheit bestehen. Jene reine Seelen gelangen erst hier her. In die Seelenschmiede. Genauso auch jene Seelen, welche schmutziger sind, als alles was du dir vorstellen kannst. Seelen fühlen, alles. Auch wenn das Gefühl nicht ganz so intensiv ist. Das denken, deine Persönlichkeit, dein Handeln, alles ist an deine Seele gebunden. Mit der Zeit wirst du verstehen, wie das alles funktioniert", führte er seine Erklärung fort. 

 

Was auch immer das alles bedeuten sollte. Für mich war das alles hier, nicht real. Ein Alptraum. So musste es sein. 

Reine Seelen, beschmutzte Seelen. War das hier der Himmel? Oder gar die Hölle? Das alles gab es überhaupt nicht. Dies wurde seit Jahrtausenden den Menschen gepredigt. Glauben. Religionen. Doch es gab kein Paradies. Zumindest glaubte ich nicht an diese Ammenmärchen. 

 

„Ist das hier etwas das gelobte Land? Der Himmel, das Paradies?", flüsterte ich mit pochendem Herzen. Obwohl ich keines mehr haben sollte.

 

„Nein Inessa, dies ist die Vorstufe von Himmel und Hölle. Dies Seelenschmiede befindet sich genau dazwischen. Bestehend aus sieben Ebenen. Wenn du alle Ebenen gemeistert hast, steht es dir frei, hinaufzufahren. Ins gelobte Land, wie du es nanntest. Es gibt gewisse Dinge, Aufgaben, welche du erledigen musst", lächelte Noah, wobei er zum Schluss hin ernster wurde.

 

„Natürlich kann auch deine Seele sich umformen. Je nachdem wie du entscheidest. Wenn du hier in den Ebenen verweilen möchtest, spielt es keine große keine Rolle. Doch achte auf dein Handeln, lass nicht zu, dass deine Seele die Dunkelheit aufsaugt", fügte er leise hinzu.

 

Ich verstand das alles immer noch nicht. Es gab Himmel und Hölle und irgendwas dazwischen. Dort war ich nun. Ich sollte Aufgaben erledigen? Damit ich in den Himmel fahren konnte? Das war einfach zu grotesk. Ich dachte das Leben bestünde nur aus Aufgaben und danach hätte man es endlich geschafft. Ich steckte hier fest und meine Entscheidungen hier, formten meine Seele zu, Ja zu was? Gut oder Böse? Engel oder Dämon? Das war verrückt. Erneut zwickte ich mir in den Arm. Das selbe Taube kribbeln explodierte an dieser Stelle und breitete sich auf meinem Arm aus. Ungläubig wog ich ganz sanft meinen Kopf.

 

„Mein handeln ist entscheidend für meine Seele?", gab ich ganz leise von mir.

 

„Nicht ausschließlich. Dein Handeln ist entscheidend für alle Seelen, welche du berühren wirst. Du lenkst die Seelen. Am Ende wird sich herausstellen, welcher Boss die Seele erhält. Der da unten oder der da oben. In der Eingewöhnung wirst du verstehen, wie genau dies funktioniert. Was deine Aufgaben sein werden. Ich weiß dies ist alles sehr schwer zu verstehen. Aber das wirst du, versprochen. Wenn du nun bitte dies an dich nehmen würdest. Gehe einfach hier durch. Dort wartest du auf weitere Anweisungen", sprach Noah und übergab mir ein in Stoff zugeschnürtes Päckchen. 

 

Fragend blickte ich in meine Hände. Ich stand zitternd auf. Noah war ebenfalls aufgestanden. Er schritt zurück in den Raum, wo auch ich zuvor gestrandet war. Ich wusste immer noch nicht, ob dies real war. Dennoch kam ich seiner Bitte nach. Ich schritt wie eben, durch die Wand. Erstaunt blickte ich mich um. Mein Herz wog Tonnen. Dieser Raum war eine exakte Nachbildung meines Zimmers. So wie ich es heute Mittag verlassen hatte. Wie konnte das sein? Träumte ich doch? Mein übervolles Bücherregal. Der Anthrazitfarbene Teppich mit den schwarzen Blüten. Sogar meine Lehrbücher lagen auf meinem Bett. Langsam schritt ich weiter. Ich musste mich vergewissern, ob dies real war. Kein Gespinst meiner Gedanken. Also fuhr ich mit meiner Hand über meine Decke. Berührte sie. Ich konnte sie eindeutig erfühlen. Zwar breitete sich erneut dieses kribbeln aus. Aber das hier war tatsächlich real. Mein Blick fiel auf die Tür. Ich legte das Paket auf mein Bett und ging ohne zu zögern zur Tür. Mein Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell. Mit zittriger Hand umschloss ich den Türknauf. Drehte ihn ganz langsam. Zu meinem Erstaunen öffnete sich die Tür. Sie gab den gleichen knirschenden ton von sich, wie sonst auch. Doch als ich hinaus blickte, war dort nicht der kleine Flur. Keine Fotografien hingen an den Wänden. Er sah eher aus wie einer der Räume zuvor. Künstliches kaltes Licht und etliche Türen. Mit einem Ruck schlug ich die Tür zu. Wandte mich um. Mein Blick erfasste das Fenster. Erneut verspürte ich mein pumpendes Herz. Eilte durch die Kopie meines Zimmers, bis ich am Fenster zum stehen kam. Nun war ich mir sicher. Dies war nicht mein Zuhause. Draußen erstreckte sich eine bunt gemischte Siedlung vor mir. Enge Gassen, Häuser in allen Farben und Größen. Vorgärten und ein Marktplatz waren zu erkennen. Zudem war dort einiges los. Ich stand noch eine ganze Weile am Fenster. Verfolgte das Geschehen in den Gassen, ehe ich mich wieder abwandte. Ich hatte das Gefühl weinen zu müssen, doch keine Träne, kein einziges Tröpfchen bahnte sich an die Oberfläche. Noch nie hatte ich mich so alleine gefühlt. Verlassen. Ich nahm das Paket und öffnete es. In meinen Händen hielt ich ein Gewand. Es schien aus reinster Seide zu bestehen. Ein weißer, fließender Stoff. Mit wunderschönen goldenen Ornamenten, welche sich zu wandeln schienen. Fasziniert begutachtete ich dieses Stück Stoff. Es glich kein bisschen der Tunika, welche Noah trug. Auch ein paar Sandalen, ebenfalls in weiß erblickte ich. War dies fortan die letzte Kleidung die ich tragen würde? Ich hoffte noch immer, dass ich einfach aus diesem Alptraum erwachen würde. Doch dies geschah nicht. Ich stand eine Ewigkeit vor meinem Bett. Hielt das Gewand in meinen Händen. Sah den Ornamenten zu. Dachte an meinen Dad, Marlene, Michi und Jérôme. Das ich sie wohl nie wieder sehen würde. Doch vielleicht konnte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass sie es nicht allzu sehr mitnahm. Ihnen Mut und Kraft spenden. Ihre Seelen berühren. Vorausgesetzt, Jérôme und Michi waren noch am Leben. Dieser Gedanke riss mich in ein tiefes Loch. Darüber hatte ich zuvor nicht nachgedacht. An den Unfall selbst, hatte ich kaum Erinnerungen. Ein paar Bruchstücke, mehr nicht. Jérôme, regungslos neben mir. Michi, die schrie und der Lastwagen, welcher auf uns zukam. Ich musste in Erfahrung bringen, ob sie noch lebten. Ich hoffte inständig, dies wurde mir gestattet. Kraftlos setzte ich mich auf mein Bett. Ahnungslos, wie lange ich hier verharren sollte. Was auf mich zukam.

Allmählich wurde ich ungeduldig. Ich saß noch immer auf meinem Bett. Zumindest sah es aus wie das meine. Keine Ahnung wieviel Zeit vergangen war. Wie lange ich hier schon saß und in meinen Gedanken schwelgte. Das Gewand in meinen Händen ließ in konstanten Abständen einen sanften Impuls los. Es setzte ein kribbeln frei, welches sich über meinen gesamten Körper ausbreitete. Das Gefühl war angenehm, friedvoll. Irgendwie beruhigte es mich. Vermittelte mir, dass alles gut war. Das ich mich nicht sorgen musste. Der Drang dieses Gewand anzulegen, wuchs. Ich verharrte noch wenige Augenblicke. Wägte ab. Es war beinahe schon wie ein Zwang. Die Ornamente formten sich immer schneller, der Impuls wurde stärker. Ich hatte genug nachgedacht. Innerhalb weniger Sekunden, stand ich auf meinen Füßen. Entledigte mich meiner Kleidung und schlüpfte in das Gewand. Ein Gefühl von Freiheit. Sanft legte sich die Seide auf meine Haut. Beruhigend. Umgehend fühlte ich mich besser. Es war, als wäre alle Last von mir genommen worden. Mit einem Lächeln im Gesicht, zog ich die Sandalen an. Kaum hatte ich dies getan, umgab mich ein sanfter Hauch. Ich spürte eine leichte brise. Erneut schritt ich zum Fenster, blickte hinaus. Solche Farben hatte ich zuvor noch nie erblickt. Fasziniert und mit pochendem Herzen folgte ich den Farben der vielen jungen Leute. Es war eine Art Aura. Oder war dies das leuchten der Seelen? Von sanftem Grün über Pastell gelb, bis hin zu tiefem rot waren alle Farben vertreten. Umgehend blickte ich auf meine Arme hinab. Auch mich umgab diese leuchten. Es war ein strahlendes warmes Licht. Leicht bläulich, jedoch wunderschön. Das kribbeln zog sich zurück, stumpfte ab. Auf dem Schreibtisch neben mir gab es ein Geräusch, was mich erschrocken zusammenfahren ließ. Umgehend wandte ich mich diesem zu. Dort wo vorher nichts zu sehen war, lag nun ein kleines zusammengerolltes Pergament. Aufgeregt nahm ich es in meine Hände. Es sah aus, als wäre es uralt. Und so fühlte es sich auch an. Es war leicht angeraut und gelblich, nich weiß. So wie das Papier, welches ich kannte. Zudem war es nicht akkurat, sondern ungleichmäßig. Wellig. Als wäre es von Hand gemacht worden. Neugierig rollte ich es auf.

 

Name: Inessa Baker, siebzehn aus Chicago. 

Seelen Status: Rein, unbefleckt.

Gabe: Unbekannt

Gruppe: Noah Maél 

Zuteilung: Unbekannt 

Ebene: Eins.0

 

Das Geschriebene sah aus, als würde es aus reinem Licht bestehen. Nicht aus Tinte. Säuberlich verschnörkelte Buchstaben. Wunderschön anzusehen. Kaum hatte ich alle Zeilen gelesen, waren sie auch schon wieder verschwunden. Verwundert blickte ich auf das Pergament hinab. Drehte und wendete es. Doch es blieb nur noch ein Stück leeres Pergament. An meinem rechten Handgelenk begann es zu kribbeln. Nein es brannte. Es brannte enorm stark. Wie Feuer. Entsetzt blickte ich hinab. Sah wie Buchstaben aus gleißend hellem Licht, sich in meine Haut einbrannten. Der Schmerz war präsent. Dumpf, aber enorm spürbar. Ich pustete, wedelte wie eine verrückte mit meinem Arm. Doch es schien noch heißer zu werden. Wie glühende Lava, floss Wort für Wort von den Pergament auf mein Handgelenk über. Erst als der letzte Buchstabe übergegangen war, ebbte das Feuer ab. Schmerz zu empfinden, war seltsam. Aber es zeigte mir, dass ich tatsächlich noch existierte. Neugierig beäugte ich meine gerade erhaltene Kennung. Je nachdem, wie ich meinen Arm hielt oder drehte, verschwand sie. Wenn sie da war, leuchtete sie in dem selben bläulichen Ton, wie meine Aura. Doch zu welchem Zweck war dies von Nöten? Musste man sich hier ausweisen? Genügte es nicht, das Pergament bei sich zu führen? Leicht wog ich meinen Kopf und legte das Pergament zurück auf den Tisch. Ein sanftes klopfen an meiner Tür. Ich verharrte ganz still. Bewegte mich nicht. Erneut ein Klopfen, etwas lauter. Als ich die Tür einen Spalt breit öffnete, blickte mir Noah entgegen. 

 

„Inessa, wenn du mir bitte folgen würdest", gab er mir ruhig zu verstehen.

 

Ich schritt hinaus auf den Flur. Noah wandte sich ab und ging voraus. Außer ihm und mir, war niemand zu sehen. Mein Herz schlug schneller. Erneut hatte ich nicht den Hauch einer Ahnung, was nun geschehen würde. Ich hasste es. Das tat ich schon immer. Ich war immer gerne vorbereitet. 

 

„Was, was ist das an meinem Handgelenk? Wozu dient es?", flüsterte ich ich und blickte mich um. Wir hatten den Flur verlassen. Schritten Stufen hinab. Doch auch hier war alles in dieses unnatürliche Licht getaucht. Steril. Kein einziges Gemälde oder irgendeine Art von Möbel, nichts. Noah blickte einen Moment über seine Schulter zurück, ging aber weiter. 

 

„Dies ist dein Ausweis, Deine Eintrittskarte sozusagen. Damit kannst du dich in der Seelenschmiede frei bewegen. Zumindest auf Ebene Eins. Außerdem zeigt es dir, wie dein Handeln, deine Seele formt. Wer dein Rivale sein wird und was deine Gabe ist", sprach Noah und bog in einen weiteren Flur ab. 

 

Hier war weit und breit niemand. Es war wie ausgestorben. Erneut verstand ich nur ein Bruchteil von dem, was er versuchte mir zu vermitteln. Da ich mir jedoch sicher war, er würde es bald schon für die Allgemeinheit erklären, fragte ich kein zweites Mal nach. Stattdessen sah ich mir fasziniert Noah's Aura an. Sie schien um einiges schwacher zu sein. Außerdem war es eher ein mattes glimmen, gräulich nicht strahlend. Warum das wohl so war? Wie lange er schon hier sein mochte? Würde meine Aura irgendwann genauso aussehen? Leicht schüttelte ich meinen Kopf, verdrängte die Gedanken. Noah blieb vor einer großen Tür stehen. Verharrte für wenige Augenblicke, um sie dann doch zu öffnen. 

Ein weitläufiger großer Saal eröffnete sich vor meinen Augen. Hier herrschte reges Treiben. Links und rechts gab es eine gigantische Fensterfront. Zur linken Seite sah man den weitläufigen Himmel. Wie kleine Wölkchen wundervolle Gebilde am Firmament zauberten.  Zu meiner Rechten loderte das Feuer. Monströse Feuerzungen ragten in die Höhe. Führten einen Tanz auf. Dieser Anblick ließ mich Erstaunen. Ich fragte mich ob das echt war? Ob das der Blick in den Himmel und in die Hölle war? Noah ging unbeeindruckt weiter. Etliche Tische waren zu einem großen zusammengestellt worden. Sozusagen eine riesige Tafel. Eine befand sich links und eine befand sich rechts von uns. Noah führte mich zur linken Tafel. 

 

„Hier wird fortan dein Platz sein Inessa", sagte er, nickte mir zu und ließ mich stehen. 

 

Fragend blickte ich ihm nach. Er schritt weiter nach vorne. Dort stand eine weiter Tafel. Nun sah ich, dass alle dort solche gräulichen Augen besaßen. Nervös blickte ich erneut zu dem Feuer. Es war ein faszinierendes Schauspiel. Dennoch wollte ich um jeden Preis die Hölle meiden. Ich zog meinen Stuhl zurück und nahm Platz. Mir gegenüber leuchtete eine Pastell gelbe Aura. Ein Junge lächelte mich schüchtern an. 

 

„Hallo, du bist die neue richtig? Ich bin Jim", stellte er sich mir vor. Sein leuchten war schwach, hin und wieder schlug es etwas weiter aus. Jim war um einiges jünger als ich es war. Er sah noch so kindlich aus. Sein rundliches Gesicht war sanft, feine Züge. Nichts markantes. Vielleicht seine Nase, sie war etwas zu groß. Seine braunen Augen blickten wie Bambi umher. 

 

„Hallo, ja ich bin Inessa", versuchte ich meine Nervosität hinunter zuspielen. Doch diese Stimme, schien mit der meinen nichts gemeinsam zu haben. 

 

„Inessa, schöner Name. Ich bin Michelle, aber du kannst ruhig Michi sagen", ertönte links neben mir eine glockenhelle Stimme. 

 

Umgehend verkrampfte sich mein Nichtvorhandenes Herz. Ich schluckte schwer und wandte mich dieser Stimme zu. Eine wunderschöne Rosafarbene Aura umgab das Mädchen mit dem schwarzen Bob. Was mir erneut einen weiteren Stich verpasste. Sie war ungefähr in meinem Alter, hatte wunderschöne graue Augen und ein liebevolles Lächeln. Sie sah meiner Michi so ähnlich. Meine Hände begannen zu zittern, weshalb ich sie in meinem Schoß verschwinden ließ. 

 

„Geht es dir gut? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", fragte sie belustigt.

 

„Ich, Ähm, entschuldige. Das alles hier überfordert mich etwas. Ich muss mich erst daran gewöhnen", stotterte ich räuspernd vor mich hin. 

 

„Dann viel Glück. Ich bin schon eine ganze Weile hier und mir ist es noch nicht gelungen. Weißt du, dass du die letzte bist? Zumindest bis jemand die Ebene Eins meistert", lächelte sie und trank aus einem vergoldeten Becher. 

 

„Danke, wie meinst du das", fragte ich weiter. Es war schön nicht ständig in meinen Gedanken zu verharren. Endlich wieder mit jemandem reden zu können.

 

„Die Tafel ist nun voll besetzt. Nun wird niemand mehr in die Seelenschmiede aufgenommen. Erst wenn einer von allen hier anwesenden die nächste Ebene erreicht, wird ein Platz frei", erklärte Michi und Jim nickte ihr zustimmend zu. 

 

„Was bisher aber noch niemandem gelungen ist. Also mach dir keine allzu großen Hoffnungen. Ich bin schon länger hier als alle anderen. Als an dieser Tafel nur drei weitere außer mir saßen. Es ist unmöglich, diese Ebene zu verlassen", ertönte eine weitere männliche Stimme neben mir.

 

Ich wandte mich zu meiner rechten und erblickte eine tief grüne Aura. Sie wirbelte ununterbrochen umher. Sein verbitterter Gesichtsausdruck sprach Bände. Ausdruckslose dunkelbraune Augen blickten mich an. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Sein langes glanzloses braunes Haar, sah verwahrlost aus. 

 

„Ach Steve, du bist so ein Schwarzmaler. Hör auf, alle neuen umgehend mit deinen Ammenmärchen zu erschrecken. Ich bin mir sicher, das es möglich ist. Bisher hat nur noch niemand die Lösung gefunden", warf Michi ein und rollte genervt mit den Augen.

„Hör nicht auf ihn Inessa, Steve dramatisiert das Ganze ein wenig", zwinkerte sie mir zu. Während Steve sich gegen die Stirn schlug. 

 

Das waren Ja tolle Aussichten. Die eine völlig euphorisch, der andere am Boden zerstört und verbittert. Und mein gegenüber, noch viel zu jung. Hier sollte ich nun Tag für Tag verweilen? Mit zittriger Hand griff ich nach dem goldenen Becher. Trank einen Schluck um meine trockene Kehle zu befeuchten. Zu meinem Erstaunen enthielt der Becher meinen Tee. Meine eigene Zusammenstellung. So wie ich ihn Zuhause immer gemischt hatte. Ich atmete tief durch.

 

„Ich werde nicht erneut mit dir darüber diskutieren. Du bist nämlich unbelehrbar Michelle. Dies alles hier dient nur zur reinen Unterhaltung der Bosse, sonst nichts. Punkt", zischte Steve über meinen Kopf hinweg.

 

Fragend warf ich Michi einen Blick zu. Sie wank jedoch ab und wog leicht ihren Kopf. Jim wurde derweil immer kleiner. Kein Wunder das der arme Kerl so eingeschüchtert war. Wenn die beiden ständig solche Unterhaltungen führten. Ich ahnte schon, das dies eine anstrengende Zeit werden würde. So hatte ich mir die Ewigkeit nicht vorgestellt. 

Ich blickte hinüber zur anderen Tafel. Dunkle Auren, von dreckigem orange über rot bis hin zu schwarz waren alle Farbverläufe vorhanden. Eine jedoch erregte umgehend meine Aufmerksamkeit. Es war eine weinrote Aura, welche wie ein kleiner Wirbelsturm ihren Träger umhüllte. Winzige blaue schlieren durchzogen sie. Interessiert sah ich mir das Schauspiel an. Überflog alle hier im Raum. Niemand sonst hier, besaß solch eine Aura. Ich sah ihren Träger nur von hinten. Ein gut gebauter Kerl. Muskulöse Oberarme, mit schwarzen strubbeligen Haaren. 

 

„Das sind unsere Rivalen. Wurdest du schon zugeteilt", folgte Michi meinem Blick und zog mein Handgelenk zu sich. Dies war mir etwas unangenehm, dennoch ließ ich sie gewähren. 

„Oh, dann wird die Zeremonie nach dem Essen stattfinden. Wieviele seid ihr gewesen, als ihr hier gelandet seid", fragte sie und gab meinen Arm wieder frei.

 

„Sieben, mich eingeschlossen", hauchte ich.

„Es sind immer sieben. Wie ich dir zum hundertsten mal bereits gesagt habe", unterbrach Steve die Fragerunde genervt. Es galt jedoch nicht mir, sondern Michi.

 

„Ja ja, schon gut. Niemand mag Klugscheißer, Steve. Solltest du dir vielleicht mal merken", gab sie Augenrollend von sich. Was mich wiederum zum Schmunzeln brachte. Michi war gerade raus, direkt. Sagte was sie dachte, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein. Genauso war auch meine Michi immer gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich sehr gut mit ihr verstehen würde. Vor mir wirbelte der Nebel auf. Ich sah wie die feinen Partikel sich in einem Strudel immer schneller um sich selbst drehten. Auch Jim sah fasziniert dabei zu. Als der Nebel sich verzog, stand ein gefüllter Teller vor uns allen. Es war eines meiner Leibgerichte. Rinderbraten mit Gemüse und Rosmarin Kartoffeln. Ungläubig blickte ich auf das gut riechende essen vor mir. Dies grenzte schon an Zauberei. Jim war dabei, sich seine Spaghetti einzuverleiben. Steve stocherte angewidert in seinem Omelett rum. Während Michi zufrieden ihren Salat aß. Ich hatte keinen wirklichen Hunger, dennoch kostete ich von meinem Teller. Zu meinem Erstaunen schmeckte es genauso, wie mein Dad es Zuhause immer zubereitet hatte. Mein Blick huschte immer wieder zu dieser weinroten Aura. Irgendetwas an ihr, zog mich magisch an. Kaum das ich mein Besteck niedergelegt hatte, verschwand mein Teller. Verwirrt sah ich zu Michi, welche mich erneut belustigt ansah. 

 

„Wenn du dein Besteck ablegst, bedeutet dies du bist gesättigt. Aber auf deinem Zimmer, wird später noch eine Kleinigkeit erscheinen. Meist Obst oder ein Joghurt", grinste sie nickend.

 

„Gut zu wissen, aber ich hatte nicht wirklich Hunger", lächelte ich und trank meinen Becher leer. Der Augenblick danach erneut gefüllt war. 

 

„Niemand hier hat wirklich Hunger. Wir sind tot, tote benötigen keine Nahrung", erneut war es Steve, der seinen Senf dazugeben musste.

 

Jim sah verunsichert und traurig aus. Der arme Kerl tat mir leid. Steve ging mir bereits jetzt schon auf die Nerven.

 

„Könntest du vielleicht etwas Rücksicht auf die jüngeren hier nehmen? Auch wenn das Deine Meinung ist, so musst du sie ja nicht so offensichtlich kundtun. Du ziehst die Stimmung hier runter", wandte ich mich an ihn. 

 

Mit zusammengezogenen Brauen blickte er mich an. Für den Bruchteil einer Sekunde zuckten seine Mundwinkel.

„Sorry Schätzchen, aber dies ist nunmal die Wahrheit. Und meine Gabe", zuckte er mit den Schultern. Sein Handgelenk lag auf dem Tisch, er drehte es und die verschnörkelten Buchstaben erschienen. 

 

Verwirrt sah ich ihm in die Augen. Bestünde seine Gabe nur darin, immer die Wahrheit zu sagen? War dies denn überhaupt nützlich? Und wozu benötigten wir diese Gaben überhaupt? 

 

„Ja, Steve ist dazu verdammt, immer die Wahrheit auszusprechen. Es ist nervig, aber er kann nichts dafür", fiepte Jim mir zu.

 

„Wozu ist das gut? Also ich meine hat jeder eine Gabe", fragte ich Stirnrunzelnd in die Runde.

 

„Laut denen da, werden unsere Gaben dazu bei tragen, die sieben Ebenen zu meistern. Manche besitzen sogar mehrere. Unsere Prinzessin hier neben dir zum Beispiel. Sie kann Gedanken hören. Und sie auch beeinflussen. Leider nur die Gedanken von uns. Also ist ihre Gabe eigentlich unnütz. Denn einen Menschen kann sie nicht manipulieren", stichelte er und grinste Michi an. Nachdem er an die Tafel wies, wo Noah saß.

 

„Das stimmt so nicht. Meine Gabe ist wandelbar. Aber bisher funktioniert sie nur hier", widersprach sie ihm. 

 

Jim war mittlerweile soweit in den Stuhl gerutscht, dass er gerade so noch über den Tisch sah. 

 

„Ich besitze noch immer keine Gabe", flüsterte er beschämt.

 

„Ich auch nicht, siehst du", versuchte ich ihn aufzuheitern und wies ihm mein Handgelenk. 

Was Jim wiederum ein kleines Lächeln entlockte. 

 

„Nun werden wir mit der Zeremonie beginnen. All jene, die noch keine Zuteilung haben, mögen sich bitte erheben", ertönte eine Stimme laut durch den Saal. 

 

Ein Zittern ging durch mich hindurch. Ich wurde nervös. Die Ornamente an meinem Gewand formten sich schneller als zuvor. Michi lächelte mir aufmunternd zu, während Steve die Augen verdrehte. Langsam erhob ich mich. Auch Jim stand auf. Er war wohl auch noch nicht so lange hier.

 

„Jim Moose, Cloé Petit. Ihr seid einander zugeteilt. Setzt euch bitte.

 

Jim wandte sich aufgeregt zur Feuerseite, oder wie auch immer die genannt wurde. Ein Mädchen mit langem roten Haaren fand seinen Blick. Grinsend nahm sie Platz. 

 

„Sascha O'melly , Tony Miller, ihr seid einander zugeteilt. Setzt euch bitte. 

 

Ich wurde nervös. Natürlich war ich gespannt, wem ich zugeteilt wurde. Fünf auf jeder Seite standen noch. Zu meinem Erstaunen war auch die weinrote Aura unter ihnen. 

 

„Inessa Baker, Taryn Iratus, ihr seid einander zugeteilt. Setzt euch bitte.

 

Mit wildpochendem Herzen blickte ich mich um. Zumindest fühlte es sich in meiner Brust an als würde es schlagen. Als ich sah, wer sich ebenfalls zu unserem Tisch umwandte, schien es noch wilder zu schlagen. Es war der Kerl mit der weinroten Aura. Sein stechender Blick erfasste mich. Das funkeln sein hellblauen Augen, hielten mich in seinem Bann gefangen. Zittrig nahm ich Platz, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. Erst als er sich schmunzelnd umwandte, nahm ich wieder Luft. 

 

„Jackpot Baby. Glückwunsch, du hast den Hauptpreis gewonnen. Taryn war der erste hier in der Seelenschmiede und er ist immer noch hier. Immer noch Ebene Eins.0", lachte Steve leise. Es war das erste mal, das ich ihn lachen hörte. 

 

„Schön das es dich amüsiert, immerhin habe ich dich nun zum Lachen gebracht", gab ich sarkastisch von mir. Meine Stimme vibrierte vor Aufregung. 

 

Mein Handgelenk begann zu kribbeln und ich wusste bereits, was darauf folgen würde.

Als das kribbeln immer stärker wurde, ließ ich meinen Arm unter den Tisch gleiten. Das Feuer hatte eingesetzt. Lodernd züngelte es über mein Handgelenk. Brannte mir den Namen meines Rivalen ein. Schmerzhaft, aber ertragend. Michi warf Steve einen bösen Blick zu. Auch sie fand seine Aussage unpassend. 

 

„Das ist in der Tat das erste mal, dass auch ich ihn lachen sehe. Ich wusste garnicht, dass du dazu in der Lage bist", funkelte Michi ihn immer noch wütend an.

 

Erneut hielt ich die Luft an. Biss mir auf meine Unterlippe. Als das brennen versiegt war, atmete ich durch. Auch Jim hatte seine Augen geschlossen. Hin und wieder zuckten seine Augen unter seinen geschlossenen Lidern. Er nahm es tapfer hin. Dafür, dass er noch so jung war. 

 

„Jim ist dreizehn, Steve hier ist neunzehn und ich bin siebzehn. Genau wie du", grinste Michi mir entgegen. Es war seltsam, sie war wohl in meinem Kopf gewesen. Keine Ahnung wie das funktionierte, doch sie konnte es. 

 

„Nun da alle ihren Rivalen angenommen haben, bitte ich euch in eure Gemächer zu gehen. Heute sind jegliche Unternehmungen untersagt! Jim, Simon und Inessa, ihr wartet bitte hier", sprach einer der Männer mit den Matten gräulichen Auren. 

 

Fragend blickte ich hinüber zu Michi. Das nannten sie eine Zeremonie?

 

„Na du hast einen Namen auf dein Handgelenk bekommen. Das ist die Zeremonie. Was die noch von euch wollen, keine Ahnung", gab sie Schulterzuckend von sich. 

 

Während sich im Saal ein enttäuschendes Raunen ausbreitete. 

 

„Große klasse. Was soll denn dieser Mist nun? Warum dürfen wir nichts unternehmen", murrte Steve neben mir. 

 

Dies schien also nicht normal zu sein. Erneut hatte ich das Gefühl, dass mein Herz seinen Takt erhöre. Auch Jim schien wieder in den Stuhl zu rutschen. Hatten wir etwas falsch gemacht? Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handgelenk. Strich sanft über die Stelle meiner Haut, dort wo ich nun seinen Namen trug. Taryn. Was ein außergewöhnlicher Name das doch war. Er war mein Mitstreiter, mein Rivale. 

 

„Dann sehen wir uns ja morgen. Bis dann Inessa", riss Michi mich zurück in die Realität und verabschiedete sich.

 

„Bis morgen", nuschelte ich ihr zu. 

Ich fühlte mich Unbehagen. Erneut hatte ich keine Ahnung, was nun auf uns zukam. 

 

Simon war einer von den anderen. Seine Aura bestand aus einem dreckigen Orange. Sie floss langsam um ihn herum. Er war ein plumper Junge. Kurzes blondes Haar, viel zu helle Haut und überhaupt keine Ausstrahlung. Jim's Pastell gelb lief auf und ab. Er schien ebenfalls sehr nervös zu sein. Drei der Männer kamen auf uns zu. Unter ihnen auch Noah. 

 

„Kommst du Inessa? Wir müssen noch etwas erledigen", nickte Noah mir aufmunternd zu. 

 

Ich folgte ihm ohne zu zögern. Wir schritten durch einen weiteren nichtssagenden Flur. Hier war einfach alles viel zu steril. Öde. Vor einer weiteren Tür blieb er stehen. 

 

„Wenn du möchtest, kannst du nun deine Familie sehen. Freunde. Dies ist das Fenster Praesentia. Es erlaubt dir, wann immer du möchtest einen Blick auf sie zu werfen. Denn in den seltensten Fällen, formt man die Seelen von Bekannten oder Verwandten", erklärte Noah mir geduldig. 

 

Worte brachte ich nicht zustande. Zu groß war der Klos in meinem Hals. Stattdessen nickte ich energisch. Noah nickte mir kurz zu und öffnete mir die Tür. Zittrig trat ich ein und stand vor einem verspiegelten Fenster. Ich sah überhaupt nichts. Nur schwärze. Fragend wandte ich mich Noah zu. 

 

„Du musst ihm schon sagen, wen du sehen möchtest. Wünsche es dir, in deinen Gedanken. Dann wird es dir zeigen, wonach du verlangst", beantwortete er meine stille Frage. 

 

Erneut sah ich zu dem Fenster. Dachte an meinen Dad, an Marlene. Wie die beiden in der Küche ihrem täglichen Schachspiel nachgingen. Dann plötzlich, hellte sich das Fenster auf. Doch was ich sah, gefiel mir nicht. Dad saß mit Marlene auf dem Sofa. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren glanzlosen Augen ab. Ein Foto von mir stand auf dem Tisch. Etliche Taschentücher waren überall verteilt. Sie trauerten. Sie betrauerten meinen Tod. Wie gerne würde ich sie in meine Arme schließen. Ihnen sagen wie sehr ich sie liebte. Das es mir gut ging. Doch dies stand mir nicht zu. Traurig wandte ich meinen Blick ab und das Fenster verdunkelte sich. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

 

„Es wird besser werden. Die Trauer ist noch zu frisch. Du bist erst eine Woche fort. Später werden sie wieder glücklich sein, das verspreche ich dir", flüsterte er und legte seine Hand Trost spendend auf meine Schulter.

 

Eine Woche war ich schon hier? Wie konnte das möglich sein? Dies hier war mein erster Tag. Oder etwa nicht? 

 

„Die Zeit vergeht hier sehr viel langsamer", erörterte er mir erneut meine stille Frage.

 

Ich wandte mich dem Fenster zu. Wünschte mir Jérôme und Michi zusehen. Das Fenster gewährte mir den Blick auf die beiden. Jedoch war auch dieser Anblick grauenvoll. Beide lagen im Krankenhaus. Michi weinte. Doch viel schlimmer waren die ganzen Verletzungen. Ihr Arm lag in Gips. Ihre Lippe war auf das doppelte angeschwollen. Ihr Körper war mit Blutergüssen übersät. Aber sie lebte. Auch Jérôme sah nicht wirklich besser aus. An seinem Kopf war ein Gestell fixiert. Auch seine beiden Beine lagen in Gips. Er schien zu schlafen. Auf seinem Tisch stand ein Foto von mir. Ich hatte genug gesehen, für heute. Dies schmerzte zu sehr. Sie alle so leiden zusehen. Ich wandte mich Noah zu, das Fenster wurde schwarz. 

 

„Du kannst jeder Zeit hier her. Es steht dir frei. Komm", nickte Noah mir zu und schritt zurück auf dem Flur.  

 

Traurig folgte ich ihm. Meine Gedanken waren bei meiner Familie, meinen Freunden. Ich wünschte mir, er hätte mir diese Szenen nicht gezeigt. Es zerstörte mich. Innerlich. Noah bog nach links in einen kleinen Korridor ab. An dessen Ende eine weitere Tür zu sehen war.

 

„Trete ein, es wird dir nichts geschehen", wies Noah mich an und ich schritt in den Raum. 

 

Er war sehr klein, beengt. Hier gab es nichts. Der Raum war wie alle Flure in diesem Gebäude. Öde und Karg. Einzig das künstliche kalte Licht war zu sehen. Ich ging vor, bis ich die Mitte des Raumes erreicht hatte. Dort blieb ich stehen. Wartete. Ja auf was wartete ich? Ich hatte keine Ahnung was ich hier sollte. Dann manifestierte sich vor meinen Augen ein Scheme. Ein Scheme aus grellem Licht, dass immer heller zu werden schien. So hell wie die Sonne. Es schmerzte bereits in meinen Augen, sodass ich sie schließen musste. Von diesem hellen Licht ging eine wohlige Wärme aus. Sanft umhüllte sie mich. Beruhigte meine Nerven. Denn ich war alles aber nicht ruhig. In mir wuchs die Angst. Die Angst vor dem Unbekannten. Ein federleichter Windhauch umspielte mein Gesicht. Ließ mein Haar sanft wehen. Dann ganz plötzlich, war der Spuk vorbei. Die wohlige Wärme verschwand. Auch das helle Licht erlosch. Ich konnte es durch meine geschlossenen Lider erkennen. Ganz vorsichtig öffnete ich sie wieder. Blickte mich um. Eine weitere kleine Rolle Pergament, lag zu meinen Füßen. Erstaunt wandte ich mich um die eigene Achse. Doch niemand außer mir war in diesem Raum. Ich bückte mich und hob sie auf. Was auch immer dort geschrieben stand, ich würde sie erst in meinem Zimmer öffnen. Vorausgesetzt, dies würde Noah mir gestatten. Ein letztes Mal sah ich mich um, dann ging ich zurück zu Noah. Als er die Rolle in meinen Händen sah, lächelte er.

 

„Ich bin neugierig welche Gabe dir zuteil wurde. Vielleicht bist du auch in Besitz von mehreren. Du darfst sie natürlich mitnehmen. Ich werde es noch früh genug erfahren", sprach er mit hinter dem Rücken gefalteten Händen. Während er mich durch das Wirrwarr dieser gleich aussehenden Flure zurück zu meinem Zimmer geleitete. 

 

Dies stand also in diesem Pergament. Meine Gabe. Hatte ich überhaupt eine? Wie setzte man diese ein? Die Neugier in mir wuchs.

 

„Hättest du keine, würdest du nicht diese Pergament Rolle in deinen Händen tragen. Es ist nichts was man von jemandem geschenkt bekommt. Es steckt viel mehr in einer Seele selbst. Damals, als der Boss sie erschaffen hat. Diese wurde nun erkannt und du wirst es wissen, sobald du dieses Pergament gelesen hast", Noah verfügte wohl über selbige Gabe wie Michi. Denn er beantwortete meine stillen Gedanken.

 

„In wiefern hilft mir die Gabe? Wie setzt man sie ein", fragte ich nun wissbegierig. 

 

Ich wollte noch etwas mehr darüber hören. Es war sehr interessant.

 

„Nun es kommt ganz darauf an. Meine Gabe zum Beispiel. Sie hätte mir helfen können, die sieben Ebenen zu meistern. Ich hätte ganz einfach in allen Köpfen sein können. Hätte dann gewusst, was ich hätte tun müssen.  Aber ich habe nunmal diesen Weg gewählt. Die Gabe entwickelt sich stetig weiter, bis sie ihr volles potenzial ausgeschöpft hat. Meine ließ sehr lange auf sich warten.", erklärte er und kam vor meiner Tür zum stehen. 

„Morgen Früh, wenn der Tag anbricht, ist gemeinsames Frühstücken angesagt. Dann lernst du deine Umgebung und deinen Rivalen kennen. Bis morgen Inessa", nickte Noah, wandte sich um und ging davon. 

 

Ich sah ihm noch nach, bis er in einen weiteren Flur verschwand. Dann widmete ich mich meinem Zimmer und dem Stück Pergament. Welches ich eben erst erhalten hatte. Dieser Tag war mehr als nur verrückt gewesen. Alleine dieser Saal war schon grotesk genug. Dabei fiel mir ein, dass ich Noah danach noch fragen wollte. Wobei ich morgen einfach auch Michi fragen könnte. Es interessierte mich schon, ob das wirklich der Ausblick auf den Himmel und die Hölle war. Ich schlenderte zu meinem Bett und machte es mir gemütlich. Obwohl ich äußerst angespannt war. Denn wenn ich dieses Pergament laß, würde ich meine Gabe wissen. Und diese würde sich genauso in meine Haut einbrennen, wie der die anderen Worte es auch getan hatten. Also öffnete ich das Pergament und laß ehrfürchtig, was in verschnörkelter Schrift niedergeschrieben war. 

 

Erstaunt darüber, zog ich meine Brauen kraus. Dies war eine meiner Gaben? Kaum hatte ich diese Frage zu Ende gedacht, verschwanden die Buchstaben erneut wie von Zauberhand. Und das bekannte kribbeln ließ nicht lange auf sich warten. Es setzte unmittelbar ein. Worauf hin, mir bekannter weise,  das Feuer ausbrach. Die Schrift ging auf meinen Arm über. Dieses Mal war der Schmerz nicht mehr stark. Ich kannte ihn und war mir bewusst , mit was ich rechnen musste. Kaum war das Feuer erloschen, blickte ich auf mein Handgelenk.

 

Name: Inessa Baker, siebzehn aus Chicago. 

Seelen Status: Rein, unbefleckt.

Gabe: Auren sehen u. lesen, Gaben adaptierten

Gruppe: Noah Maél 

Zuteilung: Taryn Iratus 

Ebene: Eins.0

 

Nun war meine Kennung komplett. Allerdings wurde ich aus meinen Gaben nicht schlau. Bedeutete dies, dass nur ich die Farben der Auren sah? Doch wie las man eine Aura? Was würde mir das bringen? Und was hatte es mit der Adaption auf sich? Konnte ich eine Gabe von jemandem adaptieren? Wenn ja, wie sollte dies von statten gehen? Dies waren erneut viel zu viele Informationen. Dieser erste Tag war generell zu vollgepackt gewesen. Eine Menge Ereignisse für einen Tag. Die Nacht war längst hereingebrochen. Ich lag nachdenklich in meinem Bett. Sah die Bilder des Fensters Praesentia vor mir. Meinen Dad, Marlene. Jérôme und meine Michelle. Wie sie um mich trauerten. Diese Bilder würden für die Ewigkeit in meinen Gedanken umher spuken. Ich schloss meine Augen. Konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte zu schlafen. Irgendwann war es mir gelungen. In dieser Nacht erlebte ich alles erneut. Als sei ich in einer Zeitschleife gefangen. Immer und immer wieder, stand ich in diesem seltsamen Raum. Mit dem künstlichen Licht. Sah die Nebelwirbel aufsteigen. Saß Noah gegenüber. Wurde in den riesigen Saal mit den beiden Tafeln gebracht. Und wieder auf Anfang. Bis der Tag anbrach und das sanfte Licht der Sonne mich weckte. Wärmend strich es über mein Gesicht. Ich schlug meine Augen auf und war umgehend hell wach. Was sich seltsam anfühlte. Denn ich besaß schon immer Anlaufschwierigkeiten, was das aufstehen betraf. Jedoch nicht heute. Noah's Worte kamen mir in den Sinn. Das gemeinsame Frühstück. Also machte ich mich auf den Weg. Vorausgesetzt, ich würde mich nicht in diesen Fluren verlaufen.

Zu meinem eigenen Erstaunen, fand ich den Weg. Die Tür stand im Gegensatz zu gestern offen. Als ich eintrat, war ich noch immer von diesem Anblick gefesselt. Es kam mir einfach alles so unwirklich vor. Michi saß bereits an der Tafel. Als sie mich erblickte, grinste sie über beide Ohren. Wild gestikulierend wank sie mir zu. Ganz im Gegenteil zu Steve. Welcher genauso verbittert dreinschaute wie gestern. Jim war noch nicht da. Ganz kurz sah ich hinüber zur Tafel der Hölle. Taryn hatte mich im Blick, seit ich den Saal betreten hatte. Es war mir unangenehm. Umgehend wandte ich meinen Blick ab. Doch aus meinen Augenwinkel konnte ich sehen, dass er schmunzelte. Ich eilte an meinen Platz und setzte mich zu Michi.

 

„Guten Morgen allerseits", nuschelte ich den beiden zu.

 

„Guten Morgen. Na wie war deine erste Nacht? Konntest du das Geschehene etwas verarbeiten?", flötete Michi fröhlich vor sich hin.

 

„Was soll an diesem Morgen gut sein? Er ist einer von vielen, irgendwann vergeht deine Fröhlichkeit auch", kläffte Steve, ehe ich Michi antworten konnte. 

 

Wie konnte jemand so mies gelaunt sein. Wenn das auf ewig so weiter gehen würde, würde ich mit ihm definitiv aneinander geraten. Das war ja kaum auszuhalten.

 

„Danke der Nachfrage. Naja, es wird wohl noch eine Weile dauern. Aber ich bin guter Dinge", nickte ich ihr zu.

„Bist du eigentlich immer so? Vielleicht solltest du dich an die Tafel der Hölle begeben. Da würde deine Stimmung eher hinpassen", wandte ich mich Steve zu. Was Michi ein Kichern entlockte.

 

Erstaunt blickte er mich an. Seine Mundwinkel zuckten ganz leicht. Anscheinend gefiel ihm diese Sticheleien. Hatte ihm bisher niemand die Stirn geboten? 

 

„Glaub mir Inessa, ich habe es in Erwägung gezogen. Aber ich mag die Hitze nicht", gab er Schulterzuckend von sich. Wobei seine Mürrischkeit für den Moment zumindest verschwunden war. 

 

„Ja das kann ich gut verstehen. So war es bei mir auch. Leider hatte ich hier niemanden, der es mir leichter machte. Die anderen sind alle eher für sich. Das wirst du aber noch merken. Ich bin halt ein geselliger Mensch. Was man ja von diesem Miesepeter nicht gerade sagen kann", flüsterte sie den letzten Satz und begann erneut zu Kichern. 

 

Ich stieg mit ein. Kaum vorstellbar wie es hier wäre, wenn Michi nicht da wäre. Ich war äußerst froh darüber, mit jemandem reden zu können. Jim betrat den Saal. Er sah wie gestern schon verunsichert aus. Mit gesenktem Kopf und schnellen Schrittes ging er an seinen Platz.

 

„Morgen", nuschelte er und setzte sich mir gegenüber.

 

„Hey Jim", sagte ich so freundlich wie ich konnte. Was ihn dazu bewegte mich anzusehen. Er lächelte flüchtig. 

 

Mein Blick fiel umgehend auf sein Handgelenk. Vielleicht hatte auch er gestern seine Gabe erhalten? Leider war seine Kennung verborgen. Ich sah auf meines hinab. Michi folgte meinem Blick. 

 

„Oh! Wie außergewöhnlich! Kannst du das schon?", gab sie erstaunt von sich.

 

„Ich. Also ich sehe eure Auren ja. Aber mehr bisher noch nicht", gab ich verlegen zurück. Während Steve interessiert zu meinem Arm blickte.

 

„Wie sieht meine aus", aufgeregt rutschte Michi neben mir hin und her.

 

„Deine Aura ist rosafarben und strahlend. Im Moment wirbelt sie regelrecht um dich herum", lachte ich und ein goldener Becher erschien vor mir. 

 

„Wozu soll das denn nützen", gab Steve belustig von sich.

„Deine passt zu deinem Gemüt. Schlammiges grün ohne jeden Glanz oder Schimmer", warf ich ihm an den Kopf . Was Michi und Jim zum Lachen brachte. Steve knurrte sich was in seinen nicht vorhandenen Bart und verstummte anschließend.

 

„Das ist so abgefahren. Bisher haben wir noch niemanden hier, der solch eine Gabe besitzt. Ich bin gespannt wie sie sich weiter entwickeln wird", sprach sie nun leise weiter.

 

Vor uns erschienen die Nebelwirbel. Die Tafel war gedeckt. Mit allem was ein gutes Frühstück beinhaltete. Jim begann umgehend zu essen. Ich wandte mich erneut an Michi.

 

„Sag, ist das hier wirklich der Blick auf den Himmel und die Hölle?", fragte ich leise und nahm mir ein Brötchen.

 

„Was? Natürlich, ja. Ist faszinierend oder? Ich meine, man hat immer sein Ziel vor Augen", nickte sie und füllte Müsli in ihre vergoldete Schüssel. 

 

„Unglaublich. Ich kann es einfach nicht glauben. Das ist alles so unwirklich. Gestern noch war ich am Leben, heute bin ich hier. Verrückt", gab ich nachdenklich von mir. 

 

Ich spürte Blicke auf mir ruhen. Es war als würde er nach mir rufen. Und ich kam diesem Ruf nach. Blickte ihn an. Seine stechenden hellblauen beinahe schon weiß glänzenden Augen, hatten mich erfasst. Zogen mich in seinen Bann. Seine Faszinierende Aura strudelte sanft um ihn herum. Frech zwinkerte er mir zu. Was mir umgehend die Röte in meine Wangen trieb. Ich spürte wie die Hitze empor stieg. Doch ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. 

 

„Keine sorge, nach dem Frühstück werdet ihr euch kennenlernen. Taryn ist, nun ja, eigen. Im großen und ganzen sind auch die Höllenanwärter in Ordnung", wisperte Michi mir ins Ohr. 

 

Was mich wiederum dazu bewegte, meinen Blick von ihm zu reißen.

 

„Also müssen sie um den Platz in der Hölle kämpfen?", gab ich erstaunt fragend von mir.

 

„Nicht direkt. Der Boss unten vergibt Plätze in seinen Reihen. Dämonen, gefallene Engel. In die Hölle kommen diese alle, vorausgesetzt sie möchten das. Ist wie bei uns. Die drei ersten werden belohnt", erläuterte sie Schulterzuckend und aß einen Löffel Müsli.

 

Jetzt war ich völlig verwirrt. Also ging es hier um weit mehr als nur das auf oder abfahren. Es ging darum, eine höhere Stellung zu ergattern. Nur deshalb waren wir hier? Das hatte Noah nicht erwähnt. Oder doch? Ich hatte keine Ahnung. Aber dies ergab Sinn. Denn nicht jeder der starb kam hier her in die Seelenschmiede. Kaum das ich an Noah gedacht hatte, sah ich zu der Tafel mit den grauen Auren rüber. Noah sah mich unverblümt an und nickte mir wissentlich zu. 

Mein Herz erhöhte umgehend seinen Takt. Wollte ich das? Eine höhere Stellung? Würde ich dann jemals meine Familie sehen? Im Himmel? Ich musste mehr darüber erfahren. So schnell wie möglich. Denn dies würde mein Handeln hier bestimmen. Gedankenverloren biss ich in mein Brötchen. 

 

„Ich habe keine Gabe erhalten", platzte Jim heraus. 

 

Er sah sichtlich geknickt aus. Was mir unglaublich leid tat. Denn anscheinend war dies ihm unglaublich wichtig gewesen. Michi sah ihn bedauernd an, während Steve erneut mit seinen Augen rollte. Warnend sah ich ihn an. Keinen einzigen Laut gab er von sich, dass war sein Glück.

 

„Das tut mir leid Jim. Aber ich bin mir sicher, dass man nicht unbedingt eine Gabe benötigt. Denn sonst wärst du ja garnicht hier. Oder die andern, die ebenfalls keine Gabe erhalten haben", sagte ich bestärkend zu ihm. 

 

Ich wollte nicht, dass er deswegen traurig war. Die Gaben waren wohl eine Hilfe, doch man benötigte sie nicht zwangsläufig.

 

„Es sind ganz viele hier ohne Gaben. Du kannst es trotzdem schaffen. Lass dich nicht hängen deswegen", fügte Michi nickend hinzu.

 

„Meint ihr wirklich", gab er verunsichert von sich und sah uns an.

 

„Ja die beiden haben recht. Selbst mit Gaben wird es kaum zu schaffen sein. Also stehen deine Chancen gleichauf", mischte sich Steve ein, während wir nickten. 

 

Ich war Steve dankbar, dass er versuchte Jim Mut zu zusprechen. Auch wenn es auf seine ganz eigene Art und Weise geschah. Aber Jim nickte nun und ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Lippen. Dann stand er auf und verließ die Tafel. 

 

„Wo geht er denn jetzt hin?", fragte ich an Michi gewandt.

 

„Na du darfst dich hier ja frei bewegen. Aber er geht zu seiner Rivalin. Kennenlernen ist angesagt. Vielleicht hat er auch schon einen Hinweis auf die erste Aufgabe", überlegte sie und tippte sich mit ihrem Finger an die Unterlippe. 

 

„Bedeutet dies, ich muss zu Taryn gehen?", nervös zwirbelte ich eine meiner blonden Strähnen.

 

„Nein, er wird zu dir kommen. Sobald du den Saal verlässt", grinste sie mir augenzwinkernd zu.

 

„Das wär mir neu. Taryn geht auf niemanden zu. Er ist ein Egoist, wie er im Buche steht", lachte Steve laut auf. 

 

„Und du bist egozentrisch. Musst du dich immer einmischen?", zischte Michi.

 

„Hast du das in seinem Kopf gesehen?", bohrte ich weiter und ignorierte Steve's Anmerkung.

 

„Natürlich", schnalzte sie und trank aus ihrem Becher. 

 

Mir wurde etwas flau in der Magengegend. Ich wusste noch nicht einmal warum. Ich war ja normalerweise nicht schüchtern, oder ängstlich. Doch irgendetwas an ihm, schüchterte mich ein. Vielleicht war es sein Blick oder die Tatsache, dass er einer der Bösen war? Doch war er das? Böse? Hinterhältig? Dies würde ich herausfinden müssen. Abgesehen davon sah er einfach verdammt gut aus. Mein Teller war längst verschwunden, doch ich wollte einfach nicht aufstehen. Erst als sich Michi erhob, erhob ich mich auch. Denn mit Steve hier alleine rumzusitzen, kam überhaupt nicht in Frage. Er zog mich zu sehr runter.

 

„Sei nicht so ein Angsthase. Es wird schon gut werden. Taryn brennt förmlich darauf, dich kennenzulernen", flüsterte sie mir zu. Lächelte und ging los. 

 

Ich eilte ihr schnell hinterher.

„Aber wo soll ich denn nun hingehen?", gab ich nervös von mir.

 

„Raus, an die Luft. In den Park, dort ist es sehr schön. Ein guter Platz um sich kennenzulernen. Einfach die Tür links nehmen", zwinkerte sie und ließ mich stehen. 

 

Mit wild pochendem Herzen eilte ich aus dem Saal. Bog nach links in den Flur ab und nahm die Tür, welche mir Michi erörtert hatte. Es ging ein laues Lüftchen, erleichtert atmete ich tief ein. Als ich das Gras an meinen Zehen spürte, beruhigte ich mich ein wenig. Sie hatte völlig recht gehabt. Hier war es wunderschön. Friedlich. Langsam schritt ich weiter, zwischen hohen steinalten Bäumen hindurch. Zu meinem Erstaunen gab es hier allerhand Insekten, Vögel und Eichhörnchen. Wie war das möglich? Etliche Blumen erblühten in den wundervollsten Farben und spendeten den Bienen ihren Nektar. Dies war ein Ort ganz nach meinem Geschmack. Ich nahm das Plätschern von Wasser wahr. Umgehend beschleunigte ich meinen Schritt. Kämpfte mich durch die Sträucher mit ihren roten Beeren hindurch. Bis ich den keinen See mit seinem Wasserfall erblickte. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Es sah aus wie das Paradies. Das Blau des Wassers glich dem einer Bucht am Mittelmeer. Die Sonne ließ es funkeln, wie Diamanten. Ehrfürchtig schritt ich weiter bis zum Ufer. Dort ließ ich mich nieder und sah den Schwänen beim schnäbeln zu. Dies hier würde mein neuer Lieblingsplatz werden. Zumindest würde ich jede freie Minute hier verbringen wollen. Vorausgesetzt, ich würde noch freie Minuten haben, sobald wir eine Aufgabe erhalten würden. Gedankenverloren riss ich einen langen Grashalm aus und spielte damit. Während ich die Umgebung auf mich wirken ließ. 

 

„Hallo Inessa", erklang eine rostige Stimme hinter mir. 

 

Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich wandte mich ihm zu und war wie versteinert. Aus der Nähe betrachtet war er noch imposanter. Sein Körperbau war unglaublich muskulös. Beinahe schon beängstigend, wie groß er war. Seine schwarzen strubbeligen Haare glänzten im Sonnenlicht. Seinen Kopf hatte er leicht geneigt und ein Lächeln umspielte seine vollen Lippen. An seiner rechten Wange erschien ein Grübchen, was unglaublich heiß aussah. Doch am meisten faszinierten mich seine Augen und seine Aura. Welche nun sanft auf und ab floss. Die hellblauen Flecken hatten die selbe Farbe wie seine Augen. Sie funkelten wie ein hell leuchtender Stern am Firmament. Ich folgte jeder seiner Bewegungen, als er neben mir Platz nahm. Belustigt sah er mich an und rückte näher zu mir auf. So nah, dass sein Duft mich umhüllte. Er roch nach Sommerminze. Die Röte schoss mir in die Wangen. Ich benahm mich völlig absurd.

 

„Taryn", quickte ich verlegen und starrte ihn immer noch an.

 

„Du bist nun also meine Rivalin. Weißt du, wie lange ich auf dich gewartet habe?", raunte er und löste somit eine Gänsehaut bei mir aus. 

 

Er hatte auf mich gewartet? Verwirrt und unglaublich nervös blickte ich ihn an. 

 

„Ich. Nein", stotterte ich vor mich hin. 

 

Wie konnte er mich so aus der Fassung bringen? Ich war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Keine Ahnung was in mich gefahren war.

 

„Ich war der erste hier in der Seelenschmiede. Seit sechsundsechzig Jahren warte ich auf diesen Moment. Auf dich", hauchte er grinsend und ein weiteres Grübchen bildete sich nun auch auf seiner linken Wange. 

 

„Tut mir leid", keuchte ich. 

 

Was ihn zum Lachen brachte. Er rückte noch näher zu mir. So nah, dass seine Schulter die meine berührte. Wärme breitete sich an dieser Stelle aus und floss durch mich hindurch. Er machte mich so unglaublich nervös. Wie sollte ich mit ihm zusammenarbeiten? Ich bekam noch nicht einmal einen ganzen Satz heraus. Geschweige denn konnte ich klar denken. Das waren Ja tolle Vorraussetzungen.

 

„Du entschuldigst dich, dass du mich hast warten lassen? Du warst vor sechsundsechzig Jahren noch nicht einmal geboren. Wie war dein erster Tag gestern?", lachte er noch immer und lenkte das Thema in eine andere Richtung. 

 

Wofür ich ihm sehr dankbar war. Es schien ihm jedoch zu gefallen, wie ich auf ihn reagierte.

 

„Anstrengend und unreal", wisperte ich und biss auf meiner Unterlippe rum. Längst zwirbelte ich eine meiner Strähnen. 

 

So nervös war ich noch nie gewesen. Allein seine Anwesenheit, löste dies bei mir aus. Er hatte etwas Aufregendes animalisches an sich, was mich magisch anzog. Beim betrachten seiner vollen Lippen, dachte ich umgehend ans küssen. Wie sehr ich ihn gerade küssen wollte. Meine Gefühlswelt glitt völlig aus den Fugen. 

 

„Es wird noch anstrengender werden. Das verspreche ich dir", zwinkerte er mir zu. 

 

Mir war so unglaublich heiß. Ich glühte förmlich. Er ließ sich nach hinten ins Gras fallen und zog mich zu meinem Erstaunen mit. Belustigt lehnte er sich auf die Seite, sah mich an und strich mir über die Wage. Was eine erneute Welle Gänsehaut bei mir auslöste.

 

„Du bist hübsch. Da hab ich ja Glück gehabt. Unsere gemeinsame Zeit wird mir sehr gefallen. Ich hätte da jede Menge Ideen, wie wir uns die Zeit vertreiben können", raunte er grinsend.

 

Das glaubte ich ihm sofort. Er flirtete völlig schamlos und offensiv mit mir. Ich musste mich zusammenreißen. Nie und nimmer würde ich mich ihm hingeben. Auch wenn alles in mir danach schrie. Er war einer der Bösen. Ein Anwärter der Hölle. Ich durfte nicht zulassen, dass sich meine Seele formte. Nicht in diese Richtung. Ich atmete durch. 

 

„Ich auch. Wir könnten zum Beispiel daran arbeiten, die erste Ebene zu meistern", gab ich mit einem leichten Zittern in meiner Stimme von mir. 

 

„Natürlich könnten wir das. Aber daran habe ich nun wirklich nicht gedacht", grinste er und zog einen gespielten Schmollmund.

 

Das konnte ja noch heiter werden. Ich schluckte nervös und versuchte etwas Abstand zwischen uns zu bekommen. Doch das ließ es nicht zu. Er legte seinen Arm um meine Taille. Ein kribbeln ging von seiner Berührung aus.

 

„Mach dich mal locker Inessa. Wir werden noch eine sehr lange Zeit aufeinander hocken. Du bist ganz schön verklemmt. Keine Sorge, ich werde nichts tun, was du nicht auch möchtest", zwinkerte er mir zu und gab mich frei.

 

Er wandte sich wieder auf den Rücken und verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf. Blickte hinauf in den Himmel. 

 

Erleichtert atmete ich durch. Ließ ihn jedoch nicht aus dem Blick. Er wippte mit seinem Bein, während ich mich wieder aufrecht setzte.

Ich ging nicht näher auf seine Bemerkung ein.

 

„Hast du denn in all den Jahren irgendwelche Hinweise sammeln können?", fragte ich ihn.

 

„Nein. Es ist mir erst jetzt gestattet. Ich sagte doch, du hast mich ganz schön warten lassen", lachte er auf.

 

Jetzt verstand ich dies. Erst wenn man seinen Rivalen hatte, durfte man beginnen. Wer hatte sich sowas ausgedacht? Er war als erster hier angekommen und durfte als letzter nun beginnen. 

 

„Oh. Ich verstehe. Dann sollten wir keine Zeit verlieren", nickte ich. Meine Stimme hatte immer noch ein leichtes vibrieren. 

 

„Sollten wir uns nicht erst besser kennenlernen? Wie bist du gestorben? Was sind deine Gaben? Wie alt bist du? Sowas alles", setzte er sich nun ebenfalls aufrecht und starrte auf mein Handgelenk. Jedoch blieb meine Kennung verborgen.

 

Mit diesen Fragen hatte ich nicht gerechnet. Mein Herz erhöhte erneut seinen Takt. Ich wollte nicht über mein ableben sprechen. Doch er hatte recht. Ich wusste nichts über ihn. Es würde sicherlich nichts schaden, mehr zu erfahren. Jedoch würde er damit beginnen müssen. Denn Vorsicht war geboten. Ich kannte ihn nicht. Und wer wusste schon, welche Absichten ein jeder von uns verfolgte. Nickend sah ich ihn an und lächelte leicht. Dann setzte ich zum Reden an.

„Dann schieß mal los Taryn. Du möchtest, dass wir uns besser kennenlernen. Ich lasse dir den Vortritt", nun war ich es, die ihm zuzwinkerte.

Was ihn wiederum belustigte.

 

„Also gut Miss Marple. Meinen Namen kennst du ja bereits, immerhin trägst du ihn unter deiner Haut", zwinkerte er witzelnd.

„Ich bin ewige zwanzig Jahre alt. Mochte Spaziergänge in der Natur und gemeinsame Abende mit meinen Freunden. Letzteres wurde mir zum Verhängnis. Einer meiner sogenannten Freunde, kam mit meiner Beliebtheit nicht wirklich zurecht. Außerdem hatte seine Angebetete ein Auge auf mich geworfen. Wollte sich von ihm trennen. Naja, ich war nicht ganz unschuldig", grinste er, dann wurde sein Blick ernster.

„Jedenfalls hatte er an diesem Tag sehr viel getrunken. Auch ich hatte ein paar Schnäpse gekostet. Irgendwie kam es zum Streit. Das letzte was ich zu ihm gesagt hatte war, wie gut seine Freundin schmeckte. Dies fand er überhaupt nicht witzig. Er schlug so lange auf mich ein, bis ich bewusstlos wurde. Doch selbst dann hörte er nicht auf. Er griff nach einem Stein und zertrümmerte meinen Kopf.", flüsterte er nachdenklich. 

 

Für einen langen Moment herrschte stille. Auch er schien nach so langer Zeit mit dem Tod nicht klar zukommen. Er tat mir auch leid, doch irgendwie hatte er es selbst hinauf beschworen. 

 

„Jedenfalls hatte ich keine weiße Weste. Ich war kein guter Junge. Ich war eher das schwarze Schaf. Ein Anführer einer Gang, welche mehr und mehr krumme Dinge drehte. Ich geriet in etwas hinein, aus dem ich nicht mehr heraus kam. Ich fand es nicht verwerflich, musst du wissen. Alles was ich getan hatte, tat ich weil ich es so wollte. Ich hatte keine Familie, die sich für mich interessierte. Keine Mutter die mir den Rücken stärkte. Einfach niemanden. Das war der Grund, weshalb ich diesen Weg wählte.", hauchte er und wog sanft seinen Kopf hin und her. Ein bedauerliches Lächeln huschte über sein makelloses Gesicht. Sein trauriger Blick erfasste mich, ehe er zu Boden sah und einen Grashalm ausriss. 

 

„Du kannst dir vorstellen, wie es war als ich hier landete", nickte er wissentlich in meine Richtung.

„Ich war völlig verwirrt und alleine. Irgendwann erschien dann Salomon. Er wies mich ein, klärte mich auf. Ich wusste vorher schon, dass ich dazu bestimmt war, in der Hölle zu schmoren. Doch das es das hier alles wirklich gab, riss mir den Boden unter den Füßen weg. Über ein Jahr lang war ich hier alleine. Hatte niemanden zum reden, bis auf die Unterweiser. Doch selbst diese sind nicht sonderlich redselig. Dann kam der erste Mitbewohner.", grinste er. 

 

Doch mir war das Lachen vergangen. Seine Geschichte klang so unglaublich traurig und düster in meinen Ohren. Gerade da ich so behütet aufgewachsen war. Gut ich hatte auch nicht wirklich eine Mutter, aber einen Vater der mich über alles liebte. Doch Taryn's Leben schien so tragisch verlaufen zu sein. Er wirkte nicht, als hätte er dies wirklich gewollt. Auch wenn er es beteuerte. 

 

„Zane, einer meiner guten Freunde hier. Auch wenn er ein Massenmörder war. Er hat ein Flugzeug mit einhundertfünfzehnt Passagiere zum abstürzen gebracht. Sie alle inklusive ihm sind gestorben. Er tat es aus Hass an der Menschheit. Da bin ich ein Waisenkind dagegen, was?", fragte er kichernd. 

 

Ich sah ihn mit geweiteten Augen an und nickte still. Dazu konnte und wollte ich nichts sagen.

 

„Dann kam Steve. Ja genau, dein Sitznachbar Steve. Zu Anfangs war er euphorisch. Wie alle von der hellen Seite. Doch schon bald schlug seine Stimmung um. Ich vermute Zane trägt Mitschuld daran. Er wurde ihm zugeteilt. Zane hat einen ziemlich schlechten Einfluss, musst du wissen. Mit den Jahren füllte sich dann die Seelenschmiede. Doch ich wurde niemandem zugeteilt. Bis Du gestern hier ankamst", beendete er seine Geschichte.

 

Ganz unverblümt sah er mich nun wartend an. Ein schiefes Lächeln erschien auf seinen vollen Lippen. Ich pustete hörbar die Luft aus. Mit soviel Ehrlichkeit hatte ich nicht gerechnet. Ich kratzte mir verlegen an der Stirn. 

 

„Wow. Ich. Ich glaube da kann ich nicht mithalten", wog ich sanft meinen Kopf und sah in seine faszinierenden Augen. Sie zogen mich noch immer in ihren Bann. Solche Augen waren sehr sehr selten.

 

„Das befürchte ich auch", lachte Taryn und nickte mir auffordernd zu. 

 

„Na schön du willst dich also langweilen, hm", lächelte ich schwach.

„Meinen Namen lassen wir mal außen vor. Du trägst ihn, wie ich den deinen. Ich bin ewige siebzehn. Erschütternd, ich weiß", grinste ich verlegen. Taryn nickte mir ermuntert zu.

„Ich bin wohl behütet aufgewachsen, auch wenn meine Mutter uns verlassen hatte. Mein Dad liebte mich abgöttisch und ich ihn. Meine Mutter hatte wen Neues kennengelernt und sich eben für ihn entschieden. Dies nahm ich ihr nicht übel. Meinen Dad allerdings, wäre beinahe daran zerbrochen. Marlene, seine Verlobte hatte ihn wieder aufgefangen. Ich mochte sie sehr, sie hielt mir immer bei", lächelte ich wehmütig. Über meine Familie, meine Freunde zu sprechen, schmerzte sehr. 

 

Dies blieb vor Taryn nicht verborgen.

Eine kleine Geste seinerseits, sanft berührte er meine Hand. Bestärkte mich erneut. 

 

„Dann gab es da noch Michi und Jérôme. Meine zwei engsten Freunde, seit Kindheitstagen. Es gab keinen einzigen Tag, an dem wir uns nicht sahen. Wir sind durch dick und dünn gegangen. Michi war schwierig. Zumindest für andere. Jérôme war ein Nerd, weshalb nicht viele von ihm Notiz nahmen. Ich war ein Ass in der Schule, stand kurz vor meinem Abitur. Genau gesagt waren es noch drei Wochen", lachte ich nun. Obwohl es überhaupt nicht witzig war. Denn immerhin war dies für mich erst gestern geschehen.

 

„Jérôme und Michi waren zu mir gekommen. Die beide fanden, dass ich viel zu viel lernte. Wir wollten eine Auszeit. Entschleunigen. Es war so ein schöner lauer Frühlingstag. Der erste für dieses Jahr. Also fuhren wir runter zum Pier, unseren Lieblingsplatz. Verbrachten einen schönen Nachmittag", lächelte ich schwach.

„Auch Sascha war dort. Jemand von dem ich dachte, er würde es ernst mit mir meinen. Anscheinend ging ihm das zwischen uns aber zu langsam. Habe ihn wohl direkt in Joesy's arme getrieben. Eines der leichten Mädchen unsere Schule", keine Ahnung warum ich ihm davon erzählte. Doch es fühlte sich in diesem Moment richtig an. Aufrichtig zu sein.

 

„Jedenfalls war Michi plötzlich unerträglich. Keine Ahnung was vorgefallen war. Aber Jérôme und mir ist dies sofort aufgefallen. Also beschlossen wir zurück zu fahren. Tja, dann hatten wir den Unfall. Ziemlich heftiger Zusammenstoß an der Kreuzung zu unserer Straße. Jérôme's Klapperkiste überschlug sich. Wir wurden ordentlich durch geschleudert und wäre dieser Lastwagen nicht gewesen, würde ich noch leben. Er raste in die Beifahrerseite, dort wo ich saß", verstummte ich und rieb mir meine Arme. Als würde ich frösteln.

 

Die Gedanken an gestern, die Bruchstücke von dem Unfall, waren zurückgekehrt. Ich erinnerte mich, welche Angst ich verspürte. Für einen Moment schloss ich meine Augen. Atmete durch. 

Dann sprach ich weiter.

 

„Ja und dann war ich plötzlich hier. In einem dieser viel zu sterilen Räume mit dem kalten künstlichen Licht. Aber, Michi und Jérôme leben. Ein kleiner Lichtblick für mich", beendete ich flüsternd meine Geschichte. 

 

Als ich meinen Blick wieder Taryn zuwandte, sah er mich mit leicht schräg gelegten Kopf an. Seine Gesichtszüge waren weich. Ich hatte ihn zuvor falsch eingeschätzt. Vielleicht war er garnicht so Böse, wie ich und er selbst dachte. Oder er hatte mir nicht alles preisgegeben. 

 

„Danke das du ehrlich zu mir warst. Obwohl es dir sichtlich schwer gefallen ist. Immerhin ist das alles noch sehr frisch. Jetzt haben wir den Grundstein unserer Zusammenarbeit gelegt", nickte er mir schwach lächelnd zu. 

 

„Naja Zusammenarbeit kann man das wohl kaum nennen. Wir sind Rivalen. Kämpfen um die Seelen der, wie nennt ihr sie, Bosse? Nur im Bezug auf die Aufgaben die sie uns stellen werden, sind wir ein Team", platzte es aus mir heraus. 

 

Was ihm ein Grinsen ins Gesicht zauberte. Ein Grinsen das die Grübchen ans Tageslicht beförderte.

 

„Na hör mal, vielleicht können wir ja verhandeln. Eine Seele für dich, eine Seele für mich. Abwechselnd", lachte er Schulterzuckend.

 

Dies kam überhaupt nicht in Frage. Eine Seele freiwillig dem Teufel zu überlassen, erschien mir völlig falsch. Wobei es wohl auch auf die Umstände besagter Person ankam. Jemand der zum Beispiel einen Mord begannen hatte, sollte eher in die Hölle fahren als hinauf in den Himmel. 

 

„Darüber können wir noch diskutieren, wenn es soweit ist", antwortete ich auf seinen Vorschlag.

 

Was mich nun jedoch brennend interessierte, war seine Gabe. Ob er eine besaß? Warum hatte er dazu kein Sterbenswörtchen verloren? Ich bemerkte wie er hin und wieder auf mein Handgelenk starrte. 

 

„Taryn, besitzt du eine Gabe?", fragte ich ihn gerade raus. Er zog eine seiner braunen hoch und sah mich belustigt an. 

 

„Ich dachte schon, es würde dich nicht interessieren. Ja ich besitze sogar mehrere Gaben", schmunzelte er und ließ dies so stehen. 

 

„Möchtest du mir sagen welche?", fragte ich und hoffte auf ein Ja.

 

„Zum einen erkenne ich die Wahrheit. Ich kann lügen enttarnen. Zum anderen kann ich sehr überzeugend sein. Ich kann dich Dinge tun lassen, die du niemals tun würdest. Dich manipulieren. Und ich bin ein äußerst guter Liebhaber", grinste er nun frech und zwinkerte mir zu.

 

Was mir erneut die Röte in die Wangen trieb. Mir wurde heiß. Wie konnte er so schnell umschalten? Dies brachte mich aus der Fassung. Mein Herz schlug schneller. Doch was mir gerade wirklich sorgen bereitete, war seine Gabe. Er konnte manipulieren. Jemandem seinen Willen aufzwingen. Ich musste achtsam sein. Denn ich wollte um alles in der Welt nicht in die Hölle. Es würde schwierig werden ihm zu vertrauen. 

 

„Verrätst du mir nun auch die deine?", riss er mich aus meinen Gedanken.

 

„Ich kann Auren sehen und lesen. Zudem kann ich Gaben adaptieren", fiepte ich und biss mir auf meine Unterlippe. 

 

Erstaunt blickte er mich an. In seinen Augen funkelte es. Er rückte erneut näher zu mir auf. 

 

„Faszinierend. Du siehst meine Aura? Wie sieht sie aus", fragte er mich begeistert. 

 

In diesem Moment wirbelte seine Aura wild umher. Die blauen schlieren blitzten aufgeregt auf. 

 

„Sie ist wunderschön. Weinrot mir blauen schlieren. Welche aufblitzen wie die Sterne am nächtlichen Himmel. Wie deine Augen", wisperte ich verträumt.

 

Als ich bemerkte, was ich gesagt hatte, wurde mir erneut heiß. Taryn grinste wie ein Honigkuchen Pferd. Denn egal was ich nun auch sagen würde, er wüsste das ich lügen würde. Beschämt senkte ich meinen Blick. 

 

„Was bedeutet dies?", raunte er. Ich war ihm gerade sehr dankbar dafür, dass er nicht weiter auf meine Aussage einging.

 

Es war mir so schon peinlich genug. In Sachen Jungs, Beziehungen war ich nicht gerade eine Meisterin. Denn außer einen laschen Kuss, hatte ich bisher keine Erfahrungen sammeln können. Und dieser kam in der vierten Klasse zustande. Ich war ein völliger Neuling auf diesem Gebiet. Mit Sascha hatte ich Händchen gehalten. Wie unglaublich unreif. 

 

„Ich. Das weiß ich nicht. Ich sehe das du aufgeregt bist. Deine Aura wirbelt stark, aber mehr kann ich leider noch nicht sagen. Momentan sehe ich die Farben und eben den Gemütszustand. Adaptieren kann ich auch noch nicht", stotterte ich. Während mein Blick erneut an seinen vollen Lippen hängen blieb. 

 

Nervös zwirbelte ich eine Strähne zwischen meinen Fingern. 

 

„Das ist schon mehr, als andere am zweiten Tag zustande bringen. Ich denke deine Gaben werden uns sehr nützen. Genauso wie die meinen. Du wirst sehen, wir werden die erste Ebene mit Bravour meistern", nickte er lächelnd und das wirbeln seiner Aura verlangsamte sich. 

 

Zudem fiel mir auf, das dass blau um einiges mehr aufblitzte als zuvor.

 

„Das will ich hoffen. Laut Steve hat es zuvor noch niemand geschafft", flüsterte ich.

 

„Das stimmt. Aber zuvor hatte auch noch niemand solche Gaben wie du. Ich bin davon überzeugt, dass es machbar ist. Hör nicht auf diesen Miesepeter, wir werden es hinbekommen", sprach er und stand auf.

 

Ich sah zu ihm auf. Er hielt mir seine Hand lächelnd entgegen. Einen Moment verharrte ich, sah ihn einfach nur an. Er war so unglaublich gut aussehend. Die Sonne ließ ihn noch heißer aussehen. Mit erhöhtem Puls reichte ich ihm die meine und er zog mich auf meine Beine. Welche sich wie Wackelpudding anfühlten. Ich ging ihm gerade nur bis zum Kinn. Sanft zwang er mich ihn anzusehen.

 

„Es ist Essenszeit. Wir sollten gehen. Morgen können wir beginnen, die Rätsel zu lösen. Etwas herauszufinden", raunte er und strich mir eine Strähne hinter mein Ohr. 

 

Aus Angst meine Stimme würde versagen nickte ich nur. Meine Hand hielt er noch immer fest. Es fühlte sich gut an. Viel zu gut. Ein kribbeln durchzog meinen Körper. Dann gab er mich frei und wir gingen schweigend zurück. Das war alles so grotesk. Wie konnte er böse sein? Niemals. Taryn hatte Fehler begannen, aber das tun doch alle. Jeder trifft mal die falschen Entscheidungen. Doch die Umstände seiner Familie hatten dazu beigetragen, dass er so wurde wie er war. Da war ich von überzeugt. Er war nicht von Natur aus ein schlechter Mensch gewesen. Er wurde so geformt. 

Als wir den Saal gemeinsam betraten, wurde es für einen Moment ganz still. Alle Blicke waren auf uns gerichtet. Erneut wurde ich rot. 

 

„Dann bis später oder bis morgen Inessa", grinste er und zwinkerte mir zu. Ehe er zu seiner Tafel ging. 

 

„Bis dann", flüsterte ich, wohlwissend dass er es nicht mehr hörte. 

 

Voller Scham eilte ich zu meinem Platz und setzte mich neben Michi. Welche mich erstaunt ansah. Selbst Steve sah mich mit hochgezogener Braue an.

 

„Was?", gab ich krächzend von mir.

 

„Na du hast ja vielleicht nerven. Den Saal betreten gemeinsam mit deinem Rivalen? Du erstaunst mich immer wieder", flüsterte Michi.

 

„Wie meinst du das", fragend blickte ich sie an.

 

„Sie will damit sagen, dass sich das bisher noch niemand getraut hat. Normalerweise bleiben alle für sich. Die Hölle dort, der Himmel hier. Das kennenlernen ist pragmatisch. Dient nur Lösung der Rätsel. Aber du verstehst dich ja anscheinend gut mit Mister Ausgeburt der Hölle", keifte Steve und erntete umgehend böse Blicke von Michi und mir.

 

„Tut mir leid das ich dass jetzt sage, aber da hat Steve ausnahmsweise mal recht. Du solltest nicht mehr Zeit mit ihm verbringen wie von Nöten ist", wandte sich Michi nun mir zu. 

 

So ein Schwachsinn. Heute Morgen noch hieß es, wir sollen uns kennenlernen. Nun sagten Sie, ich soll auf Abstand gehen. Kein Wunder das hier noch niemand die erste Ebene gemeistert hatte. Wenn alle so dachten. Wie sollte man denn Zusammenarbeiten, wenn niemand etwas über den andern wusste? Ich war nun vollends verwirrt.

 

„Steht das irgendwo geschrieben? Ein Gesetz? Oder ist das so, weil alle es so handhaben?", zischte ich nun etwas zu aufgebracht. 

 

Was erneut erstaunte Blicke der beiden zur Folge hatte. 

 

„Nein, es ist kein Gesetz. Aber so war es schon immer. Wir bleiben unter unseresgleichen. Das solltest du dir merken", gab Michi eingeschüchtert von sich und begann zu essen.

 

Ich würde mir nicht vorschreiben lassen, mit wem ich mich umgab. Wenn es mir helfen würde weiterzukommen, zog ich dies in Erwägung. Es war mir egal was alle dachten. Taryn anscheinend auch. Denn er war der erste hier in der Seelenschmiede, also wusste er von den Bräuchen hier. Auch er bekam anscheinend gerade eine Standpauke gehalten. Ich sah wie ein Kerl neben ihm wild gestikulierte. Doch an Taryn's Aura sah ich auch, dass es ihm gleichgültig war. Sanft floss sie um ihn herum, während er aß. 

Ich schob meinen ärger in den Hintergrund und begann ebenfalls zu essen.

Ich wollte keinen Streit zwischen Michi und mir. Ich war viel zu froh darüber, dass ich mich mit ihr gut verstand. Also sprang ich über meinen Schatten.

 

„Hör mal Michi, es tut mir leid, dass ich dich eben so angefahren habe", gab ich mit fester Stimme von mir.

 

„Schon Okay Inessa. Jeder muss selbst wissen was er tut. Außerdem hatte niemand mit dir darüber gesprochen. Es wundert mich, dass Taryn dir gegenüber so ist. Eigentlich ist er eher der schweigsame, schwierige Typ", lächelte sie nachdenklich. 

 

Ich war erleichtert, dass sie mir nicht böse war. Doch verstehen konnte ich dieses Ding nicht.

 

„Danke. Bedeutet dies, dass du deinen Rivalen nicht näher kennst?", hakte ich nach.

 

„Was? Natürlich nicht! Als ob ich groß Lust dazu hätte,mehr Zeit als nötig mit Gale zu verbringen. Sie ist ein richtiges Biest. Das wirst du noch spüren. Spätestens wenn du heute nach dem Essen mit nach draußen kommst. Es ist, wie soll ich sagen, ein stetiges hin und her. Sticheleien und böse Worte fallen sehr oft, wenn man auf die Hölle trifft", zog sie eine angewiderte Grimasse.

 

Also war das hier doch eher ein Machtgehabe. Ein Kräftemessen unter den beiden Fraktionen. 

 

„Abgesehen davon, weiß ich mehr über Sie als mir lieb ist", tippte sie sich an den Kopf.

 

Ich wusste worauf Michi hinaus wollte. Sie hatte in ihren Kopf gesehen. Kannte also ihre Geheimnisse. Ein Punkt für Michi, dachte ich mir. Schmunzelnd sah ich zu Jim. Er war immer noch am Essen. Seine Haltung war um einiges besser als heute Morgen. Anscheinend hatte er neuen Mut gefasst. Das erfreute mich sehr. Ich blickte zu Noah. Welcher mich gedankenverloren betrachtete. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er schwach, nickte und entzog seinen Blick. 

 

„Und was tut man so hier? Wenn man Freizeit hat?", redete ich weiter. Ich war schon auf die Antwort gespannt. 

 

„Na alles was man halt so tut. Ausgehen, feiern oder Kino. Solche Sachen eben", überlegte Michi laut.

 

Das machte mich stutzig. Führte man tatsächlich hier ein relativ normales Leben? Wenn man gerade nicht dabei war, die Rätsel zu lösen. 

 

„Also wie auf der Erde?", fragte ich erstaunt.

 

„Ja. Hier ist alles wie vorher. Nur eben ohne Deine Familie und Freunde. Wenn du mich fragst, ziemlich langweilig. Denn ihr geht mir auf die Nerven", mischte sich Steve ein. 

 

„Dich hat aber niemand gefragt! Also sei still. Dich wollte ich sowieso nicht dabei haben, du bist mir viel zu mürrisch", keifte ich zurück.

 

Der Satz mit der Familie versetzte mir einen Stich. Wie konnte er nur so sein? Wollte er unbedingt, dass alle ihn hassten? 

 

„Na dir gefällt ja die Gesellschaft der heißen Brut sowieso viel besser. Du wirst schon noch sehen, wie sehr du dir meine Gesellschaft dann wünschst", lachte er gehässig, stand auf und ging. 

 

„Was hat er bloß für Probleme", fragte ich angesäuert und sah ihm nach.

 

„Keine Ahnung. Ich möchte es auch überhaupt nicht wissen. Steve war wohl früher anderes. Aber was genau ihm widerfahren ist, bleibt sein Geheimnis", antwortete Michi und trank ihren Becher aus.

„Also?", schnalze sie.

 

„Also was?", wandte ich mich ihr zu.

 

„Gehst du mit? Ich könnte dir bisschen was zeigen. Hier von der Ebene eins", lächelte sie mir hoffnungsvoll entgegen.

 

Eigentlich wollte ich zu dem Fenster Praesentia gehen. Nach meiner Familie sehen, meinen Freunden. Doch dies würde mich wahrscheinlich erneut zu sehr verletzen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich die erste Woche hier abwarten würde. Wenn etwas Zeit vergangen war. Also beschloss ich, Michi zu begleiten.

 

„In Ordnung. Du führst mich. Ich bin gespannt, was dieser Ort zu bieten hat", nickte ich und leerte auch meinen Becher. 

 

Michi klatschte erfreut in die Hände und sprang auf.

„Dann lass uns gehen", flötete sie und ging los.

 

Ich folgte ihr durch den Saal. Mein Blick glitt für den Bruchteil einer Sekunde zu Taryn. Welcher mir grinsend nach sah. Auch ich grinste nun vor mich hin. Folgte Michi hinaus aus der rechten Tür. Umgehend verschwand mein Grinsen.

Was zum Teufel war das denn nun für ein Ort? 

Hier war es unsagbar heiß und stickig. Alles war so unglaublich düster und karg. Riesige Felswände ragten hoch über uns hinaus. Das hier konnte unmöglich Michi's ernst sein.

 

„Wo sind wir hier", fragte ich flüsternd. Aus Angst ein lauter Ton würde die steinernen Wände zum Einsturz bringen und uns darunter begraben. Was natürlich völliger Blödsinn war. Denn was tot war konnte nicht mehr sterben. Oder etwa doch?

 

„Ich wollte das du dies hier siehst. Dies ist die Seite der Hölle. Ein Vorgeschmack was dort unten wartet. Ganz viele Orte hier sind dem Himmel und der Hölle nachempfunden. Damit wir unser Ziel nicht aus den Augen verlieren. Jeder kann sich hier frei bewegen. Dies ist nur einer der vielen Wege die nach draußen führen", wandte Michi sich mir zu.

 

„Zeigst du mir das hier, weil ich Zeit mit Taryn verbracht habe?", fragte ich und schlenderte weiter durch die Felsenwände hindurch.

 

„Auch. Er mag dir nett vorkommen. Das sind sie meist zu Anfang. Auch Gale war so, doch ich habe sie gleich durchschaut. Meine Gabe. Ich möchte nur nicht, dass du dich da in etwas hineinsteigerst. Vergiss es, du brauchst nichts zu sagen, ich konnte es sehen", tadelte sie mich, bevor ich auch nur ein Wort dazu sagen konnte. 

 

Ich verstand ihre Sorge. Aber ich war davon überzeugt, dass Taryn anders war. Das es richtig war, mit ihm auf Tuchfühlung zu gehen. Schnell wischte ich diese Gedanken fort. Ich wollte keine neue Auseinandersetzung starten. 

Als ich einen Lufthauch spürte, beschleunigte ich automatisch meinen Schritt. Ich sah Tageslicht. Das Ende dieser Schlucht in diesem Berg war zu sehen. Als wir hinaustraten, atmete ich erleichtert durch. Es war so erdrückend dort drin gewesen. Beängstigend.

 

Hier war es schön. Wunderschön. Es war die Straße, welche ich von meinem Fenster aus sehen konnte. Die kleinen Gassen mit den Pflastersteinen und ihren bunten Häuserfronten. Ich fühlte mich beinahe wie in der Winkelgasse. Es gab einige kleine Läden hier. Unter anderem ein Antiquariat, welches umgehend meine Aufmerksamkeit erregte. Alleine die Laternen, welche diese Straße und die vielen kleinen Gassen zierten, schienen aus einer anderen Zeit zu sein. Vögel Gezwitscher prasselte auf uns nieder. Michi ging lächelnd weiter. 

 

„Komm, ich zeige dir wo wir uns sehr of aufhalten", rief sie mir über ihre Schulter zu und ich folgte ihr.

 

Zielstrebig steuerte sie einen kleinen Park an. Je näher wir kamen, umso faszinierender fand ich diesen Ort. Ein kleiner Bachlauf war auf der linken Seite zu erkennen. Dort tummelten sich Gruppen von vier bis fünf Leuten am Ufer. Einige saßen, andere lagen und genossen die Sonne. Einige unterhielten sich angeregt. Vögel flogen über uns hinweg und flüchteten sich in die Baumkronen der Urbäume. Etliche Bänke, die zum verweilen einluden, standen darunter. Der Weg war ein Erlebnispfad. Er bestand aus den verschiedensten Materialien, welche die Natur zu bieten hatte. Sand, Kiesel, waren nur einige dieser Materialien. 

 

„Dieser weg dient zur Empfindungsübung. Es ist kein Muss, aber das fühlen ist nunmal für manch einen sehr wichtig. Ich mag das dumpfe Gefühl nicht, deshalb gehe ich täglich hier her", erklärte Michi mir.

 

„Das heißt, man kann das fühlen trainieren? Wird es wieder so, wie vorher", fragte ich erstaunt.

 

„Laut Noah, ja. Ich hoffe es zumindest", lächelte sie und schlüpfte aus ihren Sandalen.

 

Begeistert tat ich es ihr gleich. Ich wollte meine Empfindungen zurück. Spüren wie sich der Sand unter meinen Füßen anfühlte. 

Michi schritt grinsend voran und ich folgte ihr. Leider wurde meine anfängliche Euphorie umgehend getrübt. Es war nur ein dumpfes Gefühl. Schwach. Kaum spürbar. Nicht so wie der Schmerz. Erst als wir die Kiesel erreicht hatten, spürte ich die kleinen Spitzen Steinchen. Welche sich in meine Sohle bohrten.

 

„Dies ist das erste, was jeder verspürt. Schmerz", hauchte sie traurig und blieb stehen.

„Aber es wird besser. Ich fühle bereits viel mehr, als zu Anfangs", nickte sie mir zu. Ihre Mundwinkel zuckten für einen Moment. 

 

„Ich hoffe es, denn mir gefällt dieses dumpfe kribbeln überhaupt nicht. Es fühlt sich an, als wäre mein gesamter Körper eingeschlafen", antwortete ich ihr und zog meine Sandalen wieder an.

 

„Ja ekelhaft oder? Da schau. Die Brut ist auch hier", wies sie mit ihrem Kopf in die Richtung, aus der bereits heftige Diskussionen zu uns rüber hallten. 

 

Ich wandte mich um und sah Taryn, gefolgt von weiteren Höllenanwärtern. Umgehend erhöhte sich der Takt meines Herzens. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Keine Ahnung warum ich so auf ihn reagierte. 

 

„Sag Michi, wie ist das eigentlich. Wenn wir Seelen von Menschen formen. Tun wir das von hier aus? Oder wie läuft das ab", fragte ich beiläufig und beobachtete jeden seiner Schritte.

 

Grinsend zwinkerte er mir zu und ging mit seinesgleichen ebenfalls zum Ufer des kleinen Baches. Welcher hier allerdings um einiges gewachsen war. Er war schon eher ein Fluss an dieser Stelle. Auch Michi setzte sich nun wieder in Bewegung.

 

„Natürlich nicht. Dies müssen wir von Angesicht zu Angesicht tun. Es... es fühlt sich seltsam an. Wieder auf der Erde zu sein", sprach sie und blieb am Ufer stehen. 

 

Unweit von Taryn und seiner Gruppe. Dort ließ sie sich im Gras nieder. Ich nahm neben ihr Platz.

 

„Bedeutet dies, wir werden auf die Erde gesandt?", fragte ich aufgeregt.

 

„Ja, mach dir jedoch keine allzu großen Hoffnungen. Nur sehr selten wird man in seine alte Umgebung gesandt. Außerdem musst du acht geben. Engel und Dämonen wandeln dort, sie sind in der Lage uns zu verletzen. Denn hier ist es alles, aber keinesfalls leicht", nahm sie mir meine Hoffnung darauf, mit meiner Familie in Kontakt zu treten. 

 

„Wie meinst du das?", fragte ich verwundert. 

 

Wenn wir Aufgaben für die Bosse erledigen sollten, warum sandten sie dann Gegenspieler aus? 

 

„Nun ja, in gewisser Weise hatte Steve schon recht. Es ist eine Art Spiel für sie. Anscheinend amüsiert es die Bosse, wenn es spannend wird", flüsterte Michi nachdenklich.

 

„Bist du schon einem von ihnen begegnet?", hauchte ich.

 

„Einmal ja. Einem Engel. Das verrückte ist, selbst sie sind gegen uns. Wären wir nicht gerade verschwunden, hätte er auch mich verletzen können", nickte sie erschaudernd. 

 

Das war alles ziemlich verrückt. Ich wollte unbedingt mehr darüber erfahren. Vielleicht sollte ich Noah dazu befragen? Denn das wie und warum war mir schleierhaft. Doch ob dieser mir darauf antworten würde, stand in den Sternen. Als ich sah, dass Steve und ein paar andere von unserer Tafel auf uns zusteuerten, stand ich auf. 

Auf ihn hatte ich nun wirklich keine Lust. Er sah mir viel zu provozierend aus. Denn sein Blick ging an uns vorbei, direkt zu Taryn und seiner Gruppe. Welche ebenso provokant grinsten. 

Mir fiel das Antiquariat wieder ein, dort wollte ich hin. Vielleicht fand ich dort Antworten auf meine Fragen. 

 

„Ich werde nun gehen, ich habe keine Lust auf Steve", wandte ich mich Michi zu.

 

„In Ordnung. Ich werde zumindest versuchen, diese Machtspiele zu unterbinden. Es ist täglich das selbe Spiel", rollte sie genervt mit den Augen und stand auf.

 

„Viel Glück", zog ich eine Grimasse und machte mich auf den Weg. 

 

Ein letztes Mal blickte ich zu Taryn, welcher erstaunt seinen Kopf schief legte. Dann ging ich schnellen Schrittes davon. Folgte dem Fluss, welcher immer schmaler wurde. Bis zu dem kleinen Bachlauf, welcher er zu Anfangs gewesen war. Vorbei an den mächtigen Bäumen und den etlichen Gruppen, bis ich die Straße erreicht hatte. Erst als ich vor dem Antiquariat stand, blieb ich stehen. Ich fühlte mich beobachtet. Doch als ich mich umsah, war niemand zu sehen. Ich betätige die Tür und schritt hinein. Eine alte Dame lächelte mir freundlich entgegen. Ihr schlohweißes Haar ging ihr bis über die Schulter. Sie war ziemlich klein und gut beisammen. 

 

„Hallo Kindchen, komm ruhig herein. Mein Name ist Marta und ich bin rund um die Uhr für euch da. Suchst du etwas bestimmtes", watschelte sie auf mich zu.

 

„Hallo, ich bin Inessa. Ich weiß nicht. Hast du Bücher über die Seelenschmiede? Oder über Engel und Dämonen?", fragte ich verunsichert. 

 

Denn ich hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren würde. 

 

„Inessa. Was für ein schöner Name. Natürlich besitze ich solche Bücher. Jedoch bist du die erste, die danach fragt", lächelte sie noch immer und nickte mir gedankenverloren zu. 

 

Man sah ihr an, wie sie überlegte. „Komm!", rief sie aus und ich folgte ihr.

 

War ich tatsächlich die erste, die dies interessierte? Warum war vorher niemand auf diese Idee gekommen? Marta's Aura leuchtete in einem Sonnengelb, wie ich es hier noch nicht erblickt hatte. Sanft umgab es die ältere Dame. Sie schien beinahe still zu stehen. Marta führte mich durch etliche Gänge hindurch. Erstaunt über die Größe sah ich mich um. Von außen sah es aus wie ein Tante Emma Landen. Doch das Innere war so groß wie die Stadtbibliothek von Chicago. Die Regale waren mindestens vier Meter hoch und so lang, das ihr ende kaum zu sehen war. Immer tiefer führte sie mich hinein, bis sie vor einem weiteren Raum zum stehen kam. 

 

„Hier wirst du fündig werden", gab sie schnaufend von sich. 

 

„Ich danke dir. Kann ich mir die Bücher ausleihen oder muss ich hier lesen?", fragte ich beiläufig und blickte durch die Tür.

 

„Du darfst sie natürlich mitnehmen. Trage einfach hier den Titel und deinen Namen ein. Damit ich weiß, wo meine Schätzchen sind", zwinkerte sie mir zu. Dann watschelte sie davon und ließ mich alleine zurück.

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AnkeSabineBs Profilbild AnkeSabineB

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Kapitel: 7
Sätze: 2.164
Wörter: 17.567
Zeichen: 100.531

Kurzbeschreibung

Man sagt, wenn man stirbt, kommt man in den Himmel oder in die Hölle. Es heißt, wenn die Seele rein ist, fährt man hinauf. Ist die Seele jedoch beschmutzt, fährt man hinab. Doch so einfach, ist es nicht. Wenn man stirbt, erscheint kein Heller Tunnel. Kein gleißendes Licht. Es wartet auch kein Fährmann auf jemanden. Kein Styx der überquert werden muss. Auch kein Tor. Nichts. Dies durfte ich am eigenen Leib erfahren. Besser gesagt, stecke ich mittendrin... Inessa, ein siebzehn Jahre altes Mädchen, wird aus ihrem Leben gerissen. Doch genau ab diesem Zeitpunkt, beginnt ihr Abenteuer. Sie ist eine der wenigen, welche die sieben Ebenen meistern dürfen. Doch dort lauert auch die Gefahr. Was wenn man dabei ist, sich zu verlieben. Wenn dieser jeman