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Silbervogel und Glasharfe

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27.09.23 20:04
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Es war einmal eine Königin und ein König, die hatten einen Sohn. Als der Prinz eines Tages auf die Jagd ging, entfernte er sich weit von seinen Begleitern und schließlich merkte er, daß er sich verirrt hatte. Der Wald um ihn herum war dunkel und drohend und sicherlich war er auch verzaubert.

Als der Prinz seinen in der Düsternis kaum erkennbaren Spuren zurückfolgen wollte, sah er auf dem Waldboden etwas silbern schimmern, als läge dort ein Stück des Mondes. Der Schein war so hell, daß der Prinz im ersten Moment geblendet wurde, dann faßte er sich ein Herz, stieg vom Pferd und hob die hell leuchtende Feder auf.

"Welchem Vogel mag diese Feder wohl gewachsen sein?!" dachte er laut und kaum waren seine Worte in der unheimlichen Stille des Waldes verklungen, erhob sich ein Rauschen in den Bäumen und es wurde plötzliche taghell. Ein wunderschöner, wie flüssiges Mondlicht glänzender Vogel landete auf einem Ast und sah auf den Prinzen hinunter, der starr vor Staunen neben seinem Pferd stand und die gefundene Feder umklammert hielt. Das Pferd schnaubte unruhig, aber als des Vogels silberhelle Stimme erklang wurde es ganz still und lauschte, wie sein Herrn.

"Du hast mich gerufen, Prinz. Was willst Du von der Tochter des Mondlichts?" Und da saß plötzlich kein silberner Vogel mehr auf dem Ast, sondern ein wunderschönes Mädchen in einem silbernen Kleid. Ihre Augen waren wie zwei Sterne und ihr Haar so schwarz wie eine sternklare Nacht, mit Diamenten und silbernen Perlen durchflochten, und ihre Haut war weiß und rein wie Milch.

Der Prinz war überwältigt von der Schönheit des Mädchens und sagte: "Komm mit mir auf das Schloß meiner Eltern und werde meine Frau."

Doch die Tochter des Mondlichts fragte: "Was gibst Du mir als Geschenk?"

Der Prinz zog seine Ringe von den Fingern, goldne Reifen mit großen, kostbaren Edelsteinen, und reichte sie der Tochter des Mondlichts. "Komm mit mir. Ohne Dich kann ich nicht wieder glücklich sein."

Mit ihrer kühlen, reinen Hand nahm die Tochter des Mondlichts die Ringe entgegen, steckte sie an die Finger und die Steine begannen, von innen heraus zu leuchten. "Für einen Monat werde ich bei Dir bleiben, dann kehre ich in den Wald zurück, außer Du bringst mir die Gläserne Harfe... hilf mir herunter." Und der Prinz streckte die Arme aus, um die Tochter des Mondlichts aufzufangen, und sie nach nicht schwerer als eine Feder.

Die Tochter des Mondlichts führte den Prinzen aus dem verzauberten Wald auf den richtigen Weg und zum Schloß seiner Eltern. Die Königin und der König waren sehr erstaunt, als sie sahen, wen ihr Sohn mit sich brachte, aber sie waren auch sehr erfreut, denn sie entzückte die Schönheit und Anmut der Tochter des Mondlichts. Doch als sie die Hochzeit ausrichten wollten, sagte die Tochter des Mondlichts. "Ich werde den Prinzen erst heiraten, wenn er mir die Gläserne Harfe bringt." Da sie aber noch einen Monat bleiben würde, machte sich der Prinz noch nicht auf die Suche nach der Gläsernen Harfe sondern blieb auf dem Schloß seiner Eltern und verbrachte mit der Tochter des Mondlichts die schönsten Tage seines Lebens, wie es ihm schien.

*

Eines Tages jedoch, als der Prinz am Morgen die Tochter des Mondlichts neben sich im Bett suchte, fand er dort nur einen Zettel, auf dem stand:

'Willst Du mich wiedersehen, suche die gläserne Harfe für mich, dann nimm die Feder, die Du vor einem Monat gefunden hast und rufe mich im Zauberwald, wo Du mich zum ersten Mal gesehen hast.
Dein Silbervogel'

Da war der Prinz sehr traurig, daß die Tochter des Mondlichts ihn verlassen hatte, doch dann machte er sich schließlich auf, einen weisen Mann zu besuchen, der überall im Königreich wegen seines Wissens geachtet war, um ihn nach der Gläsernen Harfe zu fragen.

Der Weise Mann war ein Einsiedler, der tief im Wald in einer Höhle wohnte und man sagte, er hätte dort selbst von Göttern Besuch bekommen, die ihn nach seiner Meinung zu ihren Problemen fragten. Als der Prinz zu der Höhle des Einsiedlerns kam, war der gerade dabei, aus dem Korn und Gemüse, das die Leute aus den umliegenden Dörfern ihm für seine Ratschläge brachten, sein Mittagsmahl zu bereiten, und er lud den Prinzen ein, mit ihm zu speisen.

Beim Essen erzählte der Prinz von der leuchtenden Feder und der Tochter des Mondlichts, die ja auch der Silbervogel war und von der Gläsernen Harde, die er finden mußte, um die Tochter des Mondlichts heiraten zu können.

Der Weise Mann hörte sich alles geduldig an und sagte dann: "Du mußt wissen, die Tochter des Mondlichts ist verzaubert. Nur einen Monat ihm Jahr hat sie menschliche Gestalt, und nur der Klang der Gläsernen Harfe kann sie erlösen. Doch wenn Du die Harfe gefunden hast, achte darauf, sie nicht zu zerbrachen, denn ist sie zerstört, wird die Tochter des Mondlichts für immer ein Vogel bleiben."

Der Prinz versprach, aufzupassen und fragte dann, wo die Gläserne Harfe zu finden sein.

"Ich weiß nicht, wo sie versteckt liegt, aber ich kann Dir jemanden sagen, der es wissen müßte. Es ist die Sphinx vom Kahlen Berg. Doch gibt acht, sie ist sehr launisch und schon manch einer, der sie befragen wollte, kam dabei ums Leben. Bring ihr stark duftende Blumen mit, um sie zu beruhigen", empfahl der Weise Mann dem Prinzen.

"Und wie finde ich die Sphinx vom Kahlen Berg?" fragte der Prinz wieder.

"Die Sphinx wird Dich finden, sobald Du den Kahlen Berg betrittst. Wenn Du von hier aus gerade der untergehenden Sonne entgegengehst, wirst Du den Kahlen Berg nach drei Tagen Wegs vor Dir sehen."

Und so zog der Prinz nach Westen, in Richtung der untergehenden Sonne und richtig, nach drei Tagen sah er am Horizont eine hohe Steinsäule, die ganz und gar kahl war, nur schroffer Fels. Das mußte der Kahle Berg sein. Der Prinz besann sich auf den Ratschlag des Einsiedlers und pflückte auf der Wiese um den Kahlen Berg einen Armvoll Blumen, deren Duft ihn fast betäubte, dann machte er sich daran, den Berg zu erklimmen, sein Pferd ließ er unten zurück.

Kaum befand sich der Prinz etwas zwei Pferdelängen über dem Boden, als plötzlich ein mächtiges Poltern ertönte und ein riesiges Ungeheuer den Weg herunterkam, den er Prinz für seinen Aufstieg gewählt hatte. Das Ungeheuer hatte den Körper eines gewaltigen Löwen und den Kopf einer wunderschönen Frau mit langen blonden Haaren, nur sehr, sehr groß.

"Was willst Du, Sterblicher?" fragte die Sphinx vom Kahlen Berg mit Donnerstimme.

Der Prinz fuhr bei der Lautstärke der Stimme zusammen, aber dann faßte er sich wieder, machte eine artige Verbeugung und streckte der Sphinx die Blumen entgegen. Die Sphinx nahm einen tiefen Atemzug, dann nießte sie ohrenbetäubend und die Blumen flogen durch die Luft.

"Du mußt verzeihen", sagte die Sphinx verlegen, und schon viel leiser. "Also, was willst Du hier?"

"Kannst Du mir sagen, wo ich die Gläserne Harfe finde?"

Die strahlend blauen Augen der Sphinx ruhten einen Moment prüfend auf dem Prinzen." Weshalb willst Du das wissen?" fragte sie dann mißstrauisch.

"Um die Tochter des Mondlichts zu erlösen", erwiderte der Prinz mutig und streckte der Sphinx zum Beweis der Rechtmäßigkeit seines Wunsches den Zettel und die Feder entgegen, die die Tochter des Mondlichts ihm hinterlassen hatte.

"Nun, es sieht so aus, als dürfte ich Dir sagen, wo sich die Gläserne Harfe befindet", meinte die Sphinx einlenkend, dann bat sie den Prinzen, ihr zu folgen.

Die Sphinx verschwand in einer verborgenen Höhle, die sich zu einem Tunnel verlängerte, der spiralförmig nach unten führte, immer tiefer in den Berg, immer weiter hinunter, tief unter die Erde. Schließlich erreichten sie das Ende des Tunnels und standen am Rande eines unterirdischen Sees, der von seinem Grund her bläulich leuchtete und die Höhle in ein geheimnisvolles Licht tauchte. Von irgendwoher drang klägliches Schluchzen und immer wieder ein kristallenes 'Pling' an die Ohren des Prinzen und die Sphinx sagte: "Das ist ein Wassergeistchen. Es weint Quellkristalle, wie alle unterirdischen Wassergeistchen."

Das Wassergeistchen sah sehr nass aus und war durchsichtig blauschimmernd, so wie das Wasser des Sees. Die Tränen, die aus seinen Augen quollen, waren tatsächlich aus Kristall, kleine blaue Steinchen, die mit einem 'Pling' auf den Felsboden trafen und hell vor sich hinleuchteten.

"Warum weint es?" fragte der Prinz, den der Kummer des Wassergeistchens anrührte.

"Alle Wassergeistchen weinen", sagte die Sphinx wegwerfend. "Woher sollte sonst all das Wasser kommen?"

Das leuchtete dem Prinzen ein.

"Was nun die Gläserne Harfe betrifft: sie ist auf dem Grund dieses Sees. Der Zauberer, der die Tochter des Mondlichts verwandelte, hat sie hier versenkt. Ich könnte das Wassergeistchen schicken, sie zu holen, aber dann hat das Geistchen die Besitzansprüche und was Kristall und Glas betrifft sind die Wassergeistchen sehr empfindlich. Auf jeden Fall würde es die Harfe eher zerbrechen, als sie Dir zu überlassen... sammle so viel von den noch trocknen Tränen ein, wie Du findest. Wenn Du eine von ihnen schluckst, kannst Du für eine gewisse Zeit unter Wasser atmen, wie sonst nur an Land. Die Harfe liegt an der tiefsten Stelle des Sees auf dem Grund, in einem silbernen Kästchen, nicht größer als Deine Hand. Aber paß auf, daß das Kästchen unter Wasser nicht aufspringt, denn die Harfe wird dann sicher wegschwimmen und da sie durchsichtig ist, wirst Du sie im Wasser nie wiederfinden."

Der Prinz versprach, aufzupassen, sammelte zehn der Kristalltränen auf, schluckte eine von ihnen und stieg in den See.

Das Licht des Sees kam von tausenden kleiner Kristalle, die auf dem zur Mitte hin absinkenden Grund des Sees lagen, alle wahrscheinlich von dem Wassergeistchen, das sich am Ufer die Augen ausweinte. Der Prinz ging im kristallklaren Wasser den Grund des Sees entlang und tatsächlich atmete er so leicht, als stiege er an einem frischen Frühlingstag einen Hügel hinab.

Der Prinz kam immer tiefer und es wurde immer heller, denn am Grund lagen zur tiefsten Stelle hin immer mehr der Kristalltränen, deren langsame Auflösung im Wasser Turbulenzen erzeugte. Als der Prinz das Gefühl hatte, nicht mehr richtig atmen zu können, schluckte er einen weiteren Kristall von denen, die er am Ufer aufgesammelt hatte und stieg noch tiefer. Oft schien sich der Boden unter seinen Füßen aufzulösen, denn die Kristalle lagen jetzt dicht und hoch auf dem Grund, auf dem gar keine tiefste Stelle auszumachen war.

Der Prinz begann, in den Kristallen zu wühlen, als er sah, daß er sich etwa in der Mitte der Senke befand, in der sich das Wasser aus den Tränen des Wassergeistchens zu einem unterirdischen See gesammelt hatte. Nach einer Weile und drei weiteren geschluckten Kristalltränen stieß der Prinz schließlich af einen kleinen Kasten und als er ihn aus den Tränen hochzog sah er, daß es sich tatsächlich um das Silberkästchen handeln mußte, in dem die Gläserne Harfe lag.

Schnell machte sich der Prinz wieder auf den Weg zurück zum Ufer und erreichte es auch wohlbehalten. Die Sphinx erwartete ihn, und das Wassergeistchen weinte noch immer, ohne einen Blick für seine Umgebung.

"Öffne den Kasten", wies die Sphinx den Prinzen an, und als er hineinblickte sah er eine winzige Harfe, sehr fein aus Glas gearbeitete, die auf einem samtenen Kissen in dem mit Seide ausgekleideten Kästchen lag.

"Machte Dich jetzt auf, den Silbervogel zu suchen und erlöse ihn", sagte die Sphinx freundlich und geleitete den Prinzen wieder unter freien Himmel und hinunter zu seinem Pferd.

Inzwischen war es Nacht geworden, obwohl es dem Prinzen gar nicht so lange vorgekommen war, trotzdem machte er sich schnell auf den Weg zurück zu Schloß seiner Eltern, um von dort aus in den Zauberwald zu gehen und den Silbervogel, die Tochter des Mondlichts, zu suchen und zu erlösen.

*

Als der Prinz schließlich wieder den düsteren Zauberwald erreicht hatte, nahm er die leuchtende Feder, die er vor etwas mehr als einem Monat hier gefunden und seitdem stets an seinem Herzen getragen hatte und rief die Tochter des Mondlichts. Zuerst rührte sich nichts, aber dann rauschten die Blätter und der Wald wurde taghell, sogar noch heller, als blicke man in die Sonne selbst, denn diesmal waren es zwei Vögel, die erschienen: der Silbervogel und ein goldener Vogel, als hätte man Mond und Sonne nebeneinander auf einen Ast gesetzt.

"Was willst Du, Prinz?" fragte der Silbervogel mit seiner wunderschönen Stimme.

"Ich habe die Harfe", erwiderte der Prinz und zeigte den Silberkasten vor. "Ich werde Dich erlösen." Dann öffnete der Prinz den Kasten, um die Harfe zum Klingen zu bringen, doch da bewegte der Silbervogel heftig die Flügel und der so erzeugte Wind trug die winzige Harfe aus Glas aus dem gepolsterten Kasten, so daß sie mit einem hohen Klirren an einem Baumstamm zerschellte.

"Aber warum hast Du das gemacht", fragte der Prinz entsetzt. "Nun kannst Du nie mehr erlöst werden."

Es schien fast, als verzöge der Silbervogel seinen Schnabel zu einem Lächeln, als er näher an den goldenen Vogel rückte, der sich nicht bewegte und nichts sagte. "Ich ziehe ihn Dir vor", erklärte die Tochter des Mondlichts, die nun auf ewig ein Vogel bleiben würde. "Und um bei dem Goldvogel, dem Sonnengefiederten, bleiben zu können, muß auch ich ein Vogel sein." Dann lachte der Silvervogel fröhlich und zusammen mit dem Goldvogel schwang sich die Tochter des Mondlichts in die Luft.

Der Prinz blieb allein zurück.

* * *

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Elisabeths Profilbild Elisabeth

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Kurzbeschreibung

Ein kleines Märchen für zwischendurch mit einem Prinzen, der bei seiner Queste eigentlich alles richtig macht...