Storys > Geschichten > Fantasy > Lichtbringer

Lichtbringer

308
2
19.02.17 22:33
12 Ab 12 Jahren
In Arbeit

 

Prolog

 

 

Die ersten Sonnenstrahlen, die in die Straßen Varas fielen, ließen den Ort beinahe friedlich erscheinen. Sämtliche Wege, zwischen den weiß getünchten Gebäuden, waren verlassen. Normalerweise hätte man die Schuld daran der frühen Stunde geben können, doch die Stille war heute nicht die normale Ruhe des Schlafs. Nicht einmal ein Hund bellte, in der Ferne. Keine Fuhrwerke auf den Straßen, keine Nachtschwärmer, die das erste Licht nun nach Hause trieb. Als hätte die Welt den Atem angehalten, und harrte einer ungewissen Zukunft. Auf den Stadtmauern standen, scheinbar genau so erstarrt wie der Rest Varas, seine Verteidiger. Das rötliche Glitzern von Stahl, der die Morgensonne reflektierte, verlieh diesen Männern etwas Ehrfurcht gebietendes. Drei Reihen tief waren, die Wälle der Stadt/ mit Soldaten besetzt. Eine Armee, der man zutrauen konnte, es mit allen aufzunehmen, was man ihr entgegenwarf. Veteranen und junge Rekruten gleichermaßen, aber sie alle hatten ihre ersten Bewährungen überstanden. Und doch konnten manche ihre Angst oder Nervosität nicht verbergen. Das Klirren, der Panzerplatten, durchbrach gelegentlich die unheimliche Ruhe, wenn jemand es nicht länger still auf seinem Platz aushielt. Banner, die das Sternenwappen der Stadt zeigten, wankten, als eine Windböe durch die auf alles gefassten Kämpfer ging. Zwischen den in hellen Stahl gewandeten Männern, standen mehrere, die durch ihre tiefschwarzen Panzer auffielen, auf denen nur das Emblem eines Drachen silbern hervorschien. Das Wappen der Kaiser. Visierhelme verbargen die Gesichter dieser dunklen Gestalten. Keiner von ihnen wankte, wo die gewöhnlichen Soldaten, trotz ihrer Disziplin, nicht völlig ruhig bleiben konnten. Flüsterten… über das was kommen würde, ihre Angst, die beim ersten Aufeinandertreffen von Stahl hinweg gespült werden würde…. oder in endlose Erleichterung übergehen, je nachdem, was die nächste Stunde brachte. Nur die schwarzen, Ritter beteiligten sich nicht an den leisen Gesprächen und niemand wagte es, auch nur zu versuchen, sich mit ihnen zu unterhalten. Prätorianern brachte man Ehrfurcht entgegen, aber sicher nicht Kameradschaft. Dazu waren, diese Krieger, eine zu eingeschworene Gemeinschaft unter sich. Die Elite des Reichs war nur zu einem einzigen Zweck hier. Den scheinbar nicht enden wollenden Vormarsch aus dem Norden zu stoppen. Nach zehn endlosen Jahren… endgültig. Vielleicht würde ihnen das hier gelingen und sie damit zur Legende werden. Der Mann, den sie den Adler des Nordens nannten, sah von/ seinem Platz auf einem Hügel, auf die scheinbar erstarrte Stadt hinab. Das Land um Vara war mit einer Unzahl von Zelten und kleineren, rasch errichteten Hütten bedeckt. Genug, das nur an den wenigsten Stellen noch Gras zu sehen war. Tausende Füße, hatten längst Ödland aus der Gegend gemacht und nur die hier und da noch stehenden Runensteine ragten über die Zeltplanen hinweg. Den Mann, auf seinem Platz, hoch über den Zelten, jedoch interessierte das Heerlager weniger. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Stadttor, dem sich soeben eine kleine Truppe Reiter näherte. Ein befestigter Weg, führte von den Toren die Bergflanke hinauf, bis er sich zwischen den Zelten verlor. Etwa auf halbem Weg, den Pfad hinauf, wurden die Reiter bereits von, einer zahlenmäßig etwa gleich großen Gruppe erwartet. Auf die Entfernung, waren die Leute nur als bunte Punkte auszumachen. Die Pferde wurden angehalten und einer der Boten sprang aus dem Sattel, einen Brief in der Hand. Gleichzeitig trat einer der Männer, aus der Gruppe, vor den Stadttoren, vor, nahm das Schriftstück an sich und überflog es offenbar kurz. Danach sagte er irgendetwas… offenbar das Falsche. Männer griffen nach ihren Schwertern und vereinzelt nach brennenden Lunten, die sie, für ihre Gewehre, in kleinen Bleibehältern aufbewahrten. Eine Geste des Reiters, der den Brief überbracht hatte, sorgte dafür, dass zumindest seine Leute, die Waffen wieder sinken ließen. Einige Augenblicke lang wurden noch Worte gewechselt, dann machte der Bote eine wegwerfende Handbewegung und sprang wieder auf sein Pferd. Die Reiter wendeten die Tiere und trieben sie wieder in Richtung Heerlager davon, während die Gruppe aus der Stadt sich auf den Weg zurück zu den Toren machte. Alles war zu weit weg, als das der Beobachter von seiner Position aus etwas hätte verstehen können, aber war es nicht sowieso immer dasselbe? Simon Belfare wendete den Blick von der Stadt ab und wartete auf die Rückkehr des Boten. Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten. Wenige Augenblicke später kam der Mann den Hügel hinaufgerannt. Das Pferd hatte er offenbar zurückgelassen und vermutlich wäre er, zwischen den ganzen Seilverankerungen, auch nicht weit gekommen. Selbst wenn, hätte es der Bote wohl vorgezogen zu Fuß zu laufen. Die meisten Gejarn mochten keine Pferde. Man hätte ihn, nur aus der Entfernung, für einen Menschen halten können. Aus der Nähe jedoch, waren das dunkelgraue Fell und die wölfischen Gesichtszüge des Mannes kaum mehr zu übersehen. Der Bote verbeugte sich kurz, hatte jedoch kaum den Kopf geneigt, als Simon ihm schon bedeutete, sich wieder zu erheben. Manche hielten es für nötig, vor ihm zu Knien, vor allem die Narren, die er eines besseren belehrt hatte. Andere wagten es nicht, in seiner Gegenwart, auch nur die Stimme zu heben. Simon wusste, dass er diesen Eindruck auf andere machte und hatte sich damit arrangiert. Auch, wenn er praktisch Kleider bevorzugte, so trug er dennoch verräterische Zeichen. Sein Brustpanzer, mit eingelegtem Gold verziert und sein Umhang, der ihm über die Schulter hing, mit seinen, in Gold gestickten Symbolen. Ein Adler und ein Löwe, die einen, stilisierten Tropfen Blut flankieren. Außerdem, das kleine hölzerne Kästchen, das an einer Schlaufe, an seinem Gürtel ruhte. Die eisblauen Augen und der Kranz blonder Haare auf seinem Kopf taten wenig, die Ausstrahlung, die er hatte, zu dämpfen. Aber Simon war bei weitem kein Heiliger, einer Tatsache, der er sich nur zu bewusst war.

„Wie lautet ihre Antwort Ordt?“ , wollte er wissen, sobald der Bote sich wieder erhoben hatte.

„Wie immer, Herr.“ , gab der, als Ordt angesprochene, Gejarn zurück. Simon schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich dachte, wenigstens meine Heimat würde mich willkommen heißen….“ , murmelte er, mehr zu sich selbst.

„Ich habe das Blutvergießen langsam satt... gibt es schon Nachricht von den Männern, die ich nach Süden geschickt habe?“

„Nichts. Sie haben es also entweder noch nicht gefunden oder….

„Oder., erwiderte Simon. „Wenn es um diese Dinge geht, gibt es kein oder. Nur den Tod.“

„Soll ich mehr schicken?“

„Nein, lasst gut sein. Es eilt nicht. Ich kann sie mir selbst holen, wenn nötig.“

„Ja Herr. Aber wenn Ihr die Frage gestattet…“ Simon nickte dem Gejarn aufmunternd zu.

„Sprecht nur.“

„Ich bin besorgt. Wie wollen wir den Wall überwinden? Geschweige denn, die Verteidiger? Unsere Truppen sind teilweise noch im Umland verstreut oder hängen weiter im Norden fest. Wir sind weiter vorgestoßen, ohne auf Verstärkung zu warten und die Verteidiger uns mindestens eins zu drei Überlegen, wenn sie die komplette Stadtmauer bemannt haben. Und wir sind in der schlechteren Position. Wir werden angreifen müssen. Die brauchen nur zu warten.“

Simon sah auf das Lager hinab. Sicher, mit so wenigen Kämpfern hatte er noch keine Schlacht gewagt. Und schon gar keinen Angriff, auf eine befestigte und gut vorbereitete Stadt. Jedoch… ihm blieben andere Optionen.

„Sagt mir, habe ich uns je in die Irre geführt, Ordt ?“ , wollte er wissen, seine Stimme plötzlich einen Ton leiser.

„Nein, verzeiht mir Herr. Ich hätte Euch nicht infrage stellen sollen.“

„Unfug.“ , erwiderte Simon ernst.

„Ich erwarte sogar, dass Ihr genau das tut. Ein Heerführer, der nicht auf die Bedenken seiner Soldaten hört, ist ein Narr. Ein bald toter Narr, wenn seine Männer etwas Glück haben. Und ihr habt vollkommen recht. Die Stadtmauern, geben den Kaisertruppen einen Vorteil. Allerdings, habe ich nicht vor, ihnen diesen zu lassen….“

„Wie wollt Ihr…“ Ordt erstarrte.

„Ihr werdet die Tränen einsetzen?“

„Plötzlich zweifelt Ihr also nicht mehr an unserem Sieg ja?“, fragte Simon mit einem abwesenden Grinsen auf den Lippen.

„Geht, sagt allen, sie sollen sich bereit machen.“ Der Gejarn verneigte sich rasch.

„Sofort Herr.“ Sobald Ordt zwischen den Zelten verschwunden war, richtete Simon seinen Blick wieder auf die Stadt, allerdings hatte sein Blick jetzt etwas Fernes. Mit einer Bewegung öffnete er das Kästchen, an seinem Gürtel. Auf einem Samtpolster ruhten drei tropfenförmige Steine. Einer Saphirblau, einer der aussah wie ein Malachit und ein dritter, der fast so schwarz war, der er das Sonnenlicht zu schlucken schien. Lediglich das darauf aufgemalte Symbol, eines goldenen Auges, stach hervor. Simon nahm die drei Kristalle, einen nach dem anderen, vom Polster, bis sie in seiner Handfläche lagen. Der Zauberer konnte die Macht spüren, die von den Steinen ausging. Mehr, als ein einzelner Magier, jemals hoffen könnte zu besitzen. Sehr viel mehr. Es war fast unmöglich, den ungebändigten Energiestrom, für lange zu kontrollieren. Er jagte durch seinen Körper, während die Steine begannen über seiner Handfläche zu schweben. Aber viel Zeit, würde er ohnehin nicht brauchen. Simon richtete seine ganze Aufmerksamkeit, auf den Wall um die Stadt. Er richtete, den freien Arm, in Richtung Vara und die Welt wurde aus ihrer Erstarrung gerissen…. Die Zukunft war hier.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1

Der Schmied

 

 

 

 

Leif wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er sich die schweren Schmiedehandschuhe überstreifte. Unter den schweißglänzenden Locken kam kurz eine Tätowierung auf seiner linken Schläfe zum Vorschein, bevor er die Haare wieder darüber kämmte.

Die kleine Schmiede, die er betrat, lag offen unter einem von mehreren Säulen/ getragenen Holzdach. Im Winter wurde der Ort trotzdem dank der Schmiedefeuer nicht kalt und jetzt im Sommer war es der reinste Segen an der frischen Luft arbeiten zu können. Nicht wie in den großen Armee- oder Manufaktur-Schmieden in den Städten, wo sich ein Dutzend/ Arbeiter in den stickigen Hallen zusammendrängen konnten.

Wie immer begrüßte ihn der vertraute, kaum wahrnehmbare Geruch brennender Kohlen, während er sich eine lederne Schürze überwarf und an die Esse trat und beinahe über die davor aufgestapelten Kohlensäcke stolperte.

Leif musste sich oft genug anhören, wie dumm es sei, das Brennmaterial so nah am Feuer aufzubewahren, aber verdammt, was wussten die schon… und er wollte das Zeug sicher nicht bei sich im Haus aufstapeln. Er tat, was er für richtig hielt und die anderen Dörfler wussten, dass er dem auch mit den Fäusten Nachdruck verleihen konnte. Meist jedoch reichte sein Wort und das war ihm lieber.

Die Hitze des Kohlenfeuers versengte die Haare auf seinem Arm, als er nach dem rot glühenden Stück Stahl griff und es aus den Flammen zog. Funken stoben auf, die sich als kurze Stiche in sein Gesicht brannten. Ohne zu zögern, legte er das Stück Eisen auf den Amboss ab und begann das Metall mit mehreren präzisen Schlägen zu bearbeiten. Jeder Hieb ging ihm bis ins Mark. Während der Stahl langsam seine gewünschte Form annahm. Eine Sensenklinge für Westfall. Kornelius wartete bestimmt schon darauf, jetzt wo die Ernte praktisch vor der Tür stand.

Es war eine körperlich anstrengende Arbeit, nur kurz unterbrochen vom Kühlen und Wiedererhitzen des Rohlings. Anstrengend, aber den Aufwand wert. Etwas mit den eigenen Händen zu erschaffen hatte etwas Schönes, egal wie Kleines sein mochte…

Leif wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er den Stahl erneut in einem Wasserbecken neben dem Amboss abkühlte. Eine Dampfwolke hüllte ihn kurz ein bevor er die fertige Sichel aus dem Wasser zog. Einen Augenblick besah sich der Schmied den Rohling, bevor er zufrieden mit sich selbst nickte. Sobald die Kline geschärft wäre, könnte er sich auf den Weg machen.

Ein Blick unter dem Dach der Schmiede hervor zeigte ihm, das es bereits Abend wurde. Die Sonne stand bereits tief im Westen, direkt über der Straße, die von der Schmiede aus ins Dorf führte. Zu spät um die fertige Klinge heute noch nach Westfall zu bringen und vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück zu sein. Er würde entweder bis Morgen warten oder die Nacht in der Wildnis verbringen müssen. Wenn er nicht in Westfall unterkam. Götter, er hatte die Zeit bei der Arbeit völlig aus den Augen verloren…

Leif hatte seine Hütte ganz am äußeren Rand der Siedlung errichtet, nicht weil er die anderen Dorfbewohner mied, aber hier draußen hatte er zumindest meistens seine Ruhe, wenn er sie wollte. Und das kam in letzter Zeit immer öfter vor, dachte er amüsiert. Die wenigen Reisenden, die den Pfad entlang kamen, waren meist genau so wenig an einem/ Gespräch interessiert wie er. Aber die Nachrichten, die er bekam, waren ohnehin/ beunruhigend genug. Er hatte das alles hinter sich gelassen, erinnerte Leif sich. Dieser verfluchte Krieg ging ihn nichts mehr an.

Er streifte die Handschuhe und die Schmiedeschürze ab und hängte beides an einen Nagel in der Hauswand. Leif hatte die Hütte selbst gebaut. Es hatte ihn zwei Sommer und einen Winter gekostet, aber dafür waren die massive Fassade aus Baumstämme stabil und hielten auch den schwersten Herbststürmen stand. Die Scharniere für die Tür, durch die er nun ins Innere trat, hatte er mit etwas Übung selber angefertigt. Sein alter Meister würde ihn auslachen, dass er sich so lange damit herumgeschlagen hatte, aber er war nun mal kein Juwelier, der sich mit feineren Arbeiten auskannte. Gut, dass der Alte seit einigen Jahren/ schon in seinem Grab ruhte. Er war gestorben, noch bevor Leif sich in Goldbrück/ niedergelassen hatte. Der kleine Ort war ihm mittlerweile ans Herz gewachsen, auch wenn ihn das halbe Dutzend Bewohner auch nach all den Jahren noch immer als den Neuen sah./ Aber sie stellten nicht viele Fragen und respektierten ihn.

Der Raum, den Leif betrat wurde nur durch ein geöffnetes Fenster mit Holzflügeln erhellt. Die Eichenbretter, aus denen der Boden bestand, knarzten unter seinen Schritten. Wie oft hatte er sich vorgenommen, die Dielen auszuwechseln, aber irgendwie konnte er sich dann doch nicht dazu aufraffen. Das Geräusch der Bretter gehörte zum Haus dazu.

Aus dem nur mit einem kleinen Tisch mit zwei Stühlen möblierten Raum führten zwei Türen. Eine in eine Schlafkammer, die zweite in einen Allzweckraum, der ihm als Küche oder Notfalls Gästezimmer diente. Nicht, überlegte Leif, dass er das oft brauchte. Nur einmal hatte er bisher eine Gruppe Reisender während eines Sturms bei sich aufgenommen. Flüchtlinge, die von weiter aus dem Norden kamen und offenbar hofften, sich im Süden in Sicherheit bringen zu können. Aus der Küche wiederum führte eine kurze Treppe hinab in eine Erdgrube, wo er normalerweise alles an Vorräten lagerte, was er brauchte. Ein paar Säcke mit Korn oder Kartoffeln und ab und an auch ein paar Räucherfische wenn er welche bekam.

Goldbrück lag, einstige Goldsucher-Siedlung, zwar nahe an einem Fluss, aber der gab grade genug her, das die Fischer des Ortes sich selbst versorgen konnten. Und Fleisch konnte er bei dem momentanen Chaos im Norden gleich vergessen. Das Kaiserreich beschlagnahmte Tiere am laufenden Band und offenbar taten die Truppen des Zauberers das gleiche.

Wo den Bauern ihr Vieh blieb, wurde es gehütet wie die wenigen Goldmünzen, die sie bei Seite schaffen konnten. Und auch hier ging es vielen nicht besser. Goldbrück war einmal ein reicher aufstrebender Ort gewesen, aber das war lange her. Heute verblieben neben mehreren Bauernhöfen und den Fischern nur noch eine heruntergekommene Taverne und seine Schmiede.

Leif wollte die Entscheidung, ob er heute noch nach Westfall aufbrach oder wartete bis nach dem Abendessen verschieben. Neben der Zeit vergaß er auch allzu oft das bohrende Hungergefühl, das sich nun langsam bemerkbar machte. Die Treppe zum Keller bog sich gefährlich unter dem Gewicht des Schmieds durch, während er in die kleine Grube trat. Eine Öllampe hing immer griffbereit von der Decke und Leif griff rasch danach und entzündete den Docht.

Er seufzte. Zeit und Hunger waren nicht die einzigen Dinge, die er vergessen hatte. Einige niedrige Holzregale säumten die Wände der Erdgrube. Normalerweise sorgte er dafür, dass mindestens eines der Regale gefüllt war, heute jedoch fand Leif die kleine Vorratskammer fast leer vor. Ein halber Sack Kartoffeln und eine Handvoll Fisch waren alles, das er fand.

Nun, wenigstens nahm ihm das die Entscheidung ab, dachte er. Das reichte noch für eine Mahlzeit, vielleicht zwei, aber dann müsste er ohnehin Vorräte besorgen. Meist bekam er diese ohnehin direkt von den Dorfbewohnern, für die er Schmiedearbeiten erledigte. Die wenigsten verfügten über Geld, aber Landwirtschaft betrieben die meisten. Wenn er Kornelius seien Sense lieferte, könnte er sich gleich Nahrung für die nächste Woche mitgeben lassen, vielleicht hatte der alte Halunke es auch geschafft etwas Schinken auf die Seite zu packen. Zumindest hatte ich ihn bei unserem letzten Treffen darum gebeten, dachte Leif.

Er würde es riskieren und heute noch losziehen, entschied er endgültig, schnappte sich eine Handvoll Kartoffeln und einen der verbliebenen Fische und machte sich wieder auf dem Weg nach oben in seine provisorische Küche. Den Herd hatte er selbst gemauert und er war groß genug um darauf zu kochen oder wahlweise auch einen gefüllten Waschzuber heißzumachen.

Auch wenn ihm das bei seinem Beruf niemand abnahm, achtete er gerne darauf, dass er sauber blieb. Was man einmal eingebläut bekommen hatte, das bekam man schwer wieder raus. Er schmunzelte bei den Gedanken, auch wenn er ihm bitter Aufstieg.

Rasch setzte er einen Topf Wasser auf, legte die Kartoffeln herein, warf einen Arm dünner Äste auf die noch vom Vortag glühenden Kohlen. Wenigstens war das das eine, an dem es ihm selten mangeln würde. Brennmaterial. Das Haus lag nah am Wald und die Kohlen für die Schmiede eigneten sich auch hervorragend zum bloßen Heizen. Allerdings tat er das selten. Es war schwer genug, nur die Schmiede zu versorgen, den Leif war gezwungen die Säcke Brennmaterial von den umliegenden Köhlerhütten bis hierher zu schleppen.

Nachdem die Kartoffeln gar waren, machte er sich gar nicht erst die Mühe, sie großartig zu schälen, sondern aß die Erdäpfel gleich so. Wenn er wenigstens vor Einbruch der Nacht in Westfall ankommen wollte, würde er sich ranhalten müssen.

Ohne darauf zu achten, dass er sich die Finger verbrannte schlang er das Essen hinunter und begann dann rasch ein paar Sachen, die er mitnehmen wollte zusammenzusuchen. Leif schlug die restlichen Fische in ein Tuch ein, das er rasch am Boden eines Rucksacks verstaute. Besser, etwas dabei zu haben, als nicht. Schon wieder eine alte Gewohnheit, aus einer Zeit, die er vergessen wollte. Dazu eine schwere Decke, nur für den Fall, dass er tatsächlich in den Wäldern übernachten musste und Feuerstein mit einer Dose Leinwandzunder. Einen kurzen Moment dachte er darüber nach, den schweren Schmiedehammer hier zu lassen. Normalerweise würde ihn das Gewicht nur aufhalten aber… Im Notfall gab der schwere Stahlkopf eine brauchbare und durchaus furchteinflößende Waffe ab. Nicht, dass er damit rechnete, den Hammer wirklich zu brauchen. Im Winter, hatte sich eine kleine Diebesbande entlang der Pfade nach Westfall, eingenistet. Er und einige andere Dorfbewohner hatten sich der Sache jedoch angenommen. Noch ein Grund, aus dem die meisten Dörfler ihn respektierten. Leif war durchaus in der Lage, die Dinge direkt anzugehen, wenn es sein musste, obwohl er und die anderen sich damit begnügt hatte, den über die Gegenwehr recht überraschten Räubern in paar blaue Flecke zu verpassen, bis sie das Weite suchten. Seine Zeit des Tötens war vorbei. Aber zu was ein Mob aus dreißig aufgebrachten Bauern mit Dreschflegeln und Hacken doch fähig war….

Seitdem war der Weg nach Westfall mehr langweilig als irgendetwas anderes, offenbar hatte sich schnell herumgesprochen, das Goldbrück und die übrigen Orte in der Gegend sich nicht so einfach herum schupsen ließen. Den meisten reichte schon grade, dass der Kaiser ihnen die Hälfte ihres Viehs wegnahm.

Allerdings, überlegte Leif, war der Hammer wirklich das einzig Wertvolle, das er besaß, dass jemand stehlen könnte. Aus der Schmiede selbst würde niemand etwas entwenden.

Die Kohlensäcke waren zu schwer und die Mühe kaum wert und Niemand der halbwegs bei Verstand war, würden einen Amboss wegschleppen.

Leif befestigte den Hammer in einer extra dafür angefertigten Lederschlaufe an seinem Gürtel und warf sich dann den Rucksack über die Schulter. Niemand würde es wundern, wenn er einen Tag oder länger verschwand, die meisten wussten, dass er seine Arbeiten meist auslieferte, anstatt zu warten, bis sie jemand abholte. Und es war nicht so, dass dies Leif etwas ausmachte. Er mochte die offenen Wälder der Herzlande, auch wenn man aufpassen musste, nicht die falschen Pfade zu benutzen. Sonst endete man noch in einem der versteckten Nomadendörfer der Gejarn und sich da wieder herauszureden konnte dauern. Auch wenn die Tiermenschen Cantons nicht aggressiv waren, und er auch schon mal ein paar Schmiedearbeiten für ihre Clans übernommen hatte, gastfreundlich waren sie auch nicht unbedingt. Vor allem nicht einem Fremden gegenüber.

Leif trat aus der Tür hinaus, in die warme Sonne, die jetzt schon den Weg im Westen zu berühren schien. Mit etwas Glück hatte er noch zwei, vielleicht drei Stunden Tageslicht. Es würde reichen müssen, dachte er, während er noch einen Blick zurück auf Goldbrück warf. Das war jetzt seine Heimat, was auch immer früher einmal gewesen sein mochte. Und das war gut so. Es hatte ihn lange genug gebraucht, wieder so etwas wie Frieden zu finden. Aber jetzt… jetzt konnte er sich vorstellen, wieder so etwas wie ein Leben hier zu verbringen. Er erledigte seine Arbeit und war zufrieden damit. Mit Achtundzwanzig Sommern in seinem Leben war Leif ein Mann, der sonst keine höheren Ziele mehr hatte.

Den Rucksack auf den Schultern und den Hammer an der Seite machte er sich auf den Weg Richtung Westen. Das würde ein ruhiger Spaziergang werden und wer weiß, vielleicht hatte der alte Kornelius nicht nur ein Stück Schinken beiseite geschafft, sondern auch ein Fass Bier. Damit könnte er ihn auf jeden Fall überreden die Nacht in Westfall zu verbringen und sich gleichzeitig die neusten Neuigkeiten anhören. Auch wenn alles, was mit diesem ewigen Krieg zu tun hatte, nur deprimierend sein konnte, in Goldbrück kam ja nur alle Jubeljahre mal jemand vorbei, der wirklich etwas wusste.

 

 

 

 

Kapitel 2

Westfall

 

 

Der Weg nach Westfall war kaum mehr als ein Pfad aus blank getretener Erde, der sich durch Gras und Unterholz zog. Jemand, der nicht wusste, dass es diesen Pfad gab, hatte ihn vermutlich ziemlich schnell wieder aus den Augen verloren, aber Leif hätte den Weg im Schlaf gefunden. Einzelne Bäume, die hervorstachen und deren Blätter die Straße beschatteten, dienten ihm als Orientierung. Ein besonders auffälliges Exemplar markierte die Stelle, an der der Pfad teilweise völlig verschwand. Überspült von einem kleinen Bach blieben nicht einmal mehr die vereinzelten Wagenspuren zurück und Leif musste zum ersten Mal auf seiner Wanderung innehalten.

Der Baum, der die Stelle markierte, an der der Weg aufhörte, war offenbar schon lange tot. So lange wie Leif sich zurückerinnern konnte mindestens. Trotzdem war das Holz bisher nicht verrottet. Die Rinde jedoch war schon vor langer Zeit herunter geschält worden, sodass nur das ausgebleichte, fast weiße Holz zurückblieb. In den blätterlosen Zweigen hatte irgendjemand kleine Windspiele aufgehängt, die in der sanften Abendbriese aneinanderstießen und die Luft mit disharmonischen Glockenton erfüllten. An anderer Stelle hingen kleine Glastalismane, die das Licht der untergehenden Sonne einfingen. Angeblich war es gefährlich, zu lange in die Lichtreflexionen zu sehen. Und das nicht nur, weil es einen blendete…. Man wusste nie, was die Ahnen tun würden.

Ein Geisterbaum. Eine Tradition, der neben den Dörflern vor allen die ansässigen Gejarn- Clans nachgingen. Sie glaubten, die Geister ihrer Verstorbenen würden sich bis zu ihrer Wiedergeburt in solchen Bäumen manifestieren. Auch wenn er Leif vor allem als Wegpunkt diente, konnte er einen kleinen Schauer abergläubischer Ehrfurcht doch nicht ganz verbergen. Niemand, der bei klarem Verstand wäre, würde es je wagen, einen solchen Baum zu fällen. Selbst die Köhler ließen die Kultstädten in Ruhe, sodass die weißen Bäume meist als einzige unberührte Flecken auf den von den Holzfällern hinterlassenen Lichtungen zurückblieben. Es gab Magie. Sie war nicht ganz alltäglich, aber in den Städten bekam man sie zu sehen. Und dann gab es Dinge, die standen sogar noch darüber.

Leif wusste, dass er an dem Baum nach rechts musste, ein Stück weit den Bachlauf entlang, der den Pfad unkenntlich gemacht hatte um dann einige hundert Schritte weiter wieder einen Weg nach Westen einzuschlagen.

Rasch warf er noch einen Blick zu dem toten Baum, dann machte er sich wieder auf den Weg. Er war keine halbe Stunde mehr unterwegs, als Westfall langsam in Sicht kam. Die Siedlung war ein gutes Stück größer als Goldbrück. Zwei Dutzend großer Häuser gruppierten sich in einem Halbkreis um einen offenen Platz, auf dem normalerweise Märkte abgehalten wurden. Heute Abend jedoch war das Dorfzentrum verwaist, nur ein abgemagerter Hund scharrte im Dreck nach irgendetwas. Als das Tier Leif bemerkte, hob es kurz den Kopf, bellte einmal und rannte dann davon. Der Wald wich um das Dorf zurück und gab den Blick frei auf grüne Wiesen und goldene Felder, die nur noch einige Tage bis zur Ernte warten mussten.

Der Schmied trat auf den Platz hinaus und sah sich um. Eine alte Frau, die vor dem Eingang eines der Häuser saß, grüßte ihn kurz und er nickte respektvoll zurück. Er kannte die meisten hier zumindest vom Sehen her. Und die meisten kannten wiederum ihn, auch wenn oft nur als den „Schmied“.

„Guten Abend. Ihr wisst nicht zufällig, wo ich Kornelius finden kann? Ich hab die Sense, die er wollte.“, fragte Leif

„Ich habe ihn hier heute noch nicht gesehen, aber Ihr kennt ihn ja Schmied. Immer beschäftigt. Ist bestimmt noch auf seinem Hof.“

Leif nickte. Das klang wirklich ganz nach Kornelius. Trotz seines schon fortgeschrittenen Alters war der Mann selten durch irgendwas zu bremsen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er bedankte sich kurz und machte sich dann auf den Weg, zwischen den Häusern hindurch zu den weiter außen liegenden Bauernhöfen. Breite ausgetretene Wege führten zwischen den goldenen Feldern eine sanfte Anhöhe hinauf zu Kornelius Hof.

Weitere Gebäude lagen am Weg und mehrere der Bewohner hatten sich davor zusammengefunden, um den Abend ausklingen zu lassen. Einzelne Stimmen und Gesprächsfetzen drangen bis zu Leif, manche, die ihn auf die Entfernung erkannten grüßten ihn kurz. Alles bekannte Gesichter, dachte er. Hier draußen veränderte sich selten etwas und sie waren noch weit genug von den Konflikten entfernt, das das wohl auch noch eine Weile so bleiben würde. Und das war gut so. Das Ganze konnte ihm gestohlen bleiben.

Er hatte das Haus von Kornelius fast erreicht, als vor ihm eine Gruppe auf dem Weg auftauchte. Offenbar verließen sie grade das kleine Gasthaus Westfalls, eigentlich nicht mehr als ein Schuppen mit einer Bar und einigen grob aus Brettern gezimmerten Tischen.

Leif wurde langsamer. Wieder entdeckte er genug vertraute Gestalten. Außer einer. Es war eine Gejarn, was schon seltsam genug war. Sie trug einen ärmellosen grünen Mantel, der ihr bis über die Knie fiel. Ein silberner Drahtreif glitzerte an ihren Arm, der die Aufmerksamkeit des Schmieds auf sich zog. Er erkannte teure Metallarbeiten, wenn er sie sah und das war hier definitiv der Fall. Ohne, dass man die Fassung erkennen konnte, hatte irgendjemand einen tropfenförmigen Opal in das Geflecht aus Silber eingefügt. Muss wohl jemand von Rang bei den Clans sein, dachte Leif. Nur, was machten die Gejarn hier? Es war ja nicht ungewöhnlich, dass sie mal einen Boten schickten, weil sie irgendetwas aus den Dörfern der Menschen brauchten, aber das war auch eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich länger mit ihren Nachbarn abgaben.

Ihre Gesichtszüge, soweit er das sagen konnte, verliehen der fremden Gestalt etwas Katzenhaftes. Der einzig Clan, der ihm einfallen wollte, der in der Nähe lag, waren die Berglöwen aber… das war sie ganz sicher nicht.

Die Frau war schlanker und definitiv kleiner.

Bei einem Berglöwen konnte man sich wenigstens darauf verlassen, dass sie halbwegs zivilisiert waren. Andere Clans hingegen waren grade zu verwildert. Tierischer, instinktiver und damit auch deutlich gefährlicher. Leif beschloss, lieber nichts zu riskieren, und ging einfach weiter, den Blick gesenkt und möglichst Desinteresse heuchelnd. Vielleicht konnte Kornelius ihm sagen, um was es hier ging.

Der Hof des Mannes war nicht mehr weit. Drei Gebäude, die an der Straße aufgereiht nebeneinanderstanden, bestehend aus einer Scheune, dem Wohnhaus und einer kleinen

windgetriebenen Mühle, deren Blatt sich in der Abendbrise drehte. Schon als er sich der Scheune näherte, konnte der Schmied Kornelius fluchen hören.

„Verdammt noch mal pass doch auf Du Tollpatsch.“, donnerte eine Stimme aus dem/ geöffneten Tor. Im nächsten Moment rannte ein Knecht heraus und wich grade noch einem durch die Luft fliegenden Schuh aus.

„Und komm ja nicht zurück Du…“ Leif grinste, während er dem fliehenden Lehrling hinterherrief:

„Der meint das nicht so, keine Sorge. Komm Morgen wieder.“

„Und ob ich das so meine, Leif. Glaub bloß nicht, ich hätte dich nicht schon längst gehört, du alter Halunke.“ Eine Gestalt schlurfte aus dem Halbdunkel der Scheune ins Licht.

„Ich mag alt sein, aber ich bin noch nicht taub.“

Einen Moment standen sich der Schmied und der alte Bauer gegenüber. Kornelius hatte schlohweiße Haare, die im Abendlicht die Farbe des Sonnenuntergangs annahmen und dem Mann einen seltsamen Heiligenschein verpassten. Tiefe Falten hatten sich in das Gesicht gegraben und er ging leicht gebeugt. Trotzdem hätte Leif mit jedem Mitleid, die sich den Zorn dieses Mannes zuzog.

„Was war es diesmal?“

„Was war´s diesmal?“, äffte der Alte ihn nach.

„Der Bursche hat mich fast mit einem Heuballen erschlagen. Letzte Woche hat mich fast eine Kuh totgetrampelt. Ich sag´s dir, Leif, der versucht mich loszuwerden. So und was machst du hier, hmm?“

Kornelius bohrte ihm einen Finger in die Brust, als wollte er damit irgendwie nach der Antwort auf seine Frage stochern. Der Schmied lies es über sich ergehen. Auch wenn Kornelius seine Macken hatte, er war normalerweise einer der nettesten Leute, die er kannte. Wenn man mit ihm umzugehen wusste.

„Zufälligerweise habe ich eine Sensenklinge für jemanden dabei. Frisch aus dem Schmiedefeuer.“

Der alte Bauer war plötzlich wie ausgewechselt.

„Na warum sagst Du so was nicht gleich.“, rief er freudestrahlend. Ein breites Grinsen teilte das faltige Gesicht.

„Ich warte seit… na zumindest viel zu lange Leif. Du wirst mittlerweile langsam.“

„Sicher. Hier.“ Leif hatte den Rucksack abgesetzt und die fertige Sense herausgeholt. Mit einer Bewegung warf er sie dem Alten zu, der sie sich prüfend besah.

„Sauber.“, meinte er schließlich, während er mit den Daumen die Schärfe der Klinge testete.

„Habe ja auch nichts anderes erwartet Leif. Was würde schließlich Martha sonst sagen?“

Leif antwortete nicht und Kornelius wusste, dass er zu weit gegangen war.

„Tut mir leid. Ich… ich wollte wirklich keine Wunden aufreißen.“

„Nein.“ Der Schmied atmete ein paar Mal tief durch.

Die Erinnerung tat weh, aber… es war ein alter Schmerz. Verheilte Wunden.

„Nein ist schon gut. Nur… sprich bitte einfach nicht darüber.“

Er war nicht so weit und würde es wohl auch nie sein. Der Tod seiner Frau. Er war dumm gewesen, so unendlich dumm… nach ihr hatte es andere gegeben natürlich, aber nie wieder etwas Längeres. Und auch das war vorbei, wie er den meisten jungen Frauen in Goldbrück leider erst hatte klar machen müssen. Leif würde nicht riskieren, dass sich die Geschichte wiederholte.

„Wie dem auch sei, die Klinge ist mal wieder exzellente Arbeit, Junge.“

„Ich bräuchte Vorräte. Leider habe ich feststellen müssen, dass ich… äh… vergessen habe mir Neue zu besorgen.“

„Aha. Ich glaube, da kann ich Abhilfe schaffen. Ein paar Säcke Korn habe ich übrig…. Und eine Keule Schinken ?“

Leifs betrübte Laune verflog.

„Auf Dich ist doch immer Verlass.“, meinte er, und klopfte dem Freund auf die Schulter.

„Aber erzählt mir… mir ist vorhin eine Gejarn auf dem Weg hierher begegnet. Was machen die Clans hier?“

„Ich schätze mal, die ist nur auf der Durchreise. Kommt wohl von weiter aus dem Norden und ist auf dem Weg Richtung Süden, wie so viele. Sie haben alle Angst vor dem, was der Adler und der Kaiser aus einem Landstrich machen können, wenn sie sich mal wieder darum zanken.“

Kornelius zwinkerte bevor er fortfuhr:

„Bastarde ,alle beide, wenn Du mich übrigens fragt.“

„Es ist dumm von den Leuten, das sie glauben, einfach davonlaufen zu können.“

„Na Du kannst ihnen das ja wohl kaum verübeln. Und man kann´s zumindest versuchen.“, gab Kornelius zurück.

„Ist kein Wunder, das langsam mehr Leute Panik bekommen. Das einzige was Simon Belfare noch daran hindert, sich die Herzlande vorzuknöpfen, ist die große Festung Erdwacht. Er steht schon vor Vara und ob die Stadt seinem Ansturm lange standhält…“

Leif zuckte bei diesen Worten unwillkürlich zusammen. „Was? Das Letzte was ich gehört habe, war, dass seine Truppen noch weit im Norden wären.“

Vara war keine drei Tagesreisen mehr von hier entfernt.

„Die meisten wie man hört schon. Aber offenbar gibt dieser Kerl wirklich erst Ruhe, wenn er in der fliegenden Stadt auf dem Thron sitzt. Er und seine Bande von Zauberern.“

„Der Sanguis-Orden.“, fügte Leif hinzu.

„Was weiß ich, wie die ihre Gilde nennen. In einem Moment kriechen diese Robenträger vor dem Kaiser und im nächsten zetteln sie einen Krieg an. Ich weiß ja nicht, was besser ist. Aber solange sie auf ihren Knien herumgerutscht sind, hatten wir wenigstens unsere Ruhe.“

„Kornelius, wenn die Armee schon so nahe ist, dann musst Du gehen.“

„Eben meintest Du noch, das wäre sinnlos. Ich bin alt Leif.“, meinte er niedergeschlagen.

„Ich habe vor mein Leben genau hier zu beenden. Ob das ein paar Jährchen früher geschieht oder auf natürlichem Wege macht bei mir keinen großen Unterschied mehr. Du hingegen…“

Leif hob abwehrend die Hände.

„Warten wir ab, was geschieht.“

„Genau das habe ich vor.“

Kornelius warf einen Blick in Richtung Sonne. Der orangerot glühende Feuerball war schon halb hinter dem Horizont verschwunden.

„Ich vermute, Du willst nicht versuchen, es heute noch zurück nach Goldbrück zu schaffen?“

Er schüttelte den Kopf. Dafür war es jetzt wirklich zu spät.

„Eigentlich habe ich auf Deine Gastfreundschaft gesetzt.“

„Dachte ich mir schon.“ Kornelius kratzte sich am Kinn,

„Du hast entweder schon eine Nase für so was oder Glück, ich habe grade gestern ein Fass Bier von einem reisenden Händler reinbekommen. Könnte Hilfe dabei gebrauchen, das leer zu bekommen.“

 

Kapitel 3

Eine unerwartete Begegnung

 

 

 

 

 

 

Leif erwachte mit dröhnenden Kopfschmerzen und ohne sofort zu wissen, wo er sich befand. Kornelius hatte nicht untertrieben. Das Fass war definitiv leer, allerdings war das auch das Letzte, an das sich der Schmied sicher erinnern konnte. Graues Morgenlicht fiel in die kleine Gästekammer, in der er sich befand. Ein umgebauter Raum, ganz oben in der Scheune des Hofs, vor dem er gestern Kornelius begegnet war. Eine dünne Holzwand trennte den Raum vom restlichen Heuboden ab.

Der Geruch von Stroh erfüllte die Luft, etwas, das Leif schon als kleiner Junge genossen hatte. Der Duft vermittelte einfach etwas heimisches, das Gefühl, das alles in Ordnung war. Aber irgendetwas hatte ihn geweckt…

Obwohl er wusste, dass der das bereuen würde, setzte Leif sich auf und begann im Halbdunkel, nach einer Lampe zu suchen. Normalerweise musste hier irgendwo eine sein. Er hätte die Laterne beinahe umgestoßen, als er sie schließlich fand. Alles war noch ein wenig verschwommen und er selber schien sich unendlich langsam zu bewegen. Wie, als ob ihn jemand in Watte gepackt hätte. Oder in Bier. Er musste bei dem Gedanken grinsen, gleichzeitig stieg aber auch die Sorge um Kornelius in ihm auf. Den alten Mann davon zu überzeugen, seinen Hof vielleicht doch zu verlassen war sinnlos, das wusste er. Diesen Kerl von irgendetwas abzubringen, was er sich in den Kopf gesetzt hatte… eher hatte man Erfolgsaussichten einen Berg zu verschieben.

Sobald Leif den Docht der Öllaterne entzündete, blendete ihn das Licht kurz. Rasch drehte er die Stellschraube für das Öl etwas zurück, bis die grelle Flamme zu einem schwach glimmenden Funken wurde, dann stand er auf und trat ans Fenster. Kühle Morgenluft wehte ihm entgegen, als er die Holzläden vorsichtig öffnete und nach draußen spähte. Nebel lag über den Feldern um Westfall und hüllte alles in einen grau-weißen Schleier, durch den nur die vereinzelten Lichtpunkte der Häuser hindurchstachen. Die Sonne wiederum hing als blasse Scheibe knapp über dem Horizont und würde wohl noch eine ganze Weile brauche, um den Dunst über der Landschaft zu vertreiben.

In der Stille hörte Leif die sich nähernden Hufschläge sofort. Ein noch fernes Vibrieren, das sich dumpf durch die in der Luft schwebenden Wasserstropfen verteilte.

Jetzt wusste er, was ihn geweckt hatte. Reiter….

Die Gestalten waren in der Ferne nur verschwommen zu erkennen, kamen jedoch schnell näher. Es mussten wohl ein Dutzend sein, die sich schwere Mäntel als Schutz vor der Feuchtigkeit umgelegt hatten. Tief über die Hälse ihrer Tiere gebeugt, preschte die kleine Gruppe, ohne auf irgendetwas zu achten, am Hof vorbei und verschwand wenig Augenblicke später wieder im Nebel. Der kurze Augenblick, in dem er die Gestalten deutlich sehen konnte, reichte Leif allerdings schon, um zu wissen, dass sie Ärger bedeuteten. Einer der Reiter trug einen türkisfarbenen Umhang, auf dem zwei Wappentiere zu sehen waren. Ein Adler und ein Löwe. Die zwei Tiere schienen um ein drittes Symbol angeordnet, das entweder Wasser… oder Blutstropfen darstellen sollte.

Späher, überlegte Leif. Allerdings wohl nicht an Westfall interessiert, wie es schien. Die Hufschläge verklangen bereits in der Ferne. Trotzdem war das sicher kein gutes Zeichen. Wenn die Ausläufer von Belfares Armee jetzt schon so weit reichten, dann war es hier definitiv nicht länger sicher.

An Schlaf war für ihn jetzt nicht mehr zu denken und keine Stunde später klopfte Kornelius auch schon unten gegen das Scheunentor um ihn zu wecken.

Nach einem Frühstück, das größtenteils aus einigen Scheiben Brot bestand, hatte Leif es eilig, nach Goldbrück zurückzukommen. Mit den Vorräten, die Kornelius ihm in einen schweren Sack mitgab, in den er auch noch seinen Rucksack stopfte, würde er leicht doppelt so lange für den Rückweg brauchen und erst am Mittag zurück sein. Und das auch nur, wenn er bald losging.

Der Alte hatte seine Mühe damit, ihn schon wieder ziehen zu lassen.

„Pass du nur auf Dich auf.“, meinte er, „Es sind gefährliche Zeiten.“

„Das weiß ich Freund. Danke für alles.“ Die beiden Männer griffen sich bei den Händen.

Kornelius nickte, aber in seinen Augen lag etwas Trauriges.

„Keine Ursache. Nur… ich meine das ernst Leif.“

„Die Reiter?“ ,fragte er.

„Bevor ich Dich geweckt habe, habe ich im Dorf rumgefragt… offenbar sind die zum Gasthof und haben da alles auf den Kopf gestellt. Dann sind sie weiter. Nach Osten.“

„Das war doch sicher nur Zufall. Goldbrück kann man über die Waldpfade nicht zu Pferd erreichen. Sie müssten ganz außen um die Wälder rum. Und was haben wir schon, was eine Armee bräuchte.“

„Ich weiß es nicht, Leif. Aber ich weiß, wenn ich ein schlechtes Gefühl habe.“

Leif schulterte den Sack, den er über ein Seil gesichert hatte um ihn bequem auf den Rücken transportieren zu können und machte sich, mit einem letzten Blick zurück, wieder auf den Weg.

Kornelius spann mal wieder rum, sagte er sich. Trotzdem würde er das beklemmende Gefühl, das ihn seit dem Auftauchen der Reiter beschlichen hatte erst loswerden, wenn er wieder sicher daheim in der Schmiede war.

 

Der Weg zurück durchs Dorf und in den Wald vertrieb seine Sorge aber bereits zunehmend. Die Sonne hatte den Nebel vertrieben und es versprach, ein wunderschöner Tag zu werden. Die rasch hinter ihm liegenden goldenen Felder um Westfall leuchteten und das Blätterdach des Waldes verwandelte den mit Moos bewachsenen Boden in ein Muster aus Licht und Schatten.

Durch das zusätzliche Gewicht der Vorräte kam er langsamer voran, aber das störte Leif nicht. Und er war durchaus schon schwereres Gewicht auf seinem Rücken gewohnt. Leif war kräftig gebaut und manche machten den Fehler, ihn wegen seiner Statur für dumm zu halten. Nicht, dass sie diesen Irrtum nicht schnell erkannten, dachte der Schmied versonnen. Wenn Kornelius ihn reizen wollte, nannte er ihn ab und an einen tumben Riesen, aber der Mann war vielleicht derjenige, der am ehesten wusste, wie falsch diese Bezeichnung war. Leif jedoch ließ die Leute glauben, was sie wollten. Er wollte seine Ruhe, nicht mehr und wenn man ihn für einfältig hielt, würde das nur dazu beitragen.

Erleichtert stellte er fest, dass der Pfad dem er folgte, nach wie vor so unauffällig war, wie immer. Keine Pferdehufe oder schwere Stiefel hatten sich in den weichen Grund gegraben und niemand hier in den letzten Stunden vorbei gekommen. Zumindest definitiv keine bewaffnete Reitertruppe. Er behielt Recht, niemand, der nicht zu Fuß unterwegs war, würde den direkten Weg nach Goldbrück nehmen. Und selbst dann musste er den erst mal finden.

Leif ließ sich auf seinem Weg Zeit. Er hatte noch ein paar Aufträge für Werkzeuge, aber das eilte alles nicht. Für die nächste Woche wäre er versorgt. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als der Schmied endlich den kleinen Bachlauf wiederfand, dem er zum Geisterbaum folgen musste.

Leif setzte kurz den Sack ab und beugte sich zu dem, träge dahin fließenden Wasser, hinab. Er schöpfte mit den Händen Wasser, trank ein paar Schlucke und benetzte sich auch kurz Gesicht und Nacken.

Als sich das Wasser wieder beruhigt hatte, erhaschte Leif einen kurzen Blick auf sein eigenes Spiegelbild. Zwischen den dunklen Haaren an seiner Schläfe schimmerte ihm seine Tätowierung entgegen. Rasch kämmte er sich mit einer Handbewegung wieder die Haare darüber. Das Symbol des Drachen war so kaum noch zu sehen. Leif ließ die Locken auf der Kopfseite absichtlich ein Stück länger wachsen, sodass sie die Tätowierung vor den meisten neugierigen Blicken verbargen.

Es änderte aber wenig daran, dass er gezeichnet war. Für immer gebrandmarkt.

Der Schmied erhob sich wieder. Das war alles Vergangenheit und doch rückte der Krieg jetzt wieder näher, nicht?

Seltsamer Gedanke… er folgte weiter dem Bach und wusste, dass ihn dieser nun früher oder später zum Geisterbaum und dem wiederbeginnenden Pfad bringen musste. Ein paar Wolken mussten vor die Sonne gezogen sein und tauchten die Wälder nun in vollkommenes Zwielicht. Normalerweise mochte Leif diesen Dämmerzustand zwischen Hell und Dunkel. Heute jedoch hielt ihn ein unbestimmtes Gefühl davon ab. Der Schmied schob es auf die Reiter und Kornelius Erzählung, dass Simon Belfare nun schon in Vara wäre, aber er hielt die Augen offen. Kleinere Tiere huschten durchs Unterholz und einmal rannte ein Reh vor ihm über den Fluss. Ansonsten jedoch blieb alles ruhig. Paranoia, sagte er sich, mehr nicht. Und der Geisterbaum musste jetzt ganz in der Nähe sein. Er konnte die leisen Glockenspiele jetzt schon im Wind hören. Es hieß, manche Leute könnten in den disharmonischen Tönen die Stimmen der Ahnen hören. Leif selbst war das, so oft er auch schon an diesen Städten gewesen war, nie gelungen. Vielleicht, überlegte er amüsiert, wollte die Ahnen auch lieber nichts mit ihm besprechen. Trotzdem lauschte er den trotz seiner Willkürlichkeit irgendwie immer beruhigenden Glockentönen. Also ob der Wind seien ganz eigene, urtümliche Melodie hier umsetzte….

Es wäre sicher leicht, da eine Bedeutung oder Stimme hinein zu interpretieren dachte er. Eine mächtige Illusion, für alle, die daran glauben wollten, selbst wenn die Ahnen nicht dort waren…

Leif ließ sich auf das Spiel ein und lauschte den Tönen im Weitergehen.

Es war wirklich einfach, sich einzubilden, die Windspiele würden Stimmen erzeugen. Worte, die, wenn auch unverständlich doch zu irgendeiner Sprache zu gehören schienen. Nur irgendwie… aggressiv.

Jetzt fluchten die Ahnen schon, dachte er grinsend, nur um an sich selbst gerichtet/ hinzuzufügen: Götter, du spinnst vielleicht. Kornelius würde ihn auslachen und sein alter Meister im Schmiedehandwerk erst recht. Der hatte nie viel mit den Traditionen anfangen können und ….

Leif erstarrte, als er wieder Worte vernahm. Diesmal hatte er sich doch gar nicht auf die Windspiele konzentriert….

Der Schmied blieb stehen, lauschte kurz und hätte beinahe selber laut geflucht.

„Hierher! Hilfe….“ Die gerufenen Worte waren laut genug um über das Klingen der Windspiele hinwegzukommen und keine Zweifel mehr zu lassen. Da war tatsächlich eine Stimme, die aus Richtung Geisterbaum kam. Die Worte klangen lediglich irgendwie verzerrt, so als käme sie von weiter weg.

Leif rannte los, ohne lange nachzudenken. Er war zuvor schon nicht mehr weit weg gewesen und so erreichte er sein Ziel jetzt innerhalb weniger Augenblicke. Das Gewicht auf seiner Schulter war vergessen, auch wenn er rasch außer Atem geriet, als er über mehrere am Bachufer liegende Wurzeln setzte. Es kam öfter vor, dass sich unerfahrene Dörfler in den Wäldern verliefen und er hoffte inständig, das wäre hier bloß der Fall. Aber mit den Spähern, den Berichten über die Armee… er stellte sich innerlich auf Ärger ein. Was der Schmied dann jedoch fand, als er den Geisterbaum erreichte, überraschte ihn trotzdem noch.

Die Windspiele in den toten Zweigen waren mittlerweile ruhig, nachdem es fast völlig windstill geworden war. Die Glasmobiles reflektierten das diffuse Sonnenlicht, das einen Weg zwischen Wolken und Blätterdach hindurch fand und machte es schmerzhaft, länger hinzusehen. Leifs Aufmerksamkeit wurde allerdings auch schnell von dem Baumschmuck abgelenkt, auf die Gestalt, die am Fuß des Geisterbaums auf einer Wurzel saß. Einen Fuß von sich gestreckt sah diese zu ihm auf, als er abgehetzt am Bachufer auftauchte.

Das gab es ja wohl nicht.

Es war die Gejarn aus Westfall. Den Silberreif an ihrem Arm erkannte er sofort wieder. Ein Paar gelber Augen sah ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verunsicherung an. Sie war wirklich klein, stellte Leif fest und hätte ihm wohl selbst im Stehen kaum bis an die Brust gereicht.

„Du hast nicht zufällig eben um Hilfe gerufen, oder?“, fragte er einfach frei heraus. Für vorsichtig handeln war es jetzt ohnehin zu spät, nachdem er wie von einem wildgewordenen Wyvern verfolgt aus dem Wald gerannt war.

„Niemand hat irgendwas gerufen.“, erwiderte sie.

Das paar Pinselohren, das aus ihren braunen Haaren herausragte, zuckte. Scheinbar Nervosität oder hatte das einen anderen Grund? Und was sollte das heißen, niemand hätte gerufen? Er wurde doch nicht verrückt. Die Gejarn musste das auch gehört haben, wenn diese Ohren auf ihrem Kopf nicht nur zu Dekorationszwecken da waren. Aber eines war klar, die Gejarn hatte nicht gerufen. Die Stimme passte nicht. Also was ging hier vor? Das waren doch am Ende nicht wirklich die Ahnen gewesen….

Leif ließ sich nicht so einfach Überzeugen, während er die Gejarn zum ersten Mal näher musterte. Ein Luchs, fiel es ihm endlich ein. Wenigstens wusste er jetzt so viel. Das Bein hatte sie nach wie vor von sich gestreckt. Und plötzlich wurde ihm auch klar wieso.

„Na irgendjemand hat gerufen.“, erwiderte der Schmied.

Ob es nun wirklich sie gewesen war oder nicht, war plötzlich unerheblich.

„Du kannst jetzt wirklich wieder verschwinden Mensch.“ Die unverhohlene Drohung in ihrer Stimme hätte ihn unter anderen Umständen wohl wirklich abgeschreckt, so aber lachte er nur, zwang sich aber sofort wieder, damit aufzuhören.

Leif wollte sich sicher keine Feinde machen und der Blick, den sie ihm zuwarf, sagte alles. Wenn sie noch laufen könnte, wäre er ein toter Mann.

„Du kannst ja gerne versuchen mich zu vertreiben, wenn Du mit dem Bein überhaupt aufstehen kannst, heißt das. Ich wäre wirklich beeindruckt, wenn Dir das gelingt….“

Der Grund aus dem die Gejarn auf den Wurzeln saß und das Bein von sich streckte, war ganz einfach. Sie konnte den Fuß offenbar nicht mehr bewegen.

 

Kapitel 4

Celani

 

 

 

 

 

Es dauerte eine Weile, bis die Gejarn antwortete.

„Ich bin nur mit dem Fuß umgeknickt, das ist alles.“, gestand sie schließlich kleinlaut und/nicht mehr ganz so bissig wie zuvor. Ihre Situation war ihr vermutlich nur zu klar.

Leif war mittlerweile überrascht wie fehlerfrei sie offenbar seine Sprache beherrschte. Die wenigen Worte, die er mit den Gejarn gewechselt hatte, die sich nach Goldbrück verirrten, waren meist schon allein an der Sprachbarriere gescheitert. Nur wenige Clans brachten ihren Kindern mehr als eine Sprache bei, lediglich einige Botschafter und wichtigen Personen wurde die Amtssprache Cantons beigebracht. Botschaftern, wichtigen Würdenträgern und… Spionen. Also was davon war sie?

Leif beschloss, die Frage zu verschieben. Als aller Erstes war sie jemand, der Hilfe brauchte. Alles andere konnte er später klären.

Er trat vorsichtig näher.

„Lass mich mal sehen, ob ich etwas tun kann.“ Der Schmied war bei Weitem kein Heiler und hätte auch nie behauptet einer zu sein, aber Leif hatte in seinerzeit als Lehrling und auch später so ziemlich alle Verletzungen gesehen, die sich ein Mensch zuziehen konnte. Einige davon aus erster Hand. Von schweren Verbrennungen bis hin zu Idioten, die sich Schmiedewerkzeug auf die Füße fallen ließen.

Zuerst dachte er, die Gejarn würde zurückweichen, als er sich auf einer Wurzel neben ihr niederließ. Offenbar war ihr aber selber klar, das Weglaufen ohnehin keine Option war.

„Warum ? Warum solltet Ihr… Du mir helfen?“ Ihre Stimme war eine Mischung aus Neugier und nach wie vor Misstrauen.

„Na ja, Wir kommen hier ganz gut mit den Clans aus und wenn du mich fragst, sollte das auch so bleiben. Eine Gejarn verletzt und hilflos im Wald sitzen zu lassen, wäre nicht grade förderlich oder?“

„Ich bin nicht hilflos.“ , erwiderte sie, klang aber schon weniger abweisend. Vermutlich beruhigte sie schon das Wissen, das er keine Gefahr darstellte, überlegte der Schmied.

„Sicher.“ , antwortete Leif grinsend. Leif war nach wie vor vorsichtig. Er wusste immer noch nicht, wen er vor sich hatte, aber verflucht wollte er sein, wenn jemand Hilfe brauchte, konnte er schlecht nur dabei stehen.

„Aber wirklich weit kommst du so ganz sicher auch nicht mehr. Darf ich ?“

Die Gejarn nickte und Leif tastete vorsichtig den Fuß ab. Bei einem Menschen hätte er wenigstens halbwegs gewusst, worauf er achten musste, aber bei einem Gejarn....

Der Fuß war länger gezogen als bei einem Menschen, mit sandfarbenem Fell überzogen und statt in Nägeln auszulaufen besaß jeder Zeh eine kleine Kralle. Er wollte sicher niemals einen Tritt abbekommen und herausfinden, ob die so scharf waren, wie sie auf den ersten Blick wirkten.

Die Gejarn zog plötzlich scharf die Luft ein und biss die Zähne zusammen. Sie jaulte irgendetwas, das er nicht verstand, aber der Schmied war sich ziemlich sicher, dass es ein Fluch war.

„Ja, der ist verstaucht. Mindestens.“, stellte er mehr für sich fest und erhob sich wieder.

„Danke. Das wusste ich auch schon vorher…“ Sie schien über seine laienhaften Versuche herauszufinden, was nicht stimmte, alles andere als begeistert.

„Was ist denn eigentlich passiert?“ , wollte Leif wissen.

„Meine eigene Dummheit.“, erwiderte die Gejarn.

„Ich habe nur einen Moment nicht aufgepasst… das dass mir passieren muss. Ich bin, seit ich fünf bin, Waldläufer und mein Ruf ist jetzt natürlich zerstört.“

„Keine Sorge, ich sag´s bestimmt nicht weiter.“

Sie lachte kurz, schein sich aber rasch zu zwingen wieder damit aufzuhören.

„Du bist ein seltsamer Mann.“

„Man nennt mich Leif.“ Er streckte ihr eine Hand hin, die sie einen Moment anstarrte, als hätte sie keine Ahnung, was die Geste bedeuten sollte.

Er ließ die Hand wieder sinken. Offenbar hatte sie auch nicht vor, ihren Namen zu nennen.

„Bin der Schmied eines kleinen Orts, keine Stunde mehr von hier. Oder mit Dir und den ganzen Vorräten… wohl eher zwei.“

Er überlegte. Das wäre tatsächlich eine ziemliche Belastung. Aber es wäre machbar.

„Meinst du, Du kannst dich auf meine Schulter stützen ?

„Was ?“ Sie blinzelte ihn verwirrt an.

„Mit dem Fuß gehst Du zumindest heute nirgendwo mehr hin. Na und ich kann dich ja schlecht hier lassen.“ , meinte er schulterzuckend.

„Es sei denn, Du bestehst wirklich darauf….“

 

Sie kamen wirklich sehr viel langsamer voran. Das zusätzliche und noch dazu einseitige und der unebene Boden sorgten dafür, dass Leif bei jedem Schritt mit dem Gleichgewicht kämpfen musste. Trotzdem hielt die verletzte Gejarn erstaunlich gut mit und bat auch nicht um eine Pause, als er selbst kurz anhalten musste um den Jutesack mit seinen Vorräten geradezurücken. Das Seil scheuerte selbst durch sein Hemd noch auf der Haut.

Sie sprachen nicht viel, während der Schmied sie den kaum sichtbaren Pfad entlangführte. Alleine hätte er den Weg in einer halben Stunde bewältigen können, so aber blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Laufgeschwindigkeit seiner neuen Begleiterin anzupassen.

„Darf ich fragen, wenn ich fragen darf, wen ich hier eigentlich genau durch die Gegend schleppe ?“ , wollte Leif wissen um wenigstens irgendetwas zu sagen. Nach wie vor wusste er nur das wenige, was sie ihm erzählt hatte. Und das auch nur, wenn er das glaubte, überlegte der Schmied. Allerdings hatte er bisher keinen Grund, das nicht zu tun. Außer der Tatsache, dass sie seine Sprache beherrschte.

„Euer Name wäre ein Anfang.“, fügte er schließlich hinzu, als sie nicht antwortete.

Die Hand der Gejarn auf seiner Schulter verkrampfte sich, sodass sich die nadelspitzen Krallen schmerzhaft in seine Haut gruben. Verflucht, hatte er was Falsches gesagt? Einen Moment war Leif sich sicher, wenn sie hätte laufen können, wäre sie spätestens jetzt weggerannt.

Früher waren manche vor ihm geflohen… aber das war lange her. Und es hatte ihm schon damals nicht gefallen, jemanden Angst zu machen, auch wenn das manchmal unvermeidlich war. Angst und Furcht waren es, die aus einem Menschen schnell jemand anderen machen konnten, als er eigentlich war. Viele effektiver, als Wut das jemals vermocht hätte.

„Es wäre besser für dich wenn Du ihn nicht kennst, glaub mir.“

„Na dann.“ Leif beschloss, sich damit zufriedenzugeben. Aber….

„Dann denke ich mir allerdings einfach einen aus. Ich kann Dich ja schlecht einfach Gejarn nennen, oder?“

Eine Weile sagte sie nichts, während die Zwei ihren Weg durch den Wald fortsetzten. Die Sonne hatte ihren höchsten Stand am Himmel mittlerweile erreicht und die Wolken vertrieben, sodass sich der Boden unter dem dichten Blätterdach erneut in ein einziges großes Schattenspiel verwandelte.

Leif glaubte schon, die Gejarn würde gar nicht mehr antworten.

„Geister… bist du hartnäckig“, seufzte sie schließlich.

„Ich heiße Celani. Zufrieden?“

„Celani also. Er hatte zwischen den Zweigen etwas erspäht und auch die Landschaft hatte mittlerweile etwas Vertrautes. Die Bäume standen hier nicht mehr so dicht zusammen, wie zuvor. Wenn Leif sich nicht irrte, waren sie so gut wie da. Er beschleunigte seine Schritte etwas, immer darauf achtend, das die Gejarn noch mithalten konnte. Leif brannte darauf, sich davon zu überzeugen, das Daheim wirklich alles in Ordnung war.

Rasch lichtet sich der Wald nun und sie traten auf eine weite freie Fläche hinaus.

„Nun dann Celani. Willkommen in Goldbrück.“

 

Die Bäume beschrieben einen Halbkreis um die Siedlung, durch deren Mitte sich ein breiter Fluss zog. An den Ufern hatte man mehrere kleine Stege errichtet, an denen Fischerbote verankert lagen. Von diesem Miniaturhafen aus führten einige Treppen herauf zur einzigen Straße des Orts, an der die wichtigeren Gebäude lagen, allen voran die Taverne und alle Bauten, die noch aus der Zeit stammten, als Goldbrück seinem Namen alle Ehre machte.

Leif jedoch lenkte seine Schritte erst gar nicht Richtung Dorfzentrum, sondern direkt zu seiner Schmiede, die nicht mehr weit vom Waldrand entfernt lag. Alles war noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte, stellte er erfreut fest. Nur das Feuer in der Esse war lange heruntergebrannt.

„Da wäre wir“, meinte er und kratzte sich einen Augenblick am Hinterkopf.

„Das ist mein Haus. Nichts Besonderes, aber… Zuhause ist Zuhause, nicht?“

Götter, wann war eigentlich das letzte Mal jemand als er selbst über die Türschwelle getreten? Es konnte eine Weile her sein, den selbst Kornelius nahm selten die Mühe auf sich, nach Goldbrück zu kommen. Verständlich in seinem Alter.

Celani löste sich von seinem Arm und hielt sich stattdessen an einer der schweren Holzsäulen, die das Dach der Schmiede trugen fest. Geschickte hangelte sich die Gejarn von einer der Stützen zur nächsten weiter, offenbar froh, nicht mehr auf seine Hilfe angewiesen zu sein. Sie würde wohl keine Probleme haben, sich im Haus zu bewegen, überlegte Leif, während er sie kurz ignorierte und den Beutel mit Vorräten vor der Tür abstellte und diese rasch öffnete. Er ließ die Pforte eigentlich immer unverschlossen. Es gab einfach nichts, was sich zu stehlen gelohnt hätte und die übrigen Dorfbewohner hatten ein Auge für ihn darauf, wenn er einmal länger weg war.

„Das ist… Dein Haus ?“ Die Gejarn humpelte ein paar Schritte von den tragenden Säulen weg unter das Schmieden-Dach und sah ihm scheinbar neugierig über die Schulter.

Er nickte, während er beiseitetrat.

„Ich schätze, Du kannst Dir alles nehmen, was Du brauchst. Waschwasser findest Du, nur für den Fall, in der Küche. Was zu essen in dem Beutel, den ich hier lasse. Ich gehe kurz ins Dorf. Wir haben keinen Heiler, aber….“

„Du willst mich einfach hier lassen?“

„Es ist nicht so, dass Du etwas stehlen könntest oder gegebenenfalls auch nur weit kämst. Du kannst natürlich auch mitkommen, dann aber solltest Du Dich besser darauf einstellen, zu erklären, was Du hier suchst. Die Leute hier können Fragen stellen, das glaubst Du gar nicht.“ Er versuchte ein schwaches Grinsen und sie erwiderte das Lächeln, wohl immer noch unsicher, was sie von ihm halten sollte.

„Also dann. Danke schätze ich.“

„Ich bin bald wieder da und wenn jemand fragt, was du hier machst, sag einfach, Leif hat dich persönlich eingeladen. Ich werde mir dann zwar bis zum Ende meiner Tage das Geschwätz anhören müssen, aber das ist besser als das, was wir hier mit Einbrechern anstellen.“

„Ich mag dieses Dorf jetzt schon.“ , erwiderte Celani sarkastisch.

„Nette Leute, überall wo man hinkommt….“

„Es sind schwere Zeiten.“ , erwiderte Leif, während er sich umdrehte und auf den Weg hinab ins Dorf machte. Sie hatten keinen Heiler oder ähnliches im Dorf. Aber der Besitzer der Dorftaverne hatte mehr als eine blutige Nase wieder richten müssen. Wenn Leif jemand sagen konnte, was er wegen dem Fuß unternehmen sollte, dann der.

„Da sagst du was.“, murmelte die Gejarn, während sie ihm nachsah. Geister, was war das bisher für eine Reise gewesen. Celani wusste, dass sie heute nur mit Glück überlebt hatte. Glück und Geschick, das man erwarb, wenn man so lange auf der Flucht war, wie sie. Und trotzdem hatte ein kleiner Fehler, fast alles zunichte gemacht. Der verstauchte Fuß hätte ihr Todesurteil sein können, wäre nicht dieser Mensch aufgetaucht. Leif schien wirklich in Ordnung, aber sie sollte machen, dass sie so schnell wie möglich wieder hier verschwand. So gering die Chance war, dass sie hier allzu bald gefunden wurde… irgendwann würde man sie wieder entdecken und bis dahin sollte sie einiges an Boden gut gemacht haben.

Celani hätte am liebsten laut gelacht, war das doch einfacher gesagt als getan in ihrer Situation. Nun wenigstens gab es ihr einen Grund eine Weile hierzubleiben. Irgendwie hätte sie nichts dagegen.

Aber sie würde gerne irgendetwas tun, während sie auf Leif wartete. Er hatte ihr heute das Leben gerettet, ob er sich dessen bewusst war, oder nicht.

Hatte er nicht erwähnt, er hätte Vorräte geholt? Vielleicht konnte sie kochen.

Menschen bevorzugten seltsamerweise alles was sie aßen gebraten oder anderswie zubereitet, als ob das das irgendwie besser machte….

Der Gedanke an Essen rief ihr unangenehm in Erinnerung, wie hungrig sie selbst war. Wann genau hatte sie das letzte Mal vernünftig gegessen? Das war leicht zwei Tage her.

Der Schmied hatte ja gemeint, er hätte Vorräte in den Beutel gelassen, den er vor der Tür abgestellt hatte. Vorsichtig um jetzt bloß nicht zu stürzen, humpelte sie zur Türschwelle, wo der Stoffsack lag, und warf einen Blick hinein.

Enttäuschend. Offenbar wirklich nur Korn, vermutlich zum Brot backen. Was war sie, ein Huhn? Celani seufzte. Einen Versuch war es sicher Wert. Doch bevor sie nach einem der kleinen Weizensäcke greifen konnte, stieg ihr noch etwas anderes in die Nase, als der Geruch von trockenem Korn. Fleisch….

 

 

 

 

 

Kapitel 5

Schwieriger Gast

 

 

 

Simon Belfare schritt durch die Trümmer Varas, ohne der Zerstörung rings um sich große Beachtung zu schenken. Immer noch waren die Straßen mit Leichen und Verwundete übersäht, obwohl die Schlacht schon gestern entschieden worden war. Nachdem er den Verteidigern ihr wichtigstes Bollwerk genommen und allen demonstriert hatte, was es hieß, sich gegen ihn zu stellen, hatten sich viele bereits vor Beginn der Kämpfe ergeben. Andere hingegen hatten um jeden Preis weiterkämpfen wollen und auch jetzt noch schlugen vereinzelte Gruppen Straßenschlachten mit den Angreifern unter dem Doppelbanner von Adler und Löwe. Ordt löste sich aus einer Gruppe Soldaten, die grade damit beschäftigt waren, Trümmer beiseitezuschaffen. Simon hatte sie angewiesen, so viele Schäden wie in der kurzen Zeit, die sie noch bleiben würden möglich zu beseitigen. Es wäre nicht viel, aber etwas. Diese Stadt sollte nicht für die Dummheit ihrer Verteidiger zahlen müssen.

Der Adler des Nordens schenkte den Aufbauarbeiten jedoch nur kurz Beachtung. Er war mit den Gedanken schon wieder weiter. Die Erdwacht lag als Nächstes auf ihrem Weg weiter Richtung Süden und würde eine weitaus größere Herausforderung darstellen, als Vara. Vor allem jetzt, wo er die Tränen einmal benutzt hatte… es würde eine Weile dauern, bis die Kristalle ihre Kraft zurückgewannen.

„Herr, ich fürchte unsere Versorgungslinien könnten bedroht sein, wenn wir weiter vorstoßen.“ , meinte der Wolf , als hätte er Simons Gedanken gelesen.

Simon musterte seinen alten Freund nachdenklich. Er sah abgekämpft aus wie alle, begrüßte ihn aber trotzdem mit einer kurzen Verbeugung.

„Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Wir stoßen schneller vor, als meine übrigen Feldherren. Und die haben alle Hände voll damit zu tun, das bereits gewonnene Gebiet zu halten…. Der Kaiser zieht jetzt offenbar auch die Samthandschuhe aus. Wenn das Kaiserreich Truppen in unseren Rücken verlegen kann, dann haben wir ein Problem. “

„Wenn ich also einen Vorschlag machen darf: Wir sollten mit einem Angriff auf die Festung Erdwacht warten, bis sich unsere Truppen wieder sammeln können. Vor allen die Prätorianer haben uns schwere Verlust zugefügt, obwohl wir die meisten von ihnen am Wall erwischt haben. Oder.. Ihr sie erwischt habt.“

Simon meinte kurz, so etwas wie Angst in den Augen des Gejarn, aufblitzen zu sehen. Es gab keine Magier unter Ordts Volk, wie er wusste. Und unter den menschlichen Truppen war die Macht, die die normalen Zauberer entfesseln konnten schon gefürchtet.

„Ich vermute, sie haben bis zum Ende gekämpft?“

„Wie immer, Herr.“

„Das war zu erwarten. Ich habe auch noch nicht erlebt, dass ein Prätorianer jemals aufgibt, egal wie sehr sie in der Unterzahl sind. Sie sind das erste Schwert und der letzte Schild der Ordeal-Kaiser. Ihre persönliche Leibgarde in Friedenszeiten und ihr verlängerter Arm im Krieg. Dessen Faust, wir hier zu spüren bekommen haben. Sie verehren Mut über alles, aber nicht… Strategie. Das macht sie berechenbar und wenn dein Feind berechenbar wird… hat er einen Fehler gemacht.“

Simon seufzte, während er sein gegenüber einen Augenblick fragend musterte.

„Für jemanden, der sich so sehr für die Menschen interessiert wie ihr, fürchte ich, habt Ihr bisher nur unsere schlechtesten Seiten gesehen. Wir schlachten uns gegenseitig ab nur um ein paar Meter Grund zu gewinnen. Manchmal ist das einfach nötig… wenn man die richtigen Gründe hat.“

„Aber Ihr werdet das Ändern, Herr.“

Simon nickte. Das würde er. Das musste er. Und wer sich ihm dabei in den Weg stellte, würde fallen. Auch das war manchmal einfach notwendig.

„Ich fürchte manchmal, ich könnte Teil des Problems sein… nicht die Lösung Ordt. Ich bin am Ende auch nur ein Mensch.“

„Ich fürchte Herr, die wenigsten, die Euch gesehen haben, werden das noch glauben.“

„Und Ihr ? Ich bin kein Gott. Ihr seid länger bei mir als sonst jemand, Ihr wisst das. Ihr könntet hier und jetzt eure Klinge ziehen und mich niederstrecken Ordt. Ich könnte nichts dagegen tun, wenn Ihr mich überrascht und dieser Krieg wäre augenblicklich vorbei.“

„Eher richte ich das Schwert gegen mich selbst, als euch zu verletzen Herr.“

Er klopfte dem Gejarn auf die Schultern.

„Es gab Zeiten, da hättet Ihr genau das Gegenteil mit Freude getan. Ich wünschte, ich könnte von allen solche Loyalität erwarten. Ich bin mir meiner Sterblichkeit nur zu bewusst und fürchte nichts mehr, als das meine Zeit einfach nicht mehr ausreichen könnte...“

„Aber die Götter sind auf eurer Seite. Unser Sieg hier beweist das.“

Simon lachte schallend, was mehrere Köpfe dazu veranlasste, sich in ihre Richtung zu drehen.

„Nein, Ordt lasst mich ehrlich sein, wenn es so etwas wie Götter gibt und ich habe mehr Beweise für das Gegenteil gesehen… dann lachen sie über uns, wie ich grade. Auch die Clans der Gejarn werden sich vor mir beugen müssen, wenn ich mein Ziel erreichen will. Das wisst ihr….“

„Ja…“

„Aber das kommt später. Wenn die fliegende Stadt unser ist. Kaiser Tiberius Ordeal ist schwach, sein Haus seit Jahrhunderten im Niedergang begriffen. Wir werden nicht versagen. Ihr sagt, wir sollten die Erdwacht nicht attackieren?“

Sie überquerten einen großen offenen Platz, von dem mehrere Treppen hinauf zu einer kleinen Ansammlung unbeschädigter, steinerner Hallen führten. Die Bibliothek Varas. Ein Ort, der auch weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt gewesen war und Gelehrte aus aller Welt angezogen hatte. Und das würde er sehr bald wieder, wenn alles nach Plan verlief.

„Ja Herr. Noch sind wir verwundbar. Solange die Späher nicht zurückkehren, die Ihr ausgeschickt habt… wir sollten zumindest darüber Gewissheit haben. Wenn sie dem Kaiserreich zuerst in die Hände fällt….“

„Das wäre eine Katastrophe, das ist mir durchaus bewusst. Nun, ich sage, wir sollten es wagen und die Erdwacht attackieren. Die Festung gebietet über den einzigen Weg über den Erdschlund. Die Schlucht teilt das Land auf hunderte Meilen in zwei Hälften… wenn wir die Festung erst kontrollieren, kann der Kaiser uns schwerer in den Rücken fallen. Wir hingegen haben den Luxus, dort einen dauerhaften Vorposten zu etablieren, den er uns nur schwer wieder abnehmen kann….“

Ordt protestierte zum ersten Mal.

„Wir haben niemals genug Männer, wenn wir nicht auf Verstärkung warten. Der Kaiser ist nicht dumm, er weiß, wie wichtig die Erdwacht ist, wenn er uns aufhalten will. Er wird ganz sicher die Garnison dort noch verstärken.“

„Das ist mir bewusst. Ich… habe jedoch vor selber einzugreifen.“

„Herr, das ist viel zu gefährlich. Die Tränen einzusetzen war eine Sache, aber Euch selber in die Schlachtreihen zu stellen… wie Ihr selbst gesagt habt, Ihr seid sterblich.“

„Aber ich bin auch etwas mehr als das. Meine Entscheidung steht. Macht die Truppen bereit.“

„Ja Herr… Ich hoffe nur, das Ihr wisst, was Ihr tut.“

„Das hoffe ich auch Ordt. Das hoffe ich auch. Ich fürchte den Tag an dem sich die Schatten schneller sammeln, als ich sie vertreiben kann.“

 

 

 

  1. schlug ein vertrauter Geruch entgegen, als er durch die Tür in sein Haus trat. Der Schmied brauchte jedoch einen Moment, bis er ihn richtig eingeordnet hatte. Es war eine Weile her, dass er das letzte Mal bratendes Fleisch gerochen hatte. Was war denn hier los….

„Celani ?“ Leif lugte durch die offen stehende Küchentür und fand die Gejarn tatsächlich am Herd stehend. Auf den Flammen ruhte ein Topf, aus dem Rauch aufstieg. An der gegenüberliegenden Wand hingen an einem selbst gebauten Gestell weitere Töpfe und Pfannen, zusammen mit dem wenigen, was Leif sich an Gewürzen leisten konnte. Einen Beutel Salz und einen mit gemahlenem Pfeffer.

„Ich hoffe, ich mach das richtig…“ die Gejarn drehte sich zu ihm um, als hätte sie ihn jetzt erst bemerkt. Allerdings war Leif sich ziemlich sicher, dass sie ihn schon gehört haben musste, als er die Tür geöffnet hatte. Einen Gejarn überraschen, das war ein Kunststück, das einem erst einmal gelingen musste.

„Ich wusste gar nicht, das Gejarn kochen können.“ , meinte er nur mit leichtem Spott in der Stimme, während Celani vom Feuer zurücktrat und sich dabei an der Wand abstützte. Ihr Fuß machte ihr wohl immer noch Probleme, aber nach den letzten Stunden schien es schon besser zu gehen.

Leif warf rasch einen Blick in den Topf. Offenbar hatte sie seine Erlaubnis, sich an den Vorräten gütig zu tun auch genutzt. Ein Teil des Schinkens, den Kornelius ihm mitgegeben hatte, brutzelte am Boden des Topfs fröhlich vor sich hin. Leif war sich nicht sicher, ob man den überhaupt braten sollte, aber… jetzt würde er es wohl herausfinden, dachte er.

„Ich dachte, nachdem Du mir geholfen hast, möchte ich mich gerne irgendwie revanchieren. Und ich habe nichts von Wert dabei.“ Ihr viel offenbar selbst zu spät ein, das das nicht stimmte. Das Silberband an ihrem Arm konnte sie ja schlecht vergessen haben, oder?

„Nichts, das ich hergeben möchte jedenfalls.“, fügte Celani eilig hinzu.

„Ich hätte auch nichts erwartet.“, erwiderte Leif beiläufig. Aber auf eine Art, war es tatsächlich eine schöne Geste. Das letzte Mal, als er nach Hause gekommen war und jemand für ihn gekocht hatte… das war noch gewesen, bevor sein Leben aus den Fugen geraten war.

„Danke.“

Die Gejarn winkte ab.

„Das ist nichts.“

„Aber eigentlich benutzt man dazu ja eine Pfanne…“

Celani sah ihn verwirrt an.

„Da gibt es einen Unterschied? Ich habe… einfach genommen, was da war.“

Leif lachte. „Ich glaube nicht. Aber wir werden es wohl herausfinden.“

Er nahm den Topf von den Flammen und stellte ihn beiseite.

„Menschenküchen. Ich glaube ihr seid die einzigen Lebewesen, die ihr Essen absichtlich verbrennen.“

„Die Gejarn machen das nicht?“ Leif goss aus einer kleinen Wanne Wasser auf die Flammen, um sie etwas zu löschen. Celani wusste sicher, wie man ein Feuer am Laufen hielt, aber das Feuer konstant zu halten war die eigentliche Herausforderung beim Kochen. Sonst wurde was immer man zubereiten wollte, am Ende nur halb warm.

„Manche. Vor allen die, die länger in euren Städten leben. Aber die verändern sich sowieso.“ , antwortete sie, während sie ihm scheinbar ungeduldig zusah. Ungeduldig oder…

„Du bist hungrig, schätze ich?“

„Es ist eine Weile her, dass ich eine ordentliche Mahlzeit hatte, aber… ich will Deine Gastfreundschaft sicher nicht überstrapazieren.“

„Ich hätte nicht gefragt, wenn das der Fall wäre.“ , erwiderte er, während er kurz aus der Küche zurück zur Tür ging um den Beutel mit Kornelius Vorräten zu holen.

„Danke… mal wieder schätze ich.“ Sie sah ihm immer noch über die Schulter, als er in die Küche zurückkehrte.

„Was machst Du da?“

„Brot“, rief er ihr zu, während er rasch einen Beutel mit Korn auf der Arbeitsfläche neben dem Steinherd ausbreitete und Mörser und Stößel aus einem der Regale zog.

„Bloßer Schinken ist nichts für mich.“

Das Holz im Ofen war mittlerweile ein gutes Stück heruntergebrannt und zu rot glühenden Kohlen zerfallen. Perfekt für sein Vorhaben.

Das Korn war schnell zermahlen und gesiebt, sodass nur grobes Mehl zurückblieb.

„Ich könnte Salz gebrauchen.“, meinte Leif an die Gejarn gerichtet , die ihm nach wie vor zusah.

„Über Dir ihm Regal.“, fügte er hinzu.

„Ich habe übrigens wegen Deinem Fuß nachgefragt.“

„Ich glaube nicht, dass irgendetwas gebrochen ist. Es wird langsam wieder. Morgen kann ich sicher wieder laufen und dann bist Du mich auch schon wieder los.“

„Das meinte unser Dorfseelenverkäufer auch.“ Leif nahm ihr das Salz ab, fügte eine Fingerspitze zum Mehl hinzu und reichte ihr den Beutel wieder zurück.

„Wenn Du mit etwas Hilfe noch laufen kannst, kann es nicht so schlimm sein. Auch wenn der keine Erfahrung mit Gejarn hat. Er hat ziemlich Augen gemacht als….“

Ein lautes Poltern riss ihn urplötzlich aus seinem Wortfluss. Leif fuhr herum, schon halb darauf gefasst, dass Celani vielleicht gestürzt wäre.

Die Gejarn jedoch stand, scheinbar erstarrt. Der Salzbeutel war ihr aus der Hand gefallen und sie bis zur Wand mit den Töpfen und Pfannen zurückgewichen. Genau diese hatten auch den Lärm verursacht, als sie dagegen gestoßen war.

„Du hast jemanden von mir erzählt?“ Ihre Stimme war leise und auf eine Art kalt, die er wiedererkannte. Von einem Schlachtfeld… sie hatte keine Angst. Das war Wut, die auch in ihren gelben Augen schimmerte. Leif hatte keine Ahnung, was er verkehrt gemacht hatte.....

Abwehrend hob er die Hände und wünschte im selben Moment, er hätte irgendetwas, um sich zu Verteidigen. So wie es aussah, war sie schon drauf und dran, sich auf ihn zu stürzen. Und in der schmalen Küche half ihm seine körperliche Überlegenheit eher wenig.

„Hätte ich das nicht?“

Ein Gefühl, das er seit langer Zeit nicht mehr gehabt hatte, überkam ihn. Ruhe. Kampfruhe. Was wusste er über Gejarn? Blitzschnell schoss ihm alles durch den Kopf. Ihre Ohren sind empfindlich. Lärm kann sie verwirren und ein flacher Schlag mit der Handfläche ihr Trommelfell zerstören. Das war ausgeschlossen. Er hatte nichts, womit er Lärm machen könnte und wollte Celani sicher nicht dauerhaft taub machen. Ein Schlag direkt auf die Schnauze wäre extrem schmerzhaft….

Verflucht, er wollte ihr überhaupt nicht wehtun.

„Nein, verdammt.“ Celanis Stimme war jetzt nicht mehr leise. Sie schrie ihn regelrecht an und er erwartete tatsächlich einen Moment, zumindest eine Ohrfeige abzubekommen. Die Gejarn hielt jedoch inne und fasste sich an die Stirn.

„Ich… entschuldige ich… es ist vermutlich in Ordnung. Vergiss es einfach.“

„Schön…“ Leif musste sich zwingen selber ruhig weiter zu atmen. Was bei allen Geistern war das jetzt grade gewesen? Sicher, er konnte verstehen, dass sie nicht wollte, dass jede erfuhr, dass eine Gejarn im Ort war. Nicht alle Menschen verstanden sich gut mit den Clans. Es gab uralte Blutfehden und immer wieder regionale Kleinkriege untereinander. Aber das war kein Grund, ihn fast anzugreifen…

Bis grade eben hätte er nicht gedacht, das Celani ihm je… Angst machen könnte. Nicht, dass sie im Zweifelsfall eine große Bedrohung für ihn wäre. Er war mehr als einen Kopf größer und sie nach wie vor verletzt. Aber die ungezwungene Atmosphäre war weg.

„Ich kann ja verstehen, wenn Du nicht willst, dass alle Welt erfährt, dass Du hier bist. Aber Du hast mir das erst einmal nicht gesagt und weiter… verbirgst Du irgendetwas. Es ist mir egal, was das ist Celani. Ich will es gar nicht wissen. Aber morgen siehst Du zu, dass Du hier verschwindest.“

„Es… es tut mir wirklich leid Leif. Dich trifft an dem Ganzen keine Schuld. Ich war nur überrascht, das ist alles. Bitte… ich gehe Morgen, sogar ganz sicher. Aber….“

Die Gejarn machte eine Pause, als würden sie die Worte Überwindung kosten. Kosteten sie sogar ganz sicher. Wenn er eines über Celani schon sicher wusste, dann das sie ihren Stolz hatte.

„Aber Du bist ein guter Mann. Ich hätte Dich… ungern als Freund verloren. Ich habe schon genug Feinde.“

Leif holte tief Luft. Jetzt war es an ihm, seinen Stolz herunterzuschlucken. Was ihm schwerer fiel, als er nach all der Zeit gedacht hätte. Sie hatte ohne es zu wissen etwas in ihm geweckt, das er vor Jahren begraben hatte und dieser alte Dämon weigerte sich, so schnell wieder zur Ruhe zu kommen.

„Entschuldigung akzeptiert. Tun wir so, als wäre das grade nicht passiert, einverstanden?“

„Einverstanden.“ Sie klang noch unsicher und verdammt, er selber war ja noch nicht überzeugt.

Leif zwang sich, irgendetwas zu sagen.

„Also… ich weiß nicht wie es Dir geht, aber wir wollten grade was essen, wenn ich mich/ richtig erinnere.“

„Klingt nach einem Plan.“, meinte die Gejarn. Ein warmes Lächeln breitete sich über ihr/ Gesicht aus und er konnte nicht anders, als es zu erwidern.

„Hinter Dir im Schrank sind Teller. Deck doch einfach schon mal den Tisch draußen und/ ich mach das Brot fertig.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 6

Flucht

 

 

 

 

Den Großteil des Abendessens verbrachten sie schweigend. Nur einmal brach Celani die Stimme, als sie fragte:

„Und Du wohnst ganz alleine hier draußen?“

„Es hätte mir nicht an Gelegenheiten gemangelt, daran etwas zu ändern, aber… ich habe meine Gründe dafür, belassen wir es dabei.“, erwiderte er, zwischen zwei Bissen Brot.

Sie hatten den Topf mit Schinken und dem Laib Brot, den Leif gebacken hatte auf den schmalen Holztisch bei der Haustür gestellt. Dazu kam noch ein Krug mit Wasser.

Leif hatte die Tür geöffnet, sodass er auf die verlassene Straße und die Schmiede hinaus sehen konnte. Eine alte Angewohnheit und vor allen in den Sommermonaten die beste Möglichkeit es in dem kleinen Raum auszuhalten.

Das Licht der untergehenden Sonne tauchte den Weg in rötliches Licht. Das war definitiv ein seltsamer Tag gewesen, dachte er. Und er war noch nicht ganz zu Ende.

Celani verzichtete auf jegliches Besteck und aß einfach mit den Händen. Leif war überrascht, wie viel die kleine Gejarn verschlang. Sie hatte wohl nicht übertrieben, dass ihre letzte Mahlzeit etwas her war. Er selbst hielt sich eher zurück. Seine Gedanken kreisten mittlerweile wieder um die Frage, was sie so erschreckt haben konnte….

Er war froh darum, dass sie die Entschuldigung akzeptiert hatte, trotzdem stand dieses Rätsel weiter im Raum.

Vielleicht sollte er froh sein, die Antwort nicht zu kennen. Es schien ihr wichtig genug um dafür zu töten… Also doch eine Spionin ?

„Was meintest Du eben, dass die Gejarn in den Städten sich verändern?“, wollte er wissen, hauptsächlich um sich weiter vom Grübeln abzuhalten. Egal, was sie war, dieser ganze Krieg ging ihn ohnehin nichts mehr an.

„Genau was ich damit meine. Dir sind sicher schon Gejarn begegnet, die in der Nähe der Menschen leben.“

„Na ja, nähe ist gut, wir gehen uns eher aus dem Weg, wo es möglich ist.“ Auch wenn die Dörfer der Gejarn meist nicht mehr als ein paar Stunden Fußmarsch von den menschlichen Siedlungen entfernt waren, blieben sie doch lieber unter sich. Und meist lagen ihre Lagerplätze so, dass man schon abseits der üblichen Pfade und Handelsstraßen bleiben müsste, um über eines zu stolpern. Trotzdem blieben Begegnungen eben nicht aus.

„Es gibt Clans, die zeigen sich so gut wie nie. Meistens die, die in den weniger dicht/ besiedelten Gebieten Cantons Leben.“

„Ich habe davon gehört, allerdings immer nur als Warnung.“ Verwilderte. Halbe Tiere, die teilweise wirklich nur von ihren Instinkten gelenkt wurden....

„Sie sind… anders als die übrigen Gejarn, oder?“

„Die Herzland-Clans haben viel vom Kaiserreich Cantons übernommen. Offiziell sind sie zwar unabhängig, inoffiziell erkennen die meisten die Gesetze des Kaisers jedoch an. Das ist wohl der Grund, aus dem sie von allen ignoriert werden und man sie in Ruhe lässt. In den Städten ist es noch mal anders. Wir sind ziemlich anpassungsfähig, also… könntest Du bei den meisten Stadt-Gejarn kaum einen Unterschied zu den Menschen dort feststellen.“

„Vom Pelzbesatz mal ausgenommen, wie?“

Die Gejarn überging seine Bemerkung, grinste aber kurz.

„Andere Clans hingegen leben derart abgeschieden, dass manche vermutlich nicht mal Wissen, dass es überhaupt einen Kaiser gibt.“ Celani hielt inne und schien gut über ihre nächsten Worte nachzudenken.

„Vermutlich hat man Dich davor nicht ganz unbegründet gewarnt.“, gab sie schließlich zu.

„Ich fürchte, wenn Du denen begegnen würdest, würdest Du sie wirklich mehr für Tiere halten müssen…“ sie klang beinahe entschuldigend.

Der Schmied sah auf.

„Ich werde mir das merken. Und zu welchen davon gehörst Du?“

„Ich bin nicht unbedingt aus der Gegend.“

Leif nickte. Das hatte er sich schon denken können. Und es beantwortete seine Frage nicht wirklich. Der Schmied beschloss jedoch, es dabei beruhen zu lassen. Je weniger er wusste, desto besser, vermutete er. Und er hatte wohl kaum ein Anrecht darauf ihre Lebensgeschichte zu hören. Wenn die Gejarn sich am Morgen wieder auf den Weg machen würde, wohin auch immer, wäre das vermutlich das letzte Mal, dass sie sich begegneten. Dann würde hier wieder alles normal werden, außer das Kornelius ihm vermutlich ein Loch in den Bauch fragen würde.

Er erhob sich vom Tisch.

„Wenn es Dir nichts ausmacht, gehe ich jetzt schlafen. Für den Fall, dass Du das selber vorhattest: In der Küche findest du irgendwo einen Stapel Decken, such Dir als einfach eine Ecke aus.“

Celani nickte.

„Danke. Noch einmal.“

Der Schmied antworte lediglich selber mit einem kurzen Kopfnicken, bevor er durch die Tür in die Schlafkammer des Hauses verschwand.

 

Die Gejarn sah ihm einen Moment nach, bevor sie rasch in der kleinen Küche verschwand und auf der kurzen Kellertreppe fand, was sie gesucht hatte. Einen Haufen strohgefüllter Kissen und offenbar mehrerer Felldecken. Kurz überlegte sie, sich wirklich einen Platz im Haus zu suchen. Nein, das wäre dumm. Hier drinnen gab es nur einen Ausgang. Sie wäre im Zweifelsfall eingesperrt….

Sie überzeugte sich davon, dass der Schmied nicht noch einmal zurückkam, und verschwand dann durch die Haustür nach draußen. Unter dem Vordach der Schmiede, wäre sie vor Wind und Regen geschützt und könnte gleichzeitig in alle/ Richtungen abhauen, wenn es nötig wurde.

Außerdem würde die Sonne sie sicher wecken, wenn der Schlaf sie doch übermannte. Celani lehnte sich an eine der tragenden Säulen und starrte in die nun rasch hereinbrechende Dunkelheit.

Das war vielleicht ein ungewöhnlicher Tag gewesen, aber er war definitiv besser verlaufen, als die gesamten letzten Wochen. Sie hatte ein Dach über den Kopf, etwas gegessen… alles andere konnte bis Morgen warten.

Mit etwas Glück wäre sie morgen schon weg, bevor Leif aufwachte. Der Schmied war in Ordnung. Und grade deswegen musste sie so schnell wie möglich weg von hier. Sonst würde sie ihn nur in Gefahr bringen. Ihn und vermutlich diesen ganzen Ort, wenn ihre Jäger mit der gleichen Unnachgiebigkeit vorgingen wie den gesamten letzten Mond.

Die Gejarn wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man sie fand. Vor allem jetzt, wo Leif von ihr erzählt hatte. Die Nachricht würde sich in einer so kleinen Gemeinschaft wie Goldbrück sicher schnell verbreiten… und dann auch bald über die Dorfgrenzen hinaus an Ohren dringen, die nur auf genau diese Information lauschten.

Verflucht, sie war kurz davor gewesen auf den Schmied loszugehen und dann wegzurennen. Reines Instinktverhalten… aber das war alles, was sie in letzter Zeit am Leben erhalten hatte. Und sie hatte sich deshalb noch nie… schuldig gefühlt.

Celani seufzte. Hatte sie wirklich schon verlernt, irgendjemand zu vertrauen? Die andere Frage war, könnte sie Leif vertrauen?

Die Antwort erübrigte sich eigentlich.

Die Späher, die sie in Westfall fast erwischt hatten, konnten sicher eins und eins zusammenzählen, wenn ihnen zu Ohren kam, dass sich eine Gejarn in einem Ort keine drei Stunden Fußmarsch entfernt aufhielt….

Morgen musste sie weiter. Nach Süden und in Sicherheit. Außerhalb des Zugriffs des Zauberers. Und hoffentlich unentdeckt vom Kaiser.

Eine Weile sah sie noch auf die am Fluss liegende Siedlung hinab. Nur wenige Lichter schimmerten noch durch die Dämmerung und es wurden beständig weniger.

Celani war schon halb eingeschlafen, als sie etwas wieder ins Bewusstsein zurückholte. Sofort war die Gejarn wieder hellwach und starrte in die mittlerweile vollkommene Dunkelheit. Wie lange hatte sie vor sich hin gedöst? Lange genug, dass mittlerweile der Mond hoch am Himmel stand und sich auf dem Fluss unten im Dorf widerspiegelte.

Irgendetwas hatte sie aufgeschreckt. Ein leises Geräusch, das nicht ganz in die Kulisse der Nacht passen wollte. Irgendwo zirpten Grillen im Gras. Etwas weiter konnte sie irgendein Wildtier durchs Unterholz schleichen hören. Und das leise flüstern des Wasserlaufs, der alles untermalte. Nichts Ungewöhnliches.

Celani erhob sich vorsichtig und legte die Decken so geräuschlos wie möglich zusammen. Langsam trat sie unter dem Dach der Schmiede hervor und spähte in Richtung Dorf.

Da war es doch wieder. Schritte. Noch ganz fern, aber definitiv da. Schwere Stiefel, die über das Geröll auf der Straße schritten. Darunter mischte sich das leise, kalte Klirren von Stahl. Die Gejarn zwang sich, ruhig zu bleiben. Vielleicht nur Reisende. Sehen konnte sie nach wie vor niemanden, aber auf ihre Ohren konnte sie sich verlassen. Und auf ihre Nase….

Der ganze Ort roch nach Menschen. Das gab ihr sicher keinen Hinweis. Waffenfett.

Jetzt werd nicht paranoid, du bist in einer Schmiede, schalt sie sich selbst. Natürlich roch es hier danach.

Geister, irgendwie musste sie doch Gewissheit erlangen können. Irgendjemand war dort unten im Dorf auf der Straße…. Nur jetzt wegen einiger Nachtschwärmer in Panik auszubrechen, das wäre der letzte Schritt zum Wahnsinn, den sie noch nicht getan hatte.

Da war etwas. Noch etwas völlig anderes. Ein leichtes Kribbeln in ihren Füßen, das sie nur einmal zuvor gespürt hatte….

Ein Lichtfunke stieg ohne jeden Laut in der Mitte von Goldbrück auf und verdichtete sich zu einer kleinen leuchtenden Kugel. Der künstliche Lichtschein erhellte eine Gruppe Männer, die sich um eine Gestalt in türkisfarbener Robe gesammelt hatten. Magie….

Offenbar gingen die Männer von Haus zu Haus, klopften an jede Tür….

Das waren die Späher. Und sie hatten einen Zauberer dabei.

 

Leif wurde durch das vertraute Knarren der Dielen geweckt. Einen Augenblick lang wäre er fast sofort wieder eingeschlafen. Wenn Celani hier noch um diese Zeit herumlief, war das ihre Sache. Vielleicht waren manche Gejarn ja sogar nachtaktiv, was wusste er. Schließlich zwang er sich jedoch doch, langsam wach zu werden. Er zündete eine Öllampe an, die den Raum in warmes Licht tauchte.

Trotzdem blendete ihn die Helligkeit, sodass der Schmied einen Augenblick lang nur auf der Bettkante saß und wartete, dass sich seine Augen wieder daran gewöhnten.

Leif warf sich rasch sein Hemd über und strich sich die Haare glatt, bevor er Aufstand und zur Zimmertür schlurfte. Er hatte die Tür jedoch noch nicht ganz erreicht, als schon jemand anklopfte und ohne seine Antwort abzuwarten, hereinstürzte.

Celani lief, ohne ihn groß zu beachten zum Fenster und warf einen Blick hinaus, als erwarte sie, dort jemanden zu sehen.

„Geister Du bist wach. Gut. Wir… wir müssen weg. Ich muss weg. Verflucht.“ Die Gejarn schien völlig aufgelöst, als sie endlich stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. Offenbar hatte sie sogar den schmalen Silberreif verloren, den sie vorher um den Arm getragen hatte.

Leif musste erst Ordnung in seine eigenen Gedanken bringen. Langsam nur hob sich der restliche Schleier des Schlafs davon.

„Ganz ruhig. Was ist los?“

„Was los ist? Simons Soldaten sind hier. Die durchsuchen alles und nachdem Du von mir erzählt hast. Ach verdammt, das ist meine Schuld.“

Der Schmied verstand nach wie vor nur die Hälfte. Aber er verstand genug. Aus irgendeinem Grund war der Adler des Nordens hinter ihr her.

Leif zwang sich, ruhig zu bleiben. Etwas, das ihm erstaunlich einfach fiel. Einen kühlen Kopf bewahren. Sich auf das Problem konzentrieren und nicht vom Chaos beherrschen lassen… das Chaos, das kam erst, wenn Stahl auf Stahl traf. So schnell verlernte man das nicht.

„Also… Luftholen, Durchatmen. Noch mal ganz langsam. Der Adler des Nordens ist hinter Dir her?“

„Ich dachte, sie hätten im Wald meine Spur verloren. Bevor ich gestolpert bin. Offenbar haben sie das nicht.“

„Gut, sag das doch gleich. Dann sehen wir zu, dass wir dich hier rausbringen.“ Leif rannte los und warf selber einen Blick aus dem Fenster. Tatsächlich hatte sich eine Gruppe bewaffneter Männer, die sich aufteilte und von Haus zu Haus gingen. Der Schmied dankte kurz den Göttern dafür, dass sein Haus fast am Ende von Goldbrück lag. Wenn sie weiter so systematisch vorgingen, würden sie hier fast als Letztes nachsehen. Sie hatten noch Zeit. Was ihn jedoch beunruhigte, war die Lichtkugel, die über den Köpfen der Soldatengruppe schwebte.

„Sie haben einen Zauberer dabei.“, flüsterte Celanis Stimme neben ihm. Er hatte gar nicht gemerkt, wie die Gejarn nähergetreten war.

„Pack alles zusammen, was Du brauchst.“, wies der Schmied sie an.

„Dann gehen wir beide raus und Du rennst Richtung Wald. Dein Fuß trägt dich wieder?“

„Es dürfte gehen, aber was hast Du vor?“

Leif grinste, während er nach seinem Hammer griff. Besser als gar keine Waffe, auch wenn ihm das gegen einen Zauberer kaum etwas nützen dürfte.

„Ich werde mich als besorgter Bürger Cantons einmal mit diesen Herren unterhalten. Das sind keine Schlächter, sonst würden sie das verdammte Dorf abbrennen, statt zu anzuklopfen… keine Sorge, ich provozier sie nicht zu sehr.“

Die Gejarn hielt ihn am Arm zurück.

„Leif, das ist eine schlechte Idee. Sie fragen jedem im Ort und wenn sie erfahren, dass Du mich versteckt hast… Diese Männer mögen keine hirnlosen Schlächter sein, aber sie werden Dich töten… oder schlimmeres, wenn sie glauben, dass Du Informationen hast.“

„Du willst mir also sagen, ich kann nicht bleiben?“

„Zumindest nicht, bis die Späher nicht weg sind.“

„Verstehe… schaffen wir es bis zu Kornelius, können wir uns da fürs erste Verstecken. Er ist ein Freund von mir. Wenn sie dich einmal im Wald verloren haben, klappt das vielleicht ein zweites Mal. Und ich kenne den Weg wie meine Westentasche. Die da hoffentlich nicht.“

Noch während er sprach, hetzte er hinaus in den angrenzenden Raum und öffnete vorsichtig die Haustür. Noch rührte sich vor der Schmiede nichts und die ersten Soldaten, durch ihre magischen Lichtkugeln gut erkennbar, waren noch weit weg.

Leif bedeutete Celani, kurz in der Tür zu warten, während er unter dem Vordach der Schmiede hervor schlich. Rasch überzeugte er sich noch einmal davon, dass die Luft rein war.

„Machen wir, dass wir hier wegkommen.“ , rief er der Gejarn zu, die sofort aus der Tür trat und in den Schatten der Schmiede verschwand, bevor sie neben ihm wieder auftauchte. Wenn sie nicht gesehen werden wollte, konnte sie offenbar auch dafür sorgen, dachte Leif, bevor sie in die Nacht davonrannten.

Jemand schuldete ihm eine gute Erklärung für diesen ganzen Aufstand, dachte er noch.

 

 

Kapitel 7

Verloren

 

 

 

 

 

 

„Leif, warte.“

Sie konnten noch nicht lange unterwegs sein, als Celani plötzlich anhielt. Er hatte zuerst Schwierigkeiten, den Pfad im Dunkeln zu finden, aber nachdem sich seine Augen an die tieferen Schatten unter dem Blätterdach des Waldes gewöhnt hatten, konnte er sich schnell orientieren.

Sie mussten schon wieder auf halbem Weg zum Geisterbaum sein, wenn er die Entfernung richtig einschätzte. In der Dunkelheit war er den Weg selten gegangen, also konnte er sich nicht ganz sicher sein. So oder so, im Augenblick hatten sie einen sicheren Vorsprung, den wollte er ungern aufgeben.

Leif wurde langsamer und drehte sich widerwillig um. Nicht nur, dass er wegen ihr jetzt um sein Leben rannte, er wusste immer noch nicht wieso. Warum sollte Belfares Armee hinter einer einzelnen Gejarn her sein?

„Was ist jetzt wieder lo…“ eigentlich hatte er zu einer schärferen Erwiderung ansetzen wollen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Der Schmied konnte den Ausdruck nackter Angst auf ihrem Gesicht erkennen. Celani hatte nicht halb so entsetzt gewirkt, wie bei ihrer überstürzten Flucht. Irgendetwas musste passiert sein, vor dem sie noch mehr Angst hatte, als vor den Spähern.

„Mein Armreif ist weg.“

Leif seufzte. Das war ihm vorhin schon aufgefallen. Aber das war es doch sicher nicht, was ihr solche Angst machte.

„Glaub mir, das ist es sicher nicht Wert unser Leben zu riskieren.“

„Doch. Hör zu, ich muss zurück. Ich erwarte gar nicht, dass Du das verstehst, aber wenn sie dieses Band finden….“

„Wenn wir jetzt zurückgehen, müssten wir schon sehr viel Glück haben, das man uns nicht erwischt. Hast Du darüber mal nachgedacht?“

„Wir gehen auch nicht zurück Leif. Du hast schon genug getan. Mehr als ich… von irgendjemanden erwartet hätte.“ Sie lächelte schwach.

„Das sind Soldaten, gegen die hast Du keine Chance. Geh zu Deinem Freund. Versteck Dich dort. Wenn ich Erfolg habe, sollten die Späher bald weg sein. Und wenn nicht… bist Du sie trotzdem los.“

Auf ihre Art hatte sie recht. Er hatte getan, was er konnte. Das alles ging ihn nichts an. Er sollte einfach gehen und die Sache hinter sich lassen, dachte der Schmied. Aber was dann….

Dann könnte er nie wieder in den Spiegel sehen.

„Celani, ich bin niemand, der jemanden einfach so im Stich lässt. Das habe ich noch nie und ich werde jetzt auch nicht damit anfangen. Wenn dieses Armband so wichtig ist, holen wir es. Aber wenn, dann wüsste ich gerne endlich, warum genau ich das mache.“

„Das zu erklären, würde etwas dauern….“

„In dem Fall, spar Dir die Erklärung, bis wir heil aus der Sache raus sind.“ Leif sah den Weg zurück, den sie gekommen waren. Noch war kein Lichtschimmer hinter ihnen zu sehen, aber wenn die Späher sein Haus erreichten, bevor sie wieder dort ankamen, hatten sie ein Problem.

„Weißt Du wenigstens, ungefähr wo du den Reif verloren hast? Wir werden keine Zeit zum Suchen haben.“

„Vor dem Haus hatte ich ihn noch, also… kann ich ihn nur verloren haben, als ich nach drinnen bin um dich zu wecken.“

Leif trat geduckt unter den Bäumen hervor. Unten im Dorf konnte er nach wie vor die Späher sehen, die zwischen den Häusern hin und her liefen. Den Göttern sei Dank, dass die sich offenbar Zeit ließen.

Er zählte insgesamt sieben Männer in Kettenhemden, die mittlerweile Fackeln entzündet hatten. Dazwischen liefen mehrere aufgeschreckte Dorfbewohner, die noch nicht verstanden, was überhaupt los war. Wenigstens lassen die Soldaten sie scheinbar in Ruhe, dachte der Schmied erleichtert. Aber wo war der Zauberer?

 

Er suchte das ganze Dorf, soweit er es einsehen konnte nach der Gestalt in der türkisfarbenen Robe ab, fand sie aber nicht. Vielleicht war der Mann grade in einem der Häuser oder man hatte ihn aus Sicherheitsgründen zurückgeschickt. Magier waren in einem Krieg zu wertvoll, um sie sinnlos einer Gefahr auszusetzen. Zumindest würde das bedeuten, dass sie ein Problem weniger hatten.

„Wie sieht es aus?“ Celani tauchte neben ihm aus der Dunkelheit auf.

„Ich glaube, wir können es wagen.“, meinte er.

„Wenn wir es bis zur Tür schaffen, gehst Du rein und suchst den Armreif. Ich bleibe unter dem Dach und passe auf, das sich niemand nähert.“

„Klingt nach einem Plan.“ Die Gejarn wollte schon aufstehen, aber Leif hielt sie kurz zurück.

„Und wenn jemand kommt, gebe ich dir Bescheid. Dann müssen wir weg. Verstanden?“

Sie nickte.

Leif gab ihr ein Zeichen, dann rannte er das kurze Stück weg hinab und verschwand in der schützenden Dunkelheit unter dem Dach. Ein rascher Blick zurück ins Dorf zeigte ihm, das dort immer noch alle beschäftigt waren.

Celani folgte ihm wenige Augenblicke später.

Der Schmied atmete ein paar Mal tief durch. Gut, das hatte schon einmal funktioniert. Rasch öffnete er die Tür und ließ die Gejarn an sich vorbei ins Hausinnere.

„Sieh nach, ob du es findest.“, flüsterte er gedämpft, bevor er auf seinem Posten am Rand des Daches zurückkehrte. Die sieben Späher waren immer noch damit beschäftigt, die Häuser am Fluss zu durchsuchen. Die Schmiede war aus dem Dorf nicht direkt einsehbar, solange ihn also niemand verriet, waren sie wohl noch sicher. Und die Dörfler würden die Soldaten sicher nicht mit der Nase darauf stoßen, dass sie ein Gebäude übersahen.

Aber ewig würde sie das nicht schützen. In was war er da nur rein geraten? , fragte er sich nun schon zum wiederholten Mal. Leif hatte nicht gedacht, noch einmal in eine Situation zu kommen, wo er derart um sein Leben fürchten musste. Er wusste ja nicht mal, ob er das Richtige tat, dachte der Schmied. Celani konnte genauso gut diejenige sein, die ihm einen Dolchstoß verpasste, sobald er nicht mehr nützlich war. Und diese Soldaten da unten sie mit Recht jagen. Er musste seinem Gefühl vertrauen. Die Gejarn hatte Angst, wahnsinnige Angst sogar, selbst wenn sie offenbar versuchte, das zu verbergen. Und er würde niemanden ausliefern, der ihm sein Leben anvertraute, nicht mal, wenn er sich sicher wäre.

Leif beobachte weiter die Männer im Dorf, während er darauf wartete, das Celani wieder auftauchte. Hoffentlich fand sie den verdammten Armreif schnell. Der Mond neigte sich mittlerweile schon wieder dem Horizont zu. Noch ein paar Stunden, dann würde es wieder hell sein. Und dann musste den Spähern die Schmiede am Ortsrand auffallen. Sieben mit Schwertern und Luntengewehren bewaffnete Männer hatte er nichts entgegenzusetzen. Trotzdem zog er den Hammer aus der Gürtelschlaufe. Der Griff war zu kurz, als das das Ganze eine gute Waffe abgegeben hätte. Zumindest nicht, wenn sein Gegner mit einem Schwert bewaffnet wäre. Er musste zu nah an diesen heran.

Wo blieb Celani?

Er drehte sich rasch zur Tür um. Einen Augenblick verstand er nicht, was er sah. Bevor sich seine Augen an die Dunkelheit unter dem Dach gewöhnt hatten, entzündete sich/ urplötzlich die Luft vor ihm und tauchte alles in grelles, flackerndes Licht.

Es war reiner Instinkt, der Leif das Leben rettete. Er warf sich zu Boden, ohne darauf zu achten, wo er landen würde. Im nächsten Moment schoss die Feuerwolke auch schon über ihn hinweg.

Leif schlug mit dem Kopf gegen eine der tragenden Säulen des Vordachs, während die Flammen in der Luft zu Funken zerstoben. Der Aufprall war heftiger, als er gedacht hätte und ließ ihn benommen liegen bleiben. Blut tropfte ihm aus einer Platzwunde an der Stirn ins Gesicht.

Eine Gestalt trat unter dem Dach hervor ins blasse Mondlicht.

Dem Schmied gefror das Blut in den Andern.

Dem Mann fiel eine türkisfarbene Robe um den mageren Körper. Seine Haare waren völlig ergraut, obwohl er noch jung wirkte. Das in Gold gehaltene Wappen eines Blutstropfens prangte auf seiner Schulter. Das Symbol des Sangius-Ordens, Simon Belfares persönlicher Magier-Gilde….

Das Blut des alten Volkes in ihren Adern für alle Welt zur Schau getragen. War es Arroganz oder Selbstsicherheit, die es verkörpern sollte?

Erneut flackerte Licht in seinen Händen auf. Energie kontrolliert allein durch den Willen des Zauberers. Das magische Leuchten zeichnete deutliche Schatten und Konturen in der kleinen Schmiede.

Wenigstens, dachte Leif, wusste er jetzt, wohin der Magier eben verschwunden war.

Der Zauberer trat vor und schien Leif erst jetzt richtig wahrzunehmen.

„Ihr seid nicht, was wir suchen.“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu irgendjemand Bestimmten.

„Ihr habt scheinbar Glück. Steht auf und seht zu, das Ihr im Haus blei…“ der Blick des Magiers blieb auf Leifs Stirn hängen. Die Tätowierung auf seiner Schläfe war trotz des Bluts in dem magisch erzeugten Licht gut zu erkennen.

„Ihr… Ihr seid…“ das Licht um die Hände des Mannes schlug in Feuer um, aber er kam nie dazu, den Satz zu beenden. Leif nutzte den kurzen Moment der Verwirrung aus, um aufzuspringen, den Hammer mit beiden Händen gefasst, und schlug mit aller Kraft zu.

Der stählerne Kopf traf den Mann direkt am Schädel und der Schmied konnte das hässliche Geräusch hören, mit dem sich die Knochen verschoben die schließlich brachen. Der Zauberer sackte ohne einen Laut in sich zusammen. Das magische Licht in seinen Händen erlosch schlagartig.

Leif lehnte sich schwer atmend gegen die Hauswand, während er zu dem Toten herabsah. Jetzt war er nach all den Jahren also doch wieder zum Töten gezwungen gewesen. Und er hatte den letzten Blick in den Augen des jungen Hexers gesehen. Das Wissen darum, das er sterben würde.

Und Leif spürte nichts. Nicht das Geringste. Kein Bedauern, keine Reue….

Also war er immer noch derselbe, dachte der entfernte Teil seines Verstandes, der grade noch dazu in der Lage war. Mit einer Hand strich er sich rasch die Haare wieder glatt. Wer hätte gedacht, dass sein ewiger Makel ihm mal etwas nützen würde. Aber er hätte mit dem Mann vielleicht reden können, wenn er es nicht gesehen hätte….

Leif wusste nicht, wie lange er so dastand, aber irgendwann stürzte Celani wieder aus dem Haus, einen silbrig schimmernden Gegenstand in der Hand.

„Ich habs.“, rief sie,

„Das hat länger gedauert als gedacht. Verzeih…“ die Gejarn wäre beinahe über den erschlagenen Zauberer gestolpert.

„Vorsicht.“

„Du hast… Du hast einen Magier getötet?“

„Nur weil ich ihn überrascht habe.“ , erwiderte er sofort. Und das stimmte auch. Oder vielleicht hatte der Mann sich eher selbst überrascht. Er hatte wohl mit allem gerechnet, nur nicht damit, jemanden wie Leif hier zu finden. Einmal, vor langer Zeit hätte er es auch mit einem Hexer aufgenommen. Aber nicht mehr. Seltsam… er hatte gehofft, das meiste davon inzwischen vergessen zu haben.

„Hast Du den Armreif?“

Sie nickte.

„Dann sollten wir machen, dass wir hier wegkommen. Den Magier wird bestimmt bald jemand vermissen.“ Nur woher hatte dieser gewusst, wo er sie finden konnte? Die übrigen Späher waren immer noch im Dorf beschäftigt….

Ohne dass sie jemand bemerkte, verschwanden sie erneut im Wald. Diesmal rannten sie nicht, sondern liefen nur schweigend nebeneinander her.

Leif war auch nicht danach zu Mute, durch einen stockdunklen Wald zu hetzten. Seinen Gedanken wirbelten noch immer durcheinander, zusammen mit einem leichten Schwindelgefühl. Er hatte seinen Frieden gehabt bis vor knapp einen Tag. Frieden, der jetzt/ endgültig dahin war. Schwerfällig lehnte er sich an einem Baum und wartete, bis der kurze Anfall von Übelkeit vorbei war.

Celani schien zu merken, dass es ihm nicht besonders ging.

„Du blutest.“

„Das ist nichts.“, wehrte er die Gejarn ab. Er hatte schon deutlich Schlimmeres überlebt. Auf der anderen Seite… er hatte auch schon Leute an scheinbar harmlosen Kopfverletzungen sterben sehen.

Sterben wäre grade perfekt, dachte er. Vorbei war jetzt sowieso alles. Er hatte einen Magier getötet. Schlimmer noch: Er hatte einen Magier getötet, der zu Simon Belfares Armee gehörte. Das würde kein Heerführer hinnehmen. Man würde herausfinden wollen, wer den Mann getötet hatte…

Und wenn irgendjemand in Simons Heer bis drei zählen konnte, würden sie ziemlich schnell auf einen gewissen Dorfschmied kommen.

Leif sah erst auf, als sich ein Stoffstreifen auf seine Stirn legte.

„Sicher, das ist nichts.“, meinte Celani spöttisch. „Aber wenn du mir auf halbem Weg umfällst, bringt mir das leider auch nichts.“

Leif schüttelte den Kopf, was nicht grade dazu beitrug, das Schwindelgefühl zu lindern, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Hoffentlich erreichten sie Westfall bald. Dann konnte er sich überlegen, wie er aus der Sache wieder rauskam.

„Also eines weiß ich jetzt, aus der Stadt kannst du nach allem was du mir erzählt hast, schon mal nicht sein.“ Und er würde besser noch ein paar mehr Antworten bekommen, wenn sie das hier Überlebten….

 

 

 

 

 

 

Kapitel 8

Lichtbringer

 

 

 

 

 

Die ersten Sonnenstrahlen fanden grade ihren Weg über den Horizont, als zwei Gestalten durch die noch verlassenen Wege von Westfall liefen. Ihr Ziel stellte ein großer Hof am anderen Ende des Ortes dar, der inmitten der direkt angrenzenden Felder in die Höhe ragte.

Eine große Scheune begrenzte eine Seite des Baus, während die andere von einem Wohnhaus eingenommen wurde. Durch eine Mauer waren beide Gebäude miteinander verbunden und bildeten so ein zu einer Seite offenes Rechteck.

Die roten Giebeldächer der Häuser Westfalls wurden grade erst vom Sonnenlicht berührt, als Leif in den Hof trat und, sich nach allen Seiten umdrehend, zur Tür lief. Celani folgte ihm in einigen Abstand. Es gefiel ihm nicht unbedingt, sie hierher zu bringen. Er wollte Kornelius nicht in Gefahr bringen aber auf der anderen Seite… hatte er kaum einen anderen Ort, wo er hinkonnte. Goldbrück war nicht mehr sicher. Trotzdem hielt er kurz an der Tür inne.

Die schwere Holzpforte war mindestens so alt, wie Kornelius selbst, überlegte der Schmied.

Ein eiserner Türklopfer war in die dunklen Eichenbretter eingelassen. Leif hatte kaum zweimal geklopft, als er auch schon eine polternde Stimme von drinnen hörte, gefolgt von schweren Schritten.

„Verflucht, wer auch immer einen guten Mann um die Zeit aus den Federn…“ Kornelius beendete den Satz nicht, als er die Tür aufzog und sich Leif gegenüber vorfand. Mit ruhigem Blick musterte er den Schmied von Kopf bis Fuß.

„Du siehst schrecklich aus“ , bemerkte der Bauer schließlich trocken.

„Danke , alter Mann. Das weiß ich selbst.“

Kornelius schüttelte seine Überraschung offenbar schnell ab. Er lehnte den Kopf zur Seite um an dem Schmied vorbeisehen zu können und entdeckte Celani, die nach wie vor in gebührendem Abstand wartete.

„Leif… was machst Du um die Zeit hier?“ , wollte der Alte wissen.

„Und seit wann hast Du Dir den wandelnden Flohzirkus da angelacht?“

Kornelius drängte sich an ihm vorbei aus der Tür und rief dabei der Gejarn irgendwas zu. Nur definitiv nicht in seiner Sprache. Leif verstand kein Wort, Celani dafür offenbar umso mehr.

Die Gejarn sah ihn kurz aus weit aufgerissenen Augen an und reif etwas in der gleichen Sprache zurück.

Der Alte lachte , offenbar über die Antwort.

„Ja, das sieht ihm ähnlich.“

„Wem sieht was ähnlich?“ Leif war sich ziemlich sicher, dass der Witz der unverstandenen Unterhaltung aus irgendeinem Grund bei ihm lag.

„Und seit wann bitte, beherrschst du die Clansprache ?“

„Junge, ich bin schon ein bisschen länger auf dieser Welt als Du.“ , erwiderte Kornelius und tippte ihm dabei mit dem Finger gegen die Stirn.

„Und ich hab auch nicht mein ganzes Leben in Westfall verbracht. Merk Dir das.“ Seine dunklen Augen blitzten, als sein Blick von Leif wieder zu Celani wanderte.

„Allerdings… glaube ich nicht, dass du weißt, auf was Du Dich da einlässt. Los kommt rein, steht da nicht wie angewurzelt rum.“ Kornelius drehte sich mit einem Ruck um und verschwand wieder im Haus, wobei er seinen beiden Gästen erbeutete ihm zu folgen. Leif war schon ein paar Mal hier gewesen. Hinter der Tür lag ein kurzer Flur, mit Durchgängen auf allen Seiten und einer Treppe am Ende, die hinab in den Keller führte.

Der Alte verschwand durch den ersten Gang in einen großen, hellen Raum. Morgenlicht fiel durch eine Reihe verglaster Fenster, die auf die Felder um Westfall hinausgingen.

Ein großer Tisch nahm einen Teil des Raums ein. Kornelius ließ sich einfach in einen Stuhl daran fallen und bedeutete sowohl Leif als auch Celani sich zu setzen.

„Also … was ist passiert? Du tauchst nicht aus einer bloßen Laune heraus früh morgens hier auf. Und wenn doch.“ , fügte Kornelius hinzu.

„Gewöhn Dir das schnell wieder ab.“

„Das zu erklären, wird einen Moment dauern.“, antwortete Leif, während er begann , alles zu erzählen, was passiert war, seit er Westfall gestern Morgen verlassen hatte. Angefangen davon, wie er Celani im Wald gefunden hatte bis zu dem Moment, wo sie mit dem Silberreif im Wald verschwunden waren.

„Ich verstehe selbst noch nicht ganz, was hier vor sich geht, Kornelius.“, endete er schließlich.

„Aber ich hoffe, Celani wird das beantworten können.“

Kornelius sah von ihm zu der Gejarn. Einen Augenblick musterte der Alte sie schweigend.

„Ihr gehört zu keinem Clan dieser Gegend, richtig?“

„Nein… ich gehöre zu den Wildland-Clans. Normalerweise halten wir uns fernab von den/ Menschen.“

„Dafür sprecht Ihr unsere Sprache aber ganz gut.“

Sie nahm das beiläufige Lob mit einem Nicken zur Kenntnis.

„Ich wurde ursprünglich als Botschafterin ausgebildet. Auch wir müssen manchmal mit den Menschen klar kommen.“

„Dann… erzählt uns doch einmal, was Euch ausgerechnet in diesen Teil Cantons führt. Soweit ich das Ermessen kann, scheint ihr euch ja einige Schwierigkeiten eingehandelt zu haben.“

„Was mich hierher bringt, ist das hier.“ Celani hatte den wiedererlangten Silberreif vom Arm gezogen und legte ihn vorsichtig in die Mitte des Tischs. Das feine Silbergewebe schien mehr aus Stoff, denn aus Metall zu sein. Wer immer diesen Band gemacht hatte, musste ein wahrer Meister seines Fachs gewesen sein, dachte Leif nicht zum ersten Mal.

Der in das Silber eingelassene Opal schillerte in einer bunten Kaskade von Farben, je nachdem, aus welchem Winkel man ihn grade betrachtete. Nur wenn man direkt darauf sah, schien er völlig durchsichtig. Leif streckte respektvoll die Hand danach aus und betrachtete den Edelstein und das Armband einen Augenblick.

Kornelius betrachtete den Gegenstand nur kurz, runzelte aber die Stirn. Ein düsterer Ausdruck hatte sich auf das Gesicht von Leifs altem Freund gelegt.

„Was genau ist das?“ , wollte der Schmied wissen.

„Das.“ Celani nahm den Armreif wieder an sich. „Ist was mein Volk Ale'nyo nennt. In eurer Sprache bedeute es so viel wie Lichtbringer. Das Gebiet meines Clans liegt mittlerweile tief in dem von Simon Belfare eroberten Teil des Reichs. Vor fast zwei Monden kam er zu uns und verlangte, dass man ihm das Ale’nyo aushändigt. Dieses Artefakt ist seit dem großen Bürgerkrieg unter den Marionettenkaisern im Besitz meines Clans. Simon sprach von der großen Zukunft, von der er träumte und dem Platz, den er darin für unser Volk sähe…

Er war… überzeugend. Ihr beide hättet ihn sprechen hören sollen, er hätte einen Berg dazu überreden können, für ihn beiseitezutreten. Viele unserer Ältesten wollten sich ihm anschließen. Andere wiederum waren dagegen. Es war eine knappe Entscheidung, aber am Ende… weigerten wir uns das Band auszuliefern. Uns war aber auch klar, dass wir Belfare diesen Stein nicht vorenthalten konnten. Seine Armee ist endlos, Leif. Seine Macht kennt keine Grenzen und wir waren nur ein einziger Clan, mit ein paar hundert Kämpfern….“

„Also ?“ Der Schmied hatte bisher nur der Erzählung der Gejarn gelauscht. Und da sie hier saß, dieses Silberband an ihrem Arm, glaubte er, die Antwort schon zu kennen.

„Also entschied man sich, das Ale’nyo zu verstecken. Deshalb wurde ich damit weggeschickt. Ich habe die Länder der Menschen öfter bereist, als die meisten anderen meines Clans. Man hoffte wohl, dass ich mich mit dem Stein so weit wie möglich nach Süden durchschlagen kann. Weit genug, um Belfares Einfluss zu entkommen.“

Kornelius sah auf. ,,Doch nicht etwa Alleine ?“

„Als ich aufbrach, hatte ich zwanzig unserer besten Krieger als Begleitschutz dabei. Jetzt… bin nur noch ich übrig.“

„Aber warum sollte Simon Belfare hinter einem Edelstein her sein?“

„Weil es kein schlichter Stein ist.“, erwiderte Kornelius, bevor er an Celani gerichtet hinzufügte:

„Und Ihr wisst das auch, oder euer Clan wäre nicht so erpicht darauf, es in Sicherheit zu bringen, oder ? Das da, euer Lichtbringer, ist eine Träne Falamirs.“

„Falamirs Tränen…“ Celani sah unsicher zwischen Kornelius und Leif hin und her. Ihre Ohren zuckten nervös.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet.“

„Natürlich.“ Kornelius faltete die Hände zusammen. Leif konnte ihm ansehen, dass er der Gejarn nicht glaubte.

„Falamir war ein Schwertmagier des alten Volkes.“, erklärte er ruhig...

„Ein Ritter könnte man sagen. Durch einen Fluch wurde er zu Stein, aber bevor der Fels ihn komplett umschloss, begann er zu weinen. Angeblich ist dieser Kristall dort, eine seiner versteinerten Tränen. Es sind Speicher für Magie, mächtiger als alles, was unsere heutigen Zauberer erschaffen können.“

„Ich dachte, die sind nur eine Legende.“, sagte Leif. „Ich meine… ich habe davon gehört, aber nie viel darauf gegeben.“

„Wirklich?“ , fragte Kornelius und zog die Augenbrauen hoch. „Nein sie sind viel mehr als das. Ich weiß es, weil ich einmal eine gesehen habe. So etwas vergisst man nicht. Ich habe erlebt, was ein einziger dieser Steine anrichten kann… einst befanden sie sich alle im Besitz der Ordeal-Kaiser, aber seit dem Bürgerkrieg haben sie nur noch vier. Soweit ich weiß.“

„Wie gesagt, ich habe davon gehört, aber ich dachte immer, das sei nichts als Geschmeide.“ Leif kratzte sich am Kopf. „Symbole eben. Wie eine Krone. Nicht mehr.“

„Simon hat ebenfalls mindestens drei davon.“, erklärte Celani.„Er hatte zumindest drei Steine dabei, als er zu uns kam. Er hat nicht gedroht aber… dieser Mann hat eine Ausstrahlung, die schwer zu beschreiben ist.“

„Und wir haben einen davon hier.“, stellte Leif fest. Noch konnte er die Bedeutung dessen nicht ganz greifen. Wollte sie gar nicht fassen…„Das sind acht Steine. Was ist mit den Neunten?“

„Soweit ich weiß, ging der Neunte schon vor langer Zeit verloren. Irgendwo noch hinter den Außengrenzen von Canton. Vielleicht sogar in Laos. Es sind alte Geschichten, aber ich weiß, dass sie einen wahren Kern haben. Und, dass Simons Armee Celani jagt, sollte doch Beweis genug dafür sein.“

Der Schmied zwang sich durchzuatmen. Sie hatten eine Träne. Ein legendäres Artefakt. Genau hier. Bei ihnen….

 

Kornelius schien seine Gedanken auszusprechen.

„Der Krieg zwischen dem Kaiser und dem Adler dauert jetzt schon über ein Jahrzehnt an. Vor allem, weil keine Seite einen Vorteil über die andere gewinnen kann. Die Zahl ihrer Truppen ist auf beiden Seiten fast endlos. Beide verfügen über erstklassige Zauberer in ihren Reihen, davon abgesehen, das Simon Belfare selbst über eine Macht gebietet, die man selten sieht.“

Leif sah unruhig zu dem Alten.

„Das... weiß ich. Das ist die Situation, wie sie seit Jahren ist.“

„Aber es gibt einen dritten Faktor in diesen Krieg, der über bloße Zahlen hinaus geht.“ , meinte die Gejarn.

„Und wir… haben ihn hier vor uns liegen.“

Kornelius nickte anerkennend. „Genau richtig. Solange die Machtverhältnisse auf beiden Seiten gleich sind und sich die Truppen die Waage halten… bleiben die Dinge halbwegs stabil. Der Krieg tobt schon lange, aber die Grenzen verschieben sich nur langsam. Aber mit einem Artefakt des alten Volkes, wie den Tränen Falamirs… Leif dieser Stein kann das Gleichgewicht der Macht massiv verschieben. Das bedeutete das blanke Chaos.“

„Sie darf keinem in die Hände fallen.“ , unterbrach Celani ihn.

„Das Ale’nyo wurde mir von unseren Ältesten anvertraut, um sie so weit wie möglich den Zugriff derer zu entziehen, die sie benutzen würden.“

„Und deshalb bist Du auf dem Weg nach Süden.“, schloss Leif. „Und als Du um Hilfe gerufen hast…“

„Zum letzten Mal, ich habe nicht um Hilfe gerufen.“

Der Schmied zuckte mit den Schultern. Vielleicht wollte sie das nur nicht zugeben, überlegte Leif. Das sähe ihr wohl ähnlich.

„Schön, Schön.“ Kornelius schien die ganzen Neuigkeiten bisher mit einer stoischen Gelassenheit hinzunehmen. Leif wünschte, er könnte von sich das Gleiche behaupten. Das ging alles zu schnell. Zusammen mit den bohrenden Kopfschmerzen und seiner Kopfwunde schien die Welt sich langsam im Kreis zu drehen. Artefakte, Magie, das alte Volk ,der Zaubererfürst….

Das war alles zu viel auf einmal.

„Wir haben also ein magisches Artefakt hier, Euren Lichtbringer, der den Ausgang dieses ewigen Krieges beeinflussen könnte. Die Frage ist jetzt nur… was machen wir drei damit? Benutzen ist schon mal ausgeschlossen. Leif Du hast in etwa das magische Potential einer Eintagsfliege. Das Nächstbeste, das ich statt Magie zu bieten habe sind ein paar Kartentricks und Celani, Ihr scheidet als Gejarn direkt aus. Also, was tun wir jetzt?“

Es wurde plötzlich sehr still im Raum. Was sollte das heißen, was sie damit machten? Leif fürchtete sich vor der Antwort. Es hatte eigentlich schon seit dem kurzen Kampf mit dem Magier kein Zurück mehr gegeben. Er kam aus der Sache wohl nicht mehr so einfach raus.

Verflucht hätte er den je seinen Frieden?

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 9

Wieder in den Krieg…

 

 

 

 

 

Es war Celani, die das Schweigen brach.

„Ich werde tun, was man mir aufgetragen hat, Kornelius.“ , antwortete die Gejarn.

„Das ist der einzige Grund, aus dem ich hier bin.“

„Natürlich werdet Ihr das. Und ich habe nicht vor, dagegen etwas zu sagen.“, erwiderte dieser.

„Ich habe auch kein Interesse daran, herauszufinden, was der Kaiser oder Belfare mit diesem Stein anrichten würde. Magie ist eine Waffe, die gewisse… Kollateralschäden mit einschließt.“

„Dann versteht Ihr, wieso ich bald weiter muss. Wir sind den Spähern in Goldbrück fürs Erste wieder entkommen, aber mit jedem Augenblick, den ich bleibe, wird es wahrscheinlicher, dass sie mich wieder finden.“

„Ich verstehe nicht genau, wie sie Dich finden konnten.“, meinte Leif. Der Schmied hatte sich die Frage zwar schon früher gestellt, aber noch geglaubt, es gäbe eine einfache Antwort. Zufall., dass die Späher ausgerechnet nach Goldbrück gekommen waren, anstatt davon auszugehen, das Celani wie von ihr selbst geplant längst über alle Berge wäre….

„Was glaubst Du, warum sie einen Zauberer dabei hatten? Das Ale’nyo ist wie dein Freund schon sagte, ein magisches Artefakt.“

Er seufzte.

„Du rennst also praktisch mit einem Leuchtfeuer um den Arm durch die Gegend ?“

Die Gejarn nickte.

„Genau deshalb muss ich ja überhaupt erst so weit wie möglich weg.“

„Es hätte gereicht, das Amulett irgendwo zu verstecken, zu vergraben, oder ins Meer zu werfen. Leider kann selbst ein schwacher Magier es finden, wenn er nahe genug kommt. Und ein Großmagier wird es noch über Meilen aufspüren können. Deshalb ist auch jeder Moment, den ich länger bleibe, gefährlich für Euch. Wenn sie herausfinden, dass ich hier war, seid ihr beide in Gefahr.“

Sie machte Anstalten aufzustehen, aber Kornelius bedeutete ihr sitzen zu bleiben.

„Sicher. Und es ehrt mich wirklich, dass Ihr so um unsere Sicherheit besorgt seid. Aber bitte… bleibt einen Moment. Ich müsste mich nur kurz unter vier Augen mit Leif unterhalten.

Der Schmied sah auf.

„Kornelius ?“ Was hatte der Alte jetzt vor ?

„Sicher.“ , meinte Celani unruhig und schielte in Richtung Tür. Das ewige Misstrauen, das sie gegen alles und jeden zu hegen schien, war offenbar wieder da. Oder nie weg gewesen, korrigierte sich Leif.

„Dauert nur einen Moment.“ , versprach der weißhaarige Bauer.„Und bitte… nicht weglaufen.“ Die Gejarn zuckte zusammen, als Kornelius offenbar ihre Gedanken erriet.

„Ihr… seid ein seltsamer Mann.“

„Nein. Nur ein scharfer Beobachter.“ , erklärte der Alte ruhig.

„Leif.“

Der Schmied stand widerwillig auf und folgte Kornelius, als dieser aus dem lichtdurchfluteten Zimmer wieder in den Flur zurücktrat und von dort aus durch eine Tür auf der anderen Seite verschwand. Offenbar befanden sie sich jetzt in der Küche des Mannes. Ein lang gezogener Raum, in dem ein großer Holzofen und einige schwere, dunkle Holzregale standen. Ein altes Jagdgewehr mit Radschloss hing über einem der Schränke. Schinkenkeulen und getrocknete Kräuter hingen von der Decke und ein großer Korb mit Gemüse nahm fast eine ganze Regalreihe ein. Der Geruch allein konnte einem schon wieder Appetit machen.

„Was ist los?“ , wollte Leif wissen, sobald Kornelius die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

„Ganz einfach. Wir brauchen Dich.“ Mit, für sein Alter, erstaunlichem Geschick war Kornelius auf einen Stuhl geklettert und holte das Gewehr vom Schrank.

„Das hier ist wichtig Leif. Das muss ich Dir hoffentlich nicht sagen.“

Der alte Mann stieg von seiner Kletterhilfe und begann alle möglichen Schubladen durchzusehen, während er auf Leifs Antwort wartete. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er drei Rucksäcke zutage gefördert und begann Vorräte scheinbar wahllos zusammenzusuchen und in den Beuteln zu verstauen.

Langsam wurde Leif klar, was er da tat. Kornelius packte….

„Ich will mit diesem ganzen Müll nichts mehr zu tun haben. Ich habe gesehen, zu was das führt.“

Kornelius hielt kurz in seiner Arbeit inne und drehte sich zu dem Schmied um.“

„Ich weiß.“ Der alte Freund legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Ich weiß Leif. Und glaub mir, ich weiß auch, was ich von Dir verlange. Das heißt nicht, dass Du wieder in den Krieg ziehst.“

„Doch genau das tust Du. Genau darauf läuft es doch hinaus oder? Das wird keine simple Reise werden. Wir wären dann auch auf der Flucht.“

„Bist Du das nicht schon viel zu lange?“ Kornelius trat zurück und sah ihn einen Augenblick ernst an. Dann schüttelte er den Kopf.

„Sie wird es alleine nicht schaffen, das weißt Du… und ich bin zu alt, um viel auszurichten. Und auch zu alt um mir das von Dir ausreden zu lassen. Etwas Wichtiges will ich in meinem Leben noch tun. Aber wir brauchen Dich.“, wiederholte er.

Leif zögerte mit seiner Antwort. Kornelius hatte recht. Er lief schon viel länger weg, als er sich das eingestehen wollte. Und würde es wohl noch eine Weile tun. Aber das hier war Wahnsinn. Und egal, was der Alte sagte… es wäre wieder ein Schritt zurück für ihn.

Er hatte grade in den letzten Monaten wieder so etwas wie Seelenfrieden gefunden. Und doch war es wichtig, wie Kornelius schon sagte. Die Vorstellung Celani nach dem was sie offenbar schon durchgemacht hatte, jetzt wieder ins Ungewisse ziehen zu lassen, behagte ihm genau so wenig.

Gab es denn eine richtige Entscheidung? Es würde bedeuten, alles was er sich aufgebaut hatte wieder aufs Spiel zu setzen.

Leif raffte sich auf. Verflucht wollte er sein, wenn er sich von so etwas abhalten ließ. Wenn er jetzt einfach nichts tat, könnte er genau so wenig wieder in den Spiegel schauen. Und es wäre sicher von Vorteil, eine Weile zu verschwinden. Er hatte einen Magier getötet….

„Gut… Du hast ja recht. Bleibt nur noch die Frage, ob Celani so begeistert davon ist, uns beide am Hals zu haben?“

Kornelius zuckte mit den Schultern.

„Sie weiß aber schon, wer Du bist, oder ?“

„Ich bin niemand mehr, Kornelius. Nicht mehr. Das ist vorbei.“

Der Alte seufzte, während er einen der Rucksäcke und das Gewehr schulterte.

„Also… nein, schätze ich?“

„Nein.“ , erwiderte Leif. Und vermutlich war das auch besser so.

Es ging nicht nur niemanden etwas an, es ging vor allen niemanden etwas an, den er kürzer als zwei Tage kannte. Das war sein Päckchen, das er zu schleppen hatte.

„Irgendwie hat das eine gewisse Ironie.“ , bemerkte sein gegenüber grinsend.

„Es scheint nur fair, wen man bedenkt, dass Du auch nicht weißt, was sie ist.“

„Ich kenne Celani jetzt auch grade einmal einen Tag, Kornelius.“ Und was konnte der Alte daher wissen, was er nicht wusste?

„Das ist nicht der Punkt. Sie ist Wildland-Gejarn. Das ist was ganz anderes, als die Clans, die hier in der Gegend leben. Aber das wirst Du schon noch herausfinden… früher oder später.“

Celani hatte ja schon erwähnt, das sich die weiter abgelegen lebenden Clans von den anderen unterschieden. Vielleicht hatte Kornelius also wirklich recht. So oder so, es änderte nichts, warf aber eine ganz andere Frage auf.

„Ich verspreche darüber nachzudenken.“ Es ging nach wie vor niemanden etwas an. Aber einen Teil der Wahrheit sollte sie wohl wissen.

„Woher weißt du das eigentlich alles?“

„Kommt mit der Erfahrung. Ich glaube, ich habe mehr von Canton gesehen als Du und verzeih, aber Du bist auch nicht grade mit offenen Augen durch diese Welt gestolpert, mein Freund. Ich habe mir die Dinge immer schön angesehen. Beobachtet….“

„Und mit welchem Ergebnis?“ , wollte Leif mit einem leicht spöttischen Unterton wissen.

Kornelius ließ sich mit der Antwort Zeit. Stattdessen schweifte sein Blick kurz über die Küche und zu einem der Fenster. Die Sonne hatte es mittlerweile endgültig über den Horizont geschafft und die ersten Leute waren auf den Feldern und Straßen Westfalls unterwegs.

„Am Ende ist es überall doch ziemlich ähnlich. So verschieden die Menschen sich auch sehen mögen. Setzte zehn von ihnen aus jeden Winkel der Welt zusammen und sie werden ihre Gemeinsamkeiten finden. Oder einen Unterschied, über den sie sich den Schädel einschlagen können.“

 

Als sie wieder zurückkamen, stand Celani ruckartig auf. Fast als erwarte sie, dass die beiden sie angreifen würden. Die Gejarn machte langsam einen Schritt rückwärts von ihrem Platz am Tisch. Näher an die Fenster. Ihr Blick blieb dabei die ganze Zeit auf die Waffe in Kornelius Hand gerichtet.

„Alles in Ordnung.“ Leif schien ihre Angst spüren zu können und mittlerweile verstand er sie auch endlich. Ob sie es wollte oder nicht, jemand hatte sie zu einem Ziel für alles und jeden gemacht, als man sie mit diesem Armband losgeschickt hatte.

Vorsicht war für sie überlebenswichtig.

Seine Worte zeigten offenbar nur begrenzt Wirkung. Celani blieb zumindest stehen, aber ihre gelben Augen zuckten ständig zwischen dem Schmied und Kornelius hin und her.

Er hatte gedacht, sie würde mittlerweile wissen, dass sie ihnen zumindest vertrauen konnte. Offenbar hatte der Schmied sich getäuscht, stellte er leicht enttäuscht fest. So sehr er auch glaubte, das nachvollziehen zu können.

Kornelius stellte ruhig das Gewehr an der Tür ab.

„Keine Sorge, ich hab genug Pelze für den Winter.“ Leif war klar, dass der alte Mann einen Scherz machen wollte. Aber in der jetzigen Situation war das reichlich unpassend. Der Schmied wollte ihm das auch grade sagen, wurde aber durch ein unerwartetes Geräusch unterbrochen.

Celani lachte leise.

„Verzeiht. Ihr habt ein ziemlich großes Mundwerk Kornelius. Würde mich nicht wundern, wenn Ihr eher Euren eigenen Fuß trefft als mich. Es ist nur schwer, Gewohnheiten/ abzulegen. “

„Das glaube ich sofort.“, meinte Kornelius. Leif gefiel der Blick, den ihm sein alter Freund zuwarf gar nicht. Auch er hatte seine Gewohnheiten. Daran brauchte Kornelius ihn nicht zu erinnern. Der kurze Moment der Stille, der folgte, dauerte etwas zu lange.

„Was hast Du jetzt vor?“, fragte Leif schließlich.

„Ich muss weiter nach Süden.“, antwortete die Gejarn.

„Vielleicht Südosten. Hauptsache, so weit wie möglich weg von Belfares Armee. Der Kaiser wird sicher auch nach dem Stein suchen, aber im Gegensatz zu Simon Belfare weiß er nicht, wie ich aussehe… noch wo ich etwa bin.“

„Wenn das so ist, werden wir Euch nach Süden begleiten.“ , erwiderte Kornelius. „Das heißt, wenn das keine Umstände macht?“

Celani sah ihn einen Augenblick unsicher an.

„W…was ?“ Offenbar hatte die Gejarn mit allem gerechnet nur nicht damit.

„Ich… habe hier nicht viel übrig.“ , sagte Leif. Er hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Tat er denn überhaupt das Richtige?

„Und jetzt habe ich einen Soldaten getötet. Noch schlimmer, einen Magier. Ich glaube, ich war die längste Zeit neutral, ich will auch nicht unbedingt, dass dieser Krieg noch schlimmer wird. Also… ich helfe dir nach Süden zu kommen und helfe mir gleichzeitig selbst.“

„Ich habe grade nichts Besseres zu tun.“, meinte Kornelius mit einem verschmitzten Grinsen. Leif fragte sich insgeheim, ob der Alte nicht ganz eigene Gründe hatte. Götter, er kannte Kornelius schon ewig und doch hatte er ihn selten so erlebt.

„Und ich habe mir die Freiheit genommen schon zu packen.“

Celani schien einen Moment nachzudenken. Zwar waren die Anspannung und ihre Nervosität verschwunden, aber die Gejarn konnte immer noch entscheiden, dass zwei Menschen sie nur aufhalten würden.

„Ich hatte keine Hilfe erwartet… ich will nur wissen, ob ihr euch das gut überlegt habt? Leif… ich schulde Dir noch etwas, also bin ich einfach mal ehrlich. Wenn zwanzig der besten Krieger meines Clans keinen Mond durchgehalten haben, welche Chance hast Du und welche hat Dein Freund da?“ Kornelius konnte sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen.

„Mädchen, der Freund da war schon unterwegs, da wart Ihr noch ein Welpe und ein gewisser Schmied keine halbe Tür hoch. Und….“

Ein lautes Klopfen unterbrach den Mann mitten im Satz. Jemand war vor dem Haus….

„Kornelius…. “

Wieder klopfte es, diesmal lauter und deutlicher. Wenige Augenblicke später folgte eine deutlich vernehmbare Stimme:

„Kaiserliche Wachgarde. Wir wollen nur sehen, ob alles in Ordnung ist. Öffnet die Tür.“

„Was wollen die hier?“, fragte Celani angespannt.

„Die sind bestimmt wegen Simons Spähern hier.“ Leif war sich sogar sicher deshalb. Die Einwohner Goldbrücks hatten nach den Durchsuchungen letzter Nacht sicher nicht lange/ gezögert, jemanden mit einer Nachricht loszuschicken.

„Leif, die dürfen uns nicht sehen. Oder... Dich vielleicht, aber mich nicht. Ich bin eine/ Gejarn, selbst wenn sie nicht wissen, wer ich bin, in einem Menschendorf bin ich alles, nur nicht unauffällig.“

Der Schmied ließ den Kopf in die Hände sinken.

„Ist den irgendetwas jemals einfach…“

 

 

 

 

 

Kapitel 10

Entkommen

 

 

 

 

 

„Schnell, hier entlang.“ Kornelius war schon beim ersten Ruf der Wachen aufgesprungen und nun hastete er aus dem Esszimmer und den kurzen Flur entlang zur Kellertreppe.

„Runter da schnell. Du auch Leif, desto weniger Leute hier sind, desto besser.“

Celani sah ihn skeptisch an.

„Da unten sind wir erst recht gefangen, wenn man mich entdeckt.“

Erneut wurde an die Tür geklopft.

„Wir wissen, dass Ihr da seid. Verzeiht, aber entweder Ihr öffnet, oder wir müssen davon ausgehen müssen, dass Ihr etwas zu verbergen habt.“

„Einfach großartig.“ Leif ragte sich, ob überhaupt noch irgendetwas großartig schief gehen konnte. Der Schmied sah rasch die kurze Kellertreppe hinab. Unten war es fast stockdunkel und die Stufen wurden auf halbem Weg gefährlich schmal. Der Keller, halb in den Felsen und die Erde eingelassen, die Kornelius Haus trugen, besaß soweit er wusste, nicht einmal Fenster. Die Gejarn hatte Recht. Da unten wären sie im Zweifelsfall gefangen wie die Ratten.

„Ich habe auch nicht vor, Euch einfach da unten sitzen zu lassen.“, erwiderte Kornelius und förderte einen Schlüssel zu Tage.

„Leif, am hinteren Ende des Kellers ist eine Luke. Öffne das Schloss davor und dann steigt beide durch. Dahinter liegt ein kurzer Tunnel, der euch ein Stück vom Hof weg führt.“

Der Alte drückte jedem einen Rucksack in die Hand, bevor sie etwas erwidern konnten.

„Warum weiß ich davon nichts?“, fragte Leif schließlich.

„Jetzt weißt Du`s. Ein alter Minengang. War schon da als das Haus gebaut wurde, vermutlich aus der Zeit wo in Goldbrück noch geschürft wurde. Ist aber schon vor Ewigkeiten halb eingestürzt. Aber wenn Ihr klettert, kommt Ihr raus. Seht zu, das Ihr so schnell wie möglich, so weit wie möglich, hier weg kommt. Ich hole Euch ein.“

Bevor Leif noch etwas erwidern konnte, hatte Kornelius sich bereits umgedreht und lief zur Tür

„Ich bin gleich da.“ , rief er noch, bevor er sich erneut zu Celani und dem Schmied umdrehte.

„Weg, jetzt.“

Leif zögerte noch, während sich die Gejarn an ihm vorbei, auf den Weg die Treppe hinab/ machte

Sie glaubte ja wohl selber nicht, dass er Kornelius einfach hier zurück ließ. Celani fand/ den Gang sicher auch alleine. Er wollte ihr grade den Schlüssel reichen und ihr sagen, dass sie alleine weiter sollte, als die Gejarn auch schon seine Hand gepackt hatte.

„Glaubst du es nützt jemanden etwas, wenn Du hier herum stehst?“

„Ich werde zumindest nicht einfach weglaufen. Du kannst das ja meinetwegen tun, Aber wenn Kornelius….“

Der Schlag kam so schnell, das Leif erst wenige Sekunden später überhaupt registrierte, das seine Wange brannte. Celanis Krallen hatten kleine Kratzer hinterlassen, die sich rasch mit Blut füllten.

Die Gejarn stand auf der ersten Treppenstufe, den Blick gesenkt.

„Glaubst Du ich mache das gerne, Leif?“ , fragte sie düster.

„Das ich gerne um mein Leben renne, dass ich gerne meinen Clan zurückgelassen habe, dass ich gerne zugesehen habe, wie zwanzig gute Leute ihr Leben verloren haben?“

Leif konnte nicht antworten. Nein , natürlich nicht. Aber… er sah zu Kornelius zurück. Es gab kein aber.

„Dachte ich mir.“ Celani drehte sich um und machte sich auf den Weg die Treppe hinab.

Leif folgte ihr langsam.

„Es tut mir leid…“ , murmelte der Schmied, während er aufpassen musste, sich an der niedrigen Decke nicht den Kopf zu stoßen. Die Stufen mündeten in einen, fast völlig, im Dunkeln liegenden Raum.

Leif wartete einen Moment darauf, dass sich seine Augen an die Finsternis gewöhnten. Offenbar stand Kornelius Haus fast vollständig auf einem Hohlraum. Die Wände waren aus blanker Erde, die mit Brettern verkleidet worden war und mehrere massive Holzpfeiler trugen das Gebäude über ihnen. Immer noch musste der Schmied sich geduckt bewegen, während er der Gejarn folgte. Celani hatte offenbar weniger Probleme, sich im Halbdunkel zu orientieren, überlegte er.

Oben konnte er jetzt gedämpfte Stimmen hören, die bis in den Keller vordrangen. Offenbar unterhielt sich Kornelius mit der kaiserlichen Garde. Ihm würde nichts geschehen, sagte er sich.

Aber verflucht, er könnte ihm helfen. Wenn es nicht zu viele Gardisten waren, könnte er sie sogar sicher ausschalten. Zwei oder drei wären kaum eine Bedrohung für ihn….

Leif erwischte sich dabei, wie er alte Manöver im Kopf durchging. Die Bewegungen waren ihm für immer in den Geist gebrannt und auch wenn er Übung brauchen würde, bis er sie wieder wie einst beherrschen würde…

Der Schmied hielt in seinen eigenen Gedanken inne. Hatte er sich schon damit abgefunden, wieder mittendrin zu sein? Wieder in einen Krieg zu ziehen, welche Rolle er dabei auch immer spielen sollte? Nein. Aber er war auch nicht dazu in der Lage es zu vergessen. Erinnerungen auslöschen konnte er nicht.

Sie tasteten sich vorsichtig weiter durchs Dunkel, bis sich die Umrisse einer einfachen Holzluke aus dem Dunkel schälten. Der Durchgang verlief leicht abschüssig und war mit einem schweren, rostigen Vorhängeschloss gesichert. Halb, hinter einigen Kisten und Säcken verborgen, wäre er einem unaufmerksamen Beobachter wohl gar nicht erst aufgefallen. So wie es aussah, hatte Kornelius nicht damit gerechnet, den Tunnel jemals zu benutzen.

Rasch zog Leif einige der Holzkisten beiseite, sodass sie über die restlichen Hindernisse klettern konnten.

Das Knarzen der Treppe ließ ihn einen Moment innehalten und zurücksehen. Jemand war auf den Weg hier runter, und an dem Stimmengemurmel, das das Geräusch begleitete, erkannte er, dass es nicht Kornelius war, der die Wächter abgewimmelt hatte.

Verdammt… Celani duckte sich hinter die aufgestapelten Kisten, während Leif rasch den Schlüssel aus der Tasche zog, den der Alte ihn gegeben hatte. Einen Moment fürchtete er schon, das Schloss würde sich nicht öffnen lassen. Nach der ganzen Zeit hier unten konnte es schlicht festgerostet sein….

Dann jedoch ließ sich der Schlüssel endlich drehen und Leif zog sofort den Türriegel beiseite. Ihnen blieb nicht viel Zeit, wenn die Wachen hier herunter kamen….

Sobald er die Luke geöffnet hatte, huschte die Gejarn an ihm vorbei und verschwand in der noch tieferen Finsternis dahinter. Leif folgte ihr, mit einem letzten Blick zurück. Sie fanden sich in einem Gang wieder, der ein Stück weit in die Tiefe führte. Felswände ragten zu beiden Seiten in die Höhe, und Wasser lief stellenweise daran herab, und sammelte sich/ in tiefen Pützen auf den Boden.

Aber wenigstens konnte er wieder aufrecht gehen, dachte der Schmied, während er Celani folgte.

Leif wusste nicht, wie lange sie einfach nur schweigend dem Verlauf des Tunnels folgten, aber irgendwann begann es wieder heller zu werden. Zuerst hätte er es nicht mit Sicherheit sagen können, aber nach und nach, konnte er immer mehr, von seiner Umgebung erkennen, als die grauen Felswände, die keine Handbreit entfernt um ihn herum aufragten. Gleichzeitig neigte sich der Boden, diesmal nach oben. Moos wucherte auf einigen Steinen und je heller es wurde, desto grüner wurde die Umgebung. Der Gang beschrieb einen letzten Knick… und sie fanden sich vor einer Sackgasse wieder.

Die Tunneldecke war offenbar eingestürzt und hatte die darüber liegende Erde mit sich genommen. Licht fiel durch den entstandenen Spalt herein und erlaubte einer Vielzahl kleiner Pflanzen und Farne, auf dem Boden des Ganges zu wachsen. Fast hätte man meinen können, im Freien zu stehen, wären da nicht die Baumwurzeln , die aus der halb herunter gebrochenen Decke wuchsen und sich an den Wänden Richtung Boden zogen.

Leif sah nach oben, konnte jedoch nicht mehr erkennen, als ein paar Zweige und Blätter. Offenbar befanden sie sich irgendwo unter dem Wald, der Westfall umgab. Blieb nur eine Frage….

„Wie kommen wir da hoch?“

„Klettern. In so was seid ihr Menschen ja nicht besonders gut.“ , erwiderte Celani mit einer Spur von Spott und griff nach einer der überhängenden Wurzeln. Schneller, als der Schmied das je erwartet hätte, war die Gejarn auch schon auf halbem Weg die Felswand hinauf. Offenbar fand sie überall Halt, selbst an Stellen, die Leif umgangen hätte. Erst als Celani schon fast den Rand des Felssturzes erreicht hatte, blickte sie zu ihm zurück.

„Wo bleibst Du ?“

„Bin ja gleich da.“ , rief Leif, während er nach einem einfachen Weg die Wand hinauf suchte. Klettern….“ , schnaufte er verächtlich. Konnte dieser Tag viel schlimmer werden? Der Aufstieg kostete ihn mindestens dreimal so viel Zeit, wie die leichtfüßige Gejarn, trotzdem schaffte er es irgendwie, sich die Wände herauf zu hangeln.

Celani wartete am Rand des Abgrunds und streckte ihm die Hand hin, als er nahe genug heran war. Der Schmied griff nach dem zusätzlichen Halt und zog sich endgültig nach oben.

Sie hatten es geschafft, dachte er, während er sich langsam aufrichtete. Während er sich umsah stellte er fest, dass sie tatsächlich im Wald waren. Kornelius Haus war nur noch aus/ der Ferne zwischen den Bäumen zu erkennen.

„Das hätten wir hinter uns.“ , meinte Leif erleichtert.

„Und wir werden noch einiges vor uns haben.“ , erklärte Celani.

„Sicher, dass Du mit willst ?“

Leif sah zum Haus zurück. Das lag jetzt hinter ihm. Er hatte sich noch nicht damit abgefunden, aber so war es. Und die Gejarn nach allem, was er jetzt wusste, nach allem, was geschehen war, alleine ziehen zu lassen… das wäre unverantwortlich.

Er nickte, während er zeitgleich den Rucksack schulterte.

„Ich komme mit, zumindest, bis wir so weit weg sind, wie Du möchtest. Danach… hat Simon Belfare hoffentlich vergessen, das ihm, Dank mir, jetzt ein Magier fehlt.“

Er hatte sich grade halb zu Celani umgedreht, als ein Schuss durch den Wald hallte. Vögel flatterten urplötzlich aus den Bäumen auf und ließen einen Schauer aus Blättern über die Beiden niedergehen.

„Kornelius!“ Das Geräusch der Feuerwaffe verklang, während ihm langsam klar wurde, aus welcher Richtung es gekommen war. Leif wäre am liebsten losgerannt, doch die Gejarn hielt ihn zurück.

„Du kannst nichts tun. Leif… wir müssen hier weg.“

 

 

Kornelius schlurfte absichtlich langsam zur Tür.

„Ich bin ja gleich da.“ , rief er wiederholt, während er darauf lauschte, ob Celani und Leif es schon in den Keller geschafft hatten. Zumindest die Schritte auf der Treppe waren mittlerweile verstummt. Das musste einfach ausreichen.

Kornelius zog die Tür auf. Drei kaiserliche Gardisten warteten davor, offenbar nicht sonderlich gut gelaunt, dass man sie so lange hinhielt. Der Alte musterte die Gestalten kurz. Alle drei trugen blaue Beinkleider und Umhänge, darunter stählerne Brustharnische, mit dem eingelassenen Wappen der Kaiser. Einem schwarzen Drachen, der auf seinen Hinterläufen balancierte, die Pranken offenbar zum Schlag erhoben. Alle waren sie mit Schwertern, mit schlanken Klingen, bewaffnet und zwei trugen gespannte Radschlosspistolen. Ziemlich schwere Bewaffnung, für simple Soldaten, überlegte er. Pistolen waren teuer und eigentlich Waffen, die dem Adel vorbehalten blieben.

„Was ist denn los, dass man einen alten Mann aus den Federn reißen muss?“

„Verzeiht. Wir haben Berichte, über Späher der Armee des Adlers, in dieser Gegend erhalten.“

Kornelius schnaubte verächtlich.

„Wenn ich welche sehe, gebe ich Euch ganz sicher Bescheid.“ Er wollte die Tür schon wieder schließen, als der vorderste der Männer seinen Fuß dazwischen stellte.

„Davon würden wir uns gerne… selber überzeugen.“

Einen Augenblick lang folgte Stille. Kornelius und der Mann, der offenbar der Anführer der kleinen Truppe war, standen sich Auge in Auge gegenüber.

„Na schön…“ unwillig trat er beiseite und ließ die drei Gardisten herein.

„Ist in letzter Zeit irgendjemand hier gewesen? Irgendetwas Verdächtiges ?“ , fragte der Anführer der Gruppe ruhig.

„Nein. Hier ist niemand vorbeigekommen. Zumindest nicht in den letzten Stunden.“

„Ah… und woher wisst ihr das? Ich dachte ihr hättet geschlafen?“

Kornelius hätte dem Mann am liebsten eine verpasst. Verdammt, der Kerl war ja richtig eklig.

„Wenn hier jemand vorbeikam, dann niemand, den ich für verdächtig halten würde, oder ich habe es nicht mitbekommen.“

„Natürlich.“ Der Mann und seine drei Gefährten traten ungebeten weiter in den Flur. Kornelius folgte ihnen langsam, bis sie die erste Tür zum Esszimmer erreichten. Offenbar interessierten sich die Gardisten nicht sonderlich dafür. Er hingegen griff heimlich nach der Flinte, die nach wie vor am Türrahmen lehnte.

„Wohin geht es hier?“ Wieder war es nur der erste Gardist, der sprach. Der Mann gestikulierte in Richtung der Treppe nach unten. Kornelius atmete tief ein. Wenn sie da runter gingen, mussten sie fast zwangsläufig den Gang entdecken… hoffentlich waren Leif und Celani endlich weg.

„Schon mal was von einem Keller gehört, Mann?“ Der Hauptmann der Gardisten antwortete nicht, sondern stieg lediglich die Stufen hinab, gefolgt von den anderen. Kornelius folgte ihnen mit einigem Abstand, das Gewehr in der Hand. Wenn sich jetzt einer von ihnen umdrehte….

Aber niemand drehte sich um. Sie gingen lediglich hinab, in den schlecht erleuchteten Keller und verteilten sich dort. Im Halbdunkel würde niemand bemerken, dass er eine Waffe trug. Doch schon aus der Ferne fielen Kornelius die verstellten Kisten auf… und die offen stehende Lucke dahinter.

Es dauerte auch nicht lange, bis einer der drei Gardisten sie entdeckte.

„Hier ist irgendwas, sieht aus wie ein Gang…“ der Mann war über die Kisten und aufgestapelten Säcke geklettert und spähte in den Durchgang. Die anderen beiden Gardisten sprangen ihm zur Seite.

„Sieht aus wie ein Tunnel.“, meinte der Anführer nachdenklich, bevor er sich blitzschnell zu Kornelius umdrehte.

„Was geht hier….“

Kornelius hatte das Gewehr gehoben und zielte auf den Mann. Er hatte nur einen Schuss und keine Munition dabei. Nicht, dass er überhaupt zum nachladen kommen würde. Auf die/ kurze Entfernung konnte er jedoch nicht verfehlen. Pulverdampf schlug aus der Waffe, sobald er den Abzugsbügel durchzog und der Knall war in dem niedrigen Keller ohrenbetäubend.

Der Wachhauptmann wurde rückwärts geschleudert, ein schwelendes Loch in der Brust und fiel beinahe durch die offene Luke.

Seine zwei Begleiter zogen jedoch fast zeitgleich die Pistolen und feuerten auf den Alten. Er wurde herumgewirbelt, als ihn die Kugeln trafen. Eine in die Brust, die zweite in die Schulter. Das Gewehr fiel ihm aus der Hand und die Beine gaben unter ihm nach.

Hoffentlich reichte die kurze Zeitspanne aus, die er Leif verschafft hatte….

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 11

Lieder

 

 

 

 

 

 

Ein ferner Klang lag in der Luft, als Simon Belfare an diesem Abend aus seinem Zelt trat. Die Armee rastete auf einer Ebene, keinen halben Tagesmarsch mehr von der Erdwacht entfernt. Er selbst und die Offiziere, hatten ihr Lager auf einer kleinen Anhöhe aufgeschlagen, von der aus man fast alles überblicken konnte. Ein unendliches Lichtermeer schien sich vor ihm zu erstrecken, von dem, neben dem Geklapper von Essgeschirr, den Schnaufen der Tiere und der Rufe der Männer, noch etwas noch etwas anderes drang. Es dauerte eine Weile, bis er es einordnen konnte. Da sang jemand….

Simon lauschte, aber die leise Stimme war zu fern, als das er näheres hätte verstehen können. Trotzdem kam sie irgendwo aus dem Lager unter ihm. Der Zauberer konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber es schien die Stimme einer Frau zu sein, die dort durch die Dunkelheit drang. Das war seltsam….

Eigentlich hatte er vorgehabt, den Ablauf der morgigen Schlacht, mit Ordt zu besprechen, aber der Gejarn war ohnehin nirgendwo zu finden. Simon hielt sich von den Truppen meist fern, Ordt hingegen hielt es genau umgekehrt. Vermutlich trank er grade mit den übrigen Soldaten im Lager oder saß an einem der zahlreichen Kochfeuer, die die Zeltreihen erhellten.

Der Wolf hatte sich, trotz der Abneigung vieler, gegen die Gejarn seinen Respekt verdient. Auf eine Art, die Simon selbst fremd war. Er selber stand alleine an der Spitze und hätte er überhaupt eine andere Wahl? , fragte er sich. Ihm war seine Rolle nur zu bewusst. Nein Simon konnte sich nicht erlauben, in seinen Männern mehr als Schachfiguren zu sehen. Wenn auch… wichtige.

Meine Ziele sind größer, als das Leben eines einzelnen Mannes, dachte er. Und sogar noch…größer als sein eigenes Leben. Manchmal glaubte er, selbst Ordt verwechselte das ab und an, mit schlichter, grenzenloser Ambition. Und war er nicht ambitioniert? Er hatte den Kaiser selbst herausgefordert. Seine Krone gefordert… und ihr Krieg verzehrte das Land unter sich.

Ein Vorhaben, das an Ehrgeiz nicht mehr zu übertreffen war. Er hätte genauso gut die Götter herausfordern können und bevor dieser Kampf zu Ende war, würde Simon die Himmel selbst erstürmen müssen. Die fliegende Stadt war auf ihrer ewigen Wanderung weit hinter die vorrückenden Armeen verlegt worden. Im Augenblick noch unantastbar für ihn.

Simon wanderte rastlos von seinem Zelt weg und ohne es gezielt zu wollen, dem sanften Lied nach, das in der Luft nachklang. Er schlief ohnehin nicht mehr viel. Meistens saß er nur Stunde um Stunde da und meditierte, ohne wirkliche Ruhe zu finden. Und vor dem morgigen Angriff auf die Erdwacht, war daran sowieso nicht zu denken.

Simon hatte sich entschieden, den Angriff selbst anzuführen und auch Ordt konnte ihm das nicht mehr ausreden. Dafür war die Festung zu wichtig. Einige Leute grüßten ihn, als sie ihn im Vorübergehen erkannten. An diesem Abend trug er nicht seine gewohnte Panzerung, nur einen schlichten Wappenrock, auf dessen Rücken das Symbol des Adlers und des Löwen prangte.

Trotzdem erkannten die meisten rasch, wer er war. Sein Fluch und seine Gabe gleichermaßen. Die Ausstrahlung die er besaß, konnte eine geradezu selbstmörderische Loyalität in manchem wachrufen, wie er nur zu genau wusste. Und bedauerte. Andere fühlten sich dadurch geradezu abgeschreckt.

Simon wusste nicht, ob auch das, auf das Blut des alten Volkes in seinen Adern zurückzuführen war. Es gab so viele Dinge, die er nicht wusste. Aber sie alle waren nebensächlich. Das Lied, dem er folgte, war mittlerweile deutlicher geworden und hatte einen schweren, melancholischen Ton angenommen. Weit konnte es nicht mehr sein.

Simon Belfare trat zwischen einigen Zelten und den dazwischen gespannten Seilen hindurch. Hinaus auf einen kleinen Platz, mitten im Lager. Ein großes Feuer, auf dem ein gewaltiger Kessel mit Eintopf kochte, stand ganz in der Mitte. Etwa zwei Dutzend Männer saßen um die Flammen herum oder etwas Abseits bei den Zelten. Manche sahen einfach nur starr vor sich hin oder warteten auf das Essen, andere schärften Schwertklingen und wieder andere, hatten sich um eine einzelne Gestalt, auf den zertrampelten Wiesen geschart.

Die Frau hatte rote Haare, die ihr weit über die Schultern fielen. Ein brauner Reiseumhang lag um ihre Schultern. Sie war jung und konnte wohl ohne Schwierigkeiten als schön gelten.

Doch es war mehr ihre Stimme, die alle in den Bann zu schlagen schien. Bevor er es registrierte, war auch Simon in die Gruppe der Zuhörer eingetaucht. Er ertappte sich dabei, wie er nach Spuren von Magie suchte. Aber er fand nichts. Nur die Stimme….

 

„Feuer in der Nacht

Fackeln des Kriegs

Vorboten der Schlacht

Pulver und Rauch

Füllen tote Luft

Ein Flüstern von Vergessen

In einer sanften Brise

Dunkle Tage bahnen sich an

Zum Opfergang der Totenklang

Tief unter Euch

Liegen jene in der Gruft

Ihr Herren voll Ehre, Größe und Gold

Eure treusten Diener genannt

Könnt ihr sie vergessen? “

„Glaubt mir, das werde ich.“ Simons Stimme klang für ihn selbst ungewohnt laut, in der Stille, die eingesetzt hatte.

Die Sängerin drehte den Kopf in seine Richtung und erkannte ihn offenbar. Sie zuckte sichtlich zusammen, während die Soldaten eine kleine Gasse für ihren Heerführer bildeten.

Simon seufzte. Er hatte kaum eine andere Reaktion erwartet. Wenigstens sanken sie nicht gleich alle auf die Knie. War ihnen nicht klar, dass wenn er Erfolg hatte, niemand mehr knien musste? Wenn ihm genug Zeit blieb? Kämpften sie nicht dafür? Oder kämpften sie wirklich alle nur für seine Person ?

Wenn ja, dann hatte er schon verloren. Es würde keinen Frieden geben, wenn er das einzige war, was sie zusammen hielt.

„Geht.“, wies er die umstehenden an, die sich auch beeilten, dem Befehl nachzukommen. Innerhalb weniger Herzschläge war der Platz praktisch menschenleer. Auch die unbekannte Sängerin wollte grade gehen.

„Ihr bleibt.“, rief Simon und verfluchte seinen eigenen Befehlston. Hastig fügte er hinzu: „Bitte. Einen Moment nur. Würde Ihr mir verraten, wie Ihr heißt?“

„Mein Name ist Sandria, Herr.“ Sie klang weder unsicher noch großartig von der Frage überrascht.

„Simon. Nur Simon. Ich versuche es den Leuten jetzt solange genug auszureden, irgendjemanden ihren Herrn zu nennen, der diesen Titel nicht verdient.“

„Verdient Ihr ihn nicht ?“ Sandria hatte den Kopf schräg gelehnt und musterte den/ Heerführer einen Augenblick, als wäre ihr nicht klar, was sie von ihm halten sollte. Oder warum er hier aufgetaucht war.

Simon lachte.

„Manche würden das behaupten. Andere nennen mich einen Usurpator. Darf ich fragen, was Ihr hier tut?“

„Ich bin eine Wanderbardin… Herr. Nur jemand, der sich sein Brot, in diesen Zeiten, verdienen möchte. Solltet Ihr wünschen, dass ich Euer Lager verlasse, dann werde ich natürlich sofort aufbrechen. Verzeiht, das ich nicht vorher um Erlaubnis….“

„Nein. Das habe ich auch nie gesagt, oder? Es überrascht mich nur.“

Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Die Leute singen gerne, schätze ich. Oder hören wenigstens zu. Vor allem in schweren Zeiten.“

„Und doch besingt ihr eine Schlacht, die noch nicht geschlagen wurde.“, bemerkte Simon und rief sich das Lied von vorhin in Erinnerung. Es war eine Totenklage gewesen. Noch mehr, es war eine Klage und eine Anklage gleichermaßen….

„Haben nicht alle Schlachten den selben Ausgang, Herr? Unabhängig wer gewinnt, am Ende bleibt ein Haufen Leichen, und ihr bezeichnet das als Ruhmreich. Oder Gerechtigkeit. Oder welche noblen Worte Ihr sonst noch dafür finden mögt. Was meint ihr?“

Ihr musste selber klar sein, dass die Frage bestenfalls kühn war.

„Ich meine, dass genau das, manchmal nötig ist. Glaubt Ihr, all unsere Gründe sind nur… Ausreden? Dass ich nicht meine, das Richtige zu tun? Und der Kaiser, nicht auch glaubt, das Richtige zu tun? Dann müsste ich Euch naiv nennen und ich bezweifle, dass Ihr das seid.“

Der Zauberer machte eine Handbewegung, die sie einlud ihm zu folgen, während er zwischen den Zelten verschwand. Ob die Sängerin der Einladung nach kam… lag bei ihr.

„Es ist nicht der Glaube… Simon, der am Ende zählt.“Sandria tauchte wieder an seiner Seite auf.

„Es ist die Wirklichkeit, die richten muss.“ Er nickte. Damit hatte sie definitiv Recht.

„Aber die Wirklichkeit hängt immer vom Blickwinkel ab. Wenn ich sage, dass es mich nicht kümmern würde, jeden einzelnen Mann in diesen Lager und wenn es sein muss Euch noch dazu, in den sicheren Tod zu schicken, sofern es bedeuten würde, dass ich mein Ziel erreiche, Ihr würdet mich grausam nennen ?“

„Jeder Mensch mit etwas Anstand würde Euch grausam nennen.“, erwiderte sie und ihre Gesichtszüge zeigten deutlich, was sie von der bloßen Vorstellung hielt.

„Wenn ich dem aber hinzufüge, das es mich auch nicht kümmern würde, wenn das bedeutete mein eigenes Leben aufzugeben….“ Und das es keine andere Hoffnung für sie gab, das die Schatten die am Horizont lauerten, nicht darauf warten würden, das die Welt sich änderte…

Sandria schüttelte den Kopf.

Das würde Euch nur zum Märtyrer machen, aber seit wann wiegt Selbstaufopferung, die vorher eingeforderten Opfer, wieder auf?“

„Gut, Ihr denkt ja richtig nach.“ Simon lächelte zufrieden. Ein Gespräch dieser Art, könnte er mit einem Soldaten nicht führen. Nicht einmal mit Ordt. Der Gejarn hatte sich ihm derart verschrieben, dass bei ihm kein Raum für Zweifel blieb. Es waren ungewöhnliche Fragen ohne Zweifel. Aber sie interessierten ihn. Auf eine Weise waren sie wichtig.

„Muss man darüber nachdenken?“, wollte Sandria nun ihrerseits wissen. Die rothaarige Gestalt war stehengeblieben und sah zu ihm zurück.

„Das wäre doch jedem klar.“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich wünschte wirklich, das wäre so. Leider sind die meisten Menschen immer nur darauf bedacht nur zuzuhören. Aber was sie hören… das wird nicht hinterfragt. Sie nehmen es allzu oft hin.“

„Und obwohl Ihr das bedauert, nutzt ihr es aus….“

„Wie ich bereits sagte. Manchmal sind Opfer notwendig. Ich wünschte, sie könnten vermieden werden, wirklich. Aber ich habe nicht den Luxus, nach simplen Wünschen zu handeln. Ich bin genauso ein Sklave dessen, was geschehen muss, wie wir alle.“

„Was nach Eurem Glauben geschehen muss.“

„Und, habe ich eine andere Wahl, als danach zu handeln? Wir alle hinterfragen unseren Glauben ab und an. Doch die wenigsten legen ihn je ab. Man könnte sagen, es sind die Glücklichsten. Aber man muss mir auch zugestehen, dem nachzugehen, was ich für das beste halte. Für alle.“

„Und doch seid nicht Ihr es, der auf diesen Schlachtfeldern steht und blutet.“

„Etwas, was sich ab Morgen ändern wird.“

Sandria blieb erneut stehen.

„Wie meint Ihr das?“

„Ich meine, dass es Ziele gibt, die erfordern, dass ich mich selber darum kümmere. Verratet mir nur, werdet Ihr uns bald verlassen, oder noch eine Weile hier bleiben?“

„Ich hatte eigentlich vor, mich weiter nach Süden durchzuschlagen. Ihr versteh das sicher….“

„Natürlich, jedoch… ich wollte Euch bitten für mich zu singen. Vielleicht morgen Abend. Vorausgesetzt, ich lebe dann noch.“

Sie sah ihn einen Augenblick ungläubig an.

„Ihr meint das ernst?“

„Ich darf zugeben, mir ist selten eine Stimme schöner als eure untergekommen.“

Sandria lachte.

„Also Herr Zauberer, diente dieses ganze Gespräch nur dazu“

„Ihr könnt es mir schwer übel nehmen das ich… fasziniert bin.“ Simon machte eine angedeutete Verbeugung. „Wenige Leute würde es wagen, derart offen mit mir zu sprechen. Ich vermisse das.“

„Wenige Leute werden von Euch gefragt für euch zu singen… Ihr seid anders, als man sich Euch vorstellen würde. Wenn man die Geschichten hört.“

„Ich kenne viele der Geschichten und auch wenn einiges Wahres darunter sein mag. Die meisten sind übertrieben. Ich bin kein Heiliger, das weiß ich selber. Aber ich bin auch kein Monster, obwohl die Meisten, das wohl zu erwarten scheinen. Ich könnte ein Armee Sänger mit mir führen, würde ich das wollen. Jedoch frage ich Euch.“

„Es ist nicht so, dass ich eine Wahl habe, oder ?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Es steht Euch frei abzulehnen. Ich habe noch keinen Menschen dafür bestraft, dass er seine ehrliche Meinung äußert. Es ist nur… eine simple Bitte. Sandria, würdet Ihr Euch bereit erklären, für mich zu singen?“

Einen Augenblick herrschte schweigen, dann jedoch antwortete sie :

„Gerne.“

 

 

 

 

Kapitel 12

Erdwacht

 

 

 

 

Die Erdwacht hatte einst die Außengrenze Cantons markiert, doch schon seit über einem Jahrhundert, war der Ort nur noch ein Relikt, das mitten im Herzen des Kaiserreichs lag. Dunkle Zinnen und Türme, die in den Himmel ragten. In ihrer Glanzzeit, war die Festung immer wieder ausgebaut und erweitert worden, sodass ein schier undurchschaubares Gewirr aus Wehrgängen, Innenhöfen und Gebäuden entstanden war, die jedem Angreifer schnell zum Verhängnis werden konnten. Wenn er es überhaupt über die Mauern schaffte. Auf der südlichen Seite, lag die Burg direkt am Abgrund einer Schlucht, die das Land fast in zwei Hälften teilte, und war von dort aus nur über eine gewaltige Brücke zu erreichen. Schwere Steinblöcke, die fast nahtlos ineinandergefügt waren, überspannten den tiefen/ Abgrund, an dessen Boden, sich ein kleiner Wasserlauf entlang zog.

Angeblich waren es die letzten Zwerge gewesen, die diese Brücke erschufen, aber mit Sicherheit wusste es niemand. Das einzige, was von den Zwergen nach ihrer Flucht vom Kontinent geblieben war, waren ihren Hallen tief im Norden um Silberstedt.

Eines war jedoch sicher: Ein Angriff über die Brücke, wäre selbst bei einer geringen Anzahl Verteidiger, zum Scheitern verurteilt. Jedoch hatte niemand damit gerechnet, dass einmal eine Armee aus dem Norden angreifen würde. Simon Belfare trug wieder seine gewohnte Kleidung, heute jedoch verstärkt, durch schwere Schulterpanzer und Stahlstiefel. Die Hände hatte er locker auf den Griff eines Schwerts gestützt, dessen Knauf, im Kopf eines Löwen und eines Adlers auslief. Glühende Kristalle waren, sowohl in das Heft, als auch auf der Klinge eingelassen. Magiespeicher, auf die er im Zweifelsfall zurückgreifen konnte, denn nach wie vor, versagten ihm die Tränen Falamirs den Dienst. Es dauerte, eine derart gewaltige Menge Arkaner Energie wieder herzustellen.

Ruhig ließ er den Blick über das Schlachtfeld vor sich schweifen. Das Land vor der Erdwacht stand in Flammen. Die großen Festungstore, auf dieser Seite des Bollwerks, waren geschlossen worden und zwang die Angreifer dazu, sich andere Angriffspunkte zu suchen. Pulverdampf hing über den großen Außentürmen der Festung, wo sich Arkebusen-Schützen postiert haben musste, während Bolzen und Pfeile von den Steinwällen niedergingen und ihre Ziele fanden. Ein besonders mutiger Teil der Verteidiger, hatte sich vor den Mauern positioniert, und verwickelte die wenigen Angreifer, die durchkamen in Gefechte. Nur wenige Zauber zuckte über den Himmel, und fällten hier und dort, einen Kämpfer der zwei aufeinanderprallenden Heere. Bisher, hielten sich die Zauberer zurück.

Es änderte aber wenig an der Gesamtsituation: Sie kamen nicht nahe genug heran, um die Wälle zu erklimmen, oder wenigstens einen Versuch zu unternehmen, durchzubrechen.

Lange konnten sie nicht so weiter machen, stellte Simon fest. Die Verluste wurden zu hoch, um noch tragbar zu sein.

„Herr…“ Ordt stand neben ihm und teilte offenbar die Bedenken des Zaubererfürsten.

Simon nickte.

„Keine Sorge.“ Mit einer Bewegung zog er das Schwert aus der Erde und drehte sich zu den um ihn versammelten Männern um. Er hatte eine Abteilung derer zurückgehalten, die er für die Fähigsten hielt.

„Meine Herren… holen wir uns diese Festung.“ Er hatte kaum einen Schritt vorgemacht, als die anderen ihm auch schon folgten. Selbstzerstörerisch Loyal….

Die ersten Kugeln warteten nicht lange darauf, sie zu begrüßen. Simon wirkte sofort einen Zauber, der hoffentlich die meisten Projektile ablenken würde, während er über einen Toten hinwegsetzte.

Die Verteidiger, die vor den Mauern warteten, waren erreicht und er konnte unter ihnen, mehrere markante Gestalten, in schwarzer Rüstung ausmachen. Helme, die teilweise mit Hörnern verziert waren, verdeckten ihre Gesichter. Einer hielt sogar eine Flagge, mit einem Silbernen Drachen auf schwarzen Grund, in die Höhe. Das Wappen der Prätorianer.

Er hatte also richtig gelegen, dachte Simon. Der Kaiser wollte es ihnen so schwer wie möglich machen, sich nach Vara einen weiteren wichtigen Knotenpunkt zu holen.

Einer der in dunklen Stahl gewandeten Gestalten, stellte sich ihm in den Weg und schlug mit einem Zweihänder nach ihm. Simon nutzte seinen verbleibenden Schwung aus, parierte den schlecht gezielten Hieb, und stieß seinem Gegner die Klinge vor die Brust. Der Stahl durchdrang die Panzerplatten zwar nicht, sorgte aber dafür, dass der Prätorianer zurückstolperte. Nicht jedoch, ohne die Klinge wieder hochzureißen und ihn sofort erneut zu attackieren. Ein heftiger Schlagabtausch folgte, in dem Simon gezwungen wurde, rasch wieder zurückzuweichen. Die Elitekämpfer des Kaisers waren keine Gegner, die man einfach bezwang. Trotzdem zögerte Simon, seinem Gegner mit einem Zauber, den Garaus zu machen. Er würde schon alle Kraft brauchen, die er hatte.

Dann jedoch machte der schwarze Ritter endlich einen Fehler. Simons vorheriger Schlag hatte ihn zwar nicht verletzt, aber die Delle, die in der Rüstung des Mannes entstanden war, hinderte ihn in seinen Bewegungen. Der Zweihänder, den er führte, war kaum mit einer Hand zu schwingen, trotzdem brachte Simons Gegner das Kunststück fertig. Jedoch gab er sich dabei auch jedes Mal eine Blöße.

Als der Mann erneut mit der Waffe Schwung holte, sprang der Zauberer vor, und rammte dem Prätorianer die Klinge, zwischen die Panzerplatten unter der Achsel. Mit einer seitlichen Drehung, zog er das Schwert wieder zurück, und der Mann ging wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden zu Boden. Viel Zeit, sich über seinen Sieg zu freuen, blieb ihm jedoch nicht. Schon war der nächste Gegner heran, ein Mann im blauen Wappenrock und Kettenhemd, der kaiserlichen Garde.

Simon wich einem hastig gegen ihn geführten Schwertstoß aus und enthauptete den Mann mit einem Rückhandschlag. Er hatte keine Zeit mehr für so was wie Höflichkeit.

Die Tore waren nicht mehr weit weg und wenn er es noch ein Stück näher schaffte…

Ein schwerer Schlag traf ihn an der Schulter und er sah grade noch, wie der Schaft eines Armbrustbolzens weggeschleudert wurde. Die Panzerung hatte ihm das Leben gerettet, trotzdem hat ihn der Aufprall von den Füßen gerissen und dem Zauberer die Luft aus den Lungen gepresst.

Simon schlug im vom Blut rotgefärbte Gras auf. Das Schwert flog ihn aus der Hand und bevor er sich wieder aufrappeln konnte, erschien ein Schatten über ihm. Noch ein Gardist, der mit einem Rapier in der Hand auf ihn losging. Bevor der Mann jedoch dazu kam, schnippte Simon mit den Fingern. Der Wappenrock des Mannes fing urplötzlich Feuer. Grün-blaue Flammen, die sich rasch über den gesamten Körper des Gardisten verteilten. Dieser sackte schreiend in sich zusammen und wälzte sich auf dem Boden, um das magische Feuer zu ersticken. Die Klinge einer dritten Gestalt, machte seinem Leid endlich ein Ende.

Der Neuankömmling trat zu Simon und streckte ihm die Hand hin. Er ergriff die Hand ohne zu zögern und fand sich Auge in Auge mit Ordt wieder.

„Danke.“, murmelte der Zauberer, während ihm der Gejarn kurz auf die Schulter klopfte.

„Passt einfach auf euch auf.“, erwiderte der Wolf, bevor er sich wieder in die Schlacht stürzte.

„Ihr auch…“ Simon hob sein verlorenes Schwert wieder auf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Festungstore. Massive Holzplanken, so breit wie ein Mann versiegelten einen Durchgang, durch den selbst ein Drache ohne Probleme gepasst hätte. Die Balken, waren durch die Jahre, fast genau so dunkel wie die Burgmauern geworden, und schienen selber wie aus Stein. Die Zeit hatte ihnen nichts anhaben können, genauso wenig wie dem Rest der Anlage, obwohl sie vor Beginn von Simons Feldzug schon lange vernachlässigt worden war.

Dieser Ort war für die Ewigkeit. Uneinnehmbar, unbezwingbar für jeden törichten Menschen. Aber nicht für Magie.

Simon konnte den unsichtbaren Strom der Energie fühlen, der durch seine Adern rann. Die feinen Fäden der Welt, die alles miteinander verbanden, wie in einem gewaltigen, undurchdringlichen Spinnennetz. Und nun wob er dieses Gewebe der Realität um. Die Welt verschob sich.

Die Kämpfer auf der Ebene vor der Festung hielten inne und drehten sich zu der einzelnen Gestalt vor den Festungstoren um.

Elektrizität zuckte durch die Luft und sammelte sich in Simons ausgestreckten Händen, und schlug als blaugelbe Flamme zum Himmel empor. Feuer, das sich zur Höhe eines Berges auftürmte, und das Gras um Simon Belfares Gestalt verbrannte. Die Soldaten, die näher bei ihm standen, wichen zurück, die Gesichter vor der Hitze abgeschirmt.

Dann fiel der Berg aus Feuer in sich zusammen, wie eine Flutwelle, die sich an einer Küste brach. Flammen stürzten auf die Festung zu, wirbelten dabei durcheinander und schienen für kurze Zeit die Gestalt eines Drachen anzunehmen… bevor sie auf die Burgtore trafen. Die schiere Wucht des Zaubers riss Bretter, so groß wie ausgewachsene Männer, aus den Verankerungen. Ketten, die das Tor in Position gehalten hatten, schmolzen innerhalb weniger Herzschläge und die, durch die Luft wirbelnde Splitter, wurde zu Asche verbrannt. Soldaten auf der Mauer fielen schreiend zu Boden, als die magischen Feuer sie erreichte und einhüllte. Kein Rauch stieg auf, nur reinigendes Feuer, das ohne Unterschied, alles zu Staub verwandelte, was ihm in die Quere kam, seien das Tore oder Menschen. Selbst die gewaltigen Steinquader der Mauern, verfärbten sich dunkler, als die unnatürlich gefärbten Flammen an ihnen leckten.

Für einen Außenstehenden sah es so aus, als hätte sich eine gewaltige, lodernde Seifenblase, um das gesamte Torhaus und Teile der Mauer gelegt, welche nur langsam wieder in sich zusammenfiel. Von den Toren war nichts geblieben und die meisten Verteidiger hatten sich zurückziehen müssen, um nicht Opfer des magischen Angriffs zu werden.

Simon ließ die Hände sinken und stützte sich schwer auf den Griff seiner Waffe. Er fühlte sich müde und ihm war kalt. Seine Augen wollten zufallen. Aber noch war es nicht vorbei.

„Herr…“ Es war Ordt, der, die Augen nicht von dem langsam erlöschenden Inferno wendend, zu ihm trat.

„Bringen wir das zu Ende.“ Er richtete sich auf, überrascht darüber, wie viel Mühe ihm das bereitete. Der Zauber hatte ihm viel Kraft gekostet. Mehr als er gedacht hatte.

„Herr, geht es Euch gut?“ Simon blinzelte, als würde er seinen Gefährten jetzt erst bemerken.

„Den Umständen entsprechend.“ Langsam kehrten die Wärme und das Leben in seine Glieder zurück und sein Körper gehorchte ihm wieder besser. Sein eigenes Gesicht zeichnete sich auf der Panzerung seines Gegenübers ab. Und was er dort sah, machte ihm Sorgen.

Simon Belfares Haare waren, innerhalb weniger Augenblicke, teilweise ergraut und tiefe Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet. Niemand wusste, welchen Preis die Magie am Ende forderte. Aber jeder sah die Folgen davon bei den niederen Magiern. Ihre Körper zerfielen. Und er selber beanspruchte eine Macht, die weit über der eines einfachen Zauberers lag.

Wie viel Zeit hatte er noch? Es musste genug sein, um sein Werk zu vollenden.

Mit jedem Schritt fühlte er sich bereits besser. Noch waren die Schäden, die der Strom der Magie anrichtete, nicht dauerhaft und schon in seiner Jugend, hatte er die meisten freien Magier damit beeindruckt, wie schnell er seine Kräfte zurückerlangte.

Ordt rasch wieder hinter sich lassend, rannte er das letzte Stück Weg, bis zu den zerstörten Toren, und in den nun zugänglichen Burghof hinein. Die meisten Soldaten mussten sich weiter ins Innere der Festung zurückgezogen haben. Nur einige verlassene Wirtschaftsgebäude säumten die Innenseiten der Mauern. Trotzdem stimmte etwas nicht. Seine Füße kribbelten verräterisch, während er weiter in den Hof hinaus trat. Das war eine Falle… und eine verdammt gute noch dazu. Er hätte sie beinahe nicht bemerkt.

Mit einer Handbewegung bedeutete er seinen Männern, die ihren Anführer mittlerweile wieder eingeholt hatten, stehen zu bleiben.

Noch ein Schritt weiter und die Luft hinter ihm flackerten einen Moment auf, bevor sich eine durchscheinende Barriere bildete, die den Hof in zwei Hälften teilte und ihn von seinen Leuten abschnitt.

„Wie billig.“ Simon besah sich die magische Barriere nur einen Augenblick. Er könnte sicher durchkommen… aber das würde ihn jetzt zu viel Kraft kosten.

„Kommt schon raus, vor mir könnt Ihr euch nicht verbergen.“

Hinter den Wirtschaftsgebäuden bewegte sich etwas und eine siebenköpfige Gruppe trat ins Licht. Alle Sieben trugen gleichförmige graue Roben, die ihnen über den Körper fielen. Das Zeichen des Drachen war auf ihre Schultern gestickt worden. Und jedem ragte ein Schwertgriff über dem Rücken. Mehr ein Symbol, als eine echte Waffe, denn diese Männer brauchten keinen Stahl um ihre Gegner zu bezwingen. Simon besah sich die Gruppe, die einige Schritte entfernt anhielt. Die Magierabteilung der Prätorianer war nicht groß, die meisten Zauberer zogen es vor, unabhängig zu bleiben und schlossen sich nur nach eigenem Gutdünken, der einen oder anderen Seite an.

Diese Sieben hier aber, hatten sich ganz Kaiser Tiberius Ordeal verschrieben…. Nun endlich verstand Simon, warum sich die Zauberer bei der Schlacht vor den Mauern, derart zurück gehalten hatten. Er sollte Erfolg haben. Er sollte es bis in den Innenhof schaffen.

Sie mussten den Plan in dem Moment gefasst haben, wo klar wurde, dass er den Angriff selbst führte. Oder vielleicht hatten sie schon vorher genau darauf gesetzt….

„Simon Belfare. Ihr seid allein und geschwächt “ , rief der mittlere der Sieben, ein junger Zauberer, dem ein Schopf langer brauner Haare bis über die Schultern fiel. Ein sauber rasierter Spitzbart zierte das Kinn des Mannes.

„Werft Eure Waffen weg und ergebt Euch friedlich um Euch dem kaiserlichen Recht zu stellen. Oder sterbt heute durch uns.“

Simon lies ohne Bedenken das Schwert zu Boden fallen. Das brauchte er jetzt nicht mehr.

„Ich glaube, Ihr unterschätzte die Situation.“, meinte er im freundlichsten Plauderton.

„Ihr seid in der Unterzahl. Welche Wahl habt Ihr?“

„Die Euch alle zu töten.“

Der junge Zauberer machte tatsächlich einen halben Schritt zurück.

„Ihr seid wahnsinnig. Ich hatte gehofft, das hier friedlich zu beenden. Also gut. Tötet ihn.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 13

Der Drache des Kaisers

 

 

 

 

 

 

 

„Ihr steht mir im Weg, Zauberer.“, murmelte Simon Belfare. „Tretet beiseite und überlasst uns diese Festung. Ich würde ungern das Blut von meinesgleichen vergießen.“

Hatten sie wirklich noch nicht verstanden, dass er niemals einfach so in diese Falle gelaufen wäre?

Der erste der sieben Magier machte einen Schritt vor und im selben Augenblick, ließ Simon sich zu Boden fallen. Ein Lichtstrahl zuckte dicht an ihm vorbei und brannte ein kreisrundes Loch in den Staub des Innenhofs. Im selben Augenblick, hatte er sein fallengelassenes Schwert wieder gepackt, und sprang auf.

Der erste Zauberer in Reichweite, konnte nicht mehr ausweichen, sondern wurde von der Klinge durchbohrt. Mit einem überraschten Ausdruck ging der Mann zu Boden. Seine eigene aufgebauschte Robe legte sich wie ein maßgeschneidertes Leichentuch über die gefallene Gestalt.

Die sechs verbliebenen Hexer wichen zurück, während Simon die Klinge aus der Leiche zog.

„Tötet ihn. Sofort.“ , schrie der Mann, der auch schon zuvor gesprochen hatte. „Euer Tod wird unser größter Sieg sein.“ Offenbar der Anführer, dachte Simon. Viel Zeit zum Überlegen blieb ihm jedoch nun ohnehin nicht mehr, als seine überlebenden Gegner, einen Sturm von Zauber auf ihn losließen. Ein Bolzen aus Eis, der ihn vor die Brust getroffen hätte, wurde durch einen gezielten Schwertstreich abgewehrt. Eine messerscharfe Welle aus Luft verfehlte ihn nur um Haaresbreite und ein schwerer Energiestoß schmolz sich halb durch die Panzerung, die er trug.

Simon konnte hören, wie die durch die magische Barriere in seinem Rücken von ihm getrennten Soldaten, aufschrien. Für sie musste es so aussehen, als wäre er schon mehrmals, tödlich getroffen worden.

Stattdessen vollführte er einen weiteren Hechtsprung nach vorne und fällte den ersten Magier, der ihm in die Quere kam. Noch konnte er nicht auf seine eigene Magie zurückgreifen, um sich zur Wehr zu setzen. Dafür waren es zu viele. Aber das Schwert/ tötete genauso gut, wie jeder Zauber.

Die zwei, ihm nun am nächsten stehenden Prätorianer-Magier, zogen die Schwert und wollte ihn damit offenbar zwingen, sich nicht mehr nur auf die Zauber seiner Gegner zu konzentrieren.

Und sie könnten damit sogar Erfolg haben, dachte er. Stahl prallte in rascher Folge auf Stahl, während Simon nun nicht mehr nur einigen schlecht gezielten Zaubern, sondern auch noch zwei Klingen ausweichen musste.

Ein Schwert streifte ihn am Arm und hinterließ einen langen Schnitt. Die Wunde war tief und würde ihn behindern, gleichzeitig jedoch überschätzte der angreifende Magier offenbar seinen Erfolg und stürmte vor, um nachzusetzen. Simon trat fast spielerisch zur Seite und rammte dem Mann das Schwert in den Nacken. Der Zauberer fiel in den Staub.

Der überlebende Schwertkämpfer, versuchte nun wieder, einen Zauber anzubringen. Lichtfunken sammelten sich in seinen Handflächen, während er die Waffe fallen ließ.

Zu spät, dachte Simon. Mit nur noch vier gewöhnlichen Magiern hatte er eine Chance, den Kampf für sich zu entscheiden.

Ein Bolzen, aus schimmernder Energie, jagte aus den Händen des Magiers auf ihn zu. Simon hob nur eine Hand und wehrte den Zauber ab, der zu tausenden kleinen Funken zersprang, die harmlos verglühten. Bevor sein Gegner einen neuen Zauber ansetzen konnte, war Simon auch schon heran und beendete sein Leben. Der vierte Magier sackte damit in sich zusammen und blieb regungslos liegen.

Simon drehte sich zu den verbliebenen Drei um, die momentan aufgehört hatten, Zauber zu wirken.

„Also die Herren…“ Er schob das Schwert zurück, an seinen ursprünglichen Platz an seinem Gürtel, und musterte die drei Gestalten,

„mein Angebot steht noch.“

Der braunhaarige Anführer zögerte offenbar, während er zu den auf dem Burghof verstreut liegenden Leichen seiner Gefährten sah.

„Genug.“, rief der Mann.

„Das endet hier.“ Ein blaues Lichtband brach aus seinen Fingern hervor und fächerte in ein feinmaschiges Gewebe aus, das sich um Simon legte. Dieser blieb ganz ruhig und betrachtete das magische Gefängnis einen Augenblick. Die Banden aus Energie, würden einem normalerweise, das Fleisch von den Knochen brennen, wäre man so dumm, sie zu berühren. Gleichzeitig fühlte er, wie sich etwas Eiskaltes in seine Brust zu bohren schien und sich langsam über seinen ganzen Körper ausbreitete.

„Ich bin beeindruckt.“, meinte er nach wie vor ohne eine Spur Nervosität.

Der braunhaarige Magier strich sich offenbar erleichtert eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Unsere Zauber werden Euch Euer Leben entziehen. Ihr werdet….“

„Das hätte tatsächlich funktionieren können.“, unterbrach Simon ihn.

Er machte einen Schritt seitwärts aus dem Netz heraus, das im selben Moment zu kleinen Funken zerfiel. Eine Flamme entzündete sich an den verbleibenden Enden des Lichtbands und fraß sich innerhalb weniger Herzschläge bis zu dem Anführer der Magier zurück. Das Feuer erfasste seine Robe, bevor er eine Chance hatte, etwas dagegen zu unternehmen und er stürzte zu Boden um die Feuer zu ersticken. Ein nutzloses Unterfangen, wie Simon ihm hätte sagen können. Die Flammen brannten sich durch seine Kleidung und durch sein Fleisch, bis auf die Knochen. Die Überlebenden zwei Zauberer sahen nur entsetzte zu, wie ihr Anführer qualvoll langsam zu wenig mehr als einem verkohlten Skelett wurde.

Simon trat, bis auf die Schnittwunde am Arm unverletzt, auf die Beiden zu. Die in graue Roben gekleideten Gestalten sanken auf die Knie.

„Was.. Was seid Ihr?“

„Der Mann der Euch zweimal aufgefordert hat, Euch zu ergeben. Es gibt kein drittes Mal.“

„Nein… nein Bitte….“

Simon zog in einer fließenden Bewegung das Schwert….

 

In dem Moment, wo der letzte Zauberer in sich zusammensank, löste sich der magische Schild, der durch den Burghof verlief, auf und erlaubte Simon Belfares Soldaten endlich, ins Innere der Erdwacht vorzudrängen. Die ersten Kämpfer stürmten mit Jubelrufen an ihm vorbei, erklommen Wälle und Türme, um sich den letzten Verteidigern, weiter im Inneren der Anlage entgegenzustellen.

Simon selbst stand einen Augenblick, die Hände aufs Schwert gestützt da und sah den an ihm vorbeiströmenden Truppen zu. Jetzt, wo die Haupttore gefallen waren, gehörte die Festung so gut wie ihnen. Die Verteidiger konnten ihnen sicher noch eine Weile Widerstand leisten und sich in den Türmen und Burgfrieden verstecken… aber ab jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Erdwacht endgültig in ihrer Hand wäre. Simon musste dem Kaiser, für dessen Versuch ihn zu fangen oder auszuschalten, schon fast dankbar sein. Hätten die sieben Magier stattdessen die Tore beschützt oder in die Schlacht eingegriffen, wäre es vielleicht anders ausgegangen.

„Das war ein wichtiger Sieg.“, meinte eine Stimme neben ihm. Er brauchte sich nicht umzudrehen. Natürlich war es Ordt. Der Gejarn schien in der Schlacht immer in seiner Nähe zu bleiben. Und das schien wohl nicht nur so, korrigierte Simon sich, während er die gepanzerten Handschuhe abstreifte.

Das Blut, von der Schnittwunde an seinem linken Arm, hatte mittlerweile den Stoff seiner Kleidung durchtränkt und dunkel gefärbt. Gefährlich war die Verletzung nicht, aber sie trug zu seiner Erschöpfung bei.

„Soll ich einen Magier holen, der sich darum kümmert?“ Das war die eine Sache, die er trotz all seiner Macht nicht beherrschte. Kein einziger lebender Magier war in der Lage, seine eigenen Verletzungen zu heilen. Sie waren in der Lage, andere von der Schwelle des Todes zurück zu reißen und manchmal sogar ein Stück darüber hinaus. Aber diese eine Gabe blieb ihnen seit dem Untergang des alten Volkes verwehrt. Und vielleicht hatten nicht einmal die legendären Hexer jener Zeit dieses Kunststück beherrscht.

Simon winkte ab.

„Die sollen sich darauf konzentrieren, den letzten Wiederstand zu brechen. Das wird mich nicht umbringen.“

Ordt musterte ihn skeptisch, sagte aber nur:

„Sehr wohl. Und die Gefangenen , wenn wir welche machen ?“

„Der Kaiser hat mir heute gezeigt, wie viel ihm das Leben seiner Männer wert ist, wenn er dadurch mich in die Finger bekommen würde. Ich schlage vor, wir ignorieren diesen Wunsch nicht. Ich wünsche, dass Ihr ein Exempel statuiert. Keine Gefangenen, es sei denn Zivilisten. Sammelt die Helme der Prätorianer. Schickt sie dem Kaiser zurück.“

„Nicht die Köpfe ?“

„Wer bin ich, ein Barbar?“ Simon war sich sehr wohl bewusst, dass er das in den Augen mancher jetzt werden würde. Doch trotzdem, einen gewissen Respekt den Toten gegenüber musste man haben.

„Nein, Herr.“

 

Bis zum Abend war die gesamte Festung in ihrer Hand. Die geforderten Helme wurden auf große Karren geladen, die man zusammen mit den wenigen Zivilisten der Erdwacht, in Richtung Süden schicken würde. Simon Belfare sah aus einem der hohen Türme der Festung zu, wie die Wagen über die große Steinbrücke im Dunkeln verschwanden.

Zufrieden wandte er sich ab und stieg die gewundene Treppe des Bauwerks hinunter. Die durch die Jahrhunderte der Benutzung ausgetretenen Steinstufen, mündeten in einer großen Kammer, die wohl einstmals als Quartier für die Befehlshaber der Festung gedient hatte. Nun jedoch hatte Simon die Räume selbst für sich in Anspruch genommen. Schwere Wandteppiche verdeckten den Stein der Wände. Teppiche, auf denen das Wappen des Kaiserreichs prangte. Der schwarze Drache. Ein kleines Feuer prasselte in einem Kamin, in der Mitte des Raumes, und spendete etwas Licht. Simon riss einen der Teppiche von der Wand und warf ihn in die Flammen.

Einige Stühle standen beim Feuer und er ließ sich einfach auf einen davon fallen. Die Müdigkeit die er den ganzen Tag über ignorierte hatte, holte ihn nun endgültig ein. Eigentlich hatte Ordt mit ihm noch über irgendetwas sprechen wollen. Offenbar gab es Neuigkeiten von den Spähern, die er entsandt hatte. Aber das musste warten… wenige Augenblicke später fielen ihm die Augen zu.

Simon konnte noch nicht lange geschlafen haben, als ihn ein Geräusch aus seinen unruhigen Träumen riss. Reflexartig war seine Hand am Schwertgriff und er sprang auf. Nur um sich in einem leeren Zimmer wiederzufinden. Ein leises Klopfen an der Zimmertür ließ ihn aufhorchen. Das es musste es wohl sein, das ihn aus dem Schlaf geholt hatte. Er ließ die Waffe los und schüttelte den Kopf. Jetzt wurde er schon Paranoid.

Mit wenigen Schritten war er schon bei der Tür und zog sie auf.

„Ordt, wenn es etwas gibt, das…“ Simon hielt inne, als die Tür aufschwang und statt dem erwarteten Gejarn dort eine rothaarige Gestalt auf ihn wartete.

„Sandria. Verzeiht, ich hatte vergessen, dass Ihr vorbeischauen wolltet.“

„Nachdem Ihr mich darum gebeten hattet. Aber Ihr seid schwer zu finden, das muss man Euch lassen. Ich musste mindestens die Hälfte eurer Wachen fragen.“

„Und die haben Euch einfach so durchgelassen?“

Sandria zwinkerte nur. Nein, sie hätten sie ganz sicher nicht durchgelassen. Er würde darüber nachdenken müssen, die Wachen zu ersetzen. Simon seufzte, während er von der Tür zurücktrat und ihr mit einer Geste bedeutete, hereinzukommen. Sie setzen sich zurück ans Feuer, in dem noch die letzten Überreste des Wandvorhangs verglühten.

„Ihr hättet das nicht tun dürfen.“, sagte der Zauberer schließlich. „Hätte man Euch erwischt, hätte man Euch ohne zu zögern getötet.“

„Die Schlafmützen, Herr ? Das bezweifle ich.“ Sie grinste breit, während sie wieder aufstand.

„Nun ich bin hier um zu singen, nicht? Ihr habt doch sicher einen Wunsch?“

Simon zuckte mit den Schultern.

„Ich kenne nicht viele Lieder, wie ich zugeben muss.“

„Nicht ? Dann verpasst Ihr aber einiges, wenn ich das anmerken darf. Dieses Land steckt voller Lieder. Jedes einzelne Dorf, in den Herzlanden, hat vermutlich seine eigenen Hymnen und Balladen. Ob über den legendären Dorftrottel, oder über einen Helden des Kaiserreichs der einst aus ihren Reihen hervorging.“

„Einen Held des Imperiums haben sie mich auch mal genannt.“, meinte Simon verträumt. „Held… Schlächter hätte es besser getroffen.“

„Ihr klingt so…bitter. Ist das der Grund für… all das hier?“

„Sagt mir, Sandria. Wenn Ihr, nach Jahren zu der Überzeugung kommt, das alles wofür Ihr gekämpft habt, grausam, böse und bis zum Kern Korrupt war. Und das Ihr das nicht nur nicht gesehen, sondern einfach ignoriert habt… Würdet Ihr nicht versuchen, diesen Fehler wieder auszubügeln?“

„Sicher, ich würde ihn korrigieren, aber… was Ihr hier tut ist mehr als das. Wie viele sind heute gestorben?“

„Zu viele. Und mehr werden folgen. Aber das ist manchmal nötig.“

„Ihr sagt das und doch glaubt Ihr es nicht.“ Simon sah auf, als sich etwas Warmes auf seinen Handrücken legte. Sandria hatte ihre Hand auf seine gelegt und schien auf eine Antwort zu warten.

Das war seltsam. Er hatte sich selten von jemand derart in die Enge gedrängt gefühlt….

Simon zögerte zum ersten Mal mit einer Antwort.

„Ich hoffe, dass am Ende der Zweck die Mittel heiligt.“

„Eine gefährliche Wette, oder ?“

Nicht so gefährlich wie diese Frau, sagte er zu sich selbst. Faszinierend gefährlich.

„Ich…“ er ergriff vorsichtig ihre Hand. Simon suchte einen Moment nach Worten, doch/ bevor er den Satz beenden konnte, wurde er durch ein lautes Pochen an der Tür unterbrochen.

Sandria stand mit einem Ruck auf und entzog ihm die Hand, während im gleichen Augenblick Ordt hereinkam. Der Gejarn blieb auf der Türschwelle stehen, sah sich kurz um und fragte dann:

„Soll ich später wieder kommen?“

Simon seufzte.

„Nein, ist schon gut. Sandria….“

Die Sängerin wandte sich zum gehen.

„Sehe ich Euch wieder ?“ , wollte der Zauberer wissen.

„Ich… fürchte nicht. Ich breche morgen auf.“ Mit diesen Worten war sie auch schon aus dem Raum und verschwand die Turmtreppe hinab.

Simon stand von seinem Platz am Kamin auf, während der Gejarn zu ihm trat.

„Also, Ordt, was gibt es?“

„Die Späher sind vor knapp einer Stunde zurückgekommen, Herr. Sie haben die Gejarn, die Ihr sucht, offenbar bis zu einem Ort namens Goldbrück verfolgt.“

„Aber sie haben sie nicht erwischt, oder?“

„Nein.“, antwortete der Wolf.

„Wir brauchen diese Träne, Ordt, das ist Euch klar. Ein Angriff auf die fliegende Stadt ohne sie, wäre Wahnsinn. Also flieht sie weiterhin?“

„Ja , Herr. Leider hat uns die kaiserliche Garde davon abgehalten, sie weiter zu verfolgen. Die Herzlande sind nach wie vor unter der festen Kontrolle des Kaisers.“

„Das war dann wohl zu erwarten. Obwohl ich bezweifle, dass der Kaiser von der Träne weiß. Noch etwas ?“

„Sie hatte anscheinend Hilfe. Einen Schmied aus der Gegend, wie man uns mitgeteilt hat. Er hat einen unserer Zauberer erledigt, der sich, auf eigene Faust, auf die Suche gemacht hat.“

„Ich glaube nicht, dass das ein großes Problem ist….“

„Tatsächlich könnte es ein gewaltiges Problem sein. Die Späher haben sich über den Mann erkundigt. Offenbar ist sein Name Leif. Der Leif. Der Drache des Kaisers persönlich.“

„Er lebt also noch… sehr interessant. Seit über acht Jahren hat niemand mehr etwas von ihm gehört.

„Bis jetzt.“, fügte Ordt hinzu.

„Das ist, wie ich zugeben muss, beunruhigend. Wenn er, wie er sagt, bei der Gejarn ist… dann ist die Träne jetzt so gut wie in den Händen des Kaisers.“

„Vielleicht auch nicht. Ich habe einen Teil der Dokumente aus Vara durchgesehen. Es fand sich nicht viel. Fast als hätte jemand alle Informationen über diesen Leif zerstört. Aber… da gibt es etwas, das Ihr wissen solltet….“

 

Kapitel 14

Geisterstadt

 

 

 

 

 

Die dichten Wälder der Herzlande, umgaben sie auf allen Seiten, und wurden nur alle paar Meilen durch weite, offene Flächen mit gewaltigen Feldern und einigen verstreuten Siedlungen unterbrochen. Das Getreide stand, als endlose Reihen goldener Halme, auf den Ebenen und führte einem deutlich vor Augen, welche Bedeutung, den Tausenden von kleinen Dörfern und Höfen in der Gegend zukam. Auch wenn Canton ein größtenteils fruchtbares Land war und in allen Teilen des Kaiserreichs Ackerbau betrieben wurde, die Herzlande stellten die Kornkammer des gesamten Imperiums dar. Der Großteil der Bevölkerung wurde aus der Ernte der Farmer hier ernährt

Und natürlich auch die Armee, dachte Leif, während sie eine weitere Ebene mit Kornfeldern überquerten. Manche der Feldarbeiter, die schon eifrig damit beschäftigt waren, die Ernte einzubringen hoben kurz den Kopf um den zwei Reisenden nachzusehen, wandten sich aber dann wieder ihrer Arbeit zu.

An anderen Stellen verfaulte das Getreide auf den Feldern. Ein besonders trostloser Anblick bot sich den zwei Reisenden, nachdem sie gut eine Woche unterwegs waren. Immer Richtung Süden oder zumindest vermutete, er das, da Celani sie in diese Richtung führte. Er selbst hatte längst die Orientierung verloren. Es war Jahre her, dass er sich so weit von seiner Heimat entfernt hatte, und damals musste er sich um die Richtung keine Sorgen machen. Allerdings achtete der Schmied auch jetzt nicht wirklich darauf, wohin sie liefen.

Kornelius.

Er war kurz davor gewesen, doch noch zum Haus zurückzulaufen, als die Gardisten einen Körper vor die Tür geschleift hatten. Auch wenn er, aus ihren Versteck in den Wäldern, um den Hof des Alten, nichts Genaueres hatte erkennen können….

Der Anblick vor ihm, riss ihn aus seinen Gedanken. Sie waren eine kleine, bewaldete Anhöhe hinaufgekommen, die einige der verfallenen Äcker umschloss, über sie sie von Zeit zu Zeit stolperten. Doch das was vor ihnen lag war nicht bloß ein verlassener Bauernhof. Es war eine Geisterstadt.

 

Ein großes Dorf. Leif schätzte die Anzahl der Hütten auf etwas um die Zweihundert. Auch wenn er ganz sicher nicht lange genug hier bleiben wollte, um das herauszufinden. Celani schien es ähnlich zu gehen. Die Gejarn sah sich hektisch nach allen Seiten um, als sie einem Pfad den Hügel hinab in die Siedlung folgten. Andererseits war diese ständige Wachsamkeit bei ihr schon mehr normal, als irgendetwas Ungewöhnliches, dachte Leif. Er war jetzt schon mehrmals mitten in der Nacht aufgewacht, nur um festzustellen, das Celani schon wach war. Oder eher, immer noch, wie er befürchtete.

Der Ort war tatsächlich völlig verlassen, wie der Schmied rasch feststellte. Verfallene Ställe und geplünderte Holzverschläge wechselten sich mit leer stehenden Backsteinhäusern und zugewucherten Gärten ab. Hier war seit mindestens einem Monat niemand mehr gewesen.

„Wo sind alle?“, fragte Celani und brach damit die Stille, die über dem Ort gelegen hatte. Aus einem leeren Fenster flatterten ein paar Vögel auf und verschwanden am sonnigen Himmel. Irgendwie passte das Wetter nicht zu einem derart traurigen Anblick. Aber seit wann nahm der Himmel Rücksicht darauf, ob ihm etwas passte, dachte Leif.

„Geflohen, schätze ich. Vermutlich hatten sie Angst davor, was eine ausgehungerte Armee, mit einem Ort wie diesen, anstellen würde.“

„Deine Leute sind doch auch geblieben.“

„Ja, aber wir sind auch nur eine kleine Siedlung. Wenn man nach Goldbrück nicht sucht, findet man es auch nicht. Genau wie Westfall. Zu unwichtig, als das wir in großer Gefahr wären. Auch wenn einige wohl trotzdem wegziehen werden, wenn Belfares Armee noch mehr Land gewinnt.“

Sie passierten einen hochaufragenden Steinbau, der sich fast genau in der Dorfmitte befand, und Leif blieb kurz stehen. Ein kleiner, schmiedeeiserner Zaun rahmte einen verwilderten Garten ein. Dahinter lag eine doppelflügelige Tür, die ins Innere des Gebäudes führte. Die schweren Türflügel waren nur angelehnt und gewährten einen Blick, auf einen nackten Steinaltar. Und auch ansonsten war der Ort leer geräumt worden. Keine Teppiche, keine sakralen Gegenstände….

„Ist das ein Schrein für Eure Götter?“

„War es mal.“, erklärte Leif, während er durch das Tor des Zauns trat. In den zu gewucherten Beeten ragte ein kleiner Runenstein auf, jedes Zeichen einer Gottheit gewidmet. Das war wohl das einzige, das man nicht mitgenommen hatte.

„Jetzt ist es nur noch eine Hülle.“

„Das verstehe ich nicht. Das Gebäude muss doch wichtig sein.“

Der Schmied trat durch die offen stehenden Türen in den Schrein und fand genau, was er erwartet hatte. Blanken Stein und einige wenige verbliebene Sitzgelegenheiten. Das einzige Licht, in dem mehrere hundert Schritte langen Raum, kam von einigen großen Fenstern über dem verwaisten Altar.

„Nein.“ Leif brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde, wieso das seltsam auf Celani wirken musste. Seelenbäume konnte man sicher von allem Schmuck befreien und ignorieren, aber sie wurden dadurch nicht bedeutungslos.

„Menschliche Heiligtürmer sind… anders, könnte man sagen. Es hat nur so lange Bedeutung, wie jemand darin war, der daran glaubt.“

„Und du glaubst nicht daran?“

„Nicht genug, als das ich darauf hoffen würde, dass ein Gott meine Probleme löst.“

Die Gejarn sah ihn mit einem seltsamen Grinsen an.

„Eure Götter müssen wirklich seltsame Launen haben, wenn sie sich durch so etwas vertreiben lassen.“

„Manche würden das behaupten.“ Leif rückte den Rucksack auf seinen Schultern zurecht, bevor er sich abwandte und wieder aus dem toten Schrein trat.

„Komm. Ich will ungern länger hier bleiben als nötig.“

Celani folgte ihm langsam.

„Vielleicht finden wir hier ja etwas Nützliches.“, merkte die Gejarn an, als sie eine Reihe weiterer Backsteinhäuser passierten. Kleine Villen , die sicher einigen der reicheren Bewohner dieses Ortes gehört hatten.

„Ich bezweifle es.“, antwortete er. „Das hier war keine überstürzte Flucht, sonst hätte man sich nicht die Mühe gemacht, den Schrein zu räumen. Die Leute haben schlicht alles zusammengesucht, das sie mitnehmen wollten und sind dann geordnet abgezogen. Sie sind einfach gegangen.“

„Ihr bleibt gerne Euer Leben an einem Ort. Soviel weiß ich.“

„Und Gejarn ziehen ihr Leben lang durch die Gegend, ich weiß. Noch was, das Dir seltsam vorkommen muss.“

„Eigentlich nicht. Wir schlagen unsere Dörfer immer dort auf, wo wir Platz finden, das stimmt. Aber ich weiß wie einem Zumute ist, wenn man einen Lagerplatz verlässt, der einem eigentlich ans Herz gewachsen ist. Man gewöhnt sich daran, aber wenn man die ersten Jahre irgendwo aufgewachsen ist und dann plötzlich alle die Zelte abbrechen… es ist ein seltsames Gefühl. Eine Erfahrung, die alle Gejarn als Kinder machen müssen.“

„Kornelius hat immer gesagt, Zuhause wäre man nur da, wo man auch mit einem guten Grund, nicht wieder weg geht.“ Leif sah zu den verlassenen Häusern zurück.

„Ich glaube, das war seine Art zu sagen: Menschen sind manchmal sehr dumm.“

„Es tut mir leid, was mit Deinem Freund passiert ist.“

„Ich weiß. Es war… es war nicht Deine Schuld, Niemand hatte Schuld daran.“

„Wirklich ? Du hast jetzt seit fünf Tagen kaum was gesagt.“ Celani war, mitten auf dem Weg, stehengeblieben und hatte sich zu ihm umgedreht.

„Wundert dich das? Wohin genau gehen wir eigentlich?“

„Momentan…“ sie sah zur Sonne.

„Immer nach Südosten. Wenn möglich bis ans Meer.“

„Das wird keine einfache Reise.“ , stellte er fest, während sie ihren Weg fortsetzten.

„Und ich bezweifle, dass wir das alleine und zu Fuß schaffen.“

„Nur noch einmal etwa die Strecke, die ich ohnehin schon hinter mir habe.“

„Wie lange genau bist du jetzt auf der Flucht?“

Celani antwortete nicht sofort, während sie langsam den Dorfausgang erreichten und die Geisterstadt hinter sich ließen.

„Seit etwa einem Monat.“, meinte die Gejarn schließlich, als die letzten Gebäude hinter ihnen zurück blieben.

„Du hast in nur einem Monat halb Canton durchquert?“ Leif wusste aus Erfahrung und von den Berichten der wandernden Händler, sie sich nach Goldbrück verirrten, dass man, selbst unter günstigsten Bedingungen, leicht ein viertel Jahr von der West zur Ostküste brauchte.

„Ich wollte nichts sagen, aber ihr Menschen seit erschreckend langsam, selbst wenn ihr rennt.“

„Für so weite Strecke gibt es nun mal Pferde.“, erklärte Leif unsicher.

„Die einzigen Pferde, die es bei den Clans gibt, sind zum Essen da.“

„Ich fürchte, dann halte ich dich nur auf?“

„Nein…“ Celani korrigierte sich sofort: „Also ja, aber… es ist schön, nicht mehr ganz allein zu sein. Nachdem ich die letzten meiner Wächter verloren hatte, wurden die Dinge eine Weile recht hässlich.“

Leif wartete, ob sie das näher erläutern würde, aber offenbar wollte die Gejarn nicht darüber reden.

„Woher kanntest Du Kornelius eigentlich?“, wollte sie stattdessen wissen, während er sie, trotz ihrer Worte zuvor, kurz überholte.

„Du solltest eher fragen, seit wann ich ihn kannte. Den Alten gab es schon als ich ein Kind war, auch wenn er damals noch etwas Farbe in den Haaren hatte, und nicht ganz so… verschroben war. Er war ein Freund meiner Familie. Meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt gestorben und mein Vater nicht viel später. Ich bin daher praktisch bei dem Alten aufgewachsen und er hat mir wohl einiges beigebracht. Spurenlesen, beispielsweise auch wenn das mittlerweile etwas eingerostet ist. Aber auch praktischere Sachen. Wie man eine Schlinge für die Jagd legt, oder einfach, wie man mit einer Sense umgeht. Er hat wohl immer gehofft, dass ich mal seinen Hof übernehme.“

„Aber dann bist Du Schmied geworden.“

„So seltsam das klingt, aber ich habe immer lieber mit Metall gearbeitet. Damals gab es aber in Westfall keinen Schmied, also bin ich nach Goldbrück. Ich habe mein Handwerk gelernt und wäre damit wohl glücklich geworden… nur dann habe ich Goldbrück einige Jahre vor dem Beginn von Simon Belfares Feldzug verlassen.“

„Du hast Dich also eine Zeit der Armee des Kaisers angeschlossen?“

„Ja…. Und nein.“ Leif holte tief Luft. Er hatte sich vorgenommen, ihr zumindest den Teil, der Wahrheit zu erzählen, der keine schmerzhaften Wunden aufriss. Oder wenigstens keine Geistigen.

„Leif ?“ Celani blieb stehen, als der Schmied ebenfalls anhielt. Hatte sie irgendetwas Falsches gesagt?

„Ich hätte das eigentlich früher sagen sollen.“ Er drehte sich um und strich sich einige Haare aus der Stirn. Darunter schimmerte das tätowierte Symbol eines Drachen. Die in schwarzer Farbe gehaltene Kreatur hatte die Vorderläufe wie zum Schlag erhoben und schien fast lebendig.

Prätorianer schoss es ihr augenblicklich durch den Kopf. Das Symbol der Elitegarde des Kaisers. Und Leif war… Geister, sie war mehr als nur betrogen worden. Der Gejarn blieb kaum Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Ihr blieb nur zuzuschlagen, solange sie die Gelegenheit dazu hatte.

Wenn sie Leif überrumpeln konnte, hatte sie eine Chance….

Ohne Vorwarnung holte Celani mit der Hand aus. Ein paar rasiermesserscharfer Krallen erschienen an ihren Fingerspitzen. Genug um ernsthafte Wunden zu reißen… zuschlagen, umdrehen und Weglaufen.

Leif jedoch trat schneller, als sie das je bei einem Menschen gesehen hatte, beiseite und fing ihren Arm fast mühelos ab.

Mit einer Bewegung, hatte er ihr den Arm auf den Rücken gedreht, dass jeder Versuch sich zu befreien nur damit enden konnte, dass sie sich die Knochen brach.

„Hör mir zu.“

Celani versuchte sich nach vorne zu werfen und Leif, den Schmied, den Prätorianer, so abzuschütteln, allerdings ohne Erfolg.

„Hör mir nur zu….“

Endlich schien sich die Gejarn etwas zu entspannen. Verflucht, warum hatte er auch bis jetzt gewartet und warum hatte er nicht vorher damit gerechnet? Hätte er eine Sekunde später reagiert, läge er jetzt mit einer gewaltigen Fleischwunde auf der Straße im Staub. Wie bekam er sie nur dazu, ihm erst einmal zuzuhören? Leif verfluchte sich selbst.

„Ich lasse Dich los, wenn Du mir versprichst, ruhig zu bleiben und mich erst einmal ausreden lässt. Ja ? Ich bin kein Prätorianer.“

Einen Augenblick glaubte er, sie würde ihm überhaupt nicht mehr zuhören. Sie hatte den Kopf halb zu ihm herumgedreht und die nackte Angst in ihren Augen, hätte ihn beinahe schon dazu gebracht, einfach loszulassen. Aber er brauchte ihr Wort. Irgendetwas zumindest. Sonst war all das hier umsonst. Auch Kornelius Tod.

Celani nickte schließlich nur schwach.

Erleichtert ließ Leif ihren Arm los und trat rasch einen Schritt zurück. Die Gejarn jedoch, machte sich gar nicht erst die Mühe, sich zu ihm umzudrehen… sondern rannte einfach los.

Leif machte gar nicht erst den Versuch, sie einzuholen. Celani war in jedem Fall schneller zu Fuß als er, selbst wenn ihre Geschichte nur halb stimmte.

„Verflucht. Na dann… auch gut!“ Der Schmied war sich nicht mal sicher, ob sie ihn noch hörte oder überhaupt darauf achtete.

„Ich renne dir nicht hinterher, nur damit Du`s weißt….“ Allerdings kümmerte sie das entweder nicht, oder sie hörte ihm längst nicht mehr zu. ,, Blöde Katze.“

Wenigstens bedeutete das, ein Problem weniger um das er sich kümmern musste….

Und was sollte er jetzt tun?

 

 

 

 

Kapitel 15

Jagdausflug

 

 

 

 

 

 

Leif kam an diesem Tag nicht mehr weit. Vor allem, weil er keine Ahnung hatte, wo sein nächstes Ziel lag. Ohne Celani weiter nach Süden zu gehen, war sinnlos. Und zurück nach / Goldbrück zu gehen war, nach allem was geschehen war, Selbstmord. So blieb ihm erst einmal nichts anderes übrig, als der verlassenen Straße, die von der Geisterstadt weg führte zu folgen. Ein gebrochenes Wagenrad lehnte an einer heruntergekommenen Umzäunung. Offenbar etwas, das die Flüchtlinge der verlassenen Ortschaft zurückgelassen hatten. An deren Ende stand ein kleiner Wegweiser. Mit den meisten Namen konnte der Schmied nur entfernt etwas anfangen. Vara erkannte er, aber das war genau die Richtung, in die er ganz sicher nicht gehen würde.

Vielleicht fand er ja irgendwo ein paar Flüchtlinge, denen er sich anschließen konnte. Immerhin, sein Handwerk beherrschte er nach wie vor. Und somit konnte er wohl nützlich genug sein das….

Ach verdammt, was redete er sich eigentlich ein? Das war`s. Leif tat etwas, was er seit nunmehr über acht Jahren, nicht mehr getan hatte. Er ließ seiner Wut freien Lauf. Mit der Faust ausholend, schlug er gegen den alten Wegweiser, der dem Faustschlag des kräftigen Schmieds, kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Das Holz splitterte und dass sich mehrere Bruchstücke in seine Haut gruben, spürte Leif kaum. Blut sammelte sich in seiner geballten Faust.

Was konnte er für die Entscheidungen, die er als ein viel Dümmeres und jüngeres Selbst getroffen hatte. Eines, das geglaubt hatte, Ruhm und Ehre könnten jeden Verlust aufwiegen?

Und jetzt fühlte er sich auch noch mies, weil er das Schild zerstört hatte. Irgendjemand hätte es gebrauchen können. Sein Leben war zum zweiten Mal völlig aus den Fugen gelaufen. Und wozu ?

Götter vielleicht wurde er einfach Verrückt. Er hatte einmal geglaubt kurz davor zu stehen.

Ein Blick zur Sonne zeigte ihm, dass der Feuerball, grade erst seinen Weg zurück zum Horizont begann. Viel zu früh um sich ein Lager zu suchen, und die Frage wohin als Nächstes, damit wenigstens erst mal zu verschieben.

Leif hasste diese Unsicherheit. Bisher hatte er seine Entscheidungen immer recht spontan getroffen. Es war leichter das zu tun, mit dem man nachher am besten Leben konnte. Egal was das war. Eine Lektion, die er auf die harte Art gelernt hatte. Aber hier gab es nicht nur kein richtig oder falsch, sondern auch keine ungefähre Richtung mehr.

Der Schmied folgte also einfach weiter den Weg, den er eingeschlagen hatte. Im Kopf ging er durch, was er noch bei sich hatte, nachdem Celani mit einem ihrer Rucksäcke auf dem Rücken, abgehauen war. Noch einmal fluchte er halblaut. Die Gejarn hatte natürlich den Großteil ihrer Vorräte dabei haben müssen. Es war ohnehin nicht mehr viel gewesen, sagte er sich selbst. Und sie könnte es besser gebrauchen, als er... eigentlich sollte er wütend auf sie sein. Wenn die Gejarn ihm einen Moment zugehört hätte, dann… ja, dann was? Er wäre immer noch, was er in ihren Augen war. Ein auf den Kaiser eingeschworener Prätorianer. Genau die Art von Person, der Celani ausweichen wollte und musste.

So oder so, Leif würde sich überlegen müssen, wo er neue Verpflegung hernehmen sollte. Geld hatte er praktisch keines dabei. Die Handvoll Silbermünzen, die er ganz am Boden seines Rucksacks aufbewahrte, würden in einem Gasthaus, grade mal für eine Mahlzeit reichen. Leif konnte mit einem Bogen umgehen und im Herzland war die Jagd jedem gestattet. Nicht wie in den nördlicheren Fürstentümern Cantons. Trotzdem löste das sein Problem nicht wirklich. Er hatte nichts, woraus er einen Bogen hätte machen können.

Er könnte seinen Schmiedehammer verkaufen. Der war sicher etwas wert. Aber so hielt er dann vielleicht eine Woche länger durch. Wie es aussah gab es keine unmittelbare Lösung….

Wenigstens lenkte es ihn ab, darüber nachzudenken. Es musste irgendeine eine praktische Lösung geben. Die gab es immer.

Er könnte Schlingen legen. Das könnte funktionieren. Dazu musste er jedoch bis heute Abend warten. Fallen auf dem Weg aufzustellen wäre Verschwendung. Die Dämmerung wäre ohnehin die beste Zeit, wenn sich die Wildtiere aus ihren Verstecken wagten.

Leif ging also einfach weiter die verlassene Straße entlang, bis es langsam anfing, dunkel zu werden. Die verwahrlosten Äcker gingen, langsam aber sicher, wieder in Wälder über, deren Schatten zumindest etwas die Sommersonne abhielten. Ein kaum wahrnehmbarer Windhauch ging durch die Blätter und Leif meinte ein beinahe schon vertrautes Glockenspiel irgendwo in der Ferne zu hören. Aber wenn, dann musste der Baum irgendwo, weit abseits der ausgetretenen Wege und Pfade stehen.

Die tieferen Schatten des Waldes gefielen ihm gar nicht. Zumindest nicht jetzt, wo er alleine war.

Angst hatte der Schmied keine. Er konnte auf sich aufpassen. Trotzdem lauschte er immer wieder, wenn er irgendetwas im Laub rascheln hörte. Vermutlich irgendwelche kleineren Tiere. Kaninchen oder vielleicht Mäuse. Nichts um das er sich Sorgen machen musste. Im Gegenteil. Es bedeutete er hätte tatsächlich Aussicht darauf, etwas zu fangen.

Der Weg kreuzte einen Bachlauf, der die Straße überspült hatte, so dass Leif ein Stück durch das knietiefe Wasser waten musste. Das Nass war kälter, als er erwartet hatte und nahm ihm ein wenig das Gefühl in den Beinen. Der Schmied musste vorsichtig sein, um nicht ausversehen, auf einem Stein oder etwas ähnlichem auszurutschen. Ein unfreiwilliges Bad würde ihm grade noch fehlen….

Als er das andere Ufer erreichte, begann er sich nach einem günstigen Lagerplatz umzusehen. Nicht direkt an der Straße, das war zu auffällig. Leif verließ den Pfad ein Stück weiter, wo der Wald auf einer Seite leicht abfiel. Eine kleine Ansammlung aus Fichten, hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Bäume standen dicht genug zusammen, um einen Sichtschutz in Richtung Straße abzugeben. Das hieß solange er kein großes Feuer machte.

Das jedoch würde ganz von seinem Glück abhängen. Und das war momentan scheinbar nicht vorhanden, dachte Leif, als er zwischen den Bäumen hindurchtrat. Wie der Schmied gehofft hatte, wäre es fast unmöglich, ihn von der Straße aus zu entdecken

Leif stellte seinen Rucksack am Fuß einer der Fichten ab und begann, das wenige an Ausrüstung, das er dabeihatte, zu durchsuchen. Neben einem halben Laib Brot, der ihm geblieben war, förderte er eine Zeltplane zu Tage, dazu Feuerstein und ein Stück Stahl, eine Handvoll Reisig … und ein paar stabil wirkende, dünne Seile.

Er war etwas aus der Übung, aber nach ein paar Versuchen, bekam er doch eine funktionierende Seilschlinge zusammen. Leif beschloss, sein Glück zu versuchen und trat wieder unter den Bäumen hervor. Den Rucksack und seine übrige Ausrüstung ließ er zurück, während er nach ein paar guten Plätzen suchte, um die improvisierten Fallen auszulegen. Nicht zu nah an seinem Lager oder der Straße. Die meisten Tiere würden sich wohl eher davon fern halten. Im schwindenden Tageslicht suchte er sich einen Weg, tiefer in die Wälder hinein. Leif versuchte möglichst, in einer graden Linie zu gehen und die Schlingen in regelmäßigen Abständen auszulegen. So wüsste er später sicher, wo er suchen musste.

Als er die Straße nicht einmal mehr erahnen konnte und die Sonne ihren letzten, roten Schein zwischen den Bäumen hindurch warf, entschied er, dass er weit genug gegangen war und machte sich auf dem Rückweg.

Leif hatte sich grade halb umgedreht, als es irgendwo im Laub raschelte. Normalerweise hätte er nichts darauf gegeben, aber irgendetwas sorgte dafür, dass sich die Haare in seinem Nacken aufstellten. Das war etwas sehr viel größeres, als ein Eichhörnchen gewesen. Ein Reh ? Der Schmied blinzelte ins Halbdunkel. Seine Instinkte sagten ihm, dass es kein Reh war. Das Geräusch hatte sich nicht wiederholt. Ein Reh hätte vermutlich Reißaus genommen. Aber was immer da draußen war, hatte angehalten. Angehalten um zu beobachten? Oder zu lauern?

Der Schmied kam sich plötzlich unglaublich verwundbar vor. Das Tageslicht verging jetzt rasch und er konnte bereits kaum mehr etwas unter den Schatten der Bäume erkennen. Ein Raubtier hätte dieses Problem nicht.

Etwas war da. Und was immer es war, es hielt sich ziemlich gut versteckt….

Leif machte vorsichtig einen Schritt rückwärts, während seine Hand zum Hammer an seinem Gürtel wanderte. Gab es in diesen Wäldern Bären oder Wölfe? Letztere machte ihm noch am wenigsten Sorgen. Die Tiere waren scheu genug auch einen einzelnen Menschen nur selten anzugreifen. Aber wenn er, ohne es zu wissen, in das Revier eines Bären geraten war, hatte er ein Problem….

Vorsichtig entfernte er sich rückwärtsgehend ein Stück. Als er glaubte, weit genug weg zu sein, drehte er sich um… und wurde von den Füßen gerissen.

Leif ruderte einen Moment mit den Armen, bevor er, sich überschlagend, ins Laub stürzte. Er rollte eine kleine Böschung hinab, während ihm die Waffe aus der Hand geschleudert wurde und kleinere Zweige sich in seinen Körper bohrten. Als sein kurzer Absturz schließlich zu einem Halt kam, sah er sich nervös um. Nichts rührte sich, wofür er allen Göttern still dankte. Wenn in diesem Moment ein Wolf oder etwas Ähnliches aus dem Dunkel getreten wäre, er hätte sich vermutlich nicht einmal mehr gewehrt.

Sein Blick wanderte von dem ihm umgebenden Wald, zu seinen Füßen.

Verflucht, wie hatte er so dämlich sein können? Die Fallen natürlich. Wenigstens wusste er jetzt, dass sie funktionierten, dachte er und grinste dabei düster. Die Schlinge hatte zugeschnappt und das hatte ihn das Gleichgewicht gekostet. Nach mehreren Versuchen gelang es ihm schließlich, den Knoten wieder zu lösen und er rappelte sich auf. Laub hatte sich in seiner Kleidung verfangen und er zupfte sich mehrere Blätter aus den Haaren.

Leif sah die kurze Böschung hinauf, die er heruntergefallen war… und erstarrte. Am Rand des kleinen Abgrunds stand eine, ihm nur zu vertraute Gestalt in grüner Waldkleidung, und sah zu ihm herab.

„Wie lange stehst Du schon da?“

Celani antwortet einen Moment nicht.

„Ich hatte Angst Du brichst Dir noch das Genick.“ Ihre Ohren waren aufgestellt und der Schweif fegte über den Waldboden, der mittlerweile schon freigefegt von Blättern war.

„Bessere Frage.“ Leif klopfte sich einige letzte Blätter aus der Kleidung.

„Wie lange folgst Du mir wieder und warum?“

Er konnte den Anflug von Wut in seiner Stimme nicht verbergen. Ein Teil von ihm wollte sich über den halben Herzinfarkt den sie zu verantworten hatte ärgern.

„Leif… Äh… können wir einfach reden?“

Der Schmied hatte nicht vorgehabt, sie so einfach davon kommen zu lassen. Der Teil von ihm, der meinte er wäre ohne sie sogar besser dran, riet ihm sogar dazu, sie einfach zu ignorieren. Bisher hatte ihm die Gejarn nichts als Ärger gebracht. Ärger war sogar noch untertrieben. Man hatte ihn fast getötet. Er konnte sich die nächsten Monate nicht mehr in seiner eigenem Heimat sehen lassen und….

Und eigentlich stimmte das alles. Aber es war auch so, dass er keine Ahnung hatte, was er tun sollte. Ohne Celani war er nur jemand, der durch die Gegend wanderte. Mit ihr hatte er wenigstens die Hoffnung, dass das alles nicht völlig umsonst war. Ob es ihm gefiel oder nicht, er brauchte sie.

Und ein unbestimmter, kleiner Teil von ihm freute sich, sie zu sehen, ein Teil der gar keine Fragen stellen wollte….

„Natürlich.“ Er kletterte das letzte Stück des Hangs hinauf und blieb neben ihr stehen.

„Nur bitte, mach so was nie wieder. Ich habe gedacht mich fällt jeden Moment irgendwas an.“

„Ich hab die ganze Zeit überlegt, ob ich einfach rauskommen soll. Ich dachte nicht wirklich, das du mich bemerkst….“

„Vielleicht bist Du nicht so gut, wie Du gedacht hast.“ Er machte eine Geste zurück in die Richtung, in der sein Lager sein musste.

„Also dann, wenn Du nichts dagegen hast, würde ich gerne erst mal nachsehen, ob sich was zum Abendessen findet. Und dann, kannst du mir erklären, was dich davon überzeugt hat, dass ich doch kein Prätorianer mehr bin.“

Celani nickte nur und ging schließlich voraus.

„Und pass auf. Ich hab hier einiges an Seilfallen verlegt. Nicht das es dir geht wie mir….“

Die Gejarn nickte. , “das habe ich gesehen.“

„Wie lange genau, bist Du schon wieder hier?“ Leif wunderte sich, dass er sie vorher nicht gehört hatte. Vielleicht war das eben wirklich nur ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit gewesen, ohne den, er sie nie bemerkt hätte.

„Ich… war nie weg.“

 

 

 

Den Rückweg zu Leifs Zeltplatz verbrachten sie schweigend. Leif war die Stille willkommen, gab es ihm doch Zeit, seine Gedanken wieder etwas zu ordnen. Celani war wieder da. Er konnte nichts anders, als sich insgeheim darüber zu freuen, auch wenn ein Teil von ihm ihr, nach wie vor, böse sein wollte. Sie hätte nur einen Moment nachdenken müssen, oder?

Allerdings… er wäre das Risiko wohl auch nicht eingegangen. Nicht in ihrer Situation. Ständig auf dieses verdammte Armband aufpassen zu müssen, musste einen ja nervös machen.

Leif stellte fest, dass er tatsächlich Glück gehabt hatte. In einer der ausgelegten Falle, hatte sich ein Kaninchen verfangen, dessen Leben er ein rasches Ende setzte.

„Kannst Du etwas Feuerholz sammeln?“ , fragte er an Celani gerichtet.

Die Gejarn nickte nur und machte sich daran, einige kleinere Holzstücke aufzulesen, über die sie stolperten. Bis der kleine Hain aus Fichten wieder in Sicht kam, trugen sowohl Leif als auch Celani einen Arm voll Holz, der wohl eine ganze Weile reichen sollte.

Hungern würden sie heute Abend nicht, genau so wenig wie frieren. Leif hatte rasch ein Feuer entzündet und den gefangenen Hasen mit einem Messer ausgenommen. Es bereitete ihm etwas Schwierigkeiten, wegen den Splittern in seiner Hand, aber nach einigen versuchen, hatte er den Bogen raus. Kornelius hatte immer gemeint, er lerne schnell sich anzupassen. Vielleicht schneller, als gut für ihn war. Er hätte viel früher daran denken müssen. Nun machte sich bereits das unangenehme Pochen einer beginnenden Entzündung in den vielen oberflächlichen Kratzern bemerkbar.

„Was ist eigentlich passiert?“

Leif zuckte mit den Schultern.

„Ein Pfahl hat Bekanntschaft mit meiner Faust gemacht.“ Seine Stimme war leiser geworden, während er sprach. Der kurze Ausbruch war ihm unangenehm, ob ihn jemand gesehen hatte, oder nicht. Das war die Seite von ihm, die er begraben hatte. Mit sicheren Bewegungen häutete er den Hasen und legte ihn an einem Spieß, über die mittlerweile hoch auflodernden Flammen.

„Ich muss mich wohl entschuldigen.“ , meinte Celani, während sie warteten, das ihr Essen gar wurde. Die Gejarn hatte sich ein Stück neben ihm niedergelassen und starrte in die Flammen. Oder beobachtete aufmerksamst, wie der Hase langsam anbriet.

Leif konnte sich nicht überwinden, etwas anderes zu behaupten.

„Das wäre nicht verkehrt.“

„Ich habe schlicht überreagiert.“

„Das könnte man so nennen.“

„Mir ist ziemlich schnell klar geworden wie… dumm das war. Du bist kein Prätorianer. Wenn Du auf der Seite des Kaisers wärst, hättest Du mich längst getötet und Dir einfach die/ Träne genommen. Also bin ich Dir gefolgt….“

Leif seufzte. Diese Erkenntnis kam leider trotz allem zu spät.

„Warum bist Du nicht sofort zurückgekommen?“

„Ich hab Dich angegriffen. Und eine Weile hatte ich wohl einfach Angst oder….“

„Du hast Dich geschämt.“

Celani nickte. „Das war es wohl.“

„Ich… äh... ich habe Dir aber nicht wehgetan oder? Das würde mir nämlich leidtun.“

„Nicht wirklich.“ Sie grinste breit. „Für jemanden, der ein Schmied sein will, kannst Du erstaunlich sanft zupacken.“

„Sicher… Das muss ich mir von der Waldläuferin, die über Wurzeln stolpert sagen lassen.“

Ihre Antwort war ein sanfter Knuff gegen seine Schulter.

„Aber kannst Du mir erklären, wer Du bist? Diese Tätowierung ist das Symbol des Kaisers. Das Gleiche, das alle Prätorianer tragen. Nur… ich habe es noch nie im Gesicht gesehen.“

Leif zögerte die Antwort hinaus. Stattdessen nahm er den Spieß mit dem Kaninchen vom Feuer und schnitt das Fleisch in Streifen. Mangels Besteck würde ihnen nur übrig bleiben, mit den Händen zu essen, aber Celani hatte damit ja ohnehin keine Probleme. Vielleicht war es das, was Kornelius gemeint hatte.

„Ich war einmal ein Prätorianer. Das ist mittlerweile acht Jahre her. Und ich hatte meine Gründe, ihnen den Rücken zu kehren. Ich bin nicht mehr eingeschworen, obwohl nur die wenigsten der Prätorianer jemals ihren Posten an den Nagel hängten. Es gibt nicht mal mehr viele Aufzeichnungen über mich, in den Archiven Varas und der fliegenden Stadt. Es wurde alles zerstört.“

Er schlug etwa die Hälfte des zerlegten Hasen in ein Tuch ein und reichte ihr den Rest.

„Wer kann etwas aus den kaiserlichen Archiven entfernen? Selbst bei den Wildlandclans ist die Bürokratie des Kaiserreichs berüchtigt….“

„Ich selbst war das. Es stimmt auch. Für einen Außenstehenden ist es unmöglich, ohne kaiserliche Erlaubnis die Archive auch nur zu betreten. Glücklicherweise brauchte ich die nicht.“

„Also können alle Prätorianer, in den Bibliotheken, ein und ausgehen wie sie wollen?“, fragte Celani zwischen zwei Bissen.

„Nein.“

„Was heißt nein? Du bist am Ende eingebrochen?“

  1. lachte nervös. Das war der Teil, den sie ihm entweder nicht glauben würde… oder der sie dazu bringen konnte, sich doch dazu zu entscheiden, ihren Weg lieber alleine fortzusetzen.

„Ich war nicht irgendjemand, sondern Kommandant der Leibgarde des Kaisers. Auch wenn ich ihn vielleicht einmal, in den ganzen Jahren, gesehen habe. Die meiste Zeit war sein innerer Kreis damit beschäftigt… wie soll ich es nennen… Staatsfeinde zu finden und den Rest kannst du dir denken, vermute ich.“

„Das ist… Du warst ihr Anführer? Es gibt nicht zufällig noch etwas, das ich wissen sollte?“

„Nichts, das ich einfach so erzählen würde. Aber ich war gut in dem was ich tat. Sie nannten mich den Drachen des Kaisers. Ein Name, den ich mir verdient hatte.“

„Aber jetzt nicht mehr ?“

„Nein, ich habe keinerlei Sympathie, weder für das Kaiserreich, noch für Belfare was das angeht. Ich habe das alles lange hinter mir gelassen und ich habe meine Gründe. Das einzige was ich von meiner Vergangenheit nicht auslöschen kann, sind die Tätowierung und meine Erinnerungen.“

„Das ist… ein bisschen viel auf einmal.“

„Sagt die Gejarn, die mit einer Träne Falamirs, durch halb Canton läuft.“

„Und wir hatten beide unsere Gründe, das für uns zu behalten, oder?“

„Die hatten wir, Celani. Ich sage es ja ungern, aber wir müssen uns aufeinander verlassen können. Ab jetzt keine Geheimnisse mehr, die wichtig sein könnten. Und mit wichtig meine ich alles, was mein oder Dein Leben unfreiwillig verkürzen könnte. Einverstanden ?“

Celani nickte.

„Wie Du selbst sagst. Wir werden uns einfach aufeinander verlassen müssen.“ Einen Moment fürchtete Leif, sie könnte fragen, was ihn bewogen hatte, den Prätorianern den Rücken zu kehren. Irgendwie hatte er sich durch diese Abmachung selbst in die Enge getrieben. Aber Celani fragte nicht.

„Ich habe auch nachgedacht, wie es von hier aus weiter geht.“, fuhr der Schmied fort, während er ein paar verbliebene Holzsplitter aus seiner Hand zog. „Du würdest es zu Fuß in den Süden schaffen, oder?“

Die Gejarn nickte.

„Wenn man mich vorher nicht erwischt, auf jeden Fall.“

„Das Problem ist, ich aber nicht.“, erklärte Leif. „Und wir können nicht ewig so weitermachen. Kornelius Vorräte reichen nicht ewig, ich habe kein Geld, und zu Fuß brauchst du mit mir im Schlepptau Monate, bis zur Küste.“

„Du schlägst vor, das wir uns irgendjemanden anschließen?“

Leif antwortete nicht sofort, sondern entfernte seelenruhig einen weiteren Splitter mit der Messerklinge. Das Holzstück hatte sich ein Stück über dem Handgelenk eingegraben und ließ sich nur durch einen kurzen Schnitt herausziehen.

„Sicher, dass Du weißt, was Du tust ?“ Celani sah sich seine laienhaften Versuche, sich zu verarzten, mit skeptischer Mine an.

„Nein, aber es kann auch kaum schaden.“, meinte er. „Ist sowieso schon zu spät, vermute ich.“

„Lass mal sehen.“ Celani streckte die Hand aus. Leif legte das Messer beiseite und ließ sie gewähren.

„Also, was hast Du jetzt geplant?“, wollte die Gejarn wissen.

„Das Geisterdorf, Du erinnerst dich? Es muss mittlerweile tausende ähnlicher Ortschaften geben. Die Menschen wollen alle nach Süden, selbst einige der Clans verlegen ihre Wanderrouten weg von den Kämpfen, obwohl sie neutral sind. Bisher haben wir uns auf den weniger wichtigen Straßen gehalten, aber wenn wir uns den Händlerwegen nähern, müssen wir irgendwann auf eine Flüchtlingskarawane stoßen. Wir sollten versuchen eine zu finden und… einfach mitlaufen.“

Celani schien von der Idee nicht zu begeistert.

„Das wird uns aber noch langsamer machen.“

„Vielleicht, gleichzeitig wird es aber auch jeden davon abhalten, näher hinzuschauen. Du bist nicht grade unauffällig und nicht alle bei der kaiserlichen Garde, werden mein Gesicht vergessen haben. Aber in einem ganzen Strom Leute, fallen wir hoffentlich nicht mehr auf. Und mit etwas Glück….“

Leif stockte, als er etwas Warmes an seiner Hand spürte. Es dauerte eine Weile, bis er das Gefühl richtig zugeordnet hatte.

„Hey.“ Er zog den Arm zurück.

„Lass das….“

Aus irgendeinem Grund leckte Celani über die Schnitte auf seinem Handrücken. Die Gejarn schreckte auf.

„Entschuldige… glaube ich. Manchmal gewinnen meine Instinkte die Oberhand. Ich wusste nicht, das….“

Leif strich sich durch die Haare. So langsam verstand er, was Kornelius gemeint haben musste.

„Nein schon in Ordnung. Ich war nur… überrascht.“ Trotzdem stand er vom Feuer auf. Die Flammen waren mittlerweile zu wenig mehr als Glut zerfallen.

„Aber wir sollten morgen früh los.“, fügte er hinzu.

„Ich glaube nicht, dass wir heute ein Zelt brauchen. Es hat die letzten Tage schon nicht geregnet.“

Und Leif hatte wenig Lust jetzt noch eine Stunde damit zu verbringen, zwei Planen aufzuspannen. Selbst wenn es regnete, die Blätter würden das schlimmste schon abhalten.

Die Gejarn nickte nur, blieb aber an ihrem Platz am Feuer.

Leif seufzte.

„Und bleib nicht wieder die halbe Nacht wach. Ich kann auch eine Wache übernehmen, wenn Du glaubst, wir brauchen eine…. “

Er konnte im Dunkeln nur sehen, wie Celani den Kopf ruckartig in seine Richtung drehte.

„Keine Geheimnisse, wie ?“

„Ich weiß nicht, ob Gejarn unter Schlafentzug leiden können, aber ich kippe nach spätestens drei Tagen ohne Schlaf einfach um. Und ich würde dich ungern tragen müssen. Also, soll ich eine Wache übernehmen?“

Celani zögerte.

„Es ist nicht so wichtig….“

„Das heißt ja. Ich würde vermutlich auch immer ein Auge offen haben, wenn ich Du wäre. Also dann. Nachtwache. Langsam komme ich mir wirklich wieder vor, wie bei der Armee.“

„Als Hauptmann der Prätorianer ?“

Leif schmunzelte.

„Verlange niemals etwas von deinen Leuten, das Du noch nicht selbst gemacht hast.“ Er warf wieder einige Stücke Holz auf die ersterbenden Flammen.

„Ich übernehme die erste Wache und wecke Dich dann, einverstanden?“

Sie nickte.

„Aber wage es nicht, mich deshalb nicht zu wecken.“ Der Schmied lachte kurz.

„Keine Sorge, nach heute brauch ich selber jede Stunde Schlaf, die ich bekommen kann.“

 

Damit war es also entschieden. Leif packte sich neben einer schweren Decke, einen ihrer Rucksäcke und trat durch die Fichten hindurch, die ihr provisorisches Lager umgaben. Es wäre wohl am besten, wenn er die Straße im Auge behielt. Solange das Feuer brannte, würde es wohl sämtliche Wildtiere abhalten. Aber die größte Bedrohung ging für sie auch nicht von streunenden Wölfen oder ähnlichem aus. Den Hammer griffbereit neben seinem Fuß, setzte er sich an den Stamm einer der Bäume und starrte ins Dunkel. Um wenigstens etwas zu tun zu haben, begann er den Rucksack auszuräumen um endlich Gewissheit darüber zu bekommen, wie viel ihnen blieb. Die Ausbeute war, bis auf eine Kleinigkeit, recht ernüchternd.

Zwei Laib Brot, ein paar Streifen Trockenfleisch, eine noch volle Metallflasche mit sauberem Wasser. Das war so ziemlich das einzige, an dem es ihnen so schnell nicht mangeln würde, dachte er. Über Bäche und Flüsse stolperte man hier alle paar Wegstunden. Aber wie würde das weiter im Süden aussehen? Seine Gedanken wurden durch den letzten Gegenstand unterbrochen, den er aus dem Rucksack zog. Ein kleiner Lederbeutel, fest mit einer Schnur verschlossen. Was war das denn?

Neugierig geworden, trennte der Schmied das kleine Band auf, das den Behälter verschloss und musste unwillkürlich grinsen, als er den Inhalt sah. Tabak und eine Pfeife.

Verrückter, alter Mann, dachte er kopfschüttelnd. Den hatte Kornelius sicher eher für sich selbst eingepackt. Götter er vermisste ihn schon jetzt.

„Ich habe wirklich keine Ahnung, was ich tun soll.“, murmelte er.

„Und ich hatte, ehrlich gesagt, nicht mehr gedacht, dass ich mich noch mal in so eine/ Situation wiederfinden würde. Aber wir schaffen es irgendwie, alter Freund.“ Leif spähte zwischen den Tannenzweigen zurück in Richtung ihres Lagers. Wo Celani hoffentlich endlich schlief.

„Wenn nicht für mich… dann für sie.“

Leif war als könnte er schon fast die spöttische Erwiderung des Alten auf diese Worte hören.

 

 

 

 

 

Kapitel 17

Die Flüchtlinge

 

 

 

 

 

Celani wurde von einem Geruch geweckt, den sie zuerst nicht richtig einordnen konnte. Als sie die Augen aufschlug, blendete sie die Sonne kurz. Auch wenn das Licht durch die Blätter gedämpft wurde, musste sie ein paar Mal blinzeln, bevor sie ihre Umgebung erkennen konnte. Die Gejarn setzte sich auf und sah sich um. Rauch tanzte über dem mittlerweile völlig heruntergebrannten Feuer. Und genau das lag auch in der Luft. Rauch. Rauch und Asche, aber nicht von Holz.

Seltsam, seit wann konnte sie einen Geruch nicht einordnen? Celani schüttelte die Decken ab, auf denen sich Tau gesammelt hatte und stand auf.- Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie einmal eine ganze Nacht durchgeschlafen hatte.

Aber… verflucht, das hieß Leif hatte sie doch absichtlich verschlafen lassen. Sie ließ den Blick zu den umliegenden Bäumen wandern, konnte den Schmied… oder den Prätorianer aber nirgendwo entdecken. Was war er jetzt eigentlich? Celani zögerte davor, sich diese Frage zu beantworten. Ein gefährlicher Mann. Ein Freund.

„Der Kerl, der keine zweite erste Wache bekommt.“, murmelte sie und trat schließlich unter den Bäumen hervor um Leif zu suchen.

Dieser, saß scheinbar entspannt, an einen der Bäume gelehnt und hielt die Straße im Auge. Eine brennende Pfeife in der Hand und einen halb leeren Beutel Tabak auf dem Schoß.

„Morgen.“ , meinte er und klang trotz seiner alleinigen Nachtwache kaum verschlafen oder müde.

Wenigstens wusste sie jetzt, woher der ungewohnte Geruch gekommen war.

„Du wolltest mich wecken.“ , erklärte die Gejarn vorwurfsvoll.

„Ich war… etwas in Gedanken, glaube ich. Und ich habe darüber die Zeit vergessen. Es hätte nichts mehr gebracht, Dich für die paar Stunden aus dem Schlaf zu reißen.“ Leif klopfte die Pfeife aus und verstaute sie wieder in dem Rucksack, den er bei sich hatte.

„Ich hab gestern die Vorräte überprüft. Also zum Frühstück steht zur Verfügung: Wahlweise Räucherspeck mit Brot oder Brot mit Räucherspeck.“

 

Sie entschieden sich, sofort aufzubrechen und auf dem Weg zu essen. Während sie die Wälder abermals hinter sich ließen, hielt Leif nach Abzweigungen Ausschau, die sie in die belebteren Gebiete der Herzlande bringen würden. Canton gliederte sich, dank seiner Größe, in die unterschiedlichsten Klimazonen, aber Leif selbst fand es hier, im Zentrum des Kontinents, noch am angenehmsten. Im Norden warteten steile Berge und eine endlose Landschaft aus Eis… und weiter im Süden Steppen, die weiter im Unbekannten zu gewaltigen Wüstengebieten ausliefen. Und im Osten und Westen lag das Meer, das bisher noch keiner überquert hatte. Bis auf die Zwerge, die einst über das Wasser geflohen waren, wenn man den Legenden glauben durfte.

Celani kaute derweil skeptisch auf einem Stück Brot herum.

„Ich versteh nach wie vor nicht, wieso ihr Menschen, alles so kompliziert zubereiten müsst.“

„Muss man nicht, schmeckt aber besser.“ , erklärte der Schmied mit halbvollem Mund.

„Oder vielleicht haben wir uns mittlerweile einfach daran gewöhnt.“, fügte er nachdenklich hinzu.

„Was hat der erste Mensch gedacht, als er Fleisch briet?“

„Das gleiche, wie der verzweifelte oder kranke Kerl, der auf die Idee kam, dass man Kuhmilch trinken kann.“

„Milch wäre um Längen besser, als trockenes Brot.“

Leif schmunzelte.

„Warum wusste ich das schon?“

Ihr Weg führte sie aus den Wäldern heraus, zu einem Tal, in dem verstreute Seen lagen. Der Pfad dem sie gefolgt waren, zog sich in Serpentinen die Hügel hinab, und zwischen den stillen Wasserflächen hindurch. Und zwischen den Teichen konnte Leif noch etwas anderes erkennen. Das graue Band einer gepflasterten Straße. Das Steinwerk durchzog das Land, soweit Leif sehen konnte, und verschwand in beide Richtungen in der Ferne. Sie waren an einem der großen Handelswege angekommen, die das Kaiserreich wie ein Netz durchzogen. Damit hätten sie die erste Hürde schon einmal genommen, dachte er, während sie sich wieder auf den Weg machten.

Erst aus der Nähe wurden einem die Ausmaße der großen Handelsstraßen bewusst. Leif schätzte, dass zwei große Ochsenkarren ohne Probleme nebeneinander Platz gefunden hätten und links und rechts noch Platz für ein Dutzend Reisender bliebe. Es war eine Weile her, dass er auf diesen Wegen gereist war. Selbst als er noch im Dienst des Kaisers stand, hatten die Prätorianer oft verborgene Pfade bevorzugt. Sie reisten abseits der üblichen Heeresrouten und in kleinen Gruppen und waren so meist schneller, als die gewöhnlichen Soldaten. Schneller und nur einem Herren unterstellt.

„All die Steine, die man für ein paar Meilen Straße braucht…“ Celani war von dem Weg, den sie nun folgten, offenbar nicht weniger beeindruckt.

„Und vergiss nicht, die muss auch jemand alle noch verlegen, befestigen und bei Bedarf auch austauschen.“

„Ihr Menschen seid wirklich verrückt. Das dauert doch ewig.“

Leif schüttelte den Kopf.

„Die Straßen selbst halten dafür auch eine Ewigkeit. Ich habe einmal gesehen, wie eine gebaut wird. Teilweise arbeiten zweihundert Menschen gleichzeitig daran. Während eine Gruppe Erde abträgt, macht die andere Messungen und wieder andere schaffen schon Füllmaterial herbei. Und eine vierte trägt das Pflaster auf, wenn der Rest weiterzieht. Arbeitsteilung. Wenn das Kaiserreich eins ist, dann effizient. Sonst hätte Simon Belfare es wohl auch schon bezwungen.“

Sie waren der neuen Handelsstraße noch keine zwei Stunden gefolgt, als sie auf einen höchst ungewöhnlichen Anblick stießen. Leif hatte ja damit gerechnet, früher oder später auf einige Flüchtlinge zu treffen. Was sie dann aber fanden überraschte ihn.

Celani war vorausgegangen und hatte grade einen kleinen Hügel erklettert, als die Gejarn plötzlich stehenblieb und sich zu ihm umdrehte.

„Sie Dir das an.“

Leif beschleunigte seine Schritte um zu ihr aufzuschließen und konnte schließlich auch sehen, was sie dazu veranlasst hatte, anzuhalten.

Die Straße vor ihnen war blockiert. Der Schmied zählte Dutzende Wagen, die hintereinander auf dem Pflaster standen und sich nicht mehr vom Fleck bewegten. Der Schmied konnte nicht sagen, dass er jemals derart viele auf einem Haufen gesehen hatte.

Die verschiedenen Zugtiere, Ochsen und Pferde, schnaubten, als spürten sie schon, dass etwas nicht stimmte. Und dann waren da die Menschen. Manche liefen neben den ärmeren Karren her, andere saßen auf einfachen Zugwagen mit ihren Habseligkeiten und manche schienen nur zu Fuß oder zu Pferd unterwegs.

Leif bedeutete Celani ihm zu folgen und lief rasch den Hügel hinab. Aus der stehenden Karawane löste sich rasch eine dreiköpfige Gruppe, die ihnen entgegenkam. Ein ziemlich bunter Haufen, wie Leif feststellte. Zwei Männer und eine Frau mit auffälligem rotem Haar. Bewaffnet war nur einer ihrer zwei Begleiter. Der erste trug nur eine seltsam anmutende, schwarze Robe, die ihm ein Stück zu lang schien. Der Stoff schleifte hinter ihm am Boden und war schon deutlich abgewetzt.

Der zweite Mann trug dafür ein Schwert und einen groben Nietenpanzer. Der Schmied hob rasch die Hand zum Gruß um den Drei zu bedeuten, dass sie keine Bedrohung darstellten.

„Willkommen, sofern in diesem Land noch irgendjemand willkommen ist. Darf man erfahren, wer Ihr seid?“, wollte der Schwertträger wissen, sobald sie in Hörreichweite waren.

Er klang nicht unfreundlich, sah aber auch nicht wirklich wie ein erfahrener Kämpfer aus, wie Leif mit einem kurzen Blick feststellte. Die wenigen Haare, die ihm auf seinen Kopf blieben, waren an den Ansätzen ergraut und seinen Armen schien die Kraft zu fehlen, die ein lang geübter Umgang mit Waffen mit sich brachte.

„Mein Name ist Leif. Leif aus Goldbrück.“

„Celani.“ , stellte sich die Gejarn vor.

„Ein Gejarn und ein Mensch, die zusammen reisen. Hätte nicht gedacht, das ich das mal sehe. Aber es sind wohl auch ungewöhnliche Zeiten. Selbst bei uns haben sich ein paar Clan-Flüchtlinge eingefunden. Ich bin Ruben. Meines Zeichens Taugenichts, wie Erik sagen würde Und das hier sind Sandria.“ Er deutete auf die rothaarige Frau,

„und unser aller Sorgenkind Lewyn.“ Bei diesen Worten breitete sich ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht aus.

Der Robenträger nickte nur. Soweit Leif das erkennen konnte, war der Mann noch jung, vielleicht knapp zwanzig, hatte aber bereits einen breiten, grauen Haarstreifen.

Celani spähte über die Köpfe der Gruppe hinweg zu den nach wie vor stehenden Karren.

„Darf ich fragen, warum Ihr hier wartet?“

„Das wüsste ich auch gerne.“, meinte die rothaarige Frau, die Ruben als Sandria vorgestellt hatte. Leif fiel sofort ihre Stimme auf. Ein seltsam melodischer Singsang lag darin.

„Eben sind wir noch unterwegs und im nächsten Augenblick taucht die kaiserliche Garde wie aus dem Nichts auf und hält uns an. “

„V…vielleicht...“ , setzte der Junge in der schwarzen Robe an.

Ruben legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Lewyn, wären die hinter Dir her, würden sie nicht lange fackeln. Erik bekommt das hin.“

Der Schmied horchte auf. Das war jetzt das zweite Mal, dass dieser Name erwähnt wurde.

„Wer ist dieser Erik?“

„Man könnte ihn unseren Anführer nennen, glaube ich. Oder zumindest sowas in der Richtung.“ , fügte Ruben murmelnd hinzu.

„Erik Flemming. Der bei weitem verrückteste Kerl, der mir je untergekommen ist.“, erklärte Sandria kühl. „Er ist irgendwo weiter vorne und unterhält sich mit den Gardisten, wenn Ihr euch selber davon überzeugen wollt.“

„Das werden wir vielleicht sogar müssen.“, antwortete Leif.

„Wenn Celani einverstanden ist, würden wir uns Euch gerne anschließen.“

„Noch zwei Mäuler mehr zum durchfüttern.“, seufzte Ruben. „Es tut mir leid, aber, wenn Ihr nur hier seid um….“

Leif unterbrach ihn sofort.

„Ich hatte nicht geplant, mich nur mitschleppen zu lassen. Zufällig bin ich Schmied. Ich könnte mir beispielsweise das Schwert, das Ihr da tragt, mal ansehen. Nehmt Ihr uns mit, komme ich durchaus für meine Unkosten auf.“

„Auch wenn ich Euer Angebot schätze, das liegt nicht bei mir. Oder nicht bei mir alleine. Wenn Ihr Erik überzeugen könnt, soll es mir aber recht sein… Leif?“

„Richtig. Ihr habt gesagt, den finden wir weiter vorne?“

„Einfach den wütenden Flüchen folgen.“, wies Ruben sie an.„Ihr könnt ihn praktisch nicht übersehen… oder überhören.“

„Danke.“ Leif nickte dem Mann kurz zu, bevor er und Celani sich wieder auf den Weg machten, vorbei an der Schlange aus Kutschen, Wagen und Handkarren und den Menschen, die ihnen neugierig hinterher sahen.

„Hältst Du das wirklich für eine gute Idee?“, wollte die Gejarn wissen.

Er antwortete nicht sofort. Götter, so viele Leute… das Ende der Karawane war noch lange nicht in Sicht und schon schätzte Leif, dass hier mindestens zweihundert Menschen sein mussten. Und nicht nur Menschen. Ruben hatte ja bereits erwähnt, dass sich auch einige Gejarn darunter befanden. Es waren nicht viele, aber Leif zählte ein gutes Dutzend Gejarn.

„Es ist die einzige Idee, die ich habe.“, gab er schließlich zu.

„Lass uns erst einmal abwarten, was hier überhaupt los ist.“

„Wenn Soldaten des Kaisers hier sind….“

„Ich glaube nicht, dass man nach uns sucht. Oder, sicher wird man nach uns suchen, aber niemand hat uns bisher gesehen, oder?“

„Nein. Es gefällt mir nur trotzdem nicht.“

Leif konnte das nachvollziehen, doch… sie konnten diese Chance schlecht verpassen.

„Etwas Vertrauen. Wir reden erst mal mit diesem Flemming und wenn Du dann immer noch weg willst, suchen wir eine andere Möglichkeit, nach Süden zu kommen.“

Er konnte sich wohl hoffentlich auf Celanis Instinkte verlassen, wenn es darum ging, jemanden einzuschätzen. Wobei das bei ihm ja nicht funktioniert hatte. Oder doch richtig? Sie wusste immer noch nur die Hälfte. Der Rest ging aber auch niemanden etwas an. Bevor sie sehr viel weiter gegangen waren, bewahrheitete sich Rubens Warnung. Eine laute Stimme drang schon von Weitem bis zu ihnen, auch wenn Leif keine einzelnen Worte verstehen konnte. Der Schmied beschleunigte seine Schritte, vorbei an weiteren endlosen Reihen aus Wagen. Bis er endlich das Ende der Schlange sehen konnte.

Und schließlich stießen sie so auf die Ursache für den Halt der Karawane. Eine einzelne Gestalt, die auf eine achtköpfige Gruppe bewaffneter Gardisten einredete. Die Soldaten des Kaisers schienen sich von den Worten des Mannes kaum beeindrucken zu lassen.

Leif blieb stehen, genau wie Celani. Was immer hier vorging, er wollte lieber nicht zwischen die Fronten geraten. Nicht, solange es sich vermeiden ließ.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 18

Erik

 

 

 

 

 

Sieben der kaiserlichen Soldaten hielten sich eher im Hintergrund. Offenbar waren sie nicht mehr wie ein einfacher Trupp, den man ausschickte um Nachrichten zu überbringen oder Steuern einzutreiben. Leif hatte jedoch das ungute Gefühl, das es hier um keines von Beiden ging. Der Achte jedoch hatte sich vor dem einzelnen Mann aufgebaut. Ein kurzer Schulterumhang in roter Farbe, zeichnete ihn als Höherrangigen Gardisten aus. Vielleicht ein einfacher Hauptmann. Schwer bewaffnet waren sie nicht. Der Hauptmann trug nur einen leichten Rapier, während seine Begleiter zum Teil mit Arkebusen, die anderen mit Schwertern und kleinen Stahlschilden ausgerüstet waren. Ihre Panzer zeigten das vertraute Drachenemblem entweder in Silber oder Weiß.

Den Mann, den sie in einem Halbkreis praktisch umstellt hatten, beeindruckte das jedoch kaum, denn der polterte munter weiter. Leif schätzte, dass er nicht viel älter als Lewyn sein konnte, dem sie vorhin begegnet waren. Möglicherweise war er sogar jünger, aber das schien nach Rubens Behauptung kaum Sinn zu machen.

Eine Mähne aus braunem Haar umgab denn Kopf des Fremden und in seinen Augen blitzte etwas. Schalk mit einer Spur Wahnsinn… der Moment, in dem der Mann ihm kurz den Kopf zudrehte, um sich dann wieder den Gardisten zuwendete, war einer der wenigen, bei dem es Leif eiskalt den Rücken hinab lief.

Der Fremde trug einen blauen Gehrock, der ihm bis über die Knie fiel und war mit zwei Radschlosspistolen bewaffnet. Die Feuerwaffen hingen in einem offenbar selbstgemachten Halfter an seiner linken Körperseite. Und eine Hand hatte der Mann auf einen der Griffe abgestützt, offenbar durchaus bereit, sie zu benutzen.

„Ein letztes Mal.“, setzte der Hauptmann an.„Geht zurück nach Norden. Es ist sicher.“

„Sicher ? Seit die Erdwacht gefallen ist, ist gar nichts mehr sicher, egal was Euer aufgeblasener Kaiser sagt.“, erwiderte der in blau gekleidete Fremde.

„Ich fordere Euch auf, diese Leute, sofort, zurück nach Norden zu bringen. Ihr ignoriert einen offiziellen kaiserlichen Beschluss. Niemand verlässt mehr seine Heimat. Wir brauchen alles hier intakt.“

„Ach ? Wenn Euer Kaiser meint, es sei ach so sicher hier, warum kommt er dann nicht selber her und sagt mir das? Soll er erst mal aufhören sich in der fliegenden Stadt zu verstecken.“

„Ihr…“ der Hauptmann griff zum Schwert, während die zweite Hand des anderen Mannes nun ebenfalls zu den Pistolen wanderte.

„Ich.“, knurrte er zurück.

Leif konnte die Spannung in der Luft geradezu schmecken. Er spürte, wie Celani an seinem Arm zog. Das war nicht ihr Kampf. Das war nicht ihr Problem. Sie sollten einfach weitergehen….

Der Schmied zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Die Situation war kurz davor zu eskalieren, und wenn Leifs Gefühl Recht hatte, würde das in einem Massaker an den Flüchtlingen enden.

Er spürte Wut in sich hochkochen. Nicht noch mehr Tote. Das endete hier.

Der Hauptmann zog das Schwert. Im selben Augenblick war Leif auch schon heran. Der völlig überraschte Soldat kam grade noch dazu, den Kopf in seine Richtung zu drehen, bevor er ihm die Klinge aus der Hand prellte.

Der Fremde mit dem blauen Mantel hatte die Pistolen gezogen, aber Leif packte seine Hände und riss diese damit zu Boden. Zwei Schüsse lösten sich, die harmlos im Erdreich verschwanden.

Einen Herzschlag später nahm der Schmied eine Bewegung hinter sich wahr. Einen Herzschlag zu spät, für den zweiten Kämpfer, der sich grade erst in Bewegung setzte.

Leif war müde. Er war aus der Übung. Er war eigentlich am Ende. Und doch packte ihn ein allzu vertrautes Gefühl, das er hasste und gleichzeitig herbeisehnte. Der einsetzende Adrenalinstoß ließ ihn alles um sich plötzlich viel klares Wahrnehmen. Und schneller wie ein Rekrut in voller Panzerung war er allemal.

Er sprang beiseite und ließ den Angriff ins Leere laufen. Als der vorstürmende Kämpfer auf gleicher Höhe mit ihm war, rammte er ihm den Ellenbogen ins Gesicht. Dem Mann glitt das Schwert aus der Hand und er stolperte zurück, während Leif auf den entwaffneten Hauptmann zutrat.

Er hatte den Gardisten gepackt, bevor dieser reagieren konnte… und wirbelte ihn herum, so dass er mit dem Rücken zu seinen Leuten stand. Das würde diese hoffentlich davon abhalten, weitere Dummheiten zu versuchen. Dann ließ Leif den Hauptmann los.

„Seid Ihr völlig verrückt geworden?“, fragte er den Mann, der ihn nur verdutzt ansah, offenbar überrascht, dass er nicht einfach ein Messer zwischen die Rippen bekam.

Leif stieß den Soldaten zurück, trat aber gleichzeitig sein Schwert außer Reichweite.

„Wer bei allen Göttern seid Ihr?“ Der Anführer der Truppe schien ungehalten, aber wenigstens war er nicht dumm genug, noch etwas zu versuchen.

„Ich habe zuerst gefragt. Wenn Ihr sie zurück schickt, wie viele werden sterben? Und wenn sie nicht auf Euch hören, wie viele werdet Ihr töten? Soll das Blut all dieser Leute wirklich an Euren Händen kleben?“ Stille senkte sich über die kleine Gruppe, bestehend aus dem Schmied, Celani, dem blaugewandeten Fremden und den acht Soldaten. Leif fürchtete kurz, seine Worte würden keine Wirkung zeigen. Das der Hauptmann wider besseren Wissens auf seinen Befehlen beharren würde. Einen Moment verhärtete sich die Mine seines Gegenübers… dann sah er zu Boden.

„Nein.“ Er drehte den Kopf und bedeutete seinen Leuten die Waffen zu senken. „Aber ich habe meine Befehle.“

Leif flüsterte seine nächsten Worte, so dass sie niemand, außer den beiden, hörte. Und vielleicht Celani, aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.

„Es geht hier aber nicht um Eure Befehle. Es geht hier um Eure alleinige Entscheidung. Eure Leute werden erzählen, was ihr Ihnen sagt, wenn Ihr euren Posten auch nur halb verdient. Aber wenn Ihr Euch entscheidet, weiter Euren Befehlen zu folgen, dann seid Euch sicher, dass Ihr der erste seid, der heute stirbt. Und wenn Ihr jetzt wegrennt, ebenfalls.“

Der Gardist nickte, eine Spur von Angst in seinem Gesicht. Dann drehte er sich zu seinen Leuten um.

„Wir ziehen ab.“

„Aber…“, setzte der Mann an, dem Leif die Nase gebrochen hatte.

„Ich sagte wir ziehen ab.“, schrie der Gardist den Mann an.

Leif sah ihnen erleichtert nach, als die acht Soldaten endlich gingen. Einer nach den anderen, verschwanden die Gestalten zu ihren Pferden, die sie am Straßenrand angebunden hatten, stiegen auf… und verschwanden in einer Staubfontäne, das Pflaster hinab. Nach Süden.

„Das war… mutig.“, meinte Celani unsicher.

Leif wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Danke. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, dass das funktioniert.“

„Und unglaublich dämlich.“, fügte die Gejarn vorwurfsvoll hinzu.

Leif lachte lauthals. „Ja, das auch.“

Das sich jemand hinter ihm lautstark räusperte, brachte ihm erst wieder zu Bewusstsein, weshalb sie hier waren.

Der Mann, der sich zuvor mit den Gardisten gestritten hatte, stand scheinbar entspannt da, und wartete, bis sich die beiden zu ihm umgedreht hatten.

„Ich schätze, ich bin Euch zu Dank verpflichtet.“, meinte er und streckte ihnen die Hand hin. „Darf ich erfahren, wem ich danken kann.“

„Das war nichts.“, antwortete Leif. „Und mein Name ist Leif. Das ist Celani.“

Der blaugewandete Fremde nickte nur, als Leif sich vorstellte, aber seine Augen verengten sich einen Moment misstrauisch, als sein Blick bei Celani hängen blieb. Und einen Moment zu lange bei dem Silberband an ihrem Arm verweilte.

„Nicht von hier, oder ?“

„Warum weiß das immer jeder gleich?“

„Es fällt nur jemanden auf, der die Clans in der Gegend kennt. Hier gibt’s keine Luchse. Der letzte Clan wurde schon vor Jahrzehnten ausgelöscht.“

„Und Ihr seid?“

„Flemming. Erik. Genau wie der leider, oder glücklicherweise, verstorbene Gefährte Simon Belfares. Das kommt darauf an, wen man fragt. Keine Sorge, viel habe ich mit dem nicht zu tun. Wandernder Arzt, Gelehrter der Bibliothek Varas und in der Freizeit Abenteurer. Und seit neuestem: Kriegsflüchtling.“

„Ihr führt diese Leute an?“ , wollte Celani wissen.

„Mehr oder weniger.“, erwiderte Erik und öffnete eine kleine Ledertasche, die er an seinem Gürtel trug. Mit wenigen Handgriffen hatte er eine Pfeife zu Tage gefördert, gestopft und angezündet.

„Nachdem es so aussah, als würde unser aller, bester Freund aus dem Norden, sich Vara schnappen, habe ich mir meinen Wagen genommen und bin los.“

Er deutete mit der brennenden Pfeife über seine Schulter zur ersten Kutsche in der Schlange.

„Leider hatten die Idee auch andere. Eine ganze Menge anderer, wie Ihr seht. Und eh` ich mich versehe, hab ich `ne ganze Bande verlauster Flüchtlinge am Hals.“ Erik lachte. „Aber was soll man machen? Ich mag Menschen zu sehr, als das ich die alle wegschicken könnte. Einer muss sich ja um sie kümmern.“

„Zufälligerweise… seid Ihr ein Mensch.“, bemerkte Celani. Leif kamen die Worte des Mannes ebenfalls recht seltsam vor, auch wenn seine Geschichte wohl stimmen dürfte.

„Manche meinen, davon hab ich mich schon lange entfernt. Ich meine, es wäre nicht schlimm, wenn sie Recht haben. Seht Euch den ganzen Irrsinn doch nur einmal an, meine Dame und erklärt mir, ich könnte darauf stolz sein zur selben Art wie diese Idioten zu gehören.“

„Wohin führt Euch Eure Reise?“ , wollte Leif wissen.

„Die ungefähre Richtung ? Das ist ziemlich simpel. Wenn Simon aus dem Norden vorrückt, gehen wir schön nach Süden.“

„Ihr habt nicht zufällig noch Platz für einen Schmied samt Begleitung, oder?“

Erik lachte erneut.

„Nach dem was Ihr hier eben abgeliefert habt, wäre ich dumm, Euch nicht einzuladen. Ich habe noch nicht gesehen, dass jemand die kaiserliche Garde mit Worten zum Rückzug zwingt.“Er sah wieder zu Celani . „Die hat aber keine Flöhe?“

„Was ?“ Die Gejarn schien beinahe einen Satz in die Luft zu machen.

Der junge Arzt lachte erneut.

„Verzeiht.“ Er wurde wieder ernst. „Hört zu, die Gejarn, die bei mir aufgelaufen sind, sind alle ziemlich ramponiert. Verständlich, sie können nur zu ihren Clans, nicht wie wir. Wir kommen überall irgendwo unter. Der Punkt ist, auch die Menschen hier sind nicht grade alle bei bester Gesundheit, aber denen kann ich wenigstens helfen. Versteht Ihr mein Dilemma? Bei den Gejarn sind mir die Hände gebunden. Die meisten lassen mich nicht mal in ihre Nähe.“

„Ich kann sie mir mal ansehen.“, antwortete Celani. „Allerdings, bin ich alles andere, als eine Heilerin.“

„Ich wäre Euch auf jeden Fall sehr verbunden, meine Liebe.“ Der Arzt fügte noch etwas in einer Sprache , die Leif nicht verstand hinzu , Celani aber offensichtlich. Sie zögerte kurz, nickte dann aber.

Leif sah nur verwirrt hin und her. Er sollte sich wirklich zumindest die Grundlagen der Clansprache beibringen lassen, entschied er. Er würde Celani später fragen.

„Was hat er gesagt?“

„Er hat sich bedankt.“, erwiderte die Gejarn etwas zu hastig. Sicher… bedankt. Er war sich ziemlich sicher Ale'nyo herausgehört zu haben. Lichtbringer. Leif beschloss, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen.

Erik wandte sich derweil wieder dem Schmied zu. „Und Eure Hand, Herr Leif ? Was habt Ihr damit gemacht, auf ein Stachelschwein eingeschlagen?“

„Nein auf ein Holz… was ist ein Stachelschwein?“

„Ein Stachelschwein ist…. Ach ist auch egal. Also, Ihr seid mir willkommen. Wenn Eure Freundin da mit den Gejarn hilft und ihr den Hammer da nicht nur als schmückendes Beiwerk tragt, kommen wir ins Geschäft.“

Damit war es beschlossen und der Zug aus Flüchtlingen konnte, nun mit Celani und Leif unter ihnen, seinen Weg fortsetzen. Auf den gepflasterten Händlerstraßen kamen die Wagen überraschend gut voran. Leif stellte erleichtert fest, dass sie, Dank der Karawane, nicht einmal viel Zeit verlieren würde. Offenbar hatte Erik, mit Ruben und einer Handvoll anderer Flüchtlinge, die für die übrigen Sprachen, ein recht ausgeklügeltes System entworfen. Wer nicht mehr laufen konnte, kam solange auf die Karren. Nachts wechselten sich die Leute in Schichten ab. Manche liefen weiter und hielten dabei gleichzeitig Wache, während andere die Gelegenheit nutzen um auf den Karren zu schlafen. So kam der Zug nie ins Stocken. Und offenbar hatte der junge Arzt, sogar ein paar Karren abgestellt, die das wenige was die Leute hergeben konnten, zu den näheren Städten brachten und in Münze umsetzten. Geld, dass sie dringend brauchte um Vorräte zu bekommen.

Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu, als Leif und Celani sich auf einen der Zugwagen niederließen. Der Schmied sah über das graue Band der Straße hinweg, in die Ferne. Die Händlerpfade verliefen. wo es ging. nicht durch die dichten Wälder, sondern durch offenes, flaches Gelände. Leif war es, als könnte er unendlich weit sehen. Und doch wusste er, das alles was vor ihm lag nur etwa ein Tagesmarsch war.

„Vor uns liegt noch ein langer Weg.“

„Sicher.“ Die Gejarn lehnte Kopf leicht an seine Schulter.

„Aber ich glaube, das Schlimmste haben wir hinter uns.“

„Meinst du?“ Der Schmied lächelte. „Nenn mich einen Pessimisten, aber ich habe das Gefühl, das Schlimmste kommt erst noch.“

 

 

 

Kapitel 19

Reise

 

 

 

 

 

 

„Ich glaube ich geb`s für heute auf.“, erklärte Leif. Sie liefen neben einer der Wagen her, die sich sowohl vor ihnen als auch hinter ihnen aneinanderreihten. Er hatte seine erste Schätzung korrigieren müssen. Es waren nicht ganz so viele Flüchtlinge, wie er anfangs gedacht hatte, aber immer noch weit über einhundert Menschen, die mit ihnen auf dem Weg waren.

Celani lachte leise, als der Schmied resigniert die Hand vors Gesicht schlug.

„Geister, du bist echt ein hoffnungsloser Fall.“

Leif hatte sie gebeten, ihm wenigstens ein paar Grundlagen, ihrer Sprache beizubringen und auch wenn er sich nicht dumm anstellte, wie sie fand… es würde eine ganze Weile dauern. Wenigstens, war es eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben. Drei Tage schon, reisten sie nun in der Flüchtlingskarawane und außer dem zum Überleben notwendigen, gab es wenig zu tun. Nach wie vor waren sie auf den befestigten Straßen unterwegs und die Landschaft hatte sich wenig verändert. Kleine Waldgebiete, welche die wenigen abgestellten Wachen dazu veranlassten, nervös die Augen offen zu halten, und ab und an einige Dörfer und Felder. Wobei Wachen wohl wirklich der falsche Ausdruck war. Fünf leicht unterernährte Leute, in simpelster Flickenrüstung und Waffen, die längst hätten verrosten sollen. Er hatte Ruben anfangs nicht für einen Kämpfer gehalten, aber im Vergleich zu diesem Haufen, war der alte Herr wohl noch der Gefährlichste.

Leif ließ sich etwas zurückfallen.

„Ich werde Ruben fragen, ob er irgendwo Schleifsteine auftreiben kann.“, meinte er an Celani gerichtet. In Ermangelung einer Schmiede und Materialen, konnte er keinen Ersatz schaffen, aber wenigstens konnte er dafür sorgen, dass Ruben und die übrigen Wächter nicht mit stumpfen Klingen loszogen. Wenn die Hälfte bei einem echten Kampf nicht ohnehin einfach weglief.

Die Gejarn nickte.

„Tu das. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, Eriks Bitte nachzukommen. Wenn du den Wachen hilfst, sehe ich mir die anderen Gejarn an. Ehrlich gesagt bin ich ein wenig aufgeregt….“

„Es sind Deine Leute, oder?“

Celani schüttelte den Kopf.

„Und sowohl das Kaiserreich als auch Simons Armee besteht aus Menschen, oder?“

Leif verstand, worauf sie hinaus wollte.

„Das heißt nicht automatisch, dass man sich versteht.“

„Genau das. Es gibt zwischen den einzelnen Clans mindestens genauso viele Konflikte, wie unter den Adelshäusern der Menschen.“

„Dann… pass auf Dich auf.“

„Keine Sorge.“

 

Der Schmied wurde langsamer, sodass die Flüchtlinge hinter ihm einfach an ihm vorbei konnten. Er hatte Ruben bisher nur ein paar Mal gesehen, der Mann schien aber oft die Nachhut der Karawane zu bilden. Leif musterte die Leute, die er passierte. Noch ging es den meisten gut, auch wenn sie alle etwas abgerissen wirkten. Er sah wohl kaum besser aus, gab er zu. Es gab hier nichts, worin er sein Spiegelbild sehen konnte, aber ein Handgriff zum Gesicht sagte ihm, dass er sich dringend rasieren musste. Noch eine Woche oder etwas mehr und er lief mit einem Vollbart herum. Und eine Gelegenheit sich zu waschen wäre nicht verkehrt. Auch wenn Heerlager normalerweise ein schmutziger Ort waren, die Prätorianer bekamen Sauberkeit praktisch verschrieben. Niemand wollte ein Bataillon Elitekrieger an eine vermeidbare Seuche verlieren. Und so etwas blieb hängen.

Vielleicht sollte er das auch Erik vorschlagen, wenn er ihn das nächste Mal begegnete. Das Letzte, was sie gebrauchen könnten, wäre, das eine ernste Krankheit unter den Flüchtlingen ausbrach.

Leif passierte die letzten Wagen und entdeckte, wie erhofft, Ruben, der hintendrein auf einem Pferd ritt. In seinem Schlepptau lief Lewyn. Der muss in seiner Robe aber auch schwitzen, dachte der Schmied bei sich, als er den Jungen und seinen Aufpasser grüßte.

„Leif. Ihr lebt Euch langsam ein?“, wollte Ruben wissen, als dieser für sein Alter recht behände vom Pferd stieg.

„Könnte man so sagen. Ich komme zurecht. “

„Es ist nicht grade königlich hier, aber wir kommen ganz gut durch.“, erwiderte sein gegenüber. Ruben führte das Pferd an den Zügeln hinter sich her, während die drei der Karawane zu Fuß folgten.

„Ich wollte euch fragen, ob Ihr irgendwo Schmiedeausrüstung her bekommen könnt? Ein paar Wetzsteine würden für den Anfang schon reichen.“

„Ich bin sicher, das lässt sich besorgen, aber wozu?“

Leif seufzte.

„Lasst mich ehrlich sein, ich habe eure Miliz, oder wie ich es nenne soll gesehen. Schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und bereit, beim ersten Anzeichen von Gefahr wegzulaufen. Ich möchte wenigstens den Teil mit der Ausrüstung ändern.“

„Ich weiß, aber wir haben niemanden sonst.“, erklärte der Mann ernst. „Und es ist besser als nichts. Als ich hier ankam gab es überhaupt keine Verteidigung, außer nun, Erik. Und trotz seines Temperaments, er ist nur eine Person. Ich sorge dafür, dass ihr Eure Steine bekommt. Zusammen mit den Waffen der Truppe.“

„Und Ihr Lewyn?“, fragte Leif an den Schweigsamen Jungen gerichtet. „Wie seid Ihr eigentlich hier gelandet?“

„Ich…“ Lewyn zögerte.

„Ist in Ordnung. Ich glaube Leif ist in Ordnung, das seid Ihr doch, oder?“

„Wenn Ihr es mir nicht erzählen wollt ist das auch gut. Wir haben… alle unsere Geschichte.“ Auch wenn der Schmied sich fragte, welche Geheimnisse ein halbes Kind haben konnte.

„Ich bin ein Zauberer.“, erklärte der Junge schließlich und dabei schwang ein gewisser Stolz in seiner Stimme mit. „Nichts besonderes aber… die Gabe habe ich.“

Leif sah zu Ruben.

„Sagt er die Wahrheit?“

„Soweit ich weiß. Ist kurz nach Vara zu uns gestoßen. Lewyn, eine kleine Demonstration?“

Der Junge grinste, scheinbar begierig darauf, dem Wunsch des Mannes nachzukommen. Mit einer theatralisch wirkenden Geste schüttelte er einen Robenärmel zurück und deutete auf einen toten Baum am Straßenrand.

„Seht Ihr den da?“

„Sicher.“, erwiderte Leif.

„Passt auf.“ Lewyn hielt die Hand weiter ausgestreckt. An den Fingerspitzen sammelte sich urplötzlich Licht, das sich zu einem kleinen Ball verdichtete… und auf einen Gedanken lossprang.

Der Feuerball flog einige Schritte weit durch die Luft… dann fiel er wie ein Stein zu Boden und zerplatzte zu glitzernden Funken.

Leif verkniff sich ein Lachen. Er wusste, zu was ein Magier tatsächlich in der Lage war. Das hier… war Feuerwerk, im wahrsten Sinne des Wortes, Kinderspielerei. „Das war… nett.“

„Vielleicht hätte ich mich einfach mehr konzentrieren müssen. Wenn Ihr erlaubt, versuche ich es noch einmal, oder…“

„Nein, nein, schon gut.“, winkte der Schmied ab. „Aber was treibt einen Zauberer dazu, zu fliehen? Selbst jemand der noch… äh ungeschult ist, wird doch überall unterkommen?“

„Das war früher vielleicht einmal so.“, erklärte Ruben. „Und für die verbleibenden freien Zauberer im Kaiserreich mag das auch weiterhin gelten. Aber Simon Belfare hat neue Regeln aufgestellt.“

„Ihr redet vom Sangius-Orden.“, stellte Leif fest.

„Genau das. Belfare zieht, in den von ihm besetzten Gebieten, alle Magier zusammen und zwingt sie, sich seinem Orden anzuschließen. Selbst die alten Meister wagen es nicht, sich offen gegen ihn zu stellen. Und jetzt tragen sie alle, das Blutzeichen auf ihren Umhängen.“

Der Schmied nickte.

„Mir… ist schon einer davon begegnet.“

„Unangenehme Gesellen. Und das Schlimmste ist, der Kaiser tut es ihm mittlerweile schon gleich und zieht immer mehr Magier ein. Ob sie wollen oder nicht. Die freien Zauberer sterben aus mein Freund.“

„Wie zwingt man einen Hexer zu irgendwas?“

„Simpel.“, antwortete Lewyn und dabei lag ein Anflug von Bitterkeit in seiner Stimme. „Man erwischt ihn, bevor er seine Kräfte ganz kontrollieren kann. Aber… ich habe in diesem Krieg nichts verloren Leif.“

„Und deshalb seid Ihr wie wir alle auf der Flucht.“ Er konnte den Jungen jetzt verstehen. Lewyn war nicht der einzige, der mit dem kämpfen abgeschlossen hatte. Auch wenn Leif sich wünschte, er hätte diese Entscheidung in diesem Alter getroffen. Vielleicht wäre dann einiges anders gekommen.

„Erik hat nur erwähnt, dass wir nach Süden gehen.“, setzte der Schmied erneut an.

„Aber nicht, wo genau unser Ziel liegt, wenn es denn eines gibt.“

„Nach Südosten um genau zu sein.“ , erklärte Ruben.„Nach Erindal in den freien Königreichen.“

„Freie Königreiche?“ , fragte Lewyn.

Leif nickte.

„Die Länder jenseits der Außengrenze Cantons. Wobei das Wörtchen frei, hier wenig zu bedeuten hat. Letztlich sind es auch nur Vasallenstaaten des Imperiums, die der Kaiser bisher wohlwollend übersieht. Eine wirkliche Bedrohung können sie für ihn ohnehin nicht darstellen.“

Aber Erindal war weit weg. Weit genug, das sie wohl bis zum Ende des Krieges nichts mehr davon mitbekommen sollten. Dann könnte er versuchen, sich dort, irgendwie ein neues Leben aufzubauen. Das würde schon werden. Wenn sie es bis dorthin schafften, stellte das das geringste Problem dar.

Und Celani… vielleicht fand ihre Flucht dann auch ein Ende. Ansonsten hieße das Lebewohl….

 

 

 

Celani war überrascht, wie wenige der Gejarn sie überhaupt zu bemerken schienen. Erik hatte offenbar Recht, den meisten ging es nicht gut. Abgerissene Gestalten, neben denen die menschlichen Flüchtlinge noch wie glückliche Leute wirkten

Die Clanflüchtlinge hatten sich von den übrigen Reisenden abgesondert und blieben wie es aussah bei ihren eigenen Wagen, ohne die Karawane weiter zu erforschen. Es waren knapp ein Dutzend aus den unterschiedlichsten Clans, wie sie rasch feststellte. Ein grauer Wolf, der sie um leicht zwei Köpfe überragte, stand von seinem Platz auf einem de Karren auf und sprang zu ihr herab.

„Und Ihr seid?“ , verlangte er zu wissen. Der Wolf benutzte die Clansprache, entweder wollte er vermeiden, dass irgendjemand mithörte… oder er beherrschte nichts anderes.

„Ich bin nur hier um zu helfen.“, antwortete Celani. Wenn der Kerl glaubte sie einschüchtern zu können, lag er aber falsch. Auch wenn sie nachvollziehen konnte, das die meisten hier misstrauisch sein mussten. Verflucht, sie war ja selber nicht viel besser. Aber sie hatte auch einen guten Grund dazu, erinnerte die Gejarn sich.

„Wir brauchen keine Hilfe.“

„Vielleicht, solltet Ihr das jeden selbst entscheiden lassen ?“ Celani nickte in Richtung der übrigen Gejarn. Sie bezweifelte, dass viele davon weit kommen würden, wenn sie jetzt einfach auf eigene Faust loszogen.

„Wir brauchen keine Hilfe. Nicht von den Menschen. Nicht von Euch.“, wiederholte der Wolf. Er betonte jedes Wort so, als würde er mit einem begriffsstutzigen Kind sprechen.

„Ich habe gesehen, wie Ihr hier angekommen seid. Hat euch der Irre geschickt? Ihr könnt ihm ausrichten, wir werden bald verschwinden.“

„Verschwinden ? Wohin wollt Ihr denn gehen?“

„Als ob Euch das etwas angeht.“

„Habt Ihr Euch diese Leute einmal angesehen?“ , rief Celani. Langsam machte der Kerl sie wirklich wütend. Erik hätte sie warnen müssen. Jetzt verstand sie endlich, warum der Mann unbedingt wollte, dass sich ein Gejarn hierum kümmerte. Der Arzt kam vermutlich, genau so wenig, mit diesem Sturkopf zurecht. Aber was konnte sie tun?

„Hey Großer, setzt dich wieder.“, rief eine Stimme hinter ihr. Sie klang entfernt vertraut. Celani hatte den Kopf nur halb gedreht und erhaschte einen Blick auf eine rote Haarmähne. Sandria.

„Was sagt der Mensch?“ Celani fand ihre Vermutung bestätigt. Der Kerl beherrschte wirklich nur seine Sprache.

„Was sagt der Wolf?“ Und Sandria ging es offenbar ähnlich.

Die Gejarn seufzte. Das wurde sekündlich besser.

„Tut was Ihr wollt.“, erwiderte sie schließlich an den Wolf gerichtet.

„Mein Angebot steht.“ Sie drehte sich um und beeilte sich, die Clanflüchtlinge zurück zu lassen. Das war ganz und gar nicht, was sie erwartet hatte.

„Was für ein Idiot.“, bemerkte wieder eine Stimme neben ihr. Sandria war ihr offenbar gefolgt.

„Ich dachte Ihr versteht uns nicht?“ , fragte Celani überrascht.

„Das muss ich auch nicht. Ich muss die Worte nicht verstehen um den Tonfall zu verstehen.“, antwortete sie. „Vielleicht hab ich nach all den Jahren als Sängerin auch schon ein Gespür dafür.“

„Ich habe ihm und den anderen Hilfe angeboten. Sie wollen keine. Oder sind zu stolz, oder... ich weiß es nicht.“

„Ihr hättet sehen sollen, wie Erik sich mit dem schon gestritten hat. Die halbe Karawane hat das mitbekommen, auch wenn keiner ein Wort verstanden hat. Und er hört auch nicht auf seine eigene Art, wie?“

„Vielleicht wenn ich ein Wolf wäre. Und keine Frau. Und vermutlich nicht mal dann, weil ich mich mit Menschen abgebe.“

Sandria sah düster drein.

„Das klingt ja ziemlich voreingenommen.“

„Leider, ist das sogar ziemlich normal.“, erwiderte Celani. „Ihr kennt die Clans offenbar nicht.“

„Nein tue ich nicht.“ Sie lächelte. „Aber ich erkenne, wenn jemand dumm ist.“

„Eigentlich….“

Erneut unterbrach sie eine fremde Stimme

„Seht Euch das an.“

Der Blick der Gejarn wanderte aufwärts zum Dach einer der Kutschen. Darauf stand ein offenbar ziemlich aufgeregter Erik. Der Mann machte einen Satz in die Luft, das Celani schon fürchtete, er würde herabstürzen und sich einfach den Hals brechen. War der betrunken? Es war die einzige Erklärung, die ihr für das Verhalten des Arztes einfallen wollte.

Dann jedoch, deutete er wieder auf irgendetwas in der Ferne. Celani spähte Richtung Horizont. Da war doch nichts, nur einige tiefhängende, dunkle Wolken… Wolken, die so tief hingen, dass sie fast die Baumwipfel zu berühren schienen. Wolken, die sich gegen den Wind bewegten….

Wolken, die seltsamerweise sehr massiv wirkten und das Land unter ihnen in vollkommene Dunkelheit tauchten. Und erst da erkannte sie ihren Fehler. Geister, was war das?

„Ihr habt sie noch nie gesehen, oder?“, wollte Sandria neben ihr wissen.

„Was gesehen ?“ Es war ihr unmöglich den Blick von den mitten in der Luft schwebenden Inseln zu lenken.

Erik kletterte geschickt vom Wagen.

„Die fliegende Stadt.“

 

Kapitel 20

Die fliegende Stadt

 

 

 

 

Die fliegende Stadt bestand aus einer Unzahl kleinerer und größerer schwebender Inseln. Tausende, silbern schimmernde Brücken verbanden die einzelnen Stadtteile, wie in einem gewaltigen Spinnennetz. Einem Spinnennetz aus Gold, Marmor und Glas, das etwa in der Höhe eines dreistöckigen Gebäudes, über dem Land schwebte. Schwindelerregende Bauten, gehalten nur durch Magie und unendliche Raffinesse ihrer Baumeister. Marmorgalerien und weite, offene Plätze glitzerten im Sonnenschein. Kleinere schwebende Inseln, waren zu prachtvollen Gärten umgestaltet, von deren Höhe beständig Wasser lief. In unüberschaubaren Kaskaden rieselte das Nass herab, brach das Sonnenlicht und schien damit alles beständig, in einen einzigen Regenbogen zu hüllen.

Doch all die Pracht verblasste, verglichen mit dem einen Gebäude, im Zentrum der Stadt. Die goldenen Hallen, der kaiserliche Palast, nahm eine ganze eigene Insel ein, mitten im Zentrum des unmöglichen Spinnennetzes. Von unten konnte man nur einen kleinen Blick darauf erhaschen, aber was Celani sah genügte ihr.

Trotzdem war der Irrsinn über ihr, nichts im Vergleich zum Wahnsinn, um sie herum. Schon aus der Ferne, hatte sie den endlosen Strom aus Menschen, Wagen und Karren gesehen, der der Stadt folgte.

Soldaten in schimmernden Panzern, einfache Handwerker, niedrige Adelige und alles, was es an Schattierungen dazwischen gab, schien sich als Schlange, hinter der Stadt/ zusammengefunden zu haben. Einige hielten sich auch direkt unter den fliegenden Inseln, die das Land unter sich in ewige Nacht tauchten, die nur von der Abend oder Morgensonne durchbrochen wurde. Lampen und Fackeln erweckten den Eindruck, eine Horde monströser Glühwürmchen, hätte sich in den Schatten eingenistet.

Und inmitten dieses Mahlstroms fand sich Celani nun wieder. Sie hatte längst aufgegeben, irgendwie die Übersicht zu behalten, sondern hatte sich, wie so viele andere Flüchtlinge auf einen der Wagen ihrer Karawane gerettet, während sie irgendwie durch den Menschenstrom navigierten, der der fliegenden Stadt folgte. Allein der Lärm um sie war kaum auszuhalten. Pferdehufe, Menschen riefen, das Klirren von Stahl und Panzern und über allem das undefinierbare Geräusch, von einer Unzahl schwerer Stiefel. Vielleicht waren nicht alle Menschen irre, selbst die nicht die die Straßen bauten, die hier waren es jedoch ganz sicher. Und wer immer diesen Ort erschaffen hatte, konnte sich nicht länger zu den Sterblichen zählen, dachte sie. Er hatte den Göttern ihren Platz im Himmel würdig streitig gemacht. Es war steingewordener Wahnsinn.

Leif und Ruben, hatten sich mit ihr im gleichen Wagen eingefunden, ließen den Wahnsinn dort draußen, aber mit scheinbar stoischer Gelassenheit über sich ergehen.

„Hört das je auf?“ , fragte sie über den ohrenbetäubenden Lärm der Massen hinweg.

„Keine Sorge, wir sollten bald durch sein.“ Leif schien zumindest zu spüren, was in ihr vorging und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Das half nicht viel. Aber es half etwas.

„Was machen all diese Menschen hier?“

„Sie folgen der Stadt.“, erklärte Ruben. „Es sind all jene, die nicht innerhalb der Mauern geduldet sind. Handwerker und Soldaten, aber auch Adelige, deren Haus keinen eigenen Sitz, auf den schwebenden Inseln, um die Goldenen Hallen unterhalten. Allerdings bin ich überrascht, dass die fliegende Stadt so weit im Norden ist. Und Ihr Leif ?“

Der Schmied zuckte nur mit den Schultern.

„Die fliegende Stadt ist ein Überrest der alten Welt, des alten Volkes. Es heißt, es braucht eine ganze Gruppe mächtiger Zauberer, um diesen Ort zu steuern. Vielleicht ein simpler Navigationsfehler, den sie nicht mehr ausbügeln können.“

„Der Kaiser ist da oben.“

„Jap, vermutlich genau über unseren Köpfen und schlägt sich den Magen voll....“, erwiderte Ruben grinsend.

„Angeblich hat ihn, seit Jahren, kaum jemand gesehen. Die meist Zeit verbringt Tiberius Ordeal, jetzt wohl innerhalb der Palastmauern.“

„Selbst als ich hier war, hat er sich selten gezeigt.“, bestätigte Leif. „Es hieß, er sei vielleicht krank oder wird einfach nur alt.“

„Du meinst als Du…“ Celani hielt sich grade noch rechtzeitig auf.

„Ist schon gut, das ist Vergangenheit.“

„Ihr seid also nicht zum ersten Mal, so nah an der Stadt?“ , fragte Ruben, offenbar neugierig geworden.

„Nein, auch wenn man diesen Wahnsinn hier, jedes Mal erdulden muss, wenn man hinein will. Man muss auf eine Gondel warten. Selbst die Zauberer kommen nicht einfach so rein. Offenbar hat das alte Volk die Stadt vor bestimmter Magie geschützt.“

Ruben runzelte die Stirn. “Ihr ward wirklich schon einmal… oben?“

„Sogar ein paar Mal, aber das ist… Geschichte.“

„Verstehe.“ Der Mann runzelte die Stirn

„Böse Erinnerungen ?“

„Nein… nur Erinnerungen, die ich nicht brauche. Es ist nichts, worauf ich besonders stolz wäre. Ich war einst ein Prätorianer.“

Ruben sah ihn nur ungläubig an. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.

„I.. Ihr..“

„Es stimmt.“ , bestätigte Celani.

„Es sind wirklich seltsame Zeiten.“ , meinte Ruben schließlich, als er seine Sprache wiederfand.

Dem konnten sie nur alle zustimmen.

 

Niemand von ihnen ahnte, was sich hoch über ihren Köpfen abspielte. Der kaiserliche Palast war eine Welt, fast geschlossen in sich. Kunstvolle Buntglasfenster schmückten die Außenfassade der Goldenen Hallen. Lichtbahnen erfüllten die Flure und Gänge, deren Decken in schwindelerregender Höhe schwebten. Jeder, der den Palast betrat, musste sich zwangsläufig, wie ein Zwerg vorkommen. Die aus weißem Marmor und Gold gehaltenen Säle, waren jedoch so gut wie verlassen. Und auch in den Gärten und Innenhöfen rührte sich nichts, außer einigen Tieren und Vögeln.

Heute erfüllte ein Ruf, diese ansonsten stummen Hallen. Im Thronsaal des Palastes hatte sich eine Unzahl von bewaffneten Gestalten, in schwarzer Panzerung, eingefunden. In dichten Reihen warteten die Prätorianer, den Blick auf den Herrscher Cantons gerichtet.

Banner mit silbernen und schwarzen Drachenemblemen, deuteten gegen die Decke, die mit einer detailgetreuen Darstellung des Abendhimmels verziert war. Wusste man nicht, dass es sich dabei um ein bloßes Gemälde handelte, man hätte glauben können, sich im Freien zu befinden. Nur die nach oben strebenden Säulen, zerstörten die Illusion teilweise. Leuchtende Kristalle, aus teuerster Magie, erleuchteten die komplette Szenerie sogar, in der richtigen Intensität der untergehenden Sonne.

Die Gestalt, die das Meer aus Bewaffneten überblickte, saß auf einem hohen Thron, fast im Zentrum des Saals. Der Sitz bestand fast vollständig aus honigfarbenem, durchscheinendem Stein, nur die Reihe von Stufen davor war, wie der gesamte Boden, aus weißem Marmor gefertigt. Eine Aussparung, etwa in Kopfhöhe, wurde durch einen einzigen, kreisrunden Stein besetzt, der fast frei zu schweben schien. Das Licht, das sich darin brach, erzeugte einen künstlichen Heiligenschein um das Haupt des Herrschers.

Tiberius Ordeal war nun seit mehr als fünfzig Jahren, der Mann auf dem Bernsteinthron Cantons. Das Alter hatte ihn gebeugt und sorgte dafür, dass er halb in sich zusammengesunken dasaß. Ein simpler Goldreif, mit nur einem einzigen Edelstein, lag auf seinem, von grauen Haaren umgebenen, Schädel. Das kaiserliche Ornat wirkte an ihm zu groß und man hätte den Fehler machen können, Kaiser Tiberius für zu alt zu halten. Doch das intelligente, wache Funkeln in seinen grauen Augen, strafte jeden Lügen, der das wagte. Unruhig trommelte er mit den Fingern, seiner linken Hand, auf den Armlehnen des Throns. Zu seinen Füßen, standen links der Kommandant der Prätorianer-Garde und zu seiner Rechten, eine Gestalt in der Robe eines Zauberers. Die beiden überblickten ebenfalls das kleine Heer, das sich vor ihnen versammelt hatte. Noch waren sie keine Prätorianer, noch waren es Rekruten. Aber wenn dieser Tag vorbei war, würden sie die Speerspitze für das neue Heer Cantons bilden. Simon mochte glauben, ihnen in Vara einen Verlust zugefügt zu haben. Aber dieser Emporkömmling von einem Feldherrn würde sich wundern. Es gab nur einen Herrscher in Canton und das war er. Sein Haus hatte nicht fast ein Jahrtausend überstanden, um jetzt von einem durchgedrehten Magier, in die Knie gezwungen zu werden. Vielleicht sollte er sie alle einfach töten lassen, wenn das hier vorbei war, überlegte er.

„Beginnt.“, verlangte der Kaiser mit fester, aber leiser Stimme. Auf das stumme Kommando zog die bisher stumme Armee, fast zeitgleich die Schwerter. Das klirrende Geräusch des Stahls erfüllte die Luft der Halle und ein vielstimmiger Chor erhob sich, der die Wände zum klingen brachte.

 

Der Kodex der Prätorianer schallte durch die verlassenen Gänge.

 

„Wir sind das Schwert des Kaisers

 

Möge er ewig herrschen

 

Wir sind der Wille der fliegenden Stadt

 

Möge sie niemals fallen

 

Wir sind die Faust der Götter

 

Mögen sie unsere Ziele segnen

 

Wir sind das Schild des Reichs.

 

Möge es niemals zerbrechen

 

Wir vergessen nicht:

 

Unsere gefallenen Brüder

 

Wir ehren unsere gefallenen Brüder durch den Sieg

 

Wir vergessen nicht:

 

Unsere Freunde

 

Wir verteidigen unsere Freunde durch den Sieg

 

Wir vergessen nicht:

 

Unsere Feinde

 

Wir vernichten unsere Feinde durch den Sieg

 

Wir vergessen nicht.

 

Mut oder Tod und Ehre dem Stahl

 

Für den Kaiser“

 

Die letzten Worte des Schwures waren kaum verklungen, als die schweren Türen des Thronsaals aufgestoßen wurden und ein Mann in der Kleidung eines Palastboten hereinstürzte. Er fiel sofort auf die Knie, als er die nun eingeschworenen Prätorianer und den Kaiser sah und verharrte stumm. Hinter ihm im Flur drängten sich augenscheinlich weitere Boten und hinter ihnen… Tiberius konnte es nicht genau erkennen.

„Was hat das zu bedeuten?“ , verlangte er zu erfahren.

Der Bote erhob sich vorsichtig.

„Herr… wir…“

„Ich habe gefragt, was diese Unterbrechung zu bedeuten hat?“

Der Bote zitterte, trat jedoch einfach nur beiseite um die im Flur wartenden Leute einzulassen. Ein Dutzend Boten, die einen kleinen Wagen hinter sich herzogen. Als das Gefährt ins Licht kam, konnte Tiberius hören, wie eine Unzahl Personen zusammenzuckten. Die Prätorianer wichen zurück um den Boten und ihrer Botschaft Platz zu machen.

Helme und Rüstungen und Schwerter so hoch gestapelt, das sie jeden Moment überzukippen drohten. Gehörnte Helme aus schwarzen Panzerplatten. Manche davon versehen mit dem Drachenemblem Cantons.

Prätorianer-Panzerung.

„Vor wenigen Stunden sind einige Männer damit zu uns gekommen, Herr. Sie… die Erdwacht ist gefallen.“

Stille senkte sich über den Thronsaal.

„Ich habe eine ganze Abteilung Zauberer abgestellt um diesen Bastard zu stoppen.“ Die Stimme des Kaisers war nicht länger leise. Die Boten wichen nervös zurück, wobei einer von ihnen gegen den Wagen stieß. Ein Dutzend Helme viel scheppernd zu Boden.

„Sie sind alle tot , Herr. Es gab… keine überlebenden Soldaten von der Erdwacht. Simon Belfare hat sie alle töten lassen.“

„Das ist nicht Akzeptabel! Das ist schlicht nicht hinnehmbar.“ Tiberius Ordeal bebte und sprang auf. „Ich habe klare Anweisungen gegeben oder nicht? Sie waren in der Unterzahl, verflucht noch mal. Der Zauberer war alleine. Wie konnte er entkommen und schlimmer noch, Erfolg haben, wo ein ganzes Heer anderer versagt hätte? Kann mir das hier irgendjemand erklären? Ich erlaube diesem Bastard, diesem Irren, ohne jede Erblinie, keinen Meter mehr meines Reichs an sich zu bringen, versteht ihr mich?“

Er ließ sich auf den Thron zurücksinken.

„Geht.“, meinte er an die Prätorianer gerichtet. „Ihr brecht so bald wie möglich auf. Bringt mir diese Festung wieder unter meine Kontrolle.“

Aus Tausend Kehlen erklang ein zeitgleiches, „Ja, Herr.“ , bevor sich die gesamte kleine Armee umdrehte und geordnet auf den Weg aus dem Thronsaal machte. Tiberius sah den Soldaten nur einen Moment nach. Prätorianer stellten keine Fragen. Einmal eingeschworen gab es kein Zurück. Die einzige Möglichkeit ihren Schwur aufzuheben war der Tod. Sie waren loyal bis zur Selbstaufopferung und in all den Jahren hatte er nur einmal erlebt, dass einer seinen Posten verlassen hatte. Und selbst dann nicht aus Verrat. Nicht in einer Schlacht.

Tiberius seufzte. Dieser Krieg tobte jetzt schon viel zu lange. Wie hatten ihm die Dinge so entgleiten können?

„Herr.“ Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Der Mann zu seiner Rechten hatte gesprochen. Hofmagier Darian Karr war ein nicht zu unterschätzender Mann. Obwohl mindestens so alt wie Tiberius, hatte die Zeit an ihm deutlich weniger Spuren hinterlassen. Eine Kette aus vier leuchtenden Steinen wand sich um seine Hand. Er verwahrte die Tränen Falamirs, die dem Kaiserreich geblieben waren. Simon hatte es irgendwie geschafft, bereits drei davon in seinen Besitz zu bringen. Tiberius konnte nicht riskieren, auch nur eine weitere zu verlieren. Simon hingegen schien sich diesen Luxus zu erlauben und benutzte die Steine bei jeder Gelegenheit.

Darian trug eine violette Robe mit Goldstickereien, die eine abgewandelte Version des Drachen zeigten. Ein feuerspeiender, gehörnter Kopf, um den herum, Flügel aufragten.

„Es gibt vielleicht noch etwas, das unserer Aufmerksamkeit bedarf.“, erklärte der Magier.

„Ach ja… ich glaube, Ihr hattet es schon erwähnt. Bringt ihn herein…“

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 21

Der Plan des Kaisers

 

 

 

 

 

 

 

Nur wenige Außenstehende hatten je die Gelegenheit, den kaiserlichen Palast auch nur zu betreten. Eine Auszeichnung für manche. Für andere, ein gewagter Balanceakt, um ihre politische Position und für einige wenige ein Schicksal schlimmer als der Tod.

Der Mann, der von drei Gardisten flankiert, durch die hohen Flure geschleift wurde, gehörte zu Letzteren. Den Unglücklichen, die das Pech hatten, die Aufmerksamkeit des Kaisers selbst auf sich zu ziehen. Oder besser, dessen Zorn.

Kornelius stolperte auf die Füße, als ihm jemand einen Stoß gegen die Schulter versetzte. Genau auf die nur unzureichend verheilten Schusswunden. Brennender Schmerz fraß sich durch seinen ganzen Körper, trotzdem zwang er sich, weiterzugehen. Er wusste nicht mit Sicherheit, wo er sich befand, aber ein Blick reichte ihm um es sich denken zu können. Und das machte dem alten Mann Angst. Kornelius hatte bisher selten in seinem Leben so etwas wie echte Furcht verspürt. Er war abgehärtet. Oder zumindest hatte er das immer gedacht.

Aber allein dieser Ort, konnte einen gestandenen Mann schon einschüchtern. Es waren nicht nur die titanischen Ausmaße der Stadt, dieses Monuments, das sich gegen jede Natur zu richten schien… es war die ganze Atmosphäre. Die Luft selbst vibrierte geradezu vor magischer Energie, sodass selbst jemand ohne das entsprechende Gespür, ihre Auswirkungen wahrnehmen konnte. Die Fäden der Welt, die sich ständig verschoben, um die fliegende Stadt am Himmel zu halten. Dieser Ort war ein gigantischer, magischer Webstuhl.

Kornelius stolperte einen weiteren kurzen Gang entlang, der vor einer großen, holzvertäfelten Tür endete. Einer seiner drei Wächter verschwand kurz durch die Tore. Kornelius konnte nur einige Wortfetzen verstehen, aus denen er nicht schlau wurde. Aber war es nicht egal, was mit ihm passierte? Es war ein Wunder, das er überhaupt noch am Leben war… er hatte gespielt und mehr als nur verloren.

Die Türen schwangen auf und er erhaschte einen Blick auf den Abendhimmel. Oder auf das, was er zuerst für den Abendhimmel hielt. Kornelius erkannte seinen Fehler erst, als er weiter in die Halle hinein stolperte, kurz geblendet von dem seltsamen Lichtverhältnissen. Gewaltige, von leuchtenden kristallen gekrönte, Marmorsäulen trugen die kunstvoll bemalte Decke.

Sein Blick wanderte von den Säulen zum Thron, der sich im Zentrum der Halle erhob. Zu dem Mann der darauf saß… und den zwei Gestalten an dessen Fuß.

Tiberius Ordeal, nahm den zerlumpten Gefangenen kaum zur Kenntnis, als er hereingebracht wurde.

Mit einem Blick wandte er sich an Darian Karr. Der Hofzauberer trat von seinem Platz am Thron auf Kornelius zu.

„Er wurde aufgegriffen, als wir eine von Simon Belfares Patrouillen verfolgten, Herr.“, erklärte er. „Nur einige Späher, aber wir mussten sichergehen, dass sie wieder aus der Gegend verschwunden waren. Offenbar haben sie nach jemanden gesucht, wie man uns verraten konnte. Nach einer Gejarn wie es scheint.“

„Und ? Was hat das mit diesem Bauern zu tun? Ihr würdet es nicht wagen, einen simplen Querulanten hier anzuschleppen, wenn es nicht wichtig wäre. Solche Leute gehören einen Kopf kürzer und entsorgt. Sie sind ohne Wert für uns.“

„Geduld, bitte. Er wurde aufgegriffen, als eine Gruppe Gardisten sein Haus durchsuchte. Im Keller stießen wir auf einen Fluchttunnel. Als der Gang entdeckt wurde, hat er den Kommandanten der beteiligten Gardisten erschossen. Darauf haben die Überlebenden ihn schwer verletzt. Eigentlich hatten sie wohl nicht gedacht, dass er überlebt. Aber offenbar ist er ziemlich stur für sein Alter.“

„Seid Ihr bald fertig ?“ , knurrte Kornelius. Er hatte ohnehin nicht mehr viel zu verlieren, das wusste er. Aber dieser Kerl in seiner violetten Robe…. er hatte ihn während seiner Gefangenschaft gesehen. Er hatte ihn sehen und spüren können. Die Präsenz eines mächtigen Zauberers, konnte man schwer verkennen. Und Kornelius war sich mittlerweile sicher, dass der Kerl in seinem Geist herumgepfuscht hatte.

„Also hat er Simons Leute unterstützt?“, fragte Tiberius.

„In diesem Fall wüsste ich nicht, was er uns nützliches zu erzählen hätte.“

„Geduld Herr.“, wiederholte sich der Zauberer. Kornelius verzog die Lippen zu einem grimmigen Lächeln. Offenbar mochte der Kaiser die Spielchen seines Hofmagiers nicht. Da war er aber auch nicht der einzige.

„Er hat sich erst wiedersetzt.“, erklärte Darian.„Aber… Magie kann auch den stärksten Geist umgehen, wenn nötig. Wir wissen jetzt, was wir wissen müssen.“

Kornelius lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Wenn der Hexer nicht nur bluffte dann… Götter, Leif und Celani… nein, das konnte nicht sein.

„Ihr wisst überhaupt nichts.“, rief er. „Euer Magier da, ist doch nur auf eine Beförderung aus. Ja. Ich habe Simons Späher unterstützt, wollt Ihr das hören? Ich habe ihn die ganzen Kriegsjahre lag unterstützt, seid Ihr jetzt zufrieden? Können wir das hier jetzt bitte einfach beenden, ich bin alt, ich bin müde und wenn Euer Henker Verspätung hat, könnte es sein, das Ihr ihn nicht mal mehr braucht…“

Einer seiner Wächter, deren Gegenwart er kurzfristig vergessen hatte verpasste ihm einen Tritt in die Kniekehle. Kornelius sank mit einem schmerzerfüllten Aufschrei, nach vorne in sich zusammen.

Kaiser Tiberius Ordeal war aufgestanden und kam langsam auf ihn zu.

„Haltet Ihr mich für dumm, Bauer? Oder Unfähig ?“ , fragte er.

Kornelius sah nur grinsend auf.

„Fragt das Eure Leute in Vara. Oh verzeiht. Das geht nicht mehr. Die Stadt gehört jetzt ja nicht mehr Euch.“

Tiberius Hand verharrte über dem Griff eines Dolchs, der aus seinem Gewand ragte. Mit einem Ruck drehte sich der Herrscher um.

„Was habt Ihr herausgefunden Darian? Sprecht schnell, damit man mir diesen Kerl da vom Hals schaffen kann.“

Der Zauberer lächelte. Ein seltsames Grinsen, das Kornelius überhaupt nicht gefallen wollte.

„Wir wissen jetzt, wo sich eine weitere von Falamirs Tränen befindet. Oder besser… wir wissen, wo wir suchen müssen. Offenbar befindet sich der achte Stein, momentan im Besitz einer Gejarn, namens Celani. Wir wissen nicht genau, wo sie sich befindet, nur das sie nach Süden unterwegs ist, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Ein derart mächtiges Artefakt kann nicht ewig unentdeckt bleiben. Die fliegende Stadt verhindert im Augenblick, dass ich danach suchen kann, aber… wir werden es finden.“

„Süden…“ Der Kaiser sah auf.

„Wenn sie weiß, was sie da hat und es in Sicherheit bringen will, sonst hätte Simon es wohl längst, dann ist sie auf dem Weg in die freien Königreiche. Dann muss sie fast zwangsläufig über den Keel. Der Fluss durchschneidet das Grenzland Cantons auf ganzer Länge. Ohne Schiff gibt es keinen anderen Weg.“

Darian nickte.

„Dort könnten wir sie abfangen. Aber es gibt da noch etwas, das wichtig ist…“

Der Kaiser runzelte die Stirn.

„Was ist wichtiger, als eine Träne Falamirs, verratet mir das?“

„Offenbar ist bei ihr ein Mann, der sich Leif nennt.“

Der Prätorianer-Hauptmann, der bisher regungslos an der linken Seite des Throns gestanden hatte, zuckte kaum merklich zusammen. Lediglich das plötzliche klirren der schwarzen Stahlpanzerung verriet ihn. Die weißblonden Haare hatte er zu einem Zopf im Nacken gebunden, sodass sie kaum die Drachentätowierung auf seiner Stirn verbargen. Seine stahlblauen Augen blitzten auf.

Der Hofmagier lachte düster.

„Wie ich sehe, kennt Ihr den Namen noch, Robert.“

„Man könnte sagen, er war mein Mentor, Herr. Bevor er uns alle durch seine Flucht verraten hat. Der Drache hat sich dem Gesetz lange genug entzogen. Es gibt nur einen Weg, auf dem ein Prätorianer sein Amt ablegt und das ist im Tod.“

„In Anbetracht dessen, brauche ich erst gar nicht fragen, ob Ihr die Führung über die Männer übernehmen wollt? Zwanzig Gardisten dürften ausreichen, was meint Ihr?“

„Und gebt mir ein paar Wolf-Söldner.“ , erwiderte Robert.

„Warum Wölfe?“ , fragte Darian misstrauisch.

„Weil es keine loyaleren und wilderen Kämpfer gibt, dass man sie bezahlen kann, vorausgesetzt. Und ich habe Leif kämpfen sehen….“

„Ihr übertreibt.“ , bemerkte Darian.

Der Hauptmann lachte nur.

„Sagt das, wenn er Euch die Klinge ins Herz bohrt. Der Leif, den ich kenne, hat kein Problem damit, das zu tun… und im gleichen Atemzug, noch die drei da umzubringen, bevor sie ihre Schwerter ziehen können.“ Er nickte in Richtung von Kornelius Bewachern, die nervös enger zusammen rückten.

„Nehmt den Alten mit.“, schlug Tiberius vor „Das wird ihm ein wenig… Respekt lehren. Und wenn Leif ihn wirklich kennt… könnt ihr ihn vielleicht überzeugen, etwas vernünftiger zu sein. Danach könnt Ihr ihn dann gerne töten. Mit der Gejarn macht, was Ihr wollt. Aber bringt mir diesen Stein.“

 

 

 

Fast eine Woche war es jetzt her, dass sie die fliegende Stadt passiert hatten und die Landschaft hatte begonnen, sich zu verändern. Anfangs war es Leif kaum aufgefallen, aber nach und nach verschwanden die Wälder endgültig und machten endlosem, flachem Grasland Platz. Eine grüne Fläche ohne klare Konturen, durch die sich das graue Band der Händlerstraße zog. Nur ein paar Mal waren sie bisher an Abzweigungen gekommen, an denen sich der Weg mit weiteren kleinen Straßen kreuzte. Sie waren kaum jemanden begegnet, seit sie den Menschenstrom, der der Hauptstadt Cantons folgte durchquert hatten.

Leif saß unter dem Planendach eines der Wagen und arbeitete an den Waffen, die Ruben ihm gebracht hatte. Das Dach schützte ihn, wenigstens etwas, vor der sengenden Sonne, während er sich die Ausrüstung ansah. Feuerwaffen hatten sie keine. Vermutlich war das auch besser so, denn damit könnte er wenig anfangen, dachte Leif.

Dafür fünf Schwerter und dazugehörige Dolche, in einem Zustand, wie er sie selten zu/ sehen bekommen hatte. Verrostet, fast stumpf und mit tiefen Scharten. Er würde ein gutes Stück Material wegschleifen müssen, bevor die auch nur wieder ansatzweise brauchbar waren, stellte er fest. Aber das gab ihm wenigstens etwas zu tun. Und es würde die Waffen ein Stück leichter machen. Ruben war schon kein beeindruckender Kämpfer, stellte aber noch den wohl kräftigsten Mann der Wache dar.

Der Anführer der Miliz saß ein paar Schritte entfernt und sah ihm neugierig zu. Lewyn, der junge Magier, der sich immer in seiner Nähe zu halten schien, dafür weniger Interesse zu zeigen, sondern lehnte, die Augen geschlossen, an der Wand des Karrens. Celani lief draußen neben dem Wagen her, wie er wusste. Die Gejarn zog es offenbar vor, so weit wie möglich zu Fuß zu gehen. Oder traute den menschlichen Konstruktionen schlicht nicht, dachte Leif. Auf die fliegende Stadt zu treffen, hatte nicht nur sie verunsichert.

Es gab Erinnerungen, die er nicht wachrufen wollte… der Schmied schob die Gedanken wieder zurück, in den hintersten Winkel seines Verstands, und machte sich an die Arbeit. Mit geübtem Blick brachte er die Schneide eines der Dolche wieder in Form, bis der Stahl das Sonnenlicht draußen wiederspiegelte. Es war keine erschöpfende Arbeit, aber sie verlangte Präzession. Traf man beim Schleifen den Winkel falsch, wurde die Schneide nicht gut und man musste unter Umständen von vorne anfangen.

Er überprüfte die Klinge indem er sie einmal über seinen Arm führte. Leif nickte zufrieden, als der Dolch makellos sämtliche Haare abtrennte.

„Ruben, Lewyn, kommt mal her.“

Der Magier erhob sich unsicher und trat über die schwankenden Holzbretter des Wagens auf ihn zu. Ruben ging die Sache geschickter an und hielt sich an dem niedrigen, umlaufenden Geländer aufrecht.

„Was gibt es denn?“ , wollte er wissen.

Leif reichte dem Mann den Dolch.

„Wäre es in Ordnung, wenn ich das Lewyn anvertraue?“

„Das müsst Ihr schon ihn fragen.“, antwortete dieser lachend. „Ich bin nicht sein Vater, Leif. Wenn Ihr meint, er bräuchte eine Waffe, dann ist das seine Entscheidung.

Leif nahm das Messer wieder zurück.

„Das weiß ich, ich dachte nur…“

„Ich weiß, ich weiß, ich bin eben der, der ein Auge auf den Jungen hat.“ Ruben ließ sich neben ihm nieder und winkte den Zauberer herbei.

„Es wäre vielleicht besser, Ihr tragt den hier bei Euch.“ Er hielt Lewyn den geschärften Dolch zusammen mit der dazugehörigen Hülle hin.

„Ich habe durchaus andere Möglichkeiten mich zu verteidigen.“

„Ja die habe ich gesehen. Seht es nicht als Kritik an Euch Lewyn, aber… das wird Dir keinen wilden Bären vom Hals halten.“

Der junge Magier betrachtete den Dolch stirnrunzelnd.

„Das hier aber auch nicht.“

Ruben legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sagen wir einfach, uns wäre allen wohler, wenn wir wissen, dass Du Dich auch ohne Magie verteidigen kannst.“

Leif machte sich daran, die nächste Waffe wieder in Form zu bringen. Er sollte Erik vielleicht fragen, ob er noch eine weitere Waffe hätte. Er hatte vielleicht mit dem Krieg abgeschlossen, aber wenn es darauf ankam, würde er sich doch lieber, auf sein eigenes Können verlassen, als auf Ruben und seine Wächter.

Als hätten seine Gedanken den Mann herbeigerufen, tauchte der in Blau gekleidete Arzt bei einem der Wagen vor ihnen auf, die rothaarige Sängerin im Schlepptau. Und wie es aussah, war er in ihre Richtung unterwegs. Irgendwie fürchtete Leif, dass das nichts Gutes zu bedeuten hatte.

 

 

 

Kapitel 22

Kein ruhiger Tag

 

 

 

 

 

„Die Gejarn sind weg“. , erklärte Erik lediglich, als er sich dem Wagen näherte. Mit einer Hand zog sich der junge Gelehrte ins Innere und Sandria tat es ihm gleich. Leif erhob sich von seinem Platz im unter dem aufgespannten Sonnenschutz.

„Was soll das heißen weg?“ Celani entging wirklich wenig, dachte der Schmied. Die Gejarn beschleunigte ihre Schritte, bis sie auf gleicher Höhe mit dem Wagen war. Einen Augenblick musterte sie die Zugtiere misstrauisch und trat dann ebenfalls leichtfüßig herauf.

Leif hatte derweil eine weitere von Rubens Waffen fertig aufgearbeitet und reichte dem Milizführer das Schwert zurück.

„Weg heißt weg.“, erwiderte Sandria, als die Gejarn in den Wagen kletterte. „Sie sind offenbar gestern Nacht klammheimlich aufgebrochen. Heute Morgen zumindest hat von ihren Wagen jede Spur gefehlt.“

„Nicht, das ich besonders traurig darüber wäre.“, antwortete Ruben, der die wiedererlangte Waffe einen Moment bestaunte, bevor sie an ihren Platz an seinem Gürtel zurück wanderte. „Auch wenn Ihr das anders sehen mögt Celani, es bedeutet nur, ein paar Leute weniger, die wir durchbringen müssen.“

„Sie hätten Hilfe gebraucht.“

Erik seufzte.

„Ich kann aber auch niemanden, gegen seinen Willen, hier halten. Sie haben sich freiwillig entschieden zu gehen. Auch wenn ich vorgezogen hätte, dass sie mir wenigstens mitteilen, wann.“

„Sie haben sich nicht freiwillig entschieden.“, erwiderte die Gejarn heftig. „Der verdammte Wolf hat für alle bestimmt. Sandria, Ihr habt es doch selbst gesehen.“

„Der Punkt ist nur… dass sie weg sind.“, stellte Leif fest. Er wollte ganz sicher nicht zwischen die Fronten geraten. Wenn es hier so etwas gab. „Wir könne nichts mehr daran ändern oder?“

„Nein.“ , gab die Gejarn zu. „Aber das heißt nicht, dass es mir gefallen muss.“

„Hoffen wir, dass sie ihren eigenen Platz finden.“ Der Schmied wandte sich an Erik. „Ich hatte ohnehin gehofft, noch mit Euch reden zu können.“

„Sicher. Wenn Ihr nichts dagegen habt, mit mir zu kommen? Ich sehe grade noch, ob sonst wenigstens alle in Ordnung sind.“

Leif nickte. Etwas Bewegung würde ihm ohnehin gut tun. Die Arbeit an den Waffen war eintönig und mittlerweile waren auch einige Wolken vor die Sonne gezogen. Vielleicht würde es später regnen. Es hatte seit seinem Aufbruch aus Goldbrück, keine Schauer mehr geben, dachte der Schmied. Der Sommer hatte das Land, nach wie vor, in festen Griff. Aber bis sie Erindal erreichten, konnte es schon Mitte Herbst sein.

Er folgte dem Arzt, als dieser vom Wagen sprang. Leif selber kletterte doch lieber vorsichtig hinab, während Erik schon zwischen den anderen Karren verschwand. Der Schmied musste sich tatsächlich beeilen, mit dem Wirbelwind von einem Mann, Schritt zu halten. Verflucht, er wurde doch nicht etwa alt? Das wohl nicht. Aber er konnte nach fast acht Jahren herumsitzen auch nicht erwarten, noch in der gleichen Form wie einst zu sein.

„Also, wie sieht es aus?“, wollte er wissen, während sie den Strom der Flüchtlinge passierten.

„Ich meine, ganz ohne hier irgendetwas schön zu reden?“

„Wir komme durch, Leif. Irgendwie. Aber… das wird nicht einfacher werden. Uns bleiben noch Vorräte für ein paar Wochen und wenn die Leute wirklich alles veräußern, was wir gegen Lebensmittel eintauschen können, schaffen wir es, knapp. Dazu kommt die Hitze. Wir sind noch im Herzland, hier gibt es genug Flüsse und Bäche. Näher an Erindal, wird das schon schwieriger.“

„Bis wir dort sind, wird es hoffentlich etwas kühler. Die Reise wird uns doch Monate kosten.“

Erik nickte.

„Sicher wird es das. Aber wir können uns wohl schlecht nur auf das Wetter verlassen. Trotzdem sind das Probleme, mit denen wir klar kommen müssen. Das wird kein Spaziergang, aber ich habe durchaus vor, diese Leute, alle lebend in Sicherheit zu bringen.“

„Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen.“

„Dann lasst mal hören, Herr Leif. Habt Ihr eigentlich einen Familiennamen?“

Leif wurde langsamer und blieb einen Moment sogar stehen. Die Frage traf ihn unvorbereitet.

„Es gab eine Zeit, in der ich einen getragen habe, ja. Aber nicht mehr.“

„Und Ihr werdet mir auch nicht verraten, warum. Verstehe. Es sollte mich nicht wundern, dass der Drache des Kaisers etwas schweigsam über seine Vergangenheit ist.“

„Ihr… wisst wer ich bin?“

„Nun bis grade eben war es nur eine Vermutung. Aber ich schätze, Eure Reaktion bestätigt das. Ruben hat mir erzählt, dass Ihr einst ein Prätorianer wart. Es gab nicht viele, die ihrem Schwur den Rücken kehrten. Ich habe nur eins und eins zusammengezählt. Also, lasst hören? Was wolltet Ihr vorschlagen?“

Der Schmied atmete erleichtert auf. Sicher, ganz wohl war ihm nicht, dass der, ihm noch recht fremde Arzt wusste, wer er war. Aber es gab Schlimmeres, nicht?

„Momentan sind die Leute noch alle gesund, oder?“

„Zwei, drei haben leichtes Fieber, aber um die kümmere ich mich schon. Ihr habt doch nicht etwa Erfahrung mit Medizin?“

„Wenn man das so nennen könnte. Es gab eine simple Regel für alle Prätorianer, auch in den Heerlagern. Sich Sauber zu halten. Und ich kann aus Erfahrung sagen, dass in der Zeit, die ich bei der kaiserlichen Leibgarde verbracht habe, fast nie jemand krank geworden ist. Bei der normalen Truppe hingegen, toben regelmäßig Seuchen, vor allem, wenn sie länger an einem Ort verweilten.“

„Ich soll den Leuten das Baden verordnen meint Ihr das?“

„Es kann nicht schaden.“

Erik schien einen Moment darüber nachzudenken, dann sah er auf, ein seltsames Glitzern in den Augen.

„Die Idee gefällt mir, ja doch. Die gefällt mir sogar sehr. Herr Leif, ich glaube, wir werden Euren Rat bei nächster Gelegenheit befolgen. Wir müssten vor der Grenze Cantons spätestens an einen Fluss kommen. Die Keel. Dort können wir Rast machen. Dann kommen die Leute von selbst drauf, sich den Straßenstaub abzuwaschen.“

„Ihr könntet es ihnen auch einfach sagen.“

„Sicher, aber wenn ich eins gelernt habe, dann das: Wenn du willst, das die Leute tun was du ihnen sagst… bring sie dazu zu denken, sie wären von alleine darauf gekommen. Das ist immerhin eine Sache, die ich von Mhari gelernt habe.“ Der Arzt zog eine der Pistolen aus dem Holster an seinem Gürtel. „Bevor ich es vergesse, Ihr könntet Euch die nicht auch einmal ansehen?“

Leif nahm die Feuerwaffe vorsichtig entgegen. Das Gewicht der Waffe überraschte ihn etwas. Die Radschlosspistolen, die er bisher in Händen gehalten hatte, waren schwer, von Arkebusen ganz zu schweigen. Die hier jedoch waren, im Vergleich dazu, federleicht. In die Griffe waren Einlagen aus Elfenbein eingearbeitet, die verschiedene Szenen aus dem Tierleben Cantons zeigten. Das waren nicht die Waffen eines umherziehenden Gelehrten, dachte Leif kurz. Und auch der Schlossmechanismus sagte ihm wenig. Es war ein Radschloss, die grundlegenden Komponenten erkannte er, aber irgendjemand, hatte einen kompliziert wirkenden Apparat, aus Zahnrädern daran aufgebaut. So groß wie sein Daumen, wirkte der Mechanismus ziemlich empfindlich.

„Ich habe bisher in keiner Feuerschmiede Cantons gearbeitet. Ich habe also nur ein ziemlich rudimentäres Verständnis dafür. Könnt ihr mir erklären, was das hier ist?“

Er deutete auf den seltsamen Zahnradmechanismus.

Erik nahm die Pistole mit einem Grinsen wieder an sich.

„Kommt.“ Er bedeutete dem Schmied, ihm ein Stück von der Karawane weg, ins offene/ Feld zu folgen. Dann richtete er die Waffe ins nichts und zog den Abzug durch. Ein Schuss löste sich, Erik stupste den seltsamen Mechanismus mit den Finger an… und feuerte gleich nochmal.

„Eine repetierte Waffe.“, erklärte er. „Sowas bekommt ihr nirgends in Canton, ich hab die Pläne dafür selber entworfen. Stellt euch das Gesicht eures Gegners vor, wenn er glaubt, ihr hättet danebengeschossen und müsstet nachladen, und im nächsten Moment erwischt ihn die zweite Kugel. Allerdings würde ich wohl zweimal danebenschießen. Die meisten Leute sind dann klug genug, wegzulaufen. Ich hasse es zu töten, wenn es nicht sein muss.“

Er ließ die Waffe wieder im Holster verschwinden. „Die Gejarn kommt in Ordnung?“

„Ihr meint Celani? Ich vermute es. Sie hat… schon Schlimmeres durchgemacht.“

„Hat sich eben aber nicht so angehört.“ Erik zog eine Pfeife aus der Tasche an seinem Gürtel.

„Ich rede später mit ihr.“, versprach Leif. Das hatte er ohnehin vorgehabt. In den letzten Tagen waren sie kaum dazu gekommen, sich zu unterhalten. Leif hatte mehrmals nachts laufen müssen und die Tage verschlafen, während die Gejarn tagsüber mit der Karawane mitging.

Erik musterte derweil skeptisch die Pfeife in seiner Hand und pflückte einen Glassplitter aus dem Holz. Dann schnippte er die Scherbe beiläufig über die Schulter.

„Das war vermutlich nur das Quecksilber.“, meinte er, als Leif ihn fragend ansah. „Keine Sorge, das verdampft.“

„Ihr lauft mit einer Flasche Quecksilber herum?“

„Und mit jeder Menge medizinischem Besteck und einigen Grundchemikalien. Ich trenne mich ungern von meiner Ausrüstung.“

„Irgendwie wundert es mich, dass ihr Euch noch nicht selbst in Brand gesteckt habt.“

Erik lachte nur und entzündete die Pfeife. Eine blaue Stichflamme loderte auf, die sowohl Leif, als auch den Arzt dazu brachten, einige Schritte zurück zu treten. Dabei ließ dieser, die Pfeife fallen, die endgültig Feuer fing und langsam verkohlte.

„Ich korrigiere mich.“, stellte Erik trocken fest. „Was da zerbrochen ist, war nicht das Quecksilber. Das war der medizinische Alkohol.“

Der Schmied schüttelte nur den Kopf.„Noch eine Sache. Ihr habt nicht zufällig noch Waffen übrig? Ich möchte Ruben und seine Männer nicht beleidigen, aber ich wäre doch lieber in der Agens, mich selbst zu verteidigen, wenn es darauf ankommt.“

„Die Schwerter, die wir haben, stammen alle aus dem Besitz der übrigen Flüchtlinge. Die Antwort auf eure Frage ist also - Nein. Es sei denn…“

„Was ?“

Erik winkte ihm einfach, ihm zu folgen.

„Kommt mal mit.“

Sie schlossen sich wieder dem Strom der Karawane an. Der Arzt lenkte seine Schritte auf einen Karren zu, auf dem Kisten und Fässer gestapelt standen. Leif hatte schon mehrere davon gesehen. Offenbar hatte Erik dafür gesorgt, dass man alles an Gepäck auf wenige Gefährte zusammenbrachte, anstatt das jedem Flüchtling selbst zu überlassen. Platzsparend. Eines musste er dem Gelehrten lassen, er wusste, wie man etwas so organsierte, das es funktionierte.

Leif blieb draußen vor dem Wagen und lief daneben her, während Erik offenbar das innere durchsuchte. Mehrere dumpfe Schläge erklangen und der Schmied fürchtete schon, der Stapel aus Kisten und Möbeln würde ins Rutschen kommen. Dann tauchte Erik wieder auf und sprang hinaus auf die Straße. In seinen Händen befand sich etwas, dass Leif erst für ein glatt poliertes Stück Holz hielt.

Der Arzt warf ihm den Gegenstand zu und Leif fing ihn aus der Luft. Er erkannte seinen Irrtum recht schnell. Es war ein Schwert, aber ein ziemlich ungewöhnliches, wie er sofort feststellte. Kein Wunder, das dieses keine der Wachen hatte benutzen wollen. Die Schwertscheide war aus einem einzigen Stück Ebenholz gefertigt. Die Oberfläche war glatt genug um sich darin zu spiegeln und wirkte fast metallisch. Der Griff hingegen, war aus schlichtem, mit Stoffbanden umwickeltem Stahl und lief in einem Ringknauf als Gegengewicht für die Klinge aus.

Leif zog das Schwert blank. Auch die Klinge war ungewöhnlich. Der Stahl verlief nicht gebogen und besaß nur eine einzige Schneide. Die andere Seite hingegen lief in dünnen Zacken aus, die fast wie Reißzähne wirkten. Und vermutlich auch genau so funktionierten, dachte Leif und schauderte. Er kannte das Design.

„Das ist ein Gejarn-Schwert.“, stellte er fest. „Wie es aussieht, Wolfsstil. Wo habt Ihr das her?“

„Von unseren verschwundenen Freunden. Waren nicht zu begeistert, als man sie bat, ihre Waffen abzugeben. Aber ich kann auch schlecht zulassen, dass ein Haufen angespannter Flüchtlinge hier bewaffnet herumrennen. Das gibt Tote. Also, denkt Ihr, Ihr könnt damit umgehen?“

Leif besah sich die Waffe noch einmal.

„Wenn ich die Gelegenheit bekomme, werde ich etwas daran arbeiten müssen. Die Zacken gefallen mir nicht. Das Ding ist dazu gefertigt, einem Gegner unnötig Schmerzen zuzufügen, nicht ihn zu töten. Wenn ich mit Rubens Waffen durch bin, mache ich eine zweite Schneide daraus.“

„In diesem Fall, gehört es jetzt Euch.“

„Und glaubt ihr, ihr könnt morgen einen Wagen Freiräumen?“

„Das sicher, aber wozu ?“

„Ruben und seine Leute sind vielleicht dankbar, wenn ich ihnen ein paar Kniffe beibringe. Auf dem fahrenden Untergrund können sie dann auch gleich lernen, das Gleichgewicht zu halten. Und… vermutlich kann ich das Training gebrauchen. Es ist eine Weile her, dass ich eine echte Waffe in Händen hatte.“

„Klingt ja fast so, als wäre Euch das Leben als Schmied zu langweilig geworden, Herr Prätorianer?“

„Nein. Nur wie Ihr schon sagtet. Ihr habt die Absicht, diese Leute lebend an ihr Ziel zu bringen und dieses Ziel teile ich.“

 

 

 

 

 

Kapitel 23

Training

 

 

 

 

 

„Haltet, vor allen Dingen, Euren Gegner im Auge, aber passt auch auf, was der Mann links oder rechts von euch tut. Sonst lauft Ihr Euch noch gegenseitig in die Schwerter“

Sie hatten nicht viel Platz, aber für den Anfang machte das nichts. Mit acht Leuten auf dem freigeräumten Deck des Wagens zu stehen, gab jedem nur so viel Freiraum, wie er grade brauchte, um ein Schwert sicher führen zu können. Aber wenn die fünf Karawanenwächter hier vernünftig kämpfen können, dachte Leif, dann können sie es überall.

Neben Ruben und seinen Leuten, hatten sich auch Sandria und Celani eingefunden. Lewyn hatte offenbar die Nacht über durchlaufen müssen und schlief noch.

Leif musterte Ruben unsicher. Wenn Lewyn nachts wach gewesen war, dann war der Milizführer, fast sicher, auch unterwegs gewesen. Der Mann zeigte aber kaum Anzeichen von Müdigkeit. Trotzdem würde er ein Auge darauf haben.

Er nickte ihm kurz aufmunternd zu.

Für den Anfang hatte er die Fünf, jeweils paarweise aufgeteilt. Er selber stand Ruben gegenüber, der die Hände auf den Schwertknauf abstützte. Leif hatte gestern noch sichergestellt, dass er mit allen Waffen fertig wurde. Durch das Schleifen, hatten die Klingen an Material verloren, und würden teilweise ein spürbares Stück leichter sein. So konnten sich die Fünf gleich an ihre neuen Klingen gewöhnen.

„Ruben. Versucht einmal mich anzugreifen.“

Der Mann hob sein Schwert auf und stürzte vor, so gut das der beengte Platz auf dem Wagendeck zuließ. Ein simpler und grober Angriff. Leif parierte den Schlag mit der flachen Klingenseite und nutzte den kleinen Moment der Erstarrung, um beiseite zutreten und seinen Gegner ins Leere laufen zu lassen. Ruben stolperte an ihm vorbei und Leif versetzte ihn einen Schups mit der Hand, der dem Mann endgültig aus dem Gleichgewicht brachte.

Ruben schlug der Länge nach hin und das Schwert wurde ihm aus der Hand gewirbelt.

Der Schmied half ihm rasch wieder auf die Beine.

„Alles in Ordnung ?“

„Ich glaube schon, nur ein paar Kratzer.“

Leif trat zurück und ließ seine eigene Waffe wieder an ihrem Platz an seinem Gürtel verschwinden.

Nachdem er mit der Ausrüstung für Rubens Miliz fertig war, hatte er sich das Wolfsschwert vorgenommen. Die unnötigen Zahnklingen waren einer simplen Schneide gewichen und er hatte ein paar Bänder mehr um den Griff gewickelt, damit die Waffe sich besser seinem Griff anpasste.

Leif wartete, bis er die Aufmerksamkeit der übrigen vier Kämpfer hatte.

„Ich sage immer, seht zu und lernt. Rubens erster Fehler grade war, das er mich aus den Augen gelassen hat.“ Der Schmied wartete, bis er sicher sein konnte, dass alle ihn verstanden hatten. „Blind voranzustürmen, zeugt nicht von Mut. Und der einzige Dienst, den ihr damit allen erweist, die ihr beschützen wollt ist, das ihr sterben werdet. Wenn ihr die Initiative ergreift, einen Kampf zu beginnen, dann bleibt ruhig. Reagiert nicht über. Beobachtet euren Gegner ruhig einen Augenblick lang. Ich will, dass ihr das erst einmal übt. Einer von euch bleibt stehen wo er ist, der andere versucht ihn anzugreifen. Versucht, den Angriff abzuwehren, achtet auf euren Gegner. Seht zu, dass ihr die nötige Körpersprache lernt. So könnt ihr einschätzen, aus welcher Richtung ein Angriff kommt. Ruben ? Eine Demonstration ?“

Der Mann lachte. „Ihr habt mich grade schon verdroschen, aber schön, noch einmal.“ Leif schüttelte den Kopf.

„Diesmal, bleibt Ihr wo Ihr seid und ich greife Euch an. Versucht zu befolgen, was ich eben gesagt habe. Augen auf.“

 

Das Kirren von Stahl, das kurz darauf die Luft erfüllte, hallte unangenehm in Celanis Ohren wieder.

Die Gejarn hielt sich am Rand der Gruppe und beobachtete die Kämpfe nur flüchtig. Leif schien wirklich ein Talent als Lehrer, für diese Leute zu haben. Ihre Gedanken jedoch wanderten bereits weiter, ihre Reiseroute entlang zu den Ufern des südlichen Meeres. War das wirklich weit genug? Sie konnte es nur hoffen. Und wenn nicht… wenn nicht, hieß das weiter. In Bewegung bleiben, bis dieser ganze Irrsinn vorbei war. Er musste irgendwann einfach enden. Es lag ein langer Weg hinter ihr und noch ein langer vor ihr. Geister, die Länder, die sie nun durchquerten, waren ihr endgültig fremd und das, obwohl sie einmal geglaubt hatte, schon weit herumgekommen zu sein. Für die Verhältnisse ihres Clans zumindest.

„Hey, Ihr seht ja aus wie zehn Tage Regenwetter.“

Celani drehte den Kopf und entdeckte Sandria, die sich auf dem Boden neben ihr niederließ.

„Ich denke grade darüber nach, was wohl aus meinem Clan geworden ist.“, erklärte sie der Sängerin.

„Ihr wisst es also nicht?“ /

„Nein. Aber ich kann es mir denken. Wir haben… Simon Belfare einem Grund gegeben wütend auf uns zu sein.“

„Ist das der Grund aus dem Ihr hier seid?“

Die Gejarn nickte.„Das trifft es wohl ganz gut.“

„Ich bin ihm einmal begegnet, wisst Ihr.“

„Wem ?“

„Simon. Ein… interessanter Mann. Er spricht vom Frieden und verurteilt im gleichen Atemzug die gesamte Garnison einer Festung zum Tode. Das seltsame ist, ich glaube sogar, dass er meint, was er sagt. Er wirkt nicht wie jemand, der einen wehrlosen Clan angreifen würde.“

„Das beruhigt mich jetzt wirklich ungemein, danke.“, erwiderte die Gejarn bitter.

„Verzeiht, ich wollte wirklich nicht…“ Das aufeinanderprallen von Stahl hinderte die Sängerin daran, den Satz zu beenden.

Die Gejarn war für die Unterbrechung dankbar, gab es ihr doch die Gelegenheit, das Gespräch zu beenden. Was war nur mit ihr los?, fragte sie sich. Sandria hatte sich doch nur Sorgen um sie gemacht. Sie hatte überreagiert, so einfach war das. Mal wieder gehandelt und gesprochen, bevor ihr Kopf dazu kam. Aber das war menschliches Handeln, nicht die ihre. Menschen mussten immer erst über alles nachdenken. Vielleicht veränderte sie die Nähe zu so vielen davon einfach.

Als Celani den Kopf zur Quelle des Geräuschs drehte, sah sie einen, über beide Ohren grinsenden Ruben, der einem entwaffneten Leif gegenüberstand.

„Und wie war das?“ , wollte der Milizhauptmann wissen.

Leif grinste ebenfalls, während er seien Waffe wieder aufhob.

„Nicht schlecht. Wenn das so weitergeht, kann man mit Euch ja doch noch was anfangen.“ Der Schmied trat zurück und überließ Ruben damit das Feld,

„Lasst die Vier noch etwas weitermachen.“, wies Leif ihn an, während er zu Sandria und Celani trat.

„Sieht ja so aus, als könnte Erik doch noch eine brauchbare Schutztruppe bekommen.“ , meinte die Sängerin.

„Es sind gute Leute.“, erwiderte der Schmied nur. „Ihnen fehlt nur etwas Übung. Celani ? Können wir kurz reden?“

Die Gejarn nickte und stand auf, während Leif bereits vom Wagen kletterte und sich etwas zurückfallen ließ. Als Celani ihn wieder eingeholt hatte, liefen sie einen Moment schweigend nebeneinander her.

„Wie geht es Dir?“ Die Frage überraschte sie einen Moment.

Sicher, in den letzten Tagen waren sie sich seltener über den Weg gelaufen, aber in einer Karawane wie dieser war es fast unmöglich nicht über die meisten Bescheid zu wissen. Andererseits… Leif tat selten etwas ohne guten Grund, oder?

Geister, du denkst schon wieder zu viel.

„Und ich hätte gerne eine ehrliche Antwort.“, fügte er hinzu, bevor Celani etwas sagen konnte.

„Und das geht Dich, genau warum, was an?“ Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen.

„Es geht mich nichts an, Celani. Und vielleicht hab ich auch ein wenig Dein Gespräch mit Sandria mitbekommen. Aber wir sind Freunde und ich mache mir Sorgen.“

„Manche Leute würden behaupten, Prätorianer haben keine Freunde.“ Sie lächelte.

„Es ist nur, ich bin in letzter Zeit etwas angespannt.“

„Das ist verständlich“ , meinte er versöhnlich.

„Es ist… nicht nur wegen der Träne.“

„Das habe ich mir fast gedacht. Die Gejarn ?“

„Ich weiß es nicht. Vermutlich. Ich war bisher immer sicher, dass das alles vorbei ist, wenn ich es nur an die Küste schaffe. Aber ich habe wenig nachgedacht… was wenn Erindal nicht sicher ist?“

„Dann suchen wir einen anderen Platz.“, erwiderte Leif. „Ich gewöhne mich langsam daran, die ganze Zeit unterwegs zu sein.“

„Du würdest wirklich mitkommen? Nach all dem ?“

„Ich will nicht lügen, wenn es nach mir ginge, wäre ich noch in Goldbrück und daran würde sich, bis zu meinem Tod, auch nichts mehr ändern. Aber es geht eben nicht nur nach mir. Also….“

Bevor er den Satz beenden konnte, wurde Leif von einer, nur zu bekannten Stimme, unterbrochen.

„Leif. Wolltet Ihr nicht Rubens Leute ausbilden?“ Erik Flemming kam ihnen auf einem Pferd entgegen und sprang vom Rücken des Tieres, als er nur noch ein paar Schritte entfernt war

„Für den Anfang kann das Ruben genau so gut wie ich.“, erklärte ihm der Schmied.

„Ich zeige ihnen nur, was sie falsch machen und was sie üben müssen. Es ist besser, wenn sie von jemand lernen, den sie kennen.“

„Wie es aussieht haben wir sogar Glück Euch über den Weg gelaufen zu sein.“

„Das kommt darauf an.“, erwiderte Leif. „Ihr wisst von dem Ale’nyo?“

Erik zuckt sichtbar zusammen.

„Woher…“

„Nur geraten, aber eure Reaktion grade verrät mir alles.“

„Verflucht , Ihr seid gut. Mich mit meinen eigenen Waffen schlagen. Wirklich gut. Ja ich weiß vom Lichtbringer. Ich erkenne ein magisches Artefakt, wenn ich es sehe. Auch wenn mich interessieren würde, Celani, wie eine Träne Falamirs in Euren Besitz kommt?“

Die Gejarn seufzte. „Ihr habt wohl ein Recht darauf, die ganze Geschichte zu kennen, wie?“

„Habe ich das?“ , wollte der Arzt wissen. „Das würde bedeuten, es würde irgendwas für mich bedeuten. Beispielsweise, das sowohl der Kaiser als Simon Belfare nach diesen Steinen suchen.“

„Geister, gibt es irgendetwas, das Ihr noch nicht wisst?“

„Sehr viel sogar. Wie gesagt, mich interessiert die ganze Geschichte.“

 

Celani begann also davon, wie sie mit dem Armband aufgebrochen war, nachdem Simon ihren Clan aufgefordert hatte, dieses zu übergeben. Von ihrer wochenlangen Flucht durch halb Canton, der zwanzig Wächter zum Opfer fielen und wie sie letztlich verletzt und alleine auf Leif getroffen war. Ab hier übernahm der Schmied den Rest der Erzählung. Angefangen von ihrem ersten Treffen zu dem Moment, in dem er endlich die Wahrheit erfuhr und weiter bis sie auf Eriks Flüchtlingskarawane getroffen waren.

„Also ist Simon Belfare selbst hinter uns her.“, schloss Erik, als Leif und Celani ihre Geschichte beendet hatten.

„Ich kann verstehen, wenn Ihr uns lieber nicht mehr dabei haben wollt.“, erklärte Celani.

Und sie könnte es wirklich. Der Arzt hatte nicht gewusst, wen er da mit sich ziehen ließ. Eine potentielle Gefahr für alle, die ihm ihr Leben anvertraut hatten.

Der Arzt aber winkte ab.

„Blödsinn. Wir dürften weit genug weg von den Schlachtfeldern sein, oder? Ich bin kein Feigling, Frau Luchs. Es wäre vielleicht besser gewesen, ich hätte das von Anfang an gewusst, aber das macht die Dinge doch gleich viel interessanter. Ich bin kein Freund des Kaiserreichs und verzeiht, aber viel Sympathie für den Kriegsherren aus dem Norden kann ich auch nicht aufbringen. Und außerdem, erledigt euer Freund hier durchaus gute Arbeit. Bleibt, ich bestehe sogar darauf. Aber…“Der junge Arzt drohte ihnen mit dem Finger, wie eine viel ältere Person. „Solltet Ihr mir irgendetwas nicht verraten und wir dadurch in Gefahr geraten… dann glaubt nicht, das ich darüber hinwegsehen würde. Dann mach ich mir ein paar Handschuhe aus eurem Fell, wir verstehen uns? “

Auch wenn er in einem unbeschwerten Tonfall sprach, seine Augen bleiben dabei so kalt, das Celani nur im Stande war, kurz zu nicken. Vielleicht zum ersten Mal verstand sie, was Ruben gemeint hatte, als er Erik als verrückt bezeichnete. Nicht böse, nicht ohne Verstand… aber das Wesen, das der Mann an den Tag legte, war bestenfalls die Oberfläche eines Sees. Was darunter lag… wollte man niemals wecken.

„Das ist jetzt wirklich…“ Leif wollte protestieren, aber als Erik sich an ihn wandte, blieben ihm die Worte offenbar im Hals stecken.

„Man erzählt sich Geschichten über die Prätorianer, mein Freund. Ich kenne viele davon und weiß, dass zumindest die, die mich am meisten beunruhigen, Lügen sind. Ich kenne auch viele Geschichten über Simon Belfare. Bedauerlicherweise, weiß ich auch, dass sie wahr sind. Der Sangius-Orden war anfangs nichts weiter, als eine Organisation von Zauberer-Söldnern. Simon und seine Leute wurden vor beinahe fünfzehn Jahren angeheuert, einen Aufstand niederzuschlagen. Offenbar nur ein paar aufmüpfige Gejarn-Clans und menschliche Deserteure, die sich ihr eigenes kleines Reich errichten wollten. Aber während der Kämpfe, verschwand Simon einfach. Er tauchte erst Jahre später wieder auf der Bildfläche auf. Angeblich war er weit im Norden, bei den Eisnomaden… Wer weiß was dort mit ihm geschehen ist. Dann begann sein Feldzug. Ohne Vorwarnung, ohne Kriegserklärung. Bevor der Kaiser reagieren konnte, hatte er schon den halben Norden annektiert. Glaubt nicht, dass ich es auf die leichte Schulter nehme, mir diesen Mann zum Feind zu machen.“

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 24

Feuer und Stahl

 

 

 

 

 

Der Himmel war mit grauen Regenwolken verhangen. Die ersten Wassertropfen schlugen auf die Steinfließen zu seinen Füßen und machten den Untergrund rutschig und tückisch.

Simon Belfare schüttelte nur den Kopf, als er auf die Mauer aus schwarzen Panzern starrte, die sich vor der Festung sammelte. Die Erdwacht über die Brücke anzugreifen, so dumm konnten sie doch nicht sein? Der Heerführer stand auf einem der Außentürme des Bollwerks und sah über die Schlucht hinweg zu den aufmarschierenden Prätorianern und Gardisten.

Kaiser Tiberius war offenbar wirklich darauf aus, sich die Festung zurück zu holen, dachte er. Nur hatte seine Streitmacht nicht den Luxus, die Erdwacht auf breiter Front angreifen zu können. Wenn sie es wagten, ihre noch geschützte Position, jenseits der Schlucht zu verlassen, würden sie sich dem Pfeilhagel der Verteidiger auf kleinem Raum zusammengedrängt stellen müssen. Ihnen blieb gar keine andere Wahl. Die Burg zu belagern und versuchen sie auszuhungern war sinnlos, solange sie die Schlucht nicht umgehen konnten.

Neben Simon und Ordt stand eine Reihe Gewehrschützen auf dem Turm, die ihre Waffen bereithielten. Der Geruch von brennenden Lunten lag in der Luft. Auch die Panzerung der kaiserlichen Garde hatte den schweren Bleiprojektilen nicht viel entgegenzusetzen. Er musste nur noch den Befehl geben. Sobald die Armee des Kaisers den Fehler machten anzugreifen….

„Sagt mir, was Ihr davon haltet.“

Ordt trat an die Zinnen des Turms und besah sich einen Moment die wartenden Soldaten. Nach wie vor bildeten die schwarzgepanzerten Kämpfer, eine gerade, unbewegliche Linie, ein Stück außerhalb der Reichweiter der Bogenschützen. Scheinbar unbeeindruckt vom einsetzenden Nieselregen. Die Drachen-Banner über ihren Köpfen wehten im Wind.

„Ich weiß es nicht Herr. Aber es gefällt mir nicht. Wir haben Berichte aus dem Norden bekommen, das der Kaiser wieder Boden gut macht.“

„Das kann uns egal sein.“, erwiderte Simon kühl.

„Wir haben dafür bereits einen Keil direkt ins Herz seines Reichs getrieben. Was will ich noch mit dem Norden? Lasst den Kaiser das Eis zurück haben, wenn er so daran hängt.“ Sein Ziel lag ganz wo anders. Im Süden. Er konnte die Träne spüren, wenn die Entfernung auch zu groß war um genau zu sagen wo. Aber offenbar flohen sie in diese Richtung. Wenn sie glaubten sich dort verstecken zu können….

„Das hier aber.“ , fuhr Ordt derweil fort, „ist entweder eine gewaltige Verschwendung von Menschenleben, oder…“ , bevor der Gejarn den Satz beenden konnte, kam Bewegung in die Mauer aus Prätorianern. Die komplette Armee fiel plötzlich auf die Knie. Simon fragte sich erst, ob die fanatischen Kämpfer des Kaisers endgültig übergeschnappt waren… dann jedoch packte ihn das nackte Entsetzen. Simon Belfare erlebte einen der wenigen Augenblicke in seinem Leben, in dem ihn die Furcht packte.

In dem Moment wo die Armee sich duckte, wurde endlich sichtbar, was sich in ihren Reihen verborgen hatte.

Simon zählte über drei Dutzend stählerne Rohre, die im schwachen Dämmerlicht aufblitzten. Feuerschlangen. Kanonen.

Ordt ließ sich instinktiv zu Boden fallen und riss Simon mit sich.

„Alle in Deckung…“ der Rest seiner Worte ging in einem ohrenbetäubenden Getöse unter, als die Geschütze vor der Festung alle gleichzeitig feuerten. Gesteinsbrocken wurden aufgewirbelt, als die Mauern unter dem Trommelfeuer der Geschütze knirschten. Scharfkantige Splitter und Staub jagten durch die Luft und fällten all jene, die sich nicht rechtzeitig in Deckung gebracht hatten. Die gesamte Erdwacht erzitterte unter dem Angriff. Wehrgänge stürzten in sich zusammen und rissen die darin stationierten Soldaten mit sich und die Kugeln, die kein Ziel in den Mauern oder Türmen fanden, schlugen gewaltige Löcher in die Decken der Wirtschaftsgebäude.

Simon Belfare rappelte sich wieder auf und klopfte sich Staub und Gesteinsreste aus der Kleidung. Während er Ordt wieder auf die Beine zog, versuchte er sich einen raschen Überblick zu verschaffen. Mindestens die Hälfte der Schützen, die mit ihnen auf dem Turm gewesen waren, waren tot. Die anderen kauerten sich unter dem, was von den Zinnen übrig geblieben war. Lücken, von der Größe ausgewachsener Männer, klafften im Stein.

In den anderen Teilen der Festung sah es nicht besser aus. Zerschmetterte, halb in sich zusammengesackte Mauern. Türme, denen ganze Stockwerke einfach weggebrochen waren. Und Leichen, die von der schieren Wucht der Einschläge, von den Mauern geschleudert worden waren.

Auf der anderen Seite der Schlucht, setzten sich die Prätorianer in Bewegung. Nur einige, wenige Pfeile und Kugeln fanden noch ihren Weg in Richtung der gegnerischen Armee. Die meisten von Simons Überlebenden Kämpfern blieben in Deckung oder waren nach dem Angriff noch auf ihren Posten erstarrt.

Simon selber konnte den Blick kaum von der Zerstörung reisen, die ihn plötzlich umgab. Wie hatte er so dumm sein können, seinen Gegner derart zu unterschätzen? Aber er kannte die Antwort, kannte sie nur zu gut. Er war fehlbar….

Das ganze hatte nur wenige Herzschläge gedauert und doch… Simon schüttelte das lähmende Entsetzen ab, das sich seiner bemächtigen wollte. Nein. Das ließ er ihnen nicht/ durchgehen. Mit einer Bewegung riss er das Schwert von seinem Platz an seinem Gürtel und stürmte die brüchige Treppe des Turms hinab.

„Mir nach. Zu mir.“ Simon hatte den Hof der Erdwacht schon fast erreicht, als sein Ruf die ersten aus ihrer Erstarrung riss.

„Zu mir. Sammelt euch.“

 

Die Festung war in diesem Zustand kaum zu halten. Die schweren Tore, die auf die Brücke hinaus führten, hingen nur noch halb in ihren Angeln und würden einem Sturmangriff wohl nicht lange standhalten. Aber die Brücke selbst, stellte nach wie vor ein Nadelöhr dar. Die ersten überlebenden Kämpfer kamen angerannt. Andere verließen ihre Posten auf den beschädigten Mauern oder kletterten über die Trümmerberge hinab, die einstmals solider Fels gewesen waren.

„Zu den Toren, schlagt sie zurück, haltet sie davon ab die Brücke zu überqueren.“ Simon beschleunigte seine Schritte und erreichte die beschädigten Tore als erster. Auf einen Gedanken hin, sprangen die schweren Türflügel endgültig aus ihrer Verankerung und segelten über die Brücke hinaus.

Die von dem plötzlichen Gegenangriff offenbar überraschten Prätorianer hielten einen Moment inne…dann krachten die Tore in ihre Reihen und rissen mehrere Dutzend Kämpfer mit sich von der Brücke in den Abgrund.

Der steinerne Bogen, der die Schlucht überspannte, war breit genug, das leicht zwanzig Mann nebeneinander gehen konnten, doch für die nun gegeneinanderprallenden Heerscharen bot er kaum genug Platz. Simon war wieder einmal in der ersten Reihe, als sie Fronten aufeinandertrafen. Er duckte sich unter einem Schlag weg und versetzte dem Prätorianer dem er sich gegenübersah einen magischen Stoß. Der Mann flog rückwärts in die Reihen seiner Gefährten und riss drei davon mit sich zu Boden.

Jetzt wurde der Regen zu ihrem besten Verbündeten, dachte Simon. Auf dem nassen Untergrund der Brücke fanden die Stahlstiefel der Kaisertruppen kaum Halt und wenn die schwer gepanzerten Prätorianer stürzten, kamen sie ohne Hilfe nur schwer wieder auf die Beine.

„Treibt sie zurück zu ihren Stellungen.“, konnte er Ordt rufen hören, der Gejarn tauchte mit einer kleinen Truppe Arkebusiere auf dem auf, was noch von dem Wall übrig war. Auf sein Zeichen hin eröffneten die Schützen das Feuer. Sauber gestanzte Löcher erschienen in den Panzern der Prätorianer. Je mehr von ihnen fielen, desto mehr verlor ihr Angriff an Wucht. Trotzdem schienen die kaiserlichen Truppen noch nicht bereit, sich zurückzuziehen. Noch bekamen sie Verstärkung, deren Strom die kleinere Schar der Verteidiger zwang, wieder etwas Boden abzutreten.

Mit einem ungezielten Schlag um seine eigene Achse verschaffte sich Simon einen Herzschlag lang Luft. Die magisch verstärkte Klinge, fraß sich so sicher wie eine Kugel, durch die dunklen Panzerungen ihrer Gegner. Bevor die Prätorianer die entstandene Lücke wieder schließen konnten, preschte er vor. Eine Flamme loderte in seiner freien Hand auf und der erste Gegner, der sich ihm in den Weg stellte, wurde von dem Zauber erfasst und zu Asche verbrannt. Eine Lanze aus Licht löste sich aus seiner Handfläche, die sich in gerader Linie einmal durch den kompletten Strom aus Soldaten fraß. Wo das Licht die Panzerungen berührte, schmolzen diese einfach. Zusammen mit Haut und Knochen der kaiserlichen Gardisten darin. Jetzt endlich brach der Angriff zusammen. Einige Kämpfer leisteten noch eine Weile Widerstand, dann zogen sich die Prätorianer langsam aber sicher wieder über die Brücke zurück. Genau so geordnet, wie bei ihrem Angriff oder während sie die Kanonen vorbereitet hatten. So etwas wie einen fliehenden Prätorianer gab es nicht. Nur einige Gardisten stürmten, ihre Waffen fallen lassend, davon.

Selbst wenn sie sich zurückzogen, blieb die eiserne Disziplin der kaiserlichen Elite gewährleistet. Auf eine Art war das ja fast bewundernswert, dachte Simon. Er bedeutete seinen Truppen, am Ende der Brücke die Verfolgung einzustellen und stattdessen die Kanonen zu sichern. Ein Blick zurück zur Erdwacht zeigte ihm, dass mindestens ein Dutzend Prätorianer und unzählige normale Gardisten tot zurück geblieben waren. Als er seinen Blick wieder den sich zurückziehenden Prätorianern zuwandte, sah er etwas Bemerkenswertes. Einige der Gestalten hatten sich offenbar ihre toten oder verwundeten Kameraden über die Schulter geworfen. Sie nahmen ihre Verluste mit. Offenbar war seine Botschaft angekommen, dache Simon.

Sie hatten grade Glück gehabt, dachte er, als er sich die zerstörte Festung besah. Er hatte Glück gehabt.

Ordt kehrte mit den übrigen Soldaten zurück, die sich hinter ihm auf der Brücke sammelten.

„Ein einziger Angriff hat Jahrhunderte an Befestigungsarbeiten zu Staub verwandelt.“, stellte der Gejarn fest. Simon nickte stumm. Das waren seine Gedanken gewesen.

Die Zeit von Mauern und Festungen war vielleicht endgültig vorbei. Und die Zeit des Feuers hatte begonnen.

„Wer hätte gedacht, dass unser Feind noch so viel Raffinesse zu bieten hat…. “

„Wir haben zwar Berichte bekommen, das Kaiser Tiberius Leute entsendet hat… aber es hieß sie würden nach Süden ziehen. Söldner, offenbar, sogar einige Gejarn wie es scheint.“

„Süden…“ der Zauberer drehte sich zu dem Gejarn um „Seid ihr Euch da sicher?“

„Ja, Herr. Wieso… geht es um die Träne?“

„Das wird nur der Kaiser selbst wissen, aber wenn er von dem Stein weiß, darf er ihn nicht vor mir bekommen. Könnt Ihr sofort nach Süden aufbrechen?“

„Ich bezweifle, dass wir mit einer Armee rechtzeitig dort wären.“

„Genau deshalb frage ich auch nur Euch. Ihr seid alleine schneller.“

„Das stimmt.“, antwortete der Gejarn.

„Ordt, sie rekrutieren Söldner.“, erklärte Simon. „Ich möchte daher, das ihr folgendes tut : Gebt Euch als einer davon aus und mischt Euch unter die Truppen des Kaisers. Sollte es nicht wichtig sein, kehrt ihr zu mir zurück. Aber… wenn es um die Träne geht, tut alles um zu verhindern, dass sie dem Kaiser in die Hände fällt. Besser sie entkommt, als das. Wenn ihr dazu bereit seid, versteht sich.“

„Ich stehe nach wie vor hinter Euch, Herr. Nur was werdet Ihr hier tun?“

„Wir geben die Erdwacht auf.“ , entschied der Zauberer. „In diesem Zustand können wir sie kein zweites Mal Verteidigen.“

„Wir ziehen uns also nach Vara zurück?“ , wollte Ordt wissen.

„Im Gegenteil.“, erwiderte Simon und richtete den Blick über die Brücke und die Schlucht nach Süden. „Ganz im Gegenteil. Jetzt kann ich mich endlich wieder Wichtigerem zuwenden.“

,, Die Männer werden euch folgen, Herr, so oder so.“

,, Und genau das ist das Problem, Ordt. Blinder Glaube und gehorsam wird unser Untergang sein. Es ist die Waffe unseres Feindes. Und ich versuche die Menschen davon zu befreien.“

 

 

 

 

Wenige Wochen später musterte der Kommandant der Prätorianer ein Tal, durch das sich ein breiter Strom zog. Der Fluss in der tiefe schäumte und brodelte, fast, als würde das Wasser darin kochen.

Die steilabfallenden Felswände des Flussbetts waren in dichten Nebel gehüllt, der es unmöglich machte, näheres zu erkennen. Doch über den reißenden Strom zogen sich mehrere Brücken. Mächtige Steingebilde oder einfache Übergänge, die von den Bewohnern der Gegend aus Holzbalken zusammengezimmert worden waren. So war im Laufe der Zeit eine unübersichtliche Zahl an Übergängen über die Keel entstanden.

Robert betrachtete sich einen der steinernen Bögen. Die Anzahl an Wegen stellte ihn vor ein Problem. Wer immer in die freien Königreiche wollte, würde den Fluss überqueren müssen. Die Frage war nur… wo. Er hatte zu wenige Männer, jeden Übergang sicher zu überwachen. Es könnte reichen, die wichtigsten Routen zu blockieren, aber… er musste sicher gehen. Leif würde nicht entkommen. Robert legte die Hand auf den Griff seines Schwerts. Der Knauf war zu einem silbernen Drachenknopf gearbeitet worden. Und der Kaiser würde seinen verdammten Stein bekommen.

Eine Bewegung hinter ihm, riss den Prätorianer aus seinen Gedanken. Er wirbelte herum, die Klinge schon halb gezogen, als er erkannte, wer sich ihm näherte.

„Können wir den alten Mann nicht einfach töten?“ Es war ein Gejarn. Einer der Wolfssöldner, die er angeworben hatte. „Seine Zunge ist leider noch nicht so sehr vom Alter betroffen.“

„Könnt ihr etwas Spott etwa nicht ertragen?“, fragte Robert. Kornelius war sicher unerträglich, aber… er würde schon mit dem Kerl abrechnen. Aber eines nach dem anderen. Erst Leif, dann die Gejarn. Dann den Alten an einen der Brückenpfeiler hängen.

„Meine Leute werden langsam nervös.“ , erklärte der Wolf lediglich. „Wie lange sollen wir warten? Ihr könntet diese Katze, die Ihr sucht auch einfach jagen.

Robert schlug sich vor die Stirn. Hatte dieses Tier das geringste Verständnis von Strategie?

„Glaubt mir es lohnt sich. Vor allen Dingen für Euch, weil ich weiß, was ihr für Eure Dienste bekommt. Aber wenn Euch so sehr nach Jagd ist, wartet bis wir sie haben. Was Ihr danach mit ihr tut geht mich nichts mehr an. Ich will nur das was sie bei sich hat.“

„Aber über dreißig Männer um jemanden einzufangen, der voraussichtlich nur von einer einzigen Person beschützt wird ?“

Robert hatte langsam genug von dem Kerl.

„Es ist nicht an Euch mein Vorgehen zu hinterfragen.“, erklärte er mit einem warnenden Unterton. „Es ist an Euch, meine Befehle auszuführen. Ich kenne den Mann, der bei ihr ist und ich werde ihn sicher nicht unterschätzen.“

Sobald er einen Weg gefunden hatte, sicherzustellen, dass er auch in die Falle lief. Leif würde für seinen Verrat zahlen. Und er würde durch seine Hand sterben.

 

 

 

 

Kapitel 25

Wasser

 

 

 

 

 

 

 

„Ein bisschen Wasser hat noch keinem geschadet.“, meinte Leif.

Celani lachte, aber es klang nervös.

„Das sagst Du so einfach.“

Leif grinste lediglich und lies sich von seinem Platz auf einem Felsen ins Wasser fallen. Es war ihm mittlerweile egal ob seine Sachen nass wurden. Und so konnte er den angesammelten Staub und Schmutz gleich mit ausspülen. Nur das Schwert ließ er am Ufer zurück.

Sein letztes richtiges Bad war Wochen her und der Schmied hasste das Gefühl, das das mit sich brachte. Auch wenn er kaum schlimmer riechen konnte als der Rest der Flüchtlinge, dachte er, als er wieder aus dem Fluss auftauchte. Das Wasser war nicht tief und er konnte ohne Probleme stehen.

Der Strom beschrieb einen Bogen durch das Tal, in dem sie sich befanden. Eine abfallende Böschung führte vom Wasserhinauf zu einem kleinen Wald, der direkt am Händlerpfad lag. Dort hatte die Karawane ein kleines Lager errichtet. Die Wagen und Karren am Straßenrand zogen sich eine gute Meile den Weg entlang und mit den geschäftig hin und her laufenden Flüchtlingen, war es fast eine Art kleine Stadt entständen.

Die meisten nutzen diese erste richtige Rast seit langem, wie der Schmied und strömten zum Fluss, sei es um Wasser zu holen, zumindest ihre Kleidung zu waschen oder ein Bad zu wagen. Auf ihrem Weg nach Süden war es beständig wärmer geworden und mittlerweile wünscht sich nicht nur Leif in die Schatten der Herzlandwälder zurück. Und auch die Landschaft hatte sich verändert.

Gelbes Steppengras bedeckte das Land zwischen Flusslauf und Wald und einige immergrüne Pflanzen wuchsen am Rand der Straße, die von hier aus nur zu erahnen war.

Leif drehte den Kopf um zu sehen, wo die Gejarn blieb. Celani stand nach wie vor am Ufer, grade einen Schritt vom Wasser entfernt.

„Kommst Du?“, wollte er wissen.

„Ich weiß, dass ich das bereuen werde.“, seufzte Celani lediglich und machte einen unsicheren Schritt ins Wasser.

„Du hast doch keine Angst oder?“

„Nein, ich werde nur ungern nass, wenn ich es vermeiden kann.“, erwiderte sie etwas zu hastig.

„Gut und ich dachte schon ich müsste mir Sorgen machen.“, erwiderte er und musste sich ein Lachen verkneifen.

Trotzdem machte die Gejarn nach wie vor keine Anstalten sich von der Stelle zu bewegen.

„Das war ohnehin deine Idee.“

„Nein ich habe gesagt ich gehe Baden. Du hast gesagt Du gehst mit.“

Leif musterte die Gejarn. Es war schön einmal zu sehen, das ihre sonstige Anspannung einmal nicht da war. Oder besser , das sie einmal nicht aus reiner Angst nervös war.

„Vielleicht bleib ich einfach hier am Ufer.“

„Natürlich.“ Leif ließ sich absichtlich ein Stück von der Strömung mittragen, weg vom Ufer

„Du bist nur Wasserscheu.“

Celani reagierte, wie Leif erwartet hatte. Er grinste still in sich hinein, als die Gejarn sich schließlich etwas weiter ins Wasser traute, offenbar fühlte sie sich jetzt doch in ihrem Stolz verletzt. Leif ließ sich wieder etwas näher Richtung Ufer treiben. Celani war derweil zumindest schon einmal ein gutes Stück vom Ufer weg. Das Wasser stand ihr bis zu den Knien. Ein weiterer Schritt… und die Gejarn war plötzlich verschwunden. Einen Augenblick später tauchte sie wieder auf und spuckte Wasser.

Leif atmete erleichtert auf. Offenbar nur eine tiefere Stelle im Fluss, die er umgangen hatte.

„Na bitte, war ja gar nicht so schlimm.“

„Das ist nicht lustig.“ , erwiderte die triefend nasse Gejarn, sobald sie wieder Halt unter ihren Füßen fand.

„Doch ist es.“

Die Antwort darauf war ein Schwall Wasser, der ihm ins Gesicht schlug. Er lachte lauthals. Celani sah ihn einen Moment nur an, als wäre er verrückt geworden, dann stimmte sie jedoch lediglich ein.

Es würde seltsam sein, wenn sich ihre Wege in Erindal wirklich trennen sollten. Er mochte sie. Aber damit griff auch ein kalter Dorn der Angst nach ihm. Was wenn. Was wenn was ? Was wenn sich Geschichten wiederholten….

 

Ruben lehnte sich derweil im Schatten einer der Wagen zurück und sah dem Treiben am Fluss zu.

„Kinder.“, murmelte Erik neben ihm, der den Blick abgewendet hatte und an irgendetwas zu arbeiten schien.

Ein staubiges Buch ruhte auf dem Schoß des jungen Arztes, offenbar eine Arbeit über Botanik. In einer Hand hielt er eine Pflanze, die auch Ruben nicht erkannte. Sternenförmige gezackte Blätter, die aus einem einzigen Stiel entsprangen.

„Wen meint Ihr?“

„In gewisser Weise Euch alle.“ Erik lies die unbekannte Pflanze in seiner Tasche verschwinden und schlug das Buch zu.„Im Augenblick vor allem einen gewissen Schmied samt Begleitung.“

„Ich weiß nicht, habt Ihr das Recht irgendjemanden Kind zu nennen? Außer vielleicht Lewyn ?“

Und selbst da war sich Ruben nicht sicher. Der Zauberer war jung, aber er könnte durchaus älter als der Arzt sein. Auch wenn Erik selten wirklich seinem Alter entsprechend wirkte. Sie wären alle tot ohne ihn oder zumindest in sehr viel schlechterem Zustand. Das konnte er nicht leugnen.

„Habt Ihr je die Geschichte der Unsterblichen gehört?“

Ruben winkte ab.

„Alte Legenden, oder ? Angebliche Ankerpunkte der Magie, erschaffen vom alten Volk.“

„Das mein Freund, sind die Tränen Falamirs angeblich auch.“, erwiderte er. „Nein es gibt sie. Es war ein Unsterblicher, der hinter dem Bürgerkrieg und dem Marionettenkaiser stand. Allerdings ist er wohl entkommen, denn auch wenn es nicht unmöglich ist sie zu töten, so will das doch keiner jemals tun. Sie sind lebende Inkarnationen der Magie und diese kann schlicht nicht sterben. Man wäre gezwungen ihren Platz einzunehmen. Eine Position in der niemand sein will.“

„Lasst mich raten, Ihr kommt euch momentan so vor, oder?“

Erik lachte nervös. „Ja … genau. Sicher. Ein Posten den ich nie haben wollte.“

„Und wie soll ich mich dann erst fühlen?“, seufzte Ruben. „Ich glaube mir ist erst durch Leifs Training klar geworden wie… wehrlos wir eigentlich sind. Und auch wenn meine Leute mittlerweile keine Anfänger mehr sind, sie sind weit davon entfernt, einen echten Kampf zu überstehen, wir hatten bis hierhin wirklich Glück.“

„Hoffen wir einfach, dass das anhält. Die Leute haben sich eine Pause verdient.“

„Das glaube ich auch.“, antwortete der Milizführer.

„Die Rast tut ihnen gut. Wir sind weit gekommen, weil wir nie angehalten haben aber das gibt einem auch wenig Gelegenheit sich zu erholen.“

„Wir werden noch ein paar Wochen brauchen, aber weiter flussaufwärts gibt es einige Brücken. Wenn wir die erreichen, haben wir es so gut wie in die freien Königreiche geschafft. Erindal ist dann nicht mehr weit.“

„Wie sieht es mit den Vorräten aus?“

„Ich habe ein paar freiwillige Jagdtrupps ausgeschickt. Zum Fallen stellen. Und ein paar können auch brauchbar mit Pfeil und Bogen umgehen. Die Wälder hier sind voll mit Wild. Heute Abend hungert mir keiner.“

„Das sind gute Nachrichten.“

Erik grinste. Er hatte wieder begonnen in seinem Buch zu blättern.

„Und sie werden noch besser.“ Offenbar hatte er gefunden, was er gesucht hatte, erläuterte das aber nicht näher.

 

Celani schreckte aus dem Schlaf hoch und starrte einen Moment verwirrt ins Dunkle. Es dauerte etwas, bis ihr einfiel, wo sie sich befand. Die dunklen Stoffbahnen über ihr gehörten zu einem der Zelte aus dem Lager. Schwacher Schein von einem Dutzend Holzfeuer drang durch die Lücken im Stoff herein. Das Licht erhellte ihre Umgebung weit genug, um sich umsehen zu können.

Es musste schon spät sein, trotzdem konnte sie draußen Stimmen und Lachen hören. Nachdem die Jagdtrupps mit mehr als genug für alle zurückgekehrt waren, hatte Erik aus irgendeinem der Karren auch noch ein paar Fässer Bier aufgetrieben. Und offenbar waren die spontanen Feierlichkeiten nach wie vor im Gange. Sie waren der Grenze jetzt so nah, dass es für die meisten keine Zweifel mehr gab… sie würden es schaffen. Celani war das treiben jedoch nach ein paar Stunden zu viel geworden.

Betrunkene Menschen waren vor allem eins und das war laut….

Die Gejarn setzte sich im Halbdunkel auf und trat vor das Zelt. Die Luft war kühl geworden, aber nachdem die Sonne den ganzen Tag über ohne Unterlass gebrannt hatte, hieß sie die Kälte willkommen.

Sie entdeckte Ruben, der mit zwei seiner Milizionäre durch das Lager ging. Celani nickte ihm kurz zu und er winkte zurück. Offenbar hatte der Mann ein Auge auf alles, dachte sie. Es war schön zu wissen, dass wenigstens einer heute, nicht in seiner Wachsamkeit nachließ./ Auch wenn die anderen drei von Rubens Wächtern vermutlich irgendwo an einem der Feuer saßen, dachte sie. Und von den schlurfenden Schritten seiner Begleiter zu urteilen, hatte der Milizführer diese auch grade aus dem Schlaf gerissen. Ihnen auf dem Fuß folgte Lewyn, der mit einer Handbewegung etwas erschuf, das sie an einen leuchtenden Schmetterling erinnerte. Das Wesen hatte eine Spannweite wie ihr Unterarm und flog in ihre Richtung. Als sie die Hand danach ausstreckte, zerfiel der Zauber jedoch zu einem Funkrenregen. Celani/ lächelte unwillkürlich und der junge Zauberer vollführte eine ungeschickte Verbeugung, bevor er wieder Ruben und dessen Wache folgte.

An Schlaf war für die Gejarn nicht mehr zu denken. Auch wenn sie nicht mehr genau wusste, was sie geweckt hatte… jetzt war sie hellwach. Auf der Suche nach einem bekannten Gesicht ging sie zwischen den Feuern auf der Wiese umher. Ein Windhauch trug Sandrias Stimme bis zu ihr. Die Sängerin schien weiter weg zu sein und sang offenbar. Celani konnte nur einzelne Worte ausmachen konnte. Eine fröhliche Ballade über einen Zwerg, der mit einem Zauberer um die Wette trank.

Verschwommen konnte sie Leifs Umrisse vor einem der Feuer sitzen sehen. Der Mensch hatte offenbar die Beine übereinandergeschlagen und starrte in die Flammen. Er schien so sehr in Gedanken, das er Celani gar nicht zu bemerken. Die Gejarn entschied sich, den Schmied fürs erste alleine zu lassen. Das war ungewöhnlich für Leif….

Sie hatte die meisten Feuer passiert und war schon fast am Flussufer angekommen. Die ferneren Flammen spiegelten sich als schwache Lichtpunkte im Wasser wieder. Ansonsten war der Strom so dunkel, das nur das Rauschen des Wassers ihr verriet, wo das Ufer begann.

„Was treibt Euch den so weit raus?“ , wollte eine bekannte Stimme hinter ihr wissen.

Celani konnte Erik in der Dunkelheit kaum sehen. Nur ein einzelner Glutpunkt zeigte ihr, wo der Mann stand. Er saß am Ufer des Flusses, irgendetwas brennendes in der Hand.

Die Gejarn sog prüfend die Luft ein. Kein Tabak. Aber irgendetwas anderes. Sie konnte nur an Baumharz denken.

„Ich weiß nicht. Ich bin aufgewacht und wohl einfach losgelaufen.“

Erik lachte. „So kommt man vorwärts.“

„Und Ihr ?“

„Ich habe mir ein ruhiges Plätzchen abseits von allem gesucht.“ Der Arzt führte den glimmenden Stift oder was immer es war an seine Lippen und nahm einen Zug.

„Was ist das?“

„Keine Ahnung, aber es funktioniert.“, erklärte er grinsend. „Alles ist schön weit weg. Wollt Ihr mal?“

Celani zögerte einen Augenblick. Sie hatte viele Menschen rauchen sehen, allerdings immer nur Tabak. Dann jedoch zuckte sie mit den Schultern. Was konnte es schaden…

„Sicher.“

Erik nickte lediglich und reichte ihr die Zigarette weiter.

Celani bereute die Entscheidung augenblicklich. Der erste Zug schien sich in ihre Lungen zu brennen. Keuchend machte sie einen Schritt zurück.

„Das ist ja grässlich.“

„Nur bis man sich daran gewöhnt. Was Eure Clans für seine Rituale verwendet ist viel schlimmer.“

Sie ließ sich ein Stück entfernt von Erik auf der Wiese nieder.

Ihr war leicht schwindlig

„Wenn ihr das sagt.“

„Das sage ich. Ich hab gesehen was ein Tropfen davon mit dem Geist anrichten kann. Ohne eine gewisse…Vorbereitung zerstört dieses Zeug den Verstand ganz einfach. Außer bei einer sehr starken Persönlichkeit. Ich hörte Euer Volk nennt das eine begrabene Seele.“

„Ihr seid weit herum gekommen, oder?“

„Ist das einzige, was einen bei Verstand hält. Ich hab mal versucht, länger an einem Ort zu leben aber… Götter, diese Langeweile. Auch wenn ich immer wieder nach Vara zurückgekehrt bin, lange blieb ich nie dort, nein.“

„Und wie lange lebt Ihr schon so?“

„Oh etwa fünfzi….“ Erik unterbrach sich. „Fünf Jahre wollte ich sagen. Und in all der Zeit hab ich mich noch nicht an die simple Tatsache gewöhnt, dass Menschen dumm sind. Wartet es nur ab. Wenn die anderen morgen aufwachen und ich sie wieder auf den Weg scheuche, bereuen sie den Abend heute. Alle.“

Celani musterte den Mann einen Augenblick. Was hatte er grade sagen wollen…

Fünfzig Jahre ? Sie musste sich verhört haben. Erik war womöglich nicht einmal zwanzig. Und wenn nicht ? Wenn nicht, war der Mann, der dort im Gras saß, alles… nur nicht, was er vorgab zu sein.

Es dauerte eine Weile, bis der Arzt wieder etwas sagte.

„Lasst mich Euch eine Frage stellen.“, begann er schließlich. „Würdet Ihr mir die Träne aushändigen, wenn ich Euch mein Wort gebe, den Stein an eine Ort zu bringen, wo er für Simon und den Kaiser gleichermaßen unerreichbar wäre?“

„Wo soll das sein?“ Die Gejarn war sich nicht sicher, ob Erik wirklich nur fragte, weil ihn die Antwort interessierte oder dieses Angebot tatsächlich ernst meinte. Aber wie sollte er. Der Stein wäre nirgendwo im Kaiserreich sicher. Vielleicht nicht mal irgendwo außerhalb. Erindal musste einfach weit genug sein….

„Das ist nicht die Frage.“, erklärte er ruhig. „Denkt einen Moment darüber nach. Das alles wäre augenblicklich für Euch vorbei, oder? Ihr könntet wieder nach Hause gehen… zumindest an irgendeinem Ort der Euch heimisch wäre.“

„Meint Ihr das ernst?“

„Nur eine hypothetische Frage. Also, was sagt Ihr?“

„Nein.“, erklärte sie entschieden. Ob Erik das ernst meinte oder ob sie sich grundlos Sorgen machte, ihre Entscheidung stand. „Es tut mir leid, aber das kann ich nicht. Ich bin durch mein Wort daran gebunden. Ich muss das selbst tun.“

Der Arzt lächelte, scheinbar zufrieden.

„Ich hatte keine andere Antwort erwartet, um ehrlich zu sein. Wir alle haben unsere Bürde zu tragen.“

Erik stand plötzlich auf.

„Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich will den Aufbruch morgen, noch einmal mit Ruben durchsprechen. Wenn alles nach Plan läuft, erreichen wir die Grenze in einer Woche. Spätestens zwei.“

Erik verschwand im Dunkeln und ließ Celani damit alleine am Flussufer zurück. Was für eine seltsame Begegnung…. Allerdings war der ganze Mann wohl seltsam, dachte sie. Nicht was man von einem Menschen erwarten würde. Allerdings, das konnte man auch auf Leif beziehen. Irgendetwas schien den Schmied heute Morgen verunsichert zu haben. Am Fluss… auch wenn er nichts gesagt hatte, sie sah es Leif an, wenn er nachdachte. Und besonders, wenn es mit seiner Vergangenheit zu tun hatte. Sein Blick schien dann immer einen Herzschlag lang ins Leere zu gehen, so als sähe er alles vor sich. Nur was er sah… alte Schlachtfelder, vermutete sie. Und ich lass ihn eben einfach am Feuer sitzen, schalt Celani sich selbst.

Die Gejarn stand von ihrem Platz an der Uferböschung auf und mache sich zwischen den langsam herunterbrennenden Feuern auf den Rückweg ins Lager.

Mittlerweile war der Weg größtenteils verlassen. Nur einige wenige Flüchtlinge waren noch auf den Beinen und einige waren scheinbar direkt an den Flammen eingeschlafen. Vielleicht war Leif ja auch schon weg, dachte sie. Dann müsste sie ihn morgen fragen….

Ihre Sorge erwies sich jedoch als unbegründet, zumindest was das anging. Leif saß nach wie vor an seinem Platz, auch wenn das Feuer mittlerweile zu Glut zerfallen war.

„Hey.“

Der Schmied drehte nur kurz den Kopf und nickte ihr zu. „Abend. Ich hatte gedacht Du schläfst schon.“

Celani antwortete nicht sofort, sondern setzte sich neben ihn ans Feuer.

„Was ist los?“ , wollte sie schließlich wissen.

„Was soll sein?“ Leif zuckte mit den Schultern.

„Das sieht Dir nicht ähnlich, dass Du hier sitzt, statt dich unter die anderen zu mischen.“

„Vielleicht.“, stimmte ihr der Schmied zu. Er schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr:

„Ich… fürchte mich vor etwas. Und das ist dumm.“

„Du hast Angst?“

„Kommt vor.“ Leif lachte schwach. „Eigentlich hab ich sogar ständig Angst, aber… man darf sich davon nicht beherrschen lassen. Zumindest, rede ich mir das selbst gerne ein. Ich habe Dir nie erzählt, was mich dazu gebracht hat, die Prätorianer zu verlassen.“

„Und ich habe kein Recht darauf, dass Du es tust Leif. Es reicht mir, dass Du keiner mehr bist.“

„Vielleicht. Vielleicht sollte ich es aber. Würdest Du mir zuhören?“

Die Gejarn antwortete nicht sofort und auch der Schmied schwieg einen Augenblick. Warum sollte er sie um Erlaubnis fragen? Es war nicht so, dass sie schon einige Geschichten gehört hatte.

„Es ist keine schöne Geschichte Celani. Ganz im Gegenteil.“, fuhr Leif fort und beantwortete damit schon eine Frage, die sie noch gar nicht gestellt hatte.

„Das ist in Kapitel meines Lebens, das ich gut verschlossen habe und zu Recht.“

„Es kann meine Meinung von Dir nicht ändern. Du bist wer Du jetzt bist, oder?“

„Ich hoffe es.“, antwortete Leif lediglich „Also gut… wenn man in der Position ist in der ich war… macht man sich Feinde. Und nicht grade wenige. Leute deren Freunde und Verwandte ich getötet hatte, Leute, denen ich auf die Füße getreten war und Menschen, die über mich an den Kaiser heran wollten.“

„Das kann ich mir vorstellen.“

„Das Problem war nur… an mich kam keiner von ihnen heran. Oder besser, sie wussten, dass sie bei einem direkten Angriff, eher im Staub landen würden als ich. Aber das mussten sie auch gar nicht.“

„Wen…“

„Meine Frau und meine Tochter.“ Leif flüsterte fast. „Ich habe wirklich gedacht, sie wären in Goldbrück sicher. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass es den Ort gibt. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so sehr geirrt. Ich weiß bis heute nicht, ob sie jemand beauftragt hat, oder ob sie aus eigenem Antrieb handelten, aber… als ich dort ankam, war schon alles vorbei. Sie haben unser Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt und von meiner Familie blieb nicht mehr als… Asche. Nicht einmal etwas, das man begraben könnte.“

„Und deshalb hast Du den Prätorianern den Rücken gekehrt?“

„Ich wünschte das wäre so. Nein. Es mag der Anfang gewesen sein, aber… daran zu gehen dachte ich erst später.“ Der Schmied sprach jetzt hastiger, so als wollte er es einfach nur noch hinter sich bringen. „Ich habe die Männer gefunden die dafür verantwortlich waren, Celani. Ich habe sie einen nach dem anderen gejagt, ich habe das Netzwerk der Prätorianer ausgenutzt und ich habe sie gefunden. Jeden einzelnen. Sie sind nicht schnell gestorben.“

Die Gejarn zögerte, etwas zu sagen, als der Schmied schließlich inne hielt.

„Ich weiß nicht aber… vermutlich hätten viele kaum anders gehandelt. Oder ?“

Leif schüttelte den Kopf.

„Ich habe viele Menschen getötet, Celani. Es ist nichts worauf ich stolz bin, aber auch nichts, dass mich daran hindern würde, ruhig zu schlafen. Manchmal gibt es keine Wahl. Kein richtig oder falsch. Aber bis damals war ich nie grausam, nie… so. Der letzte der Männer hat sich lieber selbst die Kehle durchgeschnitten, als mir gegenüber zu treten.

Ich habe mir selber nicht mehr getraut. Ich konnte in keinen Spiegel mehr sehen ohne mich zu Fragen… ja was eigentlich? Kann man das Gefühl beschreiben, von sich selbst einfach... enttäuscht zu sein? Ich hatte nichts mehr wofür ich hätte weiter kämpfen wollen. Das war der Moment, in dem ich nicht mehr bleiben konnte. Aber einmal Prätorianer… immer Prätorianer. Der einzige Weg aus dem geleisteten Schwur ist der Tod. Also habe ich die Archive in Brand gesteckt und alles vernichtet, das auf mich hinweisen könnte. Ich habe mich selbst aus dem Gedächtnis des Kaiserreichs entfernt. Die anderen haben mein plötzliches Verschwinden jedoch sicher als Verrat aufgefasst.“

Er lachte bitter.

„Ich habe für ihr verdammtes Reich gekämpft, dafür getötet und… nun das ist der Lohn dafür.“

Celani wusste nicht, was sie tun sollte. Ob sie Leif überhaupt… glauben wollte. Das schien gar nicht zu dem Mann zu passen, den sie kannte. Leif wirkte auf seine Art verloren, wie er da am Feuer saß und scheinbar auf ein Urteil wartete. Eine Antwort, eine Reaktion.

„Und was bist Du jetzt?“

Der Schmied sah auf.

„Was ?“

„Leif… ich weiß nicht ob Du das hören willst oder nicht, aber was immer war, ist Vergangenheit. Oder ? Ich weiß nicht ob ich sagen kann das ich Dich kenne und doch… Ja ich kenne Dich Leif. Gut genug um zu wissen, dass Du nichts davon bist. Kein Verräter, egal was andere denken mögen. Kein… schlechter Mensch, egal was Du denken magst. Und doch, nach all den Jahren fürchtest Du Dich noch… wovor?“

Er blieb die Antwort schuldig.

„Ich lass es Dich wissen. Wenn ich mir über ein paar Dinge klar geworden bin.“

 

 

 

 

 

Kapitel 26

Die Brücke

 

 

 

 

 

 

 

„Ist das ein Anblick, oder ist das ein Anblick ?“ Erik war von seinem Wagen gesprungen und hatte die Arme zu einer theatralisch wirkenden Geste ausgebreitet. Fast, als wolle er die komplette Szenerie mit einschließen.

Leif musste über den Überschwang des jungen Arztes lachen. Ja das war ein Anblick. Götter, sie hatten es tatsächlich geschafft. Direkt vor ihnen war sie. Die Grenze....

Leif blieb zusammen mit allen anderen stehen. Ruben klopfte ihm auf die Schulter, als er den Schmied einholte, bevor er einen Blick in die Tiefe wagte.

Der Fluss Keel hatte ein tiefes Tal durch das Land geschnitten. Schroff abfallende Felsklippen führten hinab zu den aufgewirbelten Fluten, die über Tausende von kleinen Terrassen in Kaskaden und Wasserfällen hinab stürzten. Moose und Farne fanden an den kleineren Vorsprüngen des Abgrunds halt. Es war seltsam von oben in diese unberührten Täler zu blicken. Es hatte etwas… urtümliches, dachte Leif, ohne zu wissen, was er damit meinte. Aber auf ihn machte es den Eindruck, als sei seit Jahrhunderten niemand mehr auf den schmalen Uferstreifen des Flusses gewandert. Und auch sie würden diese Ruhe nicht brechen. Die Gischt des Wassers lag als feiner Nebel in der Luft. Eine kleine Wohltat nach der Reise in der Mittagssonne. Regenbogen spannten sich als Konkurrenz neben der großen, steinernen Brücke auf, die über den Abgrund führte.

„Das ist es, oder?“, wollte Sandria wissen, als sie, Lewyn im Schlepptau zu den Drei aufschloss. Der junge Magier sagte nichts, sondern sah einfach über die Brücke und den Fluss hinweg.

Leif nickte.

„Wir haben es so gut wie geschafft. Celani, sieh Dir das an.“

„Ich hab‘s schon gehört.“, erwiderte die Gejarn, die aus den Reihen der wartenden Flüchtlinge auftauchte. Bevor Leif reagieren konnte zog ihn die Gejarn in eine stürmische Umarmung.

„Wir haben es geschafft.“

Der Schmied grinste unsicher.

Erik klatschte in die Hände.

„Also gut, nur für den Fall, das ihr nicht noch hier übernachten wollt, sollten wir langsam sehen, dass wir weiterkommen. Aber bitte geordnet. Bringt mir die Wagen, einem nach dem anderen, rüber. Ruben, ihr bleibt auf dieser Seite und passt auf, zwei eurer Leute sollen drüben auf der anderen Seite alles ordnen. Leif… seht zu, das ihr in Rufweite bleibt, nur für den Fall.“

Mit zwei Milizionären an der Spitze und Ruben, der am anderen Ende der Brücke zurück blieb, setzte sich die Karawane wieder in Bewegung. Leif bedeutete Celani, mit Ruben etwas zurück zu bleiben. Sicher war sicher. Es sah nicht wirklich so aus, als würden sie Schwierigkeiten bekommen, aber er war lieber vorsichtig.

Der Schmied selbst, schloss sich einem der Wagen an, die über die Brücke rollten. Die Steine waren rutschig von der Feuchtigkeit, aber die Brusthohen Steingeländer würden wohl verhindern, das heute jemand baden ging, dachte er. Nur für die Pferde war der Untergrund/ tückisch und die Zugführer mussten die Tiere vorsichtig lenken, damit keines stürzte.

Leif hatte die Brücke etwa zur Hälfte überquert, als ihn etwas aufhorchen ließ. Nur konnte er es nicht richtig einordnen. Er kannte das Knarren von Holz, das Klirren von Stahl oder das Sirren von Bogensehnen. Das hier jedoch schien nichts davon zu sein und doch… klang es ein wenig danach. Er warf einem Blick zu anderen Ende der Brücke, wo grade die ersten Karren wieder die Straße erreichten und zwischen den Bäumen verschwanden. Vielleicht hörten sich die Räder auf dem glitschigen Untergrund so an, dachte er, wusste aber, dass er/ falsch lag. Aber was war es dann….

Leif wurde langsamer, während der Wagen neben ihm mittlerweile den Zenit des Brückenbogens überschritt. Ohne Vorwarnung ging ein Ruck durch den Boden unter seinen Füßen.

Götter… Leif wurde auf einen Schlag klar, was das Geräusch verursacht hatte. Kein Holz, kein Stahl, er kannte die Klänge von beidem. Berstenden Stein hingegen hörte er nun zum ersten Mal.

Breite Risse erschienen im Pflaster, während der Schmied herumwirbelte. Die ganze Welt schien unendlich langsam zur Seite zu kippen.

„Zurück. Alle zurück, die Brücke stürzt ein.“

Sein Warnruf ging im allgemeinen Chaos unter. Die Brücke unter dem Wagen, den er begleitet hatte, gab endgültig nach und das Gefährt stürzte haltlos in die Tiefe. Einige Leute sprangen noch rechtzeitig heraus… andere wurden mit hinab gerissen.

Immer mehr Spalten und Risse erschienen jetzt, im zunehmend unsicher werdenden/ Untergrund. Das Geräusch von brechendem Stein, mischte sich mit Hilfeschreien und/ Stoßgebeten

„Alle zurück.“ Leif riss einen Mann beiseite, der beinahe von einem ins Rutschen gekommenen Karren umgeworfen wurde.

„Macht, dass Ihr hier weg kommt.“

Mittlerweile löste sich der gesamte Brückenbogen immer schneller auf, so als wäre der Mörtel, der die gewaltigen Steine hielt plötzlich nicht mehr da. Sie mussten die Tragfähigkeit des Übergangs schlicht überschätzt haben, jagte es ihm durch den Kopf. Hinter ihm rutschte ein weiterer, mittlerweile aufgegebener Wagen, in Richtung des sich auftuenden Abgrunds. Leif sprang blitzschnell zur Seite, blieb aber mit der Hand an irgendetwas hängen. Er schrie auf, als er von dem Gefährt mitgerissen wurde. Ein loses Band hatte sich um sein Handgelenk gewickelt und schnitt sich tief in sein Fleisch. Sein Arm riss durch die schiere Wucht fast aus dem Gelenk. Ihm blieben vielleicht Sekunden, bis es ihn mit in die Schlucht reißen würde. Endlich bekam er die Hand frei und warf sich grade noch rechtzeitig zur Seite. Der Wagen jagte an ihm vorbei und verschwand im Wasser.

Keine Zeit zu zögern, dachte er. Wenn er jetzt stehen blieb, war er tot. Leif rannte los und achtete kaum noch auf das Chaos um ihn herum. Rasch riss er einen gestürzten Flüchtling wieder auf die Beine und scheuchte ihn weiter, bevor er selber um sein Leben kämpfte. Das andere Ufer war zu weit weg und mittlerweile völlig abgeschnitten, also blieb ihm nur der Weg zurück.

Es war zu schaffen, dachte er, als er schon die Gruppe um Erik und Ruben am Rand warten sah. Der Arzt hielt jeden davon ab, auf die Brücke hinaus wollte um zu helfen. Guter Mann.

„Leif, beeilt Euch gefälligst.“, schrie der Arzt, als er ihn inmitten des ganzen Chaos entdeckte. Der Schmied amtete etwas leichter, als er sah, dass neben Celani auch noch ein Dutzend entkommener Flüchtlinge warteten. Sie hatten die Wagen verloren und diejenigen, die es rechtzeitig rüber geschafft hatten, würden fürs erste alleine weiterkommen müssen, aber….

Leif war keine hundert Schritte mehr vom rettenden Ufer entfernt, als der Stein unter ihm endgültig nachgab. Die Welt machte einen letzten Satz zur Seite, dann verlor er endgültig den Halt unter den Füßen. Einen seltsamen, unglaublich langen Moment, schien alles in der Schwebe zu hängen. Doch irgendwann gewann dann doch die Schwerkraft die Oberhand und Leif sah den Fluss plötzlich mit rasender Geschwindigkeit näher kommen. Das rasant dahin strömende Wasser schlug über ihm zusammen, bevor er Zeit hatte, auch nur Luft zu holen. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen. Leif konnte nicht mehr oben und unten unterscheiden. Wo hin er blickte, aufgewirbeltes Wasser und Trümmerteile… dann schlug er mit dem Kopf gegen irgendetwas. Ein scharfer Schmerz bohrte sich ihm direkt zwischen die Augen, dann wurde alles schwarz.

 

Celani sah wie betäubt zu, wie die ganze Brücke auf einen Schlag ins Wanken geriet. Der gesamte Aufbau schien, im Zeitlupentempo, von den Pfeilern zu rutschen, die ihn trugen. Im gleichen Moment bröckelt der gesamte Wegbogen einfach ins Nichts.

„Leif!“

Von einem Moment auf den anderen, war von dem Schmied nichts mehr zu sehen. Nur noch die blaue Strömung am Boden des Abgrunds, in der nun die Trümmer von Brücken und Wagen gleichermaßen davon trieben. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Nein….

„Wir müssen ihn suchen…“, erklärte sie entschieden, während sie sich zu Erik umdrehte.

„Und die anderen auch, vielleicht gibt es Überlebende.“ Es musste welche geben. Das konnte schlicht nicht sein….

„Suchen ?“ Ruben sah sie einen Augenblick mit leeren Augen an. ,

„Der Mann ist tot. Den Sturz hätte keiner überlebt. Seht Euch diese ganze Chaos doch einmal an.“ Er deutete auf die zerstörte Brücke hinaus.

Celani sah sich derweil auf ihrer Seite um. Weniger als ein Dutzend Flüchtlinge waren hier geblieben, zusammen mit Sandria und Lewyn.

Erik stand derweil ganz m Rand des Wegs. Grade an der Grenze, wo einst die Brücke begonnen hatte. Zuerst glaubte Celani, der Mann stünde selber unter Schock. Dann jedoch hob er den Arm und deutete auf einen der noch stehenden Brückenpfeiler.

„Sieht jemand, was ich sehe?“ Er sprach langsam, offenbar doch mitgenommen, von dem was grade geschehen war.

Celani konnte ihn einen Augenblick nur dafür bewundern, das er überhaupt noch die Willenskraft aufbrachte, klar zu denken. Ihr eigener Verstand war ein Wechselbad aus Gefühlen. Sie spürte fast, wie ihre Instinkte die Oberhand gewinnen wollten, sie auf das zum Überleben notwendige reduzieren wollten. Weg. Lauf.

Celani zwang die aufkommende Panik nieder. Nein. Nein und nochmals Nein. Sie konnte nicht gehen. Sie würde nicht gehen. Sie wollte wissen, ob es noch eine Chance für Leif gab.

Ruben war derweil an der erstarrten Gejarn vorbeigetreten und hatte sich zu Erik gesellt. Als er sich wieder umdrehte, war er bleich wie Kreide

„Die… die Pfeiler….“

Erik schüttelte den Kopf.

„Jemand hat sich daran zu schaffen gemacht, das sieht sogar ein Blinder.“

„Das ist korrekt.“, rief jemand.

Celani wirbelte zu der Stimme herum und entdeckte einen Mann mit weißblondem Haar, der zwischen den Bäumen an der Straße, hindurch trat.

„Und nicht nur diese. Ich glaube nicht, dass wir eine Brücke übersehen haben.“

Der Fremde trug eine pechschwarze Panzerung, ohne Emblem. Aber auf seiner Stirn… auf seiner Stirn prangte der Drache des Kaisers.

Hinter dem Mann lösten sich weitere Gestalten aus dem Halbdunkel der Vegetation. Celani roch sie, bevor sie sie sah. Wölfe. Sie waren umstellt….

Ruben zog sofort die Waffe und trat vor das Dutzend Gestalten.

„Ihr werdet Euch erklären. Jetzt.“ Der Fremde betrachtete den angegrauten Mann einen Moment. Dann lachte er lauthals.

„Ich bin Robert, Kommandant der Prätorianer-Garde. Und Ihr habt etwas, das uns gehört. Tretet bei Seite und ich werde davon absehen Euch einen Kopf kürzer zu machen.“

„Das glaube ich nicht.“

„So ?“ Der Blick des Mannes wanderte von Flüchtling zu Flüchtling und blieb schließlich bei Celani hängen.

„Ich will nur das, was sie bei sich hat, dann können wir alle wieder unseres Weges gehen.“

Ruben stellte sich dem Prätorianer in den Weg, als dieser versuchte, an ihm vorbeizugehen.

„Ihr bleibt wo ihr seid!“, schrie der Milizführer den Mann an und tatsächlich machte Robert einen Schritt rückwärts.

„Auf dieser Brücke, waren über fünfzig Menschen, als sie zusammenbrach. Glaubt ihr ernsthaft, selbst wenn ich noch irgendetwas an Sympathie für den Kaiser übrig hätte, dass Ihr alles dürft? Ihr habt grade unschuldige Menschen ermordet, Ihr Bastarde.“

Robert erwiderte darauf erst gar nichts, sondern zog in einer fließenden Bewegung die Waffe. Es war ein Hieb, dazu gedacht, seinen Gegner sofort niederzustrecken. Der Stahl zuckte so schnell durch die Luft, das Celani der Bewegung kaum folgen konnte.

„Ruben.“ Lewyn wollte vorstürzten, wurde aber von Erik zurückgehalten.

Stahl traf kreischend auf Stahl. Robert machte tatsächlich verdutzt einen Schritt zurück. Offenbar war der Prätorianer überrascht, dass Ruben den Hieb pariert hatte.

„Wo hat ihr das gelernt?“ Robert sah sich wieder in den Reihen der Flüchtlinge um. „Wo steckt er? Raus damit ?“

„Wer ?“ Ruben hielt die Klinge mit zwei Händen umklammert und ließ den Prätorianer keinen Moment aus den Augen. Dieser jedoch wirkte nach wie vor entspannt und bedeutete den umstehenden Wölfen mit einer Geste, sich zurück zu halten.

„Leif.“

Ruben sah einen Moment aus, als wüsste er nicht ob er lachen oder weinen sollte.

„Ratet einmal. Ihr habt ihn grade umgebracht. Er ruht jetzt auf dem Grund der Keel, zusammen mit mehr als einem Dutzend meiner Leute.“

Ein seltsamer Ausdruck legte sich auf Roberts Gesicht.

„Das ist… bedauerlich. Wirklich. Glaubt mir oder glaubt mir nicht, aber es tut mir leid, dass er so gestorben ist. Ich hätte ihn selber herausgefordert… das ist kein Ende für einen Prätorianer, nicht einmal für einen Verräter wie Leif.“

„Ihr kennt Leif?“ Celani wagte es kaum, die Stimme zu heben.

„Er war mein Lehrer. Werdet Ihr jetzt endlich die Waffe senken?“

Ruben sah einen Augenblick über die Schulter und schien den Blick jedes einzelnen zu suchen.

Er antwortete nicht, sondern attackiert seinen Gegner jetzt. Dieser wich blitzschnell zurück und parierte einen Stoß, der auf seine Hüfte zielte. Ruben gelang es tatsächlich den Prätorianer kurz in die Defensive zu drängen. In den Augen des Mannes blitzte für wenige Herzschläge so etwas wie Furcht auf. Ruben hingegen kämpfte nach wie vor, von Wut und seiner eigenen Angst getrieben. Das Klirren der Waffen war für mehrere Minuten alles, das die Stille durchbrach.

Robert schien ins Straucheln zu kommen und der Milizführer setzte nach. Plötzlich jedoch hatte sich der Prätorianer weder gefangen und rammte seinen, völlig offen stehenden Gegner, die Klinge in den Bauch.

„Was für eine Verschwendung.“ Robert zog die Klinge aus dem Körper. Ruben sackte sofort in sich zusammen und schlug auf dem Boden auf.

„Nein.“ Lewyn war es derweil gelungen, sich von Erik loszureißen und stürmte vor, ein Messer in der Hand.

„Lewyn, nicht.“ Die Warnung kam zu spät.

Der Prätorianer trat beinahe mühelos zur Seite und schlug mit einer behandschuhten Faust nach dem Jungen. Der Hieb traf ihn an der Stirn und hätte den Zauberer vermutlich umgeworfen, wenn Robert ihn nicht gepackt hätte. Mit der anderen Hand riss er ihm die Waffe aus den Fingern.

„Seid ihr alle Irre?“, wollte er wissen, während er dem bewusstlosen Magier die Klinge an den Hals drückte. Blut lief aus einer großen Platzwunde an dessen Stirn.

„Ihr stellt euch gegen den Befehl eures Kaisers nun, dann verdient ihr auch nur das Schicksal von Verrätern. Seht dies als letzte Chance.“ Der Prätorianer riss die Klinge zurück und holte aus. Der glitzernde Stahl zielte direkt auf den Hals des Zauberers.

Celani sprang vor.

„Wartet.“

Roberts Hand hielt in der Bewegung inne. Der Prätorianer hob den Kopf und musterte die Gejarn einen Moment.

„Wartet…“

„Und warum genau sollte ich das tun?“ Der Mann ließ die Waffe sinken.

„Ich gebe Euch was Ihr wollt nur… beendet das hier. Hört endlich auf zu töten.“

Mit zitternden Händen streifte sie den Armreif ab. Das Silberne Gewebe fühlte sich schwerer an, als es eigentlich war.

„Hört endlich auf.“

Einen kurzen Moment zögerte der Prätorianer offenbar noch. Dann stieß der den Zauberer von sich, der neben den gefallenen Ruben auf die Erde stürzte. Mit wenigen Schritten war er bei Celani und riss ihr das Armband, und damit die darin eingebettete Träne Falamirs, aus der Hand.

„In diesem Fall, nehme ich das an mich.“ Er gab den, nach wie vor wartenden Wölfen, ein Zeichen.

„Schafft sie weg. Man wird Euch zur fliegenden Stadt bringen. Soll der Kaiser entscheiden, was mit einem Dutzend Verräter geschehen soll.“

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 27

Totgeglaubt

 

 

 

 

 

Celani wusste nicht mehr, wie lange sie schon unterwegs waren. Oder wohin. Nach dem kurzen Kampf an der Brücke, hatte man sie stetig Stromaufwärts gebracht, durch die Wälder und an den Klippen entlang. Auf dem Weg waren neben den Wölfen, bei denen es sich wohl um Söldner handeln musste, auch mehrere kaiserliche Gardisten aufgetaucht. Wohin sie auch sah, die Soldaten des Reichs ließen das Dutzend Flüchtlinge, keinen Herzschlag aus den Augen.

Sandria ging etwas hinter ihr, zusammen mit zwei Männern, die den, nach wie vor bewusstlosen, Lewyn trugen. Die Sängerin hatte irgendwie einen Eimer Wasser organisiert und säuberte die Kopfwunde des jungen Zauberers.

Erik hingegen hatte eine düstere Mine aufgesetzt und lief, die Hände in den Taschen, einfach mit. Die gelegentlichen Tritte und Stöße der Gardisten, nahm er leise fluchend zur Kenntnis, machte aber nicht wirklich den Versuch, schneller zu laufen.

Die Gejarn hingegen konnte sich auf wenig mehr konzentrieren, als darauf einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ruben war tot. So viele andere waren tot und Leif….

Sandria beschleunigte ihre Schritte und schloss zu ihr auf.

"Was machen wir jetzt ?“, fragte sie gedämpft.

„Machen….“ Celani schüttelte den Kopf.

„Es ist vorbei, oder?“

„Götter und ich dachte, Erik wär am Boden. Hört zu...“

„Ich habe versagt Sandria. Ich habe geschworen diesen verfluchten Stein niemanden in die Hände fallen zu lassen. Und jetzt hat dieser Robert ihn. Ein Prätorianer.“

„Und wir werden uns bald alle vor einem Galgen wiederfinden.“ Sandria versuchte ein schwaches Lächeln und strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Aber Ihr habt Lewyn damit gerettet… das ist etwas Gutes, egal wie es momentan aussehen mag.“

„Es ist ein Leben, im Tausch gegen unzählig viele weitere. Ruben ist für nichts gestorben. Leif ist für… nichts gestorben.“

„Vielleicht ist er nicht tot.“, warf die Sängerin ein.

„Das würde uns nichts bringen. Wie soll er uns bitte finden? Wir sind mittlerweile Meilen von der Brücke entfernt.“

„Und wenn….“

Einer der Wächter hatte das Gespräch offenbar bemerkt.

„Klappe halten.“ Celani musste sich unter einem Hieb wegducken.

Sandria ließ sich wieder zurück fallen.

„Wir… wir müssen einfach einen Ausweg finden.“, flüsterte sie zum Abschied.

Celani war drauf und dran, ihre Worte einfach ab zu tun. Verflucht sollte Sandria sein, sie wusste nicht….

Die Gejarn hielt inne. Nein sie konnte jetzt nicht einfach aufgeben. Das wäre Verrat an allen, die gestorben waren. Ja es sah düster aus. Sogar sehr düster, dachte sie bei sich. Aber Sandria hatte Recht. Wenn es irgendeinen Ausweg gab… dann musste sie ihn finden, koste es was es wolle. Und wenn es ihr Leben war. Sie lief wieder etwas schneller und sah sich verstohlen zu den kaiserlichen Soldaten um. Keine Chance. Die Männer standen zu dicht. Und wenn sie fliehen könnte, würde sie das Ale’nyo mit sich nehmen. Den Lichtbringer konnte sie nicht in die Hände des Kaisers fallen lassen.

Das waren zwei Probleme. Zwei scheinbar unlösbare Probleme… aber Celani wusste nun wenigstens, was sie zu tun hatte. Und wenn sie die Gelegenheit hätte, Robert dabei zu töten, umso besser....

Der Gedanke war ihr bisher fremd, aber wenn sie an den weißhaarigen Prätorianer dachte, schlich sich blanker Hass in ihre Gedanken. Dieser Mann hatte ihr weit mehr genommen, als nur den Stein.

Einen Freund….

Die Bäume, die diese Seite des Abgrunds säumten, wichen etwas zurück und gaben den Blick frei auf eine kleine Lichtung. Die Klippe selbst wurde an dieser Stelle weniger steil und führte über einen gewundenen Pfad hinab zum Ufer des Flusses. Auf der Lichtung selber standen zwei Dutzend Zelte, nach Machart der kaiserlichen Armee. Schwere Stoffbahnen, die sowohl vor Sonne als auch vor Regen guten Schutz baten. Weitere Gardisten standen herum, manche schürten Feuer, andere bewachten die Wege zum Lager und andere schliefen scheinbar. Celani schätzte, dass es wohl knapp zwei Dutzend waren und mit den Wolfsöldnern zusammen... es mussten wohl an die vierzig Bewaffneten auf der Lichtung sein. Bevor sie sich jedoch großartig umsehen konnte, wurden sie und die übrigen überlebenden Flüchtlinge in Richtung eines groben Holzverschlags weitergetrieben.

Das Gebäude war primitiv und scheinbar erst vor kurzem errichtet worden, aber es wirkte stabil. Einer ihrer Wächter zog die Tür auf. Es war stockdunkel, wie Celani rasch feststelle und bevor sich ihre Augen noch an die Finsternis gewöhnen konnten, wurden sie schon hinein geschubst und die Türen hinter ihnen verriegelt.

„Sind alle in Ordnung?“ , klang Eriks Stimme durch die Schatten.

„Ich glaube schon. Den Umständen entsprechend eben. Nur Lewyn ist immer noch bewusstlos.“, antwortete Sandria.

Celani begann derweil, durch die Dunkelheit zu wandern. Langsam konnte sie ihre Umgebung besser erkennen, als sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnten. Ein Mensch sah vermutlich nicht einmal die Hand vor Augen, aber sie konnte immerhin schon mal ein paar Gesichter erkennen.

Der Boden auf dem sie liefen war festgestampfte Erde. Keine Holzbretter. Simples Erdreich…. nichts weiter als das. Etwas schien in ihrem Geist zu kratzen. Eine Idee… der Ausweg, den sie brauchten. Die eine Chance, die sie hatten.

„Erik, das ist kein richtiges Gefängnis.“, erklärte sie rasch. „Seht selbst oder… fühlt, der Boden besteht nur aus Erde. Das ist nicht dafür gebaut worden um jemanden wirklich einzusperren, vielleicht mehr als Vorratskammer oder…“ ihre Gedanken rasten.

„Wie viele sind wir?“

„Ein Dutzend.“, antwortete Sandria „Meint Ihr wirklich….“

Die Gejarn nickte, ihr fiel zu spät ein, dass die Geste im Schatten niemand sehen konnte.

„Wir graben uns frei. Es wird eine kleine Ewigkeit dauern, sicher, aber… es ist die beste Chance, die wir haben und wenn alle mithelfen… es ist zu schaffen. Wir warten, bis alle schlafen und dann, sehen wir zu, dass wir hier heraus kommen.“

Schweigen setzte ein, als Celani aufhörte zu sprechen. Sie wusste selber, dass die Idee Irrsinn war. Das es mehr als nur viel Glück bräuchte und doch… es war die eine Chance, die, die sie wollte, die sie brauchte. Wenn sie einmal entkamen, würde sie nur tot hierhin zurückkehren, schwor sie sich.

Die erste Stimme, die ihr schließlich antwortete, war weder die von Erik, noch Sandria. Noch eine von den anderen Flüchtlingen, die sie kannte.

„Genial Mädchen, die beste Idee seit Wochen, warum bin ich da noch nicht drauf gekommen?“

Es war die Stimme eines Toten. Die Stimme eines Mannes, der seit fast einem halben Jahr Tod sein sollte.

„Kornelius ?“

Der Alte trat zwischen den Flüchtlingen hervor. Seine silberweißen Haare schienen im Restlicht etwas zu leuchten und hoben das ausgemergelte Gesicht noch etwas hervor. Es war klar, dass der Mann nicht in besten Zustand war. Eingetrocknete Flecken auf seinem Hemd, die offensichtlich Blut waren, zeugten noch mehr davon. Trotzdem begrüßte er sie mit einem Lächeln und einigen warmen Worten in ihrer Sprache.

„Ich hätte auch nicht gedacht dass wir uns noch mal wiedersehen.“, meinte er. „Wenn die Umstände wohl auch besser sein könnten. So und jetzt… wo steckt eigentlich Leif?“

 

 

 

 

Das erste, was er hörte, war ein leises Glockenspiel. Seltsam. Er wusste, dass er dieses Geräusch kannte, aber aus irgendeinem Grund schien es keinen Sinn zu machen. Nicht hier. Irgendetwas schwappte über ihn… Wasser.

Ein plötzlicher brennender Schmerz in seiner Schulter und seinem ganzen Körper, riss ihn endgültig zurück ins Bewusstsein. Leif schlug die Augen auf und hustete Wasser. Vor seinen Augen tanzten Lichtpunkte. Er machte den Fehler, sich auf dem verletzten Arm aufstützten zu wollen. Das Ergebnis war eine neue Welle aus Schmerzen, die über ihn hinweg rollte. Er fiel vornüber und blieb einen Moment regungslos im Schlamm des Ufers liegen. Der Schmied machte noch einen Versuch, sich aufzusetzen und schaffte es diesmal sogar. Der Fluss musste ihn hier ans Ufer gespült haben, dachte er. Mittlerweile floss die Keel nur noch träge dahin und aus dem beengten Flussbett in der Schlucht, war ein breiter Kanal geworden, dessen anderes Ufer er grade so ausmachen konnte.

Leifs Schädel schmerzte und als er sich an die Stirn fasste, tropfte Blut zwischen seinen Fingern hervor. Götter, er hatte Glück, das er noch lebte. Alles, was nach dem Einsturz der Brücke passiert war, war ein wilder Strom aus Sinneseindrücken. Die Panik, als er es nicht schaffte, wieder an die Oberfläche zu kommen, die Schmerzen in seiner Schulter, die ihn am Schwimmen hinderten… und dann ein heftiger Schlag gegen den Kopf. Wenigstens wusste er jetzt, wo das Blut her kam.

Leif kam zitternd auf die Füße. Das Wasser des Stroms war kalt, trotz des sommerlichen Wetters. Er sah sich etwas um. Trümmer und zerrissene Planen waren mit ihm ans Ufer gespült worden. Einzelne Planken trieben weiter draußen im Strom.

Und da war wieder das Windspiel….

Der Schmied drehte sich fast wiederwillig um und hätte am liebsten laut losgelacht. Entweder, er musste seine Position den Göttern gegenüber überdenken, oder es gab Geisterbäume an mehr Orten, als er geglaubt hatte. Oder er hatte einen recht speziellen Schutzgeist unter den Ahnen.

Der Baum stand keine zehn Schritte vom aufgewühlten Ufer entfernt und hob sich weiß gegen den dunklen, moosbewachsenen Hintergrund der Klippen ab. Die Windspiele und gläsernen Talismane in den Zweigen, tanzten in einer leichten Windbrise hin und her.

Leif versuchte den verletzten, linken Arm etwas zu bewegen. Es ging, auch wenn jeder Muskel schmerzte. Das war nicht gut, dachte er. Allerdings hatte er auch keinen Grund sich zu beschweren. Er könnte tot sein, bei allem was Recht war.

Rasch sah der Schmied sich weiter am Ufer um. Die Klippen in seinem Rücken hinauf zu klettern, wäre schon normalerweise schwierig gewesen, aber Mitgenommen wie er war….

Unmöglich.

Die Felswände schienen weiter im Osten ein Stück abzufallen. Wenn er dem Strom ein Stück abwärts folge, könnte er hoffentlich irgendwie hinauf gelangen. Er musste die anderen wiederfinden….

Leif konnte nur hoffen, dass es die meisten noch von der Brücke geschafft hatten. Wenigstens waren Celani und die anderen in Sicherheit. Auch wenn sie jetzt wohl einen anderen Weg über den Fluss finden mussten.

Er würde sich etwas ran halten müssen, wenn er die Karawane wieder einholen wollte. Der Gedanken daran, wie verdutzt alle sein würden, wenn er wieder auftauchte, besserte seine Laune doch etwas. Aber besser, er löste erst einmal ein Problem, nach dem anderen.

Leif hielt sich nicht mehr lange am Ufer auf. Er schnappte sich einen zersplitterten Ast vom Ufer, den er als Stützte verwenden konnte und vergewisserte sich schnell, das außer ihm niemand sonst angespült worden war. Er wollte sich schon auf dem Weg machen, hielt dann aber doch noch einmal inne und sah zum Geisterbaum zurück. Ohne zu wissen wieso, nickte er kurz. Ob ihn der Zufall gerettet hatte oder nicht… er würde noch einmal etwas mehr Glück brauchen.

Leif dachte kurz darüber nach, das Schwert zurück zu lassen. Die Klinge war schwer und würde ihn bremsen. Letztlich jedoch, entschied er sich dagegen. Sicher, Geschwindigkeit war jetzt wichtig. Aber er wollte auch nicht schutzlos sein.

Der Schmied machte sich also auf den Weg, immer am Ufer entlang. Dünne Nebelschleier trieben über das Wasser und vom anderen Ufer hallten Vogelrufe herüber, keine, die er hätte einordnen können. Wie er schon gedacht hatte… niemand verirrte sich in die Täler, die die Keel geschnitten hatte. Außer den Gejarn vielleicht, die den Geisterbaum hier erschaffen hatten. Hoffentlich war der Clan schon weitergezogen, er würde ungern erklären, was ein einzelner Mensch in ihrem Gebiet zu suchen hatte. Er wusste ja nicht mal, mit welchen Gejarn er hier rechnen müsste.

Leif stellte schnell fest, dass seine Rechnung aufging. Tatsächlich wurden die Klippen niedriger, je weiter er nach Osten kam. Bald war aus den hoch aufragenden Klippen, ein nicht mehr ganz so bedrohlich wirkender Geröllhang geworden, den er einfach hinauf gelangen konnte. Sobald er die Felshänge hinter sich gelassen hatte, wandte er sich wieder nach Westen. Wenn er die Brücke wiederfand, konnten die anderen noch nicht allzu weit sein. Flussaufwärts also….

Die Sonne hing schon tief am Horizont. Wenn er nicht schnell zurück fand, würde er sich irgendwo ein Lager für die Nacht suchen müssen. Und er hatte nichts dabei. Kein Feuerstein, kein Zelt, nur was er am Körper trug. Das würde eine ganz schöne Wanderung werden.

 

 

 

 

Kapitel 28

Ein Verbündeter

 

 

 

 

 

 

 

Es wurde schon dunkel, als die Brücke endlich in Sicht kam. Leif atmete erleichtert auf, obwohl er selbst von hier die Zerstörung sehen konnte. Von dem gewaltigen Steinbogen waren nur die verstümmelten Pfeiler übrig geblieben, die wie Finger aus dem Flussbett ragten.

Aber er hatte es geschafft. Immerhin. Natürlich war von den anderen nichts mehr zu sehen. Ob sie sich nun entschieden hatten, nach Überlebenden zu suchen oder einen anderen Weg hinüber zu finden, Erik hatte sicher nicht zugelassen, dass die Karawane lange anhielt. Leif beschleunigte seine Schritte etwas. Vielleicht würde er wenigstens herausfinden, in welche Richtung die Flüchtlinge gegangen waren. Als der Schmied jedoch zwischen den Bäumen, die den Weg einrahmen hervortrat, erstarrte er, wo er war. Etwas stimmte nicht. Es war nur ein Gefühl, ein simpler Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss. Aber irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung.

Leif warf den Stock weg, den er als Wanderstab benutzt hatte und zog leise das Schwert. Sein linker Arm schmerzte nach wie vor. Einen direkten Kampf sollte er besser vermeiden, was auch immer ihn alarmiert hatte. Langsam und einen Fuß vor den anderen setzend, trat er endgültig aus dem Schutz des Waldes und sah sich um. Einige Holzplanken und verschiedener Kleinkram lagen am Rand der Brücke verteilt. Müll und Dinge, die die Flüchtlinge verloren hatten. Aber da war noch etwas. Im Sonnenlicht glitzerte etwas metallisch auf dem Boden. Sich nach allen Seiten absichern, trat der Schmied auf den Gegenstand zu und hob ihn auf. Es war ein Dolch. Aber nicht irgendeiner. Leif erkannte die Waffe sofort wieder. Er hatte Lewyn genau dieses Messer anvertraut….

Er sagte sich selbst, dass er keine voreiligen Schlüsse ziehen sollte. Der Zauberer könnte den Dolch ganz einfach verloren haben. Und wieso auch nicht, Lewyn schien nie ganz glücklich damit gewesen zu sein. Er ließ den Dolch in einem Stiefel verschwinden. Mit seinem Arm könnte er damit ohnehin besser umgehen, als mit dem Schwert.

Doch nun begann der Schmied sich gründlicher umzusehen. Es gab sonst kaum etwas, was ihm einen Hinweis geben konnte. Als Leif schon aufgeben und aufs Geratewohl eine Richtung nehmen wollte, fiel ihm jedoch etwas am Rand des Waldes ins Auge….

Blut.

Und nicht wenig.

Leif ließ das Schwert zurück, wo er stand und zog stattdessen den Dolch. Dann trat er geduckt zu der Blutpfütze herüber. Noch während er näher kam, sah er bereits, das eine dünne Blutspur davon wegführte… weiter in den Wald hinein. Bevor der Schmied dieser jedoch folgen konnte, bewegte sich bereits etwas zwischen den Schatten. Die Gestalt, die ins Licht taumelte, war weniger, als ein Schatten ihrer selbst.

„Wer… wer da?“ Die Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, aber Leif erkannte sie trotzdem. Er ließ die Waffe fallen und rannte los um den Mann aufzufangen, als diesem plötzlich die Beine wegknickten.

„Ruben…“ der breite rote Fleck auf der Kleidung des Mannes sagte ihm alles, was er wissen musste. So sanft wie möglich, legte er den verwundeten Freund auf dem Erdboden ab.

„Was ist hier passiert?“

„Leif…“ Ruben blinzelte ins Licht, so als hätte er Schwierigkeiten, zu erkennen, wer da neben ihm kniete.

„Die Götter mögen Euch segnen mein Freund, aber wie….“

„Das ist jetzt egal.“, erwiderte der Schmied hastig. „Was ist mit Euch geschehen?“ Sein Blick jagte über das Areal vor der Brücke hin und her. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, dem Mann zu helfen aber… er hatte nichts. Nichts um die Blutung zu stoppen, nichts um auch nur seine Schmerzen zu lindern. Rubens Blick war glasig und Leif merkte, wie viel Mühe ihm allein das weiteratmen machte.

„Sie waren plötzlich da. Leif. Ein Prätorianer und… eine ganze Bande Wölfe. Sie müssen hier auf uns gewartet haben….“

„Was ?“ Leif sah zur Brücke zurück.

„Dann war das alles kein Unfall… sondern eine Falle.“

Ruben nickte.

„Sie haben die anderen mitgenommen. Den Fluss hinauf. Ich konnte sie nicht aufhalten.“

„Das kann auch niemand von Euch erwarten. Es waren zu viele. Jetzt müssen wir erst mal sehen, dass ihr wieder auf die Beine kommt.“

„Da macht Euch mal keine Hoffnungen. Das wird nicht passieren.“

„Nun, Euch bleibt gar keine Wahl, mein Freund. Ich bin auch nicht auf der Höhe und ich habe nicht vor, mich alleine mit einer Bande Gejarn anzulegen.“

Ruben legte ihm nur eine Hand auf den Arm, als er ihm aufhelfen wollte.

„Ich fürchte das werdet Ihr müssen. Lasst mich nur nicht langsam hier verbluten. Das ist alles worum ich bitte.“

„Ich weiß… ich hab es in dem Moment gewusst, in dem ich Euch gefunden habe.“ Er senkte den Kopf. „Vergebt mir, dass ich Euch nicht helfen kann.“ Leif tastete nach dem Dolch, den er fallen gelassen hatte.

„Ihr könnt den anderen helfen. Tut nur das für mich. Und wenn ihr den Prätorianer seht… tötet ihn für mich. Der Bastard war drauf und dran Lewyn umzubringen.“

Leif nickte und umklammerte den Dolch fester.

„Und eines noch… der Prätorianer… er kannte Euch.“

Der Schmied zögerte einen Augenblick, den Dolch in der Hand, dann stieß er zu, ohne den Blick abzuwenden. Die Klinge durchbohrte Rubens Herz . Der Mann war sofort tot.

Leif wusste nicht, wie lange er danach einfach nur dasaß. Wie hatte alles derart schnell schief gehen können? Ruben tot… die anderen gefangen und wenn er irgendetwas zu verwetten hätte, er würde darauf setzten, das es um die Träne Falamirs ging. Leif spürte kalte Wut in sich auflodern. Und zum ersten Mal in langer Zeit, blockte er das Gefühl nicht aus, sondern ließ sich davon antreiben. Seine eigenen Verletzungen traten in den Hintergrund. Seine Müdigkeit legte sich etwas.

Der Schmied schloss dem Toten die Augen und stand auf. Den Fluss hinauf hatte Ruben gesagt. Nun, dann war das genau die Richtung, in die er selber gehen musste.

Leif hob sein zurückgelassenes Schwert auf und sah den Klippenverlauf entlang. Die Soldaten, die sie überfallen hatten, würden kaum damit rechnen, dass sie jemand verfolgte. Und sie würden sicher, für die Nacht Rast machen. Zumindest konnte er darauf hoffen. Aber er war mehr als nur in der Unterzahl. Er war verletzt, schlecht bewaffnet und müde. Und zu allem Überfluss, musste er sie jetzt erst einmal finden. Trotzdem lief er los, als er sich endlich in Bewegung setzte. Zeit war schon wieder ein entscheidender Faktor. Wenn es um die Träne ging, wären die kaiserlichen Soldaten und Söldner sicher darauf aus, diese so schnell wie möglich zur fliegenden Stadt zu bringen. Und wenn sie Pferde hatten, würde er sie morgen sicher nicht mehr einholen. Ihm blieb genau diese eine Chance.

Und er wollte verflucht sein, wenn er aufgab, solange noch ein Funke Leben in ihm war. Nicht solange Celani, oder einer der anderen in den Händen des Kaisers war. Dafür war er zu weit gekommen.

Er hatte keinen Kampf gewollt. Und sicher auch keiner der Flüchtlinge. Der Kaiser hatte diese Entscheidung für sie getroffen. Und wenn er sie jetzt auch noch verfolgte… dann sollte er seinen Krieg eben bekommen. Aber von einer Seite mit der er nie gerechnet hatte.

 

 

Die Nacht war endgültig über das Land gekommen, als Leif, im Schutz einiger Bäume, auf die Lichtung hinaus starrte. Das war ein richtiges kleines Heerlager. Ein Dutzend Zelte standen in einem Halbkreis angeordnet. Über einem davon, wehte das Drachenbanner Cantons. Einige Feuer erhellten die Nacht. Vor den meisten saßen Wachen. Leif zählte über ein Dutzend Gardisten in ihren blau-silbernen Panzerungen und eine unübersichtliche Zahl von Gejarn. Die Wölfe, die Ruben erwähnt hatte.

Er stand gegen den Wind, sodass die Wölfe ihn kaum wittern würden und die Schatten im Unterholz waren auch für diese Raubtiere undurchdringlich.

Vom Lager aus, führte ein in Serpentinen angelegter Pfad, die Klippen hinab zum Ufer. Leif konnte sich in der Finsternis nicht zu Sicher sein, aber es schien so, als stünden dort weitere Silhouetten. Noch mehr Soldaten, dachte er. Selbst wenn er völlig gesund wäre, hätte er keine Chance. Und mit der verletzten Schulter, konnte er es erst recht nicht, mit ihnen aufnehmen. Zumindest nicht direkt. Aber es gab andere Möglichkeiten. Man hatte ihm nicht nur beigebracht, einen Gegner offen zu bekämpfen. Und diesmal ging es nicht anders. Er hatte nicht die Alternative, hier ohne Blutvergießen wieder heraus zu kommen.

Leif zog den Dolch und hielt die Klinge dicht an seinen Körper gepresst. Wenn ihn ein Lichtschimmer auf dem Stahl verriet, war alles vorbei. Dann verschwand er ohne einen Laut in der Nacht.

Das erste Ziel des Schmieds war das Feuer, das am nächsten am Wald lag. Leif zählte zwei Gardisten, die sich daran gegenüber saßen. Das war gut. Das Licht des Feuers würde ihre Augen für die Nacht blind machen. Er konnte sich problemlos nähern, ohne dass ihn jemand sah. Trotzdem würde er schnell sein, und beide auf einmal ausschalten, müssen./ Alle beide trugen Helme, die den Hals ungeschützt ließen. Darauf musste er setzen, entschied Leif. Die Rüstung wäre unter Umständen zu stabil für ein Messer und das Schwert hier am Feuer zu ziehen… er könnte auch gleich eine Leuchtfackel entzünden.

Leise schlich er sich bis fast neben den ersten Wächter. Wie Leif gehofft hatte, waren die beiden Gardisten nicht wirklich alarmiert. Trotzdem war er offenbar nicht leise genug. Der Mann an den er sich heran geschlichen hatte, sprang auf. Der Schmied reagierte sofort und warf den Dolch auf die Gestalt, bevor diese sich noch ganz zu ihm herum gedreht hatte. Die Klinge bohrte sich in den Hals des Gardisten und der Mann kippte um wie ein Stein. Sein überlebender Gefährte kam grade noch dazu, nach dem Schwert zu greifen, als Leif sich auf ihn stürzte. Jetzt zählte nur, den Mann zum Schweigen zu bringen, bevor er Alarm geben konnte. Aber er musste auch herausfinden, wo er die Flüchtlinge finden konnte. Leif war schneller wieder auf den Füßen als sein Gegner und zog das Schwert. Dann setzte er dem Mann die Klinge an die Kehle.

„Wo sind die Gefangenen? Raus damit, ich habe wenig Geduld und es gibt hier noch mehr von Euch, die ich fragen kann.“

Der Mann sah nicht mit Angst, sondern Trotz in den Augen zu ihm auf. Den Blick starr auf die Tätowierung auf Leifs Schläfe gerichtet. Er wusste, wen er vor sich hatte.

„Ihr tötet mich sowieso.“

„Vielleicht sehe ich dann aber davon ab, dich langsam zu töten.“, flüsterte er. Langsam… wie sie Ruben einfach hatten ausbluten lassen.

Der Gardist grinste nur. „Alarm, Eindringling…“ Weiter kam er nicht mehr, als Leif ihn mit einem einzigen Schnitt erledigte.

„Verfluchter Idiot.“, murmelte der Schmied.

Hoffentlich hatte er nicht zu spät reagiert. Wenn den Warnruf des Mannes jemand mitbekommen hatte, wäre alles vorbei. Leif kauerte sich vor das Wachfeuer und lauschte, ob sich etwas bewegte. Dabei hielt er die Augen geschlossen um seine Nachtsicht nicht zu verlieren. Von Fernem konnte man ihn sicher für eine der Wachen halten, vor allem wenn man nur seine Silhouette sah.

Der Schmied atmete erleichtert auf, als die Minuten verstrichen und alles still blieb. Er hatte offenbar Glück gehabt. Mehr Glück als Verstand offenbar. Ein Blick auf seine blutdurchtränkten Hände bestätigte das. Aber einem längst tot geglaubten Teil von ihm gefiel das alles irgendwie. Die beiden Wächter hatten keine Chance gehabt, hatten nicht gewusst, was da aus dem Dunkel auf sie zu kam….

Zeit weiter zu gehen, erinnerte er sich. Er hatte vielleicht bis zum Morgengrauen Zeit, die anderen zu finden, zu befreien und auch noch hier heraus zu bringen. Er stand auf.

Leif hatte sich erst halb erhoben, als sich ein Schwert an seinen Hals legte. Der Schmied erstarrte in der Bewegung. Seine eigene Waffe hatte er nach wie vor in der gesunden Hand, aber er wäre niemals schnell genug. Gegen den Schein des Feuers jedoch zeichnete sich das Spiegelbild seines Gegners ab.

Ein Blick in gelbe Augen, die aus einem schwarzen Pelz hervor schimmerten reichte ihm. Ein Wolf. Verflucht, hatte das Ding ihn etwa gewittert? Und die aller wichtigste Frage, worauf wartete der Kerl? Er hätte ihn schon ein Dutzend Mal töten können.

„Wer seid Ihr?“

Die Frage wurde ohne das geringste Anzeichen eines Akzents gestellt. Selbst Celani merkte man an, das sie die Dialekte der Clans mehr gewohnt war, als die Amtssprache Cantons. Vielleicht war der Gejarn einer der wenigen, die unter Menschen aufgewachsen waren, dachte er.

„Ich bin Leif. Ehemaliger Kommandant der kaiserlichen Leibgarde. Der Drache des Kaisers.“

Vielleicht rettete es ihn fürs erste das Leben, sich zu erkennen zu geben. Der Kaiser würde mit dem ersten Verräter unter den Prätorianern, seit Jahrzehnten, sicher persönlich abrechnen wollen.

Zu seiner Überraschung verschwand die Klinge von seinem Hals und der Wolf trat einen Schritt zurück. Leif wollte zuerst die Gelegenheit nutzen, den Mann zu erledigen, hielt dann aber inne. Entweder war der Gejarn dämlich wie ein Stück Brot oder….

„Und Ihr seid hier um die Gefangenen zu befreien?“ Leif nickte.

„Und Ihr offenbar nicht hier um mich zu töten.“

„Nein.“ Der Wolf streckte ihm eine Pranke hin.

„Mein Name ist Ordt. Und ich glaube wir haben ähnliche Ziele.“

 

 

 

 

 

Kapitel 29

Doppelte Befreiungsaktion

 

 

 

 

 

 

„Hört zu, ich weiß, wo die Gefangenen sind.“, erklärte Ordt. Leif wusste noch nicht, ob er seinen neu gewonnenen… Freund wirklich trauen konnte. Der Wolf schwieg sich bisher darüber aus, warum er ihm unbedingt helfen wollte, aber für eine Falle… nein für eine Falle wäre das mehr als nur plump. Warum das Risiko eingehen? Er war schon so gut wie tot gewesen.

Er musterte den Gejarn. Das schwarze Fell ließ Ordt fast mit der Nacht verschmelzen, nur seine gelben Augen stachen hervor. Gekleidet war er in ein dunkles Lederwams, das stellenweise mit Metallnieten verstärkt worden war. Eine krude, aber billige Panzerung, die sich, wie Leif wusste, bei Söldnern einiger Beliebtheit erfreute.

Neben sich hatte der Wolf einen großen Beutel abgestellt, in dem Metall klirrte. Leif tippte sofort auf Waffen. Und aus Ordt Gürtel ragten die Griffe zweier Pistolen, die dem Schmied nur zu bekannt vorkamen. Das waren Eriks Waffen.

„Die Flüchtlinge befinden sich momentan in einem kleinen Gebäude am Rand des Lagers. Es ist so ziemlich das einzige hier, das nicht aus Zeltleinwand besteht. Momentan sind kaum Wachen dort, aber ich habe bisher nicht gewagt, sie zu befreien. Ich brauche jemanden, der mir den Rücken frei hält.“

„Ich bin nicht wirklich in der Verfassung groß zu kämpfen.“, erklärte Leif.

„Müsst Ihr auch nicht. Ich will nur, dass Ihr ein Auge auf das Lager habt. Also, was sagt Ihr ?“ Leif zögerte einen Moment. Die Frage ob er dem Wolf wirklich vertrauen konnte stand nach wie vor im Raum. Das Problem war nur, das ihm eigentlich keine Alternativen blieben. Alleine schaffte er das nicht.

„Gut.. ich vertraue Euch. Ich habe wohl auch kaum einen Wahl. Ihr geht und befreit die Gefangenen, ich halte für Euch Wache.“

Ordt nickte.

„Folgt mir. Und seid vorsichtig. Wenn uns jemand sieht werde ich euch die Kehle durchschneiden und behaupten, ich hätte euch grade erst aufgegriffen. Versteht ihr mich?“

„Versprecht mir nur, dass Ihr dann trotzdem weitermacht.“, erklärte Leif ernst. „Ansonsten werdet Ihr meinen Geist nicht so schnell los. Eure Ahnen scheinen eine Schwäche für mich zu haben.“

Der Wolf musterte ihn nur einen Augenblick und Leif fiel es schwer einzuordnen, ob er verdutzt aussah oder ihn lediglich für irre hielt.

Dann jedoch drehte er sich einfach um und bedeutete dem Schmied, ihm zu folgen. Ordt bewegte sich schneller durch die Finsternis, als Leif ihm folgen konnte und so fiel er rasch ein Stück zurück. Sie kamen den Zelten stellenweise gefährlich nahe und er konnte einige Gesprächsfetzten belauschen. Nichts, das ihm irgendeinen Hinweis gab, aber offenbar waren die Gardisten guter Laune. Das war gut. Sie würden sicher nicht zu schnell merken, dass zwei ihrer Leute fehlten. Ordt und er hatten die Toten zum Waldrand geschafft und unter einigen Zweigen versteckt. Im Vorbeigehen nahm der Wolf noch etwas mit, das Leif im Dunkeln nicht erkennen konnte.

Der Gejarn hielt an, als sie die Zelte hinter sich gelassen hatten und deutete auf einen hölzernen Verschlag. Das Gebäude war in Finsternis gehüllt. Kein Licht war zu sehen und die einzige Wache, die der Schmied sah, stand direkt vor dem Eingang. Die Gardisten waren nachlässig….

„Da drin ?“

Ordt nickte.

„Ihr bleibt hier und haltet die Augen offen. Wenn sich irgendjemand nähert, gebt mir ein/ Zeichen oder tötet ihn. Je nach dem.“

„Was für ein Zeichen ?“

Der Wolf drückte ihm den Gegenstand in die Hand, den er aus dem Lager entwendet hatte. Es war eine kleine Öllaterne. Rasch hatte Ordt eine kleine Flamme entzündet.

„Wenn Ihr jemanden seht, dreht den Docht höher. Sobald ich sehe, das die Laterne heller wird, bin ich weg.“

Der Gejarn warf einen besorgten Blick zum Horizont, wo das samtene Schwarz, dem ersten Anflug von Blau zu weichen begann.

„Und wenn ich bis zur Morgendämmerung nicht zurück bin… seht zu das Ihr hier weg kommt.“

Mit diesen Worten verschwand Ordt in der Nacht. Leif selbst kauerte sich in den Schatten einiger Büsche und hielt die Zelte im Auge. Die Laterne drehte er dabei so weit herunter, dass ihn das schwache Licht hoffentlich nicht verraten würde. Jetzt begann das Warten. Er konnte fürs erste nur hoffen, dass der Wolf soweit Wort hielt... was danach passierte… stand auf einem anderen Blatt, aber sobald er sicher war, das es Celani und den anderen gut ging, würde er Ordt sicher nicht einfach aus den Augen lassen.

Der Wolf näherte sich derweil langsam dem Verschlag. Er konnte nur hoffen, dass Leif an seinem Platz blieb, bis er alles in die Wege geleitet hatte. Dass er den Mann als einziger bemerkt hatte, als dieser sich ins Lager schlich, konnte ihm noch von Nutzen sein.

Ordt rückte den Beutel mit den Waffen auf seiner Schulter zurück. Robert hatte das verdammte Armband und damit auch die Träne Falamirs. Und so einfach kam er da nicht heran. Aber es gab Wege….

Wenn er die Flüchtlinge befreite und bewaffnete, würde das hoffentlich für ordentliche Verwirrung unter den Gardisten sorgen. Eine Ablenkung, mehr brauchte er nicht. Das würde ihm dann hoffentlich eine Chance geben, den Stein zu entwenden und sich auf dem Weg zurück zu machen. Bevor jemand merkte, was er getan hatte.

Die Gardisten würden sogar ganz sicher darauf herein fallen. Die Männer waren gute Kämpfer, aber nicht so diszipliniert, wie die Prätorianer. Aber Robert… es gab nur eines, das den Hauptmann der Prätorianer mehr interessierte, als die Träne Falamirs. Und das war der Mann, den Ordt am Rand des Lagers zurück gelassen hatte.

Die Wache an der Tür des Verschlages sah auf, als sie den Wolf bemerkte. Der Gejarn beschleunigte seine Schritte etwas.

„Halt.“ Der Posten richtete die Spitze einer Hellebarde auf ihn.

„Was tut Ihr hier?“

Ordt wischte die Klinge mit der flachen Hand bei Seite.

„Leif ist hier.“

„Wer ?“ Der Gardist lies zumindest die Waffe sinken, kratzte sich aber verwirrt am Kopf.

„Der Drache des Kaisers, er ist im Lager. Ich hab grade zwei tote Wachen gefunden. Im Wald. Einer von ihnen konnte mir noch verraten, wer ihn angegriffen hat.“

Die Augen des Mannes wurden weit.

„Und weiß….“

„Man will mich nicht zu ihm vor lassen, deshalb komme ich zu Euch. Sagt Robert Bescheid. Schnell. Beeilt euch.“

„Ja gut… sofort…“ der Mann war offenbar zu verdutzt um Ordts Worte groß zu Hinterfragen. Stolpernd wollte er sich schon auf den Weg in Richtung Lager machen, als der Wolf ihn mit einer Hand zurück hielt. Er konnte nicht zulassen, dass der Mann Leif in die Arme lief.

„Geht durch den Wald.“, wies der Wolf ihn an. „Lasst Euch nicht sehen. Er ist hier… immer noch irgendwo.“

Der Gardist nickte nur, bevor er seine Hellebarde fallen ließ und losrannte. Trottel. Das lief ja wie am Schnürchen. Sobald Alarm gegeben wurde, musste er sich nur noch auf den Weg zu Roberts Zelt machen, den Stein an sich nehmen und verschwinden. Sollten Leif und der Prätorianer den Rest unter sich ausmachen. Und auch wenn er die Chancen der Flüchtlinge nicht zu hoch einschätzte, ein paar würden schon durchkommen. Ihr einziger Zweck war, für ihn eine Ablenkung zu erschaffen. Ordt wandte sich der Tür zu, sobald der Mann im Dunkeln nicht mehr zu sehen war. Es gab nur einen simplen Riegel, der den Verschlag sicherte. Bevor er jedoch dazu kam, diesen beiseite zu ziehen, zog ein dumpfes Geräusch zu seiner Linken seine Aufmerksamkeit auf sich. Ordt verstand einen Augenblick lang nicht, was er sah. Ein Kopf, der plötzlich auf der Wiese auftauchte, keine drei Schritte vom Gebäude entfernt. Ein braunhaariger Mensch erhob sich plötzlich und klopfte sich Erde und Dreck aus dem weiten Mantel, den er trug. In dem Moment, wo er den Fremden entdeckte, entdeckte dieser auch den Gejarn.

Eine zweite Gestalt erschien aus dem Erdloch. Eine Frau, deren rote Haare selbst im Dunkeln noch hervor stachen.

„Erik… was ist los?“

 

 

Es würde schon reichen, wenn sie nur die Außenfassade weit genug untergruben, um sich darunter hindurch zwängen zu können. Das Erdreich jedoch mit bloßen Händen bei Seite zu schaffen, erwies sich als schwerer, als gedacht. Vor allem, weil ständig jemand an der Tür lauschen musste, ob der Wächter nicht aufwachte. Und Celani hatte bessere Ohren als die Menschen. Trotzdem konnte sie nur den Schatten des Mannes, durch einen Spalt im Holz erkennen, und mussten einfach hoffen, dass er alleine war. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als so leise wie möglich zu arbeiten… und entsprechend langsam.

Kornelius saß derweil mit Erik im hintersten Winkel ihres Gefängnisses und half dem Arzt, sich um Lewyn zu kümmern.

„Wie geht es ihm?“

„Er ist nicht bei Bewusstsein und bei der Kopfwunde… ein gutes Zeichen ist das nicht. Aber bei einem Zauberer weiß man sowas nie. Manche können in seltenen Fällen einfach in eine Art Heilschlaf fallen… oder sie sterben.“

„Seelenträger.“, stellte Kornelius fest.

„Genau, aber wenn Lewyn einer wäre, hätten wir das schon gemerkt. Und wir würden ganz sicher nicht mehr in dieser Hütte herumsitzen.“

„Aber irgendetwas müsst Ihr doch für ihn tun können , oder nennt ihr Euch nur zum Spaß einen Arzt?“

Erik stand auf.

„Wie denn bitte? Vielleicht ist es Euch nicht aufgefallen, aber ich habe nichts hier. Nur was ich bei mir trage und das ist ein Haufen Stoff. Vielleicht wenn wir hier heraus kommen. Aber vorher… kann ich nur abwarten.“ Kornelius zog eine Augenbraue hoch.

„So ?“ Ihm war anzumerken, dass er Erik nicht ganz glaubte, trotzdem erhob sich der Alte.

„In dem Fall, werde ich graben helfen.“

Der Arzt sah dem Mann nach, bis er im Halbdunkel kaum noch zu erkennen war. Obwohl der Verschlag nicht besonders groß war, reichte das schwache Licht nicht aus, auch nur von einem Ende, bis zum anderen zu sehen. Lediglich Celani schien sich in der Finsternis bestens zurechtzufinden.

Aber auch die Gejarn würde ihn wohl nicht sehen, überlegte er. Er sagte es niemanden, aber so wie es um Lewyn stand, hatte der Junge wohl Glück, überhaupt noch einmal aufzuwachen. Und wenn sie nicht bald hier heraus kamen….

Aber du könntest etwas unternehmen, nicht? Ja das könnte er, aber der Preis dafür, sich derart einzumischen… wenn ihn jemand bemerkte, hätte er mehr als ein Problem. Erik zögerte. Das oder der Tod, nicht ? Er musste das Risiko ganz einfach eingehen. Mit einem letzten Blick in die Finsternis vergewisserte er sich, dass ihn niemand klar erkennen konnte, dann legte er dem verletzten Jungen die Hand auf die Stirn.

 

 

Celani verließ ihren Posten an der Tür. Sie konnte auch so darauf lauschen, ob sich der Wächter rührte. Sie setzte sich zu Kornelius, der sich an den Rand der kleinen, mittlerweile entstandenen Grube niederließ.

„Wie geht es Euch?“

„Was glaubt Ihr, wie es mir geht?“ , erwiderte der Alte nur.

„Der Zauberer ist immer noch bewusstlos. Und der Vogel da hinten will mir erklären, er könne nichts tun. Aber wenigstens kommen wir hier voran.“

Er hatte die Nachricht über Leifs Tod ziemlich locker aufgenommen, dachte Celani. Seine einzige Bemerkung war ein recht patziges:

„Pah, so schnell werdet ihr den nicht los.“

„Ich glaube wir schaffen es bis zum Morgengrauen, aber…“ Die Gejarn verstummte mitten im Satz.

Kornelius lächelte sanft.

„Verstehe.“

Es war einer der wenigen Augenblicke, in dem kein Spott in seiner Stimme lag, sondern simples Mitleid.

„Ich habe nicht nur die Träne sondern auch noch einen Freund verloren. Aber ich schwöre, wenn wir hier heraus kommen, wird jemand dafür bezahlen.“

Kornelius schüttelte den Kopf.

„Das ist ein gefährlicher Weg. Hat Leif euch erzählt….“

„Das Meiste, glaube ich.“

„Dann wisst Ihr, wohin ihn die Rache geführt hat. Vielleicht solltet Ihr seine Fehler nicht/ wiederholen. Doch letztlich... ist es eure Entscheidung, meine Liebe.“

„Ich brauche das Armband zurück.“, erklärte Celani lediglich.

„Und ich werde euch dabei gern helfen.“, antwortete Kornelius „Danach suchen wir Leif.“

„Ihr glaubt wirklich, er hat überlebt?“

„Ihr nicht ?“

„Ich… würde es gerne.“

„Wenn ich eins weiß, dann das, das Leif ziemlich stur ist. Der Junge ist praktisch mein Sohn. Selbst wenn ich ohne jeden Zweifel sicher wäre, das er tot ist, würde ich ihn noch suchen. Und sei es nur, für ein vernünftiges Begräbnis. Und danach... kann dieser Robert sehen, wo er sich vor mir versteckt. Ich hab vielleicht nicht mehr zu lange zu leben aber… das kann einen Mann um einiges gefährlicher machen. Also, was sagt ihr, ist das ein Plan?“

Die Gejarn nickte. Das war etwas, mit dem sie leben konnte.

Im selben Moment gab es in der Dunkelheit einen kleinen Tumult, als Erik sich an ein paar, auf dem Boden sitzenden Flüchtlingen, vorbei drängte. Der Arzt war jedoch nicht mehr alleine. Auf seine Schultern stützte sich, ein überraschend munter wirkender Lewyn. Zwar blutete seine Kopfwunde nach wie vor stark, aber er sah sich mit wachem Blick um. Ein Blick, der sofort von Trauer getrübt wurde, als er Ruben nirgendwo fand… Trauer und funkelnde Wut.

Kornelius würde bei seiner Jagd auf Robert nicht alleine sein, dachte Celani. Bevor der Zauberer jedoch etwas sagen konnte, tauchte Sandria am Rand der Grube auf.

„Wir haben es so gut wie geschafft.“, erklärte die Sängerin.

„Wer geht als erstes?“

 

 

 

 

 

Kapitel 30

Zusammentreffen

 

 

 

 

 

 

 

Ordt stand einen Moment regungslos da, genau wie der Fremde, der grade wie aus dem Erdboden gewachsen war. Hinter ihm zog sich die rothaarige Frau auf das Gras hinaus und setzte sich auf. Weitere Gestalten folgten.

Bevor der Gejarn ganz verstand, was vor sich ging, hatte der Mann auch schon einen Satz auf ihn zu gemacht.

Ordt ließ den Beutel fallen und versuchte noch an sein Schwert zu kommen, war jedoch zu langsam und bekam einen Schlag in die Magengrube. Die Klinge fiel im aus der Hand und der Hieb ließ ihn einen Moment zusammenklappen. Der Gejarn raffte sich jedoch rasch wieder auf. Was dachte dieser junge Mensch eigentlich, was er ohne Waffen gegen ihn ausrichten konnte… Ordt holte mit einer Pranke aus, unter der sich der Fremde jedoch blitzschnell wegduckte. Der Gejarn schlug sofort wieder zu, nur um erneut nichts als Luft zu erwischen.

Der Fremde stand in sicherer Entfernung und grinste.

„Nun Herr Wolf, etwas zu langsam nicht ?“

Er sprach leise, so als hätte er Angst, jemand könnte ihn hören… natürlich hatte er Angst. Ordt sah zwischen dem Erdloch und dem Verschlag hin und her.

„Ihr seid Ausgebrochen….“

„Schlaues Kerlchen.“ Der Mann nutzte den kurzen Moment der Verwirrung um dem Wolf die Beine weg zu ziehen.

„Und Ihr nennt mir besser einen guten Grund Euch nicht direkt bewusstlos zu schlagen.“

Ordt landete auf dem Boden und bevor er sich zur Seite wegrollen konnte, setzte sich schon eine Klinge an seine Kehle. Sein eigenes Schwert. Götter, wie konnte ein Mensch so schnell sein?

„Weil wir auf derselben Seite sind.“

„Und das soll ich Euch jetzt einfach so glauben, ja?“

Wenigstens verschwand die Klinge von seinem Hals.

Der Gejarn nickte in Richtung seiner verlorenen Tasche.

„Seht selbst.“

Der Fremde grinste, dann lies er das Schwert fallen.

„Das mach ich gleich, aber erst mal auf die Füße mit Euch.“

Bevor Ordt sich noch groß wundern konnte, wurde er auch schon auf die Füße gezogen.

„Warum ?“

„Weil Ihr nicht so dumm wärt, über etwas zu lügen, das ich überprüfen kann. Wenn doch, Herr Wolf, schlage ich vor Ihr nehmt die Beine in die Hand. Ich bin übrigens Erik.“, erklärte der Mann während er zu dem Beutel trat, kurz hinein sah und zwei Radschloss-Pistolen hervor holte.

„Und ich hab die schon vermisst.“

 

Die übrigen Flüchtlinge hielten etwas Abstand und Ordt nutzte den kurzen Moment, die Gruppe zu mustern. Die rothaarige Frau hatte er bereits gesehen, dazu kam nun noch ein älterer Mann mit schlohweißen Haaren, ein junger Mann, der eine zerschlissene Robe trug und aus einer Wunde am Kopf blutete und… die Gejarn. Er kannte die Beschreibung. Knapp schulterlanges Haar, ein hellrötlich schimmernder Pelz… aber sie hatte die Träne nicht mehr, dachte der Wolf. Die Luchsin war jetzt unwichtig. Ein Blick zum Horizont jedoch genügte ihm, um zu wissen, dass ihn die Zeit davon lief.

Erik verteilte derweil die Hand voll Kurzschwerter, die Ordt aus dem Lager entwendet hatte. Die Flüchtlinge hatten Waffen. So weit so gut. Fehlte nur noch eines, das schon viel zu lange auf sich warten ließ…. Hatte Leif seinen Boten vielleicht doch irgendwie gesehen?

Ein lauter Alarmruf, der durch das ganze Lager hallte, verscheuchte jedoch Ordts letzte Zweifel. Alles lief nach wie vor exakt nach Plan.

Erik jedoch drehte ruckartig den Kopf in Richtung des Signals. Sofort konnte man Bewegungen zwischen den Zelten sehen.

„Verflucht. Also gut, Zeit hier zu verschwinden. Jetzt.“ Der Mann machte eine hektische Geste mit den Händen, als wollte er eine Herde Schafe vor sich hertreiben. In Richtung Wald. Das konnte Ordt nicht zulassen. Wenn die Soldaten die Flüchtlinge verfolgten, würden einige Wachen im Lager zurück bleiben und ihm die Arbeit erschweren. Er musste ungestört bis zu Roberts Zelt gelangen... aber noch hatte er seine letzte Karte nicht ausgespielt.

„Wir können noch nicht weg.“

„Wieso nicht?“ , wollte der weißhaarige Alte wissen.

„Ihr wollt doch sicher Leif nicht hier zurück lassen, oder?“

„Leif lebt?“ Zu Ordts Überraschung war es die Gejarn, die beinahe aufschrie. Seltsam. Das konnte noch nützlich werden….

„Ja ich habe ihn angewiesen beim Lager Wache zu halten. Aber er kommt da so nicht mehr raus. Nicht, wenn jetzt alle auf der Hut sind. Ich hole ihn, aber ich brauche Zeit… jemand muss mir die Gardisten vom Hals halten.“

Erik stützte einen Moment das Kinn auf die Handfläche.

„Hmm… Also gut, Planänderung an alle. Wer weg will, geht jetzt besser. Ich bleibe mit jedem hier, der mir helfen will. Wir müssen die Gardisten ja nur einen Moment zurück halten. Das sollte zu schaffen sein. Der Rest, versucht wieder Anschluss an die Karawane zu finden. Versucht auf uns zu warten.“

Ordt nickte, dann rannte er los. Zurück in Richtung des Lagers. Götter, das lief beinahe zu perfekt. Alles wie am Schnürchen….

Leif wurde durch den Alarmruf aufgeschreckt und spähte aus seinem Versteck. Dutzende von bewaffneten Männern tauchten zwischen den Zelten auf. Der Schmied konnte schlicht nicht mehr darauf vertrauen, dass ihm die Büsche und Bäume Schutz geben würden. Hoffentlich war der Wolf schnell genug gewesen und hatte die Flüchtlinge befreit. Er konnte nur undeutliche Bewegungen auf der Wiese ausmachen. Es war nach wie vor zu dunkel um sich leicht orientieren zu können, auch wenn der rötliche Lichtschimmer am Horizont versprach, dass das nicht mehr lange so bleiben würde. Dann wären die Flüchtlinge völlig schutzlos. Aber er konnte ihnen ein wenig Zeit verschaffen. Rasch zog er sich etwas weiter in die schwindenden Schatten zurück, bis die ersten Gardisten an ihm vorbei waren. Dann tauchte er aus seinem Versteck auf und erledigte den ersten, völlig überraschten Nachzügler. Der Mann war noch nicht in sich zusammengesackt, da wandten sich einige seiner Gefährten um und stellten sich der neuen Bedrohung in Form des Schmieds.

In Bewegung bleiben, schoss es Leif durch den Kopf. Es waren zu viele, um sich auf ein längeres Geplänkel einzulassen. Sie würden ihn so schlicht überrennen. Aber er konnte sie sicher eine ganze Weile hinhalten, bevor er selber sehen musste, wie er hier wegkam.

Der erste Gardist, der auf ihn zustürmte, unterschätzte ihn offenbar und bekam den Dolch in die Brust geschleudert. Der zweite stach mit einer Lanze nach dem Schmied. Leif wich der Waffe aus und trennte die Klinge mit einem gezielten Schlag ab. Mit der, nach wie vor fast nutzlosen Linken, konnte er das Schwert nur begrenzt nutzen, aber es reichte um sich etwas Luft zu verschaffen. Mit einer ungezielten Serie von Schlägen trieb er die fünf Gardisten etwas zurück, die versuchten ihn zu umstellen und gab dann Fersengeld. Hinein in das kleine Gewirr aus Zelten und heruntergebrannten Wachfeuern….

 

Ordt hechtete derweil durch das gleiche Labyrinth von gespannten Schnüren und Leinwänden. Er versuchte den Kampflärm, der jetzt in der Luft lag, so gut es ging auszublenden. Und auch den kupfernen Blutgeruch. Es gefiel ihn nicht, die Flüchtlinge als lebende Zielscheiben für die Gardisten zu verwenden, aber eine große Wahl hatte er auch nicht. Wenn der Kaiser die Träne bekam….

Nicht darüber nachdenken, sagte er sich, während er seine Schritte vor dem Zelt in der Mitte des Lagers abbremste. Silberne Drachenstandarten waren vor dem Eingang in die Erde gerammt worden.

Nur eine einzelne Wache stand davor und hob die Hand um den Gejarn anzuhalten.

Ordt hatte nicht die Zeit für so etwas. Bevor der Posten reagieren konnte, hatte der Wolf schon die Klinge gezogen und dem Mann in die Brust gerammt. Wenn jemand erfuhr, dass er ein Verräter gewesen war, würden die anderen Söldner sicher dafür zahlen müssen. Aber auch das durfte ihn jetzt nicht ablenken.

Er sah sich rasch nach allen Seiten um und verschwand dann im Zelt.

Robert schien recht spartanisch zu leben, trotz seines Ranges. Neben einem heruntergekommenen Feldbett, befand sich nur ein kleiner Schreibtisch im Zelt. Der Boden/ bestand aus ausgelegtem Eichendielen, auf denen ein abgewetzter Teppich die Schritte dämpfte. Auf dem Schreibtisch selbst befand sich nichts außer einem Tintenfass und einigen Bogen Pergament. Ordt wischte die Papiere beiseite. Nichts. Der Gejarn wusste nicht wie viel Zeit ihm blieb. Hastig riss er die Schublade unter der Tischplatte auf. Lediglich einige Schreibutensilien. Die Träne war nicht hier….

Der Wolf wandte sich dem Feldbett zu und schnitt kurzerhand die Matratze auf. Wieder nichts. Nur ein Haufen Stroh. Unter den Dielen konnte der Prätorianerhauptmann nichts verstecken, da war nur Erde, aber vielleicht unter dem Teppich….

Ihm war bewusst, dass er einen Höllenlärm veranstaltete, trotzdem warf er das Bett um und schlug den Teppichboden zur Seite. Nur dicht gefügte Holzlatten. Verflucht. Wo konnte Robert das Armband versteckt haben. Wenn er es versteckt hatte. Er war die ganze Zeit davon ausgegangen, dass der Prätorianer den Stein irgendwo sicher aufbewahren würde. Aber… wo wäre die Träne sicherer, als beim Vertrauten des Kaisers selbst….

Ein Fehler nur und doch warf er ihn mehr als nur zurück. Er musste Robert finden, bevor die Flüchtlinge überrannt wurden, ihm im Kampfgetümmel töten… und mit der Träne verschwinden, bevor er selbst gelyncht wurde. Allein den Mann in dem Chaos zu finden, wäre schon eine Herausforderung. Aber es gab eine Person in diesem Lager, an der der Prätorianer mehr, als an jeder anderen interessiert war. Und er wusste, wo Leif sich in etwa aufhalten musste….

Robert marschierte kopfschüttelnd durch das fast verlassene Lager. In seinem Schlepptau drei Wolfsöldner, zwei mit Schwertern und ein dritter mit einem Bogen bewaffnet. Die Fahnen Cantons wehten schwach im Morgenlicht. Was war nur schief gelaufen, das sich die Gefangenen nicht nur befreit, sondern auch bewaffnet hatten? Es musste einen Verräter unter ihnen geben. Leif hätte das doch unmöglich alleine zu Stande gebracht und er hatte schon eine Weile damit gerechnet.

Egal, die Träne war bei ihm. In Sicherheit. Das silberne Gewebe mit dem darin eingelassenen Opal, ruhte über seiner linken Hand und würde da auch nicht mehr verschwinden, solange er nicht den Kaiser erreichte.

Dennoch brannte er darauf, auf seinen alten Lehrmeister zu treffen. Den Verräter. Er hatte sich ihm vor all diesen Jahren nie erklärt, sondern war einfach verschwunden. Auf einen Tag auf den anderen, hatte Leif der Drache des Kaisers, aufgehört als Person zu existieren. Wer würde freiwillig zu einem Schatten werden und warum? Tiefer hatte der Mann kaum fallen können, vom obersten Krieger des Kaiserreichs, zu einem phantomhaften Verräter.

Aber es lag nicht an ihm, das zu hinterfragen. Es lag an ihm, dafür zu sorgen, das Leif dafür zahlte. Dann erst hätte er seinen Titel wahrhaft verdient. Die Prätorianer konnten keine zwei Meister haben.

Als ob seine Gedanken den Mann herbeigerufen hätten, stolperte Leif zwischen zwei Zelten hervor. Er erstarrte, als er den Prätorianer und seine drei Begleiter sah. Und das Armband an dessen Handgelenk.

Nur einen Moment blitzte so etwas wie Überraschung auf seinem Gesicht auf. Was Acht Jahre aus einem Menschen machen konnten… Robert erkannte Leif wieder, aber er wirkte... älter. Seltsam. Er hatte nie damit gerechnet, dass Leif schlicht hatte… älter werden können. Das Blut jedoch, welches dessen Schwert und Hand bedeckte zeugte davon, dass er in den Jahren seines Exils kaum etwas verlernt haben dürfte.

„Hallo Robert.“

Der Gejarn-Bogenschütze an Roberts Seite riss einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken und legte auf den Mann an. Bevor er jedoch nur dazu kam, die Sehne zu spannen, hatte der Prätorianer ihm schon einen Schlag in die Magengrube versetzt. Die anderen beiden Wölfe wichen zurück, als ihr Gefährte in die Knie ging.

„Wenn ihn jemand, außer mir tötet, wird derjenige sich wünschen, nie geboren worden zu sein. Ihr bleibt zurück.“

„Eure Ritterlichkeit ist fehl am Platz.“, erwiderte einer der Gejarn.

„Wirklich ? Ich besiege keinen Feind. Ich verteidige das, an was ich glaube. Ihr bleibt wo ihr seid, oder sterbt noch vor ihm.“ Mit diesen Worten ließ der Prätorianer seine Gefährten zurück und ging seinem alten Lehrer entgegen.

Leif wartete ruhig, das Schwert in der rechten Hand. Den linken Arm hingegen hielt er leicht angewinkelt, so als hätte er eine Verletzung, die noch nicht ganz verheilt war.

 

 

 

Kapitel 31

Triell

 

 

 

 

 

Celani war die erste, die bleiben wollte. Zusammen mit Kornelius und den drei verbliebenen Milizionären, die Leif ausgebildet hatte... Lewyn sagte erst gar nichts, sondern stellte sich einfach zu ihnen. Erik wollte erst verhindern, dass Sandria blieb, gab dann jedoch nach einem kurzen Wortgefecht auf. Viel Zeit blieb ihnen wohl so oder so nicht. Oder eine große Chance. Sie konnten nur hoffen, das Ordt schnell zurück käme, sonst gäbe es Tote. Ein Dutzend Gardisten hatte sich vor den Zelten formiert. Noch schienen die Soldaten des Kaisers wohl unsicher, was sie von der siebenköpfigen Gruppe halten sollten, die scheinbar Anstalten machte, sich ihnen in den Weg zu stellen.

Celani zitterte, während sie versuchte, sich an das Gewicht des Schwerts in ihrer Hand zu gewöhnen.

Sie hatten was… vier wirkliche Kämpfer? Erik und die drei Milizionäre. Kornelius konnte sicher ein Schwert halten und damit umgehen, aber, der Mann war alt. Sandria war eine Bardin. Und sie selbst….

Die Gejarn zwang sich ruhig zu atmen. Sie war immer nur weggelaufen. Bis jetzt….

Und jetzt blieb ihr nicht mehr viel zu verlieren. Sie hatte schon versagt. Celani lache, ohne zu wissen warum. Sie hatte oft genug um ihr Leben fürchten müssen und ihren Tod mehr als einmal vor Augen gehabt. Aber so zu enden hatte bisher nicht auf der Liste gestanden. Am Rand des Lagers machte sich eine Gruppe Bogenschützen bereit. Offenbar hatten die Gardisten nicht vor, sich auf einen Kampf mit ihnen einzulassen, Auch gut. Es machte keinen Unterschied mehr. Die Gejarn trat ein Stück vor. Sich vor Pfeilen verstecken war unmöglich. Auf eine Weise, hatte sie schon mit ihrem Leben abgeschlossen. Entweder Ordt tauchte innerhalb der nächsten Herzschläge wieder auf oder sie waren verloren.

Erik schien das gleiche zu denken, blieb aber überraschend ruhig. Mit einer der Pistolen die er trug, peilte er die Gruppe Schützen vor den Zelten an und drückte ab. Flammen schlugen aus der Mündung der Waffe. Celani glaubte nicht, dass der Mann auf diese Entfernung etwas treffen konnte, dann jedoch sackte tatsächlich einer der Gardisten in sich zusammen. Der Arzt verlor keine Zeit, sondern schwenkte mit der Waffe schon zu seinem nächsten Ziel. Im gleichen Augenblick, hatten die Bogenschützen schon Pfeile auf die Sehnen gespannt.

Sie konnten sich nirgendwo in Deckung bringen. Celani konnte nur einen kurzen Moment die dünnen Schatten sehen, die über den Himmel jagten. Bevor die Schwerkraft die Oberhand gewann und die in der Sonne glitzernden Pfeilspitzen sich Richtung Erdboden senkten. Auf die Gruppe Flüchtlinge zu….

 

 

„Euer Arm.“ Diese ersten Worte überraschten Leif.

Einen Moment glaubte der Schmied sich vielleicht einfach nur verhört zu haben. Robert jedoch hatte sich auf den Schwertknauf gestützt und schien auf eine Antwort zu warten. Es war seltsam ihn nach all der Zeit wieder gegenüber zu stehen. Natürlich hatte er gewusst, dass die anderen ihn für einen Verräter halten mussten.

„Verstaucht glaube ich.“ Es hatte keinen Sinn, den Prätorianer anzulügen. Robert würde es herausfinden, sobald ihr Kampf begann. Der unvermeidbar war, wie Leif klar wurde.

Im Augenblick glaubte er nicht, dass er seinem alten Schüler, groß etwas entgegenzusetzen hätte. Er war erschöpft und verletzt. Robert hingegen ausgeruht und trug die typische Plattenpanzerung der kaiserlichen Elite.

Was der Mann jedoch nun tat, brachte seine drei Begleiter offenbar dazu, endgültig an dessen Verstand zu zweifeln. Robert hob das Schwert wieder auf und nahm die linke Hand auf den Rücken.

„Verrückter Mensch.“ , hörte Leif einen der Gejarn flüstern. Der Prätorianer achtete kaum darauf, sondern bedeutete den drei abermals, sich unter keinen Umstände einzumischen, während er auf Leif zutrat.

„Heute werdet Ihr bezahlen Leif.“ Robert riss das Schwert hoch und ging auf ihn los.

Es war ein ungezielter Schlag, eine Attacke, von der wusste, dass Leif sie parieren konnte. Der Stahl traf sich in der Luft und der Schmied machte rasch einen Satz zurück.

Er schüttelte den Kopf.

„Für was ? Ich musste gehen, ich hatte keine Wahl….“

Robert antwortete nicht, sondern schlug sofort wieder auf ihn ein. Diesmal wurde aus dem vorsichtigen abtasten, Ernst. Sein Gegner ließ einen Sturm aus Stahl auf ihn niedergehen und Leif sah sich gezwungen zurückzuweichen um nicht getroffen zu werden. So stürmisch Robert auch Kämpfte, seine Bewegungen waren sparsam, perfekt… jeder Schlag präzise. Wenn Leif nicht das Ziel von dessen Kampfkunst gewesen wäre, er hätte beinahe so etwas wie Stolz empfunden.

So jedoch drängte ihn der Mann rasch in die Defensive und jagte ihn durch das Gewirr aus Zelten und Leinen vor sich her. Leif schnitt einige der Seile durch, welche die Zelte aufrecht hielten und hoffte sich so, eine Atempause zu verschaffen. Wenn er den Moment der Verwirrung ausnutzte, konnte er vielleicht entkommen….

Robert jedoch kam seinem Plan zuvor und hechtete unter den zusammenbrechenden Zelten hindurch. Nur die drei Wolfssöldner blieben hinter den Trümmern zurück. Die Stoffplanen fielen über ein fast erloschenes Feuer. Die Flammen fanden plötzlich neue Nahrung und verzehrten das Zelt. Funken und brennende Fetzen füllten die Luft, die auf weitere Teile des Lagers übersprangen.

Leif wiederum fand sich keinen Herzschlag später, erneut im Duell mit Robert wieder.

Diesmal jedoch kämpfte der Schmied verbissener. Gut, wenn ihn der Mann nicht entkommen ließ, blieb ihm nur eine Möglichkeit. Gewinnen. Eine Weile war nur das klirren von Stahl zu hören. Die beiden Kämpfer versuchten alles, was ihre Ausbildung hergab. Finten und Paraden, denen das Auge kaum folgen konnte wechselten sich mit kurzen Pattsituationen ab. Leif trat nach seinen Gegner, der über den Fuß hinwegsetzte und versuchte, in seinen Rücken zu kommen. Der Schmied jedoch wirbelte herum und versetzte Robert einen Schlag mit der flachen Schwertseite. Der Prätorianer stolperte zwischen den brennenden Zelten zurück, hinaus auf offenes Land. Leif setzte sofort nach und wurde von der Seite angegriffen. Robert hatte sich im Rauch der Feuer verborgen und auf ihn gewartet…. Offenbar war jedoch sein Umhang dabei in Brand geraten, aber sein Gegner schenkte den qualmenden Flammen kaum Beachtung, die ihn wie einen Dämon erscheinen ließen. Wieder traf Stahl funkenschlagend auf Stahl.

Sie hatten das Lager einmal durchquert, wie Leif mit einem raschen Blick über die Schulter feststellte. Nun befanden sie sich über den Klippen und dem Pfad, der hinab zum Fluss führte. Lediglich ein altersschwacher Holzzaun sicherte den Abgrund. Das Wasser strömte hier träger und die Ufer waren nicht ganz so steil. Trotzdem gefiel es Leif nicht, den Hang im Rücken zu haben. Als Robert ihn erneut Angriff, machte er keine Anstalten, den Hieb zu parieren, sondern tauchte in die entgegengesetzte Richtung weg. Robert hatte zu viel Schwung genommen und konnte nicht mehr abbremsen. Stattdessen krachte er direkt in die Holzgeländer. Das Material ächzte, als der Mann sich blitzschnell wieder davon abstieß und zu Leif herumwirbelte. Dieser nutzte den kurzen Moment und trat erneut nach dem Prätorianer. Auch wenn er ihn durch die Rüstung nicht verletzen konnte, der Stoß tat seine Wirkung. Erneut stolperte Robert zurück. Und diesmal hielt das Geländer nicht mehr stand. Das Holz splitterte. Einen Moment lang hing Robert noch wie in der Schwebe, dann gewann das Gewicht seiner Rüstung die Oberhand und er stürzte ab. Sich überschlagend rutschte der Prätorianer den Hang hinab und schlug im träge dahin strömenden Flusswasser auf. Was vom brennenden Mantel seines Gegners übrig war, verlosch zischend.

Leif stützte sich einen Moment schwer atmend auf seine Waffe. Robert blieb regungslos liegen. Vielleicht hatte der Sturz ihn getötet, dachte der Schmied. Dann jedoch bewegte sich die Gestalt wieder. Robert richtete sich schwerfällig auf.

„Ist das alles was Ihr könnt?“, schrie er von unten herauf und richtete die Klinge herausfordernd nach oben.

„Kommt schon, Verräter, bringen wir’s zu Ende.“

Leif zögerte, aber nur einen Moment, dann setzte er über den zerschmetterten Zaun und rutschte den Erdhang auf den Füßen hinab. Bevor er das Ende des Abhangs erreichte, sprang er beiseite um nicht direkt in Robert hineinzulaufen. Er landete im knietiefen Wasser. Sein Aufprall erzeugte in paar Wellen, die seine Kleidung nun nicht nur mit Schweiß, sondern auch mit Wasser durchnetzten. Ein feiner Sprühnebel ging über ihn und den wartenden Robert nieder.

Leif umklammerte das Heft seines Schwerts mit der gesunden Hand. Das war noch nicht vorbei….

 

 

Celani musste mehrmals blinzeln, m sich davon zu überzeugen, dass sie nicht träumte. Aber die entsetzten Rufe der Bogenschützen, beim Lager, überzeugten sie endgültig. Die Pfeile, die eben noch als tödlicher Regen durch die Luft geflogen waren, hingen nun still. Als wäre die Luft über der kleinen Gruppe von einem Moment auf den anderen so dicht wie Stahl geworden, schwebten die Projektile völlig nutzlos über ihren Köpfen.

Es war Eriks Stimme, die das Schweigen brach.

„Lewyn! Haha, ich wusste doch das Ihr das könnt.“

Die Gejarn drehte sich zu dem jungen Zauberer um. Lewyn hatte eine Hand zum Himmel gerichtet und die Augen geschlossen. Schweißperlen standen auf seinem Gesicht und… Geister, sie schien beinahe dabei zusehen zu können, wie seine Haare die Farbe verloren. Der Magier murmelte irgendetwas vor sich hin, dann öffnete er die Augen und richtete die zweite Hand nach oben. Als würde er ein unsichtbares Gewicht heben, spannte er die Muskeln an und drückte gegen die Luft. Von einem Augenblick auf den anderen wurden die Pfeile aus ihrer Erstarrung gerissen. Die stählernen Spitzen drehten sich in der Luft… und jagten in Richtung des Lagers davon. Die von diesem magischen Gegenangriff völlig überraschten Soldaten schafften es nicht mehr, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Ein schwarzer Pfeilhagel ging über sie nieder und fällte mehr als die Hälfte von ihnen. Erik hatte derweil die noch geladene Pistole aus dem Halfter gezogen.

„Auf sie, los, solange wir die Chance haben.“ Der Arzt rannte los und es dauerte nur einen Herzschlag, bis ihm die anderen folgten.

Die kaiserlichen Gardisten waren, nach wie vor in heillosem Durcheinander und schafften es nicht mehr, sich wieder zu formieren, bevor die Flüchtlinge heran waren. Celani fand sich plötzlich Auge in Auge mit einem Soldaten, der offenbar genauso überrascht war, wie die Gejarn. Aber er erholte sich schneller davon. Der Mann hieb mit einem Schwert nach ihr, während sie noch wie erstarrt dastand. Dann endlich gehorchte ihr Körper, ihr wieder. Sie sprang zur Seite, schneller als der Blick ihres Gegners ihr folgen konnte und schlug einfach blind zu. Es war ein seltsames Gefühl, zu merken, wie sich die Klinge durch das Kettenhemd und dann Fleisch und Knochen des Gardisten fraß. Ihr wurde Übel davon aber auf der anderen Seite….

„Ha, das ist ja eigentlich ganz einfach….“

Ihr blieb kaum Zeit, sich über diesen kleinen Sieg zu freuen. Schon musste sie sich unter dem Schwert eines zweiten Gardisten wegducken, der sie von der Seite angriff. Bevor Celani sich dem Mann jedoch wieder zuwenden konnte, wurde dieser in einen Feuerball gehüllt. Lewyn hatte mittlerweile wieder zu ihnen aufgeschlossen. Nach wie vor blitzte kalte Wut in seinen Augen. Die Haare des jungen Zauberers waren mittlerweile vollständig ergraut, trotzdem hörte er nicht auf, ihre Gegner zu dezimieren. Celani hatte so etwas noch nie gesehen.

Bevor der Magier sich jedoch ein neues Ziel suchen konnte, erstarrte er plötzlich. Lewyn schwankte einen Moment, dann brach er zusammen. Celani war sofort da um den Hexer aufzufangen und ehe sie sich versah, war auch Erik an ihrer Seite.

„Verflucht, muss der Junge es denn auch gleich übertreiben.“ Der Arzt scheuchte sie mit hektischen Bewegungen beiseite, während er Lewyns Hals und Brust abtastete.

„Verdammt….“

Erik setzte sich auf und sah kurz starr vor sich hin.

„Was… was ist ?“

Der Arzt wischte sich Schweiß und Schmutz aus dem Gesicht.

„Er ist tot….“

Hinter Celani und Erik schlugen nun Flammen zwischen den Zelten des Lagers hervor. Die Gejarn drehte den Kopf.

„War… war er das ?“

Erik folgte ihrem Blick zu den brennenden Zelten.

„Nein… nein ich glaube nicht.“

„Geister, wenn Ordt und Leif da drin sind….“

Er nickte.

„Geht, sucht sie. Wir halten sie hier auf.“

Celani nickte, bevor sie losrannte und im Labyrinth des Lagers verschwand.

Der Arzt lies Lewyns Kopf sanft zur Erde sinken.

„Ich werde das nicht vergessen.“, flüsterte er und schloss dem toten Magier die Augen.

Er hatte ihm eine Chance gegeben… und Lewyn hatte im Gegenzug ihnen allen eine Chance gegeben.

 

 

 

Es war schwerer, sich im Wasser zu bewegen. Das Flussbett war tückisch und bestand aus vielen kleinen Kieseln, die ihren Füßen kaum Halt boten. Trotzdem setzten Leif und Robert ihren Kampf ohne Rücksicht fort.

„Ihr habt uns verraten Leif. Ihr werdet heute nicht entkommen.“

Das Klirren des Stahls hallte von den Klippen wieder.

„Robert ich habe Euch verlassen weil ich nicht mehr konnte… versteht das doch….“

Einmal glaubte Leif, dass sich der Prätorianer eine Blöße gegeben hatte und stieß zu. Der Schlag prallte an der Rüstung seines Gegners ab und hinterließ nur eine kleine Beule im Metall. Robert hingegen schlug ihm das Heft seines Schwerts ins Gesicht. Die Flügel der Drachenstatuette am Knauf waren spitz zu gefeilt und hinterließen blutige Striemen auf Leifs Wange. Der Schmied stolperte rückwärts und erwartete jeden Moment, dass sich ihm der Stahl in den Körper bohrte. Stattdessen stieß ein Schatten von oben auf den völlig überraschten Prätorianer herab.

Robert und der Neuankömmling stürzten beide in den Fluss und tauchten wenige Herzschläge später wieder auf.

„Das Armband Prätorianer. Jetzt !“

Leif erkannte den schwarzen Wolf natürlich wieder, der sich vor Robert aufgebaut hatte, das Schwert in der Hand. Ordt. Dieser Irre musste einfach von den Klippen gesprungen sein, dachte der Schmied ungläubig.

Leif wusste einen Moment nicht, wen er angreifen sollte…

„Ihr seid also auch nur hinter dem Stein her.“

„Und Ihr würdet ihn mir nicht aushändigen.“

„Nein.“ Der Schmied richtete das Schwert auf den Gejarn.

„Dann sterbt Ihr eben Beide.“

„Also seid Ihr der Abweichler in unseren Reihen.“ Robert grinste düster.

„Darauf läuft es dann wohl hinaus. Für Euch und Leif.“

Leif und Ordt griffen den Prätorianer beinahe zeitgleich an. Robert wehrte den Schlag des Gejarn ab und sprang grade rechtzeitig beiseite, um Leif auszuweichen. Dieser wäre beinahe in Ordt hineingelaufen, der den Schlag grade noch parieren konnte und nun auf den Schmied losging.

Robert seinerseits versuchte nun in den Rücken des Wolfs zu kommen und schlug zu. Der Gejarn wich grade noch aus so, dass sich nun wieder Leif und der Prätorianer gegenüberstanden.

Ein rascher Schlagabtausch führte nur zu einem erneuten Patt zwischen den beiden Kämpfern.

„Gebt Ihr auf?“

„Vergesst es.“, knurrte Robert.

„Hatte ich auch nicht erwartet.“ Leif nahm eine Bewegung hinter sich wahr und sprang bei Seite. Ordt hatte versucht, sich an ihn heran zu schleichen, nun jedoch fand sich der Gejarn Auge in Auge mit Robert. Diesmal kam der Prätorianer nicht dazu, den Angriff zu parieren. Leif sah noch den Ausdruck grenzenloser Überraschung in seinem Gesicht. Ordts Schwert traf ihm am Arm und trennte das Armband sauber ab, während die Klinge einen tiefen Schnitt im Fleisch seines Gegners hinterließ.

Der Silberreif wirbelte einen Moment durch die Luft, bevor er am Ufer aufschlug und zwischen den Steinen dort liegen blieb.

Robert stolperte zurück, das Schwert fiel ihm aus der Hand und der Wolf und setzte sofort nach. Der Schwertstreich traf den Mann und hinterließ einen weiteren Schnitt in dessen Seite.

Bevor er jedoch dazu kam, den Prätorianer zu erledigen, war Leif schon wieder heran und trieb Ordt mit einer Reihe von Schwerthieben zurück. Der Wolf wich zurück und sah einen Augenblick zwischen dem Schmied und dem Ufer hin und her… dann machte er einen Hechtsprung in Richtung der Stelle, an der das Armband lag.

Leif wollte ihm nachsetzen, wurde jedoch daran gehindert, als er eine Bewegung hinter sich bemerkte. Robert hatte sich wieder gefangen und ging nun trotz seiner Verletzung, wieder auf den Schmied los. Nun jedoch war es Leif, der einen Vorteil hatte. Anstatt sich auf den Kampf einzulassen, entwaffnete er den Prätorianer mit wenigen Hieben und stürmte dann in Richtung Ufer los. Was er jedoch dort sah, veranlasste ihn fast sofort wieder, langsamer zu werden.

Ordt suchte bereits einen Fluchtweg über die Klippen. Die Ufer waren zu steil, um sie sicher hinauf zu klettern, aber der Pfad, der vom brennenden Lager hinab führte, wäre sicher einen Versuch wert.

Er hätte es gleich geschafft. Sollten sich Leif und der Hauptmann der Prätorianer ruhig weiter im Wasser prügeln. Wenn er das Ufer erreichte und den Stein in die Finger bekam, konnte es ihm egal sein, wie das hier ausging. Als er sich jedoch ans Ufer zog, spürte er, wie sich ihm kalter Stahl an die Kehle legte.

Oh verflucht.

Celani stand über ihm und sah alles andere als glücklich aus. In einer Hand hielt sie das zerstörte Armband in der anderen das Schwert, das direkt an Ordts Hals saß….

„Ihr habt nicht zufällig das gesucht, oder?“ Die Gejarn hielt den Armreif hoch.

Leif atmete erleichtert auf, als er Celani entdeckte. Götter, er hatte bis jetzt gar nicht gewusst, wie sehr er die Gejarn schon vermisst hatte. Sie hatten es fürs Erste geschafft, dachte er erleichtert, während er ans Ufer watete.

„So.“ Bevor Ordt die Gelegenheit hatte, davonzukommen, packte der Schmied den Mann und riss ihn auf die Füße.

„Und jetzt könntet Ihr uns einmal erzählen, wer Ihr wirklich seid und warum Ihr das Armband wollt.“

Der Wolf knurrte, was Lief jedoch nur als Anlass nahm, ihm den Arm auf den Rücken zu drehen.

„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte Celani ihrerseits.

„Er arbeitet für Simon Belfare.“

„Schlaues Kätzchen . Besser die Träne Falamirs ist in unseren Händen, als in denen des Kaisers.“

„Ich habe nicht vor es in irgendjemandes Hände fallen zu lassen.“, erklärte die Gejarn.

Der Wolf lachte.

„Euch wird auf Dauer keine Wahl bleiben.“

„Vielleicht, aber nicht heute.“ Leif ließ den Mann los und stieß ihn sofort von sich.

„Ihr seid wirklich nicht in der Position irgendetwas zu fordern.“

„Ich fordere nicht ich gebe euch einen Rat.“ , erklärte Ordt lediglich.

„Wir oder der Kaiser.“ Mit diesen Worten wendete sich der Gejarn um und verschwand die Klippen hinauf. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Mann wirklich weg war, drehte Leif sich um und suchte nach Robert. Doch von dem Prätorianer fehlte jede Spur. Egal, er konnte nicht weit kommen und selbst wenn….

„Suchst Du jemanden?“ Er zuckte zusammen, als Celani ihm eine Hand auf den Arm legte. Er war nach wie vor aufs äußerste angespannt und wartete nur darauf, dass Robert wieder auftauchte. Aber der Mann blieb verschwunden.

„Nur ein Bruchstück meiner Vergangenheit. Und… danke.“

„Wofür ?“

„Fürs rechtzeitig auftauchen.“

Er ließ sich am Ufer nieder und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag und seine Atmung wieder normalisierten. Mit dem schwindenden Adrenalin, spürte er auch seine Verletzungen wieder. Zwar hatten, weder Robert noch Ordt, ihn ernsthaft verletzt, aber die ohnehin schon vorhandenen Schnitte und Wunden, würden auch nicht ohne Folgen bleiben. Noch immer lief Blut aus dem Schnitt auf seiner Wange. Ich war ein zu guter Lehrer, dachte er benommen.

Celani setzte sich zu ihm und lehnte den Kopf an seine Schulter. Leif schloss kurz die Augen. Aber zu lange konnte er nicht warten. Schon nach wenigen Augenblicken stand er wieder auf.

„Wir sollten weiter.“ , meinte Leif, während er Celani wieder auf die Füße half.

„Die andere sind hier doch sicher irgendwo?“

 

Als die beiden ins Lager zurückkehrten, war davon schon nicht mehr viel übrig. Asche und Glut bedeckten den Boden in weitem Umkreis, dazwischen vereinzelte, verkohlte Gestelle, die von den Zelten übrig geblieben waren. Einzelne verirrte Gardisten stolperten zwischen den Rauchfahnen hin und her, machten aber keine Anstalten mehr, sich ihnen in den Weg zu stellen. Stattdessen versuchten die meisten der Männer nur noch, so schnell wie möglich weg zu kommen.

Als sie das zerstörte Lager etwa zur Hälfte durchquert hatten, tauchten die ersten Flüchtlinge aus den Dunstschleiern auf. Erik kniete vor einem der Milizionäre, die Leif ausgebildet hatte. Der Mann hatte eine tiefe Schnittwunde über der Stirn, schien aber wieder auf die Beine zu kommen. Der Arzt drückte ihm ohne lange zu zögern ein mit Alkohol durchtränktes Tuch auf die Wunde und gab auch nicht viel, auf die plötzlichen Schmerzensschreie. Sandria musste ihm helfen, den Mann festzuhalten.

„Besser als eine Infektion.“, kommentierte er nur, bevor er aufstand und sich den beiden Neuankömmlingen zuwandte.

„Und ich dachte schon, wir haben uns zum letzten Mal gesehen. Kommt her ihr beide.“ Erik ließ dem Schmied kaum Zeit für einen Protest, bevor er sowohl ihn als auch Celani in eine kurze Umarmung zog.

„Götter, das ihr mir alle so was nie wieder macht.“

„Ich werde es versuchen.“, erwiderte Celani nur.

„Nicht, wenn es sich vermeiden lässt.“, stimmte Leif zu. Ihm war nach wie vor schwindlig und er musste sich kurz, an einem der übriggebliebenen Zeltgerüste abstützen.

„Wir habt Ihr das geschafft?“

Leif machte eine ausholende Geste und schloss damit das ganze Lager und die sich zerstreuenden Gardisten ein.

„Es war Lewyn.“, antwortete Erik.

„Der arme Junge hat sich für uns geopfert, fürchte ich.“

Leif nickte nur, während sich in diesem Augenblick eine weitere Gestalt aus dem Nebel löste.

„Hey und die wollten mich glatt davon überzeugen, dass Du ins Gras gebissen hast.“ Der Schmied traute einen Moment seinen Ohren nicht, während er herumwirbelte und sich Auge in Auge, mit einem breit grinsenden Kornelius wiederfand. Der Schmied war zu müde, um noch großartig überrascht zu sein, den Alten am Leben zu sehen. Heute konnte ihn wirklich gar nichts mehr verblüffen.

„Du hast nicht zufällig noch meinen Tabak? Ich hatte den, ganz unten in einem eurer Rucksäcke versteckt….“

Leif lachte lauthals.

„Tut mir leid Kornelius, aber der ist… nun… weg.“

„Wie weg ?“ Der Alte sah einen Moment derart geknickt aus, dass auch die anderen in schallendes Gelächter ausbrachen.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 32

Liebe

 

 

 

 

 

 

 

Sie fanden die Karawane keinen halben Tag später. Wie sich herausstellte, waren die Flüchtlinge, die es über die Brücke geschafft hatten, nicht weitergezogen, sondern hatten die übrigen Übergänge über den Fluss abgesucht. Nur zu siebt hielten die beschädigten Brücken ihr Gewicht und sie konnten auf die andere Seite gelangen und ihren Weg fortsetzen. Canton lag nun endgültig hinter ihnen. Sie hatten die freien Königreiche erreicht.

Das Land wurde nun zunehmend trockener. Bäume verschwanden fast vollständig von den Straßenrändern und wurden ersetzt, durch hoch aufragende Gräser und Büsche, die die Landschaft in jede Richtung überzogen. Nur der Händlerpfad und einige kleinere Wege zogen sich als markante dunkle Linien durch die Landschaft. Die Luft war praktisch völlig still und kochte beinahe. In der Ferne schimmerte die Landschaft, als befände sie sich unter Wasser. Bald mussten sie regelmäßig anhalten um die Zugpferde rasten zu lassen.

„Gibt es hier draußen überhaupt irgendetwas?“ , fragte Celani, die auf das Dach einer der verbleibenden Wagen geklettert war, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die gewaltige Leere, hatte etwas Bedrückendes und Befreiendes zugleich.

„Ich glaube nicht.“, meinte Sandria.

„Die Savannen sind größtenteils verlassen. Selbst die Clans halten sich näher an der Küste.“

„Ihr klingt, als wärt ihr schon einmal hier gewesen?“

Die Sängerin nickte.

„Vor Jahren. Damals weigerten sich die freien Königreiche eine Weile, dem Kaiser Tribut zu entrichten. Als Reaktion darauf, hat Kaiser Tiberius verfügt, dass niemand mehr über die Grenze darf. Zu meinem Unglück bin ich genau an dem Tag über die Keel, an dem der Fluss besetzt wurde… das ich Bürger Cantons bin hat mir da auch nichts mehr viel genützt.“

„Wenn Ihr glaubt, es hat Euch jemals genutzt unter kaiserlichem Recht zu stehen, sollte sich das ja spätestens jetzt geändert haben.“, meinte Erik, der zu Fuß neben dem Wagen herging und sich mit einer Hand an Bord zog. Sie alle hatten aus dem Zusammentreffen mit den Gardisten kleinere oder größere Verletzungen davon getragen, nur der Arzt schien völlig unverletzt und munter wie eh und je. Allerdings, dachte Celani, half Erik da vielleicht einfach etwas nach.

„Sicher. Und in den freien Königreichen wird zumindest das kaum besser.“, bemerkte Sandria.

„Wie meint Ihr das?“

„Die Reiche sind kein homogener Bund.“, erklärte Erik,

„sondern ein Haufen Stadtstaaten, die sich untereinander genau so sehr bekriegen, wie Simon und der Kaiser. Wenn nicht mehr. Das ist einer der Gründe, warum Tiberius sie ignoriert. Sie sind schlicht zu zerstritten um jemals eine echte Bedrohung für ihn darstellen zu können. Das schöne ist aber auch, dass wir hier leicht unentdeckt bleiben können. Das eine Königreich, mag dem Kaiser vielleicht berichten, wo wir sind, und ein Zweites, wird dem direkt wiedersprechen, aus reinem Prinzip.“

„Klingt nach… sehr freundlichen Menschen.“

„Die Leute hier… sicher. Die Stadtkönige… eher weniger. Immerhin, sie müssen sich mit Canton im Norden und den Laos-Kultisten im Süden herumschlagen und sind praktisch dazwischen eingekeilt.“

„Laos…“ Sandria runzelte die Stirn.

„Ich hab gehört, das sind Barbaren. Sie weigern sich offenbar sogar, auch nur Schwarzpulver anzurühren. Und sie töten ihre Magier….“

„Das nennt man Religion, meine Liebe, nicht Barbarentum. Auch wenn beide manchmal recht nah beieinander liegen dürften. Offenbar hat irgendeiner ihrer Propheten einmal verfügt, dass nur Stahl als Waffe zulässig ist und nun, sie halten sich daran. Das Kaiserreich wird kurzen Prozess mit ihnen machen, sollten die freien Königreiche jemals gänzlich an Canton fallen.“

„Ich wäre mir da nicht zu sicher.“ , meinte Sandria.

„Fanatiker sind meist zu den erstaunlichsten Dingen in der Lage. Meistens leider… mit unschönem Ausgang.“

Celani stand von ihrem Platz auf.

„Weiß eigentlich jemand, wo Leif steckt?“

„Unterhält sich glaube ich mit Kornelius.“, erwiderte Erik.

„Nachdem ich ihn wieder etwas zusammengenäht hatte, wollte er unbedingt mit dem Alten reden. Irgendwo weiter vorne.“

Die Gejarn nickte und verabschiedete sich mit einer Geste von dem Arzt und Sandria. Es war erstaunlich, wie viele es doch noch geschafft hatten, über die Brücke zu entkommen. Und sie hatten es geschafft, sich selbstständig weiter zu versorgen. Erik hatte das in letzter Zeit als Anlass genutzt, sich etwas von seinem Posten zurückzuziehen und die Leute ihren eigenen Weg suchen zu lassen.

Manche hatten sie kurz nach überqueren der Grenze schon verlassen, weil sie andere Orte aufsuchen wollten oder einen eigenen Weg nehmen wollten. Ihr Ziel hingegen rückte jetzt endgültig in greifbare Nähe. Erindal….

„Sieht so aus, als wärt ihr bisher also ganz gut ohne mich zurecht gekommen.“, schloss Kornelius, nachdem Leif ihn von ihrer bisherigen Reise erzählt hatte.

„Und Du ?“ Der Schmied nahm einen Schluck aus einer Feldflasche.

„Was soll ich groß erzählen, ich habe eine Weile die… Gastfreundschaft des Kaisers genossen. Und dann die Roberts. Freundliches Kerlchen und leider etwas auf Dich fokussiert.“

Leif nickte.

„Ich weiß. Auch wenn ich nicht verstehe, was ich ihm getan habe. Was hätte ich denn tun sollen? Einfach weiter die Führung der Prätorianer übernehmen? Kornelius, ich hätte mich damals, in die erste Klinge gestürzt, die mir Gelegenheit dazu geboten hätte….“

„Das brauchst Du mir nicht erzählen Leif. Ich habe Dich erlebt. Ich war da als…“ der Alte unterbrach sich selbst.

„Als meine Familie verbrannte.“ , beendete der Schmied den Satz.

Kornelius nickte.

„Und bei Deiner.. Jagd.“

„Es ist schon gut. Ich glaube ich bin so weit, das ich endlich sagen kann: Es ist Vergangenheit.“

Und er meinte es ehrlich. So sehr ihn seine Erinnerungen verfolgen würden… er war in der Lage, sich nicht mehr davon bestimmen zu lassen. Befreiend….

„Und ich habe nach wie vor genug von meiner Vergangenheit, das mich verfolgt.“

„Robert gibt sicher nicht so schnell auf.“

„Ich hätte einfach zulassen sollen, das Ordt ihn erledigt. Aber… ich habe diesen Mann einmal gekannt, Kornelius. Habe… Götter, ich war es selbst, der sich bei den Prätorianern für ihn verbürgt hat.“

„Dein Verschwinden muss für ihn schlicht wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Das ausgerechnet sein Mentor zum Abtrünnigen wird…“

Der Alte erhob sich.

„Wie dem auch sei. Ich hatte noch keine Gelegenheit groß mit den anderen hier zu reden. Scheinen ja ein ganz brauchbares Grüppchen zu sein.“

Mit diesen Worten verschwand Kornelius vom Wagen und geriet im Strom der Flüchtlinge schnell außer Sicht. Leif grinste. Brauchbar. Das traf es wohl ganz gut. Wohin es die anderen wohl verschlagen würde, wenn sie erst einmal Erindal erreichten? Erik schien schon einmal nicht der Typ zu sein, der lange an einem Ort blieb. Sandria wohl auch nicht und Celani….

Die Gejarn würde gehen, wenn sie es für nötig hielt, da war er sich ziemlich sicher. Weiter die Küste entlang oder vielleicht auch zurück nach Canton, wenn man sie dort nicht mehr vermutete. Und er selber….

„In Gedanken ?“ Celani hatte zu dem Wagen aufgeschlossen und setzte sich auf die Kante der Ladefläche.

„Und ob.“ , erwiderte er. Es überraschte ihn wenig, die Gejarn hier zu sehen. So schnell, wie sie sich jetzt ihrem Ziel näherten, blieb ihnen nicht mehr viel Zeit, je nachdem wie schnell sich ihre Wege trennten. Ein seltsames Gefühl, das er nicht richtig einordnen konnte. Leere….

„Wirst du versuchen zurück nach Goldbrück zu gehen?“

„Ich habe darüber nachgedacht.“, antwortete Leif ehrlich. Und es gefiel ihm nicht.

„Aber ich bezweifle, dass es dort noch einen Platz für mich gibt. Nicht jetzt, wo das Kaiserreich sich offenbar an mich erinnert hat. Und selbst wenn ich nicht sicher wäre, dass Robert mich aufspüren würde… meine Anwesenheit, würde die Leute dort wohl in größere Gefahr bringen, als der gesamte Krieg. Ich werde wohl in Erindal bleiben. Arbeit finde ich sicher überall. Ich habe genug von Canton gesehen, für ein Leben zumindest. Vielleicht im nächsten wieder.“

„Ich dachte an so etwas glaubst du nicht?“

„Tue ich auch nach wie vor nicht.“, antwortete der Schmied.

„Und Du ?“

„Um ehrlich zu sein, wenn die Ahnen meines Volkes existieren, erfüllen sie ihre Aufgabe nicht besonders gut.“

Leif grinste.

„Was Du vorhast, hatte ich eigentlich gemeint. Du hast mal gesagt, Du müsstest vielleicht immer noch weiter.“ Leif hätte nie damit gerechnet, aber er hoffte, sie würde sich doch entscheiden zu bleiben. Eine Weile zumindest. Ohne Celani würde irgendetwas fehlen.

Die Gejarn sah weg.

„Es ist nirgendwo wirklich sicher fürchte ich. Nicht wenn ich jetzt auch noch den Kaiser im Nacken habe. Und ich habe meinen Schwur geleistet, den Stein niemanden in die Hände fallen zu lassen… also… mir bleibt keine Wahl.“

„Ich würde ja sagen, dass ich mitkomme aber… wenn jetzt Robert hinter mir her ist, wird das die Sache eher verschlimmern.“

„Das hatte ich befürchtet. Trotzdem… ich hätte wirklich nichts dagegen. Es wird seltsam sein… ohne Dich, meine ich.“

Sie sah einen Augenblick weg und auch der Schmied richtete den Blick nach vorne.

„Ich…“

jetzt du Idiot. Sag ihr einfach wie du dich fühlst, verfluchte er sich selber für sein Zögern. Das Problem war, das er es selber nicht wusste. Oder nicht in Worte fassen konnte, jetzt wo es drauf ankam.

„Ach was soll‘s, bevor ich mich zum Idioten mache, lass es mich so sagen. Der Gedanke, das ich Dich am Fluss verloren hatte, hat mir mehr Angst gemacht als… alles andere in meinem Leben. Und ich hatte schon verdammt viele Gründe Angst zu haben.“

Celani drehte sich wieder zu ihm um.

„Ich glaube Angst ist nicht das richtige Wort dafür.“

„Nein.“, gab er zu. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment. Einen Herzschlag, der zu lange zu dauern schien. Und dann berührten seine Lippen die ihren.

„Also in dem Fall… hatte ich auch Angst.“, murmelte Celani, sobald sie sich wieder voneinander lösten. Die Gejarn grinste einen Moment.

„Was jetzt ?“

Leif zuckte mit den Schultern.

„Ich schätzte, das müssen wir herausfinden.“ Eines jedoch war für mich klar. Was immer auch geschehen würde… ich bleibe an deiner Seite. Solange Du willst.“

„Dann stell Dich darauf ein, da eine ganze Weile zu bleiben.“ Sie lehnte sich vor und drückte ihm einen zweiten Kuss auf die Lippen.

 

 

 

Robert hielt den Blick streng gesenkt, als er den Thronsaal der fliegenden Stadt betrat. Seine Kleider waren abgerissen und mit Blut und Schmutz verkrustet. Der Prätorianer hatte einen wahren Gewaltmarsch hinter sich, um so schnell wie möglich seinen Bericht abzuliefern. Tiberius Ordeal saß mit düsterer Miene auf dem Bernsteinthron. Zu seiner Rechten, den immer präsenten Hofmagier Darian Karr. Täuschte sich Robert, oder blitzte so etwas wie Schadenfreude, auf dem Gesicht des Hexers auf?

„Ihr seid der beste Mann, den ich habe.“, begann der Herrscher unterdessen.

„Würdet Ihr mir verraten, wie es da möglich sein kann das ein Haufen Bauern, Euch austricksen konnte und schlimmer, eine mindestens doppelt so starke Kompanie Gardisten, fast vollständig in die Flucht schlagen konnte?“

Tiberius sprach leise, aber jedes Wort traf den Hauptmann der Prätorianer wie eine eiskalte Klinge. Nein… es gab keine Entschuldigung dafür. Nicht aus der Sicht des Kaiser. Er hatte den Stein schon in Händen gehabt. Sie hatten praktisch schon gewonnen….

„Die Flüchtlinge hatten einen Zauberer.“, sagte er lediglich.

„Bin ich eigentlich nur von unfähigen Tölpeln umgeben, das ihr einen Magier nicht vorher ausschaltet?“

Robert sah auf.

„Er war bewusstlos und verletzt. Wäre ich auch nur eine Sekunde davon ausgegangen, dass er eine Bedrohung darstellt, hätte ich….“

„Und genau das habt Ihr eben nicht.“, erklärte Darian.

„Schweigt.“ , fuhr ihn der Kaiser sofort an.

„So sehr mich Euer Versagen auch enttäuscht Robert, muss ich euch zugutehalten, dass Ihr es versucht habt. Darian hier hat bisher nichts getan, als dekorativ herum zu stehen. Vielleicht sollte ich mir überlegen, einen neuen Hofmagier zu suchen.“

Robert musste dem Kaiser unwillkürlich dafür Tribut zollen, das er den stillen Machtkampf zwischen dem Magier und ihm offenbar derart schnell erkannt… und mit einem Machtwort im Keim erstickt hatte. Allerdings, war das einer der Gründe, aus denen sich Tiberius Ordeal seit Jahrzehnten im Amt halten konnte. Trotz Unruhen und dem Krieg. Obwohl zeitweise cholerisch und längst über seine besten Jahre hinaus, war sein Verstand nach wie vor messerscharf.

„Simon Belfare ist mittlerweile weit nach Süden vorgestoßen.“, sprach der Kaiser weiter.

„Das heißt entweder, das er endgültig Wahnsinnig geworden ist und uns den Norden einfach Kampflos überlässt… oder das er genau wie wir weiß, wo die Träne jetzt ist. In den freien Königreichen.“

„Er wird vor uns da sein.“ , gab Robert zu bedenken.

„Natürlich wird er das. Und das heißt… uns bleibt gar keine andere Wahl“

„Herr ?“ Darian sah sichtlich nervös aus.

„Eine Wahl zu was ?“

„Simon Belfare steht zwischen unseren Streitkräften und den freien Königreichen. Wenn wir nicht handeln, wird er die Träne vor uns bekommen. Ich möchte, dass Ihr alle Streitkräfte zusammenzieht. Und wenn ich alle sage, meine ich jeden einzelnen Mann, der weiß an welchem Ende er ein Schwert zu halten hat.“

„Wir senden also eine Armee nach Süden.“, schlussfolgerte der Hofmagier.

„Fast richtig. Ich will außerdem, dass Ihr die fliegende Stadt auf den gleichen Kurs bringt. Dieser Krieg zieht sich schon lange hin… aber er wird in den freien Königreichen entschieden werden. Und wenn ich dieses Insekt von Zauberer endgültig zertrete, will ich es selbst sehen. Er soll noch Gelegenheit haben, seinen wahren Herren zu erkennen.“

Darian verbeugte sich lediglich.

„Ja… natürlich, sehr wohl.“

 

 

 

Kapitel 33

Die Mauern von Erindal

 

 

 

 

 

Erindal lag auf einer Halbinsel. Auf drei Seiten eingebettet vom Ozean und nur über eine schmale Landzunge zu erreichen, machte der Ort im Licht der Mittagssonne einen beeindruckenden Anblick. Honigfarbene Mauern umschlossen ein unübersichtliches Häusermeer. Sandstein und Holz bildeten die vorrangigen Baumaterialen und zwischen den Gebäuden hatten die Bewohner Tücher und Leinen gespannt, welche in den Straßen Schatten spenden sollten.

Festungswerke waren über die gesamte Länge der Landbrücke aufgebaut. Allerdings waren die Mauern alt und die Tore von Jahrhunderten in der Sonne ausgebleicht. Dunkle Banner wehten über den Türmen der Stadt. Ein roter Widder auf schwarzem Grund. Offenbar das Wappen des Herrschers von Erindal.

Schon aus der Ferne konnte Leif erkennen, dass etwas nicht stimmte. Sie waren ganz offenbar nicht alleine hier. Vor den geschlossenen Toren hatte sich ein gewaltiger Menschenauflauf gebildet. Rasch stieg der Schmied auf einen der Wagen um besser sehen zu können. Tatsächlich waren die Stadtportale verriegelt worden. Davor hatte sich eine kleine Kette aus Soldaten formiert. Die Männer trugen Panzerungen mit rot-schwarzen Wappenröcken und waren mit Säbeln und Hellebarden bewaffnet, mit denen sie die Leute ein Stück auf Abstand hielten. Leif zählte etwa zwei Dutzend Bewaffnete.

„Was ist los ?“ Erik schwang sich neben ihm auf den Karren um selber nachzusehen.

„Ich weiß es noch nicht, aber das riecht nach Ärger“, antwortete der Schmied, während sie sich den Toren näherten. Leif kletterte mit den anderen vom Wagen und kämpfte sich durch die wartenden Menschen ein Stück nach vorne. Erik blieb derweil ein Stück zurück und Celani nahm seinen Platz ein.

„Das gefällt mir gar nicht.“, meinte die Gejarn. Sie hielt sich zwischen der kleinen Gruppe bestehend aus Kornelius, Sandria und dem Schmied selbst. So viele Leute auch hier sein mochten, Celani war weit und breit die einzige Gejarn.

Einer der Soldaten unterschied sich etwas von den anderen, wie Leif auffiel, als sie die freie Fläche zwischen den wartenden Menschen und den Soldaten Erindals erreichten.

Der Mann trug die gleichen Plattenpanzer wie die anderen, jedoch fiel ihm ein Umhang mit dem Wappen der Stadt über die Schultern.

Der Mann zog ein Schwert und machte eine Geste Richtung Horizont.

„Geht gefälligst alle wieder nach Hause.“ Seine Stimme schallte trotz des Gemurmels der Leute über die gesamte Landbrücke vor den Toren.

„Wir haben schon zu viele Flüchtlinge aufgenommen.“

„Klar, weil wir das auch alle einfach so können.“, rief Kornelius, der sich ein Stück an Leif vorbei drängte. „Es ist ja nicht so, als hätten diese Leute schon alles zurückgelassen nur um bis hierher zu kommen.“

Der Wachhauptmann verschränkte lediglich die Arme.

„Es kommt niemand mehr in die Stadt. Punktum.“

„Das könnt Ihr nicht machen.“, begehrt jemand aus der Menge auf.

„Wir waren jetzt schon in drei Städten. Überall hat man uns abgewiesen. Wir können nicht mehr weiter, ihr Bastarde.“

„Ich führe hier Befehle aus. Und die lauten, das Ihr genau bis vor dieses Tor kommt und keinen Schritt weiter.“

Erik stieß wieder zu ihnen musterte den Mann vor den Toren einen Moment, dann winkte er sie alle beiseite.

„Was machen wir jetzt?“, wollte Sandria wissen.

„Keine Ahnung…“, gab der Arzt zu.„Weiterziehen schätze ich.“

„Ihr habt den Kerl eben doch gehört.“, warf Kornelius ein. „Es ist überall dasselbe.“

„Verflucht…“ Leif seufzte. Natürlich hätte es nicht zur Abwechslung einmal einfach sein können. Celani lege ihm eine Hand auf die Schulter.

  1. müssten ihnen schon einen verdammt guten Grund liefern, eine Ausnahme zu machen.“, meinte die Gejarn nachdenklich.

„Von uns ist zufällig keiner mit dem Königshaus verwandt, oder?“, fragte Erik scherzhaft.

„Das nicht.“ , erwiderte Celani. ,,Aber….“

Leif unterbrach sie.

„Sag bloß, Du hast schon eine Idee?“

„Auch wenn sie ziemlich verrückt ist.“

Erik lachte. „Kann nicht irrer sein als sich aus einer Zelle einfach auszubuddeln.“

„Es gibt hier in der Gegend sicher einige Clans.“, begann die Gejarn.

Kornelius zog die Augenbrauen hoch.

„Wenn Ihr vorhabt was ich denke….“

„Wir kommen nicht durch diese Tore. Außer wir hätten jemanden, der es kann.“, murmelte Sandria.

„Genau das.“ , bestätigte Celani,„einen Fürsprecher. Hier draußen kann uns niemand helfen und in die Stadt kommen wir natürlich erst gar nicht rein. Aber mit einem Clanfürsten oder Ältesten… sie würden so jemanden nicht abweisen, zumindest nicht, wenn die Clans weiter neutral bleiben und ihnen nicht das Leben schwer machen sollen.“

„Das ist tatsächlich… ziemlich verrückt. Und es setzt voraus, das uns ein Gejarn-Clan überhaupt helfen wollen würde….“

„ Ich weiß.“, antwortete Celani.

„Du hast es selbst gesagt. Nur weil Du auch eine Gejarn bist, heißt das nicht, dass ihr euch versteht. Aber… ich gebe zu, die Idee an sich ist nicht schlecht. Nur wie bekommen wir sie dazu, uns zu helfen?“

„Damit.“ Celani löste das notdürftig reparierte Armband von ihrer Hand.

„Das Ale’nyo, sie werden gar keine Wahl haben.“

Kornelius schüttelte den Kopf.

„Wie genau soll das funktionieren? Wollt Ihr den Reif eintauschen? Für Gejarn ist Magie doch eigentlich recht wertlos….“

„Ich habe Euch wohl nie wirklich erzählt, wozu mein Clan dieses Band überhaupt hatte.“

„Nein, aber das holst Du jetzt wohl nach.“, stellte Leif fest.

„Unsere Ältesten würden einen Träger bestimmen, der dann die Führerschaft über unseren Clan innehaben würde. Das Armband ist ein Symbol der Herrschaft gewesen. Das ist einer der Gründe, die am Ende den Ausschlag gaben, es Simon vorzuenthalten. Er hat praktisch gefordert, ihm nicht nur einen kleinen Schatz, sondern auch noch formal, die Herrschaft über unseren Clan abzutreten. Ich trage also das Symbol des Anführers meines Clans.“

Leif nickte.

„Aber das bist Du nicht.“

„Das wissen die übrigen Gejarn aber nicht.“

Sandria schien nicht zu begeistert.

„Also lügen wir den Gejarn einfach etwas vor?“

„Es gefällt mir ja auch nicht.“, gab Celani zu. „Aber was sollen wir sonst tun, außer unser Glück wo anders zu versuchen?“

„Ich finde, es ist den Versuch auf jeden Fall Wert.“, bemerkte Erik. „Es wäre nur vermutlich sehr ungesund, wenn das auffliegt. Ich habe mich vorhin mit ein paar der Leute hier unterhalten. Offenbar gibt es einen Löwenclan im Osten, nicht weit von der Stadt. Sollen wir gleich aufbrechen? Vielleicht schaffen wir es hin und zurück in einem Tag.“

„Nur ich und Leif gehen.“, antwortete Celani.

„Der Rest von euch bleibt vielleicht besser hier. Wenn ich mit einer ganzen Gruppe Menschen auftauchte wird das Misstrauen erregen.“

Erik wiedersprach nicht.

„Gut, dann werden wir hier warten, vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit in die Stadt zu gelangen, dann schicken wir euch jemanden hinterher.“

„Osten also.“, stellte Leif fest.

„Ist mal was anderes. Ihr wisst aber nicht genau, wie weit es ist?“

„Nein, da wusste ich ja auch nicht, dass das wichtig werden könnte.“

„Ich packe sicherheitshalber ein paar Vorräte ein.“

„Nehmt was immer ihr braucht.“

 

 

 

 

Weniger als eine Stunde später, waren sie bereits unterwegs. Erindal blieb rasch hinter ihnen zurück, während Leif und Celani einem ausgetretenen Pfad durch die Steppe folgten. Die Händlerstraße hatte vor den Mauern der Stadt geendet. Es war schon beinahe unvertraut, etwas anderes als graue Pflastersteine unter den Füßen zu haben. Der Schmied nutze die Gelegenheit, den linken Arm etwas zu belasten und hängte sich den Rucksack über die Schulter. Schmerzen hatte er kaum noch. Erik hatte zwar gemeint, dass er sich völlig erholen würde, aber auch, das er vorsichtig sein musste.

„Wie geht’s Deiner Schulter?“

„Scheinbar verheilt alles gut. In ein paar Wochen sollte ich überhaupt nichts mehr davon merken. Wie finden wir den Clan eigentlich hier draußen?“

„Wir werden suchen müssen.“

„Suchen…. die Gegend hier ist ziemlich weitläufig.“, gab Leif zu bedenken.

„Ich weiß. Das kann eine Weile dauern.“ Seltsamerweise klang Celani darüber froh.

Der Schmied grinste.

„Gib‘s schon zu, Du hast das alles nur eingefädelt um alleine zu sein.“

„Vielleicht.“ Celani lächelte zurück.

„Die ganze Zeit zu viele Leute um uns herum….“ Sie schmiegte sich einen Augenblick an ihn und der Schmied legte die Arme um ihre Gestalt.

Celani hatte Recht. Sie hatten wirklich wenig Zeit gehabt seit er… was eigentlich? Leif wollte dem, was zwischen ihnen war noch keinen Namen geben. Dazu war es zu neu… zu unsicher. Aber er war bereit das zu riskieren. Und sie hatten beide einiges hinter sich, nicht?

„Ich glaube, wir sollten wirklich weiter, oder?“

Die Gejarn nickte, bevor sie sich wieder von ihm löste.

„Keine Sorge, wir werden nicht einfach hoffen, ihnen über den Weg zu laufen. Clans verraten sich, wenn sie in der Nähe sind. Auch wenn das einem Menschen nicht immer direkt auffällt. Weißt Du noch was ich Dir von der Clansprache beigebracht habe?“

Leif kratzte sich am Kopf.

„Ein wenig… ich denke ich werde euch schon verstehen, aber erwarte bitte nicht mehr von mir, als mich kurz vorzustellen.“

„Um ehrlich zu sein wollte ich Dich sowieso bitten, mir das Reden zu überlassen. Und was auch passiert, zieh auf keinen Fall das Schwert. Wir stehen unter Gastrecht, wenn wir eintreffen, aber wenn sie glauben, dass Du sie bedrohst… sterben wir.“

„Solange ich keinen Grund dazu habe….“

Celani schüttelte den Kopf.

„Manche werden vielleicht versuchen, Dir einen zu liefern. Aber selbst dann darfst Du auf keine Fall darauf eingehen. Ich weiß nichts über diesen Clan, aber es gibt bestimmte Dinge, die überall gleich sind.“

„Und wird dieses Gastrecht uns auch schützen, wenn sie erfahren, dass Du über das Armband lügst?“

Celani blieb stehen, antwortete aber nicht sofort. Leif wurde einen Moment nervös. Er glaubte die Antwort schon zu kennen.

„Nein.“

„Habe ich mir schon gedacht.“

Sie folgten weiter dem Pfad, bis die Sonne schon fast den Horizont berührte. Eigentlich hatte Leif gehofft, es würde kühler werden, sobald es Abend wurde, aber noch war davon nichts zu merken. Im Gegenteil, er hatte nach wie vor das Gefühl, vor einer glühenden Esse zu stehen. Langsam fragte er sich ernsthaft, wie man es geschafft hatte, in diesem Klima eine Stadt wie Erindal aus dem Boden zu stampfen. Irgendwann gewöhnte man sich wohl an die Hitze, dachte er. Aber das würde bei ihm sicher eine Weile dauern. Irgendwann bog Celani ohne erkennbaren Grund vom Weg ab und suchte sich stattdessen einen scheinbar wahllosen Pfad durch die hohen Gräser und kleinen Baumbestände.

Sie hatte ja behauptet, die Clans würden sich irgendwie verraten, aber er konnte beim besten Willen nichts entdecken. Erst, nachdem sie schon eine halbe Stunde durch die Savanne gezogen waren, begann der Schmied ebenfalls, kleinere Hinweise zu entdecken. So wahllos war der Weg dem Celani folgte gar nicht…. Die Gejarn bewegte sich fast, ohne auch nur einen einzigen Grashalm umzuknicken. Aber eben nur fast. Er musste danach suchen, aber hier und da fand er abgerissene Halme. Keine Spuren von Tieren oder ähnlichen, einfach abgeknickte Gräser.

Götter, er wäre nie auf die Idee gekommen, das mit einem Gejarn in Verbindung zu bringen.

„Ich weiß ja, dass eure Clans keine Besucher mögen, aber das ihr euch derart versteckt….“

„Wieso verstecken? Das ist ein markierter Weg, Leif. Wenn man einmal weiß, worauf man achten muss, findet man den im Schlaf.“

Der Schmied nickte. Sicher. Aber darauf musste man erst einmal kommen. Er wusste nicht, wie lange sie unterwegs waren, aber irgendwann wichen die brusthohen Gräser zurück und gaben den Blick auf die Küste frei. Das blaue Wasser schlug gegen die Steilküsten und erfüllte die Luft mit dem fernen Geruch nach Algen und Salz.

Leif meinte in der Ferne noch die Silhouette Erindals ausmachen zu können, sicher konnte er sich jedoch nicht sein. Weiter im Osten hingegen war sogar definitiv etwas. Eine Ansammlung Häuser, über denen Rauch stand. Ein mit Reisigmatten verkleideter Zaun umgab die komplette Siedlung, wie der Schmied beim näherkommen feststellte. Dazwischen waren kleinere Parzellen angelegt worden, in denen offenbar verschiedene Nutzpflanzen wuchsen. Einige Hühner und Ziegen liefen aufgescheucht von den zwei Fremden davon, als diese sich dem Zaun näherten und sich das Lager besahen. Leif zählte etwa drei Dutzend Hütten, die größtenteils aus Holz gefertigt waren und einige Zelte. Nichts Überraschendes. Aber eine Reihe von massiven Steinbauten, fast ganz am anderen Ende der Umzäunung, machten den Schmied doch stutzig. Die Nomadendörfer der Gejarn waren eigentlich darauf ausgelegt, das man so gut wie alles mitnehmen und woanders wieder aufbauen konnte. Das Konzept eines feststehenden Gebäudes ergab für sie schlicht keinen Sinn.

Es sei denn, das war ein Lagerplatz den dieser Clan regelmäßiger aufsuchte….

Der ferne Klang eines Windspiels, bestätigte ihm seine Vermutung schließlich. Die Geisterbäume im Herzland waren meist tote Eichen, die gab es hier freilich nicht, trotzdem machte der Baum den gleichen Eindruck, wie seine Brüder über die der Schmied bisher gestolpert war.

Weißes, ausgebleichtes Holz. Glastalismane und Glocken, die in den Zweigen hin und her schwangen, bewegt von einem Luftzug, den er nicht spüren konnte.

Nein, nicht nur der Kaiser und Simon Belfare, sondern offenbar auch die Geister der Gejarn sind hinter mir her, dachte er uns musste schmunzeln.

 

 

 

 

 

Kapitel 34

Mhari

 

 

 

 

 

 

Mehrere Gejarn arbeiteten in den kleinen Gärten zwischen dem Zaun und der Siedlung. Vermutlich hauptsächlich Futter für die Tiere, überlegte Leif. Nach allem was er wusste, zogen die meisten Gejarn, Fleisch allem anderen vor, sofern sie die Wahl hatten. Aus der Ferne machte die Siedlung einen aufgeräumten Eindruck.

Sobald die ersten Dorfbewohner sie bemerkten, drehten sich praktisch alle Köpfe in ihre Richtung.

Offenbar sollte Erik Recht behalten.

Löwen. Leif hätte sich angenehmere Zeitgenossen vorstellen können. Selbst der kleinste von ihnen überragte ihn noch ein Stück. Und auch wenn sie für den Augenblick einfach nur neugierig auf die zwei Fremden schienen… das Gefühl aus einem Dutzend bernsteinfarbener Augen gemustert zu werden, gefiel ihm überhaupt nicht. Ruhig bleiben. Sie waren hier, weil sie Hilfe brauchten. Und sie würden nicht ohne gehen.

Celani redete eine Weile auf die Leute ein, die schweigend zuhörten. Manche sahen auch nervös zu ihm herüber. Welchen Eindruck die Gejarn auch immer auf ihn gemacht hatten… sie hatten wohl genau so viel Respekt vor einem bewaffneten Menschen, wie er davor, mit einer Löwenpranke in Kontakt zu kommen.

Leif verstand das Gespräch nur in Bruchstücken, auch wenn er ein paar Mal seinen Namen heraushören konnte. Offenbar ging es in erster Linie darum, ein paar Formalitäten auszutauschen. Die versammelten Gejarn quittierten die letzten Worte Celanis mit einem kurzen Nicken.

Erst dann fuhr sie fort und erläuterte endlich, warum sie hier waren.

„Ihr habt sicher schon gemerkt, das Erindal für Reisende gesperrt wurde. Aber ich und mein Begleiter hier müssen in diese Stadt. Deshalb hoffe ich, das sich einer eurer Anführer für uns verbürgen könnte.“

Ein Gejarn mit grau-gelbem Pelz nickte.

„In letzter Zeit ziehen viele Fremde durch unser Land. Und viele von ihnen wollen nach Erindal.“ Er lächelte freundlich und wendete sich dabei an Leif.

„Aber ihr seid die ersten, die uns um Hilfe bitten.“ Den letzten Satz sprach er in klar verständlicher Amtssprache. Auch wenn er die Worte völlig falsch betonte. Leif nickte lediglich und kramte seinerseits das wenige zusammen, was er von der Clansprache beherrschte.

„Vielleicht weil wir die Verzweifelten sind.“

Der Löwe nickte ebenfalls.

„Vielleicht.“ Er hob den Arm und deutete über das Dorf und den Geisterbaum hinweg zu einer der Steinbauten.

„Soll Mhari entscheiden, ob man euch trauen kann.“

„Mhari…“ Der Name hatte einen seltsamen Beiklang, dachte Leif. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, dass er viel zu weit von den Herzlanden entfernt war, der Name hätte ihm den letzten Hinweis gegeben.

„Ist das euer Anführer?“ , wollte Celani wissen.

„Wie gesagt, es liegt nicht an uns irgendetwas zu entscheiden. Nicht bevor ihr nicht Mharis Einverständnis habt.“

Offenbar würde sich der Mann nicht weiter dazu äußern. Und es hatte wohl auch keinen Sinn, länger auf ihn einzureden. Aber wenn diesen Leuten die Entscheidung einer einzigen Person so wichtig war… dann mussten sie jetzt besonders vorsichtig vorgehen.

Celani bedankte sich mit ein paar Abschiedsworten, bevor sich die Zwei auf den Weg durch die Siedlung machten. Der gedrungene Bau, der ihr Ziel darstellte, war anders, als alles, was Leif bisher untergekommen war. Zumindest auf der dem Dorf zugewendeten Seite gab es keine Fenster. Die Steine waren sauber mit Mörtel gefügt, trotzdem waren die Wände nicht ganz gerade. Wer immer das gebaut hatte, hatte schlicht keine Erfahrung im Maurerhandwerk. Dafür aber definitiv mit Schnitzereien, dachte der Schmied. Eine einzige Treppe führte zur Tür des Hauses hinauf. In das Holz der Pforte waren kunstvolle, fast lebendig anmutende Jagdszenen geschnitzt. Vögel und Tiere, die so wirkten, als würden sie jeden Moment lebendig werden und dem Kunstwerke entfliehen wollen.

Leif überlegte kurz, ob er anklopfen sollte, doch als Celani mit der Hand gegen die Tür stieß, schwang diese einfach nach innen auf. Es gab kein Schloss. Natürlich nicht… in einer derart kleinen Gemeinschaft hatte ein Dieb ohnehin keine Chance. Außer er käme von außerhalb. Langsam verstand er, wieso die Clans Fremde zwar duldeten, aber gerne genau im Auge behielten. Drinnen war es so finster, dass der Schmied kaum etwas erkennen konnte. Offenbar bestand das Haus nur aus einem einzigen Raum. Das einzige Licht stammte von einem kleinen Fenster, das in die Rückwand eingelassen worden war und einer flackernden Öllampe, die in der Mitte des Raums brannte.

„Hallo ?“

Eigentlich hätte ihn das Halbdunkel nervös machen sollen, dachte Leif. Besonders mit einem Haufen Gejarn in der Nähe, die sich in der Finsternis viel besser zurechtfanden….

Allerdings hatte dieser Ort nichts Bedrohliches. Oder seine inneren Alarmglocken versagten schlicht. Eigentlich ein Grund, erst recht vorsichtig zu sein. Egal wie freundlich die Leute draußen auch gewesen waren, wenn Mhari sie abwies, konnte sich das sicher schnell ändern.

„Wollt Ihr noch lange da herumstehen, Mensch? Und Ihr ?“ Die Stimme, die aus der Dunkelheit drang, klang so, als würde sie sich über das Zögern ihrer zwei Gäste amüsieren. „Ich beiße nicht. Oder… selten.“

Vor der Flamme der Laterne saß eine einzelne Gejarn, die Leif zuvor gar nicht aufgefallen war. Die silbergraue Silhouette der Löwin stand in einer fließenden Bewegung auf. Dabei klirrte eine Vielzahl kleiner Metall und Glasringe, die sie in mehreren Ketten um den Hals trug. Die Talismane fingen das spärliche Licht ein und verrieten sie in der Dunkelheit, wenn sie aufblitzten. Die Gejarn trat an eine Nische in der Wand und entzündete dort eine weitere, hellere Lampe, die den Raum endgültig aus dem Zwielicht riss. Eine simple , braungefärbte Wollrobe viel über ihre Gestalt. Leif stellte fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Das Fell der Löwin war tatsächlich vollständig ergraut.

„Ihr seid Mhari, richtig?“ , wollte Celani wissen.

Die Gejarn schmunzelte.

„Ist das so schwer zu erraten? Ja doch, ich schätze, das ist mein Name. Und Ihr… Leif/ und Celani.“

Der Schmied blinzelte verwirrt.

„Woher….“

„Beruhigt Euch, Schmied.“ Mhari lachte. Götter, diese Frau hatte entweder den merkwürdigsten Humor, den er je erlebt hatte oder spielte mit ihnen. Wie eine Katze mit einer Maus. Oder in diesem Fall eher einer verletzten Gazelle. „Ich habe lediglich sehr gute Ohren. Und eine sehr gute Nase. Euch begleitet der Geruch von brennendem Metall, Schwefel und von Blut. Fast wie ein Drache.“

Leif lies die Hand über den Schwertgriff wandern. Was hatte Celani gesagt? Sie würden vielleicht versuchen, das Gastrecht überzustrapazieren….

„Dann wisst ihr auch schon, weshalb wir hier sind.“, erklärte Celani.

„Um mich davon zu überzeugen, dass es irgendwie von Vorteil wäre, Euch dabei zu helfen, nach Erindal zu gelangen.“

„Könntet Ihr das denn überhaupt? Bevor wir hier unsere Zeit verschwenden meine ich.“

Mhari sah ihn einen Moment nur entgeistert an. Dann jedoch klärte sich der Blick der Löwin wieder.

„Nur wenige würden es wagen so mit mir zu sprechen. Aber ich denke, aus Eurer Sicht habe ich das verdient nicht?“

Leif seufzte. „Können wir diese Spielchen einfach lassen?“

Die Gejarn nickte

„Sicher. Es wäre mir möglich, Euch nach Erindal zu bringen. Der Herr der Stadt… sagen wir einfach, er schuldet mir noch etwas. Nun erzählt mir aber, warum ich Euch helfen sollte. Ihr habt einen weiten Weg hinter Euch, da bin ich mir sicher, aber auch wir müssen sehen, wo wir in diesen Zeiten bleiben. Wir alle.“

Statt einer Antwort löste Celani lediglich das Armband von ihrem Handgelenk und reichte es Mhari.

Die Gejarn nahm den Silberreif beinahe unwillig entgegen und besah sich den darin eingelassenen Stein einen Moment ehrfurchtsvoll.

„Ihr bringt mir das hier… Aber die Frage ist, wie kommt es in Euren Besitz? Es gibt zwei Wege, dieses Armband zu erhalten. Mord oder Verantwortung.“ Die Gejarn gab die Träne Falamirs nicht zurück, sondern legte das Artefakt neben der Lampe in der Wandnische ab.

„Und seid ehrlich.“, fügte Mhari düster hinzu.

Leif wusste nicht wieso, aber er fing an zu zittern. Nein es wäre garantiert keine gute Idee, diese Frau zu belügen. Aber hatten sie eine Wahl? Verflucht, wie gerne er sich jetzt mit Celani absprechen würde….

Diese antwortete bereits, bevor Leif noch etwas sagen konnte.

„Es wurde mir gegeben.“

„Ich schätze das stimmt, aber warum?“

„Als Symbol der Herrschaft von unseren Ältesten.“

Mhari schüttelte den Kopf.

„Und das ist eine Lüge. Der Luchsclan im Norden wurde zerstreut. Seltsam das ich das weiß, aber Ihr nicht….“

Stille, tödlich lange Stille, war alles was folgte. Celani stand wie erstarrt da und auch Leif war einen Moment unfähig, irgendetwas zu tun. Verdammt. Das war‘s also mit der Hilfe, stellte er fest. Wenn sie hier auch nur lebend wieder heraus kamen.

„Wir….“

„Ich wünsche, dass Ihr geht. Jetzt. Ihr habt mir nicht nur nichts anzubieten, sondern Ihr glaubt wirklich, mich anlügen zu können? Bis grade eben dachte ich, man könnte Euch trauen.“ Mhari klang weder wütend noch enttäuscht, ihre Stimme war schlicht kalt und bedrohlich emotionslos.

„Verschwindet hier, bevor ich meine Meinung ändere.“ Die Löwin nahm das Armband wieder an sich und deutete Richtung Tür.

„Aber…“, setzte Leif an.

„Hinaus.“ Sie hielt das Armband weiter in ihrer Hand. „Ihr erhaltet das hier wieder, wenn ihr meinen Clan verlasst. Friedlich.“

Celan nickte lediglich. Der Schmied hingegen überlegte fieberhaft. Was machten sie jetzt? Die Löwin folgte ihnen derweil zur Tür hinaus, als sie sich auf dem Weg aus dem Dorf machten. Einige Gejarn hatten sich vor dem Haus versammelt und sahen ihnen neugierig nach. Sicher kam es nicht alle Tage vor, das zwei Fremde hier ankamen… nur um praktisch sofort wieder der Siedlung verwiesen zu werden.

Als sie den Geisterbaum passierten, wurde Leif jedoch langsamer. Es gab nichts, das er tun konnte. Nicht mehr. Aber etwas, das er tun wollte.

Er blieb unter den Zweigen stehen und legte Celani eine Hand auf den Arm. Sie hielt ebenfalls an.

„Verzeiht.“, begann er. „Ich weiß das bedeutet nichts, aber… keiner von uns hatte die Absicht Euch hinters Licht….“

„Das wäre die zweite Lüge.“, erklärte Mhari lediglich.

„Dann erlaubt, dass ich mich verbessere. Keiner von uns hatte die Absicht Euch zu schaden. Aber ich werde es akzeptieren, wenn Ihr uns wegschickt. Ich kann es vielleicht verstehen. Jedoch, möchte ich um etwas bitten.“

„Ich höre.“

Leif deutete auf einen der Glasanhänger, die die Löwin trug.

„Es mag seltsam klingen, aber Ihr habt nicht zufällig noch einen Talisman übrig?“

Die Frage schien die Gejarn zum ersten Mal aus dem Konzept zu bringen. Sie zögerte mit einer Antwort.

„Wieso… Was glaubt Ihr damit zu bezwecken Mensch?“

„Garnichts. Ich bitte lediglich darum. Es könnte sein, das ich Euren Ahnen noch etwas schulde.“

Mhari schien nach wie vor nicht überzeugt, streifte jedoch tatsächlich eine ihrer Ketten ab und reichte sie dem Schmied.

„Ihr seid… seltsam für einen Menschen.“

„Das höre ich grade zum zweiten Mal.“ Leif drehte sich um und trat mit dem Glasanhänger an den Baum. Celani und die Löwin blieben derweil ein Stück zurück.

Er suchte sich einen Zweig, der vergleichsweise frei von Verzierungen war, dann wickelte er die Kette darum und verknotete das Seil. Der zusätzliche Anhänger viel im Gewirr der Windspiele kaum auf.

Leif trat einen Schritt zurück.

„Wenn Ihr uns nun verzeiht. Wir wollten grade gehen.“

Mhari jedoch schüttelte den Kopf.

„Wartet einen Augenblick. Bitte. Nur für einen Moment. Celani… ich glaube wir müssen noch einmal miteinander reden.“

Die Gejarn sah zu Leif, der Anstalten machte, ihnen zu folgen. Die Löwin hielt ihn jedoch mit einer Hand zurück.

„Ihr bleibt hier Mensch.“

 

 

 

 

Celani wusste nicht, was Mhari dazu gebracht hatte, ihre Meinung scheinbar noch einmal zu überdenken. Und gleichzeitig war es ihr doch klar. Wann hatte man je von einem Menschen gehört, der den Geistern etwas hinterließ? Unwissentlich hatte der Schmied eine kleine Weltordnung auf den Kopf gestellt. Die Frage war nur, ob die Löwin das auch als etwas Positives auffasste und nicht als Entweihung. Wenn das der Fall wäre… war der einzige Grund, aus dem sie grade zurückgerufen wurde der, das Leif die nächsten Minuten nicht überleben würde.

Sie zögerte vor dem Eingang zum Haus.

„Ich…“

„Keine Sorge. Ich habe gesagt, Ihr werdet diesen Ort wieder verlassen. Ich habe nicht vor, daran etwas zu ändern.“

Zu ermutigend war das jedoch nicht. Das Dorf verlassen hieß nicht, es auch lebend zu verlassen.

„Ich bin für die Gejarn hier, ihre geistige Führerin.“, begann Mhari, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Was Euer Begleiter da eben getan hat… sagt mir warum.“

„Ich weiß es nicht. Wirklich. Oder… er… wir sind auf unserem Weg hierher schon auf mehrere Geisterbäume getroffen. Ich bin Leif das erste Mal vor einem begegnet.“

„Ihr kennt Euch schon eine Weile?“

„Das… könnte man so sagen.“ Celani hoffte, Mhari würde bald das Thema wechseln. Es hatte offenbar keinen Sinn, die Löwin anzulügen, aber sie würde ihr sicher nichts erzählen, das sie nichts anging.

„Und jetzt sagt mir die Wahrheit. Warum habt Ihr das Ale’nyo bei Euch?“ Sie reichte ihr das Armband zurück.

Celani erzählte schließlich alles, so gut sie konnte. Angefangen mit Simon Belfares Forderung, über ihre Flucht, ihr Zusammentreffen mit Leif, ihre weitere Reise, bis schließlich zu ihrer Ankunft vor den verschlossenen Toren Varas.

„Ich verstehe. Ihr habt einen langen Weg hinter Euch. Und keinen einfachen. Das gibt Euch jedoch nicht das Recht, mich zu belügen.“

„Ich dachte wir hätten keine Wahl.“

„Es gab viele, Menschen und Gejarn in jedem Abschnitt der Geschichte, die genau mit diesen Worten ihre Taten rechtfertigten. Glaubt Ihr, wenn ich Simon Belfare fragen würde, wieso er einen Krieg losgetreten hat, der Tausende das Leben kostet, er würde mit etwas anderem antworten als: Ich habe keine Wahl?“

„Und habe ich den eine, außer dieses verfluchte Band ins Meer zu werfen und zu hoffen, dass es nicht irgendwann, irgendwie wieder ans Ufer gespült wird?“, erwiderte Celani heftig. Sie hatte genug. Und zwar endgültig. So kurz vor dem Ziel schon wieder auf ein Hindernis, schon wieder auf Schwierigkeiten zu treffen... und alles was dieser Frau einfiel, war sie dafür zu kritisieren. „Entweder Ihr helft uns oder hört auf uns aufzuhalten. Dann müssen wir eine andere Lösung finden, aber momentan verschwendet ihr einfach nur unsere Zeit.“

Eine Weile war es still. Die Löwin grinste.

„Sehr gut. Ich werde Euch helfen. Verzeiht, aber ich schweife manchmal ab. Ich biete euch an, heute Nacht hier zu bleiben. Morgen… brechen wir dann nach Erindal auf.“

 

 

 

 

Kapitel 35

Erindal

 

 

 

 

 

 

Erindal wirkte beinahe zu ruhig, als sie sich näherten.. Die Minarette und Türme der Stadt zeichneten sich als dunkle Schatten vor der Sonne ab, die grade dem Meer entstieg. Das Licht vertrieb rasch die Kühle der Nacht und brachte die Luft in der Ferne zum flirren.

Leif, Celani und Mhari waren früh aufgebrochen, um es so schnell wie möglich zu den anderen zurück zu schaffen. Aber das Bild, das sich ihnen vor der Stadt bot, war bestenfalls beunruhigend. Gestern waren hier noch Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen gewesen. Heute jedoch war die Landbrücke vor der Stadt praktisch verlassen. Einige zurückgelassene Gegenstände, leere Feldflaschen oder gebrochenen Räder lagen im Staub vor den Toren verteilt. Ansonsten jedoch, war alles wie ausgestorben. Lediglich ein einzelner Wagen stand mitten auf dem Weg, darauf Erik, Kornelius und Sandria, die ihnen unruhig entgegensahen.

Leif beschleunigte seine Schritte.

„Was ist hier los ? Wo sind alle?“ , wollte er wissen, sobald er in Rufweite war. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Magen und das lag nicht nur an dem ungewohnten Frühstück. Wie er schon vorher gedacht hatte, betrieben die Gejarn Ackerbau hauptsächlich für Tierfutter.

„Gerüchte.“ , erwiderte Kornelius. Der Alte trat von der Sitzfläche des Karrens.

„Sie sind alle weg.“

Celani sah sich auf der verlassenen Ebene vor der Stadt um.

„Das sehe ich, aber wieso?“

Erik stieg nun ebenfalls vom Wagen. Der Mann hatte eine düstere Miene aufgesetzt und schien zum ersten Mal wirklich so etwas wie besorgt. Etwas, das Leif bei dem Arzt noch nicht erlebt hatte.

„Simon Belfare ist auf dem Weg in die freien Königreiche.“, erklärte Erik. „Und ich schätze, wir wissen alle, wieso. Die Flüchtlinge hat nach dieser Nachricht allerdings nichts mehr hier gehalten….“

Celanis Augen wurden weit.

„Was ? Das… das kann schlicht nicht sein. Wenn das stimmt…“ sie wandte sich an den Schmied. „Leif, dann war alles umsonst.“

„ Ganz Ruhig , ja ? Das ist noch nicht das Ende der Welt. Lasst uns erst einmal sehen, wie weit wir in Erindal kommen.“

Die Gejarn nickte.

„Sicher. Ich dachte nur… ich habe wirklich gedacht, wir wären hier zumindest eine Weile sicher.“

„Ich auch.“, gestand der Schmied betrübt. „Aber mit zwei Weltreichen im Nacken wird das wohl nichts.“

„Ihr wollt uns nicht zufällig erst einmal vorstellen?“, fragte Sandria und nickte in Richtung Mhari. Die Löwin hatte sich bisher im Hintergrund gehalten und vor allem Erindal beobachtet. Von den Wachen vom Vortag war nur noch ein Bruchteil geblieben. Zwei Hellebardenträger in Wappenröcken, die mit dem roten Widderkopf verziert waren.

Erik schien ihre Begleitung jetzt zum ersten Mal zu bemerken. Hatte Leif eben gedacht, seine Miene könnte nicht mehr viel düsterer werden, so konnte er sich jetzt vom Gegenteil überzeugen.

Und auch Mhari schien den Arzt plötzlich misstrauisch zu beäugen.

„Was macht Du denn hier?“

„Ihr kennt euch?“, wollte Sandria wissen.

„Könnte man so sagen.“, gab Erik zurück. „Was macht Ihr hier Mhari ?“

„Du meinst nachdem Du, ausversehen, mein halbes Dorf abgefackelt hast?“

„Ich hab gesagt, dass mir das leid tut. Und außerdem: Das war ein Unfall, Es ist nicht wirklich so, das ich Zeit hatte, groß darüber nachzudenken.“

„Du warst ja ohnehin nie der schnellste.“, erwiderte die Löwin.

Der Arzt seufzte. „Könnten wir das vielleicht später klären?“

Plötzlich grinste Mhari. „ Aber es ist schön zu wissen, dass Du noch lebst und weiter Chaos anrichtest.“

„Auch wenn Du nicht die einzige bist, die mich dafür verurteilt.“, meinte Erik, versuchte sich aber ebenfalls an einem kurzen Lächeln.

„Mit Recht. Es gibt Regeln und die gibt es aus einem Grund. Entweder, du hältst dich daran, oder du bewegst dich auf einem sehr unsicheren Pfad.“

Leif sah nur einen Moment verwirrt zwischen den beiden hin und her.

„Regeln ?“

Erik winkte ab.

„Nicht wichtig. Kleinkram. Alles was gesagt werden musste, ist gesagt. Also… wenn ich das richtig kombiniere, bist Du sicher nicht nur hier um mir Vorträge zu halten.“

„Nein. Ihr wollt nach Erindal und nachdem eure beiden Schützlinge mich um Hilfe gebeten haben, werde ich diese Bitte nicht ausschlagen.“

„Wunderbar.“ Kornelius klatschte in die Hände. „Worauf warten wir dann noch?“

Als sie sich den Toren näherten, stellten sich ihnen die Wächter sofort wieder in den Weg.

„Verzeiht, aber auch wenn ihr die letzten seid, die hier Zuflucht suchen, ich kann euch keinen Zutritt nach Erindal gewähren.“

Mhari trat vor, noch ehe der Mann seinen Satz beendet hatte.

„Ihr vielleicht nicht, aber ich doch sicher ?“ Die Metallringe und Glasperlen ihres Gewands klirrten bei jedem Schritt leicht.

Der Soldat besah sich die Gejarn einen Augenblick.

„Wie war Euer Name noch gleich?“

„Mhari.“, erwiderte die Löwin. „Und ich glaube wenn Ihr mich nicht hereinlasst, wird Lord Baltasar recht ungehalten sein.“

„Er wird auch ungehalten sein, wenn ich Euch durch die Tore lasse und ihn vorher nicht informiere. Ihr sagt Ihr kennt den König. Dann wird er sicher wissen wollen, dass Ihr hier seid. Ich schlage folgendes vor. Ich lasse Euch und Eure Begleiter rein, aber werde Euch sofort zum König bringen.“

Die Gejarn zuckte mit den Schultern.

„Jemand Einwände ?“

Leif schüttelte den Kopf. Er konnte sich durchaus besseres vorstellen, als eine Audienz beim Stadtkönig, aber unter den gegebenen Umständen… ihnen blieb kaum eine Wahl. Und ihnen lief die Zeit davon. Die anderen stimmten ebenfalls zu und nach einem letzten Moment des Zögerns, trat eine der Torwachen schließlich zurück und verschwand. Vermutlich würde er als Bote vorausgehen, dachte Leif. Der Mann jedoch, mit dem Mhari sich unterhalten hatte, folgte ihnen in sicherem Abstand in die Stadt.

Leif wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal derart viele Menschen gesehen hatte. Sobald sie das Torhaus passierten, wurden sie praktisch unweigerlich vom Strom der Passanten erfasst und mussten darum kämpfen, nicht mitgerissen zu werden. Die meisten Menschen hier trugen weite luftige Gewänder, die sie vor der Sonne schützten. Manche waren schlicht gefärbt in Erdbraun oder schmutzigem Weiß, andere jedoch bildeten bunte Punkte in der Menge. Blau, Gold, Grün, und ein Dutzend Mischfarben sorgten dafür, dass man sich in der Menschenmasse noch schlechter orientieren konnte. Dazu kam die Hitze, die durch die zwischen die Gebäude gespannten Sonnensegel kaum gedämpft wurde. Leif entdeckte mehrere Wasserträger, deren einzige Aufgabe offenbar darin bestand, den Passanten kleine Tonkrüge mit Trinkwasser zu verkaufen, während sie sich ihren Weg suchten.

Der Soldat, der ihre kleine Gruppe begleitete, tat sein bestes, eine Gasse für sie frei zu halten, aber die Leute konnten meist kaum ausweichen, selbst wenn sie es gewollt hätten. Die einzige, die keine Schwierigkeiten zu haben schien, sich in der Masse zu bewegen war Mhari. Die Gejarn bewegte sich so schnell durch die Straßen, dass die anderen ihr kaum folgen konnten. Leif fragte sich insgeheim, wie sie das anstellte, aber wo immer sie auch hinging, wichen ihr die Leute aus. Offenbar, ohne es selbst auch nur zu registrieren. Einer der Wasserträger, die der Schmied vorhin entdeckt hatte, sah nicht einmal auf, trat aber trotzdem beiseite.

Die Straße der sie folgten, weitete sich schließlich zu einem weitläufigen Marktplatz, auf dem eine unübersichtliche Zahl von Händlern ihre Stände aufgebaut hatten. Es gab alles, was Leif sich vorstellen konnte und auch einige Dinge, die er überhaupt nicht erkannte. Von allen möglichen Nahrungsmitteln wie Fleisch und Brot, aber auch Früchten und Datteln bis hin zu Schmuckarbeiten, Kämmen oder Waffen in jeder Form.

Mhari wurde zum ersten Mal langsamer und die Gruppe nutzte die Gelegenheit um wieder zu der Löwin aufzuschließen. Leif nutzte die kurze Pause, um bei einem der Händler einen Kamm zu erwerben. Es war mehr eine fixe Idee, dachte der Schmied, aber er könnte ihn später immer noch wegwerfen, wenn er Celani nicht gefiel. Er suchte ein paar Münzen aus seiner Tasche zusammen und hoffte letztlich, dass es ausreichen würde. Viel Geld hatte er schon zu Beginn der Reise nicht besessen. Der Händler jedoch machte sich gar nicht erst die Mühe, das Silber zu zählen, sondern strich einfach ein paar der Münzen ein

„Für die Dame ?“ Der Mann zwinkerte und nickte in Richtung Sandria. Die Sängerin stach mit ihren roten Haaren fast noch mehr heraus, als die zwei Gejarn.

„Ja… in etwa.“ Leif steckte den Kamm in die Tasche und beeilte sich, wieder zu den anderen aufzuschließen. Auf dem Marktplatz war das Gedränge wenigstens auf eine größere Fläche verteilt.

Mhari führte sie durch weitere, verwinkelte Straße, in denen es schon etwas ruhiger war, aber einen wirklich verlassenen Ort schien es in Erindal nicht zu geben. Die Leute saßen unter kleinen Schutzdächern, tranken Tee und unterhielten sich, teilweise in der Amtssprache Cantons, teilweise in einer Sprache, die Leif nicht einmal vom Hören her kannte. Er kannte ein paar Dialekte der Eisnomaden und konnte sich mehr schlecht als Recht in den Nordprovinzen verständigen, aber auch als Prätorianer war er selten im Süden unterwegs gewesen.

Über den Häuserreihen aufragend, kam langsam ein neues Gebäude in Sicht. Eine Vielzahl von mit Balkonen umlaufenen Ziertürmen ragte aus dem Gemäuer auf. Wie auch die übrigen Bauwerke hier, war Sandstein verwendet worden, allerdings in den verschiedensten Farben. Fensterbögen aus rötlich schimmerndem Gestein, Wände und Mauern aus honigfarbenem Material und ein Dach aus grauem Schiefer. Leif konnte die Größe des Ortes nur abschätzen, als sie sich näherten. Ihr Weg führte hinaus auf einen freien Platz, auf dem sich überraschenderweise kaum jemand aufhielt. Eine kurze Prachtstraße führte weiter durch eine Reihe von großzügig angelegten Gärten in Richtung einer zweiflügligen Tür. In der Mitte des Platzes selbst war ein buntes Glasmosaik eingelassen, das leicht die Fläche eines durchschnittlichen Wohnhauses einnahm. Springbrunnen erfüllten die Luft mit feinem Wasserdampf und linderten so das ständige Brennen der Sonne etwas.

„Das ist Baltasars Palast.“, meinte Mhari.

Erik stieß neben Leif einen kurzen Pfiff aus. Es war nichts im Vergleich zur fliegenden Stadt, aber jemand hier hatte definitiv zu viel Geld….

Celani besah sich den Prunkbau einen Augenblick, bevor sie fragte: „Woher kennt Ihr den König eigentlich?“

„Er schuldet mir praktisch seinen Titel.“

Erik verschränkte die Arme vor der Brust.

„Wie war das eben mit, sich an Regeln halten?“, fragte er ungehalten.

„Es gibt Grenzen, in denen man arbeiten kann.“

„Mhm. Ich habe nie jemand auf einen Thron geholfen. Nur um das klarzustellen.“

„Sicher?“ , fragte die Gejarn.

„Falls Du auf die Geschichte mit den Marionettenkaisern anspielst, dann hatte ich damit nicht das Geringste zu tun.“

„Ihr beide löst bei mir allerhöchstens Kopfschmerzen aus.“, unterbrach Kornelius sie. „Können wir weiter?“

Der Wächter, der sie von den Toren bis hierher begleitet hatte nickte, bevor er sich an die Spitze der kleinen Gruppe setzte. Leif sah sich in den Gärten um, während sie auf den Eingang des Palastes zuhielten. Die erste Halle die sie betraten, wurde von zwei Reihen hoher Säulen durchzogen, die das Dach trugen. Licht fiel durch mehrere Deckfenster aus dunkel gefärbtem Glas herein. Ein gutes Dutzend Wachen stand zwischen den Säulen, lies sie aber passieren, nachdem der Soldat vom Tor ihnen ein Zeichen gab. Eine zweite Tür am Ende der Halle wurde geöffnet und führte schließlich in einen weiteren Saal. Eine Reihe großer Fenster ohne Glas liest frische Luft herein. Die Wände und Decken bestanden vollständig aus rotem Sandstein, der dem Raum einen warmen Glanz Schimmer verlieh. Schwere Teppiche, ebenfalls in rot, bedeckten den gesamten Boden und dämpften die Schritte der kleinen Gruppe um Leif. Auf einem kleinen Podest, zu dem mehrere Stufen hinaufführten, stand ein vergoldeter Stuhl. Schlicht für einen Thron, aber die zwei Soldaten mit dem Wappenrock Erindals zu beiden Seiten, würde wohl rasch die nötige Autorität erzwingen.

 

Auf dem Sitz selbst saß ein Mann mittleren Alters, der in die bunten Gewänder gekleidet war, die Leif schon in der Stadt gesehen hatte. Bloß, ließ dieser Herr kaum eine Farbe aus. Blau, rote und goldgestreifte Roben fielen ihm um den Körper, der dadurch um einiges massiger wirkte, als er eigentlich war.

„Ihr habt euch Zeit gelassen, wie mir scheint?“ , wollte er wissen. Seine Stimme klang freundlich, aber verschlagen.

„Ich hatte es nicht sonderlich eilig Baltasar.“, erwiderte Mhari.

„Und wie man mir bereits mitteilte, habt Ihr Gäste mitgebracht. Darf ich eure Namen erfahren?“

Er musterte die Neuankömmlinge in seiner Halle, einen Moment zu lange für Leifs Geschmack.

„Ich bin Leif.“, antwortete der Schmied und trat ein Stück vor.

„Das dachte ich mir schon. Die… Beschreibung die man mir von Euch gegeben hat ist doch ziemlich treffend.“

Leif wurde nervös.

„Beschreibung.“ Er legte langsam eine Hand auf den Schwertgriff. Mit den drei Wachen bei Baltasar wurde er fertig. Aber mit dem Dutzend Soldaten im zweiten Flur nicht. „Ihr wisst wer wir sind? Woher ?“

„Ihr seid im Augenblick nicht meine einzigen Gäste. Und es scheint mir, wir haben einiges zu bereden. Aber bitte, geduldet Euch einen Moment.“

Der König machte eine Geste mit der Hand.

„Wache, würdet ihr ihn jetzt reinbringen?“

Eine Tür in einer der Seitenwände wurde geöffnet und eine einzelne Gestalt betrat den Thronsaal. Leif erstarrte einen Moment, wo er war. Schwarzer Pelz, gelbe Augen….

Ordt trat scheinbar gelassen auf sie zu.

„So sieht man sich wieder.“

 

 

 

 

Kapitel 36

Wendung

 

 

 

 

 

Leif zögerte keine Sekunde. Er riss sofort das Schwert von seinem Platz an seinem Gürtel und richtete die Klinge auf den Wolf. Ordt blieb erstaunlich ruhig und rührte sich nicht. Er zog lediglich ebenfalls das Schwert.

„Was tut Ihr hier?“ Die Stimme des Schmieds hallte durch den Thronsaal. Die anderen/ waren scheinbar auf ihren Plätzen erstarrt. Leif konnte die Anspannung in der Luft schmecken. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Seine Sinne waren geschärft. Er wusste, wie gefährlich der Gejarn war. Vielleicht gefährlicher als Robert. Aber diesmal war er nicht verwundet. Ruhig bleiben, sagte er sich selbst. Soweit er das sehen konnte, war der Wolf alleine. Aber wenn der König auf dessen Seite war….

Seine Augen wanderten zum Thron. Baltasar war offenbar als einziger nicht auf seinem Platz festgewachsen.

„Die Herren, das ist wirklich nicht nötig.“, erklärte er.

„Vielleicht könnt Ihr mir dann erklären, was Belfares verdammter Schoßhund hier zu suchen hat?“, fragte Kornelius.

Offenbar hatte der Mann damit einen Nerv getroffen, denn Ordt machte einen bedrohlichen Schritt auf den Alten zu. Bevor der Wolf ihm jedoch zu nahe gekommen war, sprang Leif auch schon vor. War die Situation eben noch angespannt gewesen, so geriet sie jetzt völlig aus der Kontrolle. Ordt schlug reflexartig nach dem Schmied. Leif parierte den Hieb und stieß den Gejarn mit einem Tritt zurück. Der Mann stolperte rückwärts über die Teppiche, während Leif sofort nachsetzte. Ordt fing sich grade noch um den Angriff des Schmieds auszuweichen. Die Klinge verfehlte ihn nur knapp, der Wolf ließ sich dadurch jedoch kaum aus der Ruhe bringen und hieb mit einer Pranke nach Leif. Dieser war plötzlich seinerseits gezwungen, zurückzuweichen um der Attacke zu entgehen, was Ordt die Gelegenheit gab, sich wieder zu fangen. Leif ließ den Gejarn nicht aus den Augen, während dieser sich wieder aufrichtete. Seine Hände klammerten sich um den Schwertgriff.

Er durfte seinen Gegner keinesfalls unterschätzen, dafür hätte er grade fast bezahlt. Ordt wandte seinerseits keinen Moment den Blick von Leif. Der Schmied konnte beinahe sehen, wie es im Kopf des Wolfs arbeitete. Wenn der Mann eines bewiesen hatte, dann das er verschlagen genug war, jeden Vorteil zu nutzen. Aber auch ohne diese Eigenschaften, Ordt war ein Kämpfer, mit dem Leif rechnen musste.

„Genug.“

Die Stimme des Königs riss die beiden Kontrahenten schließlich aus ihrer Erstarrung. Leif zögerte, sich zu Baltasar umzuwenden, bis Ordt schließlich als erster die Waffe sinken ließ. Also gut… der Gejarn würde schon nicht so dreist sein, ihn hinterrücks zu töten. Nicht, wenn der Herrscher über die gesamte Stadt, in der er sich befand, etwas anderes verlangte.

Baltasar klang nun ernsthaft wütend:

„Ich werde nicht zulassen, dass sich meine Gäste gegenseitig umbringen. Was soll denn das für einen Eindruck machen? Das hier ist neutraler Grund, kein Schlachtfeld. Wenn ihr euch unbedingt gegenseitig töten wollt, tut das vor den Toren meiner Stadt, nicht innerhalb. Und jetzt nehmt die Waffen weg oder meine Wachen werden sie sich holen!“

Leif seufzte und schob die Klinge zurück in seinen Gürtel. Es hatte keinen Sinn. Ordt zögerte kurz, folgte dann jedoch seinem Beispiel.

„Ihr habt uns eine Falle gestellt.“, rief Celani.

Baltasar schüttelte den Kopf.

„Nein. Wie ich bereits sagte, seht euch als Gäste, wie auch der Vertreter Simon Belfares sich als mein Gast betrachten kann. Solange ihr euch dem Gesetz meiner Stadt beugt. Keine Kämpfe innerhalb der Mauern Erindals. Wer meinen Gästen etwas zu leide tut, verwirkt sein Leben. Das gilt für alle, ob grade anwesend oder nicht. “

„Warum ist er dann hier?“, fragte Sandria und deutete auf den Wolf. „Ihr wisst, dass Simon Belfare auf dem Weg hierher ist. Und verzeiht, das ich Euch das unterstelle, aber ich glaube Ihr wisst, was er hier sucht.“

„Das tue ich in der Tat. Simon Belfare sucht etwas, das ausgerechnet Ihr bei Euch habt. Wie mir Ordt hier mitteilte, nachdem man Eure Ankunft meldete. Der Adler kontrolliert mittlerweile die See und Landwege von Canton aus zu den freien Königreichen. Zumindest, soweit das Erindal betrifft.“

Kornelius schüttelte den Kopf.

„Wenn das so weitergeht, umrunden die Armeen, Canton einmal ohne eine Entscheidung herbeizuzwingen. Könnten wir Simon und den Kaiser nicht einfach zusammen in einen Raum einsperren und die das alleine klären lassen? Nein ?“

Erik wendete sich derweil an Ordt

„Wie konntet Ihr wissen, dass wir hierher kommen würden?“

Eine gute Frage, dachte Leif. Noch wusste er nicht, in wie großen Schwierigkeiten sie steckten. Oder überhaupt, Baltasar wirkte ziemlich vernünftig… aber wenn er wirklich wusste, wohinter Simon her war… was hinderte ihn daran, es sich zu holen? Für den Moment hieß es abwarten.

„Zufall. Bis vor einer Stunde wusste ich nicht, das ihr hier seid.“, gab der Wolf zu. „Ich bin ursprünglich aus einem anderen Grund hier. Und zwar um Baltasar hier das Angebot zu unterbreiten, seine Stadt friedlich zu übergeben, wenn Simon hier eintrifft. Das Ihr ausgerechnet hierher kommt… ist bemerkenswert, auch wenn ich wusste, dass Ihr in die freien Königreiche flieht.“

Baltasar nickte.

„Und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass dieses Angebot durchaus Sinn macht. Ich danke ab und erkenne Simon Belfare als neuen Oberherren an, dafür wird die Stadt und alle ihre Bewohner verschont. Die Armee kommt nicht einmal in die Nähe. Im direkten Kampf hat die Stadtgarde keine Chance. Wir sind nur ein paar Hundert.“

Mhari sah scheinbar unschlüssig zwischen dem Wolf, der Gruppe um Celani und Baltasar hin und her.

„Ich wusste nicht, dass die Dinge hier so stehen.“

„Ihr wart eine Weile nicht hier.“, antwortete der König lediglich.

„Das ist wohl wahr. Wo ist Euer Kampfgeist hin?“, fragte die Löwin.

Baltasar lachte.

„Ich habe andere Möglichkeiten. Dank Euch, wie mir scheint.“

Erik trat vor.

„Lasst mich raten. Stein gegen Stadt ? Und Ihr behauptet noch, das hier wäre keine Falle.“

„Nein, wenn Ihr mir doch kurz zuhören würdet. Ich würde niemals einen Gast in Gefahr bringen. Aber versteht mich, Ihr seid das einzige, was ich anzubieten habe um diesen Ort zu retten. Denkt wenigstens darüber nach. Ich werde Euch nicht festhalten, das schulde ich jemanden, dem ich Zutritt zu meiner Stadt gewähre.“

„Und wer versichert uns, das Ihr Euren Ehrenkodes nicht plötzlich über Bord werft, wenn wir uns entscheiden euch nicht zu helfen?“ , wollte Celani wissen.

„Mhari.“, erwiderte der König nur.

Die graue Gejarn legte fragend den Kopf auf die Seite.

„Vermutlich würde ich Euch nicht erlauben, sie hier festzuhalten.“

Und wie bitte würde sie das? , fragte Leif sich einen Moment. Die Löwin war alleine und sie im Herzen einer Stadt, die dem Mann vor ihnen unterstand. Einer Stadt mit geschossenen und bewachten Toren.

„Ich will die Gelegenheit nutzen um zu verhandeln. Ich kann Euch immerhin jederzeit... gehen lassen, dann verliert Simon, was er will. Oder wir können darüber verhandeln, ob und unter welchen Bedingungen er das Juwel bekommt, das er haben will. Ich werde in diesem Konflikt neutral bleiben. Das ist, was ich plane. Diese Stadt, wird neutral bleiben. Im Gegenzug dafür, verlange ich von Euch nur, dass Ihr Simon Belfare anhört… und darüber nachdenkt, was Ihr mit diesem Stein tut. Meine Stadt brennt sonst. Ist das zu viel verlangt?“

„Und Ihr versprecht, das wir jederzeit gehen können?“

„Das ist Teil meiner Bedingungen, die Ordt hier zurück zu Simon bringen wird, Euch nicht sofort weiter in die freien Königreiche zu schmuggeln. Simon Belfare wird alleine oder mit einer minimalen Garde hierher kommen. Somit bleibt Erindal selbst frei und Ihr könnt das Umland verlassen. Welches Druckmittel hätte ich schließlich, wenn er einfach einen Belagerungsring um mein Reich schließt? Kein sehr gutes.“

„Könnte ich mich bitte kurz mit den anderen absprechen?“, fragte Leif.

Baltasar deutete nur auf die Tür, durch die Ordt hereingekommen war.

„Lasst euch Zeit.“

Der Schmied nickte lediglich, bevor er die anderen hinter sich her winkte und durch die Tür trat.

Mhari blieb derweil im Thronsaal zurück. Auf der anderen Seite befand sich ein kurzer Flur, von dem weitere Gänge abzweigten. Ihre Schritte hallten auf den aus gelbem Sandstein gefertigten Fliesen, ansonsten jedoch, war es überraschend still. Leif hielt erst an, als er sicher sein konnte, weit genug vom Thronsaal entfernt zu sein, um nicht belauscht zu werden.

„Celani… ich will als erstes Wissen, was Du von der Sache hältst. Letztlich geht es darum, was Du mit diesem Armband tust.“

„Ich… weiß es nicht.“, erklärte die Gejarn. „Wir haben einen Kontinent durchquert, nur um Simon und dem Kaiser zu entkommen. Mein Clan hat sich freiwillig dafür entschieden, sich gegen Simon zu stellen und offenbar hat er sie dafür aus ihrem Land vertrieben. Aber ich kann doch keine ganze Stadt opfern, vorausgesetzt, Baltasar lässt uns wirklich einfach so ziehen….“

„Erik ?“ Der Arzt stützte das Kinn auf die Faust.

„Wir sind an einem Ende angelangt, fürchte ich. Entweder, wir nehmen Baltasars Angebot an und treffen uns mit Simon und sehen was das bringt… oder wir rennen immer und immer weiter.“

Leif nickte.

„Sandria ?“

„Ich kann nicht behaupten, dass ich wüsste, was passiert, wenn Simon die Träne in seinen Besitz bringt. Aber ich kann auch nicht behaupten, dass wir noch viel länger weglaufen können. Es war einfach, schlicht nur nach Süden zu gehen und einfach zu hoffen. Aber jetzt sind wir im Süden und sind keinen Schritt weiter.“

Kornelius seufzte.

„Statt dem Krieg zu entkommen, haben wir ihn mit uns gebracht. Leif… ich bin der letzte der glaubt das man dem Kaiser oder Simon trauen könnte... aber lass es uns wagen.“

 

Als sie in die Halle zurückkehrten, wartete der Stadtkönig nach wie vor in der Halle, zusammen mit Ordt und Mhari, die an einem der Fenster stand und auf die Stadt hinaus sah.

Die Sonne stand nach wie vor hoch am Himmel und brannte auf die Straßen hinab aber in den steinernen Hallen war es angenehm kühl.

„Fürs Erste… bleiben wir. Und wir sind bereit mit Simon zu reden.“, erklärte Leif, bevor er sich an Ordt wendete.

„Unter der Bedingung, dass Ihr Euch an alles haltet. Keine Soldaten, Erindal bleibt unangetastet und zwar egal, wie das hier ausgeht und wenn ich auch nur das Gefühl haben sollte, das ihr uns hintergeht….“

Der Wolf gab zum Erstaunen des Schmiedes keinerlei Widerworte. Er nickte lediglich und tatsächlich huschte kurz ein Lächeln über seine Züge. Das Grinsen des Gejarn offenbarte viel zu viele Reißzähne für Leifs Geschmack, aber seine Worte waren ungewohnt freundlich:

„In diesem Fall breche ich sofort auf. Und ob Ihr mir glaubt oder nicht, ich respektiere, was Ihr hier tut. Ich wüsste nicht ob ich das könnte. Celani. Leif. “Er nickte den beiden kurz zu. „Wir sehen uns in ein paar Tagen.“

„Man wird Euch bis vor die Stadttore eskortieren.“, erklärte Baltasar.

„Nur um sicherzugehen, dass Ihr uns wirklich verlasst.“

„Keine Sorge.“, erwiderte Ordt nur, während er von zwei Soldaten in schwarzen Wappenröcken aus der Halle gebracht wurde. „Ihr habt Zeit nachzudenken, bis Simon hier eintrifft. Ich würde raten, sie zu nutzen.“

Mhari hatte sich derweil vom Fenster abgewandt. „In diesem Fall, werde ich hier nicht mehr benötigt.“

„Ihr wollt uns schon verlassen?“ , fragte Erik betrübt.

„Nehmt es mir nicht übel, aber Ihr sucht das Chaos, wie eine Motte das Licht, alter Freund.“ Sie zwinkerte. „Und ich wäre dann gerne aus dem Schussfeld.“

Mhari wendete sich zum gehen, hielt dann aber noch einmal an.

„Nur ein Wort noch. Es kann alles gut werden, glaube ich. Aber das wird seinen Preis haben.“

Leif sah der Gejarn einen Augenblick nach, bevor sie in den Fluren des Stadtpalasts verschwand. Wenn es eines gab, womit er nichts anfangen konnte, dann waren das kryptische Warnungen.

Er drehte sich zu den anderen um. Götter, hoffentlich trafen sie die richtige Entscheidung. So oder so… die Zeit des Weglaufens war fürs erste vorbei.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 37

Eine zweite Chance

 

 

 

 

 

Baltasar hatte für sie alle Zimmer in einem Gasthof der Stadt organisiert. Das Gebäude lag nicht weit entfernt vom Palast, im Herzen Erindals, aber doch weit genug von den geschäftigen Hauptstraßen, das man vom Lärm der Metropole wenig merkte. Den Tag verbrachten sie damit, sich die Stadt anzusehen. Es hatte beinahe etwas Unvertrautes, einmal Zeit für so etwas zu haben, dachte Leif, als er am Abend mit den anderen zurückkehrte. Erindal war eine Stadt, die den großen Handelszentren und Häfen Cantons in nichts nachstand. Im Hafen drängten sich Schiff an Schiff und eine Unzahl kleinerer Boote, auf denen Männer mit farbigen Flaggen saßen, halfen, das Chaos halbwegs passierbar zu halten. Dahinter schlossen sich die zahlreichen Wohnviertel der Stadt an, die mit ihren teilweise drei oder vierstöckigen Mietskasernen das Licht der Sonne fast völlig ausblenden konnten. Trotzdem war es in den Schatten kaum kühler und der allgegenwärtige Staub und Sand, der mit dem Wind durch die Straßen trieb fand seinen Weg in ihre Kleider und Augen.

„Ich hoffe wirklich, das gibt keinen Sandsturm.“, meinte Sandria besorgt, als sie die Taverne schließlich betraten. Das Gasthaus machte einen sauberen und durchaus gehobenen Eindruck. Mit Holzarbeiten verstärkte Glasfenster, in der Außenfassade, waren alles andere als billig. Die weiß getünchten Wände hielten, zusammen mit den schweren Steinblöcken, aus denen sie errichtet waren, wohl die schlimmste Hitze des Tages ab.

„Das ist noch lange kein Sturm.“, meinte Erik lediglich. „Ich hab mich vorhin mit ein paar Leuten auf dem Markplatz unterhalten. Bei einem richtigen Sandsturm sieht man nicht mal mehr die Hand vor Augen.“

Der Arzt war scheinbar wie immer guter Dinge… und der einzige von ihnen, der sich keinen Sonnenbrand geholt hatte, wenn man von Celani einmal absah. Offenbar schützte ein Fell nicht nur vor Kälte, dachte Leif. Wenn sie wirklich länger hier blieben, würde er sich besser eines der Gewänder besorgen, das die Einheimischen trugen. So seltsam es ihm erscheinen war, das die Leute hier alle Roben zu tragen schienen, die Hitze war leichter zu ertragen, als wenn einem die Sonne die Haut versengte.

Nachdem sie zu Abend gegessen hatten, zogen sich alle auf ihre Zimmer zurück. Es würde eine schöne Abwechslung darstellen, mal wieder in einem richtigen Bett zu schlafen. Leif konnte sich kaum noch daran erinnern, wann er das letzte Mal nicht auf dem Boden eines Wagens oder auf dem Waldboden geschlafen hatte. Seit er mit Celani aufgebrochen war nicht mehr….

Götter, war das wirklich erst ein gutes dreiviertel Jahr her? Der Raum, den man ihm zuwies, überraschte den Schmied nicht zuletzt durch seine reine Größe. Sein halbes Haus hätte leicht unter die Decke gepasst. Offenbar legte es Baltasar wirklich darauf an, das es ihnen an nichts fehlte. Allerdings… hing von ihrem hierbleiben auch das Schicksal seiner Stadt ab. Die Einrichtung stand dem Raum selbst in Nichts nach. Neben dem Bett und einem Fenster, durch das der Abendhimmel herein schimmerte, bestanden die Einrichtung aus einem großer Schreibtisch und mehreren Schränken. Neugierig zog Leif eine der Türen auf und fand in denen mehrere paar frischer Wäsche. Im Stillen dankte er, wer auch immer daran gedacht hatte. Er hatte seine Kleider bei Gelegenheit gewaschen, aber das halbe Dutzend Blut und Schmutzflecken, die sich einfach in den Stoff gebrannt hatten, konnte das nicht verbergen. Rasch suchte er sich ein paar Kleider in der richtigen Größe, ein simples Hemd aus weißer Wolle, stabile Hosen und Stiefel aus Leder und eine dunkle Jacke. Mit den neuen Kleidern sah er immerhin schon weniger wie ein Landstreicher aus, dachte Leif. Es hatte ihn zwar selten gekümmert, was jemand von ihm dachte, aber er würde so wohl etwas weniger auffallen. Seine alten Kleider landeten auf dem Fußboden. Er würde sehen, was daraus wurde. Ein leises Klacken, als der Stoff auf dem Boden landete, erinnerte ihn jedoch an etwas. Der Kamm, den er gekauft hatte, war aus der Tasche gerutscht und auf dem Boden gelandet. Leif hob den Gegenstand auf. Er hatte nach den ganzen Ereignissen des Tages gar nicht mehr daran gedacht.

Ob Celani noch wach war? Die Gejarn war in einem der Nachbarzimmer, es gab also nur einen Weg es herauszufinden. Der Gedanke brachte ihn zum lächeln, während er aus seinem Zimmer auf einen kurzen Gang hinaus trat. Auf der einen Seite führte eine Treppe hinab ins eigentliche Gasthaus, auf der anderen reihten sich die Zimmertüren aneinander. Leif ging zielstrebig auf die letzte Tür am Ende des Gangs zu und klopfte an. Einen Moment tat sich nichts und er fürchtete schon, die Gejarn würde bereits schlafen oder er hätte sich in der Tür geirrt. Schließlich jedoch hörte er Schritte und keinen Moment später wurde die Tür auch schon aufgezogen.

„Leif ? Ist etwas passiert?“

Celani trat einen Schritt zurück und ließ ihn ein. Der Raum unterschied sich, von der Einrichtung nur geringfügig von dem, den er eben verlassen hatte.

„Nein gar nichts.“, erklärte er, als er ihren besorgten Gesichtsausdruck sah. Stattdessen holte er den Kamm hinter seinem Rücken hervor.

„Aber ich habe eine Kleinigkeit für Dich. Ich weiß es ist nicht viel, aber… Ich dachte es gefällt Dir vielleicht.“

Bevor er den Satz beenden konnte, schlang ihm Celani kurz die Arme um den Hals.

„Der ist ja wundervoll.“

„Findest Du?“, wollte Leif wissen. „Ich dachte eigentlich nicht, dass es… irgendetwas Besonderes wäre.“

Celani lächelte.

„Wie Du willst, ich finde den Kamm schrecklich.“, erklärte sie gespielt beleidigt und setzte sich aufs Bett. „Und wenn Du willst, dass ich Dir verzeihe, weißt Du besser, wie man damit umgeht.“

Leif lachte, bevor er sich zu ihr setzte.

„Machst du dir Sorgen?“, wollte er wissen, als er begann ihr Haare und Fell zu kämmen. Celani antwortete nicht sofort sondern hielt einen Moment die Augen geschlossen. Die Gejarn gab ein leises Schnurren von sich.

„Sag bloß Du nicht?“

„Und wie.“, gab er zu. „Aber für den Moment sieht es doch gar nicht so schlecht aus. Warmes Essen, ein richtiges Bett….“

„Und niemanden um es zu teilen.“

Leif hielt einen Moment inne.

„Ich glaube das ließ sich ändern… wenn Du willst.“

Statt einer Antwort, schubste Celani ihn zurück in die Federn und setzte sich auf seinen Schoß.

„Das heißt dann wohl ja….“

Die Gejarn küsste ihn.

„Ich liebe Dich.“ Die Worte waren mehr ein Flüstern. Als hätte sie Angst, jemand könnte sie hören. Und wieso auch nicht. Das ganze hatte einen Hauch von Wahnsinn.

Leif drückte sie einen Moment fest an sich, konnte ihren Herzschlag an seiner Brust spüren.

Sie sahen sich einen Moment in die Augen und irgendetwas sagte Leif, dass es richtig war. Celani gehörte hierhin. Und es würde mehr als einen Kaiser und einen Zauberer brauchen, um sie ihm wegzunehmen. Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, das sie Beide sterben könnten… bevor er seine Zweifel jedoch Worte verleihen konnte, beugte sich Celani über ihn.

Sie küssten sich. Nicht wie in dem kurzen Augenblick, in dem mehr aus bloßer Freundschaft geworden war. Diesmal viel es Leif viel schwerer, sich auch nur einen Moment wieder von ihr zu lösen.

„Ich liebe Dich auch.“ Es waren die letzten klaren Worte und Gedanken, die er zustande/ brachte.

Seine Hände wanderten unter ihr Kleid, spürten ihre Wärme. Celani stöhnte leise auf, als er in sie eindrang. Sie bewegten sich langsam, keiner konnte die Augen oder Hände lange vom anderen lassen. Irgendwann erzitterte die Gejarn am ganzen Körper und brach schließlich auf ihm zusammen.

Leif hielt sie fest an sich gedrückt, einen Moment mit dem Gedanken spielend, sie einfach nie wieder loszulassen.

„Tu mir einen Gefallen und weck mich nicht auf. Ich glaube ich habe grade einen wundervollen Traum.“, murmelte Celani.

Leif strich ihr lediglich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Kein Traum… aber wie lange konnte er andauern? Er hatte einmal jemanden verloren, der ihm sein Leben bedeutet hatte… das würde er kein zweites Mal zulassen.

 

 

 

Robert eilte durch die Hallen der fliegenden Stadt. Der Sitz des kaiserlichen Palastes überquerte soeben die Keel auf seinem Weg Richtung Süden. Und damit den Ort, wo er versagt hatte. Simon Belfares Armee konnte nicht mehr weit entfernt von hier lagern. Die freien Königreiche waren erreicht…

Der Kaiser verbrannte eine unvorstellbare Menge Magie, um die ansonsten langsam über die Himmel ziehende Metropole, so schnell wie möglich an ihr Ziel zu bringen. Außerhalb der schützenden Mauern und Hallen, konnte einen der Fahrtwind alleine von den Füßen holen. Es war Wahnsinn. Die magischen Mechanismen der Stadt, vor Äonen vom alten Volk erschaffen, konnten dem unmöglich lange standhalten. Allein in der letzten Woche hatten sie drei Magier verloren, die bei dem Versuch die übernatürliche Maschinerie unter Kontrolle zu halten, einfach umgekippt waren. Ihr Geist zerstört und ihre Herzen angehalten.

Erst jetzt, wo sie aufholten, wurde der Koloss wieder langsamer. Robert konnte hören, wie die uralte Substanz der fliegenden Inseln ächzte und einige der silbernen Brücken, die die einzelnen Stadtteile zusammenhielten unter der Belastung brachen. Die Magie der fliegenden Stadt würde sie reparieren, aber vermutlich war das das letzte Mal, dass jemand die Stadt derart steuern konnte.

Die magischen Kristalle in den Fluren, die der Prätorianer durchquerte flackerten unstet, als sich die Antriebszauber stabilisierten und endlich nur noch ihr normales Maß an magischer Energie erhielten. Energie, die irgendwo tief aus dem Inneren der Stadt kam, auch wenn niemand je ihre Quelle hatte ergründen können. Dazu war der Schleier der Zauberei über der Stadt zu dicht. Er blendete das Gespür der Hexer.

Robert stieß die Türen zum Thronsaal auf, als er sie erreichte. Kaiser Tiberius Ordeal saß dieses Mal nicht auf dem Bernsteinthron im Zentrum der Halle, sondern stand mit seinem Hofzauberer an einem großen Kartentisch zu Füßen des Throns. Darian Karr hatte eine Reihe von Figuren auf der Landkarte verteilt, die einen Ausschnitt der freien Königreiche zeigte.

„Simon Belfare steht im Südwesten, ein paar Meilen von Erindal entfernt. Unsere eigenen Truppen verteilen sich auf breiter Front von der Keel bis weit in den Südosten der freien Reiche hinein. Wir müssen uns erst sammeln, oder der Adler könnte uns einfach auf breiter Front attackieren und Truppenteil für Truppenteil auslöschen.“

„Wenn es nach mir geht, Hofzauberer, kommt es erst gar nicht so weit.“, erklärte der Kaiser. Tiberius trug über den üblichen Ornat eine leichte Kettenpanzerung aus vergoldeten Ringen. Über seine Schultern wiederum fiel ein leichter Pelzumhang, eine Erinnerung daran, dass die ersten Menschen und damit Kaiser, einst aus dem eisigen Nordens Cantons gekommen waren. Dazu ein leichtes Kurzschwert. Vermutlich war der Kaiser auch kaum in der Lage, eine andere Waffe zu führen, wenn man sein Alter bedachte.

Robert räusperte sich.

„Ihr habt mich rufen lassen?“

Tiberius sah auf.

„Tatsächlich habe ich das… Darian hier meint, er hätte die Träne endlich gefunden.“

„Es war mir vorher nicht möglich, gezielt danach zu suchen, aber ich habe einige Zauberer der Armee vorausgesandt. Ein Artefakt von dieser Macht ist schwer zu übersehen… und wie es aussieht, befindet sich der Stein momentan irgendwo hier.“ Der Zauberer deutete auf der Karte eine Küstenstadt. Erindal.

„Wir können allerdings auch davon ausgehen das Simon das ebenfalls nicht entgangen sein dürfte.“

Robert besah sich die Karte nur einen Moment.

„Also gibt es ein Rennen zwischen unseren Streitkräften und denen des Zaubererfürsten?“

„Eines, das wir gewinnen müssen. Wenn unsere Armeen aufeinandertreffen, gibt es kein durchkommen mehr, für keinen von uns. Aber eine kleine Gruppe könnte nach Erindal gelangen… und finden was wir suchen. Ich werde euch einen Zauberer mitgeben, der die Träne in der Stadt finden kann.“

„Ich soll euch die Träne also bringen.“

„Ihr und eine Handvoll der besten Prätorianer, die wir haben.“, erklärte Tiberius.

„Wenn Ihr Euch dazu in der Lage fühlt, dieses Mal nicht zu versagen. Es ist mir egal, wer dafür alles sterben muss, aber bringt mir die Träne. Wenn Ihr es nicht schafft, diesen Stein in Eure Gewalt zu bringen… kommt erst gar nicht wieder angekrochen.“

„Erindal ist eine gut befestigte Stadt.“, stellte Robert fest.

„Mit nur wenigen Männern durch die Tore zu kommen, das wäre möglich. Aber an die Träne zu gelangen… wo immer die Gejarn ist, die das Armband trägt, da wird auch Leif sein. Er wird das eigentliche Hindernis, wenn wir den Stadtwachen ausweichen.“

„Und Ihr habt schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass Ihr ihn nicht einmal verkrüppelt besiegen könnt.“

Der Prätorianer schwieg. Wenn er dem Kaiser erzählte, dass er dem Mann einen fairen/ Vorteil gewährt hatte… Tiberius mochte ihr Oberherr sein, aber er hatte kein Verständnis für Ehrhaftigkeit. Er war zu sehr Politiker und weniger Krieger.

„Ihr solltet wenig Probleme mit ihm haben.“, meinte Darian und zog einen Gegenstand von der Größe einer Murmel aus seiner Tasche. Und im ersten Augenblick hielt Robert es auch tatsächlich dafür. Die marmorweiße Oberfläche der Kugel erinnerte täuschend echt an Glas. Doch spätestens als der Zauberer ihm den Gegenstand in die Hand drückte, erkannte er, das dem nicht so war. Die so fest wirkende Oberfläche war weich, fast mit den Händen formbar….

„Ein Zauber ?“

„Festes Licht. Ein Jagd und Spürspruch, den ich selbst angefertigt habe. Mit allem, was wir über ihn Wissen. Er wird Leif finden… und töten.“

Robert ließ die Murmel mit einem unguten Gefühl in seiner Tasche verschwinden. Daran war nichts Ehrenhaftes….

Wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, würde er Leif selbst töten. Wenn nicht, wenn er ihn wieder entkommen lassen müsste… dann konnte er immer noch den Zauber frei lassen.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 38

Ein neuer Plan

 

 

 

 

 

Leif sah unruhig zur Tür. Sein Blick folgte den verschlungenen Linien im Holz. Die schweren Torflügel waren nach wie vor geschlossen, aber es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Baltasar zurückkehren würde. Einen weiteren Gast mit sich bringend. Den Mann vor dem sie seit einem Jahr flohen….

Leif hatte nur Geschichten über Simon Belfare gehört, das und was Sandria über ihn wusste, zeichnete das Bild eines aufrichtigen, aber auch seltsam grausamen Mannes. Verehrt von seinen Anhängern wie ein Gott und gefürchtet von seinen Feinden wie ein böser Geist.

Der Schmied sah sich nach den anderen im Raum um. Die kleine Gruppe, bestehend aus Kornelius, Sandria, Erik, ihm und Celani saß an einem Tisch irgendwo im Palast des Stadtkönigs.

Er sah die Gejarn, heute vielleicht zum ersten Mal, ohne das Armband. Es war sicherer, den Stein weit weg von ihnen aufzubewahren und Baltasar hatte zugestimmt, den Silberreif fürs erste sicher zu verstecken. In einem Raum fast auf der anderen Seite des Palastes. Trotzdem hatte Leif ein mulmiges Gefühl und Celani ging es wohl kaum besser. Er versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln und nickte ihr einen Moment zu.

Leif konnte sehen, wie Erik schmunzelte. Die anderen hatten sicher gemerkt, dass sein Raum nachts mittlerweile verräterisch leer blieb. Sie konnten sich ihren Teil denken.

Der Schmied wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Türen des Saals sich schließlich öffneten. Es war Ordt, der als erstes eintrat, gefolgt von Baltasar und zwei Stadtwachen. Einen Moment glaubte Leif schon, das wäre alles, dann jedoch trat eine fünfte Gestalt durch die Tür. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Aber es entsprach nicht ganz dem Bild, das er sich von Simon Belfare gemacht hatte.

Der Adler des Nordens war groß. Vermutlich hätte Simon Leif um mindestens einen Kopf überragt. Kurze, blonde, mit einigen grauen Strähnen durchzogene, Haare standen von seinem Kopf ab und dunkelblaue Augen schienen den ganzen Raum zu erfassen. Ein sauber gestutzter Bart, in dem deutlich mehr grau glitzerte, zog sich über sein Kinn. Leif/ hatte den Eindruck, als hätte der Mann in letzter Zeit nicht viel geschlafen. Ein türkisfarbener Mantel fiel über seinen Rücken und Arme, fast wie ein Talar. Das Doppelwappen des Adlers/ und des Löwen auf seiner linken Brustseite und der Blutstropfen des Sangius-Ordens auf/ seiner Rechten. Unter dem Mantel schimmerte ein silberner Kürass hervor, in dem Ranken und Blumenmuster geätzt worden waren. Auf den ersten Blick schien er nicht bewaffnet, aber Leif ließ sich davon nicht täuschen. Dieser Mann brauchte kein Schwert, um sie alle zu/ töten, wenn er es wollte… das Kribbeln der Magie stand im Raum, sobald er ihn betrat. Und eigentlich… war es schon vorher da gewesen, dachte der Schmied. Wie ein unheilvolles Omen, das dem Mann vorauseilte, wo immer er auch hinging.

Ein kurzes Lächeln huschte über Simons Züge, als er ohne ein Wort am Tisch Platz nahm. Ordt zögerte einen Moment, blieb dann aber an seiner linken Seite stehen, statt sich ebenfalls zu setzen.

„Ich bin, ehrlich gesagt, überrascht Euch hier zu sehen.“ Die ersten Worte des Zauberers/ überraschten Leif, schien er doch niemand bestimmtes zu meinen. Erst, als er dessen Blick/ folgte, erkannte er, dass Simon sich an Sandria wandte.

„Hat Euch Ordt nichts gesagt, dass ich hier bin?“

„Ich habe ihm nicht geglaubt.“ , erwiderter der Zauberer ruhig. „Aber es gibt… seltsame Zufälle in diesen Zeiten, nicht?“

Leif war sich nicht sicher, ob er etwas erwidern sollte. Oder was… dieses Treffen, das es gar nicht geben sollte, begann schon merkwürdig.

Simon schien die im Raum liegende Unsicherheit zu spüren. Er lachte herzhaft bis das Gelächter in einen kurzen Hustenanfall überging.

„Was hattet ihr den erwartet, dass ich ein Dämon mit acht Köpfen bin?“

„Man bekommt den Eindruck.“, erklärte Kornelius. „Und nicht zu vergessen, dass Ihr damit droht, eine ganze Stadt dem Erdboden gleich zu machen.“

„Sicher…“ Simon schien den Alten einen Moment zu mustern. „Aber Ihr habt mein Wort, das, wenn ich diesen Stein bekomme, niemanden etwas geschehen wird.“

„Euer Wort.“ Leif schüttelte den Kopf. „Und was ist das wert, wenn wir das Einzige aus der Hand geben, das Euch daran hindert uns einfach zu töten?“

Der Zauberer zuckte mit den Schultern.

„Simpler Respekt vielleicht ? Ob Ihr mir glaubt oder nicht, aber ich bewundere, zu was Ihr in der Lage wart.“ Sein Blick wanderte zu Celani. „Und ich bin ein Ehrenmann. Wenn Ihr glaubt, mein Wort zähle für mich nichts, fühle ich mich ehrlich gesagt ein wenig…beleidigt. Was ich will, ist doch, was wir alle wollen. Das dieser Krieg endet. Ich will Frieden.“

„Frieden?“ Celani sprang auf. „Ihr habt einen Krieg begonnen, meinen Clan in alle Winde verstreut, eine Schneise der Verwüstung durch das Land gezogen und….“

„Und ich leugne nichts davon.“ , erwiderter Simon mit fester Stimme. „Ich möchte Euch allerdings bitten, einmal das Ganze aus meiner Position zu betrachten. Was hätte ich tun sollen, nachdem man mir die Träne nicht aushändigen sollte? Einfach weiterziehen? Was hätte ich tun sollen? Den Kaiser einfach weitermachen lassen? Verratet es mir. Hatte ich eine Wahl? Und doch fürchte ich, dass dieser Krieg schon zu lange dauert.“

„Ihr könnt mich naiv nennen, aber wenn Ihr Frieden wolltet, könntet Ihr doch ganz einfach aufhören zu kämpfen.“, murmelte Erik.

„Frieden unter dem Kaiser, nicht Frieden nach mir.“

Sandria stand auf.

„Gibt es irgendetwas, für das Ihr euch noch keine Rechtfertigung für Eure Anhänger zurecht gelegt habt?“

„Für meine Anhänger ? Nein. Aber die brauche ich auch nicht. Sie folgen mir, so wie dem Kaiser seine Leute folgen. Weil sie an mich glauben, nicht an das wofür ich stehe. Das ist ihnen egal. Wenn ich sterben würde, wäre es vorbei. So wie der Kaiser… die Prätorianer folgen der Person des Kaisers, nicht seinen eigentlichen Zielen. Stirbt Tiberius, stirbt Canton wie er es geformt hat mit ihm. Und das ist mein Ziel.“

„Und warum bitte sollte mich das kümmern?“, fragte Leif.

„Denkt nach. Ihr habt es selbst erlebt. Tiberius geht über Leichen, wenn das seinem Ziel dient. Und wenn das bedeutet Hunderte Flüchtlinge wieder mit Gewalt zurückzujagen oder Dutzende von ihnen von einer Brücke zu stürzen….“

Celani schüttelte den Kopf.

„Und seid Ihr besser?“

„Nein. Wie ich wiederum gerne zugebe. Ich bediene mich der gleichen Methoden. Wenn man einen Feind bekämpft, der sich schon als sterblicher Gott sieht, was bleibt einem übrig? Und doch wenn ich Erfolg habe… ich will Frieden und Gerechtigkeit für die Menschheit. Nur der Weg dahin ist nicht so erreichbar. Glaubt Ihr wirklich, Worte können diese Welt verändern? Die einzige Sprache, die die Herren Cantons verstehen, ist leider nur durch Schwert und Feuer vermittelbar.“

„Frieden und Gerechtigkeit“ Die Gejarn schien lange über die Worte nachzudenken. „Nur für die Menschen. “

Simon lächelte. „Wenn nötig. Aber wenn möglich nicht nur….“

„Leere Worte. Ich weiß nicht, ob man Euch glauben kann oder nicht, aber wie Ihr selber schon sagtet, Worte ändern wenig, wenn Ihr sie nicht unter Beweis stellen könnt. Nach allem was ich gesehen habe, ist es völlig egal, ob ich dem Kaiser diesen Stein in die Hand drücken würde, oder Euch. Oder jedem anderen Möchtegernherrscher da draußen.“

„Wirklich ?“ Der Zauberer klang zum ersten Mal leicht wütend.

„Ihr wisst wenig über mich, sollten meine Worte Lügen sein und doch maßt Ihr euch so ein Urteil an. Versteht mich nicht falsch, aber das ist, worauf Eure… Möchtegernherrscher ihre Macht aufbauen.“ Simon stand nun selber auf und trat ein Stück vom Tisch zurück. Leif wusste nicht, ob der Mann schauspielerte, aber seine nächsten Worte schienen ihn Überwindung zu kosten.

„Ich glaube Ihr wisst wenig über mich. Ich war einst ein Schlächter eures Volkes, Celani und mehr. Menschen, Gejarn… ganze Dörfer und Städte verbrannten vor mir. Nicht weil dies damals irgendeinem Ziel gedient hätte, außer dem des Goldes, sondern weil es mir schlicht Freude bereitet hat. Es hat mich Jahre gekostet, einen neuen Kurs zu finden. Und… mehr als etwas Überwindung zu sehen, wie falsch ich lag. Ich habe blind für dieses Reich gekämpft. Etwas, das Euch nicht unvertraut sein sollte, Leif. Blind ohne nach dem Preis zu fragen. Heute weiß ich um die wahren Kosten. Aber ich bin bereit sie noch einmal zu zahlen. Und nicht im Blut anderer.“

„Wie meint Ihr das?“

Ordt sagte zum ersten Mal etwas: „Herr, sie haben kein Recht…“

„Schweigt.“ Simons Stimme hallte durch den Raum und der Wolf trat respektvoll wieder zurück. „Ich sterbe. Es ist ein langsamer Tod, aber er greift jetzt immer schneller nach mir. Mir bleibt schlicht keine Zeit mehr, über meine Motive zu lügen. Ich fürchte sogar, dass meine Zeit nicht einmal mehr ausreichen könnte, mein Werk endgültig zu Ende zu führen, selbst wenn ich jetzt Erfolg haben sollte.“

Leif musste einen Moment überlegen, was der Zauberer meinte. Dann jedoch fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die grauen Haarsträhnen stammten nicht vom Alter. Das gleiche war Lewyn widerfahren, wenn er Eriks Worten glauben konnte. Der Preis der Magie….

Was seine Motive auch sein mochten, in dieser Hinsicht log Simon Belfare nicht.

„Ich glaube, wir müssen uns kurz besprechen.“, meinte Erik und sprach damit genau Leifs Gedanken aus. „Und zwar alleine.“

„Wie Ihr wünscht…“ der Zauberer gab Ordt ein Zeichen und machte sich auf dem Weg aus dem Raum. Die zwei Stadtwachen, die Baltasar begleitet hatten, zogen ihm die Tür auf und der Stadtkönig selbst folgte nur wenige Augenblicke später. Nachdem die Türen wieder zugefallen waren, bleib es eine Weile lang still.

„Glaubt ihm hier irgendjemand?“ , wollte Kornelius wissen.

„Sicher nicht.“, meinte Erik. „Aber mit einer Sache hat er recht. Wenn dieser endlose Krieg nicht bald ein Ende findet, wird dieser komplette Kontinent, den Bach runter gehen. Und der einzige Weg, das zu erreichen ist, dass eine Seite siegreich sein muss. Ich glaube nicht, das der Kaiser oder Simon je miteinander reden würden.“

„Wir können ihm aber auch schlecht einfach geben was er will, oder?“, fragte Leif.

„Vielleicht doch.“, meinte Celani. „Für eine Entscheidung braucht er genau das. Aber wenn der Kaiser verliert und ihm alle Steine in die Hände fallen….“

„Dann hält ihn niemand mehr auf.“, schloss Korneliu „Und ich habe schon noblere Männer wie Simon gesehen, die von bloßer Macht korrumpiert wurden. Selbst wenn ich ihm jedes Wort glauben würde, die Tränen können unmöglich alle in der Hand eines einzelnen Menschen bleiben. Die Macht die derjenige haben würde wäre… unvorstellbar.“

„Wir machen also unseren eigenen Plan.“, stellte Kornelius fest.

„Genau das.“ Celani schien einen Moment nachzudenken.

„Das birgt ein ziemlich großes Risiko, aber ich denke, es ist machbar.“

„Also gut, vorausgesetzt, Simon gewinnt und hat die Tränen… wie nehmen wir sie ihm wieder ab?“ , wollte Sandria wissen.

„Zufälligerweise ist genau Simons Sieg der perfekte Augenblick dafür. Die Steine werden keine Macht mehr haben, wenn er sie wirklich einsetzt…. Und damit sind sie, fürs Erste auch nicht mehr für einen Zauberer spürbar… vermutlich für eine ganze Weile. Wenn wir sie dann an einen Ort bringen, wo sie für ihn unerreichbar sind, wird er große Schwierigkeiten haben, sie je wieder zu finden.“

„Das beantwortet aber noch nicht die Frage, wie wir sie wieder in unseren Besitz bringen.“, merkte Leif an.

Erik lächelte.

„Glaubt mir, da wird sich eine Gelegenheit finden. Ich dachte in diesem Fall sogar über eine ganz besondere Gegebenheit nach….“

 

 

 

Keine halbe Stunde später kehrte Simon Belfare schließlich in die Halle zurück, in seiner Begleitung Ordt. Nur der Stadtkönig fehlte....

„Wo ist Baltasar?“ , wollte Leif plötzlich misstrauisch wissen.

„Er wurde eben zu den Stadttoren bestellt.“, erklärte der Wolf. „Offenbar gibt es Probleme. Die Streitmacht des Kaisers hat keine Abmachung, sich von der Stadt fern zu halten und offenbar sind vor wenigen Augenblicken, die ersten Späher aufgetaucht. Außerdem gab es wohl einen Vorfall an den Stadttoren.“

„Darf ich erfahren ob Ihr Euch schon entschieden habt?“ ,fragte Simon derweil.

„Ihr bekommt, was Ihr wollt.“, antwortete Celani. „Unter den gegebenen Bedingungen. Erindal bleibt unangetastet und wir frei zu gehen oder zu bleiben. Außerdem werdet Ihr meinen Clan entschädigen, sobald Euch das möglich ist.“ Leif sah einen Moment zu der Gejarn herüber. Das war allerdings nicht Teil der ursprünglichen Abmachung gewesen….

„Alles Bedingungen, mit denen ich mehr als einverstanden bin.“, antwortete der Zauberer beinahe etwas zu schnell für Leifs Geschmack.

„Und noch mehr, wenn dem so sein soll. Doch zuerst müsste ich den Stein zumindest einmal sehen. Keine Sorge, ich bleibe so weit weg davon wie für eure Sicherheit nötig.“

Celani erhob sich.

„Ich müsste ihn erst holen.“

Simon nickte.

„Dann tut das. Bitte. Aber lasst Euch Zeit. Wir wollen nicht, dass Ihr das Armband fallen lasst und die Träne splittert. Das ließe von Erindal vermutlich nur einen rauchenden Krater übrig. Und von uns.“

Leif schüttelte lediglich den Kopf, während die Gejarn den Saal verließ. Hatte der Zauberer grade versucht einen Witz zu machen?

 

 

 

Kapitel 39

Opfer

 

 

 

 

 

Celani schloss die Tür hinter sich, als sie den Raum erreichte, in dem sie das Armband zurückgelassen hatte. Vor der Tür warteten ein Dutzend von Baltasars Soldaten. Selbst für einen Zauberer würde die kleine, aber schlagkräftige Truppe wohl eine Herausforderung darstellen. Nur… ging es nicht mehr länger darum, Simon daran zu hindern, den Lichtbringer in seine Hände zu bekommen. Jetzt ging es darum, ihm genau das zu bringen.

Die Gejarn nahm den Silberreif einen Moment in die Hand. Auf eine Art wäre es eine unendliche Erleichterung, das Artefakt endlich los zu sein. Auf der anderen… taten sie das Richtige? Wenn Eriks Plan nicht aufging… dann wussten sie nicht, welche Folgen das haben konnte. So oder so, für den Moment musste sie es noch ein letztes Mal tragen. Was danach passierte, das war Schicksal.

Celani trat aus dem Raum wieder auf einen der Flure im Stadtpalast heraus. Zwei der, mit Hellebarden bewaffneten, Wachen vor der Tür, schlossen sich ihr ohne ein Wort an. Je schneller sie es hinter sich brachte, desto besser. Trotzdem erschein ihr der Rückweg länger als der Hinweg. Ihre Schritte hallten von den Sandsteinmauern, mit ihrem Mosaik aus vielfarbigen Schichten, wieder. Geister, was tat sie eigentlich, wenn das alles vorbei war? Es war das erste Mal, dass sie sich wirklich über diese Frage Gedanken machte. Vorausgesetzt alles ging gut… von ihrem Clan war nichts mehr übrig. Die Verstreuten würden sich erst wieder sammeln müssen….

Und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war… sie wollte Leif eigentlich nicht wieder verlassen. Zumindest nicht, wenn er das genau so sah. Was sie für den Mann empfand, war schwer in Worte zu fassen. Vielleicht war es anfangs einmal simple Dankbarkeit gewesen. Er war seltsam für einen Menschen und schnell ihr Freund geworden. Aber Liebe war ein Schritt weiter. Celani wusste nicht zu sagen, wann sie das erste Mal wirklich an mehr als einen simplen Freund gedacht hatte, wenn sie Leif ansah… es war ein schleichender Prozess gewesen und die Gejarn war auf eine unvertraute Art glücklich damit. Der Schmied hatte einmal gesagt, er würde gerne in Erindal bleiben, aber ob das nach all dem noch galt….

Sie würde ihn fragen müssen, wenn sie die Gelegenheit fand. Sie würden sich schon etwas ausdenken. Celani lächelt bei dem Gedanken. Ein ganz normales Leben. War das nach all dem überhaupt noch möglich?

Sie verstand zu spät, was als Nächstes geschah. Als die Gejarn und ihre Begleiter in den nächsten Gang einbogen, spürte sie ein vertrautes Kribbeln in den Füßen. Ein merkwürdiges Gefühl, als wären ihre Beine eingeschlafen.

In dem Moment, wo ihr klar wurde, was das bedeutete, war es auch schon zu spät. Magie….

Irgendetwas war nicht in Ordnung.

„Vorsi…“

weiter kam Celani nicht, als eine ohrenbetäubende Explosion sie auch schon rückwärts schleuderte. Schutt und Trümmer füllten die Luft und Staub stieg in dichten Wolken auf. Ihre zwei Begleiter waren näher an der Quelle des vernichtenden Zaubers und wurden mit knochenbrechender Gewalt gegen die nächste Wand geschleudert… und noch durch diese hindurch. Die Waffen wurden ihnen aus der Hand geschleudert und landeten scheppernd im Staub. Sie selber landete schmerzhaft auf dem Rücken, während um sie herum die Überreste der Wand zu Boden regneten.

Celani griff nach einer der zersplitterten Hellebarden und richtete sich, diese als Stütze nutzend, langsam wieder auf. Sie blutete aus mehreren tiefen Schnittwunden. Ein Holzsplitter hatte sich in ihr linkes Bein gegraben und trat auf der anderen Seite wieder aus.

„Verflucht…“

das Bein wollte ihr nicht mehr richtig gehorchen und die Gejarn hatte Probleme, auf den Füßen zu bleiben. Die Welt wirkte verschwommen und in ihren Ohren hatte ein beständiger pfeifender Ton eingesetzt, der alle Geräusche dumpf werden ließ.

Als sich der, durch die Explosion aufgewirbelte, Staub schließlich legte, konnte sie sehen, dass in der Fassade des Palastes ein breites Loch klaffte. Tageslicht fiel herein und enthüllte einen der Gärten, die um den Komplex herum angelegt waren. Und die Ursache für den Zauber. Ein Mann in brauner Kapuzenrobe trat durch die Trümmer, gefolgt von drei weiteren, die schwarze Plattenpanzer trugen. Alle versehen mit dem silbernen Drachenemblem des Kaiserreichs. Das war doch nicht möglich… weglaufen konnte sie nicht. Was sollte sie tun? weghumpeln? Sie packte die kaputte Lanze, die der Gejarn als Stütze diente, etwas fester.

Der fünfte Mann in der Gruppe sorgte dafür, das Celani endgültig erstarrte, wo sie war. Die weißblonden Haare waren unschwer zu verkennen. Robert, der Hauptmann der Prätorianer. Es war egal, wie sie hierhergekommen waren. Es war egal, wie viele sie waren…

Celani machte einen vorsichtigen Schritt zurück, der Schmerz jedoch, der dabei durch ihren Körper jagte, sorgte dafür, dass sie nicht weit kam. Weglaufen war nach wie vor keine Option.

Es war egal. Hoffentlich hatten die anderen die Explosion gehört. Sie müsste die Prätorianer nur irgendwie solange hinhalten. Immerhin hatte sich die Frage erledigt, wie das hier für sie ausging. Verzeih mir Leif, dachte sie kurz. Aber das war das Ende….

 

 

 

„Wo bleibt sie?“ Leif ging unruhig auf und ab, während die anderen stumm am Tisch warteten.

Ordt hatte sich derweil an eines der Fenster gestellt und sah hinaus in die Gärten. Noch immer fehlte Baltasar und der Schmied rechnete schon nicht mehr damit, dass der Stadtkönig noch rechtzeitig wiederkommen würde. Verständlich, wenn er wirklich die Tore sichern musste, nachdem Tiberius Späher in der Gegend gesichtet worden waren. Das konnte einfach nichts Gutes bedeuten.

Ruhig bleiben, sagte er sich selbst. Innerhalb der Stadtmauern konnte ihr kaum etwas geschehen und selbst wenn… wer war er, dass er ein Auge auf sie haben musste? Sie war mehrere Monate alleine klargekommen und dabei immerhin Simon entkommen.

Aber irgendwie gehörte das wohl dazu, dachte er und musste über sich selber schmunzeln. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er geglaubt, nie wieder so fühlen zu/ können. Es war schön, ein Gefühl, das etwas was er zu lange vermisst hatte wieder da war, wo es hingehörte. Und er wusste jetzt schon sicher, dass er Celani nicht mehr vermissen wollte, was immer auch kam, wenn das hier alles endlich vorbei war… solange sie das wollte, würden sie sich dem zusammen stellen.

Der Schmied wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als ein schwerer Schlag durch das ganze Gebäude lief. Die Wände zitterten einen Moment und kleinere Steinsplitter rieselten von der Decke herab.

Ordt riss sofort die Klinge hoch und wirbelte zu ihnen herum.

„Was war das?“ , verlangte er sofort zu wissen.

Leif ignorierte den Wolf, der sich nach allen Seiten umsah. Es war völlig egal, was das grade gewesen war. Das war alles nur kein Zufall. Und das hieß sie hatten ein Problem.

Celani… bevor ihn jemand aufhalten konnte, rannte der Schmied auch schon los, während die anderen hinter ihm zurück blieben und ihm kaum folgen konnten. Noch im Rennen zog er das Schwert. Wehe er kam zu spät….

 

Robert zog die Klinge aus dem letzten Torwächter, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Im gleichen Moment streifte er den zerlumpten Umhang ab, den er trug. Es war beinahe lächerlich einfach gewesen, in der Verkleidung als Flüchtling, bis an die Stadttore von Erindal heranzukommen. Und ihnen dann noch angebliche Berichte über Späher der Armee zu überbringen, um sie dazu zu bekommen, die Tore zu öffnen… die Wachen waren zu überrascht gewesen um groß Widerstand zu leisten. Die anderen seiner Einheit lieferten sich noch kleinere Gefechte mit den Soldaten der Stadt, darunter einem älteren Mann in bunter Kleidung, der ein gebogenes Kurzschwert schwang. Tatsächlich gelang es ihm, einem der Prätorianer eine schwere Wunde beizubringen und der Mann stolperte zurück. Blut strömte aus einer tiefen Wunde an seinem Hals und Robert sah schon, wie sein Blick trüber wurde. Der Fremde und seine verbliebenen Wächter wandten sich sofort den restlichen Angreifern zu.

Eine Kugel jagte dicht an Robert vorbei und fällte den Mann neben ihm.

Der Prätorianer sah nur noch einen Moment zu, bevor er sich selber wieder in die Schlacht stürzte. Das war kein einfacher Kämpfer und von seiner Kleidung her… der Stadtkönig selbst am Ende?

Robert erledigte eine Stadtwache, die sich ihm in den Weg stellte. Den schwarzen Wappenrock blutdurchtränkt, brach sein Gegner zusammen, bevor sich ihre Klingen einmal gekreuzt hatten. Weich. Allesamt. Erindal war eine Händlerstadt und vermutlich hatte keiner dieser Männer, je auf einem echten Schlachtfeld gestanden. Trotzdem beeindruckte ihn die Verbissenheit, mit der sie sich seiner kleinen Truppe entgegenstellten.

Robert hatte den Mann mit dem Krummschwert erreicht und attackierte ihn sofort. Stahl prallte in rascher Folge auf Stahl. Der Prätorianer fand seinen ersten Eindruck bestätigt. Auch wenn der Mann älter war, kämpfte er geschickt. Geschickt, aber streng nach Form. So wie jemand, der noch nie in einer echten Kampfsituation gewesen ist. Robert war das Spiel schnell müde und wartete nur darauf, dass der Mann das nächste Mal einen Fehler machte, dann schlug er sofort zu… nur um festzustellen, dass sein Angriff sauber pariert wurde. Offenbar war Baltasar, der Stadtkönig doch eine Herausforderung. Das könnte interessant werden, dachte Robert. Endlich ein Gegner….

Ein Schuss hallte über das Feld und Baltasar erstarrte in der Bewegung.

Robert trat rasch zurück, als der Mann mit einem Loch im Rücken zusammensackte. Der verantwortliche Schütze stand nur ein paar Schritte entfernt und ließ die Arkebuse sinken. Was für eine Schande. Doch nun waren die Tore frei.

„Nach Erindal, los.“, wies er seine Leute an. Bevor jemand das Massaker hier bemerkte mussten sie haben, weswegen sie gekommen waren und wieder aus der Stadt verschwinden. Robert sah einen Moment zurück über das kleine Schlachtfeld. Neben einem Dutzend Wachen waren auch drei seiner eigenen Leute im Staub zurück geblieben. Die, die/ ihm bleiben, mussten einfach reichen. Während sie durch die Tore in die Straßen der Stadt/ stürmten, winkte er einen Mann in brauner Robe zu sich. Der Zauberer würde sie führen müssen. Wo immer die Träne war, er würde sie finden….

Robert folgte dem Hexer, während sie durch die Straßen hetzten. Die Leute sprangen beiseite, als die Gruppe sich ihren Weg durch die Menge bahnte, wenn nötig unter Waffeneinsatz. Es ging jetzt um Augenblicke. Wenn Alarm geschlagen wurde oder die Tore verriegelt wurden, dann säßen sie fürs Erste hier fest. Robert folgte dem Zauberer, als dieser schließlich aus den Straßen hinaus auf eine große Grünfläche eilte. Am anderen Ende der Gärten, erhob sich ein weitläufiger Sandsteinbau, der auf dieser Seite von einem Balkon umlaufen wurde. Als sie zwischen die schweren Säulen traten, die den Vorsprung hielten, blieb der Zauberer schließlich vor einer Wand stehen.

„Irgendwo da drin. Es ist jetzt ganz nah, praktisch auf der anderen Seite.“, keuchte der Magier , während Robert sich an ihm vorbei drängte. Er hatte das teigige Gesicht eines Mannes, der mehr Zeit mit Büchern als an der frischen Luft verbrachte. Aber für ihre Zwecke war er mehr als ausreichend.

„Dann los, worauf wartet Ihr?“, fuhr der Prätorianer ihn an.

„Bringt uns hinein.“ Der Zauberer wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Sofort… das ist kein simpler Zauber…“ Er legte die ausgestreckte Hand auf den Stein der Mauer und schloss einen Moment die Augen. Robert wollte den Mann schon fragen, was ihn so lange aufhielt, als die Wand plötzlich einen unfreiwilligen Satz nach vorne zu machen schien. Risse liefen durch das Gestein, dann implodierte ein kompletter Teil der Fassade.

Robert hielt sich den Arm vors Gesicht, als Splitter und Trümmer um sie herum zu Boden gingen, dann trat er mit den anderen durch die aufgewirbelte Staubwolke. Als sich der Rauch verzog, fand er einen zerstörten Gang vor. Zwei tote Soldaten mit den Wappenröcken Erindals, lagen, halb durch die nächste Wand geschmettert, am Boden. Sein Blick wanderte rasch weiter und blieb schließlich bei der einigen noch lebenden Gestalt im Gang hängen.

Die Gejarn hielt sich nur noch, mit einer in der Mitte zerbrochenen Hellebarde, aufrecht. Splitter hatten tiefe Wunden gerissen und ein Stück von einem Ohr fehlte. Es wunderte den Prätorianer einen Moment, dass sie überhaupt noch lebte. Letztlich interessierte ihn aber ohnehin nur das Armband, das an ihrem Handgelenk glitzerte.

„Das könnt Ihr… vergessen.“, erklärte sie mit zitternder Stimme, als Robert einen Schritt auf sie zumachte. Mühsam hob sie die Hellebarde. Was glaubte sie eigentlich überhaupt gegen ihn ausrichten zu können? Er hatte wahrlich nicht mehr die Zeit für so etwas.

Robert trat vor, im gleichen Moment schwang die Gejarn, was von der Klinge übrig geblieben war… und traf. Der Prätorianer war nur einen Moment zu langsam. Eine klaffende Wunde im Gesicht, stolperte Robert rückwärts. Ein zufriedenes Lächeln trat auf Celanis Gesicht. Noch bevor die Gejarn jedoch wieder einen sicheren Stand fand, verpasste er der Verwundeten einen Hieb mit einem der Panzerfäustlinge, die er trug. Der Schlag brachte die, ohnehin schon am Ende gewesene Gestalt, endgültig aus dem Gleichgewicht. Die Gejarn stürzte zu Boden.

Robert schüttelte nur den Kopf. Was für eine verfluchte Verschwendung. Zeit, dass er sich den Armreif holte und sie von hier verschwanden….

Schritte, die den Gang hinauf kamen, ließen ihn jedoch inne halten.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 40

Der Jagdzauber

 

 

 

 

 

Leif kam stolpernd zum Stehen, als er den Gang erreichte. Die anderen hatte er lange abgehängt. Selbst Ordt, der anfangs noch mit ihm Schritt gehalten hatte, war mittlerweile weit hinter ihm zurück geblieben. Lediglich ihre Schritte konnte er noch irgendwo in der Ferne hören.

Keuchend richtete sich der Schmied auf. Er sah Robert, sah die Prätorianer, den Zauberer und die zerstöre Wand. Und die blutüberströmte Gestalt am Boden….

Einen Moment waren alle wie erstarrte, als hätte jeder Angst, sich zu rühren. Dann trat eine, in eine braune Robe gekleidete, Gestalt vor. In den Stoff war ein schwarzes/ Drachenemblem gestickt. Zauberer, schoss es Leif durch den Kopf. Aber das einzige was Leif wirklich interessierte, war die Gestalt auf dem Boden. Das Schwert fiel ihm aus der Hand, als er an Celanis Seite stürzte.

Robert gab dem Magier ein Zeichen, zu bleiben wo er war. Seine Mine schien ein Wechselspiel aus Verwirrung und Abscheu zu sein.

Der Schmied beachtete die umstehenden Bewaffneten nur aus den Augenwinkeln, während er die regungslose Gestalt der Gejarn zu sich zog. Er durfte schlicht nicht zu spät sein… nicht jetzt. Nicht ausgerechnet jetzt.

Sie atmete noch… die Welle der Erleichterung, die ihn überrollte, war jedoch nur von kurzer Dauer. Celanis Brust hob sich noch schwach, aber regelmäßig. Die Frage war nur… wie lange noch. Er brauchte Erik. Sofort. Der Arzt konnte nicht zu weit hinter ihm gewesen sein.

„Hebt gefälligst Euer Schwert auf, Leif.“, riss ihn Roberts Stimme aus seinen Gedanken. „Ich tötet Euch nicht unbewaffnet.“

Wut flackerte in Leif hoch. Er hatte keine Zeit für so was.

„Nein.“ Ohne den Prätorianer auch nur zu beachten, schob er das Schwert wieder in seinen Gürtel, und hob die nach wie vor bewusstlose Gejarn auf. Celanis Gestalt war leicht… zu leicht, wie er dachte. Innerhalb von Augenblicken waren seine Kleider und Arme rot. Wie viel Blut hatte sie schon verloren? Zu viel, meinte eine Stimme in seinem Kopf. Viel zu viel. Leif hatte Mühe, ihr keinen Glauben zu schenken, während er sich umdrehte. Robert wollte ihn nicht töten? Schön, nicht sein Problem….

Bevor er einen Schritt machen konnte, stellte sich ihm jedoch der Zauberer in den Weg.

„Eure Ritterlichkeit, Robert, wird uns nicht daran hindern uns zu nehmen, weswegen wir gekommen sind. Das Armband, Verräter. Jetzt.“

Leifs Gedanken rasten. Götter, er hatte schlicht keine Zeit für so etwas. Robert bedeutete den Prätorianern nach wie vor, sich zurückzuhalten. Aber in dem Moment, wo Leif die Waffe zog….

Selbst wenn er sie alle besiegen könnte, das würde zu lange dauern.

„Lasst mich einfach gehen.“, erklärte er lediglich.

„Ihr bekommt, was Ihr wollt, aber lasst uns dann endlich in Ruhe.“ Mit einer Hand löste er den silbernen Reif vom Handgelenk der Gejarn. Das glitzernde Metall war ebenfalls bereits von Blut dunkel gefärbt. Einen Moment hielt er das Artefakt noch in der Hand. Verflucht, was sollte es. Er hatte nie wieder etwas mit diesem Krieg zu tun haben wollen.

„Nehmt es gefälligst.“

Der Schmied hielt dem Zauberer den Armreif hin.

„Vernünftig.“ , meinte der Mann und streckte die Hand aus. „Wie Ihr seht Robert, manchmal sollte Euer Ehrgefühl Euch nicht im Weg…“ der Magier verstummte im Satz und gab ein Keuchen von sich. Blitzender Stahl ragte aus seiner Brust. Als er vornüberkippte, zog Ordt die Klinge aus dem reglosen Körper.

„Kommt schon, weg hier.“, rief der Wolf, während jetzt Bewegung in die verbliebenen Prätorianer kam. Leif ließ sich das nicht zweimal sagen, schob sich das Armband über das Handgelenk und rannte los, darauf bedacht, Celani nicht fallen zu lassen. Ein Blick zurück zeigte ihm, das Ordt dicht auf seinen Fersen blieb. Ein Schuss hallte durch den Gang und die Kugel schlug Gesteinssplitter aus einer der Wände. Feuerwaffen. Das hatte grade noch gefehlt, dachte Leif. In den Gängen konnten sie nirgendwo ausweichen. Er hechtete um eine Ecke und wäre beinahe in Simon hereingerannt, der mit wehendem Mantel stehen blieb.

„Ordt?“, wollte der Zauberer wissen. „Was ist hier los?“

Der Gejarn kam ein Stück hinter dem Schmied zum stehen.

„Prätorianer, eine ganze Truppe wie es aussieht. Sind in den Palast eingedrungen.“

Im gleichen Moment kamen auch schon die verbliebenen kaiserlichen Soldaten um die Ecke gelaufen. Ihre Plattenpanzer machten sie langsamer als ihre Ziele, dennoch waren sie ihnen dicht gefolgt.

Robert kam ebenfalls schlitternd zum stehen, als er Ordt, Leif mit Celani und den Neuankömmling erblickte. Er konnte wohl nicht sicher sein, wen er da vor sich hatte, aber er konnte es sich sicher denken.

Der Prätorianer schüttelte den Kopf.

„Ihr Verbündet Euch mit unserem größten Feind Leif?“

„Euer Feind.“ , erklärte der Schmied aufgebracht. Nach wie vor lief ihm die Zeit, mit jedem Tropfen Blut den die Gejarn verlor, davon. Er wollte weiterrennen. Sollten Simon und Ordt sehen, wie sie mit den Prätorianern klarkamen. Ohne einen eigenen Zauberer, sollte Belfare doch eigentlich leichtes Spiel haben.

Bevor er jedoch dazu kam, zog Robert einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche. Es war eine weiße Murmel, oder zumindest wirkte es auf Leif so.

„So sei es denn.“ , erklärte der Hauptmann der Prätorianer. „Ihr entkommt kein zweites Mal Leif. Und jetzt kann ich Euch und diesen Emporkömmling gleichzeitig vernichten.“

Robert holte aus und schmetterte die Kugel auf den Boden. Statt jedoch dort zu zerschellen, wie Glas es getan hätte, prallte sie davon ab, sprang zur Decke… und zerfloss plötzlich. Fäden, durchscheinend wie Nebel, tropften zu Boden und sammelten sich dort. Aber das war kein Nebel, wie Leif schnell klar wurde, als sich der Dunst über den Boden ausbreitete und dabei langsam stieg. Wie Wasser… Robert und seine Leute wichen ebenfalls vor der sich aufbauenden Dunstwand zurück und Leif verlor sie rasch aus den Augen, als der Zauber weiter bis zur Hallendecke stieg. Irgendwo in der Wand aus Nebel pulsierte ein unstetes Licht, das in Übelkeit erregenden Farben schillerte.

„Was ist das?“ , wollte Ordt wissen und sprach damit genau Leifs Gedanken aus.

Der gräuliche Schleier schien ständig seine Form zu verändern. Mal zog sich der Dunst zusammen und bildete eine fast Humanoid wirkende Gestalt, dann zerfloss er wieder zu nichts. Dann endlich verdichtete sich der lebendige Nebel zu etwas, das entfernt an ein Gesicht erinnerte. Ausgemergelt, Altersschwach, mehr ein Totenkopf, als etwas, das man bei einem lebendigen Wesen erwartete, aber klar erkennbare Züge. Die pulsierenden Lichter schlossen sich zu zwei glühenden Punkten zusammen. Augen… und sie fokussierten sich genau auf Leif.

Die Nebelwand floss langsam auf sie zu. Der Schmied wich einen Schritt zurück und im selben Moment wurde die graue Barriere ein Stück schneller. Götter, das Ding suchte ihn….

Simon ließ sich durch den Zauber offenbar nicht beeindrucken.

„Ein Jagdspruch. Seltsam, das Euer Prätorianer glaubt, das könnte uns gefährlich werden. Hinfort.“ Der Magier riss eine Hand hoch, aus der sich ein gleißend heller Blitz löste. Der Energiebolzen schlug in die Dunstschleier und riss sie einen Moment auseinander. Ansonsten jedoch geschah nichts.

„Das ist allerdings durchaus beunruhigend.“ , murmelte Simon mehr zu sich selbst, als das er jemanden von ihnen Ansprach.

„Lauft.“ Das lies Leif sich nicht zweimal sagen. Sobald er ein paar Schritte gemacht hatte, schwebte der Zauber allerdings auch schon mit atemberaubendem Tempo hinter ihnen her. Mochten die Götter und Geister wissen, was geschah, wenn er sie einholte. Der Schmied jedenfalls war fest entschlossen, es nicht herauszufinden, um seinen und um Celanis Willen. Simon setzte an ihm vorbei und warf immer wieder einen Blick zurück auf die sie verfolgende Nebelgestalt. Der Hexer wirkte nicht zu beunruhigt, eher neugierig, aber war da nicht ein kleines Aufflackern von Furcht in seinen Augen?

Ordt hingegen war deutlich anzumerken, dass ihm die Sache nicht geheuer war. Sein Fell war deutlich sichtbar aufgestellt und er wagte es scheinbar nicht, dem Blick seines Herren zu folgen.

„Wir sollte uns aufteilen.“, rief Leif. „ich glaube es ist hinter mir her.“

„Seid Ihr Euch da Sicher?“, wollte Ordt wissen.

„Im Zweifelsfall reicht es wirklich, wenn einer von uns draufgeht. Und es kann sich schlecht aufteilen.“ Er wurde langsamer, als sie sich einer Abzweigung näherten und auch der Wolf hielt an.

Der Schmied zögerte einen Moment, dann übergab er dem Gejarn Celani.

„Passt auf sie auf. Bringt sie zu Erik, so schnell wie möglich. Wenn ihr was passiert…“ er brachte den Satz nicht zu Ende, aber offenbar kam die Botschaft an.

Ordt nickte.

„Ihr habt mein Wort.“

Leif betete einen Moment, dass er Recht behielt, dass der Spürzauber wirklich nur ihm folgen wollte… dann rannte er weiter, während der Gejarn und Simon eine andere Route durch die Palastflure wählten. Die Nebelwand schwebte mittlerweile nicht mehr bloß über den Boden. Wie von einem Sturmwind getrieben, jagte der dunkelgraue Malstrom hinter dem Schmied her, der kaum noch den Abstand halten konnte. Er warf sich durch die nächste offen stehende Tür in einen kleinen Speisesaal und hechtete sofort weiter, über Tische und Stühle hinwegsetzend. Der Zauber hinter ihm blies einfach die Türen auf und wirbelte Geschirr wie Besteck durcheinander, das scheppernd zu Boden ging. Leif warf sich durch ein glasloses Fenster auf der anderen Raumseite und landete in einem Kreuzgang. Wo entlang als nächstes ? Es spielte kaum eine Rolle. Er war außer Atem und konnte so schlecht ewig/ weitermachen. Und wenn schon Magie nichts gegen den magischen Nebel ausrichten konnte, was sollte er dann mit einem Schwert anfangen? Hinter ihm drang der Nebel jetzt durch die Fenster und formierte sich neu.

Wenigstens hielt er es so von Ordt und den anderen fern.

„Na komm schon.“, rief er herausfordernd. Nach rechts führte ein Weg über die Palastgärten nach Erindal. Dieser Weg war ausgeschlossen. Wenn er dieses Ding in die Stadt brachte, würden Hunderte sterben. Und die Pforte hinter ihm war verriegelt. Die Tür zu seiner Linken hingegen stand offen und führte wieder in den Palast hinein.

Ohne darauf zu warten, ob ihn der Zauber verfolgte, rannte er weiter. Mittlerweile ging sein Atem nur noch keuchend und jeder Schritt brachte seine Muskeln zum brennen. Er konnte vielleicht noch eine Minute rennen, mit etwas Glück Zwei, aber dann würde ihn der Nebel zwangsweise einholen.

Die Palastflure jagten an ihm vorbei und er wusste längst nicht mehr, wo er sich befand. Aber sein Jäger hatte eben einen Moment gebraucht, um sich wieder zu sammeln, nachdem er ihn gezwungen hatte, ihm durch die Fenster zu folgen. Vielleicht funktionierte das noch einmal. Zumindest würde es ihm ein paar Augenblicke mehr Zeit verschaffen. Leif stieß die erste Tür auf, auf die er traf… und stolperte in den Thronsaal von Erindal.

Im Raum standen Kornelius, Simon , Ordt und die anderen. Erik und Sandria hatten einen der Tische freigeräumt um Platz für Celani zu schaffen…

„Leif ?“ Ordt blinzelte. „Habt Ihr es abgehängt?“

Wie um die Frage zu beantworte, verdunkelte ein Schatten die Fenster draußen. Dunkler Nebel quoll durch die Öffnungen in den Raum und nahm langsam wieder die Gestalt eines ausgezehrten Schädels an. Erik sah auf und machte ein paar Schritte zurück, während der Zauber noch regungslos verharrte, scheinbar auf der Suche nach seinem Ziel.

„Bei allen Geistern…“ der Arzt besah sich den Jagdzauber mit weit aufgerissenen Augen. „Da hat jemand mit Magie gespielt, die ihn überhaupt nichts angeht….“

„Ach wirklich?“, rief Leif zu dem Mann herüber. „Sagt mir lieber, wie man das Ding los wird.“

„Keine Ahnung ich meine…“ Eriks Augen irrten hektisch zwischen dem Zauber und Leif hin und her. Plötzlich glomm ein kleiner Funke darin auf. „Leif, hört mir jetzt sehr genau zu. Dieser Zauber braucht magische Energie um so lange fort zu existieren. Es gibt keinen Zauberer der ihn versorgt, also zieht er sie direkt aus seiner Umgebung.“

„Das ist sowas von überhaupt nicht hilfreich.“, schrie Leif. Eine Rauchsäule jagte aus der Nebelfront heraus unter der sich der Schmied grade noch wegduckte. Eiskristalle bildeten sich auf seinem Rücken, dort wo ihn der Zauber streifte und seine Kleidung fror augenblicklich durch.

„Ich dachte es wäre vielleicht hilfreich.“, erwiderte der Arzt.

Simon mischte sich ein.

„Solch ein Spruch ist extrem instabil. Wen Ihr ihn nur einen genügend starken Stoß versetzen könntet….“

„Mit was den, das Ding ist aus Nebel…“ Leif hielt inne, als sein Blick auf seinem Handgelenk hängen blieb. Er konnte ihm keinen physischen Stoß versetzen. Das war richtig. Aber wenn es seine Energie aus seiner direkten Umgebung zog….

Er nahm das Armband mit Falamirs Träne ab. Götter, hoffentlich ging das gut. Der Zauber schoss vor, eine Wand aus Finsternis, die ihn innerhalb weniger Herzschläge erreicht hatte. Er war ja sowas von tot … Leif warf den Armreif. Das silberne Schmuckstück glitzerte einen Moment in der Sonne, bevor es im Nebel verschwand.

Leif blinzelte. Der Zauber war direkt vor ihm erstarrt. Er hätte nur die Hand ausstrecken brauchen um ihn zu berühren. Und sein Atem stand als kleine Eiswolke vor ihm.

Farbige, ölige Schatten tanzten in der Tiefe der magischen Wolke. Zusammen mit den im Takt mit Leifs Herzschlag pulsierenden Lichtern. Plötzlich leuchteten die glühenden Punkte grell auf. Lichtstrahlen brachen aus dem Zauber hervor und blendeten Leif einen Augenblick. Die atemraubende Kälte wich sengender Hitze, die die Haare auf seinen Armen verbrannte. Dann war alles vorbei. Von einem Moment auf den anderen fiel die Wolke in sich zusammen, bis sie wieder die Größe einer Murmel annahm… und schließlich gänzlich verschwand. Das Armband schlug klirrend auf dem Boden auf, das Farbenspiel im darin eingelassenen Opal erlosch. Risse zogen sich wie von Geisterhand durch den Stein… dann zersprang er einfach.

Leifs Beine gaben unter ihm nach. Geschafft…sein Blick wanderte über die Anwesenden und blieb schließlich bei Erik hängen.

„Wie geht es Celani?“

Der Arzt schloss einen Moment die Augen.

„Nicht gut.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 41

Wunden

 

 

 

 

 

Erik ging aufgebracht auf und ab. Doch die Wut des Unsterblichen war gegen niemand Bestimmtes gerichtet. Zumindest gegen niemand, der für ihn greifbar gewesen wäre. Immer noch lagen die Splitter der zerstörten Träne Falamirs über den Boden des Thronsaals verstreut, jedoch war er der Einzige, der von ihnen in der Halle zurück geblieben war. Er und die Gejarn, die sich unruhig regte. Er hatte vielleicht die Blutungen stoppen können, aber ob das ausreichte war eine andere Frage.

Der Arzt hatte den Schmied und alle anderen letztlich aus dem Raum scheuchen müssen, um in Ruhe arbeiten zu können und da Leif leider recht… schwer zu überzeugen sein konnte, hatte er den nun herrenlosen Thron vor die Tür geschoben.

Noch war nichts sicher. Auch nicht, was Simon tun würde, jetzt wo die Träne verloren war. Nur eines war klar: Der Kaiser war auf dem Weg. Und damit eine Schlacht, die alles entscheiden müsste. Der Zauberer, hatte seinerseits, seine Leute nach Erindal gerufen und so weit das Auge reichte, lagerte nun die Armee um die Stadt herum. Von Robert und seinen Prätorianern war nichts mehr zu finden gewesen, nachdem Ordt mit einer Handvoll Soldaten den gesamten Palast durchkämmt hatte.

Doch Erik beschäftigte momentan ein ganz anderes Problem. Er hatte Lewyn retten können. Warum nicht noch einmal ? Aber er kannte die Antwort. Weil ein anderer in der Nähe war. Er hatte sich schon eigemischt. Und doch war er so weit, das ihm das mittlerweile egal war. Sollten sie ihn doch stoppen, wenn sie glaubte das zu können. Mit einem Ruck drehte er sich herum und trat an den mit Kissen gepolsterten Tisch, auf dem Celani lag.

„Erik. Was glaubst du da zu tun?“ Eine Windböe fuhr durch den Raum und manifestierte sich in einer Ecke zu einer Gestalt. Eine graue Löwin trat daraus hervor. Mhari….

„Na, zu was Euch offenbar der Mut fehlt.“, erklärte er aufgebracht.

Die Gejarn schüttelte den Kopf.

„Du kennst die Regeln.“

„Verflucht seien Eure Regeln.“ Der Arzt wirbelte herum, keinen Schritt mehr von Mhari entfernt. Etwas Gefährliches blitzte in seinen Augen auf. „Mich hat niemand gefragt, ob ich daran gebunden sein will. Ihr habt mich benutzt, wie der Bauer, der ich für Euch war. Bis es zu spät war, mich zu entscheiden.“

„Erik, bitte fordere mich nicht heraus.“ Ihre Stimme hatte etwas Flehendes. Ein silbriger Schimmer legte sich über ihre Gestalt. „Du weißt, wie das ausgehen muss.“

„Dann halt mich doch auf.“, erklärte der Arzt. Die Schatten schienen sich um seine Gestalt zusammenzuziehen. „Los… Vernichte mich einfach. Wenn Du das denn kannst.“

Die Löwin trat einen Schritt zurück und der Lichtschimmer verlosch.

„Die anderen werden es….“

„Feiglinge. Ihr alle.“ Erik klang nicht mehr so hart wie zuvor.

Die Schatten um ihn zerstreuten sich und ließen nur einen ausgebrannten Mann zurück. Älter, als er aussah. Verzweifelter, als er je zugeben würde.

„Bin ich denn der Einzige von uns, der noch den Mut hat, für irgendetwas einzutreten?“

„Und das ist der Grund, aus dem wir Beide noch unter den Menschen Wandeln.“, meinte sie versöhnlich. „Du warst nie damit zufrieden, nur daneben zu stehen. Dir ist erlaubt zu tun, was ein Sterblicher könnte. Tu das. Aber mehr ist Dir schlicht nicht möglich.“

Erik stützte beide Hände auf dem Tisch ab.

„Ich kann nur ihre Schmerzen lindern Mhari. Und die äußeren Verletzungen behandeln. Was die Inneren angeht, bleibt mir nur abzuwarten. Sie wird sich selber heilen müssen. Letztlich kann ich nach wie vor nicht in Körper sehen.“ Er drehte sich wieder zu der Gejarn um.„Aber wenn Du schon einmal hier bist, sieh zu von Du irgendwo frisches Leinen auftreiben kannst.“

Mhari legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Du bist ein guter Arzt, Erik. Das warst Du immer. Ich bin gleich zurück….“ Mit diesen Worten verschwand sie einfach. Eine Windböe, die sich von einem Augenblick zum anderen auflöste.

„Ja…“ Mhari hatte ihre Art einen Aufzumuntern. Und gleichzeitig wünschte er sie ins ewige Feuer.

 

 

 

 

 

Zur gleichen Zeit, hatten sich die anderen in einem weiteren Saal des Stadtpalastes versammelt. Simon Belfare ging wie der Arzt, einige Räume weiter, auf und ab.

„Dann müssen eben drei Steine ausreichen.“, erklärte er aufgebracht, während Leif und die anderen stumm warteten.

Ordt trat vor.

„Herr, das reicht niemals.“

„Es reicht, wenn ich selber noch zum Zauber beisteuerte.“, erklärte der Hexer und schlug mit der Faust auf den Kartentisch, der in der Mitte der Halle aufgebaut war. Soldaten und Magier in grünblauen Roben standen im Saal verstreut. Ihre türkisfarbenen Umhänge trugen das Symbol des Sangius-Ordens zur Schau. Den Blutstropfen. Leif schien es ein wenig besser zu verstehen. Nicht Überheblichkeit. Es war kein Symbol der Überlegenheit, das sie sich auf die Umhänge genäht hatten, es war das ihrer Bürde. Ein Makel, der es ihnen unmöglich machte, je das zu leben, was man normal nennen konnte. Aber eins, das sie mit Stolz trugen. Die Panzer der Soldaten wiederum, zeigten das Doppelwappen von Simons erträumter Ordnung. Ob Leif diesen Traum, für die Fantasie eines Größenwahnsinnigen, oder für erreichbar hielt, stellte längst keine Frage mehr da. Sie würden alle sterben, wenn es sich als ersteres entpuppte. Der Kaiser war hier. Und nicht nur der Kaiser…. Die fliegende Stadt selbst hing als erkennbarer dunkler Punkt am Horizont, umgeben von einem Meer aus Lanzen und Gewehren. Der Thron der Götter.

Der Schmied hielt die Augen geschlossen. Celani. Erik mochte sich um die Gejarn kümmern, aber so viel Vertrauen er auch in seinen Freund hatte… er hatte sich erst vor wenigen Stunden, ihr Blut von den Händen gewaschen. Und wenn der Kaiser jetzt hierher kam… nein er würde sie nicht verschonen, wenn Simon versagte.

 

Leif legte eine Hand auf den Schwertgriff. Er hatte sich geschworen nie wieder zu Kämpfen. Diesen Eid hatte er schon gebrochen. Er hatte sich geschworen nie wieder in den Krieg zu ziehen. Und wie es aussah, musste er nun auch diesen Eid brechen.

„Ihr werdet die fliegende Stadt selbst angreifen, vermute ich.“

Ordt nickte.

„Das ist unser Plan. Die Armeen sind etwa gleich stark und werden auf offenem Gelände aufeinander treffen. Diese Schlacht wird durch reinen Blutzoll entschieden werden, nicht Strategie. Wer bereit ist, mehr Männer zu opfern… vorausgesetzt wir nehmen der Schlange nicht den Kopf.“

„Der Kaiser muss sterben.“, schloss Simon. „Dann ist dieser Krieg sofort vorbei.“

Leif atmete tief durch. Die feigende Stadt erstürmen… ein wahnsinniges Unterfangen. Dagegen war alles, was er bisher erlebt hatte, ein reines Kinderspiel. Und Robert würde dort auf ihn warten. Ob er an so etwas wie Schicksal glaubte… er wusste es nicht. Aber wenn er dorthin ging, würde der Prätorianer ihn nicht ignorieren können.

„In diesem Fall… habt Ihr mein Schwert. Ich habe durchaus noch eine eigene Rechnung mit Tiberius offen.“

„Mir ist jedes Schwert willkommen, auch wenn Ihr eigene Gründe habt… ich schwöre Euch, Ihr werdet es nicht bereuen, wenn wir Erfolg haben.“

„Sorgt nur dafür, dass dieser Bastard zahlt.“, erwiderte Leif.

„Heute stecken wir den Himmel in Brand.“, erklärte Simon nur. „Sucht meinen Waffenmeister. Er soll Euch alles geben, was Ihr wünscht.“

Leif nickte.

„Ruft mich einfach, wenn Ihr soweit seid.“ Mit diesen Worten trat der Schmied aus dem Raum. Bevor die Tür jedoch zufiel, folgte ihm Kornelius.

„Sicher, dass du das nicht bereuen wirst?“, wollte der Alte wissen, während er ihm durch die Palastflure folgte. Der Zaubererfürst hatte eine provisorische Waffenkammer, einige Räume weiter einrichten lassen.

„Doch. Aber wenn es nicht heute endet, wann dann ?“

„Du wirst hier nicht den Ausschlag geben Leif. Entweder, Simon siegt, oder wir finden uns alle bald im kaiserlichen Kerker wieder. Oder am Galgen. Ich will nur nicht, dass Du mit einem schlechten Gewissen zum Richtblock gehst.“

„Das ganz sicher nicht. Nein…“ Leif blieb stehen, als sie die Tür zum Thronsaal passierten.

„Geht zurück zu den anderen, Kornelius. In wenigen Stunden ist das alles vorbei. So oder so. Aber ich… ich muss gehen. Ich habe gar keine Wahl. Aber der Gedanke zu gehen und….“

„Du willst Dich verabschieden.“ Kornelius klopfte ihm auf die Schulter. Dann hielt er kurz inne und zog den Schmied in eine Umarmung.

„Pass einfach auf Dich auf Junge. Und komm mir ja in einem Stück nach Hause. Mach nichts Dummes. Es gibt hier noch mehr Leute, die auf Dich warten. In Westfall und in Goldbrück.“

„Und was wäre das für eine Heimkehr….“

„Sieh zu, dass sie sich lohnt. Ich will nicht Deine Leiche mit mir zurück in die Heimat bringen. Oh und wenn Celani aufwacht will ich auch nicht derjenige sein, der ihr das erklären muss.“ Kornelius löste sich von ihm und machte sich auf den Weg zurück den Gang hinab. Leif klopfte vorsichtig an die Tür.

„Erik… lasst Ihr mich jetzt wieder rein?“

Es dauerte eine Weile, bis sich etwas tat, dann jedoch hörte der Schmied wie etwas beiseite gezogen wurde und drückte die Tür auf. Zu seiner Überraschung, war der Arzt nicht alleine. Erik hatte den schweren Stuhl, mit dem er die Tür blockiert hatte, beiseite gezogen. Und mitten im Raum stand Mhari. Leif fragte erst gar nicht, was die Gejarn hier zu suchen hatte.

„Ihr seht aus, als wolltet Ihr zu Eurem eigenen Begräbnis.“, stellte die Löwin trocken fest.

„Nicht meines, aber das des Kaisers wenn es nach mir geht. Es endet heute.“ Der Schmied trat an die Liege mit Celani heran.

„Sie… sie kann mich nicht hören, oder?“

Erik zuckte mit den Schultern.

„Das... weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.“, gab er zu.

„Dann… hoffe ich einfach darauf, wie?“ Er schloss einen Moment die Augen. „Das hier ist bald vorbei. So oder so. Und ich… ich kann nicht versprechen, das ich zurück komme. Das wäre nicht ehrlich. Aber… was ich sicher weiß ist, das die letzten Monate mir wieder einen Sinn gegeben haben. So lächerlich das klingt, bevor ich Dich kennen gelernt/ habe, habe ich nicht mehr für viel gelebt. Und wenn ich die Wahl hätte, ich würde nichts ändern. Und nichts bereuen. Aber… das sagt wohl jeder. Und… mir fehlen wirklich einmal die Worte.“ Leif drehte sich zu den anderen um.

„Zeit zu gehen. Wir sehen uns, in der fliegenden Stadt wieder… oder gar nicht.“

Es fiel ihm schwer den Raum zu verlassen und Leifs Schritte kamen ihm zu langsam vor. Als bestünde der Boden aus Teer. Sein Blick wanderte noch einmal zurück zu Erik, Mhari und zu der bewusstlosen Gejarn. Es brachte nichts mehr, zu warten. Leif trat durch die Türen hinaus und lenkte seine Schritte zu den Waffenkammern. Es war ein seltsames Gefühl und doch vertraut. Der Kodex der Prätorianer hallte durch seinen Verstand. Leere, tote Worte, denen er jetzt mehr denn je den Krieg erklärt hatte.

 

Wir sind das Schwert des Kaisers

 

Möge er ewig herrschen

 

Nicht wenn es nach ihm ging.

 

Wir sind der Wille der fliegenden Stadt

 

Möge sie niemals fallen

 

Genau das war der Plan.

 

Wir sind die Faust der Götter

 

Mögen sie unsere Ziele segnen

 

Er glaubte nicht daran, dass die Götter sich für irgendjemanden interessierten.

 

Wir sind das Schild des Reichs.

 

Möge es niemals zerbrechen

 

Und doch stand genau das in Aussicht.

 

Wir vergessen nicht:

 

Unsere gefallenen Brüder

 

Einer dieser Gefallenen kam grade zurück.

 

Wir ehren unsere gefallenen Brüder durch den Sieg

 

Den es dieses Mal nicht geben würde.

 

Leif trat ohne ein Wort in die Waffenkammer des Palastes. Auf langen Holztischen und Wandständern waren Waffen und Rüstungsteile aufgebaut. Der Schmied zog eine Pistole aus dem Arsenal, dazu mehrere Messer. Ein Schwert besaß er bereits und auch wenn die Waffe für einen Gejarn gefertigt worden war, hatte ihn die Klinge bisher gute Dienste erwiesen. Es gab einige Plattenpanzer, aber der Schmied verzichtete gezielt darauf. Das würde ihn nur langsam machen. Er kämpfte nicht in einer Formation als Soldat. Er unterstand Simon nicht. Geschwindigkeit war entscheidender. Er zog eine leichte, nietenbeschlagene Lederpanzerung über. Die Rüstung war an Armen und Schultern mit Kettenpanzerung verstärkt. Die Metallstücke würden eine verirrte feindliche Klinge oder einen Pfeil abwehren. Aber gegen einen direkten Angriff kaum Schutz bieten. Soweit ließ er es also am besten erst gar nicht kommen. Beinschienen und Stiefel aus einer Mischung aus Ketten und dickem Leder folgten. Leif ließ die Messer in mehreren Schlaufen an den Stiefeln verschwinden. Die Pistole und ein paar Handschuhe klemmte er in den Gürtel. Noch bevor er die Kammer wieder verlassen hatte, schallte der Klang eines Horns über die Stadt Erindal.

 

Es war Zeit.

 

 

 

 

Kapitel 42

Die Belagerung der fliegenden Stadt

 

 

 

 

 

 

 

Der Lärm war ohrenbetäubend. Leif verlor schnell jedes Zeitgefühl, als die zwei Armeen auf der Ebene vor Erindal aufmarschierten. Soweit er sehen konnte, war die Erde mit einer Unzahl an bewaffneten Soldaten bedeckt. Banner wurden auf beiden Seiten gen Himmel gerichtet. Der Drache des Kaiserreichs und das Doppelwappen des Zauberers. Und über alles hinweg, das donnern der Kanonen. Erde und Männer gleichermaßen wurden beiseite geschleudert, wenn die schweren Stahlgeschosse ihr Ziel fanden. Der Schmied selbst, stand auf einer kleinen Anhöhe, an seiner Seite, Ordt und Simon, der ruhig über das Schlachtfeld hinweg sah. Hinter ihnen hatte der Heerführer, eine Sammlung seiner besten Kämpfer zusammengestellt, die nur noch auf sein Zeichen warteten.

Der Geruch nach verbranntem Schwarzpulver füllte die Luft. Kugeln pfiffen durch die Luft und jagten, ohne ein Ziel zu finden davon. In ihrem Rücken lag Erindal und solange die Armeen ihren Kampf auf die Ebene vor der Stadt beschränkten, war die Metropole weitgehend sicher. Und damit die anderen, dachte Leif. Der Anblick vor ihm konnte einem den Mut rauben. Dort wo die endlos scheinenden Armeen aufeinandertrafen, war das Chaos vollkommen. Herrenlose Pferde liefen durcheinander, Männer schrien, Zauber zuckten durch die Luft und fällten in einem Moment ganze Bataillone, die sofort wieder durch nachrückende Truppen ersetzt wurden. Leif wusste nicht zu sagen, welche Seite im Augenblick die Oberhand hatte und er bezweifelte, dass der Zauberer an seiner Seite es konnte. Die Aufmerksamkeit Simons war auch auf etwas anderes gerichtet. Über den aufeinanderprallenden Reihen der Soldaten schwebte, scheinbar schwerelos, ein gewaltiger Komplex in der Luft. Als Waffe war die unerreichbare Festung so gut wie nutzlos. Aber die fliegende Stadt über dem Schlachtfeld hängend zu sehen, hatte eine tiefgreifende Wirkung auf die Soldaten beider Seiten. Im Schatten ihrer Hauptstadt zu kämpfen, trieb die kaiserlichen Gardisten nur dazu an, sich ihnen noch verbissener entgegenzustellen, während Simons Soldaten sich immer wieder zurückzogen, um aus dem Schatten der Zitadelle und dem von dort folgenden Pfeilhagel zu gelangen.

Ordt besah sich das Gefecht beinahe teilnahmslos.

„Jetzt oder nie.“, meinte er an Simon gewandt. „Und ihr seid Euch sicher, euer Plan geht auf?“

„Wir müssen die fliegende Stadt für uns gewinnen.“, erklärte der Zauberer nur. „Es gibt gar keine Alternative.“

Das war zwar nicht die Antwort auf die Frage des Wolfs gewesen, aber scheinbar gab er sich damit zufrieden.

Leif schüttelte ungläubig den Kopf.

„Wie sollen wir dort jemals hinauf kommen?“ Er hatte Mühe, sich über den Schlachtenlärm auch nur verständlich zu machen. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Das war Wahnsinn. Absoluter Wahnsinn, egal wie man es betrachtete.

Der Zauberer lachte schallend. Simon Belfare trug neben seiner üblichen Robe noch zusätzliche Panzerung. Vergoldete Armschützer und Beinschiene, in die mit Kristallen ausgelegte Runen eingearbeitet waren. Mehr als einmal hatte Leif gesehen, wie Kugeln wie von Geisterhand abgelenkt den Heerführer verfehlten. Magie. An seiner Hüfte befand sich ein Schwert, dessen Klinge ebenfalls mit eingearbeiteten Kristallen verziert war. Hätte Leif nicht schon gesehen, welchen Schaden die Verzauberung anrichten konnten, er hätte den Prunk abfällig betrachtet. Aber ein Schwert, das Plattenpanzer durchschnitt, als wären sie aus Papier… er fragte sich, was der Hexer noch an Zauber zurück hielt, wenn das seine normale Kampfausrüstung war.

Wir werden nicht dort hinauf gehen.“, erklärte Simon und zog ein kleines Holzkästchen von seinem Gürtel.

„Im Gegenteil. Wir holen die Stadt zu uns herunter.“

Leif machte einen Schritt rückwärts. Wahnsinnig. Der Mann war absolut verrückt. Simon öffnete das Kästchen und offenbarte drei Steine, die darin auf einem Samtpolster lagen. Tiefschwarz, mit einem goldenen Augensymbol darauf, malachitgrün und hellblau schimmerten die tropfenförmigen Juwelen, als das Licht der südlichen Sonne auf sie fiel. Simon hatte die Augen geschlossen, während die Kristalle über seiner Handfläche schwebten und murmelte vor sich hin. Zuerst geschah nichts… dann jedoch blieb die fliegende Stadt plötzlich stehen und sackte ein Stück in die Tiefe. Leif konnte sehen, wie mehrere Dutzend Bogenschützen von den fliegenden Inseln stürzten. Auch wenn die Zitadelle jetzt tiefer schwebte, der Fall war nach wie vor viel zu lang, als das ihn jemand überleben könnte.

Und dann geschah es. Leif hatte selten so etwas wie religiöse Ehrfurcht gekannt. Die Furcht von etwas zerschmettert zu werden, dessen Macht so groß war, dass man es nicht einmal fassen konnte. In diesem einen Augenblick jedoch hätte er den Geschichten Glauben geschenkt. Den Geschichten, die besagten Simon sei mehr Gott als Mensch oder Zauberer. Türme stürzten ein, als die fliegenden Inseln auf dem Boden aufsetzten. Risse liefen durch das kostbare Pflaster der Plätze und Straßen der Hauptstadt Cantons. Statuen brachen in sich zusammen und ganze Häuserreihen kippten über die Ränder der einzelnen Stadtbezirke.

„Jetzt.“

Simon riss das Schwert hoch und gab im selben Augenblick seinen Leuten den Befehl zum Angriff. Für Leif machte es den Eindruck, als wäre der Magier, in den letzten paar Augenblicken, Jahrzehnte gealtert. Seine Haare waren fast völlig ergraut und tiefe Furchen hatten sich unter seine Augen gegraben. Augen in denen, nach wie vor, kein Zeichen von Müdigkeit brannte, sondern eiserne Entschlossenheit. Heute oder nie. Sie würden es zu Ende bringen. Leif wusste nach wie vor nicht, ob der Mann einfach nur größenwahnsinnig war, oder ob doch etwas hinter seinen Ideen lag, aber für den Augenblick ließ er sich davon anstecken.

Die ganze Abteilung auf dem Hügel setzte sich in Bewegung und auf ein vereinbartes Signal, teilten sich die Reihen von Simons Kämpfern vor ihnen. Die Gardisten des Kaisers, die nach wie vor fassungslos auf die gefallene Stadt starrten, wurden noch einmal überrascht. Als sich die ersten von ihnen wieder der Schlacht zuwendeten, brachen bereits hunderte Kämpfer durch ihre Formationen. Auf die Stadt zu….

Leif wich einer Klinge aus, die auf seine Schulter zielte und parierte gleichzeitig einen Hieb, der auf seine Beine zielte. Eine Kugel jagte an seinem Kopf vorbei, während er herumwirbelte und einen dritten Angreifer mit einem Stich in die Brust fällte. Es gab nur noch heilloses Chaos… und das eine Ziel, die Stadt zu erreichen, bevor sich der Ring aus Gardisten um sie herum schloss. Fiel der Kaiser, fiel Canton. Das war worauf sie setzten. Ordt neben ihm schien das Durcheinander geradezu zu genießen. Leif hatte schon Gejarn kämpfen sehen. Wild, ungestüm und gefährlich, aber meist eben auch ohne jeden Sinn für Verteidigung. Ordt aber, war ein Meister des Schwertkampfs. Etwas von dem er sich bereits selbst hatte überzeugen können. Der Mann schien mehr eine Sense, als ein Schwert zu führen, so schnell wie er Gardist um Gardist hinter sich im Staub zurück ließ.

„Was ist los Leif?“, spottete der Gejarn. „Stimmen die Gerüchte, das der Drache alt geworden ist?“

Nein, aber weiser, dachte der Schmied. Und dennoch packte ihn der alte Kampfeswille, nur mühsam durch besseres Wissen unter Kontrolle gehalten. Er war nicht hier um ein Massaker anzurichten, er war hier um diesen Krieg zu beenden. So schnell wie möglich. Nur vorwärts, das war das eine Ziel, das sie alle antrieb.

Leif fand sich im Zweikampf mit einem Prätorianer wieder, der sich durch die Reihen der Gardisten drängte. Ein kurzer Schlagabtausch folgte, bei dem sein Gegner anfangs, keinerlei Fehler zuließ. Stahl prallte auf Stahl und auch wenn Leif mehrere Treffer anbringen konnte, prallte sein Schwert vom schweren Panzer des Mannes ab. Dann jedoch, ging die Welt in einer Wand aus hochspritzender Erde unter. Eine Kanonenkugel war direkt neben den beiden Kontrahenten eingeschlagen. Leif wurde von den Füßen gerissen, während um ihn herum die Trümmer zusammen mit Gardisten und Simons Kämpfern zu Boden gingen. Als sich der Schmied wieder aufrichtete, war der Weg plötzlich frei. Er konnte die Straßen der fliegenden Stadt vor sich glitzern sehen….

Eine Hand packte seinen Arm und riss ihn auf die Füße. Es war Simon, der einige anstürmende Gardisten mit einem Zauber fällte. Ein einziger Fingerzeig ließ das Land um sie herum in Flammen aufgehen, sodass sie in ihren Rüstungen gekocht wurden.

Sie hatten es geschafft, dachte er, während sich die Überlebenden des Angriffs, um ihren Heerführer sammelten. Ordt hatte eine böse wirkende Schnittwunde am Arm, wischte einen Sanitäter, der ihm helfen wollte, aber einfach beiseite. Unter ihnen erbebten die schwebenden Inseln und hoben sich ein Stück aus dem Untergrund. Was immer Simon getan hatte, es schien nicht mehr lange anzuhalten. Die letzten Versprengten trafen ein… und dann erhob sich die fliegende Stadt wieder über das Schlachtfeld.

Ordt trat vor.

„Also gut… so weit wären wir. Was jetzt ?“, wollte der Wolf wissen.

„Zum Palast.“, wies Simon sie an.

„Das Haus Ordeal fällt noch in dieser Stunde. Entweder der Kaiser ergibt sich uns und dankt friedlich ab… oder er stirbt.“

Sie trafen nur noch auf wenig Widerstand, während sie sich einen Weg zum Herzen der Zitadelle suchten. Lediglich einige wenige Prätorianer und Gardisten stellten sich ihnen in den Weg. Offenbar zogen sich alle in der Stadt verbliebenen Kämpfer zum Palast zurück. Das könnte ein Problem werden, dachte Leif. Auch wenn niemand mehr Verstärkung hier hoch schicken konnte, wenn sich die kaiserlichen Truppen verbarrikadierten, wären sie vielleicht nicht in der Lage, bis zum Kaiser zu gelangen. Und das bedeutete, sie würden alle sterben.

Als sie jedoch durch die Tore des Palastes stürmten, erlebten sie eine Überraschung. Der erste Innenhof, den sie passierten, war völlig verlassen. Das wäre der ideale Platz gewesen, sich ihnen entgegenzustellen und die Übermacht, die die Soldaten des Kaisers sicher haben musste, auch zu nutzen. Stattdessen trat ihnen nur ein einziger Mann vor der Treppe zum inneren des Kaiserpalasts entgegen.

Ein Prätorianer mit weißblondem Haar….

„Robert.“

„Leif. Ich schätze es endet hier.“ Der Mann ging gemächlich die Treppe in den Innenhof hinab. Simon winkte schlicht seine Leute weiter, die den einzelnen Kämpfer ignorierend, im Inneren des Palasts verschwanden.

„Ihr kommt hier klar, schätze ich?“, fragte Ordt. „Oder sollen wir diesen Bastard einfach töten?“

„Geht nur. Keine Sorge.“ , erklärte Leif. „Um den kümmere ich mich alleine. Ich glaube, wir haben beide noch eine Rechnung offen.“ Und dieses Mal konnte nur einer von ihnen diesen Platz wieder lebend verlassen.

 

Der Wind wirbelte die Blätter eines nahegelegenen Baums, über den Boden zu Leifs Füßen. Robert machte keine Anstalten, sich von seinem Platz, einige Schritte von ihm entfernt zu bewegen. Der Mann trug die typische schwarze Plattenrüstung der Prätorianer, allerdings schimmerte eine goldene Spange in der Form eines Drachens an seiner Schulter. Die Nadel hielt einen schwarzen Umhang mit eingewobenen Goldfäden.

„Paraderüstung?“ , fragte Leif kühl.

„Ich dachte es wäre dem Anlass angemessen.“ , erklärte Robert lediglich, während er die Spange löste. Der Mantel würde ihn im Kampf nur behindern. Leif wartete , das Schwert in der Hand.

„Wir haben beide damit gerechnet, dass es so endet oder?“ Der Prätorianer zog das Schwert. Der Stahl reflektierte die Sonne, als er mit einer Hand über die Klinge fuhr.

„Muss es das Robert?“

Leif trat mit einem Fuß etwas zurück und versuchte einen festen Stand zu finden.

„Es ist vorbei. Egal wie es endet, es ist vorbei. In wenigen Stunden sind entweder Simons Truppen geschlagen… oder der Kaiser.“

„Nein Leif. Nicht für uns. Für uns… gibt es nur eine Lösung.“

Robert war schnell. Der Schmied sah die Klinge kaum kommen, als der Prätorianer vorsprang. Stahl prallte funkenschlagend auf Stahl. Sofort setzte sein Gegner einen Schritt zurück und stieß die Klinge auf seine Brust. Leif drehte sich zur Seite und lenkte den Angriff ab. Bevor Robert sich noch fangen konnte, gab er dem Mann einen Schubs nach vorne und der Prätorianer stolperte ein paar Schritte nach vorne… bevor er in den Staub schlug.

Leif setzte die Schwertspitze auf dem Boden ab und wartete, bis der Mann wieder aufstand.

Blut lief Robert über die Lippen, als er sich schließlich wieder dem Schmied zuwendete.

„Immer noch ganz der Alte, wie ich sehe. Ihr mögt es leugnen, aber am Ende hat sich nichts geändert, nicht wahr?“

„Nein. Was ich einmal war ist tot, Robert. Endgültig. Und nach heute, wird es nie wieder auch nur auftauchen.“

„Wir werden sehen.“ Der Prätorianer griff wieder an. Leif hatte Mühe, dem ungestümen Angriff abzuwehren und sah sich plötzlich selber in die Defensive gezwungen. Das war kein Kampf, der schnell entschieden wäre….

 

 

 

 

 

Kapitel 43

Der Tod des Kaisers

 

 

 

 

 

Ordt hatte in den Gängen des Kaiserpalastes längst jede Orientierung verloren. Von draußen drang der Lärm, der unter ihnen tobenden Schlacht herein, und auch in den Hallen der Zitadelle wurde gekämpft. Die Prätorianer griffen die kleine Gruppe um den Gejarn und Simon immer wieder an, nur um sich dann wieder zurück zu ziehen, und später wieder aufzutauchen,. Die kaiserliche Leibwache kannte die Flure dieses Orts und sämtliche Abzweigungen. Sie hingegen, mussten darauf vertrauen, dass Simon sie führte. Der Zauberer rannte mittlerweile fast. Ihre Schritte hallten von den teilweise gesprungenen Marmorplatten wieder, die den Boden bedeckten. Zersprungenes Glas lag, zusammen mit umgestürzten Säulen, in ihrem Weg. Der erzwungene Absturz der fliegenden Stadt hatte schwere Schäden am Palast und auch an den übrigen Gebäuden hinterlassen. Und über zwei Dutzend Prätorianer waren schon tot hinter ihnen zurück geblieben. Aber noch war es nicht vorbei, wie dem Wolf nur zu bewusst war. Sie hasteten weiter durch die lichterfüllten Gänge des Palastes, bis Simon schließlich vor einer zweiflügligen Tür aus schwerem Holz stehen blieb. In die Oberfläche des Tores waren kunstvolle Schnitzereien eingefügt und die dort abgebildeten Figuren waren teilweise mit Blattgold und Silber überzogen. Es waren Bilder… Szenen aus dem Leben des Hauses Ordeal, vom Aufstieg bis zu ihren letzten großen Schlachten. Und über dem hölzernen Werken thronte die Gestalt eines versilberten Drachens. Die Statue war auf einem Vorsprung über dem Portal angebracht und spie eiserne Flammen in die Luft. Das war es also. Der Thronsaal musste gleich auf der anderen Seite sein.

Vor der Tür wartete eine Gestalt, die in eine violette Robe gekleidet war. Um sich hatte der Mann vierzehn Prätorianer gescharrt, die einen Halbkreis vor den schweren Flügeltüren bildeten.

Ordt wurde langsamer, als Simon vor den Männern stehen blieb. Auf ihrer Seite hatten sie noch weniger als ein Dutzend Soldaten.

„Ich bin überrascht, das sich Tiberius Ordeal mir nicht selber stellt.“, erklärte der Zauberer, als die Gestalt in der violetten Robe vortrat.

„Darian Karr, Kaiserlicher Magier. Ihr seid weit gekommen, das muss man Euch lassen. Zu weit.“

Darian hatte eine einfache Kette um sein Handgelenk gewickelt, darin eingelassen, vier tropfenförmige Steine.

Simon nickte.

„Ich schätze, dann haben wir es Euch zu verdanken, dass die Stadt so schnell wieder in der Luft war.“ Seinen Zauber wieder aufzuheben, musste dem Mann eine unvorstellbare Menge Kraft gekostet haben….

„Es war dumm von Euch, den Kaiser herauszufordern.“, erwiderte sein Gegenüber nur.

Die Prätorianer an der Seite des Magiers zogen die Schwerter.

„Wir werden sehen.“

Simon zog seinerseits das Kästchen mit den Tränen hervor. Die Soldaten des Zauberers, genau wie die Prätorianer wichen zurück und prallten schließlich, weitab der beiden neuen Kontrahenten, aufeinander. Ordt warf einen Blick zurück zu den beiden Magiern, während er sich den letzten Verteidiger Cantons stellte.

Darian stand nach wie vor direkt vor dem Tor zum Thronsaal. Blitze umzuckten die Gestalt des Magiers, während die Steine in seiner Hand aufleuchteten. So als wäre der Mann das Zentrum seines eigenen Sturms. Simon Belfare wartete lediglich, seine drei Tränen in der offenen Handfläche haltend. Ordt wusste nicht, wer von beiden stärker war, aber Simon hatte sich unmöglich schon von dem Zauber erholen können, der die Stadt aus den Wolken gerissen hatte.

Darian streckte beide Hände vor, aus denen sich ineinander verschlungene Blitze lösten, gelblich und blau flackernd, bahnte sich der Zauber seinen Weg durch die Luft auf seinen Gegner zu. Statt Simon jedoch zu treffen, teilte sich der Strom aus Energie vor ihm und umfloss den Hexer wie Wasser einem Felsen im Sturm. Hinter ihm schlugen die Blitze wirkungslos in die Wände, zertrümmerten Säulen und Statuen, zusammen mit weiteren Marmorfliesen.

Das Gesicht des kaiserlichen Hofzauberers erstarrte zu einer Maske, während er den Zauber umlenkte und nun eine Wand aus Feuer auf Simon zu jagte. Dieser lächelte nur schwach. Bevor die Flammen ihn ganz umschlossen, hob er eine Hand und das Inferno kam genau vor ihm zum Stehen. Als wäre die Luft plötzlich zu einer unüberwindbaren Barriere geworden, leckten die Flammen scheinbar an nichts… und wurden langsam von der unsichtbaren Mauer zurückgedrängt.

Darian standen Schweißerlen auf der Stirn, während sein Zauber sich nun auf ihn richtete. Er machte ein paar Schritte zurück… dann brach die Magie in sich zusammen. Die Flammen verloschen augenblicklich zu kleinen Rauchwolken. Diese wurden sofort von der magischen Druckwelle, die Simon erschaffen hatte, erfasst. Nun durch nichts mehr gebremst, erfasste der Zauber den Hofmagier und schmetterte die hilflose Gestalt durch das Holz der Tore. Die Pforte wurde aus den Angeln gerissen und schlug mit ohrenbetäubendem Lärm auf dem Boden des Thronsaals auf. Für einen Moment war es totenstill. Selbst der Schlachtlärm draußen schien kurz aufzuhören. Prätorianer und Soldaten gleichermaßen ließen die Waffen sinken. Ohne auf die umstehenden Kämpfer zu achten, trat Simon durch die nun offene Pforte. Ordt musste sich Mühe geben, nicht zu erschaudern, als der Mann den Kopf kurz zu ihm drehte. Dieses Mal hatte er sich endgültig völlig verausgabt. Der siegreiche Magier bewegte sich schwerfällig, als er den ersten Fuß in den Thronsaal setzte.

Wie beiläufig hob Simon die Kette mit den vier Tränen Falamirs auf. Mehr war von Darian Karr auch nicht geblieben. Die hohen Hallen waren verlassen. Das Gemälde des Abendhimmels über ihren Köpfen leuchtete im Schein einer Vielzahl magischer Kristalle. Und im Zentrum des Saals erhob sich der Kaiserthron Cantons. Die honigfarbenen, durchscheinenden Edelsteine warfen Muster auf den polierten Marmorboden. Goldene Andern zogen sich durch die weißen Fliesen.

„Ist Euer Ehrgeiz jetzt endlich befriedigt?“ , wollte eine einsame Gestalt vor den Stufen des Bernsteinthrones wissen. Tiberius war so alt, wie Simon im Augenblick wirkte. Trotzdem hielt er den Rücken grade, als der Zaubererfürst, zusammen mit den noch zögernden Soldaten und scheinbar ratlosen Prätorianern in die Halle trat. Gekleidet war er in das kaiserliche Ornat Cantons. Die uralte Krone mit dem darin eingelassenen, einzelnen, wasserklaren Bergkristall wirkte etwas zu groß für seinen Kopf.

„Nein.“ Simon zog das Schwert.

„Und darum ging es mir nie.“

Tiberius schüttelte lediglich den Kopf.

„Sei es wie es sei. Bringen wir es zu Ende. Wir wissen beide wie. Ich werde nicht als Euer Gefangener sterben, Zauberer.“

Simon nickte, bevor er den Schwertgriff mit beiden Händen packte und in die Höhe riss. Der Stahl sirrte in einem graden Schwung durch die Luft, die plötzlich mit Blut gefüllt war.

Der Körper von Tiberius Ordeal sackte enthauptet zur Seite. Die Krone Cantons sprang scheppernd über die Fliesen davon, bis Ordt sie schließlich mit dem Fuß anhielt und aufhob. Der Gejarn hob den schweren Goldreif auf, während Simon sich zu den in der Halle wartenden umdrehte. Einer nach dem anderen ließen die überlebenden Kämpfer des Kaiserreichs die Waffen fallen. Ohne Kaiser gab es keine Prätorianer mehr. Ohne Kaiser gab es auch keine Garde mehr….

„Lasst folgendes verkünden.“, rief Simon über die einsetzende Stille hinweg.

„Tiberius Ordeal ist tot. Die Prätorianer sind ab diesem Moment aufgelöst. Wir kontrollieren die fliegende Stadt. Jeder, der noch die Waffe gegen uns erhebt, kämpft eine verlorene Schlacht. Wer sich jedoch ergibt, der kann davon ausgehen, gut behandelt zu werden. Und vielleicht bald in einer neuen Armee zu dienen. Ab heute hat diese Welt einen neuen Herrscher.“

Sofort rannten zwei oder drei Kämpfer los, um die Nachricht zu überbringen. Und wenige Momente später hallte auch schon eine magisch verstärkte Stimme über die ganze fliegende Stadt und das unter ihr tobende Schlachtfeld.

„Die fliegende Stadt ist gefallen.“

Simon konnte es praktisch vor sich sehen. Ein unendliches Meer aus Köpfen, das plötzlich nach oben sah. Eine von jetzt auf gleich einsetzende Stille, als Tausende die Waffen sinken ließen… und dann brandete plötzlich Jubel von unten herauf, durchmischt mit dem Klirren von Waffen, die fallen gelassen wurden.

 

 

 

 

 

Leif und Robert hielten kurz inne, als die Nachricht durch die Straßen der Stadt verbreitet wurde. Aber keiner der beiden Kontrahenten ließ sich dadurch lange genug ablenken, um einen Fehler zu machen. Robert stürzte sofort vor, in der Hoffnung seinen alten Lehrmeister dadurch abgelenkt zu erwischen.

Der Schmied jedoch parierte den Hieb mühelos und sofort setzten sie ihren Schlagabtausch fort. Keinem war es möglich, einen Vorteil über den anderen zu gewinnen. Letztlich würde Ausdauer oder der Zufall entscheiden müssen, wer von ihnen siegreich war. In der Stille, die nach dem Ende der Kampfhandlungen einsetzte, war das Klirren der Schwerter das einzige Geräusch, das in der fliegenden Stadt wiederhallte. Robert trat nach ihm und zwang ihn dadurch, durch die Palasttore hinaus in die Straßen der Stadt zurück zu weichen.

Leif zog ein Messer aus seinem Stiefel und warf die Klinge blind nach seinem Gegner. Das Geschoss verfehlte Robert weit und der Prätorianer sprang vor, während der Schmied noch keinen sicheren Stand wiedergefunden hatte. Leif konnte ausweichen, aber nicht mehr schnell genug. Die Klinge hinterließ einen tiefen Schnitt in seinem Bein. Ein zufriedenes Lächeln trat auf die Lippen des Prätorianers. Leif rammte ihm einen Ellenbogen auf die Nase. Aufheulend stolperte sein Gegner zurück und der Schmied nutzte die Gelegenheit um Robert die Beine weg zu ziehen. Die Klinge wurde Robert aus der Hand geschleudert und der Prätorianer stürzte auf das Pflaster. Sofort war Leif über ihm und setzte ihm das Schwert an die Kehle.

„Es ist vorbei Robert. Der Kaiser ist tot. Die Prätorianer sind besiegt. Es ist vorbei.“ Der Schmied trat zurück, während sich der geschlagene Mann wieder aufrichtete.

Robert lachte nur.

„Es ist nie vorbei Leif. Nicht wenn Ihr es jetzt nicht zu Ende bringt. Ich werde Euch jagen. Und ich werde Euch finden, versteht Ihr mich?“

„Dann muss es sein.“ Leif zog die Pistole aus seinem Gürtel und richtete die Mündung auf sein halb kauerndes Gegenüber.

„Na los.“, schrie Robert, als der Schmied zögerte.„Dann ist das endlich entschieden.“

Leif ließ die Pistole fallen. Die Waffe schlug klappernd auf dem Pflaster auf und blieb vor den Knien des Prätorianers liegen. Der Schmied drehte sich einfach um und machte Anstalten in Richtung Palast davon zu gehen. Robert packte die Pistole mit zitternden Händen.

„Leif!“ Er richtete die Mündung auf den Rücken seines alten Lehrers. „Kommt gefälligst zurück.“

Der Schmied blieb tatsächlich kurz stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um.

„Ich glaube wir wissen beide, das diese Kugel nicht für mich bestimmt ist. Von unserer Welt wird nichts übrig bleiben, Robert. Unser beider Zeit ist vorbei. Die Schlachtfelder werden nicht mehr von Ehre bestimmt. Von Stahl und Panzer. Sondern von Feuer. Von genau dem, was Ihr da in Händen haltet. Wir sind eine aussterbende Art. Ich kann damit leben. Ich habe dem allem schon lange abgeschworen. Aber Ihr ?“

Leif wandte sich ab und verschwand in den Straßen, die ihn zurück zum kaiserlichen Palast bringen würden. Sobald hier alles geklärt wäre, wollte er nach Erindal zurück. So schnell wie möglich. Als der Schmied grade den ersten Schritt in die Flure des Palastes machte, hallte ein letzter Schuss durch die Straßen der fliegenden Stadt. Mit dem heutigen Tag begann eine neue Ära. Ob gut oder schlecht, das wusste er noch nicht zu sagen. Und es würde wohl eine Weile dauern, bis es sich herausstellen würde. Vielleicht wäre es das Beste, wenn die Geschichtsbücher seine Teilhabe dabei einfach vergaßen….

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog

 

 

 

 

Einen Monat später war die fliegende Stadt kaum wiederzuerkennen. Die während der Schlacht verursachten Schäden waren im Eiltempo repariert oder wenigstens tuschiert worden und in den Straßen drängten sich die Leute. Soldaten wie Bürger, die alle in festliche Gewänder gekleidet waren. Niemand hätte mehr auf den schwebenden Inseln Platz gefunden. Selbst die Gärten verschwanden unter der Vielzahl von Menschen, die sich eingefunden hatten. Banner wehten an sämtlichen Gebäuden und Masten der Stadt. Auf blauem Grund zeigten sie das neue Doppelwappen des Kaiserreichs. Einen silbernen Adler und einen goldenen Löwen. In den Hallen des kaiserlichen Palastes war es ruhiger. Zwar waren auch hier sämtliche Flure und Säle brechend voll, doch sorgte die neue Ehrengarde Cantons für die nötige Ruhe. Männer in blauen Uniformen, die mit goldenen Knöpfen versehen waren, hielten Ein- und Durchgänge bewacht.

Im Thronsaal selbst waren nur wenige zugelassen. Ein gutes Dutzend der höchsten Adeligen Cantons war anwesend… und eine Gruppe von vier Leuten, die man hier nicht erwartet hätte. Vor allem weil einer von ihnen ein Gejarn war. Ein schwarzer Wolf, der auf seinen Pfoten einen schweren Goldreif trug. Ein einziges, klares Juwel war darin eingelassen.

Vor dem Bernsteinthron stand Simon Belfare. Der Zauberer hörte sich die Eide und Treuebekundungen der Versammelten scheinbar gelassen an. Die ergrauten Haare hatte er zu einem losen Zopf im Nacken gebunden. Ein türkisfarbener Ornat fiel ihm über die Schultern und ein schwaches Lächeln teilte seine Lippen, als die Versammlung endlich die Worte verkündete, auf die es ankam.

„Im Namen des Volkes von Canton, erklärt Euch diese Versammlung heute zum ersten Kaiser des Hauses Belfare und damit zum Herrscher über alles Land, das einst der Ordnung Ordeal unterstand. Euch und Euren Erben ist dieser Titel vom heutigen Tag verliehen, bis ihn jemand anzweifeln möge.“

Was in fast einem Jahrtausend noch nicht vorgekommen war. Die Adeligen waren leicht zu kontrollieren.

Ordt trat vor, in seinen Händen die Krone Cantons auf einem Kissen. Ein Magier in türkisfarbener Robe nahm dem Gejarn die Krone ab und setzte sie Simon auf dem Kopf. Dieser schloss einen Moment die Augen. Simon Belfare war am Ziel. Und wer hätte sich ihm noch entgegen stellen können? Er hatte alle sieben verbliebenen Tränen Falamirs in seinem Besitz. Sicher verwahrt in den kaiserlichen Schatzkammern.

Er nahm auf dem Bernsteinthron Platz und im gleichen Augenblick brandeten Applaus und Jubel über die gesamte Stadt. Irgendjemand lies Tauben fliegen, die im Himmel über dem Palast verschwanden. Simon nahm den Lärm mit einem Nicken zur Kenntnis, bevor er den Blick zu seinen drei verbliebenen Gästen wendete.

„Wo ist Leif?“ , wollte er wissen.

„Ich hatte ihn eigentlich hier erwartet.“

Kornelius schüttelte lediglich den Kopf.

„Ich glaube nicht, das dem der Sinn nach feiern steht.“

„Das ist… Verständlich.“ Der frisch gekrönte Kaiser wendete sich ab und begrüßte einige weitere Leute in der Halle.

„Er hat uns das wirklich abgekauft, oder?“ , fragte Sandria.

Erik nickte und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

„Sieht so aus. Er wird sich ziemlich umschauen, aber keine Sorge. Er kommt sicher drüber hinweg, meine Liebe…. “

 

 

Die Wellen schlugen tief unter ihm gegen die südliche Küste. Der Mann auf den Klippen sah einen Augenblick hinab, wie er dort am Abgrund saß. Möwen kreischten in der Ferne und der Wind trieb den Geruch von Salz und Algen heran. Die Böen wehten ihm die Haare aus dem Gesicht und offenbarten die Tätowierung eines auf den Hinterbeinen balancierenden Drachens, die sich über seine Stirn zog. In den Händen hielt er einen kleinen Stoffbeutel. Die tropfenförmigen Juwelen darin hatten viel Unheil angerichtet. Zu viel. Und sie hatten ihm beinahe alles genommen, was ihm einmal wichtig gewesen war. Der Mann holte aus und beförderte den Beutel mitsamt Inhalt im hohen Bogen ins Meer. Die Steine fielen aus dem Behälter und blinkten noch einen Moment in der Sonne, vielleicht schnappte auch eine Möwe nach einem… dann versanken sie in den Wellen. Auf den dunklen Grund des Meeres.

Hoffentlich eine sichere letzte Ruhestädte.

Leif stand auf und sah noch einen Augenblick über die Wasserfläche hinaus. Es hieß, es gäbe weitere Kontinente, irgendwo jenseits der Sonnensee. Aber ihn zog es nur noch an einen Ort….

Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er lächelte, als er sich zu Celani umdrehte. Viel war in diesem Krieg zerstört worden. Aber eines war ihm geblieben.

„Lass uns nach Hause gehen…“, meinte er, als sie sich von der Klippe abwandten.

„Das wird ein ziemlich langer Heimweg.“, meinte die Gejarn.

Der Schmied zuckte mit den Schultern.

„Ich bin sicher uns fällt schon etwas ein….“

 

 

Jahre später lehnte Erik sich im Schein einer Laterne zurück und entzündete seine Pfeife. Das Schiff auf dem er sich befand schaukelte im beständigen Fluss der Wellen hin und her.

„Und das ist die Geschichte der Tränen, soweit sie mir bekannt ist.“, erklärte er.

Seine grauen Haare spiegelten den Schein der Kerzenflamme wieder. Die übrigen Personen auf dem Deck der Windrufer, die sich um den exzentrischen Arzt versammelt hatten, rückten etwas dichter zusammen.

Eden, die Kapitänin des Schiffs schien skeptisch.

„Ins Meer geworfen ? Das macht wenig Sinn.“ Die schneeweiße Gejarn war wirklich immer misstrauisch, dachte Erik bei sich. Cyrus, der schwarze Wolf schien auch nicht besonders überzeugt, auch wenn er dazu schwieg.

„Nun, offenbar ist eine dabei zumindest nicht auf dem Grund des Ozeans gelandet.“ Erik nickte in Richtung der vierten Gestalt an Deck. Ein Junge von vielleicht vierzehn Jahren, dem die dunklen Haare ins Gesicht fielen. Zachary. Seine Augen hatten einen faszinierenden Stich ins türkisfarbene… und auf seiner Brust ruhte eine silberne Kette. In das Metall eingelassen, glühte schwach ein tropfenförmiges Juwel. Blau wie das Meer….

„Ich sagte ja, das bedeutet Ärger.“

 

 

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

0
AwenEibners Profilbild
AwenEibner Am 18.07.2017 um 21:11 Uhr
So, noch eine deiner Geschichten gelesen.

Vorneweg: Ich habe mir keine Notizen gemacht, also gebe ich dir das an Rückmeldung, das mir im Kopf geblieben ist. Das sind hauptsächlich negative Dinge, aber ich traue dir zu, damit umzugehen, insofern: Los geht's.
Ich brauche dir wohl kaum noch zu schreiben, dass die Grammatik und Zeichensetzung nicht auf der Höhe sind. Direkte Rede, Beistriche bei Nebensetzen und bei erweiterten Infinitivgruppen sind die drei Dinge, die mir am störendsten aufgefallen sind, da sie den Rhythmus des Satzes durcheinanderbringen und so aus dem Lesefluss reißen.
Stilistisch würde ich das Werk hier in deine frühere Schreibphase einordnen, also noch vor DKdFS, oder irre ich mich da? Gegen Ende hat sich aber bereits einiges gebessert und generell würde ich den Stil eher als durchschnittlich denn als schlecht bezeichnen.
Großer Kritikpunkt sind die Dialoge. Dass sie teilweise ziemlich gestellt und gekünstelt wirken, ist nicht mein Hauptproblem, sondern dass ich speziell bei den längeren nicht mehr sicher wusste, wer gerade was sagt. Da ab und an einen Kommentar einzuwerfen, würde sicher nicht schaden.
Mein letzter Kritikpunkt ist der, dass du aus dem Ende noch etwas mehr hättest machen können. Bis etwa zu dem Zeitpunkt, an dem Leif den Schwur der Prätorianer ergänzt, war das Ganze recht episch, aber danach wirkt es eher gehetzt. Durch entsprechende Beschreibungen hätte man das Finale würdigen können - beispielweise etwas näher auf die Enthauptung oder zumindest die Krone, die herunterrollt, eingehen, etwas in die Richtung.
Hinzu kommt, dass die Geschichte vom Stil her eher eine Quest ist, die für mich einfach nicht so viel hergeben wie beispielweise eben DKdFS oder deine SF-Trilogie. Es kann auch sein, dass auf der Reise einfach eher wenig passiert ist und ich dementsprechend einen verzerrten Eindruck habe.

Das war jetzt recht viel Negatives, aber ich fand es interessant, über Simon und Erik zu erfahren, und habe gerade gegen Ende das Lesen auch genossen. Ich werde mir sicher in den nächsten paar Wochen - oder Monaten - eine der weiteren ungelesenen Geschichten auswählen, die hier auf StoryHub sind, und dir nach Beendigung wieder Feedback geben.

Das war es von mir - ich hoffe, es war zumindest ein wenig hilfreich :)
Mehr anzeigen
0
Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 17.02.2017 um 16:33 Uhr
Hallöchen,

das spielt auch in deiner Welt, nicht? Hier kam ich wesentlich leichter rein als in die Kurzgeschichte, um ehrlich zu sein. Ich hab schon wieder vergessen, in welcher Reihenfolge ich das lesen soll :D Ich mochte hier aber den Einstieg sehr. Sehr atmosphärisch und funktioniert auch gut als Einstieg, finde ich. Auch die zwei weiteren Kapitel mit dem Schmied mag ich. Sie stehen im Kontrast zum ersten und bieten einen netten Einblick in den Alltag. Aber, Eagle, schau zwingend noch mal auf Rechtschreibung und Zeichensetzung >.< Gerade im Prolog war das nicht schön.

Eine Bewertung geb ich mal noch nicht, weil es mir dafür noch zu früh erscheint. (Und ja, ich weiß, auf Wattpad steht mehr, aber aus irgendwelchen gründen mag ich StroyHub mehr :D)

lg Auctrix
Mehr anzeigen
Elenyafinwes Profilbild
Elenyafinwe
M
Am 17.02.2017 um 17:17 Uhr
@EagleWriter Ich harre geduldig der Dinge, die da kommen mögen ^^
EagleWriters Profilbild
EagleWriter (Autor)Am 17.02.2017 um 17:13 Uhr
Alles klar ^^. Ich würde dich nur bitten, auch um deiner Nerven bezüglich Rechtschreibung willen ^^noch mit dem weiterlesen zu warten, bis ich Morgen oder übermorgen die Überarbeiteten Kapitel hochladen kann. Der erste Entwurf entstand vor 3 Jahren und ich hatte seit dem nicht weiter dran gearbeitet. Entsprechend sah der auch aus ^^

Autor

EagleWriters Profilbild EagleWriter

Bewertung

3 Bewertungen

Statistik

Kapitel: 45
Sätze: 8.526
Wörter: 102.331
Zeichen: 598.528

Kurzbeschreibung

Das Kaiserreich von Canton, versinkt im Krieg, zwischen den rivalisierenden Armeen des Zauberfürsten Simon Belfare und den Streitkräften der Herrschenden Ordeal-Dynastie. Während beide Seiten das Land, ohne Rücksicht verbrennen, versuchen tausende von Flüchtlingen sich vor den, immer weiter um sich greifenden Kämpfen, nach Süden zu retten. Inmitten all dieser Unruhen, möchte der wandernde Schmied Leif, eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Schließlich, doch gezwungen, sich einem der Flüchtlingstrecks anzuschließen, macht er sich auf den Weg, die Zerstörung, wie so viele, hinter sich zu lassen. Unwissend, das der Schlüssel, zum Ausgang des Krieges, bald in seinen Händen liegen wird.