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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 324 | |
Wörter: | 3.042 | |
Zeichen: | 17.716 |
»Bist du sicher?«, fragte Remic, als er Caziana in den unterirdischen Tunnel folgte. »Die Dokumente könnten überall sein.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte Caziana über ihre Schulter. Die Fackel vor sich, das Halstuch vor Mund und Nase, folgte sie dem Tunnel vor sich. Das Atmen fiel ihr schwer. Langsam kam ihr der Gedanke, dass Remic recht haben könnte. Vielleicht hatte der Stadtvogt die Dokumente doch nicht im Bunker unter der Stadt versteckt. Aber wo sollten sie sonst sein? Informationen über die Paladine wurden nicht an jeder Straßenecke verteilt, wo jeder Dorftrottel sie finden und gegen die Glaubensbrüder verwenden konnte. Ein Bunker unterhalb der Stadt war das ideale Versteck.
»Ich bin sicher. Und jetzt trödel nicht herum. Wir haben Arbeit zu erledigen.«
»Ich bin schon unterwegs. Aber wenn hier nichts ist, musst du deinem Vater erklären, was wir ...«
»Ziehvater«, fuhr sie ihn schärfer an, als sie wollte, und fügte schließlich hinzu: »Es tut mir leid.«
Remic atmete tief durch, bevor er sagte: »Wie auch immer. Auf jeden Fall wirst du ihm erklären müssen, was wir hier unten gemacht haben. Verstehst du?«
»Du machst dir zu viele Sorgen, Remic. Alles wird gut.« Zweifel keimten in ihr auf.
»Und du machst dir zu wenig Sorgen. Ich will einfach nur hier raus. Und damit meine ich nicht diese stinkende Jauchegrube von einem Tunnel.«
Caziana blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Ihr Lächeln zeichnete sich unter dem Halstuch ab. »Das wollen wir beide. Wenn wir die Dokumente gefunden und abgeliefert haben, können wir immer noch irgendwo untertauchen, wo der Soldan-Clan uns nicht findet. Einverstanden?«
Widerwillig gab Remic nach. »Wehe, du verarschst mich.«
»Habe ich das jemals getan?«
»Äh, ja.«
»Bei welcher Gelegenheit denn?«
»Beim Würfelspiel, zum Beispiel?«
»Bei welchem Spiel den?«
»Bei allen.«
»Ach komm. Du bist einfach zu schlecht beim Würfeln, als dass man gegen dich verlieren könnte.«
Caziana genoss es, Remic zur Verzweiflung zu bringen. Auf eine seltsame Art fand sie es beruhigend. So war es schon immer gewesen. Egal, wie unruhig oder niedergeschlagen sie war, wenn sie merkte, dass es jemandem genauso ging, waren die innere Unruhe und die Niedergeschlagenheit wie weggewischt.
»Sind wir bald da?«
»Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen.« Als sie sich zu ihm umdrehte, sah sie sein breites Grinsen. Da begriff sie, dass er sie ärgern wollte. Auch wenn sie es nicht zugeben wollte, es war ihm gelungen. »Komm. Es ist nicht mehr weit.«
Tatsächlich waren sie schon nach wenigen Schritten am Ziel. Vor ihnen versperrte eine schwere Eichentür den Weg. Caziana legte ihr Ohr an die Tür, um zu lauschen. Dahinter war nichts zu hören. Dann trat sie zur Seite. Remic zog einen Satz Dietriche aus der Tasche und machte sich an die Arbeit.
»Sag mal, Caz, woher wusstest du, wo du suchen musst?
»Ich habe meine Mittel und Wege.«
»Redest du von Erpressung?«, fragte Remic zynisch. »Wir hätten schon vor langer Zeit fliehen sollen. Der Soldan-Clan tut dir nicht gut. Hat er noch nie.«
Obwohl Caziana wusste, dass er recht hatte, schmerzte seine Aussage wie ein Stich ins Herz. Sie wandte sich von ihrem Freund ab, damit er die Träne nicht sah. Seit Ricard sie als Kind adoptiert hatte, gab es für sie nur Diebstahl, Körperverletzung und Schmuggel. Wenn sie auch nur ein wenig von Ricards Willen abwich, bestrafte er sie gnadenlos mit Nahrungsentzug und Freiheitsberaubung. Die Würmer der Scham und des Zorns machten sich in ihrem Bauch bemerkbar. Gleichzeitig wuchs der Wunsch nach Freiheit in ihrem Herzen. Wie lange konnte sie noch durchhalten, bevor sie endgültig zusammenbrach?
Das Quietschen der sich öffnenden Tür riss sie aus ihren düsteren Gedanken.
»Die edle Dame zuerst.« Remic verbeugte sich übertrieben wie ein edler Herr auf einem königlichen Fest. Widerstrebend hoben sich ihre Mundwinkel.
»Danke, edler Herr.« Auch sie verbeugte sich übertrieben und betrat den Raum.
Sie befanden sich in einer Art Bibliothek. Der Raum war fast so groß wie das Anwesen von Ricard Soldan. Überall standen Regale, deren Fächer von Büchern und Schriftrollen überquollen. Überall waren Leuchtkristalle angebracht, die die Bibliothek in ein gedämpftes Licht tauchten.
»Sind das die Dokumente, die wir brauchen?« Remic war sichtlich erschlagen von der Menge der Schriften. »Wie sollen wir das alles hier rauskriegen? Und vor allem, wo sollen wir es lagern?«
Seine Naivität war erfrischend. »Wir brauchen nicht alles. Nur ein paar bestimmte Dokumente.«
»Und wie sollen wir die finden?«
»Auf die herkömmliche Art und Weise«, sagte Caziana kühl. »Suchen.«
Sie nahm das nächstbeste Buch in die Hand. Mit den Fingern fuhr sie über den Ledereinband. ›Die Legende vom heiligen Krieger‹ war darauf gedruckt. Sie blätterte darin. Es gab einige Zeichnungen. Einige zeigten Schlachtszenen. Andere zeigten einen edlen Mann, der auf einem Thron saß. Der heilige Krieger? Irgendetwas an diesem Buch faszinierte sie. Sie beschloss, es einzustecken.
»Sind das die Dokumente, die wir suchen?«, rief Remic aus einem anderen Gang.
Caziana ging zu ihm, um den Fund zu begutachten. Auf den Dokumenten standen Namen. Einige erkannte sie. Es waren hochrangige Paladine. Hinter den Namen standen Zahlen. Sie konnte sie schnell als Geldbeträge deuten und das Datum, an dem sie dem jeweiligen Paladin ausgezahlt worden waren. In den hinteren Spalten standen die Summen mit Zinsen, die die Paladine zurückzahlen mussten.
»Das sind die Dokumente.« Caziana war erstaunt, wie schnell sie die Dokumente angesichts der Fülle der Bibliothek gefunden hatten. »Und jetzt raus hier.«
Kaum hatten sie die Tür erreicht, durch die sie gekommen waren, hörten sie schwere Schritte vom anderen Ende der Bibliothek. So leise wie möglich schlichen sie zurück in den Tunnel. Remic hielt Caziana wortlos davon ab, die Tür hinter sich zu schließen. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Tür zu viel Lärm machen würde. Leise eilten sie durch den Tunnel. Sie hatten die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie von hinten jemanden schreien hörten: »Alarm. Eindringlinge. Alarm.«
Caziana rannte so schnell wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie ignorierte das Brennen in ihren Oberschenkeln, das Seitenstechen und die stechenden Blicke in ihrem Nacken. Sie versuchte, während des Sprints ruhig zu atmen. Endlich erreichten sie die Leiter, die nach oben führte.
»Los, los, los«, trieb Remic sie zur Eile an.
Caziana stieß die Luke auf und hievte sich hinaus. Sie half Remic hinaus. Wenn sie genug Zeit gehabt hätten, hätten sie die Luke mit etwas Schwerem versperren. Da ihnen die Stadtwache dicht auf den Fersen war, flohen sie sofort aus dem Lagerhaus. Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter sah sie den ersten Wächter aus dem Schacht klettern, in seinem tiefroten Waffenrock mit dem Wappen einer Krone über zwei gekreuzten Schwertern. Caziana schob Remic in die Menge, die sich bereits auf dem Marktplatz drängte. Da es früher Morgen war, war auf dem Markt noch nicht viel los. Sie mussten sich hin und her bewegen, um irgendwie unsichtbar zu bleiben.
»Verteilt euch!« Die befehlsgewohnte Stimme des Wachmanns war in dem Stimmengewirr kaum zu überhören. »Findet den Dieb!«
Den Dieb. Nicht die Diebe. Ein Lächeln huschte über Cazianas Gesicht. Sie und Remic waren also nicht gesehen worden. Zumindest nicht beide. Dann hatten sie noch eine Chance zu entkommen.
»Hier entlang.« Remic packte sie am Arm und zog sie hinter sich her. Einer der Wächter, ein eher schmächtig wirkender Mann, der kaum in der Lage zu sein schien, eine Waffe zu halten, geschweige denn ein Wächter zu sein, war ihnen dicht auf den Fersen. Remic führte sie in eine Seitengasse und drückte sie gegen eine Hauswand. Ohne Vorwarnung drückte Remic seine Lippen auf die Irre. Überrascht riss Caziana die Augen auf. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Ihre Beine wurden weich, und das lag sicher nicht am Sprint.
Remic ließ sie los und sagte: »Spiel einfach mit.« Als er sie wieder küsste, ließ sie es zu. Sie schlang ihre zitternden Arme um seinen Nacken. Er erwiderte den süßen Kuss. Ihr Herz schlug wild gegen ihre Brust. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch. Könnte dieser Augenblick doch ewig dauern.
Der hagere Wächter ging an ihnen vorbei. Dann drehte er sich um und sah das Paar grinsend an.
»Was ist los?«, fuhr Caziana ihn an, als sie sich von Remics Lippen löste. Sie konnte selbst kaum glauben, wie fest ihre Stimme klang. »Noch nie zwei Menschen gesehen, die sich lieben?«
Mit erhobenen Händen und einem breiten Grinsen im Gesicht ging der Wachmann davon. Erst jetzt drangen seine Worte zu ihr durch. Liebe. War es Liebe, was sie empfand? Das konnte es nicht sein. Remic und sie kannten sich seit ihrer Kindheit. Solche Gefühle hatte es noch nie gegeben. Liebe konnte es nicht sein. Oder doch?
»Wir haben es geschafft«, sagte Remic lächelnd und gab ihr noch einen Kuss auf die Wange. Und noch einen.
»Jetzt hör auf«, sagte sie und wünschte sich gleichzeitig, er würde weitermachen. Das Lächeln auf ihrem Gesicht verhinderte den Ernst in ihrer Stimme.
Remics Gesicht lief rot an. Beschämt blickte er sie an. Jetzt sah er so aus, wie Caziana sich fühlte.
»Jetzt müssen wir den Auftrag zu Ende bringen«, sagte Caziana, um dem peinlichen Schweigen zu entkommen. War der Moment des Glücks wirklich schon vorbei? Hatte sie dieses bisschen Glück überhaupt verdient? Caziana versuchte, die düsteren Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Doch ein kleines Stück blieb irgendwo in den hintersten Winkeln ihres Verstandes hängen.
»Wo warst du so lange?« Obwohl Ricard Soldan ruhig und sachlich blieb, war die Drohung in seiner Stimme nicht zu überhören. Er saß hinter dem massiven Teakholzschreibtisch, auf dem die Unterlagen ausgebreitet lagen. Sein eiskalter Blick schien sie zu durchbohren. Die Narbe, die sich über sein rechtes Auge bis zum Kinn zog, machte ihn noch bedrohlicher.
Cazianas Herz krampfte sich unangenehm zusammen. Sie massierte ihre Hände, um das Zittern zu unterdrücken. Ihre Zunge war wie gelähmt, so dass sie keine Antwort geben konnte. Was hätte sie auch sagen sollen? Als sie Ricards Büro betreten hatte, hatte sie sich eine Erklärung zurechtgelegt. Jetzt schien ihr die Erklärung nicht gut genug. Nicht glaubwürdig genug. Wenn sie sie so vortragen würde, wie sie es sich vorgestellt hatte, befürchtete sie einen Wutausbruch von Ricard.
»Du hattest nur eine Aufgabe.« Ricard hob demonstrativ den Zeigefinger in die Höhe. »Nur eine ... einzige ... verdammte ... Aufgabe. Du hättest mir die Dokumente vor Sonnenaufgang bringen sollen, ohne von den Wachen erwischt zu werden.«
Ricard ließ die Worte auf seine Ziehtochter wirken. Caziana schluckte schwer. Holte tief Luft. Caziana zwang sich, sich aufzurichten, die Brust schwoll an. Hoffentlich würde das ihre Glaubwürdigkeit untermauern. Als sie zu sprechen begann, hoffte sie, dass ihre Stimme nicht versagen würde. »Es hat länger gedauert als geplant. Das Archiv ist fast so groß wie das Anwesen hier. Die Suche hat mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich ursprünglich gedacht hatte.«
Dass die Suche nicht so lange dauerte wie angenommen, musste Ricard nicht wissen. Tatsächlich war es die Suche nach dem richtigen Eingang, die die Zeit in Anspruch genommen hatte.
»Das ist inakzeptabel, Caziana. Die Gerüchte über den Diebstahl machen bereits die Runde. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Spur zu uns führt. Weißt du, was das für uns bedeutet?«
Caziana schaut beschämt zu Boden.
Wenn es dir nicht passt, dann befreie mich aus deiner Familie. Lass mich ein Leben führen, in dem ich mir nicht jeden Tag Sorgen um mein Wohlergehen machen muss, obwohl ich mich in einer eigentlich sicheren Umgebung befinde.
Sie wagte nicht, ihre Gedanken auszusprechen.
»Das bedeutet, dass die Miliz hier auftauchen wird. Sie werden alles auf den Kopf stellen. Und wenn sie etwas finden, das uns schaden könnte, werden sie das Nächste finden. Das wird unser Untergang sein. Willst du das?«
Ja! Ja! Es ist genau das, was ich will!
»Nein, natürlich nicht.«
Ricard lehnte sich in seinem Sessel zurück und massierte sich das Kinn. »Was soll ich nur mit dir machen?«
Eisiges Schweigen breitete sich im Büro aus. Unsicher, ob die Frage rhetorisch gemeint war oder ob er eine Antwort erwartete, richtete Caziana ihren Blick auf seine Stiefelspitzen.
»Du bist eine Enttäuschung. Als ich dich in den Trümmern des Hauses fand, hatte ich großes Potenzial in dir gesehen. Du hast dich mit Händen und Füßen gewehrt, als ich dich von den Leichen deiner Eltern wegzerrte. Die Entschlossenheit und die Leidenschaft, die in dir steckten, hatten mich beeindruckt. Das hatte ich in meiner eigenen Familie schmerzlich vermisst. Ich hoffte, dass sich diese Eigenschaften auf meine Kinder übertragen würden, wenn ich dich integrieren würde. Ich gab dir ein Dach über dem Kopf. Du hattest jeden Tag eine warme Mahlzeit. Und wie hast du es mir gedankt? Du hast mich immer wieder enttäuscht. Macht es dir Spaß, mir weh zu tun?«
Caziana antwortete nicht. Als Ricard wie aus dem Nichts mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, zuckte sie zusammen. »Ich habe dich etwas gefragt!«, brüllte er aus voller Kehle.
Caziana musste schlucken. »Natürlich nicht.«
Sie verfluchte sich dafür, dass sie so kleinlaut war. Sie verfluchte sich auch dafür, dass sie ihm nicht die Stirn bieten konnte, wie er es verdient hätte. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.
Ricard setzte zu einem weiteren Wutausbruch an, als Silvio ins Büro stürmte. Er grinste wie eine Hyäne. Er legte seine blutverschmierten Hände auf die Tischkante und beugte sich zu seinem Vater hinunter. »Wir haben die Informationen.«
Stolz hob Ricard die Hände in die Luft. »Siehst du? So muss es in dieser Familie sein. Warum bist du nicht wie mein lieber Sohn hier, Caziana? Er erfüllt seine Aufgaben so, wie man es von ihm verlangt. Du könntest dir ein Beispiel an ihm nehmen. Sonst wird es nichts mit dir.«
Ein eiserner Draht schnürte ihr das Herz zu. Noch nie war sie den Tränen so nahe gewesen wie in diesem Moment. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. Sie spürte, wie ihre Augen rot wurden.
Wo Silvio war, konnte seine Zwillingsschwester nicht weit sein. Ihr selbstgefälliges Lächeln verwandelte sich in einen angewiderten Ausdruck, als sie Caziana erblickte.
»Was hat dieser Abschaum in Papas Büro zu suchen?«, fragte Silvana verächtlich.
»Ich habe einen Auftrag für euren lieben Vater erledigt.«
Es missfiel den Zwillingen, dass sie das Wort ergriffen hatte.
»Niemand hat dir erlaubt zu sprechen.« Silvio presste ihr den Zeigefinger auf die Brust, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.
»Es ist ein Skandal, dass dieser Abschaum der Straße hier geduldet wird. Ich verstehe dich nicht, Papa, wie konntest du dieses nutzlose Ding überhaupt adoptieren?«
»Dieses nutzlose Ding hat schon mehr für diese Familie getan, als du es je tun könntest.« Caziana wusste nur zu gut, wie aussichtslos ihr Widerstand war. Aber was hatte sie zu verlieren?
Unvermittelt verpasste Silvana ihr eine Ohrfeige, die Caziana zu Boden warf. »Rede nicht so mit mir. Du hättest längst lernen müssen, wo dein Platz ist.«
Bevor die Situation weiter eskalieren konnte, ergriff Ricard das Wort. »Genug jetzt. Caziana, bitte verlasse das Büro. Ich habe Wichtiges mit meinen Kindern zu besprechen.«
Caziana richtete sich auf, richtete ihre Bluse und ihre Weste. Erhobenen Hauptes verließ sie das Büro, nicht ohne Silvana einen giftigen Blick zuzuwerfen.
»Nun«, wandte sich Ricard an seinen Sohn. »Was hat uns unser Gast zu sagen?«
»Er hat uns gesagt, wo das Gewürz ist. Und du wirst mir nicht glauben, wo es ist.« Silvio machte eine kunstvolle Pause. »Im Lagerraum der Kaserne. Und der Witz ist, dass die Miliz das Zeug selbst unter die Bevölkerung bringt.«
Ricard lachte. »Das ist ein schlechter Witz. Die, die das Zeug von der Straße haben wollen, verkaufen es selbst an die Leute. Das passt zu den Heuchlern.«
»Aber warum machen die das?«, fragte Silvana.
»Damit diese Bastarde die Illusion aufrechterhalten können, dass sie etwas tun. So gewinnen sie das Vertrauen der Bevölkerung, um sie dann abzocken zu können«, erklärte Silvio, leicht genervt von der Naivität seiner Schwester.
»Über welche Menge reden wir?«
»Papa, wir reden von vier Kisten. Kannst du dir das vorstellen. Vier ganze Kisten.«
Die Augen des Chefs bekamen ein gewisses Leuchten, das immer dann auftrat, wenn sich in seinem Kopf ein Plan zusammensetzte. Er blickte auf die Dokumente, die Caziana ihm gebracht hatte. Ein Name war ihm schon beim Überfliegen aufgefallen. Gilbert von Guile. Einer der ranghöchsten Paladine der Kirche der Heiligen Krieger hatte sich beim Stadtvogt eine Menge Silbermünzen geliehen. Einhundertfünfzigtausend Silbermünzen waren mehr, als ein normaler Sterblicher je sehen, geschweige denn in den Händen halten konnte. Jetzt sah er eine Möglichkeit, es diesen scheinheiligen Spinnern heimzuzahlen.
»Silvio, organisiere jemanden, der ein gutes Stück des Gewürzes klaut und einen anderen, der es dem Paladin unterjubelt.«
»An wen hast du gedacht?«
Ricard überlegte einen Moment. »Ich glaube, für den Diebstahl wäre der kleine Freund von Caziana ganz gut geeignet. Wie heißt der Mistkerl noch mal? Remic?«
»Remic«, bestätigte Silvio.
»Remic, genau. Schick ihn los. Bis Ende der Woche will ich das Zeug bei van Guile sehen.«
Ungläubig schlug Caziana die Hand vor den Mund. Hatte sie wirklich gehört, was sie zu hören glaubte? Ricard hatte sie zwar aufgefordert, das Büro zu verlassen, aber nicht gesagt, dass sie nicht davor stehen bleiben sollte. Es war also ein Leichtes, ihrer Neugier nachzugeben. So schockierend das Gespräch auch gewesen sein mag, ihre wissbegierige Art erwies sich als äußerst aufschlussreich. Was sie als Nächstes tun würde, stand außer Frage. Und sie wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die drohende Katastrophe abzuwenden.
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sthurbel • Am 29.12.2023 um 21:45 Uhr | |
Toller Anfang. Fühlt sich für mich an wie "Oliver Twist" meets "Die Lügen des Locke Lamora". Wird es weitergehen? | ||
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