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Kapitel: | 6 | |
Sätze: | 669 | |
Wörter: | 12.208 | |
Zeichen: | 69.942 |
Die Pubertät hatten wir gut hinter uns gebracht - die unserer beiden Söhne meine ich, die mit neunzehn und dreiundzwanzig nun beide studierten. Endlich war abzusehen, daß sie irgendwann tatsächlich ein eigenes Leben begannen. Sebastian, der Ältere, hatte sich aus Bequemlichkeit noch nicht aus dem Elternhaus gelöst, Florian dagegen hatte von der ersten Gelegenheit, sich der übermächtigen Präsenz des größeren Bruders zu entziehen, Gebrauch gemacht und war verschwunden in die Großstadt. Nachdem er sich bei einem Studienkollegen eingerichtet hatte, besuchte ich ihn für ein verlängertes Wochenende, quartierte mich dafür auch bei meinem Filius ein.
Florian sah es gelassen, denn er wohnte nun in einer großen Altbauwohnung, seinen Anteil durfte die Mama bezahlen, weil der Papa gemeint hatte, ein Zimmer in einem Studentenwohnheim hätte es auch getan, denn zu seiner Zeit - man kennt das ja. Schön hell war sie, diese Dachgeschoßwohnung in einem anständigen Stadtteil, mit Gartennutzung, und was für ein Garten. Wäre ich noch einmal jung, ich hätte hier wohnen wollen, der Gartenpflege enthoben, da die Vermieter, die selbst die beiden unteren Geschosse bewohnten, das als ihre Aufgabe sahen.
Und Mama wurde geduldet, sogar herumgezeigt im Freundeskreis, weil sie gelegentlich den einen oder anderen Schein für Lebensmittel und Klamotten springen ließ. Und vielleicht auch, weil Florian empfänglich genug für die Wandlungen in seiner Mama war, die bei diesem Besuch das Gefühl hatte, ein Stück ihrer eigenen Jugend zurückzugewinnen, die Unbeschwertheit genoß, weg von der Hausarbeit und dem Verlag, von belastenden Ansprüchen durch Mann und Kinder und dennoch mit dem guten Gewissen, etwas für den Zusammenhalt der Familie zu tun.
Im Gespräch mit Florians Mitbewohner und seinen Freunden fühlte ich mich wieder jung, erfreute mich am Anblick dieser jungen Männer und träumte fast jede der drei Nächte von einem amourösen Abenteuer mit dem einen oder anderen. Doch dann fuhr ich wieder nach Hause, und schon kurz nachdem der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, griff der Alltag in Form der Sorge um die Zuhause angesammelte Arbeit wieder nach mir. Und so angenehm es gewesen war, sich wieder einmal jung zu fühlen, war mir damit doch auch die Erinnerung an meine sexuell so erfüllte erste Zeit mit Bruno wieder in Erinnerung gekommen, die ich nun umso mehr vermißte, dabei hatte ich mich in den Jahren doch irgendwie daran gewöhnt, daß wir eben in jeder Hinsicht ein altes Ehepaar geworden waren. So stürzte ich mich regelrecht in die Arbeit, um den gnadenvollen Zustand des Vergessens schnell wieder zu erreichen, denn ich hatte meinem Mann doch Treue bis in den Tod versprochen, und außerdem war ich ohnehin viel zu alt, als daß sich außer Bruno noch irgend jemand für mich interessierte. Immerhin hatte mein Mann in wenigen Tagen Namenstag und gewöhnlich feierten wir solche Anlässe auch mit Geschlechtsverkehr.
Nach meiner Ankunft am frühen Montag nachmittag stellte ich den Koffer nur in das Schlafzimmer und sichtete zunächst die in den vergangenen Tagen aufgelaufene Korrespondenz. Während dessen kam Sebastian mit einem Freund nach Hause - das zumindest war mein Eindruck, denn zwei schlanke Gestalten in Motorradjacken, die Helme unter dem Arm, traten durch die Eingangstür, und von Sebastian hörte ich: "... du kennst dich ja aus."
Am Schreibtisch sitzend konnte ich gegen die strahlende Oktobersonne, die den Eingangsbereich durchflutete, nicht viel mehr als Schemen erkennen, also stand ich auf, um wenigstens 'Hallo' zu sagen und auch gleich zu zeigen, daß man eben keine sturmfreie Bude hatte, weil Mama zugegen war. Ich war sehr überrascht, in dem Gast meines Sohnes eine vielleicht zwanzigjährige Frau zu erkennen. Ich musterte die junge Frau hoffentlich unauffällig genug, während sie den Helm und die Lederjacke ablegte und zielstrebig auf dem Besucher-WC verschwand. Sie kannte sich wirklich aus.
Drei Tage war ich weg gewesen und Sebastian hatte plötzlich eine Freundin. Nun wurde ich wohl wirklich alt, wenn meine Söhne damit begannen, über eine eigene Familie nachzudenken. "Willst du uns nicht bekanntmachen?" fragte ich meinen Sohn mit gedämpfter Stimme. Sollte seine Freundin doch ruhig annehmen, er wäre wohlerzogen genug, selbst auf diese Idee gekommen zu sein.
"Aber du kennst Bea doch", gab mein Ältester vorwurfsvoll zurück.
Diese junge Frau war die kleine Beatrix von nebenan? Aber Beatrix war doch blond gewesen, und diese Frau hatte dunkle Haare. Als Beatrix noch sehr klein gewesen war, ein süßes, blondgelocktes Baby, hatte ich sie oft gehütet, weil ihre Mutter früh wieder arbeiten gegangen war. Dann entwickelte Beatrix sich zu einer dürren, frechen Rotzgöre, die sich mit Sebastian und Florian um Eis, Bälle und einen Platz auf der Schaukel prügelte. Obwohl sie nur drei Monate jünger war als Sebastian, war Beatrix erst ein Jahr nach Sebastian eingeschult worden, und als sie schließlich auf das Gymnasium kam, war der Kontakt der Kinder zueinander abgerissen. Weder ich noch Beatrix' Mutter hatten das Bedürfnis gehabt, dem entgegen zu steuern, weil es so auch viel weniger lautstarke und zum Teil sogar blutige Konflikte zwischen den dreien gab. "Wie kommt es, daß du... ihr...", wollte ich also etwas überrascht wissen. Immerhin wuchs sich ja nicht jede halbvergessene Sandkastenfreundschaft später zur Ehe aus.
"Sie besucht gerade für eine Woche ihre Eltern, und weil sie auch Moped fährt, haben wir einen kleinen Ausflug gemacht. Naja, und ihre Eltern sind grad' nicht zuhaus', sie hatte den Schlüssel vergessen, wie das so ist...", er grinste und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, daß es doch mehr gewesen war als nur ein Motorradausflug um der alten Zeiten willen. Nunja, die beiden waren jung und Sebastian hätte es schlechter treffen können.
"So, da bin ich wieder", sagte Beatrix und schloß sich erst auf dem Flur den Schlitz der Lederhose, bedachte Sebastian dabei mit einem regelrecht provozierenden Lächeln. Wollten sie miteinander ins Bett oder sich wieder einmal gegenseitig die Schädel einschlagen? Da Beatrix jetzt nicht mehr im Gegenlicht stand, sondern von der Sonne beleuchtet wurde, konnte man die Narbe neben ihrer linken Schläfe sehen, die sie Sebastian verdankte. Ich hatte die Kleine damals in die Klinik gebracht und ihr während des Verarztens das Händchen gehalten. "Wenn ich mal groß bin, heirate ich dich", hatte mir der damals sechsjährige Wildfang versprochen, obwohl sie auch in dem Alter schon durchaus verstand, daß es Männer waren, die Frauen heirateten und ich zu allem Überfluß doch auch schon einen Mann hatte. Aber damals wollte sie eben ein Junge sein und bei den wilden Tobereien mit meinen Söhnen war es ja auch viel praktischer, wenn sie ebenfalls Hosen trug und die Haare kurz.
Wie sie jetzt dastand, die kurzgeschnittenen, fast schwarzen Haare wild verstrubbelt um den Kopf, das lose um ihren schlanken Oberkörper hängende Sweatshirt, sah sie noch immer sehr jungenhaft aus. Und den herausfordernden Blick, den hatte sie auch noch.
"Hallo, Beatrix", sagte ich also. "Schön dich mal wieder zu sehen." Es war nur eine Floskel, aber plötzlich ging mir auf, daß sie wirklich ein sehr erfreulicher Anblick war. Nunja, wenn Sebastian und sie sich nähergekommen waren, würde ich sie ja noch häufiger sehen.
Draußen kam ein Auto zum Stehen. Sebastian lief zur Eingangstür und sah durch das Fenster hinaus. "Deine Eltern sind da, Bea", sagte er dann.
"Alles klar, Basti", antwortete Beatrix, sah dann noch mal zu mir. "Grüßen sie ihren Mann von mir", dann griff sie sich ihre Jacke und ihren Helm und lief mit Sebastian hinaus.
Hätte ich sie vielleicht ebenfalls siezen müssen? Immerhin war sie auch dreiundzwanzig und ich hatte sie einige Jahre nicht mehr gesehen. Ich schaute durch die offenstehende Eingangstür zu, wie Beatrix ihre Eltern begrüßte, sich mit einigen Worten bei Sebastian verabschiedete und dann im Nachbarhaus verschwand. Und Sebastian kam gemächlich zurückgeschlendert, zog die Haustür ins Schloß. "Ich hab' sie für heute abend auf ein paar Bier eingeladen", erklärte er. "Ich hoffe, das ist ok."
"Das ist aber eine merkwürdige Umschreibung für ein Treffen mit deiner Freundin", gab ich zu bedenken.
"Aber Bea ist doch nicht meine Freundin, sondern mein Kumpel. Die steht doch auf Mädchen", kam es da vorwurfsvoll von meinem Sohn.
Die glückliche Jugend! Na, dann waren wenigstens keine Forderung nach Alimenten zu befürchten. "Wollt ihr dann, was weiß ich, Platten hö..."
"CD's", unterbrach mich Sebastian, "oder Videos, oder wir daddeln ein bißchen, genauso wie wenn Ferdi hier ist. Und wir bleiben in meinem Zimmer und stören nicht Papas geheiligten Feierabend, versprochen."
Also rückte Mama noch einen Zwanziger für Bier und Knabberkram heraus.
*
Beatrix klingelte, als wir beim Essen saßen. Sebastian lud sie gleich ein, mitzuessen, ich legte noch ein Gedeck auf, und sie langte ganz undamenhaft zu. Allerdings schien es ihr ja zu bekommen, denn in dem engen T-Shirt und der kaum lockerer sitzenden Jeans machte sie eine wirklich gute Figur. So gut, daß sich Bruno kaum von dem Anblick ihrer offensichtlich BH-losen Brüste lösen konnte und ihr immerzu ins tiefe Dekolleté starrte, bis ich mich irgendwann an ein paar Reiskörnern verschluckte und ihn mein Räuspern anscheinend wieder seiner selbst bewußt werden ließ. Beatrix grinste ziemlich unverschämt, hielt aber den Mund. Und kurz nach dem Pudding verzog sie sich mit Sebastian in sein Zimmer. Vielleicht war sie angesichts ihres Aufzuges ja nicht nur an Mädchen interessiert.
Im Laufe des Abends hörte man von den Kindern nichts und schließlich ging Bruno ins Bett, um für den nächsten Morgen frisch zu sein, während ich mich noch einmal an meinen Rechner setzte, um ein neues Projekt vorzubereiten. Sebastians Zimmer lag neben meinem Arbeitszimmer und so verwunderte es mich nicht, in der nächtlichen Stille etwas von der Filmmusik zu hören, doch eine halbe Stunde später waren es andere Laute, die aus dem Zimmer meines Sohnes zu mir drangen. Das verhaltene rhytmische Stöhnen ließ darauf schließen, daß der Fernseher nun abgestellt worden war. Ich ertappte mich dabei, an meinen ersten sexuellen Kontakt zu denken, an den schlaksigen Falk, der mich ebenfalls zum Fernsehen ins Haus seiner Eltern eingeladen hatte und dann eifrig, aber nicht sehr gekonnt, begonnen hatte, mich zu befummeln. War ich damals auch so auf körperliche Lust fixiert gewesen, wie heute? Suchte ich damals nicht noch die 'Wahre Liebe' und fand sie dann auch in Bruno? Und was war aus unserer wahren, eindeutig auf Sex gegründeten Liebe geworden, nach fast fünfundzwanzig Ehejahren? Kreisten meine Gedanken nur weswegen so häufig um Sex, weil ich ihn meistens nur noch mit mir allein bekam? Ging es anderen langjährigen Ehefrauen ebenso? War das der Grund, warum man immer wieder hörte, diese oder jene habe sich einen zwanzig Jahre jüngeren Liebhaber gesucht? Mit dreißig Jahren hatte mein Bruno noch einen ganz anderen Elan bezüglich seiner ehelichen Pflichten an den Tag gelegt, nun war er nicht nur grau, sondern auch müde geworden. Und seine Frau saß an ihrem Schreibtisch und belauschte ihren eigenen Sohn dabei, wie der es mit seiner Freundin trieb.
Mehrstimmiges Kichern mischte sich in das Stöhnen, das abrupt verstummte, den Geräuschen einer Schießerei wich. Sie sahen sich also immer noch Filme an, da lagen keine ineinander verschlungenen nackten Leiber auf Sebastians Bett, trotz der nächtlichen Kühle schweißbedeckt von der erfüllenden Anstrengung. Es war alles nur irgend ein Film gewesen. Als ich in diesem Alter gewesen war, hatte es keines Pornos bedurft, um sexuelle Lüste in mir zu wecken, das immerhin wußte ich noch. Einfache Romantik hatte gereicht, ein mehr oder weniger unschuldiger Kuß auf der Mattscheibe, so daß man sich in den Körper der Heldin oder des Helden wünschte.
Ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Meine Gedanken liefen im Kreis, drehten sich zunehmend um die Frage, ob ich beim nächsten Besuch bei Florian einfach einmal allein ausgehen sollte, um zu versuchen, einen Mann für ein paar zärtliche Stunden aufzugabeln. Aber damit würde ich mich angesichts meines Alters und meiner Erscheinung nur lächerlich machen. Und Bruno wollte ich auch nicht betrügen.
Endlich machte ich Rechner und Lampe aus, um nach oben zu gehen und stieß am Fuße der Treppe fast mit einem dunklen Schatten zusammen. Beatrix kam wohl gerade vom Gäste-WC. Sie griff mit beiden Händen stützend nach meinen Armen, als fürchte sie, ich könnte auf die Treppe stürzen. "Entschuldigen sie, Frau Gärtner", sagte sie leise, mit biergeschwängertem Atem, strich mit ihren Daumen fast zärtlich über die Innenseite meiner Oberarme.
"Nichts passiert, Bea", beschwichtigte ich sie. "Entschuldigen sie, die Gewohnheit", setzte ich lahm hinzu, "ich meine natürlich: Fräulein Brandner."
"Bea ist schon ok", gab die junge Frau zurück, ließ mich aber nicht los.
"Ich glaube nicht, daß ich jetzt noch umfallen werde", gab ich zu bedenken.
"Wer weiß", sagte Bea daraufhin, dann beugte sie sich plötzlich vor und drückte ihre Lippen auf meine. Es war nur ein kurzer, geradezu unschuldiger Kuß, aber er ließ mir wirklich die Knie weich werden. Nun war ich sogar dankbar für den Halt, den Bea mir gab. Was ging nur in ihrem Kopf vor? Wie konnte sie auf so eine Idee kommen? Du meine Güte, was würden ihre Eltern dazu sagen, wenn es sich herumsprechen sollte? Ich versuchte, meine Arme aus ihrem Griff zu lösen, aber Bea ließ noch immer nicht los. Im Dämmerlicht, das aus dem oberen Flur herunterdrang, sah ich ihre Augen, ihre Lippen glitzern. Und was ging in meinem Kopf vor, daß ich plötzlich in Versuchung geriet, die junge Frau in den Arm zu nehmen, mich an ihre schönen, jungen Brüste zu schmiegen, den Kuß zu erwidern? Ja, ich hatte als Jugendliche auch einmal eine Phase gehabt, in der ich davon träumte, ein Mann zu sein, meine beste Freundin zu küssen, in die ich glaubte, verliebt zu sein - bis ich Falk kennenlernte und mit ihm die Freuden des gemischtgeschlechtlichen Sex. Aber wieso dachte ich gerade jetzt über den Austausch von Körperflüssigkeiten nach? Ich war seit fast fünfundzwanzig Jahren glücklich verheiratet! Ich mußte weg von ihr, irgendwie in Brunos Arme, seine breiten Schultern, seinen wunderbar behaarten Rücken streicheln, weg von dieser viel zu jungen, nächtlichen Versuchung.
Ich öffnete den Mund, um Bea aufzufordern, mich loszulassen, doch da legte sie abermals die Lippen auf meinen Mund, löste eine Hand von meinem Arm und streichelte mein Haar. Und ich glaubte plötzlich, innerlich zu kochen, konnte nicht anders, als den Kuß zu erwidern, bis ich nach Luft schnappen mußte.
"Sie haben so wunderbare Haare, Frau Gärtner", sagte Bea nun flüsternd. "Ich habe dieses Rot schon immer geliebt."
Ach Mädchen, inzwischen sind sie doch weitgehend grau. Mein Herz pochte so aufgeregt und die Kehle war wie zugeschnürt. Der Hitze nach zu urteilen mußten meine Wangen und Ohren gerade hochrot geworden sein, aber bei der Düsternis im Flur war es wohl gnädigerweise nicht zu sehen. Noch einen Moment hielt sie mit der einen Hand eine Haarsträhne von mir, die andere umfaßte meinen Oberarm, dann ließ sie beide Hände sinken. "Gute Nacht", hauchte sie und entschwebte in Sebastians Zimmer.
Und ich suchte mit einer Hand Halt an der Wand, lehnte mich schließlich, die glühende Stirn voran, ganz daran. Nie zuvor war ich in dieser Weise von einer Frau geküßt worden und kaum jemals zuvor waren Küsse so entzündend für mich gewesen. Ich merkte deutlich, wie feucht ich geworden war und das Verlangen nach einer Befriedigung dieser Lust wurde überwältigend. Trotzdem hatte ich ein ganz merkwürdiges Gefühl in meinem Bauch, als ich endlich neben Bruno im Bett lag, mit einer Hand den Körperkontakt zu ihm suchte und die andere in meine Pyjama-Hose gleiten ließ, doch zunächst die Finger auf meinem Schamhaar ruhen ließ. Ich streichelte den wohlig schnurrenden Bruno und dachte an eine junge, knabenhafte Frau, fragte mich, ob sie bereit sein würde, mir mehr zu geben, als einen Kuß - oder von mir mehr zu empfangen.
Ja, ich war sehr feucht geworden, spürte das Verlangen aufbranden, immer stärker, als ich mir vorstellte, es wären Beas Finger.
"Ich liebe dich, mein Schatz", sagte Bruno da plötzlich leise, legte einen Arm um mich.
So konnte ich nicht weiter machen. Wie konnte ich Bruno das nur antun, in seinem Arm von einer Frau zu träumen? Wieso konnte ich mich nicht mit der Tatsache abfinden, eben alt geworden zu sein. Ich hatte eine Menge erfüllenden Sex gehabt in meinem Leben, den meisten davon mit Bruno, unsere beiden Söhne waren ganz klar Kinder der Liebe. Und trotzdem war ich so undankbar, würdigte gar nicht das Geschenk, daß mir mit diesem wunderbaren Mann zuteil geworden war, sondern dachte an Bea, die ich als Baby auf genau diesem Bett gewickelt hatte.
Wie ihre Scham jetzt wohl aussehen mochte? Hatte sie ihr Haar dort gestutzt, ihm eine Frisur verpaßt, wie es viele junge Frauen machten? Hatte sie mehr Erfahrungen mit Sex, als meine Söhne sie meines Wissens bisher hatten? Woher wollte sie überhaupt wissen, daß sie an Mädchen - oder Frauen interessiert war?
Bruno küßte mich sanft auf die Wange, ließ seine Hand zu meiner unter den Hosenbund gleiten, stellte fest, daß ich die Bewegungen meiner Hand eingestellt hatte. "Schon fertig?" flüsterte er überrascht.
Ohne zu wissen, warum, mußte ich plötzlich weinen, schluchzte wortlos, schmiegte mich an Brunos Brust, als er mich so fürsorglich umarmte. Ich durfte nicht weinen, ging mir durch den Kopf. Morgen würde ich unendliche Kopfschmerzen kriegen, wenn ich jetzt weiter weinte, aber ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, weinte um meinen Verrat an meinem so wunderbaren Mann, denn ich würde nicht anders können, als immerzu an Bea zu denken, jedes Mal, wenn er mich küssen würde, jedes Mal, wenn ich an den Treppenabsatz kam, jedes Mal, wenn jemand eine Bemerkung zu meiner Haarfarbe machten.
"Meine Morgenröte, was ist denn?" fragte er zärtlich, doch das verstärkte den seltsamen Schmerz in meinem Inneren nur noch, und noch ungehemmter flossen die Tränen und der Rotz, bis ich schließlich irgendwie und mit rabenschwarzem Gewissen in Brunos Armen einschlief.
* * *
Natürlich war der nächste Morgen eine Qual. Ich nahm kaum wahr, wie Brunos Wecker klingelte und er sich erhob, spürte nur mein verquollenes Gesicht, die zugesetzte Nase, so daß ich wohl die halbe Nacht durch den Mund geatmet hatte und nun auch noch einen ganz trockenen Gaumen hatte. Ich drehte mich um, vergrub mich in meiner Decke und wachte erst auf, als Sebastian an die Schlafzimmertür klopfte.
"Mama, Wintermann ist am Telefon. Er sagt, es wäre dringend." Natürlich, die Arbeit rief. Es war halb zehn, eigentlich höchste Zeit, sich zu erheben, das Tagwerk wollte vollbracht werden, also wurde ich wieder Mama und Managerin, verbannte die Erinnerungen an die vergangene Nacht aus meinem Bewußtsein und rekapitulierte mein letztes Telefonat mit Justus Wintermann, während ich auf dem Bett sitzend ein Glas Wasser trank. Im Pyjama lief ich dann in mein Arbeitszimmer, um meinem völlig aufgelösten Starautoren gut zuzureden.
Bruno hatte am Morgen schon meine Koffer ausgepackt, die Wäsche in die Maschine gestopft und angestellt, so daß ich die Sachen nur noch aufzuhängen brauchte. Und da dieser Dienstag so schön war wie der Tag zuvor, kamen die Sachen auf die Wäschespinne in unserem von dichten Hecken umgebenen Garten. Noch immer im Pyjama ging ich hinaus und als ich gerade das letzte Teil mit zwei Klammern an der Wäscheleine befestigte, beide Arme gehoben, um das T-Shirt zu fixieren, wurde ich auf einmal von hinten umarmt. Schmale Hände, nicht größer als meine, legten sich auf meine Brüste, griffen sanft aber bestimmt zu und an meinem Ohr flüsterte es: "Haben sie gut geschlafen, Frau Gärtner?"
Bea! Die Situation war so skurril, daß ich wie im Reflex antwortete: "Ich kann mich von dir doch nicht 'Frau Gärtner' nennen lassen, wenn du..." Ein Schauder durchfuhr mich, als Beatrix mir sanft am Ohr knabberte. Zur Straße und den Nachbarhäusern war der Garten zwar blickdicht, aber wenn nun Sebastian gerade jetzt aus dem Fenster der Küche schaute, konnte er uns gar nicht übersehen.
"Alles klar, Magdalena... darf ich dich Lena nennen?"
Beas Stimme war so weich und einschmeichelnd, das 'Lena' aus ihrem Munde klang so verführerisch, daß ich, ohne es zu wollen, meine Hände auf die ihren legte, die Finger mit ihren verschränkte. Was tat ich da nur? Wie weich die Haut ihrer Hände war, so jugendlich zart. Solch eine wunderbare Haut mußte sie doch noch am ganzen Körper haben, einmal abgesehen von den Stellen, an denen sie Narben von den Auseinandersetzungen mit meinen Söhnen trug. So weich, ihre Lippen an meinem Hals, daß ich regelrecht dahinschmolz, mich an Bea schmiegte, um mit meinen ganz wackelig gewordenen Knien nicht wegzusacken.
"Lena mit den wunderbaren Haaren", flüsterte Bea in meine Halsbeuge, während sie gleichzeitig durch mein noch unfrisiertes Haar strich. Ich wollte mich ihr hingeben, aber der Gedanke an Sebastian erhielt noch einen Funken Vernunft in meinem von Begehren und fast vergessenen Gelüsten überfluteten Gehirn aufrecht. "Sebastian...", begann ich nuschelnd.
"Basti ist gerade weggefahren", antwortete Bea einschmeichelnd. "Erlaub mir, dich zu lieben, jetzt, hier."
Ich drehte mich in ihrer Umarmung zu ihr um, die Sonne ließ ihre braunen Augen in Gold- und Bronzetönen leuchten. Wie schön sie war, wie begierig ihre leicht geöffneten Lippen darauf zu warten schienen, mich alte Frau zu küssen. Wie sollte ich da widerstehen? Und so war ich es diesmal selbst, die dafür sorgte, daß unsere Lippen sich zu einem Kuß trafen, die eine die Zunge der anderen schmeckte, während Bea begann, die Knöpfe meiner Pyjamajacke zu öffnen, die Ärmel über die Schultern zurückstrich, so daß die Seide an meinen Armen und dem Rücken nach unten floß. Bea löste sich von meinen Lippen, um ihr eigenes T-Shirt über den Kopf zu ziehen, kein BH, kein Hemd war darunter, nur nahtlos sonnengebräunte Haut, schöne, noch jugendlich elastische Brüste.
Ich streichelte ihren Oberkörper, ihre wunderbar zarte Haut, die perfekten Rundungen ihrer Brüste, da beugte Bea sich zu mir und begann, eine Spur aus Küssen über meinen Hals zu meinen Brüsten zu ziehen. Ich hielt mich an Beas Taille fest, während sie den Gummizug meiner Pyjama-Hose über meine Hüfte nach unten streifte. Wie konnte mich das so unheimlich anmachen?
Ihre Hände wanderten um meine Taille, während sie mich weiter küßte, mit der linken Brust spielte. Merkte sie denn nicht, wie geil ich war? Wie sehr ich jetzt ihre Finger an meinem Geschlecht spüren wollte! Als Bea nun auf die Knie sank und ihren Mund über meinen Bauch wandern ließ, wußte ich nicht so recht, wohin mit meinen Händen, also griff ich nach ihrem Haar, ihrer zarten Schulter, um nicht den Halt zu verlieren. "Bitte, mach es mir jetzt", stöhnte das Verlangen in mir, die Wollust, die mich ganz überwältigt hatte.
Und Bea zog mich sanft zu Boden, auf das Gras, zog mir die Hose ganz von den Beinen, streichelte mit ihren zarten Händen meinen Unterleib, küßte mich auf den Bauch. "Deine Haarfarbe macht mich verrückt", flüsterte Bea ganz dicht an meiner Haut, erzeugte mir so eine Gänsehaut. Meine Hände verkrallten sich vor Lust in Beas kurzem Haar, und ich war zu schwach, gegen die Urgewalt, die Bea in mir entfesselte, anzugehen, viel zu schwach. Ich erlag meiner Wollust, gab mich ihr ganz hin, sündigte wissentlich, schreckliche, süße Sünde. Doch diese Erkenntnis änderte nichts an meiner Gier, immer weiter aufzusteigen mit den Wellen der Lust, ja sie schienen durch meine Erkenntnis sogar noch befördert zu werden, als wäre die Lust die Gischt auf dem aufgepeitschten Meer der Sünde, eine Welle, die mich höher und immer höher trug, Sün-de, Sünn-dee, Süünn-deeh, bis sie schließlich brach und mich erschöpft und zittrig zurückließ.
Es dauerte einen Moment, bis ich mich aus der Umnachtung des Orgasmus gekämpft hatte und mich aufsetzte. Erwartungsvoll sah Bea mich dabei an, ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Was hatte ich nur getan? Was hatte ich Bruno angetan! Ich brauchte seine Absolution, um ihm hiernach noch in die Augen sehen zu können.
"Hat es dir nicht gefallen?" fragte Bea besorgt, streichelte zärtlich meine Schulter.
Unwillkürlich zuckte ich vor ihrer Hand zurück und bereute es angesichts ihres gekränkten Blickes sofort. "Es hat mir sehr gut gefallen", versicherte ich ihr schnell, "viel zu gut." Ich konnte ihrem Blick nicht standhalten, senkte die Augen. "Es war wunderbar, wirklich." Beatrix wußte doch, daß ich schon länger verheiratet war, als es sie gab. Ich griff nach ihrer Hand, so weiche, wunderbar zarte Haut, die mich dazu verführte, sie zu streicheln, ihren Arm, hinauf zu ihrer bloßen Schulter, die Wange an ihre warmen, weichen Brüste zu legen. Kein Mann, mit dem ich ins Bett gegangen war, hatte sich so angefühlt, natürlich nicht. Ich legte meine Lippen auf ihren nachgiebigen Mund, küßte sie zärtlich. Und aus reiner Neugierde schob ich langsam meine Hand in den Bund ihrer Jeans, fühlte den Gummizug einer Unterhose. Niemals hatte ich gewagt, mit meiner besten Freundin intim zu werden, damals, vor so vielen Jahren, als ich etwa so alt gewesen war, wie Bea nun. Ich hatte davon geträumt, Maria zu küssen, und es nie getan. Vielleicht hätte ich es tun sollen, vielleicht wären wir dann sogar ein Paar geworden, auch wenn das in jener Zeit eigentlich undenkbar gewesen wäre. Vielleicht hätten wir es nicht so genannt, sondern nur unsere Freundschaft auf ganz besondere Weise gepflegt, doch es war müßig, sich darüber Gedanken zu machen, das war alles schon Jahrzehnte her. Bea jedoch war hier und jetzt, sie schmiegte ihren Schoß meiner Hand entgegen, hoffte wohl, daß ich sie so liebkoste, wie sie es mit mir gemacht hatte. Vielleicht war es noch läßlich, daß ich Bea erlaubt hatte, mich zu befriedigen, warum sollte ich die Sünde dann nicht perfekt machen und Bea auch ihren Spaß gönnen?
Ich entzog ihr die Hand, nur um schnell die Knöpfe ihrer Hose zu öffnen. Die darunter getragene Herrenunterhose in Feinripp mit Eingriff ließ mich lächeln. Bea war also noch immer ein halber Junge. Sie half mir ungeduldig, die beiden Hosen landeten neben meinem Pyjama im Gras.
Sie half mir ungeduldig, die beiden Hosen landeten neben meinem Pyjama im Gras und ich streichelte vorsichtig ihr Geschlecht, um sie mit meinen etwas vorstehenden Fingernägeln nicht zu verletzen. Doch dann senkte ich meinen Kopf zu ihrer Scham.
Bea stöhnte überraschend laut auf. "Jaah! Das ist unglaublich!" entfuhr ihr in einer Lautstärke, die bestimmt auch jenseits der Hecken um meinen Garten gehört worden war. Doch sie merkte wohl selbst, daß das viel zu laut gewesen war und entschuldigte sich flüsternd.
Es war fast, als spielte ich ein Instrument, das ich erst kennenlernen mußte. Auf eine winzige Positionsänderung änderte sich die Intensität oder die Tonhöhe von Beas Seufzern, so daß ich experimentierfreudiger wurde. Als Bea plötzlich begann, sich unter mir aufzubäumen, fiel mir wider Willen Bruno ein, der es ebenso genoß, aber viel einfacher zu 'bedienen' war. Wenn er sich so streckte, war es nicht mehr weit, bis er kam. Ich zog mich eher zusammen, vielleicht war Beatrix in dieser Hinsicht so extrovertiert wie ein Mann.
*
Wie schön sie war. Aber es zog mir beim Anblick ihres selig lächelnden Gesichtes so schmerzhaft das Herz zusammen. Bruno, die Jungs, Beas Eltern! "Das darf niemand jemals erfahren", entfuhr mir, während Bea etwas flüsterte. Erst als ich die Bestürzung in ihrem erhitzten Gesicht sah, verstand ich, daß sie gerade 'Ich liebe Dich' gesagt hatte. Was hatte ich nur getan! "Bea, bitte, versteh' mich nicht falsch", flehte ich. Sie wußte doch, daß andere unser Verhältnis nicht verstehen würden, daß wir kein Verhältnis haben konnten, nicht haben durften.
Bea kniff für einen Moment die Augen zusammen, schluckte und griff dann nach Hosen und T-Shirt, steckte die Beine in die Hosen, "Ich versteh dich nicht falsch", stand auf. Als sie so vor mir stand, fiel mir erst auf, daß ihr dunkles Schamhaar ein ganz gewöhnliches Dreieck bildete, so wie es eben wuchs. "Ich hab das Spiel begonnen und du hast mitgemacht." Sie zog den Herrenslip mit einer ruckartigen Bewegung über ihren so entgegenkommenden Schoß. "Danke dafür." Und während sie die Knöpfe ihrer Jeans schloß fuhr sie fort: "Du hast keine weiteren Verpflichtungen. Ab sofort...", doch sie machte eine Pause, um das T-Shirt über den Kopf zu ziehen. Ihre noch immer zusammengezogenen Brustwarzen zeichneten sich deutlich durch den dünnen Stoff ab. "... bist du wieder Frau Gärtner für mich."
Was sollte ich dazu sagen? Ich stand auf, um ihr wenigstens in die Augen zu sehen. Aber ich konnte doch nicht um ihr Verständnis und ihr Entgegenkommen flehen, so gerne ich es auch getan hätte. Ich hatte gerade wissentlich meinen Mann mit ihr betrogen, das heilige Sakrament der Ehe geschändet. Es hatte mir Spaß gemacht, mich so erregt, wie schon lange nichts mehr, aber es war grundfalsch gewesen. Mit Bruno verband mich mein halbes Leben. Ich konnte ihm doch nicht aus einer Laune heraus den Laufpaß geben, oder wie stellte Bea sich das vor?
Als ein leichtes Wehen des Windes plötzlich das nur halb angeklammerte T-Shirt von der Wäschespinne neben uns löste, griff ich reflexhaft danach, suchte eine Klammer aus dem Beutel und machte es wieder an der Leine fest. Und als ich wieder in Bea Richtung schaute, war sie verschwunden.
Wie betäubt war ich, zog meinen Pyjama wieder an, hörte, wie draußen ein Motorrad gestartet wurde. War Sebastian doch noch hier gewesen? Aber nein, vermutlich war es Beatrix, die gerade irgendwohin fuhr, gekränkt, enttäuscht - meinetwegen. Schande über mich!
Bruno! Er würde mir helfen, mich trösten, mir erlauben, mich an seiner wunderbar breiten Brust auszuweinen. Nein! Das konnte ich ihm doch nicht antun, ihm erzählen, daß meine eheliche Treue zu ihm ins Wanken geraten war, durch die kleine Beatrix von nebenan. Aber nach über fünfundzwanzig Jahren das erste Mal wieder zur Beichte gehen? Einem Mann, dem die Fleischeslust ganz fremd sein sollte erzählen, daß sie mich übermannt hatte in Form einer jungen Frau? Aber vielleicht würde mir die Muttergottes wieder helfen können. Sie hatte mir vor Jahren doch auch geholfen, als ich nicht aus noch ein wußte, hochschwanger mit unserem ersten Kind und mit einem arbeitslosen Mann, der sich finden wollte.
Froh, ein Ziel zu haben, lief ich hinauf in das Schlafzimmer, zog mich hastig an, kämmte mich und wühlte dabei in meiner Schmuckschublade, bis ich den Rosenkranz fand, den meine Oma mir vermacht hatte, stopfte außerdem ihr schwarzes Spitzenkopftuch in die andere Jackentasche, auch wenn es zu meinem Hosenanzug nicht passen würde. Mit dem Fahrrad fuhr ich zur Frauenkirche, spürte viel deutlicher als sonst, wie mein Geschlecht rhythmisch gegen den Sattel drückte, erinnerte mich Bea. Nein, das durfte einfach nicht sein! Ich versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, doch es gelang nicht, die Erinnerung an Beas sanfte Hände und zärtliche Lippen abzuschütteln. Hoffentlich half mir die Muttergottes dabei.
Als ich das Fahrrad abgestellt hatte, legte ich das Spitzenkopftuch um meine Haare, drückte die schwere Tür zum Kirchenschiff auf. Obwohl es so lange her war, griff ich doch wie in alter Gewohnheit in das Weihwasser und bekreuzigte mich. Die Kirche war leer an diesem Vormittag, und ich mußte an die alten Mütterchen in den fast bodenlangen, dunklen Kleidern, mit ihren blauen und grünen Bäuerinnenschürzen denken, die in meiner Kindheit immer vor dem Marienbild anzutreffen gewesen waren, die Knie auf dem Betstuhl, den Rosenkranz in den runzeligen Händen, die Gesichter im Schatten ihrer Kopftücher, hinuntergebeugt, fast unhörbar den Rosenkranz betend.
Ich warf das Geld für zwei Kerzen in den Opferstock, auch wenn ich nicht hätte sagen können, ob sie als Fürbitte für Bruno und mich, oder für Bea und mich oder gar für Bruno und Bea gedacht waren. Kurz entschlossen entzündete ich noch eine dritte Kerze. Und wie die alten Mütterchen kniete ich mich vor dem lieblichen Marienbild auf den Betstuhl, nahm den Rosenkranz mit den in der Form von Rosenblüten geschnitzten Perlen in meine runzligen und durch die fortscheitende Pigmentstörung fleckig gebräunten Hände. Automatisch suchten meine Finger das Kreuz, ich bekreuzigte mich. Da war noch Beas Duft an meinen Fingern, stellte ich entsetzt fest. Nein, nicht daran denken. Einfach den Rosenkranz beten. Und die Worte flossen als murmelndes Bächlein über meine Lippen, wie meine Oma es mich gelehrt hatte, als hätte ich seit dem jeden Tag einen Rosenkranz gebetet.
Als ich das vierte oder fünfte Mal sprach: "Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade", und merkte, daß meine Zunge und meine Lippen ohne mein Zutun die richtigen Worte bildeten, fühlte ich mich plötzlich meiner Oma und jenen Mütterchen so nahe. Sie waren wahrscheinlich nicht älter gewesen, als ich es nun war, und vielleicht waren ihre Probleme gar nicht so anders gewesen, als meine nun. Sorgen um die Familie und die Ehe, um die Kinder, das Geld, das Haus, die Arbeit und die Gelüste ihres welk gewordenen Leibes. Es war tröstlich, sich nicht allein zu fühlen.
Ich merkte meine Knie sehr deutlich, als ich endlich den Kranz bis zum Ende gebetet hatte. Ich sah hinauf in das junge und schöne Gesicht der Maria, die so gütig, so mütterlich auf mich herablächelte. Ich konnte sicher sein, daß sie mich verstand und mir helfen würde. Ich mußte einen Moment nachdenken, bis mir das Bittgebet wieder einfiel, das meine Oma bevorzugt hatte: "Gedenke, gütige Jungfrau Maria", flüsterte ich, "es ist noch nie gehört worden, daß jemand,... der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen und um deine Fürsprache gefleht, von dir verlassen worden sei." Ein Tropfen fiel auf meine zum Gebet um den Rosenkranz gefalteten Hände. Ohne es zu merken hatte ich begonnen zu weinen. "Von solchem Vertrauen beseelt, nehme ich meine Zuflucht zu dir, Mutter Jesu Christi und Jungfrau der Jungfrauen.... Zu dir komme ich, vor dir knie ich als armer sündiger Mensch. Mutter des ewigen Wortes, verschmähe nicht meine Worte, sondern höre mich gnädig an und erhöre mich... Amen."
Sie wußte, warum ich hier war, ich mußte ihr nichts erzählen von Bea oder Bruno, von der Lust die ich in der Vergangenheit mit dem einen geteilt hatte und der Lust, die ich mit der anderen heute morgen teilte. Nichts mußte ich sagen von der Liebe, die mich mit Bruno verband, der Liebe zu unseren gemeinsamen Söhnen, und auch nichts von dem Begehren nach, der Zuneigung zu Bea, die mir alten Frau noch einmal neu die Welt der Lust eröffnet hatte. Bea, die ihr Herz in meine Hände gelegt hatte, als sie mir offenbarte, daß sie mich liebt. Wie konnte ich auf mein eigenes Herz hören, daß mich zu Bruno zog und zugleich zu Beatrix, das in meiner Brust zu zerreißen drohte an dem Zwiespalt zwischen der Liebe zu meinem Mann und dem Begehren, Beas jungen Körper wieder zu spüren, für ihr Geschenk der Liebe etwas Gleichwertiges zu geben?
Es war keine momentane Sinnesverwirrung, Bea hatte ein schlafendes Untier in mir geweckt. Aber war dieses Untier wirklich so fürchterlich? Es war doch immer schon ein Teil von mir gewesen, ein Teil der an die Kette gelegt gewesen war, seit der Gedanke an geschlechtliche Vereinigung in mir erwachte. An die Kette gelegt von dem was 'man' tat oder eben nicht tat. Von mir selbst an die Kette gelegt, weil ich eine brave Tochter und Enkeltochter war. Und doch hatte ich in Brunos Armen nie etwas vermissen müssen. Wieso aber hatte ausgerechnet Bea das Untier dann so schnell entfesseln können, daß plötzlich nichts mehr galt von dem, was vorher wichtig für mich gewesen war? Aber nein, das stimmte nicht. Bruno war wichtig, so wichtig, daß ich ihm nicht wehtun wollte. Aber er mußte es erfahren. Er mußte von dem Untier erfahren, denn es war ein Teil von mir und gehörte nun zu unserem gemeinsamen Leben.
Ich verharrte noch für einen Moment in der Stille des Seitenschiffes, obwohl Schritte dicht neben mir erklangen, und ich dankte der Muttergottes für ihren guten, wenn auch nicht leicht umzusetzenden Rat. Mit steifen Gliedern erhob ich mich aus dem Betstuhl und ging mit gesenktem Kopf vorbei an den Männern und Frauen, die anscheinend die Kirche besichtigten. Das Spitzenkopftuch nahm ich erst von den Haaren, als ich mein Fahrrad aufgeschlossen hatte.
Ich kehrte nach Hause zurück und stellte fest, daß ich drei Stunden fort gewesen sein mußte. Bald würde Bruno aus dem Theater nach Hause kommen und auf mich wartete eigentlich die Vorbereitung der Lesungen auf der Buchmesse. Aber ich brachte doch erst den Rosenkranz nach oben, legte auch das Kopftuch weg, dann ging ich in die Küche um mir einen Kaffee zu kochen. Als ich die Dose mit dem Kaffeepulver öffnete und mir der Duft in die Nase stieg, merkte ich plötzlich, daß ich enormen Hunger hatte und mir fiel ein, daß ich heute noch nicht einmal ein Frühstück gehabt hatte. Ein Brot mit Käse, ein paar Tomaten, ein Joghurt sollte es werden, aber nur eine Tasse Kaffee hatte ich getrunken, als es an der Tür klingelte.
Vor der Tür stand meine Nachbarin, Frau Brandner, Beas Mutter, in Tränen aufgelöst. "Tut mir leid, wenn ich störe", schniefte sie, "aber Bea...", und sie schluckte so schwer, wie Bea ein paar Stunden zuvor, als ich ihr Liebesbekenntnis abgelehnt hatte. "Ich kann nicht fahren, nicht so. Bringen Sie mich bitte zu ihr ins Krankenhaus?"
* * *
Das Elisabethstift lag nur zehn Autominuten von uns, aber da ich das ungewohnt große Auto von Familie Brandner fuhr und es durch die ebenso ungewohnte Automatik-Schaltung auch noch schaffte, es zweimal in Kurven absaufen zu lassen, brauchen wir dorthin fast zwanzig Minuten. Frau Brandner erzählte irgend etwas von einem Anruf aus dem Krankenhaus, aber da ihre Stimme zunächst noch von ihren Tränen erstickt wurde und später so leise war, daß das Motorengeräusch sie übertönte, erfuhr ich nichts Genaueres über Beas Zustand. Daß sie einen Motorrad-Unfall hatte, erschloß ich mir eher selbst, als es wirklich zu verstehen. Aber auch das bereitete mich nicht auf den Anblick vor, der sich bot, als ich ihre Mutter in den Behandlungsraum der Notaufnahme begleitete.
In dem hell erleuchteten, weiß gekachelten Raum, umgeben von drei Gestalten in weißen Kitteln, lag auf einer fahrbaren Liege eine schlanke Frau mit geschlossenen Augen, ganz bleich, aber mit auffällig roten Stellen am hellen T-Shirt, im Gesicht und am rechten Arm, wie eine kaputte Porzellanpuppe, die in Ketchup gefallen war. Natürlich war es Blut, hauptsächlich wohl aus einer Platzwunde oberhalb des rechten Auges, die gerade genäht wurde. Der Hals war von einer Kunststoffmanschette umgeben, und nur mit Mühe erkannte ich in dieser Frau Beatrix, vor allem, weil sie noch immer das gelbe T-Shirt und die geknöpfte Jeans trug. Das rechte Hosenbein war bis zum Knie aufgeschnitten, das Bein darin anscheinend gebrochen, denn gerade wurden Fuß und Wade von zweien der Ärzte oder Krankenpfleger mit Gipsbinden umwickelt.
Beatrix wimmerte leise, in meinen Ohren klang es eher ängstlich, als schmerzerfüllt und es erinnerte mich sehr an ihr eigenes kindliches Selbst. Frau Brandner umklammerte meine Hand. "Das arme Kind", stöhnte sie und war wieder den Tränen nahe, vermied auffällig, zu ihrer Tochter zu schauen.
Der bebrillte Mann, der die klaffende Wunde in Beas Gesicht nähte, sah zu uns. "Sie sind die Mutter der jungen Frau?", fragte er mich.
Ich schüttelte den Kopf und mußte mich räuspern, bevor ich einen klaren Ton hervorbrachte. "Ich bin die Nachbarin. Ich habe Frau Brandner hergefahren."
Anscheinend war der Brillenträger nun fertig, denn er stand von dem rollbaren Hocker am Kopfende der Liege auf, streifte seine Handschuhe ab und warf sie in einen Eimer. "Kommen sie doch bitte eben mit, Frau Brandner, wir brauchen noch ein paar Angaben zur Krankenversicherung ihrer Tochter, außerdem möchte die Polizei mit ihnen sprechen."
"Könnten sie bei Beatrix bleiben?" bat die Mutter mich, und ich nickte.
Der - angesichts eines aus seiner Kitteltasche baumelnden Stethoskops - mutmaßliche Arzt gab erst Frau Brandner dann mir die Hand, dann zeigte er auf den Hocker, den er verlassen hatte. "Setzen sie sich da hin, reden sie ihr gut zu, das wird sie trösten, auch wenn sie durch die starken Sedativa jetzt nicht viel mitbekommt." Dann ging er mit Frau Brandner hinaus.
Ich schob den Hocker um die unartikuliert jammernde Bea herum, um nicht ihre offensichtlich verletzte rechte Hand, sondern ihre Linke zu nehmen, die sich sofort um meine Finger schloß. Ganz unangemessen ging mir der Gedanken durch den Kopf, daß ihren schönen Brüsten, ihrem duftenden Körper glücklicherweise nichts passiert war - und natürlich fragte ich mich, wieviel Schuld ich an ihren Verletzungen trug, an der Platzwunde, dem verschwollenen Gesicht, ihren gebrochenen und aufgeschürften Gliedmaßen. So oft hatte ich ihre Hand gehalten, als sie noch viel kleiner war, wenn kleine oder größere Wunden mit Pflastern oder zwei Stichen versorgt werden mußten, die sie in Auseinandersetzungen mit meinen Söhnen davongetragen hatte. Aber nie war ihre Hand dabei so kühl gewesen, und nie so groß wie meine. Sie war inzwischen erwachsen und hatte mir ihre Liebe offenbart - aber ich hatte sie fortgeschickt.
"Erzählen sie ihr einfach irgendwas, es wird sie beruhigen", sagte der Mann, der nun seltsamerweise den frisch gemachten Gips um den Fuß wieder der Länge nach aufschnitt.
Daß meine Stimme die weinende Bea beruhigen würde, bezweifelte ich stark. War sie wirklich so wie sie da lag Motorrad gefahren - ohne Lederkleidung, ohne Helm? Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein! Hatte sie es wissentlich darauf ankommen lassen, umzukommen? Dann traf mich die ganze Schuld an den Verletzungen, als hätte ich sie ihr persönlich zugefügt. "Bitte verzeih mir", flüsterte ich und betete im Stillen darum, daß Bea es nicht hörte, sondern nur spürte, daß ihre Hand gehalten wurde.
Irgendwie verging die Zeit, vielleicht wurde Beas Wimmern leiser, vielleicht gewöhnte ich mich auch nur daran. Der aufgeschnittene Beingips war inzwischen mit einer elastischen Binde umwickelt, der zerschundene Arm ebenfalls mit einem Stützverband versehen, und Frau Brandner kam mit dem Arzt zurück.
Sie stellte sich neben mich, sah auf ihre inzwischen anscheinend mehr oder weniger schlafende Tochter hinunter. "Sie wird jetzt auf die Intensivstation gebracht", erklärte sie mir dann flüsternd, als habe sie Angst, ihr verletztes Kind mit diesem Wissen zu belasten. Dann drückte sie mir ihre Autoschlüssel, die ich ihr nach dem Abstellen des Wagens auf dem Parkplatz zurückgegeben hatte, in die Hand. "Fahren sie mit dem Wagen nach Hause, ich bleibe erst einmal hier. Vielleicht... vielleicht werfen sie die Schlüssel einfach bei uns in den Briefschlitz, dann findet mein Mann sie vor."
Nur zögernd konnte ich Beas Hand lassen, legte den unverletzten Arm vorsichtig auf der Liege neben ihre wohlgeformte Hüfte. Was hatte ich nur getan? Drei Leben hatte ich an einem einzigen Vormittag zerstört. Was nur möglich war mußte ich wieder gutmachen, an Bea, an Bruno. Aber wie sollte mir das gelingen? Wenn Bea nun auf die Intensivstation mußte, war es wohl doch ernster, als nur gebrochene Knochen und Schürfwunden, aber ich wagte nicht zu fragen, da ich nicht wußte, ob ich mit der Antwort würde leben können. Es war besser, für den Augenblick zumindest daran zu glauben, daß sich niemand die Mühe gemacht hätte, ihre Wunden zu versorgen, wenn nicht eine Chance auf Heilung bestand. "Wenn irgendetwas... wenn ich helfen kann...", doch dann versagte mir die Stimme.
Frau Brandner lächelte gequält. "Danke für ihr Angebot. Aber hier wird ja alles, was menschenmöglich ist, für sie getan. Wie oft ich ihr zugeredet habe, diese Motorradfahrerei zu lassen. Aber davon wollte sie ja nie etwas hören." Die letzten Worte waren gar nicht mehr an mich gerichtet, so leise wie Frau Brandner sie gesprochen hatte, und ich ließ Mutter und Tochter allein.
Langsam und vorsichtig fuhr ich mit dem fremden Auto nach Hause, steckte den Schlüssel in den Briefschlitz bei Brandners, stand einen Moment unschlüssig vor der Tür, überlegte, ob ich klingeln sollte, um vielleicht mit Beas Vater zu sprechen, aber was sollte ich ihm sagen - wenn er denn überhaupt zu Hause war. Also ging ich hinüber zu meiner eigenen Haustür. Sie war noch verschlossen, also waren weder Sebastian noch Bruno bisher nach Hause gekommen. Erleichtert, die Aussprache mit meinem Mann, die ich der Muttergottes versprochen hatte, noch vor mir herschieben zu können, ging ich in die Küche, um endlich mein Frühstück nachzuholen, aber angesichts der roten Tomaten verging mir der Appetit. Also saß ich nur da, schaute auf den kaltgewordenen Kaffee in der Glaskanne. Dann vergrub ich mein Gesicht in den Händen und betete inbrünstig darum, daß es Bea bald besser gehen möge und daß sie die Kraft fand, mir zu verzeihen.
Ich war am Küchentisch in mich zusammengesunken und spürte plötzlich eine vertraute Hand auf der Schulter. "Was ist, meine Morgenröte?" fragte Bruno liebevoll, und ich lehnte mich wortlos an ihn, ließ mich umarmen, und endlich flossen die Tränen meiner Verzweiflung. Bruno strich mir über das Haar, ließ mich weinen, gab mir den Halt, den er mir in unserem gemeinsamen Leben fast immer gegeben hatte, doch nun steckte in mir ein entfesseltes Untier, das ihm seine Kraft für mich wohl nehmen würde. Und ich mußte ihm davon erzählen.
"Ich habe schon von Beatrix' Unfall gehört", begann Bruno leise, seine tiefe Stimme hallte in seinem Brustkorb wider. "Ich weiß, daß sie früher immer wie eine Tochter für dich war. Und nun kannst du nicht einmal bei ihr sein. Es tut mir so leid."
Nein, mir sollte es leid tun, ich war Schuld an dem Unfall. Wie sollte ich das wieder gutmachen? Und wie konnte ich Bruno so etwas Entsetzliches erzählen? Hatte ich Bea deswegen von mir gestoßen, weil sie mir fast eine Tochter war? Was, wenn sie eine völlig fremde Frau gewesen wäre? Hätte ich mich dann darauf eingelassen, ihre Küsse, ihre Liebkosungen zu erwidern? Nein, ich hätte mich schon in der vergangenen Nacht gewehrt oder um Hilfe gerufen.
Und Bruno erzählte weiter: "Sebastian wird sich um Beas Motorrad kümmern und will heute abend noch mal versuchen, sie zu besuchen. Es wird schon alles wieder gut werden, mein Schatz. Ein paar Brüche und Platzwunden, das heilt doch alles wieder."
Ach, natürlich verstand er es nicht. "Aber ich bin doch schuld", flüsterte ich, "ich bin doch Schuld an ihrem Unfall."
"Aber nein, Mama!" ließ Sebastian sich da plötzlich vernehmen. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß auch mein ältester Sohn in die Küche gekommen war. "Bea ist doch deswegen mitten im Semester nach Hause gekommen, weil sie mit einer 'Lena' ins Reine kommen wollte", erklärte er. "Bea hatte ziemliches Muffensausen deswegen, aber ich hab ihr noch zugeredet. Wahrscheinlich lief es nicht so, wie sie es sich erhofft hatte, und kopflos wie sie in solchen Fällen nun mal ist, ist sie einfach losgefahren. Also bin ja wohl am ehesten ich schuld."
Ich war versucht, ihn anzusehen, aber ich wagte es dann doch nicht, vergrub mich noch tiefer in Brunos starken Armen, denn wer wußte, ob sie mir nach meinem Geständnis noch zur Verfügung standen. Doch ich mußte endlich zu meiner Schuld stehen: "Aber 'Lena', das bin ich."
* * *
Bruno löste sich eine halbe Armlänge, um mir ins verweinte Gesicht zu schauen. "Was mußtet ihr denn miteinander klären?" fragte er ahnungslos, während ich sah, daß Sebastian plötzlich einen roten Kopf bekam. Anscheinend hatte Beatrix meinen Sohn recht detailliert in ihre Pläne eingeweiht. Er murmelte so etwas wie "Ich muß jetzt mal nach Beas Moped sehen", und verkrümelte sich überraschend schnell.
Plötzlich waren Bruno und ich allein. Wie lange hatte Bea denn ihre Absicht, sich mir zu erklären, schon mit sich herumgetragen? Ihr Liebesgeständnis wurde ja noch größer, wenn sie es schon länger geplant hatte. Natürlich konnte ich behaupten, Bea habe mich verführt. Sie hatte ja auch den Anstoß gegeben, aber es hatte mein Begehren nach ihr nur entfesselt, nicht erst erschaffen.
Bruno schien die Geduld zu verlieren, denn er zog mich von meinem Stuhl hoch, drückte mich dann zärtlich an sich. "Mein armer Schatz! Es war doch ihre Entscheidung, ohne Helm und Lederkleidung zu fahren. Sie ist erwachsen und alt genug, die Konsequenzen einer solchen Entscheidung abzusehen, auch nach einem Streit."
"Ich habe sie so schrecklich vor den Kopf gestoßen", klagte ich in Brunos Hemd. Es roch nach irgendetwas Gebratenem, vermutlich hatte er sich mit seinem Mittagessen bekleckert. "Gibt mir das Hemd heute abend gleich in die Wäsche", sagte mein Ehefrauenautomatismus.
"Grrr, Magda, das kann ich auch selbst in die Waschmaschine stecken. Worüber habt ihr euch denn gestritten, wenn es so schrecklich war? Wenn du dich dermaßen schuldig fühlst, dann sprich doch mit mir darüber, teile deine Schuld mit mir, damit ich dir helfen kann, sie zu tragen!" rief Bruno aus.
"Aber dann wirst du mich hassen!" verzweifelte ich an meinem Vorhaben. Nur Brunos Stärke würde mir helfen, die Schuld an Beas Verletzungen zu tragen, doch wenn ich ihm nun alles sagte, würde er sicher auf Distanz gehen.
"Ich kann mir nichts vorstellen, das mich dazu bringen würde, dich zu hassen", versichert Bruno mir, küßte mich ganz sanft auf die Stirn, dann auf den Mund, länger, liebevoll, gierig, und ich wollte darauf eingehen, hoffte insgeheim, damit die Lust an der Vereinigung mit Bea fortzuwaschen, aber dann entzog ich mich ihm doch. "Dann hast du nicht genug Fantasie."
Bruno löste gekränkt seine Umarmung. "Also sag endlich, was los ist. Du tust ja so, als hättest du der kleinen Brandner persönlich das Motorrad unter dem knackigen Hintern weggezogen."
Ich wich noch ein Stück von Bruno zurück, um ihm in die Augen sehen zu können und lehnte an der Arbeitsplatte, als ich endlich begann: "Sie hat mir Komplimente gemacht und ich... ich habe sie geküßt." Den Unglauben in Brunos Gesicht mochte ich nicht sehen, also senkte ich den Blick, als ich fortfuhr: "Eins führte zum anderen... und dann sagte sie mir, daß sie mich liebt, aber ich habe sie fortgeschickt, weil ich dir doch Treue geschworen habe."
"Aber den Schwur hattest du zu dem Zeitpunkt doch schon mit Füßen getreten", warf Bruno zurecht ein.
"Ja, das hatte ich. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich es bedaure, wie sehr ich wünschte, das alles ungeschehen zu machen, um unseretwillen, um Beas Willen..." Was sollte ich noch sagen, jetzt war ja alles heraus und mein Leben mit Bruno fand nun hier in unserer Küche sein Ende.
"Also wolltest du es gar nicht tun", stellte Bruno fest, oder klang das doch eher wie eine Frage?
Ich sah ihn wieder an, noch immer schien er nicht zu glauben, was ich gesagt hatte. "Doch, ich wollte es tun. Beatrix hat mich zu nichts verleitet oder überredet, ich wollte sie küssen und liebkosen."
"Sie ist ein ziemlich heißer Feger geworden", gab Bruno mir recht, kam zwei Schritte näher und strich mir wieder so liebevoll über das Haar. "Daß das ausgerechnet dir passieren mußte ist schon komisch", sagte er dann mit einem kleinen Lächeln.
"Du hast es anscheinend noch nicht verstanden, Bruno. Wir waren beide nackt und haben uns im Gras unter der Wäschespinne geliebt."
Bruno riß die Augen auf. "Kann ich noch mehr Details haben?" fragte er. Oh nein, warum mußte der Komödiant ausgerechnet jetzt einen seiner schlüpfrigen Witze machen? "Bruno, das ist keine Komödie, das ist bitterer, in Beas Falle sogar blutiger Ernst. Sie wollte sich töten, weil ich sie weggeschickt habe."
"Dann hättest du sie lieber nicht wegschicken sollen. Warum durfte sie denn nicht bleiben, wenn du dich nicht gezwungen fühltest? Dachtest du, wenn du mich betrügst, mußt du zur Strafe Beatrix das Herz brechen? Was empfindest du denn genau für sie, wenn du bereit warst, mit ihr intim zu werden?"
"Ich weiß es nicht genau", gestand ich. "Im Moment sorge ich mich um sie, wie um mein eigenes Kind."
"Natürlich", warf Bruno ein, "aber nach dem, was Brandner erzählte, wird's wohl wieder werden."
Die Erleicherung darüber ließ in meinem Herzen plötzlich das Ungeheuer wieder erstarken. Und ich merkte, daß meine Gefühle für Bea überhaupt nicht mütterlich waren, es war Begehren, vielleicht sogar... "Es könnte gut sein", fuhr ich also fort, "daß ich sie nicht nur begehre, sondern liebe."
"Und liebst du mich auch?" fragte Bruno geradeheraus.
"Aber natürlich! Und es tut mir so leid, dir mit dieser Geschichte das Herz zu brechen."
Bruno schloß mich so spontan in die Arme, daß ich völlig überrascht wurde, küßte mich auf beide Wangen. "Ach, Magda, ich liebe dich, aber du machst dir immer viel zu viele Sorgen. Sei doch einmal im Leben etwas lockerer. Meinst du, ich wollte oder könnte mit einem zweiundzwanzigjährigen Mädchen konkurrieren? Sie ist jung, traumhaft schön, und wenn ihr einander liebt, dann genieße das doch, anstatt dich gepeinigt zu fühlen. Ich mache mir erst Sorgen wenn du mir sagst, daß du mich nicht mehr liebst."
"Aber ich habe dich verletzt."
"Ich fühle mich aber nicht verletzt, ich bin nur ein bißchen..." er suchte nach dem richtigen Wort, "ich bin überrascht, ja das trifft es."
Ich wußte ja, daß er häufig eine etwas andere - vielleicht entspanntere - Sichtweise auf mir dramatisch erscheinende Situationen hatte, aber dies betraf doch ihn selbst! "Du bist verletzt", erklärte ich ihm also, "dein Weib hat dich belogen und betrogen."
Bruno schüttelte den Kopf. "Nein, du hast mich betrogen und mir die Wahrheit gesagt. Und ich freue mich, daß die Liebe deine manchmal sehr störenden moralischen Grundsätze einfach so aus den Angeln gehoben hat."
"Du FREUST dich?" fuhr ich auf.
Jetzt grinste Bruno regelrecht. "Ja, ich freue mich. Magda, du hast mir grade eröffnet, daß du eine Frau liebst. Vor ein paar Wochen hast du noch nicht mal hingucken mögen, als sich auf einer Parkbank zwei junge Frauen küssten. Als wir jung waren hatten wir nicht so eine wilde Zeit, weil ich verstand, daß dich das beunruhigt - auch wenn ich es mir manchmal gewünscht hätte. Aber jetzt, wo wir älter und gesetzter sind und unserer gegenseitigen Liebe doch sicher, entfacht die neue Liebe, die dir in den Schoß gefallen ist, vielleicht auch neues Feuer für uns." Bruno beugte sich zu mir, aber ich war über das Gehörte so verdattert, daß ich mich plötzlich ganz überrascht an seinen Lippen wiederfand und einen so langen, so erregenden Kuß empfing, wie seit unserer ersten Verliebtheit nicht mehr.
"Das geht doch nicht", protestierte ich schwach, als Bruno plötzlich meine Bluse aufknöpfte und unter dem Stoff um mich herumgriff, um auch den BH zu öffnen. "Nicht hier in der Küche."
Bruno schloß mir mit seinen Lippen wieder den Mund, dann fuhr er mit seinen Fingernägeln ganz sanft über meinen Rücken, so daß ich in seinen Armen dahinschmolz. Er wußte viel zu gut, wie er mein Begehren anstachelte.
"Nein... wenn nun Sebastian...", versuchte ich noch einmal, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber er hörte nicht auf, öffnete meine Hose, küßte mich lange. "Ich liebe dich", seufzte ich, als er mich umdrehte und meinen Oberkörper zur Küchentischplatte neigte.
"Ich liebe dich", war Brunos Echo.
Wie lange wir beide uns nicht mehr geliebt hatten, geschweige denn ganz spontan, tagsüber und noch dazu in der Küche! Hatte wirklich Beatrix dafür gesorgt, daß Bruno und ich unser gegenseitiges Begehren wiederfanden? Aber das war in diesem Moment völlig egal.
Schließlich drehte Bruno mein Gesicht zu sich, küßte mich wieder lange und so begierig, als wolle er noch einmal von vorne beginnen. Das ließ er dann aber doch bleiben.
In diesem Moment hatte ich Beatrix völlig vergessen, aber Bruno flüsterte: "Morgen mußt du sie besuchen. Sag ihr, was du für sie empfindest und erkläre ihr, was dich bewogen hat, sie fortzuschicken. Versprichst du mir, daß du das tun wirst?" Und nun sah er mich überraschend ernst an.
Und ich nickte ganz brav. "Ich werde es tun", versprach ich. "Aber was soll daraus nur werden?"
* * *
Bruno riet mir, mir nicht zu viele Gedanken zu machen, bis ich tatsächlich mit Beatrix gesprochen hatte, aber das fiel mir schwer. Ich versuchte, mich mit Arbeit abzulenken, schrieb die obligatorischen Buchmessen-Lesungsterminbriefe an die Autoren, überlegte, ob ich noch einmal Wintermann anrufen sollte, um zu fragen, ob er mit der Lösung seiner Romanprobleme vorangekommen war, aber dann fiel mir ein, daß wir ja an diesem Vormittag erst miteinander gesprochen hatten. Für mich hatte dieser halbe Tag zwar gereicht, mein Weltbild und meine Ehe auf den Kopf zu stellen, aber für andere waren es nur ein paar Stunden eines schönen, sonnigen Herbsttages gewesen. Und so schaute ich die meiste Zeit hinaus in den Garten, in dem die Schatten der Büsche immer länger wurden, bis ich auf dem Rasen sogar den Schatten der Wäschespinne sehen konnte. Sie war leer, anscheinend hatte Bruno sich um die inzwischen trockene Wäsche gekümmert. Bruno, der wie ein wahrhafter Engel in meinem Leben war und ein Herz hatte, das alles zu umschließen schien. Bei welchem anderen Mann hätte ich für mein Tun so viel Verständnis gefunden? Aber die Aussprache mit Beatrix stand mir noch bevor. Und trotz dem, was Bruno mir versichert hatte, fürchtete ich doch weiterhin, mit dem Eingeständnis meines ernsthaften Interesses an einer Weiterführung des Verhältnisses mit Bea, die Ehe mit meinem wunderbaren Bruno zu zerstören.
Gegen abend kam Sebastian wieder nach Hause, ich hörte, wie er kurz mit seinem Vater sprach, dann klopfte es an der Tür meines Arbeitszimmers. "Mama, darf ich kurz mit dir sprechen?" fragte er ungewohnt zaghaft durch die geschlossene Tür.
"Komm rein, Sebastian", lud ich ihn ein, auch wenn ich mich vor dem Gespräch mit ihm regelrecht fürchtete. Er wußte, was Bea mir zu sagen gehabt hatte und er war auch alt genug, um sich vorstellen zu können, was daraus folgte.
Sebastian quetschte sich durch einen Türspalt und drückte die Tür gleich wieder hinter sich ins Schloß. "Mama", begann er in normaler Lautstärke, wurde mit jedem Wort jedoch merklich leiser, "hat Bea dir wirklich gesagt, daß... daß sie dich liebt?" Zuletzt war seine Stimme nur noch ein Wispern.
Ich nickte nur.
"Ich mein, ich wußte, was sie tatsächlich tun wollte, aber Papa hat mir grade gesagt, daß...", und er verstummte ganz. Er sah so verstört aus, daß es mir das Herz zusammenzog.
"Sebastian, du brauchst keine Angst zu haben, daß noch irgend etwas Schlimmes passiert. Ich habe mit Papa darüber gesprochen und wir sind uns einig, daß es unsere Beziehung nicht mehr beeinflussen wird, als es das bereits getan hat."
"Mama, ich habe keine Angst, daß 'etwas Schlimmes' passiert, ich bin kein Kind mehr!" ermahnte er mich. "Sie wollte dich ganz handgreiflich von ihrer Liebe überzeugen. Wenn ich geahnt hätte, wer 'Lena' ist, hätte ich... also jedenfalls ganz sicher nicht...", und er verstummte wieder.
"Du hast Angst, daß ich dir Vorwürfe machen könnte?" fragte ich also, weil ich nicht die geringste Ahnung hatte, worauf Sebastians Gestammel sonst hinauslaufen sollte.
"Ja", antwortete Sebastian sichtlich erleichtert.
"Nein, egal was du Beatrix geraten hast, selbst wenn du mit ihr geübt hättest..." Warum bekam er denn jetzt schon wieder so rote Ohren? "Naja, egal... jedenfalls, Papa und ich haben sehr offen gesprochen, und er ist einfach der beste Ehemann, den man sich wünschen kann."
"Und jetzt?" wollte Sebastian mit den roten Ohren wissen.
"Und jetzt werde ich so bald wie möglich mit Bea sprechen."
"Also hat Papa es ebenso gut verdaut wie Florians Eröffnung, mit einem Typen zusammenleben zu wollen", stellte Sebastian fest.
"Daß Florian was?" fragte ich alarmiert. "Was ist das für eine Geschichte von einem Typen?"
Sebastian schlug sich die Hand vor den Mund. "Oh, wußtest du noch nicht?" Zerknirscht knetete er seine Unterlippe. "Naja, nun weißt du es."
"Was erzählst du für einen Unfug? Ist das irgend ein Scherz von Papa und dir, um mich abzulenken?" Das war ein wirklich blöder Witz von den beiden.
Entrüstet schüttelte Sebastian den Kopf. "Nein, das ist kein Scherz, Florian hat es Papa und mir erzählt, kurz bevor das Semester anfing. Mit seinem Juan, den er bei der Aufnahmeprüfung kennengelernt hat, sei es die ganz große Liebe. Und wir hatten vereinbart, dich da drauf langsam vorzubereiten. Eigentlich wollte Papa das nach deiner Reise machen, damit du Juan erst mal ganz unbeeinflußt kennenlernen kannst."
Mir schwirrte der Kopf vor ungewünschten Informationen. War denn plötzlich jedermann von der normalen Form der Liebesbeziehungen abgewichen? Nahm Bruno die Sache mit Bea vielleicht nur deswegen so gelassen auf, weil ihm die plastische Vorstellung, sein Weib in den Armen einer jungen, hübschen Frau zu wissen, ganz gut gefiel? Vielleicht fragte er mich demnächst, ob er nicht mitmachen könne! "Das kann doch alles nicht wahr sein!" rief ich aus und schlug mir die Hände an die Stirn.
"Mama, alles ist in Ordnung", versuchte Sebastian mich zu beruhigen, kam ein paar Schritte näher und nahm mich in die Arme. Er war inzwischen wirklich ein erwachsener Mann, fast schien es mir, als würde Bruno mich halten, nur daß Sebastian noch nicht ganz so breit wie sein Vater war und wie Florian meine Haarfarbe geerbt hatte. "Ist es nicht das wichtigste, glücklich zu sein? Das hast du uns jedenfalls immer gesagt, als wir klein waren."
Ja, das hatte ich - wenn meine Söhne jammerten, dieses oder jenes Spielzeug, oder diese oder jene Turnschuhe nicht zu bekommen, weil wir es uns damals nicht leisten konnten. Mußten sich wirklich alle eigenen Sprüche irgendwann gegen einen selbst wenden? "Damit willst du mir sagen, daß Florian glücklich mit seinem Typen ist, ja?" Aber ich brauchte nicht Sebastians Bestätigung. Gestern hatte ich mit den beiden noch am Frühstücktisch gesessen. Und ich dachte, es wäre einfach eine Studentenbude, die sie sich der Geldersparnis wegen teilten, und daß sie eben harmonierten, weil sie die gleichen Interessen hatten. Wie weit diese gemeinsamen Interessen gingen, hätte ich nie geahnt.
Zu meiner Studienzeit war es undenkbar gewesen, mit einem Studienkollegen des anderen Geschlechts zusammenzuwohnen, eben um jeder Vermutung eines Liebesverhältnisses gleich vorzubeugen. Und ich hatte zunächst mit Sabine zusammengewohnt, der schönen, schwarzhaarigen Sabine, der ich nicht im Traum offenbart hätte, wie gut sie mir gefiel. Ich mußte wirklich versuchen, das Ganze entspannter zu sehen. Wahrscheinlich wäre meine Jugend viel erfreulicher gewesen, wenn ich dem Untier erlaubt hätte, ans Tageslicht zu kommen, und es schon damals als einen Teil von mir akzeptiert hatte - wenn ich so mutig gewesen wäre, wie Florian oder Beatrix es waren.
Da stand plötzlich Bruno in der offenen Tür: "Kommt ihr denn endlich mal zum Abendessen?"
Nach dem Abendessen meldete sich Frau Brandner telefonisch und erzählte, daß Beatrix nach einer ruhigen Nacht von der Intensivstation in die Chirurgische Abteilung verlegt würde und nach mir gefragt hätte. Ich versprach, am nächsten Tag zur Besuchszeit zu kommen.
Bruno und ich saßen abends noch einige Zeit vor dem Fernseher, dann stand er auf und nahm meine Hand. "Komm mit mir ins Bett", drängte er. "Laß dich von mir in den Arm nehmen." Aber ich hatte doch noch so viel für den Verlag zu tun. Ich konnte jetzt nicht einfach ins Bett gehen. Außerdem war ich im Zweifel, ob ich überhaupt schlafen konnte, angesichts des ereignisreichen Tages. Trotzdem ließ ich mich von Bruno nach oben führen.
Ich fühlte mich tatsächlich ziemlich erschöpft, als ich endlich im Bett lag. Bruno legte sich dicht neben mich, küßte zärtlich meine Wange und meinen Hals, und schloß dann so tröstlich die Arme um mich. "Ich werde immer für dich dasein, meine Morgenröte", flüsterte er, "und ich werde dich immer lieben."
Trotzdem konnte ich mich nicht zurückhalten. "Wieso hast du mir nicht von Florian und seinem Freund erzählt?"
Ich hörte Bruno leise lachen, fühlte seine Lippen an meinem Ohr: "Weil er mich darum gebeten hatte, daß du es erst nach deinem Besuch dort erfährst. Ich glaube, Florian schämt sich ein bißchen seiner spießigen Mutter. Aber das wird sich ja bald ändern."
Ich drehte das Gesicht zu ihm. "Wie kannst du dir da so sicher sein? Ich weiß doch gar nicht, ob ich Beatrix wirklich liebe. Für eine zeitweilige Verwirrung meiner Hormone kann ich doch nicht riskieren, dich doch noch zu verlieren. Und wie soll das funktionieren? Soll es eine... eine ménage à trois werden?"
Bruno strich mir die Haare aus dem Gesicht und küßte mich wieder. "Ja, vielleicht, es wird sich finden. Und du wirst mich nicht verlieren, mein Schatz. Ich bin doch so glücklich, daß ich dich habe."
"Und was ist mit Beatrix. Vielleicht will sie mich nie wieder sehen."
"Deswegen hat sie auch ihre Mutter gebeten, dir zu sagen, du sollst sie besuchen. Sieh doch nicht überall die Probleme, mein Schatz. Versuche, das Ganze entspannter zu sehen... dabei kann ich dir vielleicht auch helfen." Er drehte mich ganz auf den Rücken und beugte sich über mich, um mich zu küssen.
Diesmal genoß ich einfach, wie er mich liebkoste und schlief danach schnell ein.
Frühmorgens rief ich im Elisabethstift an, erfragte die Besuchszeiten und wo genau Fräulein Brandner in der Chirurgischen Abteilung zu finden sei. Ich verabschiedene Bruno zur Arbeit und Sebastian zur Werkstatt, wo er noch einmal nach Beas Motorrad sehen wollte. Und dann fuhr ich mit dem Fahrrad zum Krankenhaus.
In diesem langsameren Tempo und ohne den Streß, den mir eine Fahrt in einem fremden Auto verursachte, konnte ich den freundlichen Herbsttag viel eher genießen, mich an dem schon gelb und rot werdenen Laub der Alleebäume erfreuen. So schön war Gottes Schöpfung und lud dazu ein, sie einfach anzunehmen. Ich mußte mich endlich dazu bereitfinden, meinem Herz zu folgen und Beas Geschenk der Liebe anzunehmen, wo es mir doch von meinem Mann, von meiner Familie so leicht gemacht wurde. Aber was würden andere Leute, was würden insbesondere Beas Eltern dazu sagen? Aber vielleicht hatte Bruno recht, und ich mußte alles nur etwas entspannter sehen. Vermutlich würde es sich schon finden, wenn Bea noch immer an mir interessiert war.
Als ich endlich im Elisabethstift ankam, war ich mit mir halbwegs im reinen. Ich ging durch die in freundlichem Hellgelb und Hellgrün gestrichenen Korridore, bis ich endlich die Krankenzimmer der Chirurgischen Abteilung erreiche. Beatrix lag in einem Dreierzimmer, direkt am Fenster, auf ihrem Nachttisch lag ein Stapel gelber Reclamhefte.
Sie hatte beim Öffnen der Zimmertür den Kopf vom Fenster dorthin gedreht und ich erschrak bei Ihrem Anblick. Das Blut aus ihrem Gesicht war zwar weggewaschen, aber ihre rechte Gesichtshälfte sah schrecklich deformiert aus. Dazu kam die Schlinge zum Ruhigstellen des Arms und der dicke Gips, der unter der weißbezogenen Bettdecke herausschaute. Die beiden älteren Frauen, die in den zwei Betten vor Bea lagen, sahen mich mißbilligend an, als ich an ihnen vorbeigehen wollte - als wüßten sie, welche Gedanken ich bezüglich der jungen Dame neben ihnen hegte. Ich nickte ihnen freundlich zu und ging bis zu Beas Bett. "Hallo."
Die Naht mit schwarzem Garn über ihrem rechten, blau gewordenen und inzwischen fast zugeschwollenen Auge, die großflächigen Schrammen auf ihrer Stirn und Wange, ließen an einen Kampf mit einem Untier denken, das sie zerfleischt hatte. Es tat mir weh, sie so geschunden zu sehen - meinetwegen - weil ich ihre kopflose Flucht verursacht hatte. Es war ja tatsächlich das Untier in mir gewesen, mein Unvermögen, mit diesem Untier umzugehen, das für ihre Verletzungen verantwortlich war.
Noch immer sagte sie nichts, sah mich nur an, sehr reserviert. Dabei hatte sie doch angeblich nach mir gefragt. "Wie geht es dir?" versuchte ich also, einen Anfang zu machen. Da sie noch immer schwieg, deutete ich auf den Stapel Reclamhefte - alles Theaterstücke von Schiller - "Brauchst du die für dein Studium?"
Bea nickte, räusperte sich dann. "Ja", krächzte sie, räusperte sich noch einmal. Neben den Heften stand ein Glas und eine Flasche Mineralwasser. Mit ihrer Linken griff sie ungeschickt danach, aber ich hinderte die Flasche am Umfallen und schenkte Bea ein Glas ein, reichte es ihr.
Bea trank es mit großen Schlucken leer. "Danke!" Jetzt klang ihre Stimme schon etwas normaler. "Noch ein Glas."
Ich kam ihrer Bitte nach, zog mir dann einen Stuhl neben das Bett, versuchte, ihr so nah zu kommen, daß wir einigermaßen privat sprechen konnten, ohne daß ich mich auf ihr Bett setzte.
"Bist du nur gekommen, weil meine Mutter in meinem Namen darum gebeten hatte?" fragte Bea vorsichtig.
Ach Bea, wenn ich während dieser Besuchszeit alle Gründe aufzählen wollte, aus denen ich nun an deinem Bett sitze, würde ich nicht dazu kommen, noch etwas anderes zu sagen. "Ich bin hier, weil ich hier sein WILL. Ich will mich bei dir entschuldigen."
"So?" fragte sie skeptisch, dann trank sie noch einige Schluck Wasser.
"Ja", fuhr ich leise fort, "ich war in Panik. Ich hatte Angst vor den Gefühlen, die du in mir geweckt hast. Ich wollte deine Liebeserklärung ganz sicher nicht mit Füßen treten."
"Und nun?" Bea musterte mich. "Haben sie ihre Gefühle wieder gut weggepackt, Frau Gärtner?"
"Bea, bitte! Der vergangene Tag war für mich vielleicht nicht so schmerzhaft wie für dich, aber es war für mich definitiv nicht einfach, mit meinen Gefühlen zurecht zu kommen."
"Und jetzt? Zu welchem Ergebnis bist du gekommen?" wollte Bea wissen.
"Daß ich dich ebenfalls liebe", sagte ich und griff nach ihrer unverletzten Hand.
Plötzlich strahlte Bea über das ganze Gesicht, dann verkniff sie es vor Schmerz. "Au, die Wange!" Und sie griff meine Hand fester. "Ich liebe dich so sehr, Lena. Ich habe dich schon geliebt, bevor ich einen Begriff für meine Gefühle hatte. Und es ist mir egal, ob wir uns nur heimlich lieben können, aber ich will nicht darauf verzichten müssen!"
Ich schüttelte den Kopf, weil ich plötzlich wußte, was das richtige war. "Keine Heimlichkeiten mehr", entschied ich, stand auf und beugte mich zu Beas Lippen, um ihr trotz meines panischen Herzklopfens vorsichtig einen langen Kuß zu geben.
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