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Licht aus

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09.02.20 15:52
In Arbeit

Ich habe meinen Stromanbieter gewechselt. Die lokale Konkurrenz war mir zu teuer geworden. Nun erhielt ich Post. Distanziert freundlich schrieb der neue Stromlieferant. Ich möge doch bitte den Zählerstand an meinem Stromverteiler ablesen und das Ergebnis umgehend zurückmelden – online am besten.

Das brachte mich zum Nachdenken.

Ich erinnerte mich an Tante Klara. Sie ist schon eine Weile tot. Aber so lange auch noch nicht. Sie hat meine Kinder noch verwöhnt. Jedenfalls heizte sie ihre Zwei-Zimmer-Sozial-Wohnung mit einem einzigen Ofen. Küche, Flur und Bad eingeschlossen.

Der Ofen schluckte Holz und Kohle, Briketts und Spägele. Spägele – untrennbar mit meiner Kindheit verbunden. Es ist klein gespaltenes Holz, das man in Zeitungspapier packt, um das Feuer im Ofen zu entfachen. Alles, was es für eine warme Stube brauchte, brachte der Kohlen-Schmotzle ins Haus. Ganz selbstverständlich schleppte er die Säcke und Bündel in den Keller, schloss diesen danach sorgfältig ab und brachte den Schlüssel sowie eine Flasche "Sprudel" - er war ja ohnehin schon im Keller - zu Tante Klara in die Wohnung. Und ebenso selbstverständlich bekam er zum Dank ein Gläschen Picon. Ein Bier wäre ihm lieber gewesen. Doch diesen Wunsch hätte er Tante Klara niemals zugemutet. Stattdessen schluckte Kohlen-Schmotzle das sirupartige Gesöff tapfer hinunter.

Zum Stromablesen kam Herr Gasser. Der war aus der Nachbarschaft, hatte ein freundliches Wesen, aber nur einen Arm. Eine Kriegserinnerung. Wenn er kam, läutete er bei allen Hausbewohnern gleichzeitig. Bei Irgendjemandem hatte er immer Erfolg. Wenn sich die Haustüre öffnete, rief er laut und fröhlich „Strooom“ ins Treppenhaus. Ruhig und sorgfältig verrichtete er seine Arbeit. Bevor er wieder ging, bekam er als Dank von Tante Klara ein Gläschen Picon. Ehrensache. Und auch Herr Gasser kippte den Inhalt seines Glases mit Haltung hinab und dankte.

Mit ihrem persönlichen Stromverteilergerät hat sich Tante Klara vermutlich nie näher befasst hat. Warum auch? Um dieses kümmerte sich ja Herr Gasser. Das ist bei mir anders. Mein Stromanbieter hat zwischen mir und dem Stromzähler eine Beziehung hergestellt. Gegen meinen Willen. Schließlich ist man Kunde und nicht Handlanger eines Gewinn orientierten Wirtschaftsunternehmens. Diese Haltung kam  durch mein Negieren des ersten Briefs deutlich zum Ausdruck. Dann kam eine Erinnerungsmail. Die war schon etwas fordernder. Wenn ich nicht . . . , dann – würde mein Stromverbrauch geschätzt werden und die Vorauszahlung entsprechend sein. Uuuuuuh!

So genötigt begab ich mich ins Dachgeschoss. Dort steht der Zähler als kleines Kästchen, diskret verborgen in einem schlichten Wandschrank. Gäbe es ihn nicht, wir hätten keine Ahnung, wieviel und wie schnell wir Strom verbrauchen. In der Mitte des Zählers dreht sich unentwegt ein Rädchen. Leise schnurrt es vor sich hin. Als Zeichen permanenten  Energieverbrauchs. Darüber befindet sich eine Zahlenreihe. Die einzelnen Zahlen verändern sich fortlaufend. Sie lassen erahnen, dass etwas aufgerechnet wird. Sie sagen jedoch nichts darüber aus, aus welchem Volumen sie schöpfen. Oder wieviel Strom de facto zur Verfügung steht. Man kann auch nicht erkennen, wann der imaginäre Vorrat aufgebraucht ist. Fast wie im Leben selbst. Keiner kennt die Größe seines persönlichen Energiespeichers. Wir können nicht messen, wofür wir unsere Kraft verbrauchen. Nur spüren, im Idealfall. So schöpfen wir aus dem vermeintlich Unendlichen. Arglos, unbedacht. Und plötzlich geht das Licht aus.

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Ob Strom oder Lebenskraft. Eneregie ist endlich.