Storys > Essays > Politik, Wirtschaft, Arbeit > Vom Wesen der Nation

Vom Wesen der Nation

50
18.10.23 20:35
12 Ab 12 Jahren
In Arbeit

Ein Land wird zu einer Nation, wenn es anfängt,
die anderen Länder zu verachten.
Es ist der Hass, der die Nation begründet.

Eric-Emmanuel Schmitt

Über dieses Zitat stolperte ich im Nachlass meiner lieben Frau. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich zu diesen zwei kurzen Sätzen stehe. Für sie war es klar, Nation war für sie negativ besetzt. Sie war gerne Deutsche, aber wenn sie nach ihrer Nationalität gefragt wurde, war sie irritiert. Staatsbürgerschaft: Deutsch. Das war für sie kein Problem, aber Nationalität: Deutsch. Nein, das ging gar nicht. Staatsbürgerschaft hatte für sie etwas mit einem Verwaltungsakt zu tun, Nationalität dagegen war für sie die Überhöhung der Menschen des eigenen Landes, gegenüber Menschen anderer Länder. Für sie war der Unterschied zwischen Nationalität und Nationalismus marginal. Sie hob das Zitat wohl auf, weil die Worte von Eric-Emmanuel Schmitt ihrem Weltbild entsprachen.

Mir fällt es schwer, Nation so zu sehen, wie Schmitt sie beschreibt. Wenn ich privat nach meiner Nationalität gefragt werde, antworte ich, Europäisch. Das liegt aber ausschließlich daran, dass ich mein Leben lang davon träume in einem zusammengewachsenen Europa zu leben. Einem Europa, welches sich die Verbesserung der Lebensverhältnisse aller Völker auf seine Fahnen geschrieben hat. Was aber kann an dem Begriff Nation negativ sein? Die Menschen, die mich in meiner Jugend verdächtigten ein Itaker zu sein, oder gar als Spaghettifresser beschimpften, waren die nicht einfach nur dumm? Oder waren sie wirklich so gestrickt, dass sie ihre eigene Nation für besser hielten, als die italienische Nation? Vielleicht waren sie aber einfach nur rüpelhaft? Ähnlich, wie einmal der Radfahrer, der mich übel beschimpfte, weil ich, schwerhörig, wie ich nun einmal bin, auf sein Schellen nicht reagiert hatte.

Bis ich auf das Zitat gestoßen bin, habe ich die Nation als so etwas wie einen übergroßen Familienverband empfunden. Sozusagen als eine Gemeinschaft, die füreinander einsteht. Wenn dem so ist, dann kann ich an der Nation nichts Negatives finden. Aber ist das die Wirklichkeit oder sehe ich nicht das, was sich hinter der Nation versteckt? Ist der Staatenlose der ideale Weltbürger? Die Sache scheint wirklich kompliziert zu sein. Dass ich Deutscher bin, ist eigentlich reiner Zufall. Weil meine Eltern diese Staatsbürgerschaft besaßen und weil ich nebenbei auch in Deutschland geboren wurde. Das allgemeine passive und aktive Wahlrecht ist an die Staatsbürgerschaft gebunden. Da könnte man auch andere Kriterien heranziehen, den Wohnort zum Beispiel. Was ist mit Menschen, die mehrere Staatsbürgerschaften besitzen? Gehören sie dann mehreren Nationen an? Wenn ich Schmitt beim Wort nehme, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn eine Nation auf Hass begründet ist, müsste man sich selbst hassen, sobald man mehreren Nationen angehört.

Lasse ich die Nation weg, bleibt das Land. Ein Land ist eben ein Land. Das Land, dem man sich zugehörig fühlt, ist dann das Heimatland. So ist es, wie in einer Paarbeziehung, fühle ich mich nur einem Land verbunden, lebe ich in einer monogamen Beziehung. Eine Verbindung mit mehreren Ländern ist dann einer polygamen Beziehung vergleichbar. Man muss es wollen, man muss, um sich einem Land zugehörig zu fühlen, die gemeinsamen Werte der Einwohner teilen. Wirklich, mehr braucht es nicht, dazu braucht es keine Überhöhung durch Nationalität. Und in diesem Punkt gebe ich dann Eric-Emmanuel Schmitt recht. Ein Land benötigt, um andere Länder zu verachten, die Nation.

Um ein Land sein Heimatland zu nennen, braucht man das Land nicht zu lieben. Es schadet aber nicht, wenn man es liebt. Die Nation funktioniert vielleicht wirklich nur, wenn man sie liebt. Ein Land ist eben einfach ein Land. Ein Land, wie andere Länder auch. Mit Menschen, die ihr Land lieben oder auch nicht lieben. Die ihre Steuern gerne oder, was eher der Realität entspricht, ungern zahlen. Welche die Gesetze achten oder manchmal auch nicht achten – eben die ganze Bandbreite menschlicher Tugenden und Untugenden besitzen. Ob jemand sein Land liebt, ist zweitrangig, das mag jeder halten, wie es ihm in den Sinn kommt. Ich liebe das Land nicht und halte es mit dem verstorbenen früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Dem wurde einmal die Frage gestellt, ob er sein Land liebt und er antwortete – nein, ich liebe meine Frau.

Es gibt Menschen, die empfinden Stolz, einer bestimmten Nation anzugehören. Diese Art Einstellung löst bei mir Erschütterung aus, bringt mich dazu, der Ansicht, eine Nation sei auf Hass begründet, zuzustimmen. Aber da, zumindest in unserem Land, diese Ansicht nur von einer Minderheit vertreten wird, würde ich der Mehrheit etwas unterstellen, was sie nicht empfindet – Hass auf andere Länder oder auf die Menschen dieser Länder. Der Hass, den Schmitt den Nationen unterstellt, führt zu schlimmsten Verwerfungen. Gerade die Nation, deren Staatsbürger ich bin, liefert das schlimmste aller Beispiele dafür, wozu der Hass führen kann. Verblendung würde ich als ein weiteres Negativum hinzufügen. Mit Hass und Verblendung haben unsere Vorgängergenerationen die gesamte Welt an den Rand des Untergangs gebracht. Millionen Menschen haben Hass und Verblendung das Leben gekostet. Darauf zurückblickend, verbietet sich Stolz selbstredend. Ich kann es auch anders beschreiben. Stolz kann man auf etwas sein, was man selbst geleistet hat. Da man sich weder selbst zeugt, noch selbst gebiert, gibt es überhaupt keinen Grund auf ein Land oder eine Nation stolz zu sein, man wurde einfach, ohne eigenes Zutun, hineingeboren.

Die Frage, ob Schmitt recht hat oder nicht, ist damit nicht beantwortet. Wahrscheinlich ist sie auch nicht zu beantworten, da es sich meiner Meinung nach, um eine philosophische Sicht der Dinge handelt.

Autorennotiz

Obwohl ich jetzt einiges an Gedanken zum Thema niedergeschrieben habe, könnte noch vieles dazu gesagt werden. Eure Meinung dazu würde mich brennend interessieren.

Das Original dieser Geschichte findet Ihr hier:

erzaehlungen.moosecker-hassels.de/text/text_02_pdf.php?v=oeffentliche_adobe&d=vom_wesen_der_nation.pdf

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

BerndMooseckers Profilbild BerndMoosecker

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Sätze: 61
Wörter: 962
Zeichen: 5.762

Kurzbeschreibung

Mein Frau sammelt bis zu ihrem Tod Zitate, die entweder in ihr Weltbild passten oder die sie in ihrer Aussagekraft beeindruckend fand. Beim Ordnen ihres Nachlasses stolperte ich förmlich über ein Zitat von Eric-Emmanuel Schmitt. Ich habe lange über den Inhalt seiner Worte nachgedacht, bis es sich mir geradezu aufzwang, die Gedanken in Worte und Sätze zu fassen.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Politik, Wirtschaft, Arbeit auch im Genre Vermischtes gelistet.