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Könnte der Gefühlskult des Sturm und Dranges unser Leben aufregender machen?
Stellen Sie sich vor: Nach einem wirklich langen Leben liegen Sie im Sterben. Schließlich fragen Sie sich: „Das war es schon gewesen? Hätte mein Leben nicht mehr sein können, als die tägliche Routine?“ Und dann kommt Ihnen die Frage in den Sinn, ob es den anderen Menschen genauso ginge. Könnte es sein, dass wir alle am Ende unzufrieden sterben?
In Ihrem tiefen Inneren wissen Sie die Antwort ganz genau: Ja. Aber es gibt vieles, das wir lernen oder ändern müssen.
Das interessante am Sturm und Drang ist, dass es in die Epoche der Aufklärung einzuordnen ist und trotzdem eine Art Gegenteil bildet. Während die Aufklärung zur Nutzung von Verstand und Vernunft anregt, bildet der Sturm und Drang mit dem von Gefühlen geleiteten Menschen nahezu das Gegenteil. Sieht man sich Goethes „Rastlose Liebe“ an, kommt man doch zum Schluss, dass es absolut unvernünftig ist, sich mitten in ein Gewitter zu begeben. Und trotzdem tut es das lyrische Ich der Liebe wegen. Die genauere Begründung: Das lyrische Ich will sich lebendig fühlen. Doch ist es ein guter Grund, um in ein möglicherweise tödliches Gewitter hineinzulaufen?
Dem menschlichen Instinkt zu Folge und damit auch seinem Verstand ist es vollkommener Blödsinn. Warum sollte es auch anders sein? Um sich nicht in Gefahr zu begeben, sollten wir uns verstecken. Bei allem Respekt Goethe, aber hier hat der Verstand recht. Aber eigentlich geht es hierbei gar nicht um dieses konkrete Beispiel. Andere Frage: Warum fahren Sie Achterbahnen? Eigentlich völlig hirnrissig, wenn man sich nur auf seine Vernunft und den Verstand konzentriert. Denn hier geben wir Maschinen die Macht und Kontrolle über uns und so gesehen, sind Achterbahnen eigentlich recht unsichere Konstruktionen. Trotzdem stürzen wir uns viele Meter aus der Luft in die Tiefe und genießen das Risiko. Das Adrenalin. Wir fühlen uns lebendig. Natürlich, Goethe kannte sicherlich nicht die Achterbahnen, die wir jetzt kennen, aber für ihn könnte das Gewitter die gleichen Gefühle auslösen, wie bei Ihnen eine Achterbahnfahrt. Es bedeutet Freiheit.
Man sagt, das Leben sei eine Achterbahnfahrt. Es gebe Höhen und Tiefen. Es sei aufregend. Schaut man sich unsere Gesellschaft an, bin ich nicht überzeugt. Jeden Tag dem gleichen Rhythmus zu folgen: Ist das aufregend? Meinetwegen gibt es ab und zu eine Liebesbeziehung, aber selbst diese wird häufig durch den grausamen Alltag zu Fall gebracht.
Nach Goethe leben wir also eigentlich gar nicht. Es ist offensichtlich, dass seine Figuren immer von Leidenschaft und Leben geprägt sind, wie zum Beispiel Werther, der von Georg W.F. Hegel schon als „krankhafter Charakter“ bezeichnet wird, durch seine vorangetriebene Leidenschaft und Liebe, die ihm jegliches Denkvermögen nehmen.
Aber bei uns allen ist es eigentlich genau andersherum. Wir sind Roboter. Wir strotzen vor Härte.
Und hier kommt der Sturm und Drang ins Spiel. Er könnte uns lehren, mehr zu fühlen, mehr zu leben und zu genießen. Wir können unvernünftig sein. Sie können auch einmal unvernünftig sein. Und anschließend könnte das Leben doch zu einem Achterbahntrip werden.
Genau betrachtet machte uns die Aufklärung zu Fremden, die nur auf ihren Verstand und die Vernunft hören.
Bloß keine Schmerzen. Bloß keine Gefühle. Gestehen Sie ihm, dass Sie ihn lieben, kann er Sie zurückweisen. Das wollen Sie nicht riskieren. Sie fürchten sich vor den Schmerzen. Es gibt tausende Fragen. Wie sollen Sie ihm später dann in die Augen blicken können? So haben Sie abschließend keine Wahl als sich weiter dem monotonen Alltag hinzugeben, der Sie weiterzieht, wie ein reißender Fluss, bis Sie erneut gegen einen Felsen Klatschen.
Ich will nicht sagen, dass die Aufklärung schlecht sei, gewiss nicht. Dennoch sollten wir ein gesundes Mittelmaß zwischen Vernunft und Leben finden. Schließlich wäre es doch unvernünftig nicht zu leben, wenn wir doch nur dieses eine Leben haben, oder?
Darüber hinaus könnten wir vom Sturm und Drang lernen, das Leben zu genießen, offener und mutiger zu sein. Immerhin sind wir auch mutig, wenn wir uns auf einen waghalsigen Rollercoaster begeben.
Was ist es für ein Leben, wenn Sie tagein, tagaus ins Büro gehen, sich dem Stapel Blätter zuwenden, am Abend nach Hause kommen und so abgestumpft sind, dass selbst das romantische Abendessen mit dem Partner oder der Partnerin darunter leidet. Wir sind zu verkopft, zu gestresst. Doch wir können loslassen und frei sein. Wir müssen nur den Mut dazu haben. Wir können nicht ewig verstecken, was wir fühlen. Den Hunger auf Abenteuer. Den Hunger auf das Leben.
Laut einer Umfrage halten sich rund achtzig Prozent der Jugendlichen an Regeln und Ordnungen. Ich gebe zu, ich selbst gehör zu ihnen. Aber ist man radikal und ehrlich, so kann man festhalten, dass nur zwanzig Prozent der Jugendlichen überhaupt richtig lebt. Sie haben alle Mut und sind offen. Häufig lesen Sie Bücher oder sehen Filme, in denen sich Menschen alles trauen. Ja, wir flüchten uns in fremde Welten, um das sehen oder lesen zu können, was wir selbst nicht in der Realität erleben wollen. Richtig, wir wollen nicht. Doch eigentlich könnten wir ein Leben voller Mut und Offenheit führen. Aber wir fürchten uns zu sehr vor den Folgen, darunter auch den Reaktionen innerhalb der Gesellschaft. Unsere Welt ist rau und hart, einschüchternd. Aber vielleicht wäre genau das der Grund, um Mut zu beweisen und sich etwas vom Sturm und Drang abzuschauen.
Ein gutes Beispiel bietet noch einmal Prometheus. Er setzt sich Zeus entgegen, dem Göttervater, um sein eigenes Leben führen zu können, so wie er es will. „Hier sitz ich, forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht, das mir gleich sei, zu genießen, zu leiden, zu weinen und zu freuen sich. Und dein nicht zu achten, wie ich.“
Ehrlich gesagt enttäuschen wir ihn. Wir setzen uns nicht unserer Gesellschaft und auch nicht unserer Vernunft und dem Verstand entgegen. Wir verstecken unsere Gefühle, damit niemand sind, dass wir verletzlich sind. Man sagt, es sei nicht gut, die Gefühle in sich hineinzufressen. Das stimmt, da wir ohne Gefühle gar nicht erst überleben würden. Wir brauchen die mütterliche Liebe und den väterlichen Trost. Jemand der gefühllos ist, ist tot. Und selbst die gefühlskältesten Menschen, leben nicht ganz ohne Gefühle. Unsere Aufgabe besteht darin, die Gefühle freizulassen. So wie einen Schrei, wenn der Zug der Achterbahn in die Tiefe stürzt. Sie können allen zeigen, was sie fühlen. Niemand sollte Sie dafür verurteilen, dass Sie offen mit ihren Gefühlen offen umgehen. Diese Offenheit ist keine Schwäche, sondern erst recht eine Stärke.
Die Leute im Sturm und Drang strotzten nur so von Gefühlen. Man findet alles in Liedern und Gedichten wider, aber auch in der Realität. Allein Goethe wurden mehrere Frauen nachgesagt. Gottfried August Bürger führte sogar einen ménage à trois, obwohl es in seiner Zeit alles andere als üblich war. Sie haben sich ausgelebt. Sie haben die anderen ignoriert, um ihr Leben so leben zu können, wie sie es wünschen. Das sollten Sie, lieber Leser auch tun. Denn fangen alle an, das zu tun, was sie wollen, ohne sich zu sehr auf die Meinungen der anderen zu fokussieren, werden es alle tun.
Die Stürmer und Dränger haben geliebt, gelacht und geweint. Denn auch weinen gehört zum Leben dazu und es macht es nur noch lebenswerter. Und vielleicht sollten wir auch mit all dem anfangen.
Abschließend kann man festhalten, dass wir eine ganze Menge vom Gefühlskult des Sturm und Dranges lernen können. Allem voran einmal richtig zu leben, es zu genießen, aber auch Gefühle zuzulassen und zu zeigen. Wir können mutiger sein und selbst Abenteuer erleben. Wir können unser ganzes Leben in eine rasend schnelle, aufregende Achterbahn verwandeln.
Und letztendlich liegen Sie im Sterbebett und können lächeln. Sie können denken, dass es gar nicht schlimm ist, dass sie demnächst sterben. Es ist nicht schlimm, dass die Zeit vorbei ist, da Sie ja richtig gelebt haben. Oder?
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