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Wörter: | 989 | |
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Meine Hand zitterte, als ich den Schlüssel in das Türschloss stecken wollte; und so nahm ich die zweite Hand hinzu, um das Zittern ein wenig ruhig zu stellen und endlich aufschließen zu können. Klack, die Tür öffnete sich. Und so betrat ich noch einmal den Ort, der einst mein Zuhause war... und was er immer bleiben würde - in meinem Herzen. So vieles hatte ich hier erlebt, was in meinen Erinnerungen so lebendig war, als sei es erst gestern geschehen...
Der Flur hatte sich in all den Jahren eigentlich kaum verändert, oder doch? Der Boden hatte zwischenzeitlich neue Fliesen bekommen und die Wände neue Tapeten; aber die alte Holztreppe, die nach oben führte, war immer noch da. Meine Hand glitt sanft über das schnörkelige Ende vom Treppengeländer, auf dem ich als Kind so oft von oben herunter gerutscht war, obwohl meine Mama es verboten hatte. Irgendwann hörte das von selber auf, weil ich erwachsen wurde. Doch wie von selbst trugen meine Füße mich nun die Treppe hoch bis zu der Stelle, wo ich mich damals immer auf das Geländer setzte... und schon rutschte ich hinab und schaffte - wie einst - rechtzeitig den Absprung kurz vor dem Ende, damit ich nicht auf meinem Hintern landete... was in meinem jetzigen Alter nicht so leicht war wie damals.
Ich ging die Stufen nochmals hinauf und bemerkte erst jetzt, dass die 3. Stufe immer noch knarrte - wie früher, als ich mich nachts heimlich in mein Zimmer hoch schleichen wollte, damit meine Eltern nicht mitbekamen, dass ich erst spät abends heim gekommen war. Als ich nun vor der Tür meines Zimmers stand, drückte ich zaghaft die Türklinke runter und öffnete die Tür, die in mein eigenes Kinderreich führte. Es kam mir irgendwie merkwürdig vor, dass mein eigener Schatten, der durch den Türrahmen ins Zimmer fiel, so riesig geworden war. Der Schatten von dem kleinen Mädchen existierte nur noch in meiner Erinnerung. Und dieses kleine Mädchen hatte nie diese eine unheimliche Begegnung in diesem Zimmer vergessen, als sie eines Abends den uralten schwarzen Drehschalter für die Deckenlampe mit Daumen und Zeigefinger betätigte. Nachdem sie dann ihre Nachttischlampe am Bett eingeschaltet hatte und zurück zum schwarzen Drehschalter ging, um das grelle Licht an der Zimmerdecke auszuschalten, blieb sie nach ein paar Schritten wie erstarrt stehen. Voller Entsetzen sah sie direkt neben dem Schalter eine große Spinne sitzen, die scheinbar nur auf das kleine Mädchen gelauert hatte. Trotz ihrer Angst vor diesem Tier, schlich sie sich vorsichtig an der anderen Seite des Türrahmens hinaus und lief nach ihrem Papa schreiend die Treppe hinunter, denn für solche "Heldentaten" war eindeutig er zuständig. - Die Nacht nach dieser unheimlichen Begegnung verbrachte ich damals sicherheitshalber doch bei meinen Eltern in der Besucherritze.
Inzwischen war ich wieder unten im Flur angekommen und schaute auf die Tür zur guten Stube. Warum sie "gute Stube" hieß, lag daran, dass es früher eine Stube für jeden Tag gab und eine gute Stube für besondere Anlässe und Besucher... und - für den Weihnachtsmann. Es war immer noch dieses Quietschen zu hören, als ich die alte Türklinke runter drückte, um die Tür zu öffnen. Bedächtig betrat ich den Raum und blickte fast ein wenig erwartungsvoll zur Ecke am Fenster... dort, wo sonst in meinen Kindertagen am Heilig Abend der Weihnachtsbaum stand. Wunderschön geschmückt mit bunten Kugeln, Schokokringel und brennenden Kerzen konnte ich ihn auch jetzt mit geschlossenen Augen sehen - und die ganze Stube duftete nach Weihnachten... nach selbst gebackenen Keksen, Mandarinen und nach dem Tannenbaum, unter dem wir unsere Geschenke fanden: Eine Puppe, ein selbst gestrickter Pullover oder eine Mundharmonika. In meinen Augen lag plötzlich ein Glanz, denn ich konnte es wieder hören... dieses alte Weihnachtslied: "Weihnachten, Weihnachten bin ich Zuhaus, wenn auch nur im Traum..."
Nachdem ich mir die Tränen mit den Händen weggewischt hatte, ging ich zurück auf den Flur und schloss die Tür und musste doch ein wenig schmunzeln, als ich wieder dieses Quietschen der Klinke vernahm.
Die nächste Tür führte mich in die Küche - dort, wo ich mich an so vieles erinnerte, was für mich unvergesslich blieb. Diese Küche war so voller Leben damals, denn hier wurde nicht nur gebacken, gekocht und gegessen. Es war das Zentrum, das Herz des Hauses, weil hier alle zusammen fanden und auch überraschende Gäste zu Tisch eingeladen wurden, die eigentlich gar nicht zum Essen bleiben wollten. Es war der Ort, der nicht nur des Holzofens wegen so viel Wärme ausstrahlte, sondern auch die Begegnungen, die es hier gab, taten das ihre dazu, dass dieser Raum für immer einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen bekam.
So betrat ich noch einige Räume in diesem Haus und ging mit meinen Gedanken in der Vergangenheit noch eine Zeit lang spazieren. Doch irgendwann führte mich meine Reise der Erinnerung dorthin, wo ich begann: Zum Eingang, der auch Ausgang war; die Tür, die ich nun ein letztes Mal schließen würde. Klack - sie war ins Schloss gefallen. Zu... Ich sah die Tür an, die aus schwerem Holz gefertigt war, und strich sanft über den Türrahmen, als wäre es ein geliebtes Wesen, das ich berühren würde.
Es wurde Zeit loszulassen von diesem Ort und von diesem Haus... das Haus, das 53 Jahre immer mein Zuhause war, obwohl ich schon lange nicht mehr hier wohnte. Und mit zittriger Stimme flüsterte ich dem Haus zu: "Ich nehme Dich mit in mein Herz, wo Du für immer wohnen wirst." Dann drehte ich mich um und ging - ohne einen Blick zurück...
Erinnerungen sind das Fotoalbum des Herzens.
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Klatschkopie • Am 12.10.2022 um 20:30 Uhr • Mit 1. Kapitel verknüpft | |||||||
Hallo Silly, ja, die Erinnerungen ... Manchmal tut es gut, in sie zurückzukehren und das an jenen Orten, die sie hervorgebracht haben, um dann wieder zu gehen. Ich lebe noch immer an dem Ort, der mir meine Kindheit gebar, der mich wachsen und erwachsen sein ließ. Eine Zeitlang kehrte ich ihm den Rücken - und jetzt tut er es. Er durchschreitet mich gerade, geht in jeden Raum, sinnt, besinnt sich und wendet sich dann lächelnd der Tür zu. Er verlässt mich - ich bleibe, obwohl ich weiß, dass ich gehen sollte. Doch wohin? Bisher ist da nichts. Bitte verzeih diese kryptischen Zeilen. Doch dein Text regte mich dazu an. Dafür danke ich dir. Ich hoffe und wünsche dir, dass du das Haus, in dem du einst lebtest in guter Erinnerung behältst, dass du es in dir tragen kannst. Häuser sind doch wie Menschen, sie begleiten einen ein Lebenlang. LG KlatschK Mehr anzeigen |
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BerndMoosecker • Am 19.07.2022 um 23:50 Uhr | |||
Liebe Silly, das Schwelgen in Erinnerungen kann Freude und Trauer auslösen. Ich habe Trauer verspürt, als ich noch einmal an dem Haus vorbeigefahren bin, in dem ich mit meiner großen Liebe immer wieder für Wochen oder auch einen Monat gewohnt hatte - aber auch Freude darüber, dass die schönen Erinnerungen wieder wach wurden. Trotzdem ich werde diese Straße in Zukunft meiden. Neue Eigentümer heißt auch, dass das Haus sich ändert. So wie wir eines Tages abgereist sind, soll dieses Zuhause in meiner Erinnerung bleiben. Liebe Grüße, Bernd Mehr anzeigen |
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