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Winter der Vergangenheit (1978 - 1979)

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28.07.22 01:46
In Arbeit

Eine Geschichte über Ereignisse und Erinnerungen, die lange zurück liegen...

Vor 42 Jahren gab es einen besonderen Winter, der für viele Menschen lange in Erinnerung blieb, da eine Schneekatastrophe über das Land kam.
Viele Menschen waren plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten, weil der Schnee - meterhoch - kein Durchkommen zuließ und teilweise auch der Strom ausgefallen war...

In diesem Winter gab es ein kleines Mädchen, dass diese schwierige Zeit mit den guten Erlebnissen für sich im Herzen behielt...

 


​​​​​

Das kleine Mädchen in den braunen Cordhosen - deren Hosenbeine zu den Füßen in die Breite gingen - und einen orangefarbenen selbstgestrickten Pullover an hatte, stand am Küchenfenster und drückte sich dort an der kalten Scheibe die Nase platt. Es war erst vier Uhr nachmittags und doch wurde es langsam dunkel. Draußen war es sehr kalt geworden, denn der Winter stand vor der Tür. Aber dazu fehlte noch etwas - und danach hielt das Mädchen Ausschau: Schnee. Sie liebte den Schnee. Er machte alles viel schöner und man konnte so schöne Dinge mit ihm machen. Wahrscheinlich warteten ihre Freunde genauso wie sie auf die erste Schneeflocke und konnten es ebenso kaum erwarten, den ersten Schneemann zu bauen. Doch trotz der niedrigen Temperaturen ließ Frau Holle auf sich warten.
Das Mädchen ging in den Flur zur Garderobe und zog sich ihre dicke Winterjacke und ihre Stiefel an. Der Wollschal, den ihre Mutter für sie gestrickt hatte, passte 3x um ihren schmalen Hals. Eigentlich mochte sie die passende Wollmütze dazu nicht aufsetzen, aber sie wollte auch keinen Ärger mit ihrer Mutter. Fertig. Nun konnte sie nach draußen, um den ersten Schneestern zu suchen...

Sie ging durch die Tür zur Diele hinaus, wo sie freudig die acht Hofkatzen begrüßten, die sich voller Erwartung auf eine extra Portion Futter an ihre Beine schmiegten. Sie beugte sich zu ihnen hinunter und streichelte ihre kleinen Schützlinge, die sich scheinbar mit einem wohligen Schnurren bedankten. Ihre Mutter hatte zu ihr deswegen schon "Katzenmama" gesagt. Doch das empfand sie als Ansporn, diesen süßen Katzen noch mehr Aufmerksamkeit und Pflege zu schenken. Aber heute hatte das Mädchen andere Gedanken im Sinn und ließ sich von den Tieren nicht allzu lange aufhalten. Sie ging in Richtung Seitentür der Diele und schaute kurz zum Schlitten, der gleich daneben stand. Ob sie ihn wohl bald im Schnee mitnehmen konnte? Sie hoffte es und ging hinaus.

Ein eisiger Wind kam ihr entgegen. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie ihre Handschuhe vergessen hatte. Och, nicht schlimm - ist ja sowieso kein Schnee da, dachte sie und steckte ihre Hände in die Jackentaschen. Es war noch etwas schummrig draußen, aber lange würde es nicht mehr dauern, bis die Dunkelheit sich über das ganze Dorf legen würde. Das Mädchen ging über den Hof nach hinten zur alten Scheune, wo sie im Sommer gerne spielte. Auf dem Weg dorthin sah sie überall auf den Pflanzen ein Glitzern, als wenn sich die Sterne geschüttelt hätten, um etwas Sternenstaub dazulassen. Frost. Ihre Mutter hatte vorhin noch zu ihrem Vater gesagt, dass es in dieser Nacht besonders kalt werden könnte, denn sie spürte die Vorboten immer in ihrem rechten Knie. Was auch immer das bedeuten mag, dachte das kleine Mädchen - sie hoffte auf den Schnee. Ihre Augen suchten nach dem ersten Schneestern im Himmel. Doch nichts schwebte dort herunter, das sie mit ihrer Zunge auffangen konnte. Enttäuscht sank sie ihren Blick wieder und ging zurück ins Haus, wo es schon lecker nach Bratäpfel duftete...

Nachdem sie ihren Bratapfel vorsichtig mit einem Esslöffel aus dem Backofen vom Holzkohleofen geholt und auf eine Untertasse gelegt hatte, setzte sie sich an den Küchentisch und verspeiste ihn mithilfe eines Teelöffels ganz genüsslich. Ach, das war so eine leckere Süßigkeit, die sie sich am liebsten jeden Tag einverleiben würde. Aber da lag noch ein anderer Duft in der Küche... Eintopf! Sie schnupperte nochmal und - ja, es war ein Steckrübeneintopf, den ihre Mutter auf dem Herd in einem großen Kochtopf köcheln ließ. Oh, wie schön. Sie mochte diesen Eintopf so gerne. Und als wenn ihre Mutter ihre Gedanken gerade gehört hatte, schaute sie zu ihrem kleinen Mädchen und lächelte sie an. "Morgen gibt es was feines" sagte sie zu ihrer Tochter, die ihren Teelöffel mit den Bratapfelresten nochmal ableckte. "Au ja! Dann freue ich mich gleich 2x auf morgen" sagte das Mädchen und rutschte aufgeregt auf dem Küchenstuhl hin und her. "Zweimal? Warum?" wollte die Mutter wissen. "Naja, du hast gesagt, dass dein Knie ein anderes Wetter macht. Vielleicht kann ich dann endlich einen Schneemann bauen. Und dann auch noch Steckrübeneintopf. Also darf ich mich 2x freuen" antwortete das Mädchen freudestrahlend.

Nach dem Abendessen erledigte das Mädchen noch den Abwasch und ging es in die Stube, wo der Fernseher mit einem Gong verriet, dass es schon 20 Uhr war: Tagesschau. Ihre Eltern schauten Nachrichten, um auch zu sehen, ob die Wetterfrösche die Vorboten der Mutter bestätigen würden. Das sollte das kleine Mädchen aber nicht mehr sehen, denn ihre Mutter warf erst der Uhr an der Wand und dann ihr einen Blick zu, der lautlos sagte, dass es Zeit wäre ins Bett zu gehen. "Klein sein ist doof" dachte sie und ging ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen. Und während sie die Zahnpasta in ihrem Mund aufschäumen ließ, kam ihr der Gedanke, dass sie doch schnell ins Bett wollte. Denn um so früher würde es morgen sein, dachte sie und ging nach dem Zähneputzen in ihr Schlafzimmer, dass im Gegensatz zur Küche recht kühl war... Unter der dicken Daunendecke kuschelte sie sich ein und dachte an Frau Holle, während ihr die Augen doch langsam zufielen...

Am nächsten Morgen wachte sie auf - aber nicht vom Wecker auf ihrem Nachtschränkchen. Ihre Mutter hatte die Deckenlampe angeschaltet und stand in der Tür, als das Mädchen noch schlaftrunken zu ihr blinzelte. "Schnee! Meterhoch! Du bleibst heute zuhause und gehst nicht in die Schule" sagte ihre Mutter aufgeregt. Plötzlich war sie hellwach und riss ihre Augen auf. "Wirklich? Ehrlich?" wollte sie von ihrer Mutter wissen. "Ja. Alles ist eingeschneit. Papa schippt schon eine Stunde lang den Weg zur Straße frei. Dein Bruder soll ihn gleich ablösen" entgegnete die Mutter. Im nu flog die Daunendecke zur Seite und das Mädchen sprang aus dem Bett um sich anzuziehen. Das wollte sie sehen und den Schnee endlich mit ausgebreiteten Armen begrüßen. Ihre Mutter ging zur Treppe und die Stufen hinab, um in der Küche das Frühstück für alle zuzubereiten. Das Mädchen folgte ihr nach ein paar Minuten zur Treppe und setzte sich auf das Treppengeländer, um hinunterzurutschen. Die Stufen hinunterzulaufen dauerte ihr heute zu lange. Unten angekommen, zog sie sich im Flur gleich ihre Wintersachen und die Stiefel an und lief über die Diele an den Katzen vorbei nach draußen. Sie musste an der Außentür diesmal kräftig ziehen. Doch dann öffnete sie sich: Das Mädchen ging hinaus und stand zwischen zwei Mauern aus Schnee. Ihr Herz schlug schneller, denn ihren Wunsch nach Schnee hatte Frau Holle anscheinend doch gehört... und es schneite immer noch. Große dicke Schneeflocken schwebten leise aus dem Himmel herab. Sie hob ihren Kopf und streckte die Zunge heraus, um einen Schneestern zu fangen. Da kam einer und segelte langsam herab - direkt aus dem Himmel in ihr Herz.
Ach wie schön das ist, wenn Träume und Wünsche wahr werden, dachte das kleine Mädchen und streckte ihre Hände zum Himmel....

 

 

Eine Woche war vergangen, seitdem der erste Schnee über Nacht kam und er vielen Menschen auf seine Weise überrascht hatte. Inzwischen war er schon ein wenig dahin geschmolzen und nur noch eine fest vereiste dünne Schneedecke erinnerte daran, was er in den ersten Tagen angerichtet hatte.

Als das Mädchen am Nachmittag von draußen herein kam, sah es ihre ältere Schwester am Küchentisch sitzen: Klebstoff, Schere und Glanzpapier lagen auf dem Tisch verstreut und ein schöner Stern, der fast fertig war, hielt sie in ihren Händen fest, damit der Kleber seine Wirkung tat. "Kann ich auch mitmachen?" wollte das Mädchen von der großen Schwester wissen. "Ja. Aber erst Jacke und Stiefel ausziehen, sonst schimpft Mama, wenn Du alles schmutzig machst" antwortete sie. Ihre langen dunkelblonden Haare hatte sie mit zwei Klammern zurück gesteckt, damit sie ihr nicht immer ins Gesicht fielen oder am Klebstoff hängen blieben. "Ja gut, mach ich" sagte das kleine Mädchen. Flugs lagen die Stiefel im Flur und die Jacke hing an der Garderobe. Dann kam sie in die Küche gehopst und setzte sich auf die Küchenbank, die direkt am Fenster stand. "Dein Stern sieht schön aus Inge. Ob ich das wohl auch so hinkriege?" wollte die kleine wissen. "Na, ich zeig Dir, wie es geht" sagte ihre Schwester. "Ich möchte gerne Rot dafür nehmen" meinte das Mädchen und griff nach dem roten Glanzpapier. "Aber das brauche ich noch für...ach, nimm ruhig. Dann mache ich einen ganz bunten Stern" antwortete Inge geduldig und überließ ihrer kleinen Schwester das rote Glanzpapier...
Die zwei merkten gar nicht, wie schnell die Zeit verging, als die Mutter in die Küche kam und die beiden dazu anhielt, den Tisch aufzuräumen, denn es war schon Kaffeezeit. Die beiden Schwestern räumten die Bastelsachen schnell in einen Pappkarton - ihre schönen Ergebnisse obendrauf: Verschiedene Sterne und auch zwei lange Ketten aus den Resten vom Glanzpapier waren entstanden. Die Ketten würden den Weihnachtsbaum sicher noch schöner aussehen lassen. Und die Sterne - ja, wohin kamen denn die Sterne? "Inge, wo wollen wir die Sterne denn glänzen lassen?" fragte das Mädchen ihre Schwester, die nun mit dem Karton auf den Flur ging und ihn dort auf den Fußboden abstellte. "Die kleben wir nachher an die Fenster zur Straße. Da kann man sie gut sehen" antwortete Inge. "Meinen Stern auch?" fragte das Mädchen. "Deiner bekommt den besten Platz im großen Fenster in der Stube" sagte ihre Schwester und ging zurück in die Küche, um der Mutter beim Tisch decken zu helfen.
Nach dem Kaffee räumte das kleine Mädchen den Tisch ab und setzte sich dann mit ihren Malsachen an den Küchentisch. Sie merkte gar nicht, wie ihre Mutter ihr von hinten über die Schulter sah und schmunzelte. Auf einem weißen Blatt Papier entstand ein Tannenbaum mit Kerzen und Kugeln und daneben ein Weihnachtsmann. Wenn alles auch etwas schief und krumm - es entstand ein Bild mit viel Hingabe und Liebe. "Für wen ist denn das schöne Bild, was Du da malst?" fragte die Mutter. Ein wenig erschrocken drehte sich das Mädchen zu ihr um und sagte: "Das ist für Tante Metta. Sie kommt doch morgen zu Besuch, oder?" wollte sie von ihrer Mutter wissen. "Ja...und nicht nur zu Besuch. Sie hilft uns morgen beim Kekse backen" verriet die Mutter ihr. "Oh! Kekse backen! Jaaaah!" kam es freudestrahlend über ihre Lippen, während sie den Stift fallen ließ und ihre Arme in die Luft wirbelte.
Später, nach dem Abendessen stand das Mädchen in der Küche an der Spüle und sang beim Abwaschen des Geschirrs Weihnachtslieder vor sich hin. Ihr Vater kam hinein und ergänzte bei dem Lied "Am Weihnachtsbaume" mit einem verschmitzten Lächeln: "..da hängt ´ne Pflaume.." "Ach Papa, das ist doch ganz verkehrt" meinte das Mädchen. "Aber es ist viel lustiger" sagte er und ging pfeifend in den Flur und dann zur Diele hinaus.
Da sie etwas früher fertig war, konnte sie noch in der Stube ein wenig das Abendprogramm im Fernsehen anschauen. Aber scheinbar war die Antenne auf dem Dach vom vereisten Schnee etwas gestört, denn das Bild im Fernseher verzerrte sich immer wieder und der Ton wurde durch ein Rauschen unterbrochen. Naja, was soll´s, dachte sie und ging nochmal in die Küche. Das Mädchen holte aus der anliegenden Speisekammer schon den großen runden Tupperbehälter mit Mehl raus und stellte ihn auf den Tisch. Als sie gerade dabei war, den anderen großen Behälter mit Zucker vom Regal zu nehmen, kam ihre Mutter hinzu. "Was machst du denn da?" wollte sie von ihrer Tochter wissen. "Morgen wollen wir doch Kekse backen. Dann steht schon alles da und wir können gleich morgen früh anfangen" sagte das Mädchen zu ihrer Mutter. "Aber wo wollen wir denn frühstücken?" fragte die Mutter sie. "Oh, das hab ich ganz vergessen..." antwortete das Mädchen kleinlaut. "Na komm. Ich stelle das Mehl zurück und du gehst jetzt Zähne putzen" meinte die Mutter und trug den Behälter mit dem Mehl zurück in die Speisekammer.
Als das Mädchen im Bett lag, war es immer noch aufgeregt und konnte erst nicht einschlafen, weil es sich so sehr auf den nächsten Tag freute. Es konnte die Kekse schon vor sich auf dem Ofenblech sehen. Ach, das wird ein Tag mit einem Duft, der mir im Herzen bleibt, dachte das Mädchen und schloss die Augen, um ihre Freude mit in ihre Träume zu nehmen...

Am nächsten Tag konnte das Mädchen es kaum erwarten, bis ihre Tante endlich da sein würde. Ihr Vater holte sie aus dem Nachbardorf mit seinem Auto ab - und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich eintrafen...
"Du kannst schon mal den Tisch decken. Nimm die tiefen Teller für die Suppe" sagte die Mutter zum Mädchen. Sie ging zum Hängeschrank - der sich über der Spüle befand - machte die Schranktüren auf und reckte sich nach den Suppentellern. Sieben. Sie waren heute am Tisch sieben Personen und nicht sechs, wie sonst immer.
Die Haustür im Flur tat sich auf: Sie war da - Großtante Metta. Es war die Tante ihrer Mutter, aber alle sagten zu ihr Tante Metta. Der Vater hielt ihr die Tür auf, während sie mit kurzen schlurfenden Schritten an einem schwarzen Handstock haltsuchend in den Flur kam. Sie hatte ein schlichtes ärmelloses schwarzes Kleid an, unter dem sie eine schwarze Bluse trug. Ihren schwarzen Mantel hing der Vater an einem Kleiderbügel an der Garderobe auf. Tante Metta war immer schwarz gekleidet - anders kannte das Mädchen sie auch nicht. Die schneeweißen Haare waren immer zu einem Dutt zusammengesteckt. Ihr Gang war sehr schleppend, da sie schon 82 Jahre alt war; und ihre Körperhaltung war krumm nach vorne gebeugt.
"Tante Metta!" rief das Mädchen und lief auf die alte Frau im Flur zu, um sie zu begrüßen. "Oh, bist du das Silke? Du bist so groß geworden.." sagte die Tante zu ihr. "Ja. Komm, ich nehme dich mit in die Küche. Es gibt Suppe. Hochzeitssuppe mit Eierstich und Fleischklöße" antwortete das Mädchen und nahm ihre Großtante an die Hand. Zusammen kamen sie in die Küche, wo die Großtante von allen begrüßt wurde und sie auf einem Stuhl am Tisch Platz nahm...

Am Nachmittag war es in der Küche, wie in einer Backstube, in der viele fleißige Hände der Mutter beim Kekse backen halfen. Das Mädchen durfte im ausgerollten Teig mit den verschiedenen Blechförmchen die Kekse ausstechen - am liebsten nahm sie das Herz und den Stern. Ihre große Schwester half der Mutter dabei, die ausgestochenen Kekse mithilfe eines Messers auf des Backblech zu legen, was sehr viel Fingerspitzengefühl erforderte, damit diese nicht runterfielen oder in ihrer Form zerstört würden. Ganz so geschickt war das kleine Mädchen nicht, denn manchmal passierten ihm beim Ausstechen kleine "Unfälle", so dass sie hier und da vom verunglückten Teig ein wenig naschte. "Nicht zu viel naschen, sonst bekommst du Bauchweh" sagte ihre Mutter und holte alle Teigreste mit ihren Händen auf dem Tisch zusammen. Sie knetete sie durch und rollte den Teig wieder hauchdünn mit dem Nudelholz aus, damit ihre Tochter wieder neue Kekse ausstechen konnte. Das Mädchen schaute zu Tante Metta, die auf einem Küchenstuhl vor dem Backofen saß und auf die Kekse aufpasste, damit sie nicht verbrannten. "Wann sind sie fertig?" fragte das Mädchen ungeduldig. "Wenn sie es sind, bekommst du einen" versprach die Tante ihr...
Im ganzen Haus duftete es nach den leckeren Keksen und in der Küche war es eine Wärme, die dort allen rote Wangen bescherte. Als die Mutter das letzte Blech aus dem Ofen holte, war es bereits Zeit für das Abendessen. Doch für einen Augenblick sank sie auf einen Küchenstuhl und sagte zu allen: "Bessere Gesellen hat auch ein Bäcker nicht."

Als das Mädchen der Tante nach dem Abendessen in deren Schlafzimmer gute Nacht sagen wollte, holte diese eine Untertasse aus ihrem Nachtschränkchen hervor, worauf drei frisch gebackene Kekse lagen: Zwei Herzen und ein Stern. "Die sind für ein Mädchen, das stets an das Gute glaubt und dem es immer folgen wird" sagte die Tante zu dem Mädchen. "Oh Tante Metta... für mich?" fragte sie mit großen Augen. Ein zahnloses Lächeln entstand im Gesicht der Großtante. Das Mädchen nahm zwei Kekse und aß sie genüsslich auf. Den dritten gab sie ihrer Großtante in die Hand und sagte: "Dein Herz, das du mir schenkst, hab ich bei mir. Und jetzt schenke ich Dir meines..."

 

Es war mitten in der Nacht, als das Mädchen wach wurde. Ein Geräusch hatte sie geweckt. Sie schlug ihre Augen auf - obwohl sie im Dunkeln nichts sah - und hielt ihren Atem an, um besser nach dem zu horchen, was sie geweckt hatte. Oder hatte sie es nur geträumt? Dann dachte sie an all die Weihnachtsgeschichten, in denen der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten auf dem Dach landet. Aber das war ja nicht möglich, da ihr in der Schule von den Lehrern gesagt wurde, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Aber was, wenn doch? Sie schaltete ihre Nachttischlampe an und schlug ihre Daunendecke beiseite. Da! Da war es wieder - ein Poltern. In den Geschichten sagten sie immer "es erhob sich ei Gepolter", wenn der Weihnachtsmann kam. Ihr kleines Herz schlug schneller, als sie sich auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer zur Treppe schlich. Langsam ging sie die Treppe hinunter und passte bei der vorletzten Stufe besonders auf, da diese immer knarrte.
Es war zwar dunkel, doch der Mond schien durch das Glas in der Eingangstür, so dass sie die Tür zur guten Stube erkennen konnte, die am Ende des Flures lag. In diese Stube durften sie und ihre Geschwister nur an Weihnachten oder wenn Besuch da war. Sie war so aufgeregt und dachte, dass ihr Herzklopfen laut zu hören war, als sie langsam zur Stubentür ging. Die Klinke wagte sie nicht runterzudrücken, weil sie dann ein quietschendes Geräusch von sich geben würde. Also bückte sie sich ein wenig und schaute durch das Schlüsselloch - doch sie konnte nichts erkennen. Es schien auch in der guten Stube dunkel zu sein. Enttäuscht erhob sie sich wieder, ging zurück zur Treppe und schlich wieder hinauf in ihr Zimmer. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie kalt es war und legte sich schnell wieder ins Bett. Nachdem das Mädchen die Nachttischlampe ausgeschaltet hatte, kuschelte es sich unter die Decke. Trotzdem ging ihr dieses Gepolter von vorhin nicht aus dem Sinn. Ob es vielleicht doch der Weihnachtsmann war? Sie horchte noch einmal in die Dunkelheit, aber es war still geworden... Und so schloss sie ihre Augen mit ihren Gedanken an morgen, denn morgen war Heilig Abend....

Am Heilig Abend saß die ganze Familie zusammen beim Festessen am Küchentisch. Ein mit Rosinen und Apfelstückchen gefüllter Entenbraten stand auf dem Tisch, neben dem in Porzellanschalen mit Goldrand selbstgemachte Kartoffelklöße und Rotkohl dampften... und es duftete nach Liebe...die eine Zutat, die es nur bei der eigenen Mutter gab.
Der Abwasch der vielen Schüsseln, Kochtöpfe und des Geschirrs zog sich in die Länge; und darum halfen alle ein bisschen mit, damit anschließend endlich die Bescherung in der guten Stube stattfinden konnte. Das Mädchen trocknete das Geschirr ab und konnte es kaum erwarten, endlich das letzte Besteckteil abgetrocknet zu haben. "Gehen wir jetzt in die Stube?" fragte sie ihre Mutter. "Nein. Es ist noch ein wenig Zeit und ich will mich erst noch ein wenig frisch machen" antwortete die Mutter und ging ins Badezimmer. Es war doch schon fast 20:00 Uhr, dachte das Mädchen. Wie lange musste sie denn noch warten?...

Endlich war es soweit - die Mutter schloss die Tür zur guten Stube auf und die ganze Familie ging hinein. Ein großer Weihnachtsbaum mit Kugeln in verschiedenen Farben und elektrischen Kerzen erleuchtete den Raum in einem warmen Licht. In den Jahren zuvor waren es immer echte Wachskerzen, die am Tannenbaum brannten. Doch nach dem letzten Weihnachtsfest wurde nun eine elektrische Lichterkette benutzt, da der Baum Feuer gefangen hatte.
An den kleinen Zweigen hingen noch Schokokringel, die mit bunten Zuckerperlen bestückt waren. Auf halber Höhe steckte mittendrinn eine kleine Krippe aus Plastik; und oben auf der Tannenspitze glänzte eine silberne Christbaumspitze. Lange silberfarbene Lamettafäden hingen von den Zweigen herab und die beiden gebastelten Glanzfolienketten schlangen sich mehrfach um den Baum herum.
"Frohe Weihnachten" sagte die Mutter und holte die Geschenke unter dem Baum hervor, während das Mädchen immer noch vor dem Baum stand und ihn bewunderte. "Das ist für dich Silke" sagte die Mutter, während sie dem Mädchen ein großes Paket entgegenstreckte. "Oh, was da wohl drin ist?" fragte sie aufgeregt und nahm das Geschenk dankbar in ihre Hände. Nachdem sie es geöffnet hatte, schauten sie zwei blaue Plastikaugen an. Es war eine große Puppe, die kurze dunkle Haare hatte. Das kleine Mädchen schaute sich die Puppe an und bewegte die Arme und Beine. Sie ließ sie sitzen und stehen und drehte die Arme in verschiedene Positionen. Dann wanderte ihr Blick zu ihren Geschwistern, die ihre Geschenke inzwischen auch schon ausgepackt hatten. Ihr Bruder hatte ein Puzzle bekommen und hielt die Schachtel in seinen Händen. Doch in seinem Gesicht konnte das Mädchen sehen, dass er sich nicht sonderlich darüber freute - kein Glänzen in den Augen und auch kein Lächeln im Gesicht. "Magst du es nicht?" wollte sie von ihm wissen. "Och ja, doch" antwortete Gerhard leise und ließ die Schachtel in seinen Händen sinken. Dann ging er zum Vater, der am Stubentisch Nüsse knackte, und tat es ihm gleich. Komisch, dachte das Mädchen, während es zu Anette rüber schaute, die nur drei Jahre älter war als sie. Ihre Schwester hielt eine Puppe in ihrem Arm, die lange blonde Haare hatte - lange blonde Haare. Sie schaute ihrer Puppe mit den kurzen dunklen Haaren in die blauen Augen und dann wanderten ihre Blicke zu ihrem Bruder. Er hatte sich auch etwas anderes gewünscht; jetzt wusste sie es...

"Na, magst du nicht mit deiner Puppe spielen?" fragte Inge ihre kleine Schwester. Das kleine Mädchen schaute ihre älteste Schwester mit traurigen Augen an und antwortete: "Naja, sie hat so kurze Haare...die Puppe von Anette hat viel schönere Haare. Die sind so schön lang..." Da entgegnete Inge: "Hm... ich hab meine Haare ja seit ein paar Tagen auch kurz. Und bin ich jetzt anders oder irgendwie doof?" Das Mädchen zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. "Nein, du bist doch immer gleich lieb - egal, ob du so oder so aussiehst" sagte sie zur großen Schwester. Diese fing an zu lächeln und stupste das kleine Mädchen mit dem Finger auf die Nase, als sie ihr etwas zuflüsterte: "Dann tu das doch mit deiner schönen neuen Puppe genauso...und sag es Mama nicht. Sie hat sich so viel Mühe und Arbeit gemacht - für uns." Im Flüsterton antwortete das Mädchen: "Ja, das mach ich." Und dann ging sie zur Mutter und setzte sich auf ihren Schoß. "Nanu, was kommt denn jetzt?" fragte die Mutter neugierig. "Du Mama? Hast du eigentlich auch was schönes geschenkt bekommen?" wollte das Mädchen wissen. "Ja, das hab ich" antwortete die Mutter. "Aber du hast ja gar keins unterm Baum für dich gehabt" meinte das Mädchen. "Die Geschenke, die ich bekommen habe, waren woanders versteckt...hier drin" sagte die Mutter und ihr Zeigefinger wies auf ihr Herz. "Was meinst du damit?" fragte das Mädchen. "Eines dieser Geschenke sitzt gerade auf meinem Schoß.." sagte die Mutter und lächelte...

 

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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 29.11.2020 um 15:07 Uhr
Hallo Silly,

eine Erinnerung an ein Jahr mit einem schneereichen Winter. Da kommen auch bei mir Erinnerungen hoch, denn zu Beginn dieses Winters wechselten wir die Wohnung und unsere damals kleine Tochter ging einmal zu Schule obwohl fürchterliches Wetter herrschte. Mein Frau wollte sie davon abhalten, aber die Tochter hatte einen starken Charakter. Das Kind allein auf den Weg zu schicken, war aber auch keine Option bei dieser Wetterlage. So stiefelten Frau und Kind gemeinsam zur Schule, nur um dort festzustellen, die Schule blieb wegen der Wetterlage geschlossen war :-)

Ja, Du hast es schön beschrieben, wie Kinder reagieren und sich über Schnee freuen. Danke für die anregende Geschichte.

Gruß Bernd
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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 03.12.2020 um 18:21 Uhr
@Silly Oh ja Silly, an diese Zeit habe ich schöne Erinnerungen, wenn ich auch damals so viel gearbeitet habe, dass ich aus heutiger Sicht den Eindruck habe, ich hatte nicht einmal genug Zeit Luft zu holen.

Gruß Bernd
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Silly (Autor)Am 03.12.2020 um 17:31 Uhr
Hallo Bernd.
Ich danke Dir für deinen schönen Kommentar zur Geschichte und freue mich, dass ich ein paar (hoffentlich schöne) Erinnerungen in Dir geweckt habe.

Gruß, Silly.
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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 26.12.2020 um 19:36 Uhr
Hallo Silly,

eine schöne ruhig erzählte Geschichte als Erinnerung an eine vergangene Zeit. Kindheitserinnerungen aus dieser Zeit kann ich nicht beisteuern, denn damals hatte bereits ich fast ein halbes Menschenleben gelebt. Eine aufregende Zeit war das für mich und die ganze kleine Familie. Zum ersten Mal waren wir in eine Wohnung gezogen, die Platz genug für uns bot. Wie bereits unten schrieb - damals habe ich gearbeitet, nicht gelebt. Im Nachhinein sage ich, es war ein Fehler, aber man möge es mir verzeihen. Ich wollte es allen beweisen, vor allem aber mir selbst. Ich kann, weil ich will, was ich muss. So soll Immanuel Kant es formuliert haben.

Nun im Rückblick überwiegt aber eher, dass das die Zeit war, in der es uns gelungen ist zu dem zusammen zuwachsen, zu dem was uns heute noch unsere Gefühle beherrscht. Vielleicht ist das der Ausgleich dafür, dass unsere Kindheit in Kriegs- und Nachkriegszeit nicht unbedingt mit den schönsten Erinnerungen in Verbindung gebracht werden kann.

Liebe Grüße
Bernd
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Sillys Profilbild
Silly (Autor)Am 27.12.2020 um 14:57 Uhr
Lieber Bernd,

ich danke Dir sehr für deinen Kommentar und den kurzen Einblick in deine Vergangenheit. So wird es doch deutlich, dass jeder seine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen gemacht hat, die total anders sein können, als es sich so mancher vorstellt... und meine Kinderzeit hatte auch ihre Schattenseiten - für die in dieser Geschichte jedoch kein Platz ist. ;-)

Liebe Grüße
Silly

Autor

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Kapitel: 4
Sätze: 300
Wörter: 4.214
Zeichen: 23.570

Kurzbeschreibung

Eine Reise in die Vergangenheit...in eine Zeit, in der viele Dinge noch von großer Bedeutung waren, die heute scheinbar verloren gegangen sind. Die kleinen Schätze in der Erinnerung zu bewahren und weiterzugeben, war und ist etwas, das man oft erst in späteren Jahren erkennt....

Kategorisierung

Diese Story wird neben Familie auch im Genre Vermischtes gelistet.