Storys > Biografien > Action > Ein Leben mit ANGST

Ein Leben mit ANGST

381
08.06.25 15:00
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Es war das Ende der ersten Pandemie, etwa um den 20. Mai herum. In den letzten Wochen habe ich viele Briefe bekommen. In einem Autorenforum, ähnlich wie diesem hier, besitze ich einen Postkasten(Kummerkasten). Dort bekam ich Nachrichten und Hilferufe von anderen Autoren, die ich nach bestem Wissen und Gewissen, mit den Lehren, die mir das Leben gegeben hat, zu beantworten versuchte.

Selbst für psychisch widerstandsfähige Personen stellte diese Zeit eine Herausforderung dar. Für diejenigen, die schon vorher instabil waren, war es noch schwieriger. Menschen reagieren unterschiedlich, daher variierte auch die Bewältigung der neuen Umstände. Ich persönlich empfand die drei Wochen der Ausgangsbeschränkungen als ziemlich angenehm.

Niemand kam zu Besuch, und ich hatte keinen Ort, an den ich hin musste. So nutzte ich die Gelegenheit, meinen E-Mail-Posteingang zu organisieren. Suizid-Ankündigung, ein Abschiedsbrief, nach 10 Minuten: Muss einen Tag länger leben, Dachbodenschlüssel passt nicht mehr, geschrieben irgendwo in Deutschland. Bis 5 Uhr früh ich mit ihr geschrieben, im Chatroom, Zwangsheirat, nach ihren Master, in ein fremdes Land, einen fremden Mann, der um vieles älter war, heiraten. Das vor 16 Monaten. Sie lebt, konnte einen Flug, einen Dreijahresvertrag, die Organisation bezahlt da, gegen Kost n Logge in einem Hospiz zu arbeiten. Inzwischen gibt es einen Leo, vier Monate, hat einen Hindu geheiratet, und,... solche dinge, magersüchtig, missbrauch eines Reitlehrers und Eheprobleme, usw.

Dabei stieß ich auf die Geschichte einer Wienerin – fett gedruckt, von mir noch ungeöffnet und ungelesen. Als ich ihre Geschichte las, berührte sie mich so tief, dass ich, trotz meiner sonst so stabilen Psyche, in den Garten hinausgehen, mich in die Sonne setzen und einfach nachdenken musste.

Die Nachricht war 27 Tage alt.

Ich hatte einen Namen und eine Adresse. Ich sagte zu meiner Liebsten, dass ich schnell wegmüsse, es sei wichtig. Wir waren bereits 15 Jahre zusammen, und sie kannte mich inzwischen gut genug, um nicht viel zu fragen.

Um 11 Uhr befand ich mich vor einem verfallenen, ausgesprochen unansehnlichen Gemeindebau. Errichtet im Jahr 1924, wirkte es, als seien die Originalfenster noch immer in Gebrauch. Dass so etwas in Wien existiert? Die grauen, von Graffiti bedeckten Wände könnten auf einen empfindsamen Menschen niederschmetternd wirken. Nachdem ich dreimal geläutet hatte, erklärte ich über die Gegensprechanlage, wer ich bin und zu welchem Zweck ich gekommen war:

Ja, gut, aber warten Sie einige Minuten, ich bin auf Besuch nicht vorbereitet. Warten Sie bitte.

Es war eine Überraschung, obwohl ich nichts Besonderes erwartet habe.

Im Vorzimmer ein Sessel, überhäuft mit Kleidung, Schuhe in einem Karton. Der nächste Raum, sicher das Wohnzimmer? Ein Campingtisch, zwei Klappstühle. Obst Holzkisten als Bücherregale. Die Fenster waren mit weißen Leintüchern bedeckt, keine Chance für Sonnenlicht. Eine Glühbirne in einer Metallfassung in der Mitte des Raumes. In der Ecke, ein Katzenkorb, ein Katzenklo und mehreren Futternäpfen.

Die Küche mit einem frei stehenden Gasherd und eine Omama Kredenz mit Glasfenstern, die an vergangene Zeiten erinnern, während ein moderner Apple Laptop einen interessanten Kontrast dazu bietet. Es ist wirklich faszinierend, wie solche Gegensätze in einem Raum harmonieren können.

Denken Sie über meine Wohnung nach?

Ja schon, natürlich, gerade eingezogen, oder sind sie beim Übersiedeln?

Nein, beides falsch. Ich wohne schon 11 Jahren hier, aber habe alle Möbel verschenkt. Ich kann es nicht ertragen; sie erdrücken mich, das werden Sie nicht verstehen.

Warum ich gekommen sei, fragte sie, und plötzlich fragte ich es mich auch. Konnte ich da überhaupt noch helfen?

Sie hatte Angst – vor allem und zu viel, um es hier niederzuschreiben. Sie bat mich, ihre Angst ernst zu nehmen. Darauf sagte ich:

Sabine, es ist mir wichtig zu verstehen, woher deine Angst kommt, doch ich möchte dich nicht drängen, darüber zu sprechen, wenn du nicht bereit bist. Unsere Aufmerksamkeit sollte sich vor allem auf das Heute und das Morgen richten. Ich möchte dir einen Tag schenken, an dem du dich völlig frei von Angst fühlen kannst.

Wie soll das gehen, fragte sie mich weinerlich

Bleib einfach bei mir, und es wird vielleicht etwas dauern, bis du, es bemerkst und spürst, aber ich verspreche es dir, ich werde auf dich aufpassen, wie auf meine Tochter, es wird dir nichts zustoßen. Ich bin jemand, der keine Angst kennt, weder vor etwas noch vor jemandem. Das sollte ausreichen. Bleibst einfach in meinem Schatten!

Ich trank zwei Tassen grauslichen Kaffee, aber mit den Manner Schnitten war er herunterzubekommen. Sie erzählte mir doch dann einiges aus ihrer Jugend, aus einer Zeit wo offensichtlich noch alles in Ordnung war. Es gab Freundinnen, auch einen Freund, eine erste Liebe, einen Ex und ein Germanistikstudium und? Es begann für sie nun schwer zu werden, ich beendete es und verabschiedete mich und zu ihr:

Ich hole dich Morgen um 8 Uhr ab und zieh dir was Schickes an, okay?

 

Sabine, eine 27-jährige, magersüchtige Brünette, hat nach sechs Jahren, die Wohnung, mit mir das erste Mal wieder verlassen. Den notwendigen, wichtigen Einkauf von Lebensmitteln und alltäglichen Dingen erledigte für sie ihr Bruder. Und ich, kein Psychotherapeut, habe nur das eine Wissen, dass einem das Leben lehrt.

In einem nahen Einkaufszentrum einen Friseur zu besuchen, stellte sie bereist vor eine große Herausforderung. In einem lichten Moment, sie einen meinen Artikel in einer Autorenplattform S1 und meinem Kummerkasten gelesen hat, hat sie ermutigt mir zu schreiben.

Das liegt nun ein Monat zurück, ich ihr E-Mail übersehen. Und heute war der Montag, an dem wir uns sehen sollten und gemeinsam etwas unternehmen. Ich war damals 70 Jahre und nach wie vor in einer Beziehung und es sollte ja kein Date oder Kennenlernen Termin sein, sondern ich wollte helfen. Bulimie ist eine Krankheit, die auch nicht so einfach wieder wegzubekommen ist. Grundwissen darüber hatte ich durch Freundinnen, noch aus einem anderen Leben von mir, vor langer, langer, Zeit. Auch welche dabei, die sich ritzten, heißt schneiden, eine Form von Selbstverletzung, in der Fachsprache, Borderliner. Eigentlich ein Aufschrei für ihr Aufmerksamkeitsdefizit an ihre Umgebung von ihnen.

Das Telefon läutet um sieben, so früh? Eine unbekannte Nummer, ich hebe nicht ab. Kurz darauf ein SMS.

Leo- bitte heute nicht kommen, mir geht es nicht so gut. :-(

Ich eine Tour zusammengestellt, um Sabines Grenzen zu testen. Deshalb antwortete ich:

Das ist nicht möglich, ich bin schon unterwegs! Wenn du heute absagst, wirst du mich nie wiedersehen. Ich möchte nicht aufdringlich sein. :-)

Um 8 Uhr klingelte ich, die Tür wurde sofort geöffnet, und ich war angenehm überrascht, sie in den neuen Klamotten zu sehen, die wir zusammen ausgesucht hatten – ich musste ihr einfach ein Kompliment machen.

Leo, ich habe jahrelang die Wohnung nicht verlassen, doch du hast es möglich gemacht, und ich möchte dir dafür danken. Außerdem möchte ich gleich etwas klarstellen: Ich bin asexuell. Weißt du, was das bedeutet?

Sabine, ich verstehe, klar weiß ich was es bedeutet, und du musst es mir nicht erklären, aber darf ich meine eigenen Gedanken dazu haben? Ich weiß, dass es keine Krankheit ist, und obwohl ich noch niemanden solchen kennengelernt habe. Ich nehme es zur Kenntnis und werde jetzt trotzdem nicht weggehen, okay? Du hast dich in den letzten Jahren versteckt und aus Angst vor den schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit gelebt. Ich bin einfach nur froh, dass du dich entschieden hast, heute etwas Zeit mit mir zu verbringen. Wie fühlst du dich? Bitte gib mir sofort Bescheid, wenn etwas nicht in Ordnung ist, okay?

Ich glaube mir geht es gut, bin sehr aufgeregt, aber fühle mich gut, was hast du vor?

Wenn ich es dir sage, könnte die Angst entstehen, dass es unmöglich wird. Vertraust du mir? Ohne zu antworten, ergriff sie fest meine Hand.

Bitte nehmen wir das Stiegenhaus, keinen Aufzug.

Automatisch ging ich zu meinem Wagen, sperrte auf, hielt ihr die Türe auf, sie zögerte nun.

Nein, ich steige da nicht ein, ich kenne dich doch nicht, nein, bringe mich bitte zurück!

Nur einsteigen, fahre nicht weg, können wir reden?

Im Auto fing sie an, sich zu entschuldigen, dass sie so kompliziert sei und ich es nicht machen müsste, und...

Sabine, ich bin kein Therapeut und möchte nicht wissen, warum es so ist. Du hast Angst, und du brauchst dich bei mir nicht zu entschuldigen – genau deshalb bin ich hier bei dir. Du bist intelligent genug, um es zu erkennen, und du weißt auch, dass warum. Aber du scheinst nichts damit anfangen zu können und kannst dir selbst nicht helfen.

Ich habe sicherlich nicht den Kontakt zu dir gesucht, um eine heiße Affäre mit einer jungen, attraktiven Frau zu beginnen. Ich plane auch nicht, eine Beziehung mit dir einzugehen, denn ich befinde mich bereits in einer sehr glücklichen Partnerschaft. Mein heutiger Besuch bei dir gründet auf der Überzeugung, dass ich dir helfen kann, nachdem ich deine Lebensgeschichte gelesen habe.

Das ist der einzige Grund für meine Anwesenheit. Bist du mit dem Film "Unbreakable" aus dem Jahr 2000 vertraut? Bruce Willis übersteht darin unversehrt eine Katastrophe, die 240 Menschen das Leben kostet. Er ist unverwundbar, im Gegensatz zu Samuel L. Jackson, der an einer Glasknochenkrankheit leidet?

Was ich meine ist, dass ich ohne das Gefühl von Angst aufgewachsen bin, ich habe es wirklich nie erlebt. Du hingegen bist das genaue Gegenteil, und deshalb möchte ich dich unterstützen und dir etwas von meiner Stärke geben. Ich bin überzeugt, dass wir es gemeinsam schaffen können, aber es ist wichtig, dass du mir in jeder Situation vertraust. Kannst du das?

Sie begann zu weinen, schaute beim Fenster hinaus, ich sah ein Nicken, etwas später legte sie ihr Hand auf die meine.

Ja, warum nicht, ich habe ja wirklich nichts zu verlieren, fahren wir!

Feedback

Logge Dich ein oder registriere Dich um Storys kommentieren zu können!

Autor

derLeowitschs Profilbild derLeowitsch

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Kapitel: 2
Sätze: 85
Wörter: 1.651
Zeichen: 9.879

Kurzbeschreibung

Angst beim Liftfahren, die Befürchtung eines Einbruchs in die Wohnung im sechsten Stock, die Sorge, sich im Supermarkt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln mit einem tödlichen Virus zu infizieren. Angst vor Menschen. In meinen Postkasten, eine E-Mail. Habe meine Wohnung seit sechs Jahren nicht verlassen. Können Sie mir helfen? Name, und Adresse!

Kategorisierung

Diese Story wird neben Action auch in den Genres Liebe, Alltag und Angst gelistet.