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Die Sterblichkeit der Elben

Am 19.02.2017 um 17:33 Uhr

Ich beziehe mich im Folgenden auf die HarperCollins Ausgabe der HoME 3, Seite 64.

 

Der Titel mag reißerisch klingen, zeigt aber auf, worum es mir gehen soll: Tolkiens Definition von Sterblichkeit und, dass diese ebenso die Elben betrifft. Es ist am Ende so oder so alles nur eine Frage der Definition, wie immer im Leben ;)

 

Ich selbst schreibe sehr gerne im Tolkien-Fandom Fanfictions, und so stellte ich irgendwann einmal fest, dass insbesondere Halbelben in Bezug auf die Sterblichkeit sehr konträr diskutiert werden und sich nicht jeder so ganz sicher ist, wie das nun alles so zu sehen ist. Besonders Lúthien, Elu Thingols Tochter, ist da diskutiert und umstritten, besonders da sie ja nicht in dem Sinne eine Halbelbin ist, dass sie auch von Menschen abstammt; sie stammt zur Hälfte von den Teleri und zur Hälfte von den göttlichen Maiar ab. War sie, als sie Beren aus den Hallen von Mandos zurückholte nun selbst sterblich oder »starb« sie, wie jeder andere Elb es vermag, nach seinen Tod an Kummer?

 

Zunächst ein Zitat von besagter Seite in der Shaping. Das Zitat ist der Kommentar CRTs zu §14 von »The earliest ‚Silmarillion‘«. »Beren died, as a mortal dies; Lúthien went to Valinor as a living being; and Mandos allowed Beren to return to a second mortal span, but Lúthien now became subject to the same shortness of span as he. In this sense she became ‚mortal‘; but being an elf sie ‚faded‘ – this was the manner of her death: as it was also the manner of the death of the fading Elves of later ages. Part of the difficulty in all this undoubtedly lies in the ambiguous nature oft the word ‚mortal‘ and ‚immortal‘ applied to the Elves: they are ‚immortal‘, both in the sense that they need not die, it is not their essential nature to die ‚in the world‘, and also in the sense that, if they did, they did not ‚leave the world‘, did not go to ’a fate beyond the world‘ (by wounds or by grief, but not from sickness or age). Lúthien became ‚mortal‘ in that, althought an Elf, she must die – she must fade.«

 

Es ist alles nur eine Definitionsfrage. Lúthien war hiernach also beides: sowohl sterblich als auch unsterblich. Sie starb nach derselben Zeitspanne wie ein Mensch, jedoch vermute ich, dass sie dennoch nicht alterte, sondern eben »dahinschwand«, wie es Elben tun. Demnach kann bzw. ist dies jeder Elb. Er kann sterblich werden in dem Sinne, wie es Lúthien geworden ist, wenn diese oder ähnliche Umstände vorliegen und er ist sterblich in dem Sinne, dass er »schwindet« in Folge von Verletzungen oder Leid (seelisch wie körperlich). Diese Sterblichkeit ist dann freilich eine andere als die der Menschen, deren essenzielle Natur die Sterblichkeit ist, wie wir sie alle von uns selbst kennen. Die elbische Sterblichkeit hingegen ist schon weniger bindend, jedoch nur in seltenen Fällen: Es gibt wohl unzählige Elben in der Geschichte der Drei Zeitalter, die aufgrund von schweren Verletzungen/Verstümmelungen und zu großem seelischen Leid vom Leben ließen und elbisch »schwanden«; tatsächlich ist das sogar Standard, wie mir eine Freundin sagte, die ebenso die HoME liest. Eines der ganz wenigen Gegenbeispiele ist Maedhros oder Maidros an den meisten Stellen in der HoME, der von Morgoth nach der Dagor-nuin-Giliath, der Schlacht unter den Sternen, und dem Tod seines Vaters Feanors gefangen genommen und mit der rechten Hand an den Thangorodrim gekettet wurde; wenn ich mich nicht verrechnete für unglaubliche 33 Sonnenjahre und länger. Sein Freund Finweg > Fingon befreite ihn, indem er ihm die Hand abschnitt. Das wäre definitiv eine der angesprochenen Verstümmelungen, an denen die meisten Elben schließlich zugrunde gegangen wären. Maedhros nicht, das wissen wir alle, die das Silmarillion lasen. Tatsächlich war es sogar eher so, dass dies seinen Hass auf seinen Feind nur noch um ein Vielfaches verstärkte und ihn umso erbitterter bekämpfen ließ. Schon sehr schnell war schon sein bloßer Anblick aus der Ferne für die Orks der blanke Horror. Trotz allem hat ihn für den Rest seines Lebens diese Verstümmelung sehr zu schaffen gemacht, mehr als es bei einem Menschen der Fall wäre. Man muss immer bedenken: Elben sind keine Menschen, etwas, das leider den allermeisten FF-Schreibern dieses Fandoms entgeht.

 

Was aber ist nun genau das elbische Sterben, was bedeutet: »to die ‚in the world‘, […] if they did, they did not ‚leave the world‘, did not go to ’a fate beyond the world‘«? In der HoME heißt es immer wieder, dass die Zahl der Elben nicht wachsend sondern stets gleich bleiben war. Wenn sie elbisch sterben, vergeht nur ihr Körper, ihre unsterblichen Seelen (worin ich wieder einmal den Religionsbezug in Tolkiens Werken sehe) wandern nach Mandos. Dort verweilen sie für 1000 Jahre (was als keine feste Zahl sondern als Indikator für eine laaaaange Zeit zu sehen ist) oder bis sie aufgrund der Gnade der Valar entlassen werden. Geschieht dies, also, dass sie nach einer laaaaangen Zeit oder aufgrund der Gnade der Valar aus den Hallen entlassen werden, werden sie in ihren Kindern wiedergeboren. Allerdings ist dies ein eher selten anzutreffender Fall, der bekannteste ist Glorfindel, der nach seinem Tod im Kampf gegen den Balrog in Gondolin allerspätestens im Dritten Zeitalter unter der Führung Elronds erneut ins Leben zurückkehrt, um nun gegen Sauron, Morgoths früherer Diener, zu widerstehen. Míriel ist, soweit mir bekannt, das Beispiel für das genaue Gegenteil. Sie ist die erste Frau Finwes und die Mutter Feanors. Bei Elben sind beide Elternteile an der exakt einjährigen (ein Sonnenjahr) Entwicklung des Kindes im Mutterleib beteiligt, die Mutter an der geistigen Entwicklung des Kindes, der Vater an der körperlichen. Nun, Feanor oder Feanáro, wie sein eigentlicher Name ist, heißt nicht umsonst »Feuergeist«. Er erschöpfte seine Mutter vollkommen in der geistigen Entwicklung. Nach seiner Geburt wurde Míriel matter und matter und legte sich schließlich hin und ihr Geist schwand aus ihrem Körper, sie starb also nach elbischer Art. Von ihr aber heißt es, dass sie (mindestens für eine lange Zeit) nicht mehr in die Welt zurückkehrte, worüber Finwe so traurig war, dass er als einziger Elb ein zweites Mal heiraten durfte.

 

Zum Schluss kläre ich noch der Vollständigkeit halber, worauf sich »a fate beyond the world« bezieht, bevor ich das Zitat und meine daraus resultierenden Erörterungen zur Diskussion freigebe. Es ist der Bezug auf das Schicksal der Menschen. Von den Zwergen heißt es, wenn mich nicht alles täuscht, dass auch sie in die Hallen Mandos‘ einkehren, jedoch in einen eigenen Teil und gesondert von den Elben, obgleich sie nicht zu den Kindern Ilúvatars gehören (sie wurden von dem Ainu und Vala Aule geschaffen). In einem der Entwürfe (im Prinzip reden wir von allem, was posthum von Tolkien erschien, von gleichberechtigt nebeneinander existierenden Entwürfen) heißt es, dass auch die Menschen nach Mandos kommen, öfter erscheint jedoch, dass ihr Schicksal nach ihrem Tod unbekannt ist, was ihre herausragende Eigenschaft ist und sie besonders absondert und unterschiedet von den Elben. »A fate beyond the world« bedeutet dabei, dass sie tatsächlich aus der Welt scheiden und nicht wiederkehren – bis auf Beren, der nach seinem zweiten Tod aber wirklich tot war und es auch blieb, und Túrin, von dem es heißt, dass er am Ende aller Tage wiederkehrt, um seinen alten Feind Morgoth zu zerschmettern, und in Folge dieses Kampfes die Welt zerbrechen soll, so gewaltig sei e. Wie gesagt, niemand weiß, was mit den Menschen nach ihrem Tod geschieht, im Gegensatz eben zu den Elben (s.o.).

 

Nach der weiteren Lektüre der Shaping of Middle-Earth habe ich noch eine Referenz zur Problematik Lúthien Tinúviel gefunden: »For Lúthien faded as Mandos had spoken, even as the Elves of later days faded, when Men waxed strong and usurped the goodness of the earth; and she vanished from the world; and Beren died, and none know where their meeting shall be again.« (S. 134)

 

Hinter diesem Zitat setzte CRT eine Fußnote und schrieb in ihr (S. 135): »Added here: 'Yet it hath been sung that Lúthien alone of Elves hath been numbered amoung our race, and goeth wither we go to a fate beyond the world.' A large pencilled X is made in the margin against the sentence in the typescript beginning For Lúthien faded...; in my father's manuscripts this always implies that there is some misstatement in the text that requieres revision.«

 

Da diese Änderung zu diesem Zeitpunkt der Formung Mittelerdes nicht geschehen war, berief sich CRT in seinem der Quenta, der das erste Zitat dieses Posts entnommen ist, folgenden Kommentar nicht auf das X sondern nur auf die Ergänzung und damit den stehenden Lauftext seines Vaters. Zu diesem schrieb er (S.190): »[...], and 'it has long been said that Lúthien failed and faded swiftly and vanished from the earth', and thus came to Mandos: she had died, as Elves might die, of grief (cf. the old Tale of Tinúviel, II. 40 [gemeint ist ein Kapitel aus Das Buch der Verschollenen Geschichten II]). And the dispensation of Mandos exacted that 'Lúthien should become mortal even as her lover, and should leave the earth once more in the manner of mortal women'. Thims seems precise: it can surely only meen that Lúthien had become, not an Elf with a percuilar destiny, but a mortal women. Her nature as changed.«

 

CRT hat damit im Prinzip alles ausgesagt. In dieser Fassung der Geschichte von Beren und Lúthien ist Lúthien also tatsächlich sterblich geworden, wie es menschliche Frauen sind, nachdem sie Beren aus Mandos freisprach und mit ihm ein zweites Leben führte. Das angesprochene X deutet an, dass Tolkien dies zwar ändern wollte, die Natur dieser Änderung aber ist zumindest in der Shaping nicht gegeben und nie erfolgt.

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