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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 193 | |
Wörter: | 2.337 | |
Zeichen: | 13.705 |
In meinen kühnsten Träumen hätte ich niemals erwartet, jemals wieder das Licht der Welt zu erblicken.
Ein wabernder, süßlich nach Verwesung stinkendes Gefängnis umhüllte mich, gepaart mit einer unbändigen Wut in meinem Inneren.
Ich erwachte in einem Alptraum aus Tod, Verzweiflung, ungezügelter Wut und Schmerz. Ich bin eigentlich tot und doch lebe ich. Wie kann das sein?
Ich kniete nackt und zitternd in einer Mischung gallertartiger violetter Substanz, metallartigen Federn und Hautfetzen. Es stank so grotesk, dass ich Mühe hatte, überhaupt Luft in meinen Lungen zu bekommen. Ein Erinnerungsfetzen unbekannter Herkunft. Wut. Unbändige Zerstörungswut. Ein Instinkt. Aber nicht der eines vernunftbegabten Wesens. Animalisch. All das ebbte ab und verschwand in innerlicher Abwesenheit und Leere. Ich fühlte in diesem Moment rein gar nichts.
"Na, sieh mal einer an. Das Biest wurde zu einer… Prinzessin? Ich hab das Märchen doch etwas anders im Kopf.”, drang an mein Ohr. Eine Stimme von einem Mann, der sehr belustigt klang. “Hat mich ganz schön Nerven gekostet, der Riesenpapagei."
Ich konnte mit dem Gesagten nichts anfangen, denn ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt oder besser umschrieben; innerlich apathisch.
Langsam schaute ich auf, ob nun aus Reflex oder von einer fremden Macht gesteuert. Das Zittern wurde stärker. Mir war so kalt, aber ich realisierte es immer noch nicht ganz, was passiert war. Ich spürte lediglich die frischen Brisen auf meinem Körper, die von der Substanz überzogen waren. Aber Anstalten, mich vor dieser Kälte schützen zu wollen, blieben aus.
Mein Blick schien wohl geistesabwesend, jedenfalls schnippte jemand vor meinen Augen wild herum. Wollte wohl meine Aufmerksamkeit. Ich sah nur einen weißhaarigen Mann, dessen Haare ins Gesicht fielen, dass man seine Augen kaum sehen konnte. Ein ungepflegter Bartwuchs verlieh ihm eine Art vagabundenhaftes Aussehen.
“Die ist doch in ihrer eigenen Welt.”, meinte er, da stimmte eine andere männliche, wesentlich jünger klingende Stimme mit ein. Ebenfalls ein Weißhaar. Ich hätte mich in diesem Moment gefragt, ob die beiden Vater und Sohn sind, doch nicht mal das konnte mein Kopf sich fragen. Mein Atem fing an zu stocken, durch den nun deutlich werdenden Gestank. Mein Kopf fing an zu arbeiten. Dann reagierte mein Körper endlich und wollte sich übergeben. Nichts außer Sabber verließ meinen Mund, gefolgt von elendigen Würgegeschräuschen.
“Und was machen wir mit ihr? Sie hat uns angegriffen, mitnehmen sollten wir sie nicht.”, man konnte eine Anwiderung in seiner Stimme vernehmen.
Ein ärgerliches Schnalzen folgte vom weißhaarigen Mann im roten Mantel. Dann ertönte eine sanfte, ruhigere Stimme, sie beruhigte mich sogar innerlich.
“Sie ist ein Mensch. Und wenn ich richtig schlussfolgere, war dieser Riesenpapagei ihr Gefängnis. Womöglich, sicher bin ich mir nicht.”, meinte er besonnen und mein Kopf ließ mich klarer denken und ich bewegte meine Augen langsam in seine Richtung. Plötzlich hatte ich einen Impuls, etwas zu sagen, doch mein Mund bewegte sich nicht einmal. Seine schwarzen Haare verdeckten einen Teil seines schmalen, zarten Gesichtes, seine Statur war hager, fast schon als würde er mit einem falschen Schritt zusammenbrechen.
“Wir können sie nicht hierlassen.” , fügte er hinzu und hörte plötzlich das Zittern auf und fühlte etwas auf meinem Körper. Eine Decke.
Instinktiv wickelte ich mich in sie, ehe mich ein Gefühl von Panik überkam. Ich wandte meinen Blick auf den Boden vor mir und versuchte zu atmen. Eine Folge von dem, was geschehen war, ich mich aber nicht daran erinnern konnte?
Mein Bauch krampfte sich zusammen, diesmal aber nicht, um sich zu übergeben. Etwas legte sich sachte auf meinen Rücken, dennoch verharrte mein Blick weiter auf dem Boden mit den Überresten meines Gefängnisses.
“Na schön, aber dann kümmerst du dich um sie, V. Sie ist deine Verantwortung, capisce ? Baut sie Mist, bist du Schuld.”, gab sich der Älteste von ihnen geschlagen. “Sie sollte aber erst mal unter die Dusche, dringend!” Er wendete sich ab, wie auch die jüngere Version von ihm. Sie schienen sich noch zu unterhalten, ehe ihre Stimmen immer mehr in der Distanz verloren gingen.
Der schwarzhaarige Mann seufzte leise und kniete sich neben mich. Seine Hand war dabei immer noch an derselben Stelle. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er an seinem Gehstock lehnte, dabei strahlte dieser Mann immer noch etwas Beruhigendes aus.
Nach einer kurzen Weile wagte ich ihn anzuschauen. Meine Augen trafen auf seine sehr dunklen Augen. Ein kurzes Zusammenzucken seinerseits meinte ich beobachtet zu haben. Ich glaubte ihm Angst zu machen, also wich ich zur Seite, wodurch der Druck auf meinem Rücken nachgab. Er lächelte schmal und reichte mir seine Hand herüber.
“Kannst du aufstehen?”, erkundigte er sich höflich und stutzte sich nun dabei auf seinen Gehstock. Ich biss mir auf die Unterlippe, begann nachzudenken und nickte zaghaft. Ich zögerte auch, seine für einen Mann zarte Hand zu nehmen. Schließlich tat ich es doch und er half mir auf die wackeligen Beine. Schwankend stand ich da, mit einer Hand die Decke an mich gepresst und mit der anderen Hand hilfesuchend nach Halt an seiner Schulter. Meine Knie sackten zusammen. Ich fühlte mich so elendig schwach und verloren. Ein Wesen ohne Erinnerung, hilflos in einer scheinbar fremden Welt.
“Vorsicht…”, sagte der Fremde und stützte mich. Er war vorsichtig und fast schon schützend. Meine nackten Füße suchten Halt auf dem glitschigen Boden, ehe wir den schrecklichen Schauplatz verließen, bedacht nicht auf die metallartigen Federn zu laufen.
“Hast du einen Namen?”, wollte er wissen und er sah wohl, dass ich nachdachte. “Schon gut. Amnesie ist keine schöne Sache.” Hierbei lächelte er aufmunternd. Es war für mich ein schönes Lächeln.
Nachdem mich der Älteste, auf Händen tragend, zu einer Bar, brachte um den stinkenden Schleim, der an mir klebte, loszuwerden, während die Sonne spöttisch über mir schien, schossen Gedanken durch meinen Kopf.
Die Fremden mussten doch denken, dass ich nicht ganz beisammen wäre. Eine Verrückte. Der Umgang mit mir war in der letzten Stunde sehr prägend. Überfordert war ich, das traf es wohl eher.
Da gab es zwei weitere Frauen, eine war hübscher als die andere. Doch Neid empfand ich nicht. Ich empfand derzeit nicht wirklich etwas.
Eine schwarzhaarige Dame, mit zwei verschiedenen Augenfarben und war dagegen eher skeptisch. Kleidungstechnisch war sie im weniger überzogenem Stil. Eine weiße Bluse und darüber eine Jacke, welche zwar gerade so an der Taille aufhörte, aber mit dem Kontrast zur pragmatisch geschneiderten Hose wieder elegant aussah. Natürlich rundeten einige Details wie ihre Brille das ganze ab. „Noch jemand? Das Büro wird langsam kuschelig.“
Es war also ein Büro, dennoch stank es eher nach einer Bar, zusätzlich zu dem an mir haftendem beißendem Geruch. Ich wagte mich aber nicht zu vergewissern wie es in den Räumlichkeiten aussah.
Doch die zweite Frau in der Runde, hatte lange blonde Haare, gekleidet in schwarzer Korsage und enganliegender ebenso gefärbter Hose aus Kunstleder, schien dem ganzen eher oberflächlich neutral eingestimmt zu sein. Sie sagte nichts zu meinem Auftauchen, eher musterte sie mich eindringlich. „Weniger Pizza für Dante.“, meinte sie nur scherzhaft, was ihn leise murren lies. „Aber lasst die Kleine sich erst mal erfrischen.“
Schon nahm sie mich dem Schwarzhaarigen ab und geleitete mich zur Treppe, die nach oben führte.
„Wo habt ihr sie denn aufgegabelt?“, fragte die Schwarzhaarige, was mich nach hinten schauen ließ, bevor wir nach oben gingen. Ich sah in die blauen Augen des jüngeren Weißhaarigen, die mich sehr misstrauisch fixierten. Schnell schaute ich nach vorne, während mich die schwarzgekleidete Frau stützend hinauf und ins Bad begleitete. Immer noch war ich wackelig auf den Beinen und meine Füße fingen inzwischen an zu brennen. Ich sah sie etwas argwöhnisch an, obwohl sie mir das Gefühl gab sicher zu sein und wollte etwas sagen, doch kein Ton drang aus meinem Mund. Etwas in mir zerbrach gerade.
„Wir endeten fast als Riesenhühnerfutter. Wobei... Hühner können gar nicht fliegen. Und das war so...“, hörte ich den Älteren gerade herum prahlen.
Die schwarzgekleidete Frau, nahm mir die Decke ab, als wir im kleinen Bad waren, das ebenso sehr unordentlich war, allerdings sauberer. Obwohl einiges an Dreckwäsche in de Ecken herumlagen und anderes Zeug, das man wohl zur Kosmetik oder Pflege nutzte.
Die Frau musterte mich wieder, diesmal länger und auch mit einem Blick, den ich nicht zuordnen konnte. Dann verschwand sie schnell aus dem Bad und schloss die Tür. War das Zeug auf meinem Körper so widerlich? Hatte sie etwas gesehen, was so abartig war? War ich missgestaltet? Ich hatte zu meinem Körper gar keinen Bezug derzeit.
Nein, sicherlich wollte sie mir nur Zeit geben.
Keinerlei Erinnerung, nicht einmal wusste ich, wer ich war, was ich war oder woher ich kam. Wie ein Neugeborenes mit dem Gemüt einer erwachsenen Frau, kam ich mir vor. Und doch fehlte etwas. Irgendwas wurde mir entrissen. Ich musste dem nachgehen. Musste wissen, wer ich war.
Ich dachte nach. Die Dusche hatte ich noch nicht angestellt. Ich stand eine ganze Weile lang regungslos und immer noch mit der widerwärtigen Substanz an meinem Körper in der Duschwanne, bis ich mich setzen musste, weil meine Beine doch wieder anfingen zu schmerzen. Plötzlich klopfte es.
„Ist da drin alles in Ordnung?“
Ich schreckte hoch, stand ruckartig, wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und betätigte mit meinem Kopf die Duscharmatur, wodurch kaltes Wasser auf meinen Kopf prasselte und stumm aufschrie, wie mich auch mit einem lauten poltern sitzend in der Duschwanne wiederfand. Das Poltern lies den Weißhaarigen wohl alarmieren. Schnell machte ich die Dusche aus und zitterte wie Espenlaub.
„Dante nicht!“, hörte ich die Blonde, welche wohl versuchte ihn wörtlich aufzuhalten. Im nächsten Augenblick war Dante allerdings schon ins Bad gestürmt und wir sahen uns in die Augen. So schnell wie er auch herein gestürmt war, verließ er das Bad. „Lassen wir der armen Frau ihre Privatsphäre, Trish. “, ertönte es dumpf von draußen, auch murmelte er etwas dazu, was ich aber nicht verstand. Seinen Tonfall konnte ich nicht einordnen.
Das Wasser wurde wärmer und ich ließ erst mal alles auf mich einprasseln, während ich die Knien an meinen dürren Körper zog. Was hatten Trish und Dante gesehen? War es so grotesk?
Ich fasste mir ein Herz und sammelte meine Kraft in den Beinen, um aufzustehen. Als ob ich wusste, was ich zu tun hatte, schnappte ich mir das Shampoo und reinigte mich im Eilverfahren, bevor meine Beine wieder nachgaben.
Als ich fertig war, klopfte ich zaghaft an die Tür. In der Hoffnung, dass es richtig gedeutet würde und noch auch jemand draußen stand.. Tatsächlich trat die Blonde mit einem Lächeln ein, mit Kleidung in der Hand.
„Ich hab etwas für dich zum Anziehen. Dante war so nett und hat ein Shirt geopfert und eine Jogginghose.“, gab sie an, schaute mich dabei fast schon mitfühlend an, sofern ich das richtig einordnen konnte. „Ich bin im Übrigen, Trish.“
Ich nickte ihr kurz zu mit einem tonlosem Danke auf den Lippen.
Mein Blick fiel dann zum Spiegel, als ich mir das weiße kurzärmelige Shirt anzog. Da ich schnell duschte, war kaum Dampf im Raum. Ich sah in das Gesicht einer rotblonden Frau mit grünen Augen. Gerade mal sehr leicht wahrnehmbare Sommersprossen zierten die Nase, als ich mich weiter zum Spiegel vorbeugte. Minimal schiefe Nase, meine Gesichtszüge waren fein, bis auf leicht ausgeprägte Wangenknochen. Dennoch sah man, dass ich kränklich aussah. Die Haut war fahl, meine Rippen waren leicht spürbar und dann traf mein Blick auf eine Vernarbung. Exakt an der Stelle, wo der Kehlkopf saß. Sie war großflächig.
Ein Erinnerungsfetzen, ein gellender Schrei. Mein Schrei, ein Übel erregender Eisengeruch und dann Blut. Sehr viel Blut, rann aus meiner Kehle, ich erstickte, brachte keinen Ton mehr raus und doch starb ich nicht. Ich krümmte mich auf den Boden. Ein Lachen. Ein so hässliches, markerschütterndes Lachen.
Ich versuchte ruhig zu atmen, stattdessen ein stummer Schrei, verzweifelt. Ich drohte eine Panikattacke zu bekommen.
„He,“, hauchte Trish sachte. „...es ist alles gut, du bist in Sicherheit. Was auch immer man dir angetan hat... hier passiert dir nichts. Du hast mein Wort.“
Ich krallte mich an das Waschbecken des kleinen Badezimmer und starrte in den Spiegel. Ich sah diese fremde Frau ohne Namen, ohne erkennbare Vergangenheit. Ich öffnete meinen Mund. Kein Sterbenswort. Ich zwang mich, ruhiger zu atmen, was diesmal Früchte trug. Doch für wie lange war ich beruhigt? Hatte man vielleicht versucht, mich umzubringen? Konnte es sein, dass weder Himmel noch Hölle mich wollten? Ich hätte bei dieser Wunde sterben müssen.
Aber ich lebe.
Ich starrte kurz weiter im Spiegel, ehe ich gen Trish blickte und sie einfach umarmte. Ich brauchte halt.
Immerhin darf ich leben.
„Dämonen sind grausam...“, meinte die Blonde neben mir ruhig. Ich weiß nicht, was dir passiert ist, und womöglich weißt du armes kleines Ding es selbst nicht... aber hier hast du ein paar Leute, die deine Rachegelüste sicher unterstützen.“, sie drückte mich ganz kurz. Dann schaute ich sie an und nickte resigniert, ehe ich mich weiter anzog und mich an der Wand abstützte, nachdem Trish wieder rausgegangen.
Wieder betrachtete ich mich im Spiegel. Diesmal für heute ein allerletztes Mal, ehe auch ich herausging und alle mich anstarrten. Ich versuchte wegzuschauen und suchte den nächsten Platz zum sitzen. Dante wich zur Seite, öffnete resigniert den Mund um zu sprechen.
Ich bin eine tote Frau, ohne Namen und Leben... ich habe nichts mehr zu verlieren. Doch kein Ton drang an die Ohren meiner fremden neuen Freunde.
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