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Manchen Menschen mag es leichtfallen, sich einem Stück Papier anzuvertrauen, aber es ist doch schwieriger, als ich dachte. Sicherlich hat meine Schwester Jane es gut gemeint, als sie mir zum Geburtstag ein Tagebuch schenkte. Doch bis heute hat es nur in einer Ecke meiner Nachttischschublade gelegen und ich hätte niemals gedacht, dass ich es je benutzen würde. Gütiger Himmel, wer konnte denn ahnen, dass ER ins Haus kommt?
Wie beginnt man also am besten? Schreibt man 'Liebes Tagebuch'?
Nun ja, es klingt angemessen, also werde ich auf diese Weise beginnen:
Longbourn, 16. Oktober 1812
Liebes Tagebuch,
mein Name ist Mary Bennet und ich bin die mittlere von fünf Töchtern. Allgemein heißt es in unserer Gegend, dass die Bennet-Mädchen sehr hübsch seien. Doch mich scheint man darin nicht einzuschließen, denn auf den Gesellschaften in unserem Bekanntenkreis werde ich von Männern kaum beachtet. Aber das ist mir höchst gleichgültig. Ich halte jemanden, der nur auf den äußeren Anschein achtet, ohnehin für höchst oberflächlich und finde ihn als Partner nicht erstrebenswert. Was ist schon äußere Schönheit im Vergleich zu Bildung?
Seit ich denken kann, liebe ich nichts so sehr wie Lesen und Musik. Meine Schwester Elizabeth teilt mit mir die Leidenschaft für gute Bücher, obgleich sie meines Erachtens mehr Erbauungsliteratur lesen sollte. Und meine älteste Schwester Jane ist der liebenswürdigste Mensch, den ich kenne. Sie ist die Sanftmut in Person und zu aller Welt freundlich. Ich mag Jane und Elizabeth wirklich sehr gern, weil sie sich zu benehmen wissen und nicht so oberflächlich sind wie meine zwei jüngeren Schwestern, die nichts im Kopf haben außer schöner Kleidung und Schmuck und den Offizieren, die seit einiger Zeit in Meryton stationiert sind. Es ist wirklich sehr peinlich, wie Kitty und Lydia sich benehmen. Ich vermeide das Zusammensein mit ihnen, soweit es mir möglich ist.
Gestern erhielt unser Vater einen Brief, in dem unter Cousin, Reverend William Collins, seinen Besuch für heute bei uns ankündigte. Mutter war darüber alles andere als erfreut, weil Mr. Collins der Erbe von Longbourn ist. Doch der arme Mann kann ja nichts dafür, dass das Testament so verfügt wurde, dass nur die männlichen Nachkommen den Besitz der Familie erben. Jedenfalls schrieb unser Cousin, er wolle uns dafür entschädigen. Wie das allerdings aussehen soll, teilte er nicht näher mit. Meiner Meinung nach spricht jedoch allein die gute Absicht von Mr. Collins für ihn und ich freute mich darauf, ihn endlich kennenzulernen.
Heute kam er an und er benimmt sich genauso, wie ich es von ihm erwartet habe. Wie gut seine Manieren doch sind und wie freundlich von ihm, uns alle mit netten Worten zu bedenken. Er scheint sehr bescheiden zu sein, denn er ging davon aus, dass wir keine Köchin haben. Doch Mama belehrte ihn sofort eines Besseren, worüber sich unser Cousin sehr freute. Allerdings schien Mama über seine Worte erbost, was ich nicht verstehen kann.
Nach dem Abendessen las Mr. Collins uns aus den Forday'schen Predigten vor und ich kann gar nicht genug davon bekommen, ihm zuzuhören. Er hat eine überaus angenehme Stimme. Nur Lydia und Kitty wissen seine Freundlichkeit nicht zu schätzen, sondern störten durch ihr unaufhörliches Geschwätz die harmonische Stimmung immer wieder. Mich wunderte es nicht, dass Mr. Collins irgendwann verärgert war und damit aufhörte, aus den erbaulichen Predigten vorzulesen. Doch ich denke beständig an seine Stimme, die mir so wunderbar in den Ohren klang. Sicherlich werde ich heute Nacht davon träumen und vielleicht kann ich Mr. Collins dazu überreden, morgen mit mir ein wenig spazieren zu gehen. Ich kann es kaum erwarten, mich mit ihm allein zu unterhalten.
~~~*~~~
Longbourn, 21. Oktober 1812
Mein liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, was ich tun soll. Zwar habe ich die Freude, Mr. Collins jeden Tag zu sehen, aber nie ergibt sich die Gelegenheit für mich, mal mit ihm allein zu sein. Ständig sind immer meine Schwestern um uns herum. Es scheint, als ob er selbst die Nähe zu uns allen suche. Nur meine Eltern haben das Glück, hin und wieder mit ihm allein sprechen zu können. Einmal habe ich es gewagt, in die Bibliothek zu gehen, als Papa und Mr. Collins sich dorthin zurückgezogen hatten. Doch unser Cousin unterhielt sich angeregt mit Papa, so dass ich mich sofort diskret entfernte, um ihr Gespräch nicht zu stören. Ach, es ist zu ärgerlich.
Und auf der Gesellschaft meiner Tante, Mrs. Philipps, gelang es mir auch nicht, mal einen Moment unter vier Augen mit ihm zu sprechen. Unsere Tante belegt ihn nämlich gleich mit Beschlag, sobald er nur ihr Haus betritt, weil sie es liebt, wenn er über seine Gönnerin, Lady de Bourgh, zu sprechen anfängt. Es scheint fast so, als ob sich alle Welt zwischen Mr. Collins und mich drängt. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.
Nun, Mr. Bingley gibt demnächst einen Ball. Vielleicht ist es uns wenigstens dort einmal vergönnt, unter vier Augen zu plaudern. Hoffentlich blamiert uns Lydia nicht, so wie sie es ständig im Hause unserer Tante Philipps tut. Wirklich überaus beschämend, wie sie sich den Offizieren förmlich an den Hals wirft. Was sollen nur die Leute von uns denken? Mr. Collins jedenfalls missfällt das sehr, wie an seiner missbilligenden Miene unschwer zu erkennen ist, wenn Lydia mal wieder über die Strenge schlägt. Sobald wir dann zu Hause sind, ermahnt er sie immer mit sanften Worten, sich mehr Zurückhaltung aufzuerlegen, wenn sie auf Gesellschaften geht, weil sich das für eine junge Dame gehöre und sie ihren Eltern gewiss keine Schande machen wolle. Natürlich macht sich Lydia nichts aus seinen Worten, aber Mr. Collins hat es wenigstens versucht. Er tut sein Möglichstes, um auf meine jüngste Schwester einen guten Einfluss auszuüben, und ich bewundere wirklich, dass er nicht so schnell aufgibt. Unsere Familie muss ihm wirklich sehr am Herzen liegen. Darum verstehe ich nicht, weshalb Lizzy eine Abneigung gegen ihn zu hegen scheint. Sieht sie denn nicht, wie sehr er sich um uns alle bemüht und versucht, möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen? Selbst bei Lydia bleibt er freundlich, obwohl sie es nicht verdient hat.
Der Ball auf Netherfield wird mir jedenfalls Gelegenheit bieten, Mr. Collins und all die anderen mit meinem Klavierspiel und meinen Gesangskünsten zu beeindrucken. Ich glaube, er hat das noch gar nicht bemerkt, obwohl ich des Öfteren bei Tante Philipps am Piano Forte sitze und die Lieder zum Tanz spiele. Na ja, unser Cousin wird wohl zu sehr von anderen abgelenkt. Ich hoffe, dass dies auf dem Ball von Netherfield nicht der Fall sein wird.
~~~*~~~
Longbourn, 25. Oktober 1812, 3.00 Uhr nachts
Liebes Tagebuch,
kannst du ermessen, wie unglücklich ich bin?
Dabei begann der Ball auf Netherfield so gut. Ich trug ein Ballkleid, das Jane mir geborgt und ein bisschen mit Seidenstickereien verschönert hatte. Es sah wundervoll aus, aber selbst auf dem großen Ball von Mr. Bingley scheine ich für alle Welt unsichtbar zu sein. Selbst meine Darbietung auf dem Flügel in der großen Halle, wo doch alle Gäste anwesend waren und es gehört haben mussten, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Nur ein junger Mann war so freundlich gewesen, mir die Seiten im Notenheft umzublättern. Danach hat er mich um den nächsten Tanz gebeten und ich war einverstanden, weil er zuvor ja so freundlich zu mir gewesen war. Glücklicherweise ist es mir gelungen, einmal nicht aus dem Takt zu kommen und mein Tanzpartner machte mir am Ende sogar ein Kompliment darüber, welch eine gute Tänzerin ich sei. Danach holte ich mir ein Glas Wein und gesellte mich an den Tisch zu meinen Eltern zurück. Natürlich hoffte ich, dass Mr. Collins sich auch hier aufhielt, nachdem er die ersten beiden Tänze mit meiner Schwester Elizabeth hinter sich gebracht hatte. Doch stattdessen tanzte er mit Charlotte Lucas! Nun ja, er ist eben ein Mann mit guten Manieren, der weiß, was sich gehört. Sehr nett von ihm, sich mit Charlotte abzugeben.
Lydia und Kitty tanzten natürlich mit zwei jungen Offizieren und kicherten in einem fort, was richtig peinlich war. Aber meine Mutter kümmerte das wie üblich nicht. Ich werde nie verstehen, warum Lydia ihr Liebling ist. Für mich ist sie einfach nur eine alberne Göre ohne Benehmen, die man besser zu Hause gelassen hätte. Nicht ohne Grund führen andere Familien erst die ältesten Töchter in die Gesellschaft ein. Ich wünschte, das wäre auch bei uns so, doch Mutter ist der Meinung, dass wir alle unseren Spaß haben sollen, und Vater widerspricht ihr nicht.
Doch auch nach Ende dieses Tanzes erschien Mr. Collins nicht an unserem Tisch. Vielmehr stellte er sich in eine Ecke und sah dabei zu, wie Jane und Lizzy mit ihren jeweiligen Partnern tanzten. Dabei brauchte er sich um die beiden keine Sorgen zu machen.
Unfreiwillig hörte ich in dem Moment, wie meine Mutter sich mit Mrs. Lucas und ihrem Mann unterhielt, die meinen Eltern am Tisch gegenübersaßen, und ihnen erzählte, welch ein feiner, junger Mann Mr. Collins sei. So erfuhr ich, dass er sich zuerst sehr für Jane interessiert habe, ihm Mr. Bingley aber zuvorgekommen sei, und jetzt eine große Zuneigung zu Lizzy hege.
Wie ungerecht diese Welt doch sein kann!
Lizzy mag Mr. Collins nicht, hat er das denn nicht bemerkt? Ist er wirklich so blind vor Liebe?
Spürt er denn nicht, wie sehr ich ihm zugetan bin?
Mit Lizzy wird er doch nur unglücklich werden! Sie ist zwar ein liebenswürdiger Mensch und von heiterem Gemüt, aber kaum dazu geeignet, die Frau eines Pastors zu sein. Ein solches Leben würde sie nur unglücklich machen.
Nein! Das darf ich nicht zulassen!
Ich muss ein ernstes Wort mit Mr. Collins reden!
~~~*~~~
Longbourne, 25. Oktober 1812, 3.45 Uhr nachts
Liebes Tagebuch,
jetzt bin ich wieder zurück und ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, all meinen Mut zusammengenommen zu haben und mich heimlich in Mr. Collins' Zimmer zu schleichen.
Natürlich hat er schon geschlummert, als ich das Gästezimmer betrat. Es tat mir beinahe leid, ihn vorsichtig zu wecken. Aber da es um die Zukunft meiner Schwester Lizzy und Mr. Collins' geht, fühlte ich mich verpflichtet, seinen Schlaf zu stören. Sobald er wach war, entschuldigte ich mich und er war so freundlich, mir zu verzeihen, nachdem ich ihn beruhigt hatte, dass nichts Schlimmes geschehen sei.
"Liebe Cousine Mary", begann er dann sanft und lächelte etwas. "Sicher gibt es einen wichtigen Grund, aus dem Sie sich bemüßigt fühlten, mich zu so früher Stunde zu wecken?"
"In der Tat, Mr. Collins", antwortete ich. "Kein Auge kann ich zumachen bei dem Gedanken, Sie nicht vor einem großen Irrtum zu warnen."
"Welcher große Irrtum, liebe Mary?", fragte er verwundert.
"Mir ist durch meine Mutter zu Ohren gekommen, wie sehr Sie für meine Schwester Elizabeth eingenommen sind."
"Ja, ja, das ist völlig richtig! Ich finde sie bezaubernd."
"Es tut mir leid, Ihnen Schmerz bereiten zu müssen, Mr. Collins, aber ich muss Ihnen sagen, dass dies nicht auf Gegenseitigkeit beruht."
Mir wurde das Herz schwer, als ich sah, wie sich die Miene meines Cousins von einer glücklichen in eine traurige verwandelte. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Ich konnte die beiden nicht in ihr Unglück laufen lassen!
"Sind Sie sich da auch wirklich absolut sicher, Cousine Mary?"
"Es entspricht der Wahrheit, Mr. Collins, so leid es mir tut. Aber Sie sind ein überaus anständiger, aufrichtiger Mann und verdienen eine Frau an Ihrer Seite, die Sie glücklich macht."
"Oh, Cousine Mary...", hauchte er überwältigt und bedachte mich mit einem Blick, als ob er mich zum ersten Mal sähe.
"Es tut mir wirklich sehr leid, Ihnen Schmerz zuzufügen", sagte ich erneut. "Doch es ist besser, wenn Sie die Wahrheit erfahren. Verzeihen Sie mir..."
Da ich spürte, dass ich jeden Moment meine Selbstbeherrschung verlieren und in Tränen ausbrechen würde, verließ ich rasch das Gästezimmer und flüchtete mich hierher zurück. Ich kann nur hoffen, dass Mr. Collins mir glaubt und sich nicht aus blinder Liebe zu Elizabeth in eine unglückliche Ehe stürzt. Oh Gott, ich hoffe, er erkennt, dass ich ihm nur die Wahrheit gesagt habe. Mir ist jedenfalls ein Stein von der Seele gefallen.
~~~*~~~
Longbourn, 25. Oktober 1812, 22.00 Uhr
Liebes Tagebuch,
dies ist wahrlich der glücklichste Tag meines Lebens. Oder zumindest einer der glücklichsten Tage. Ein Sprichwort besagt: Am dunkelsten ist es kurz vor der Dämmerung. Nun weiß ich, dass dieses Sprichwort stimmt. Aber eins nach dem anderen.
Nachdem ich in der Nacht Mr. Collins darauf hinwies, dass meine Schwester Lizzy seine Gefühle nicht teilt, habe ich sehr schlecht geschlafen, obwohl in mir die innere Gewissheit herrschte, das Richtige getan zu haben.
Zum Frühstück erschien Mr. Collins jedoch nicht. Nur meine Eltern und meine Schwestern saßen mit mir am Tisch und plauderten aufgeregt über den gestrigen Ball. Lydia und Kitty gingen mir wie immer mit ihren Schwärmereien über die jungen Offiziere auf die Nerven. Allerdings wunderten sie sich, weshalb dieser Mr. Wickham nicht auf dem Ball gewesen war. Doch wen außer meinen albernen, kleinen Schwestern kümmerte das schon? Höchstens noch Lizzy, die ganz offensichtlich verliebt in den Mann ist. Aber das ist ihre Sache und glücklicherweise spricht sie nicht darüber. Vielleicht sind wir uns doch ähnlicher, als ich dachte, weil auch ich es nicht wage, jemandem meine Gefühle für Mr. Collins anzuvertrauen - nur du weißt davon, liebes Tagebuch.
Als Mama das Dienstmädchen bat, endlich Mr. Collins zu wecken, damit er mit uns frühstückte, erfuhren wir erst, dass unser Cousin bereits ganz früh am Morgen einen Tee zu sich genommen habe und dann spazieren gegangen sei.
"Spazieren gegangen?", wunderte sich unsere Mutter und auch die Blicke meines Vaters sowie meiner zwei älteren Schwestern verrieten großes Erstaunen. "Seit wann geht Mr. Collins denn am frühen Morgen spazieren?"
"Er meinte noch, dass man nicht beim Frühstück auf ihn warten solle", teilte das Dienstmädchen weiter mit. "Er wolle über etwas Wichtiges nachdenken und dazu brauche er absolute Ruhe."
Die Augen Mamas begannen zu strahlen und ein seliges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
"So, so...", meinte sie in heiterem Ton. "Er will also über etwas Wichtiges nachdenken. Nun, was sagst du dazu, Mr. Bennet? Ich halte das für ein gutes Zeichen."
"Es steht nicht in meiner Macht, die Beweggründe von Mr. Collins nachzuvollziehen", erwiderte Vater daraufhin. "Womöglich denkt er über seine nächste Predigt nach, da er ja in einer Woche in seine Gemeinde zurückkehren will."
"Oh, ich glaube, du irrst dich in diesem Punkt, Mr. Bennet", widersprach Mama. "Ich kann mir nämlich schon denken, welche wichtige Sache ihn beschäftigt."
"Wenn er sich Ihnen anvertraut hat, sollten Sie darüber Diskretion bewahren, Mrs. Bennet", antwortete Vater.
"Natürlich, ich hatte nicht vor, etwas zu verraten!", behauptete Mama, obwohl unschwer zu erkennen war, dass sie beinahe vor Mitteilungsdrang platzte. "Wir werden es wohl ohnehin im Lauf des Tages erfahren! Es wird eine wundervolle Überraschung sein und uns alle überaus glücklich machen!"
Nun ja, Mama sollte damit recht behalten! Es war eine große Überraschung, aber ich bin mir nicht sicher, ob alle darüber so erfreut sind, wie ich es bin.
Jedenfalls hielt ich mich am späten Vormittag mit Mama, Jane und Elizabeth im kleinen Salon auf, wo ich mich meinen Klavieretüden widmete und einige kleine Sonaten übte. Gegen elf Uhr trat Mr. Collins dann in den Raum, begrüßte uns alle überaus freundlich und mir schien, dass er mich mit einem besonders strahlenden Lächeln bedachte. Danach fiel sein Blick kurz auf Elizabeth, die ihm jedoch nur kurz zunickte und sich dann wieder ihrer Näharbeit widmete, während ich kaum meine Augen von ihm nehmen konnte. Aber es gehörte sich nicht, einen Mann zu lange anzuschauen, und so richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf mein Klavierspiel, während Mr. Collins sich neben meine Mutter auf das Sofa setzte und sich leise mit ihr zu unterhalten begann. Es dauerte nicht lange, bis ich Mama sagen hörte: "Lizzy, Jane, kommt bitte mit mir nach draußen! Ich habe etwas mit euch zu besprechen."
Im ersten Moment dachte ich mir nichts dabei, bis auf einmal Mr. Collins zu mir an das Piano Forte trat und sich etwas räusperte. Peinlich berührt, sagte ich zu ihm: "Entschuldigen Sie, aber ich nahm an, dass alle den Raum verlassen hätten."
"Nicht doch, liebe Cousine, ich muss Sie um Verzeihung bitten, dass ich Ihr wunderbares Klavierspiel unterbreche", erwiderte er liebenswürdig und mir wurde das Herz ganz warm, als er mich mit freundlichen Augen anlächelte. "Hätten Sie wohl die Güte, sich zu mir aufs Sofa zu setzen? Ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen."
Die Hitze stieg mir ins Gesicht, da mir klar wurde, dass ich mich mit Mr. Collins ganz allein im Zimmer befand. So etwas gehörte sich eigentlich nicht und ich konnte zunächst nicht verstehen, weshalb Mama und meine Schwester nicht wiederkamen. Dennoch folgte ich der Bitte meines Cousins, denn vor einem anständigen Mann wie ihm hatte ich nichts zu befürchten.
Kaum saß ich auf dem Sofa, kniete Mr. Collins sich vor mir nieder und begann: "Meine liebe Cousine Mary, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie mich gestern Nacht in meiner Kammer aufgesucht haben, um mir die Augen dafür zu öffnen, auf welchem Irrweg ich mich befunden habe. Natürlich war es mir nicht gleich klar und ich war ein wenig irritiert, als Sie mich verließen. Den Rest der Nacht kam ich nicht zur Ruhe, weil ich ständig über Ihre Worte nachdenken musste."
"Tut mir leid, das zu hören, Mr. Collins", entschuldigte ich mich. "Es lag nicht in meiner Absicht, Ihnen Ihre Nachtruhe zu rauben, aber es war mir unmöglich zu schweigen, ich hätte es mir nie verziehen."
"Ich bitte Sie, sich darüber keine Sorgen zu machen, meine liebe Mary", meinte er in gütigem Ton. "Es war vollkommen richtig, mir die Wahrheit zu sagen. Doch ich brauchte eine Weile, um zu erkennen, dass Sie wirklich aufrichtig zu mir waren. Ich ließ mir alle Ereignisse, die ich hier erlebt hatte, durch den Kopf gehen und mir wurde allmählich klar, dass Ihre geschätzte Schwester Elizabeth meine vielen kleinen Aufmerksamkeiten und Komplimente, die ich ihr stets machte, tatsächlich nicht zu würdigen wusste. Vermutlich hinderte Elizabeths weibliches Taktgefühl sie jedoch daran, mir deutlicher zu zeigen, dass sie an einer näheren Bekanntschaft mit mir nicht interessiert ist, während die junge Dame, die mir wirklich zugetan ist, sich scheute, ihre Zuneigung zu offenbaren..."
Er schwieg einen Augenblick, während ich meine Augen zu Boden senkte und den Eindruck hatte, dass mir noch heißer wurde.
"Es gibt keinen Grund für ein sittsames, junges Mädchen, sich seiner aufrichtigen Gefühle zu schämen", fuhr Mr. Collins dann fort. "Meine liebe Mary, es ist an mir, mich dafür zu schämen, mich von äußerlicher Schönheit dermaßen blenden zu lassen, dass ich nicht erkannte, welch ein liebliches Juwel sich die ganze Zeit über in meiner Nähe aufhielt. Und natürlich ist es meine Schuld, dass meine Blindheit diesen wunderbaren Engel dazu trieb, mich nachts in meiner Kammer aufzusuchen, um mich davor zu warnen, eine falsche Partnerin als Gefährtin für meinen Lebensweg zu wählen. Glücklicherweise gab mir der Herr die Einsicht, dass dies nur aus Liebe geschehen war, die jener wundervolle Engel jedoch nicht wagte, mir zu gestehen. Als ich dies erkannte, musste ich erst einmal in mich gehen und habe daher einige Stunden lang die Muße in freier Natur gesucht, um meine aufgewühlte Seele zu beruhigen."
"Oh, mein lieber Mr. Collins, wenn ich geahnt hätte, wie sehr es sie aufregt", begann ich, aber schon unterbrach er mich mit heftigen Worten, wobei er meine Hände mit seinen umfasste. Ich konnte nicht umhin, ihn daraufhin anzusehen und blickte in zwei leuchtende Augen und ein strahlendes Antlitz: "Meine liebe Mary, nachdem ich erkannte, dass Sie aus Rücksicht auf meine Gefühle für Ihre Schwester es nicht wagten, mir einzugestehen, wie sehr Sie selbst mir zugetan sind, entflammte mein Herz sofort in Liebe zu Ihnen!"
"Oh... aber Mr. Collins...", hauchte ich, überwältigt von diesem Geständnis, konnte ich doch kaum glauben, was er mir eben sagte.
"Meine liebe... liebe... liebste Mary...", erklärte er aufgeregt und ich sah, wie sich seine Wangen leicht rötlich färbten. "Nachdem ich endlich erkannt habe, dass ich in Wahrheit Sie allein liebe, bitte ich Sie, mich zum glücklichsten Mann auf Gottes Erdboden zu machen und meine Frau zu werden."
Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, mein Herzschlag setze aus und die Zeit stünde still. Meine Augen versanken in seinen und nach einer Weile fragte er leise: "Wie lautet Ihre Antwort, liebste Mary?"
"Ja... ja, ich möchte Ihre Frau werden", flüsterte ich und mein Herz begann wieder zu schlagen. Diesmal laut und vor Freude. Mr. Collins strahlte mich an, dann zog er meine Hände an seinen Mund und bedachte sie mit Küssen. Einen Augenblick später klopfte es zaghaft an die Tür und dann öffnete diese sich.
"Gibt es Neuigkeiten?", hörte ich die Stimme Mamas.
"Oh ja, Mrs. Bennet", antwortete mein Cousin und erhob sich langsam wieder vom Boden. "Bitte gestatten Sie mir, Sie mit Ihrer liebenswürdigen Tochter allein zu lassen, weil ich Mr. Bennet um ein Gespräch unter vier Augen ersuchen muss."
Damit verneigte er sich leicht vor Mama und verließ uns dann. Natürlich war meiner Mutter sofort klar, dass er nur deshalb mit Vater sprechen wollte, weil ich seinen Antrag angenommen habe. Und nun komme ich zum ersten Mal in den Genuss, Mamas volle Aufmerksamkeit zu erhalten, denn sie ist ganz aus dem Häuschen, weil ich Mr. Collins heiraten werde.
Vater ist selbstverständlich einverstanden und gab uns seinen Segen. Jane und Elizabeth gratulierten mir und meinten es sicherlich aufrichtig. Doch Kitty und Lydia können es immer noch nicht fassen, dass ich vor ihnen heirate. Kitty gratulierte mir zwar noch und war freundlich, fragte mich nur, ob ich denn wirklich glücklich sei, die Frau von Mr. Collins zu werden, was ich aufrichtig bejahte, schließlich liebe ich ihn wirklich. Aber Lydia hat sich seit dem Mittagessen in ihr Zimmer zurückgezogen und ist nicht einmal zum Abendessen heruntergekommen. Angeblich leidet sie unter Kopfschmerzen.
Morgen früh wird Vater das Aufgebot für Mr. Collins und mich bestellen. Natürlich möchte ich noch dieses Jahr heiraten und Mama hat mir zugesichert, alles in ihrer Macht Stehende dafür zu tun, dass mein Wunsch erfüllt wird. Auch Mr. Collins ist damit einverstanden, wie er mir nochmals versicherte, bevor wir uns alle zum Schlafen zurückzogen, und als wir für einen kurzen Moment allein waren, küsste er mich auf den Mund... oh, ich war selig. Es war unglaublich schön. Ich kann es wirklich kaum erwarten, seine Ehefrau zu sein.
Mary Collins, geborene Bennet - meine Güte, wie wundervoll das klingt. Ich werde bald Mrs. Collins sein, Mrs. Mary Collins, hochverehrte Gattin von Reverend Collins, und ich freue mich schon sehr auf meine neuen Aufgaben als Ehefrau eines Pastors.
Oh ja, ich bin wahrhaftig sehr glücklich!
~~~*~~~
Longbourn, 22. Dezember 1812 - Merytoner Nachrichten:
Die Eheleute Fanny und James Bennet freuen sich,
die Vermählung ihrer Tochter Mary Christine Anne
mit Mr. William John Edward Collins
bekannt zu geben.
Die Trauung findet heute um 14.00 Uhr in der St.-Anne-Church in Meryton statt.
~ ENDE ~
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