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Kapitel: | 10 | |
Sätze: | 1.012 | |
Wörter: | 13.440 | |
Zeichen: | 76.349 |
"Hör auf zu flirten, alter Mann! Lass das Schweinchen los und komm zurück aufs Eis!" hallte es laut durch die fast menschenleere Eishalle. Nur ein sichtlich aufgebrachter Junge und zwei weitere junge Männer ,von denen einer sein knallrotes Gesicht zu verstecken versuchte, waren hier und wollten anscheinend für den nächsten Wettbewerb trainieren. Jedenfalls einer von ihnen. Der dritte im Bunde hatte noch immer den mit dem rotem Gesicht im Arm und schaute angesäuert zu dem Jungen auf dem Eis. "Wir trainieren schon seit Stunden, Yurio. Jetzt lass uns doch ein bisschen unseren Spaß." nörgelte er. Yuri wollte grade losbrüllen, das sein Name nicht Yurio sei, als er vom japanischen Yuuri unterbrochen wurde.
"Yuri hat Recht, Victor. Wir sind hier um an unseren Küren zu arbeiten. Ganz besonders du. Immerhin hast du ein Jahr ausgesetzt und wenn du dich nicht blamieren willst, tust du besser was er sagt." Noch bevor Victor protestieren konnte hatte sich Yuuri von ihm gelöst und glitt über das Eis zu Yuri. "Aber Yuuuuuri!" rief Victor noch hinterher, als der tödliche Blick des russischen Yuris ihn verstummen ließ. Es nützte ja doch nichts. Mit einem tiefen Seufzen setzte er zusammen mit den anderen beiden sein Training fort.
Als die Sonne langsam unterging und ihnen vor Erschöpfung die Beine zitterten, entschlossen sie sich zum Onsen zurückzukehren. Die drei traten grade durch die Tür der Eishalle nach draußen als Yuri laut "BEKA!" schrie und mit einem Satz dem schwarzhaarigen Jungen in die Arme sprang. Dieser ließ vor Schreck seine Tasche fallen und hielt ihn schon fast automatisch fest an sich gedrückt. Niemand bemerkte, das Otabek in Begleitung war. Yuuri und Victor waren schlicht zu Überrascht über den plötzlichen Stimmungswechsel des Blonden und besagter Blonde hatte nur Augen für seinen geliebten Kasachen. "Warum bist du in Japan? Was ist mit deinem Training? Alles ok bei dir? Bist du verletzt? Warum hast du mir nicht geschrieben, das du herkommst?" Die Fragen sprudelten nur so aus Yuri heraus und nicht eine konnte beantwortet werden, da plötzlich ein Räuspern zu hören war. Verwirrt wendete er seinen Blick von Otabek ab und sah plötzlich in ein Paar blaue Augen. Diese waren ihm mehr als nur vertraut. Kannte er sie doch schon sein ganzes Leben. "Marina?"
Die Zeit stand still. Taubheit nahm seinen Körper in Besitz. Er konnte nichts mehr, bis auf das Rauschen in seinen Ohren, hören. Mit starren Blick sah er in die Augen des Mädchens vor ihm und alles woran er denken konnte war: "Sie sollte nicht hier sein." Dieser Gedanke allein beherrschte ihn. Er bemerkte nicht, wie ihn Otabek langsam auf den Boden stellte und festhielt damit er nicht umfiel. So sehr, wie er zitterte war das durchaus möglich. Auch, das sich seine sonst so harten Augen ,die jeden außer wenige Ausnahmen mit Verachtung straften, mit Tränen füllten bemerkte er nicht. Seine Welt stand still.
Lächelnd stand sie vor ihm und erwiderte ruhig seinen Blick. Niemand sagte ein Wort. Keine Frage wurde gestellt. Kein Laut der Ungläubigkeit erklang. Nichts zerstörte die Stille.
Er konnte einfach nicht fassen, das sie wirklich vor ihm stand. War doch seine letzte Erinnerung, wie sie blutüberströmt in seinen Armen lag und kein Herzschlag mehr zu spüren war. Und doch stand sie jetzt hier und lächelte ihn an, als wenn nie was gewesen wäre.
Als wenn sie nie diesen verdammten Baum hinauf geklettert und dann durch einen abbrechenden Ast wieder hinunter gefallen wäre. Noch immer sieht er in seinen Albträumen, wie sie von Ast zu Ast fällt und sich an der rauen Rinde die Haut aufreißt. Und noch immer hört er das knacken ihrer brechenden Knochen. Immer wieder sieht er, wie sich der Schnee Rot färbt und das warme Blut über seine Hände rinnt, während er sie weinend in seinen Armen hält.
Sie waren damals erst 8 Jahre alt und ganz allein im Wald gewesen. Lange Zeit hatte niemand seine Schreie gehört. Bis ihr Großvater sie endlich gefunden hatte, war der Körper seiner Schwester bereits kalt gewesen. Und doch hatte er sie nicht loslassen können.
Sie war seine andere Hälfte gewesen. Seine über alles geliebte Zwillingsschwester. Sie beide glichen sich wie ein Haar dem anderen. Bis auf die Augen. Während seine Augen Grüne Smaragde ähnelten, waren ihre so Blau wie der Himmel. Das war das einzige, was sie beide voneinander Unterschied.
Noch immer in seinen grausamen Erinnerungen gefangen, dachte er an die Zeit im Krankenhaus zurück. Wie sie dahin gekommen waren wusste er nicht. Er wusste nur, wie er auf einem dieser ungemütlichen Stühle im Wartezimmer gesessen hatte und seinen Blick nicht von seinen Blutverschmierten Händen abwenden konnte. Ganz allein hatte er da gesessen und stumm geweint. Kein schluchzen verließ seine Lippen. Kein Schrei entkam seiner Kehle. Es hätte ja doch nichts geändert. Seine Schwester war fort. Und sein Großvater sprach mit Ärzten, die irgendwas sagten und unterschrieb Dokumente die er nicht verstand. Er hörte nicht zu und machte sich erst recht nicht die Mühe zu lesen was sein Großvater da unterschrieb. Es interessierte ihn nicht. Nichts interessierte ihn mehr. Wie eine leere Hülle ließ er alles mit sich machen. Ließ sich das Blut seiner Schwester vom Körper waschen und die Kleidung wechseln. Er war noch zu geschockt um es selbst zu tun.
Dabei kannte er den Verlust eines geliebten Menschen. Hatte er doch schon seine Eltern durch einen Autounfall verloren. Nur damals war er nicht allein gewesen. Heute war er es. Er hatte jetzt nur noch seinen Großvater.
Schon damals dachte er daran, wie lange dieser wohl noch leben würde und wie lange es noch dauern würde, bis er endgültig allein sein würde. Wann würde dieser Schmerz enden?
Lange Zeit war Yuri nicht er selbst gewesen. Mit leeren Blick ist er durch die Welt gegangen und hatte niemanden mehr Beachtung geschenkt. Seine sonst so ausdrucksstarken Augen hatten ihren Glanz verloren. Als wenn er zusammen mit seiner Schwester Marina verschwunden wäre. Eine leere Hülle war alles was von ihm geblieben war.
Monatelang sprach er kein Wort und verließ nicht sein Zimmer. Das Zimmer, das er sich bis vor kurzem noch mit Marina geteilt hatte. Jeden Tag saß er von Morgens bis Abends still auf dem leeren Bett seiner Schwester und hielt ihre Stoffkatze im Arm. Nur zum schlafen ging er in sein eigenes Bett.
Er aß so gut wie nichts und wurde dadurch immer dünner. Niemand wusste, ob er es tat um seiner Schwester folgen zu können oder ob er sich irgendwann etwas antun würde nur um bei ihr zu sein. Aus lauter Verzweiflung und Sorge schickte ihn sein Großvater zu Yakov. Auch wenn es ihm fast das Herz gebrochen hatte seinen Enkel gehen zu lassen. Ihn endgültig zu verlieren hätte sein altes Herz aber erst recht nicht ertragen. Wäre er doch dann ganz allein gewesen.
Yakov jedoch fand, das Mitleid und Zeit die falschen Wege waren um Yuri wieder aufzuwecken. Also ließ er ihn arbeiten. Er zwang ihn regelrecht auf´s Eis und trainierte ihn so hart, das er schlicht keine Möglichkeit mehr hatte, um seine Schwester zu trauern. Jeden Tag ließ er ihn bis zum umfallen Runde um Runde laufen und lehrte ihm jede einzelne Figur und jede mögliche Schrittfolge bis Yuri sie alle perfekt beherrschte.
Damals war Yakov noch mit Lilia verheiratet. Die ehemalige Primaballerina war der gleichen Ansicht wie er und trainierte Yuri deshalb im Ballett. Dabei war sie nicht weniger streng. Aufhören war erst dann erlaubt, wenn die Füße bluteten und er nicht mehr stehen konnte.
Was am Anfang wie eine Strafe schien wurde schon bald Yuris ganzer Lebensinhalt. Der Schmerz geriet in Vergessenheit und das Leuchten kehrte in seine Augen zurück. Die harte Arbeit hatte sich bezahlt gemacht. Wozu man ihn vorher zwingen musste, machte er nun freiwillig und mit einem Ehrgeiz den man nie von ihm erwartet hätte.
Das einzige, was sich nicht geändert hatte, war Yuris abweisende Art. Er ließ noch immer niemanden an sich heran und reagierte Aggressiv auf jegliche Art von Nähe und Zuneigung.
Natürlich eckte er damit an, doch das interessierte ihn nicht. Für ihn gab es nur noch den Eiskunstlauf. Das war sein Leben. Wer damit nicht klar kam konnte ihm gestohlen bleiben.
Zum Glück gab es ein paar Menschen, die sich nicht so leicht abschrecken ließen und hinter die Fassade des abweisenden Jungen blicken wollten. Victor war der erste, der merkte das hinter den Beleidigungen und Tritten kein Hass steckte. Er konnte sehen, das Yuri sich damit nur schützen und seinen tief sitzenden Schmerz verstecken wollte. Der Schmerz war zwar nicht mehr in seinen Kopf präsent, doch sein Herz wusste, das ihm Jemand wichtiges fehlte. Und das dieser Jemand von niemanden ersetzt werden konnte. Auch Mila erkannte, das Yuris Reaktionen automatisch und irgendwie unterbewusst waren und ließ deshalb jegliche Beleidigung einfach an sich abprallen. Insgeheim war Yuri ihnen dankbar dafür aber das würde er nie in Worte fassen. Er konnte es einfach nicht.
Und dann war da noch Otabek Altin. Er war derjenige gewesen, der sich in Yuris Herz geschlichen und heimlich das klaffende Loch ausgefüllt hatte. Mit seiner ruhigen Art hatte er den Sturm, der in Yuri getobt hatte, beruhigt. Nach Jahren der Anspannung und dem streben nach Perfektion konnte sich der blonde Teenie endlich entspannen. Bei ihm fühlte er sich angekommen und irgendwie, als wenn er sein Zuhause gefunden hätte. Otabek war der einzige, der ihm dieses Gefühl geben konnte. Er allein war sein Zuhause und sicherer Hafen. Wenn die Welt sich um ihn herum zu schnell drehte und drohte über ihn zusammen zu brechen, musste der ruhige Kasache nur seine Hand nehmen und alles war wieder gut. Er war der erste, der es geschafft hatte das Yuri sich eingestand, das es okay war jemanden seine Zuneigung zu zeigen. Jemand anderem als seinem Großvater.
Seine Welt hatte sich verändert. Sie war größer und wärmer geworden als er hätte hoffen können. War sie ohne seine Schwester doch immer kalt und grau gewesen. Doch heute war es anders.
Seine kleine Familie bestand nicht mehr nur aus seinem Großvater und ihm. Sie war um so viele Personen gewachsen. Yakov, der wie ein Vater für ihn war. Lilia, die wie eine Mutter für ihn war. Victor, der gerne die Rolle des großen Bruders übernahm. Mila, die wie eine Schwester für ihn sein wollte. Sogar Yuuri Katsuki hatte es geschafft sich einen Platz auf dieser Liste zu sichern. Wenn auch nur als Haustier.
Doch den wichtigsten Platz hatte eindeutig Otabek. Er war sein Partner und damit der wichtigste Mensch in seinem Leben. Endlich konnte er wieder mit einem Lächeln durchs Leben gehen. Viel zu lange hatte er nur getrauert. Viel zu lange hatte er es sich selbst verboten glücklich zu sein. All die Zeit hatte er sich für jedes noch so kleine lächeln schuldig gefühlt. Konnte es seine Schwester doch nie mehr tun.
Jedenfalls hatte er das gedacht. Und doch war sie jetzt hier.
Langsam kam Yuri wieder im hier und jetzt an. Seine schmerzhaften Erinnerungen wichen der Erkenntnis, das dieser Moment Wirklichkeit war. Seine Schwester lebte und stand direkt vor ihm. Ohne länger darüber nachzudenken wie das möglich war, packte er sie am Handgelenk und zog sie in seine Arme. Marina erwiderte die Umarmung sofort und beide fingen an zu weinen. Es waren Tränen der Freude endlich wieder zusammen sein zu können. All die Jahre der Einsamkeit und Trauer schienen vergessen. Sie beide hatten sich damals durch den Unfall verloren und doch haben sie einander nie vergessen können. Auch wenn sie beide ihr Lachen wiedergefunden hatte und der Trennungsschmerz über die Zeit immer mehr in den Hintergrund gerutscht war, so hatte er sie beide nie gänzlich verlassen. Unfähig auch nur ein Wort zu sagen, ließen sie ihre Tränen für sich sprechen.
Eng umschlungen standen sie vor der Eishalle und hatten alles andere ausgeblendet. In diesem Moment gab es nur sie beide auf der Welt. Die Sonne versank immer weiter im Meer und es wurde Nacht. Ein leichter Wind kam auf und wehte ein paar Blätter davon, die daraufhin leise raschelten. Nichts davon wurde von den beiden bemerkt. Als ihre Tränen langsam versiegten, lösten sie sich vorsichtig voneinander. Als wenn nur die kleinste unbedachte Berührung alles zerstören könnte und sich das alles nur als Traum herausstellen würde. Denn genau so fühlte es sich für Yuri an. Wie ein Traum, den er vergessen hatte obwohl er ihn jede Nacht träumte. Seine geliebte Schwester, die er all die Jahre tot geglaubt hatte, vor sich zu sehen war schöner als jede Goldmedaille sein könnte.
Er hielt sie an den Schultern und trat einen Schritt zurück um sie genauer zu betrachten.
Sie war etwas kleiner als er und ihre Haare reichten ihr etwa bis zur Taille aber sonst sah sie aus wie er. Vielleicht etwas weiblicher aber bis auf die Blauen Augen war es, als wenn er in einen Spiegel sah. Was aber auch logisch war. Immerhin waren sie immer noch Zwillinge und früher konnte man sie sogar nur an den Augen unterscheiden. "Ich habe dich so vermisst, Marischa." sagte er mit zittriger Stimme. "Ich dich auch, Yurochka" erwiderte sie mit einem strahlenden lächeln. Nur sie und ihr Großvater durfte ihn so nennen und diesen Namen endlich wieder aus ihrem Mund zu hören machte ihn wahrscheinlich zum glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt.
Ihm war egal wie es möglich war, das sie jetzt vor ihm stand. Vielleicht war er beim Training gestürzt und hatte sich den Kopf angehauen. Er wollte sein Glück nicht hinterfragen, doch das sah ein gewisser neugieriger Japaner scheinbar anders. "Marina? Wer ist sie?" hörte er Yuuri leise zu Victor flüstern. Leider nicht leise genug. Victor war jedoch gar nicht ansprechbar, wie der Japaner mit einen Blick in das Gesicht seines Verlobten bemerkte. Geschockt und zu Stein erstarrt sah er zu den Zwillingen. Niemals hätte er daran geglaubt, dieses Mädchen jemals wiederzusehen.
Auch Marina hatte den Japaner nicht überhört und wendete zum ersten mal den Blick von ihren Bruder ab. Als sie jedoch sah wer da noch vor ihr stand, konnte sie nicht anders als zu lachen. "Was soll dieser Blick, Vitya? Du siehst aus, als wenn du einen Geist gesehen hättest." Ihr lachen brach jedoch ab, als sie sah das Victor zu weinen anfing. Bevor jemand fragen konnte was denn mit ihm los sei, hatte er seine Trainingstasche fallen lassen und Marina in eine feste Umarmung gezogen. Einen Moment waren alle geschockt. Doch nur für kurze Zeit, denn fast sofort fing sich Yuri wieder und versuchte die beiden zu trennen. "Lass gefälligst meine Schwester los, alter Mann!" forderte er aufgebracht. Marina beschwichtigte ihn jedoch sofort. "Ist schon ok, Yuri. Wir kennen uns von früher." Das kam für jeden unerwartet und alle sahen sie fragend an. "Von früher?"
Victor hatte sich noch immer an Marina geklammert und schien ganz in seinen eigenen Gedanken versunken. Er war so froh sie wieder sehen zu können. Den Rest der Welt blendete er vollkommen aus. Erst ein wütendes Schnauben und stampfende Schritte ließen ihn aufhorchen, doch es war ein schmerzhaftes ziehen an seinem Ohr, was ihn sofort in die Realität zurück holte. "Victor Nikiforov. Du erklärst mir jetzt sofort wer dieses Mädchen ist und woher ihr beide euch kennt." Erstaunt blickte angesprochener in das Gesicht seines Verlobten. Der Schmerz an seinem Ohr war vergessen als er seinen sonst so sanftmütigen Yuuri wohl zum aller ersten mal wirklich sauer gesehen hatte. Er wurde jedoch sofort daran erinnert da Yuuri wieder schmerzhaft daran zu ziehen begann, da der Russe nicht antwortete. "Auuuuaaaaa Yuuuuriii. Du reißt mir noch mein Ohr ab. Hör bitte auf, ich reeeedeee." jammerte er kläglich und schlang seine Arme um den Hals seines geliebten Japaners. Dieser ließ ihn sofort los und schob ihn abweisend von sich. "Dann rede." forderte er ihn mit kalter Stimme auf. Alle, außer Otabek aka Mr. Pokerface, sahen ihn geschockt an. Niemand hätte so einen Ton von ihn erwartet. Und schon gar nicht Victor gegenüber. Dieser sah aus, als wenn er gleich wieder in Tränen ausbrechen würde.
Doch bevor das geschehen konnte meldete sich Marina zu Wort. "Keine Sorge, zwischen uns lief nichts. Vitya hat mich nie angefasst und ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, das er sich überhaupt an mich erinnert." sie hob beim reden beschwichtigend die Hände und sah Yuuri lächelnd an. Dieser hatte sich zum Glück schnell wieder beruhigt und nahm nun die Hände seines Partners in die seine. "Entschuldige, Victor. Ich wollte dir wirklich nicht weh tun und ich bin dir nicht böse. Es war mehr Eifersucht als Zorn der mich dazu geführt hat so zu handeln. Verzeih mir." Er verbeugte sich dabei tief und man konnte ihm seine Reue deutlich ansehen. Victor fiel ihm schluchzend um den Hals und klammerte sich an ihn. "Ich liiiiebe dich, Yuuri. Bitte hass mich nicht. Ich werde nie wieder jemand anderes als dich berühren." Bei diesen Worten musste Yuuri lachen und erwiderte leicht die Umarmung. Auch wenn es ihm etwas peinlich war so etwas in der Öffentlichkeit und vor anderen zu machen. Eigentlich rechnete er mit Gemecker seitens eines gewissen Teenies, doch dieser hatte sich noch nicht ganz wieder gefangen. Viel mehr grübelte er wieder darüber wie es möglich war, das seine Schwester lebte und wie ihre Verbindung zu Victor war.
Es entstand wieder eine Stille die diesmal von Otabek unterbrochen wurde. "Ich denke du hast einiges zu erklären, Marina. Warum gehen wir nicht in ein Café und besprechen das alles bei einer heißen Tasse Kakao. Yura sieht aus als wenn er friert." Das war natürlich gelogen. Bevor Yuri zu frieren begann musste es schon kalt genug sein das die Hölle zufror. Doch er war seinem Freund für diese Lüge dankbar. Auf diese Weise musste er nicht selbst den ersten Schritt machen. So sehr ihm auch die Fragen unter den Nägeln brannten, so sehr fürchtete er sich auch vor den Antworten.
Otabeks Vorschlag fand rege Zustimmung und sie setzten sich in ein kleines Café in der Nähe der Eishalle. Es war recht leer und sie konnten in Ruhe miteinander reden. Marina wusste, das sie das kommende nicht länger vor sich herschieben konnte. Das wollte sie auch gar nicht. Und trotzdem war sie nervös und aufgeregt. Sie atmete einmal tief ein und aus bevor sie zu sprechen anfing.
"Vielleicht sollte ich mich erst mal richtig vorstellen. Mein Name ist Marina Plisetsky und ich bin Yuris Zwillingsschwester." Sie holte nochmal tief Luft und klammerte sich an ihre Tasse Kakao. "Vor 8 Jahren hatte ich einen schweren Unfall der mich beinah mein Leben gekostet hätte. Yuri und ich waren im Wald spielen als ich auf die unsagbar dumme Idee kam auf einen großen Baum zu klettern. Ich wollte unbedingt auf die Spitze klettern doch der Ast an dem ich mich hochziehen wollte brach ab und ich stürzte in die Tiefe. Ab da klafft eine Lücke in meinen Gedächtnis und meine erste Erinnerung danach ist, wie ich im Krankenhaus aufwache und ganz alleine bin." Sie hörte ihren Bruder leise neben sich schniefen. Ihr war mit jeden Wort ebenfalls zum weinen zu mute. Doch sie musste weiter reden. "Ich erfuhr von meinem Arzt, das ich 8 Monate im Koma gelegen hätte und unzählige Male operiert werden musste, da bei dem Sturz meine Knochen gesplittert sind und meine Organe schwer verletzt hatten. Meine Überlebenschancen lagen unter 10%. Selbst nach meinem erwachen war die Gefahr nicht gebannt. Großvater wollte Yuri sagen, das ich noch lebte, doch ich hielt ihn damals davon ab."
Sie wurde von einen lauten "Was?!" seitens Yuri unterbrochen doch Otabek nahm seine Hand und beruhigte ihn bevor er sich in Rage reden konnte. Er nickte Marina zu um sie zum weiterreden zu ermutigen. Sie lächelte ihn kurz an doch schnell wurden ihre Gesichtszüge wieder ernst. "Großvater hatte damals angedeutet, das Yuri mich bereits für Tod hielt und da es immer noch fragwürdig war ob ich es tatsächlich überleben sollte, wollte ich ihm keine falschen Hoffnungen machen. Deshalb bat ich Großvater einfach zu schweigen und Yuri in seinen glauben zu lassen. Ich wollte ihn aber auch nicht dazu zwingen mich offiziell für Tod zu erklären. Er verstand mich und versprach mir, immer einen Platz für mich frei zu halten. Da ich in ein Krankenhaus, das weiter weg lag verlegt werden musste konnte er nicht mehr an meiner Seite sein und so verbrachte ich die letzten 7 Jahre ganz allein. Auch wenn wir uns regelmäßig Briefe schrieben war es sehr einsam." Ihre Sicht verschwamm und sie merkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Yuri ertrug diesen Anblick nicht mehr und zog sie in eine feste Umarmung. "Warum bist du dann nicht nach Hause gekommen? Ich habe jeden Tag nur auf dich gewartet." schluchzte er mit Tränen erstickter Stimme. Er hatte keine Kontrolle mehr über sich und klammerte sich an seiner Schwester wie ein ertrinkender an einen Rettungsring. Sie weinte ebenfalls doch alles was sie tun konnte war sich zu entschuldigen. "Verzeih mir, Yuri. Aber ich konnte nicht. Ich hatte so eine Angst, das du mich vergessen hättest." brachte sie gerade so hervor.
Schockiert sah ihr Bruder sie an. "Wie konntest du das nur denken? Es gibt nicht einen Tag an dem ich nicht an dich gedacht habe. Und nicht einen an dem ich nicht um dich getrauert habe. Nur wegen dir stehe ich heute auf dem Eis und bringe Medaillen nach Hause. Du allein bringst mich jeden Tag dazu mein bestes zu geben und nie aufzuhören. Wie könnte ich dich da vergessen?" fragte er sie fassungslos. Sie sah ihn einfach nur an und konnte nicht glauben was sie da hörte. Für sie hatte es so ausgesehen, als wenn er sie vergessen und einfach sein Leben weiter gelebt hätte ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. Wie konnte sie ihm das nur antun?
Die beiden Geschwister waren so in ihrem Gefühlschaos gefangen, das sie gar nicht merkten das diese Geschichte noch andere zu Tränen gerührt hatte. Victor hielt seinen Yuuri schniefend im Arm und versuchte erfolglos dessen Tränen mit einem Taschentuch zu stoppen. Nur Otabek ließ nicht durchblicken wie sehr es ihn traf seinen Yuri so weinen zu sehen. Er widerstand den Drang ihn in seine Arme ziehen und konzentrierte sich stattdessen auf seinen Kaffee. Er wollte die Geschwister nicht trennen. Dieser Moment sollte nur den beiden gehören.
Als die beiden sich wieder gefangen hatte war es nun an den Japaner Fragen zu stellen. "Und wie hast du nun Victor kennen gelernt? Etwa im Krankenhaus?" man hört deutlich die Sorge in seiner Stimme. Der Gedanke, das sein geliebter Victor sich in der Vergangenheit schwer genug verletzt hatte um ins Krankenhaus zu kommen, machte ihn wahnsinnig. Diesmal ergriff Victor das Wort. "Wir haben uns in der Reha zum ersten mal getroffen. Das müsste jetzt ungefähr 4 Jahre her sein. Ich hatte mir damals beim Training den Knöchel gebrochen und dabei waren die Bänder meines Sprunggelenks fast gerissen. Nach ein paar Operationen musste ich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen um wieder in Form zu kommen und kam in die gleiche Reha wie Marina. Sie saß damals noch im Rollstuhl wenn ich mich recht erinnere.
Ich war wegen meiner Verletzung sehr depressiv und glaubte nicht daran je wieder aufs Eis zu können. Auch wenn die Ärzte mir immer wieder das Gegenteil sagten, wollte ich es nicht glauben. Für mich war das Eislaufen und damit mein Leben vorbei. Kurz bevor ich die Reha aufgeben wollte kam sie auf mich zugerollt und hatte mich in ein Gespräch verwickelt. Im laufe dieses Gesprächs hatte ich einen Teil ihres Schicksals erfahren. Ich weiß noch, wie schockiert ich war, das dieses kleine Mädchen schon so viel schreckliches durchmachen musste. Nie im Leben hätte ich so strahlen können wie sie es tat. Stolz zeigte sie mir damals ihre Fortschritte. Wenn man es denn so nennen wollte. Sie hatte damals lediglich mit den Zehen gewackelt und getan, als wäre es das tollste auf der Welt das zu können. In dem Moment kam ich mir so mies vor, wegen einer im Vergleich kleinen Verletzung so den Mut zu verlieren. Sie hat mich damals dazu motiviert weiter zu machen und niemals aufzugeben. Leider hatte ich damals nicht mehr die Gelegenheit dazu bekommen mich bei ihr zu bedanken da sie die Reha gewechselt hatte und ich noch nicht mal ihren Namen kannte."
Glücklich lächelte Victor Marina an nahm ihre Hand in seine. "Danke, Marina. Ohne dich hätte ich die Reha aufgegeben und meine Schlittschuhe an den Nagel gehängt. Nur dank deiner Worte habe ich heute den wundervollsten Mann an meiner Seite und ein paar Goldmedaillen mehr an meiner Wand hängen. Mit deinen strahlenden lächeln hast du mir wahrlich das Leben gerettet." Er gab einen leichten Kuss auf ihre Hand was sie sofort erröten ließ. Sie entzog ihm ihre Hand und blickte beschämt zur Seite. "Gern geschehen." murmelte sie leise. Auch Yuuri wurde bei diesem Worten rot und strich leicht über seinen Ring. Er konnte nicht glauben, das er es Marina zu verdanken hatte heute so glücklich sein zu können. Hätte sie Victor damals nicht angesprochen und so motiviert, wäre dieser niemals so erfolgreich und zu seinem Idol geworden. Und damit wäre überhaupt die gesamte Situation in der sie sich jetzt befanden nie zustande gekommen. Verrückt, was eine einzige Begegnung alles beeinflussen konnte.
Eine angenehme Stille hatte sich ausgebreitet und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Obwohl schon vieles gesagt und erklärt wurde, gab es da noch eine Sache die Yuri doch sehr beschäftigte. "Wie kommt es eigentlich, das du mit Beka hierher geflogen bist? Woher kennt ihr beide euch?" fragte er deshalb ganz direkt. Otabek lächelte nur still vor sich hin. Etwas, das alle verwunderte und Yuri leicht erröten ließ. Er liebte dieses Lächeln einfach zu sehr. Marina stieß dem Dunkelhaarigen daraufhin ihren Ellbogen in die Seite. Sein Lächeln verschwand und er widmete sich lieber seinem Getränk. Also musste sie es wohl sagen. "Otabek hat mich gefunden." sagte sie schlicht und überließ den Rest dem Kasachen. Sollte er es ihnen doch erklären. Alle schauten sie verwirrt an und blickten dann neugierig zu ihm. Er seufzte ergeben und sprach: "Ich war bei Yuras Großvater, weil dieser mich um Hilfe gebeten hatte. Er wollte Yura eine besondere Überraschung als Belohnung für die Goldmedaille bereiten und wollte ihm deshalb ein Fotoalbum mit Bildern aus seiner Kindheit schenken. Dafür hatte er extra die alten Familienalben hervorgeholt. Ich sollte die Fotos scannen und neu ausdrucken damit die Qualität besser war. Direkt das erste Bild zeigte Yura und seine Schwester in der Wiege. Ich war natürlich sehr überrascht, da ich damals noch dachte, das er ein Einzelkind war. Yuras Großvater klärte mich über Marina auf und sagte mir wie sehr er sie doch vermisste. Sie lebte seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bei einer entfernten Verwandtin in Usbekistan und diese wollte nicht, das es zu einem treffen zwischen den beiden kam, da sie Marina für sich allein haben wollte. Durch ihren unerfüllten Kinderwunsch hatte sie sich total auf seine Enkelin fixiert und wollte sie um keinen Preis hergeben. Er war darüber sehr unglücklich und zeigte mir die Briefe, die sie beide sich geschrieben hatten. In jedem einzelnen konnte man herauslesen wie sehr sie sich vermissten und wie sehr sie sich wiedersehen wollten. Doch sie lehnte trotzdem jede Einladung ab, da sie es für besser hielt ihnen fern zu bleiben. Er glaubte eher, das sie wollte aber nicht konnte weil man sie einsperrte und machte sich große Sorgen um sie. Ich hatte mir heimlich ihre Adresse notiert und bin direkt am nächsten Tag zu ihr hingeflogen um sie da raus zu holen." Otabek hatte das alles mit einer ruhe erzählt, als würde er über Wetter für die nächste Woche reden und es war Totenstill nachdem er geendet hatte.
"Und du bist einfach so mit ihm mitgegangen? Mit einem vollkommen Fremden?" fragte Victor sie schockiert. Marina lachte und sagte: "Ich konnte ihn einfach nicht wegschicken. Er war, um ehrlich zu sein, meine Rettung. Ich hielt es schon lange nicht mehr bei meiner klammernden Tante aus und er war mein Ticket in die Freiheit. Sie behandelte mich immer nur wie ein rohes Ei und wollte mir dauernd den Kontakt zu meinen Großvater verbieten. Es gab zwar einen Riesen Krach aber wie ihr seht bin ich jetzt hier. Und das nur dank Otabek."
Yuri fiel seinem Geliebten um den Hals und küsste ihn. Es war ein stummes "Ich liebe dich" das nur der Kasache hören konnte. Marina und Yuuri schauten schnell weg und erröteten leicht während Victor lächelnd heimlich ein Foto von den beiden machte. Mit einem lächeln, aber auch tiefrot, löste Yuri sich von dem älteren. "Danke, das du mir meine Schwester wiedergegeben hast." flüsterte er kaum hörbar. Otabek gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn fing ein neues Gesprächsthema an um von sich selbst abzulenken. Nicht, das noch jemand bemerkte wie glücklich dieser eine Kuss ihn gemacht hatte.
Die Gespräche nach dieser Gefühlsachterbahn wurden allgemeiner und eine angenehme Stimmung breitete sich aus. Es wurde viel gelacht und jedem kam es vor, als wenn sie Marina schon ewig kennen würden. Yuuri verstand sich besonders gut mit ihr und die beiden saßen dicht nebeneinander und schauten sich Fotos von den Wettbewerben an, an denen ihr Bruder teilgenommen hatte. Die meisten davon wurden von Victor gemacht. Er war manchmal fast so schlimm wie Pichit. Marina verstand nicht viel vom Eiskunstlauf und löcherte Yuuri deshalb nur so mit Fragen.
Jetzt war es an Victor eifersüchtig zu werden. Er wollte sich grade zwischen die beiden quetschen als ein warnender Blick seines Verlobten ihn sofort stoppte. Einen wütenden Yuuri wollte er so schnell nicht nochmal erleben. Schmollend ließ er sich deshalb neben Yuri und Otabek nieder. "Yurio, tu was dagegen. Deine Schwester spannt mir meinen Mann aus." jammernd deutete er auf die beiden. Yuri hatte es inzwischen aufgegeben Victor bezüglich seines Namens zu korrigieren. Er war ebenfalls nicht von dieser neuen Freundschaft begeistert, doch er wollte es seiner Schwester auch nicht verbieten. Dazu hatte er seiner Meinung nach kein Recht. Sie sah so glücklich aus und das allein reichte aus um ihn ebenfalls glücklich zu machen.
"Als ob das Schweinchen jemals jemand anderen als dich lieben könnte. Er himmelt dich doch durchgehend an. Entspann dich mal lieber." sagte er deshalb nur und zuckte mit den Schultern. Das schockierte Victor kurz. Solch ehrliche Worte hatte er von ihm nicht erwartet. Er blickte nochmal zu seinem Verlobten und sah wie er strahlte. Egal worüber er grade sprach, es machte ihn scheinbar sehr glücklich. Mit einem lächeln widmete sich Victor seinem Cappuccino und ließ die beiden für den Rest des Abends in ruhe.
Als sie das Café verließen war es Nacht in Hasetsu geworden und der kalte Wind ließ alle frösteln. Yuuri schlug Marina und Otabek vor mit ihnen zum Onsen zu fahren und dort zu schlafen doch Marina schüttelte nur den Kopf. "Die Zimmer sind bereits bezahlt und es wäre Geldverschwendung sie nicht zu nutzen. Wir können uns ja morgen Früh zum Frühstück treffen." meinte sie mit einem lächeln. Ihr Bruder war davon aber ganz und gar nicht begeistert. Er nahm ihre Hand und sah ihr wehleidig in die Augen. Otabek brauchte bei diesem Hundeblick all seine Selbstbeherrschung um sein Pokerface aufrecht zu halten. Aber am liebsten hätte er seinen Freund über die Schulter geworfen und ins nächste Love Hotel verfrachtet. Während er noch den Drang nieder kämpfte eben dieses zu tun hörte man nur ein `Klick´. Victor hatte blitzschnell sein Handy gezückt und diesen Moment für die Ewigkeit festgehalten. Yuri erstarrte zu Stein und hatte für einen Moment vergessen zu atmen. Ein ´Pling´aus Otabek´s Hosentasche erinnerte ihn wieder dran und er befürchtete bereits das schlimmste. Seine Vermutung bestätigte sich als er Otabek´s lächeln sah, als dieser auf sein Handy blickte. Victor hatte ihm das Bild scheinbar sofort geschickt. Schnell wollte er ihm das Handy entreißen und das Bild löschen doch sein Freund war schneller und hielt es außer Reichweite. Da er größer als Yuri war, war dieser machtlos und bekam es nicht in die Finger. Also versuchte er es bei Victor damit er es nicht twittern oder sonst wie anderen zeigen konnte. Doch als er sein zufriedenes grinsen sah, wusste er, das es dafür bereits zu spät war. Das Dauer vibrieren seines Handys bestätigte ihn und er wäre am liebsten im Boden versunken. Er wollte grade Luft holen um loszuschreien und dabei alle Beleidigungen die er kannte zum besten geben, als ihm der Mund von Marina zugehalten wurde. "Wir sind hier in Japan, Yurochka. Da schreit man um diese Uhrzeit niemanden mehr zusammen." tadelte sie ihn. Schockiert, das seine Schwester scheinbar seine lautstarken Ausbrüche schon zu kennen schien, bemerkte er nicht wie Yuuri und Victor sich heimlich aus den Staub machten.
Erst als sie schon fast außer Sichtweite waren, ließ Marina wieder von ihm ab. "Du wusstest das ich einen Aufstand machen wollte?" fragte Yuri verunsichert. Seine Schwester wich seinem Blick aus und spielte nervös mit ihrem Haar. Eine Angewohnheit die sie noch aus ihrer Kindheit behalten hatte, wie Yuri erstaunt feststellte. "Otabek hatte mich, mehr oder weniger, vorgewarnt. Du warst schon als Kind nicht auf den Mund gefallen aber das du so reizbar bist ist mir neu. Es ist doch nur ein Foto." Sie wurde zum ende hin immer leiser und schaute leicht beschämt zu Boden. Natürlich wusste sie, das ihr Bruder in der Öffentlichkeit stand und deshalb aufpassen musste was er veröffentlichte und was nicht. Aber das er aufgrund eines einzelnen Fotos beinahe ausgerastet wäre, schockierte sie mehr als gedacht. Zumal es doch ein sehr süßes Bild von ihm mit Hundeblick war. Schaden konnte es ihm aus ihrer Sicht nicht. Genau in dem Moment kam Otabek eine wunderbare Idee. "Warum kommst du nicht mit zu uns ins Hotel? Wir haben schon eingecheckt und niemanden würde es auffallen wenn du bei mir schlafen würdest. Das Bett wäre jedenfalls groß genug." Er sagte das nicht ganz ohne Hintergedanken. In seiner Fantasie rekelte sich Yuri bereits unter ihm in den Laken und stöhnte lustvoll seinen Namen. Doch Yuri zerschmetterte seine Hoffnungen auf die Verwirklichung dieser Fantasie als er freudig sagte: "Auch groß genug für 3? Dann kann Marina bei uns schlafen." Marina machte es nicht besser. "Groß genug wäre es schon. Aber dann wäre mein Zimmer unnötig gewesen. Und Otabek sieht über deinen Vorschlag nicht sonderlich erfreut aus." sagte sie mit einem scheuen lächeln. Spätestens seit dem Kuss wusste sie wie sehr die beiden sich liebten. Otabek hatte ihr zwar schon gesagt, das sie beide ein Paar seien, doch es zu sehen war doch etwas anderes. Und sie wollte nicht unbedingt Zeugin von Dingen werden die sie nicht wissen wollte. Nicht, das sie was gegen diese Beziehung hatte. Sie mochte Otabek und war froh das ihr Bruder jemanden wie ihn an seiner Seite hatte. Aber halt an seiner Seite und nicht an ihrer. Sie wollte nicht in der Nacht aus versehen von Otabek verwechselt und begrabscht werden. Andererseits wollte sie noch mehr Zeit mit ihrem Bruder verbringen.
Yuri dachte kurz nach und erinnerte sich an das lächeln von Otabek als er dieses verdammte Foto mit seinem Hundeblick gesehen hatte. Er wusste, das es falsch war seinen Freund zu manipulieren aber er wollte nicht eine Sekunde von seiner Schwester getrennt sein. Nicht, das sie am nächsten Morgen wieder verschwunden war. Er brauchte das Gefühl von Sicherheit. Also stellte er sich vor Otabek und sah ihn mit einem Herzzerreißenden Hundeblick genau in die Augen. Er schaffte es sogar seine Unterlippe leicht zittern zu lassen. "Darf Marina bei uns im Bett schlafen, Beka?"
Otabek blieb fast das Herz stehen als er ihm ins Gesicht sah und das hörte. Wie konnte er da nein sagen? Ergeben ließ er den Kopf sinken und nickte. Sofort strahlte ihn der kleinere an und Umarmte ihn fest. "Danke, Beka." sagte er glücklich und zusammen gingen sie zum Hotel.
Am nächsten Morgen erwachte Marina als erste und blickte in das schlafende Gesicht ihres Bruders. Er hatte den Arm um sie gelegt und schien sie selbst im Schlaf nicht gehen lassen zu wollen. Nach dem Tränenreichen Wiedersehen nach so langer Zeit und dem Gespräch im Café, hatte er sie nicht mehr aus den Augen gelassen und immer wieder ihre Hand genommen und fest gehalten. Als wenn er Angst hätte, das sie wieder verschwinden könnte. Lächelnd gab sie ihm einen leichten Kuss auf die Stirn und versuchte vorsichtig sich aus seiner Umklammerung zu befreien um ihn nicht zu wecken. Das gestaltete sich schwieriger als gedacht da er tatkräftige Unterstützung seitens Otabek hatte der sie im schlaf am Ärmel fest hielt und scheinbar nicht vorhatte loszulassen. Sie musste ein kichern unterdrücken und schaffte es nach einer gefühlten Ewigkeit sich zu befreien und mit einem frischen Satz Klamotten ins Bad zu verschwinden. Sie konnte es kaum erwarten den Tag mit ihrem Bruder zu verbringen.
Durch das rauschen der Dusche erwachte auch Yuri aus seinem schlaf. "Beka?" fragte er verschlafen Richtung Bad da er ihn dort vermutete. Doch ein leises Brummen hinter ihm korrigierte sein denken. Otabek war nicht unter der Dusche sondern fest an ihn gekuschelt.
Da fiel Yuri ein, das er gestern seine totgeglaubte Schwester wiedergesehen und mit ins Hotel genommen hatte. Otabek hatte sie durch Zufall gefunden und nach Japan, zu ihm, begleitet. Ein lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Es war also doch kein Traum gewesen." stellte er erleichtert fest und kuschelte sich glücklich enger an seinen Freund. Durch diese Bewegung schien langsam auch der Kasache zu erwachen. Wenn man das reiben seines Beckens an Yuris Hintern so deuten wollte. Dieser keuchte überrascht auf und war nun hellwach. "Beka, egal was du vor hast, lass es. Wir sind nicht allein." sagte Yuri hastig. Doch der Dunkelhaarige schien ihn nicht zu hören und fuhr mit den Händen langsam unter sein Shirt und wollte es ihm unbedingt ausziehen. Yuri hielt protestierend den Saum fest und versuchte verzweifelt nicht allzu laut zu sein damit seine Schwester sie nicht hörte. Otabek war damit mehr als unzufrieden und rollte sich auf den Blonden. "Yura." raunte er ihm mit tiefer Stimme ins Ohr. Er wusste genau wie sehr es seinen geliebten Russen anmachte wenn er das tat und rieb sich wieder an ihm. "Von allein werde ich dieses Problem bestimmt nicht los". Yuri wurde knallrot und versteckte sein Gesicht. Er wusste nicht was er tun sollte. Einerseits konnte er Otabek verstehen aber andererseits hatten sie für so etwas keine Zeit. Seine Schwester konnte jederzeit wieder reinkommen und er wollte definitiv nicht mit ihr in einem Raum einen Ständer bekommen.
Er versuchte seine aufsteigende Lust zu ignorieren und startete einen letzten Befreiungsversuch indem er einen Buckel machte. Eigentlich wollte er Otabek so von sich runter werfen doch sein Freund war leider größer und durch seine Muskeln auch schwerer als er selbst, sodass er eher Öl ins Feuer goss anstatt ihn von seinen Vorhaben abzubringen. Grade in dem Moment, in dem der ältere ihm die Hose runter ziehen wollte, wurden sie unterbrochen.
"Was zur Hölle tut ihr beide da?" fragte Marina entgeistert und starrte die beiden fassungslos an. Die Situation war leider mehr als eindeutig. Otabek lag auf ihren Bruder und wollte ihn scheinbar grade von seiner Hose befreien. Dieser streckte ihm augenscheinlich seinen Hintern entgegen da er immer noch leicht buckelte. Die Zwillinge waren beide so Rot wie Tomaten und während Yuri nach einer plausiblem Erklärung suchte machte Otabek alles nur noch schlimmer. "Tut mir leid Marina, aber du störst. Würde es dir etwas ausmachen schon mal Frühstücken zu gehen damit wir beide das hier beenden können?" Er sagte das mit seinen üblichen Pokerface und blickte sie dabei direkt an. Marina schlug sich nur die Hände vors Gesicht und verließ fast fluchtartig den Raum. Die Tür schlug sie dabei laut zu.
Für einen Moment war es still. Yuri war geschockt und brauchte einen Augenblick um das eben geschehene zu verarbeiten. Otabek wollte die mentale Abwesenheit seines Geliebten nutzen und sich weiter mit dessen Körper beschäftigen als ein Fauchen ihn stoppte.
"Fass mich nicht an." sagte Yuri leise und bedrohlich. Sofort ließ Otabek von ihm ab und entfernte sich ein wenig von ihm. Yuri war ihm noch nie feindselig gegenüber gewesen doch was er jetzt in seinen Augen sah machte ihm fast ein wenig Angst. Die grünen Smaragde schienen Funken zu sprühen vor Ärger und bohrten tausend Löcher in den Kasachen. "Was hast du da grade zu meiner Schwester gesagt?" fragte Yuri immer noch ruhig. Otabek schluckte hart. Mila hatte ihn vor so einer Situation gewarnt. Solange der Russe laut zeterte war alles gut, meinte sie. Doch wenn er ganz ruhig war und eben nicht herumschrie war er am gefährlichsten. Sie hatte ihm empfohlen dann sofort das Weite zu suchen aber das war hier leider nicht möglich. Die Tür führte an Yuri vorbei und das Zimmer befand sich im 6. Stock. Flucht war damit ausgeschlossen. Er seufzte kurz und entschloss sich dann, das Angriff die beste Verteidigung war. Mit einem Satz hatte er Yuri auf den Rücken geworfen und hielt ihn an den Handgelenken fest. Da er nicht wusste wie weit sein geliebter im Ernstfall gehen würde, fixierte er dessen Beine mit seinen eigenen. Nun war sein Freund zwar komplett Bewegungsunfähig aber eben auch genauso still. Besorgt blickte er zu ihm hinunter und zuckte kurz zusammen.
Die Augen seinen geliebten Russen, die sonst so stark und furchtlos waren, blickten traurig und verletzt zu ihm herauf. War er mit seiner suche nach Nähe etwa wirklich zu weit gegangen? Oder waren es doch die, aus seiner Sicht harmlosen, Worte an Marina? Egal was es war, er hatte seinen Freund damit verletzt. Dabei wollte er doch nur etwas Zeit mit ihm verbringen und seine Wärme spüren. Etwas, das er schon eine gefühlte Ewigkeit nicht hatte tun können. Ergeben ließ er den Kopf sinken und vergrub sein Gesicht in Yuris Halsbeuge. "Es tut mir leid, Yura. Ich war selbstsüchtig und habe deine Gefühle ignoriert. Es ist nur schon so lange her, das ich dich das letzte mal im Arm halten konnte." sagte er reumütig. "Lange her?" kam es fast tonlos von Yuri.
Grob stieß der Blonde seinen Freund von sich und umfasste sein Gesicht damit er ihm in die Augen sehen konnte. "Wir beide, du und ich, haben uns zuletzt vor 3 Monaten gesehen und schreiben fast jeden Tag miteinander. Schicken einander Fotos und Videos und vor allem wissen wir ob es dem anderen gut geht. Meine Schwester dagegen habe ich über 8 Jahre lang nicht gesehen und sogar für Tod gehalten. Ich habe mich so gefreut mit ihr die verlorene Zeit aufzuholen und du hast nichts besseres zu tun als sie wegzuschicken. Natürlich habe ich dich auch vermisst aber Marina geht im Moment vor." Seine Stimme war ruhig und nicht im geringsten vorwurfsvoll. Natürlich kochte er vor Wut das Otabek seine Schwester praktisch aus dem Zimmer geschmissen hatte, aber er konnte ihn auch verstehen. Ihre Treffen waren immer kurz und die Zeit dazwischen viel zu lang. Doch Marina hatte im Moment Vorrang und Otabek würde das verstehen müssen. Da ließ sich der temperamentvolle Russe nicht reinreden. Sein Freund seufzte und sah ihn traurig an. Er wollte keinen Streit und da er eben einen großen Fehler gemacht hatte gab er nach.
"Du hast recht. Ich werde mich zurückhalten und dir deine Zeit mit deiner Schwester lassen. Du bestimmst wann wir was machen. Wir können auch was zu dritt machen. Falls Marina mir verzeiht und du es auch willst." Er lächelte schief und hoffte damit die Wogen etwas geglättet zu haben. Nie wieder wollte er diesen Blick von seinen Freund ertragen müssen. Yuri dagegen war scheinbar wieder besser gelaunt und gab ihm einen schnellen Kuss. "Genau deshalb liebe ich dich, Beka."
Bevor der ältere reagieren konnte, verschwand der jüngere mit einer Hand voll Klamotten im Bad und die Dusche war wieder zu hören. Grummelnd ließ er sich mit dem Gesicht voran ins Kissen sinken und versuchte seinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Er konnte einfach nicht genug von dem jungen Russen bekommen.
Während Yuri und Otabek ihren ersten Streit hatten und Marina knallrot ihr Frühstück aß, hatte Victor ein ganz anderes Problem. Ein Problem, das ihn kreidebleich in der Dusche stehen ließ. Wie gebannt starrte er auf seine linke Hand. Er hatte seinen Ring verloren! Wo, wusste er nicht. Er hatte es bis zu dem Zeitpunkt ja nicht mal bemerkt. Erst beim duschen kam ihm etwas komisch vor und als er seine Hände betrachtete, fiel es ihm auf. Sein Ring war nicht mehr an seinem Platz und diese Erkenntnis ließ ihn wie versteinert unter dem immer noch laufenden Wasserstrahl stehen. Erst das klopfen seines Geliebten riss ihn aus der starre. "Komm endlich aus dem Bad raus, Victor! Wir wollten doch mit Marina, Yuri und Otabek frühstücken!" rief ihm Yuuri durch die verschlossene Tür zu. Victor wusste nicht was er tun sollte. Er war sich sicher, das Yuuri schrecklich traurig wäre wenn er wüsste, das er das Schmuckstück einfach so verloren hatte.
Mit einem schlechten Gewissen stellte er das Wasser ab und machte sich fertig. Als er das Bad verließ wartete Yuuri bereits ungeduldig auf ihn. Schnell zog Victor seine Jacke an und versteckte seine Ringlose Hand in der Jackentasche. Er verabschiedete sich nicht mal von seinem geliebten Pudel. Etwas, was dieser mit einem winseln kommentierte. Yuuri war so in eile, das er Victors auffälliges Verhalten nicht bemerkte. Das machte den Russen nachdenklich. War ihm Marina etwa schon so wichtig, das er sie nicht warten lassen wollte? Oder kam da nur seine gute Erziehung durch? Wieder brodelte die Eifersucht in ihm hoch. Yuuri gehörte nur ihm. Aber aus logischer Sicht lag es vermutlich daran, das Yuuri einfach nur Hunger hatte. Durch der spontanen Flucht am Abend zuvor hatte er total vergessen noch etwas vor dem Schlafen gehen zu essen und nun knurrte ihm regelrecht der Magen. Er aß ja so schon weniger, weil er mit vollem Magen nicht trainieren konnte und dann einen Snack ausfallen zu lassen war nicht gerade angenehm. Victor sagte ihm zwar immer wieder, das er mehr essen könnte aber wollte es nicht riskieren nach einer schnellen Pirouette das Eis zu verschönern. Das war ihm genau ein mal passiert und damals hatte ihm Yuuko beinahe den Hals umgedreht. Noch heute erschauerte er bei den Gedanken an diesen Wutausbruch. Er hatte nämlich nicht nur das Eis getroffen.
Auf halben Weg zum Hotel, wo sie ihre drei Freunde abholen wollten, bemerkte er aber dann doch das heute etwas anders war. Victor war viel stiller und hielt nicht wie gewohnt seine Hand beim laufen. Fragend sah er ihn an doch der Russe blickte nur stur gerade aus. "Weicht er meinem Blick aus?" fragte sich Yuuri nervös. Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging er stumm neben seinem Verlobten her und überlegte ob er etwas falsch gemacht hatte. Doch ihm fiel nichts ein.
Am Hotel angekommen sahen sie nur Otabek und Marina. Von dem immer mies gelaunten Teenie fehlte jede Spur. "Guten Morgen ihr beiden." sagte Victor fröhlich und blickte sich kurz um. "Wo ist Yurio? Sag jetzt nicht er kann wegen dir das Bett nicht mehr verlassen, Otabek." Mit einem vielsagenden Blick und einem zwinkern grinste der Russe die beiden an und Yuuri versuchte vor Scham nicht im Boden zu versinken. Während Otabek wie gewohnt sein Pokerface aufrecht hielt schien bei Marina nun auch der Groschen gefallen zu sein. Hochrot und mit den Erinnerungen vom Morgen packte sie Otabek an den Schultern. "Was hast du getan?!" fragte sie mit einer leicht piepsigen Stimme. Der ruhige Kasache zog nur eine Augenbraue nach oben und meinte:" Ich bin nur 10 Minuten nach dir aus dem Zimmer raus um mich bei dir für meine Worte zu entschuldigen. Damit Yura das Bett nicht mehr verlassen kann brauch ich schon etwas länger." Marina sah aus als wenn sie gleich in Ohnmacht fallen würde und Yuuri versteckte sein hochrotes Gesicht hinter seinen Händen. Das hatte er ganz bestimmt nicht wissen wollen! Victor schien diese Information jedoch zu gefallen. Ein blitzen trat in seinen Augen auf und er lehnte sich grade Richtung Otabek um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, als er in seinem Vorhaben von einem Tritt gegen die Rippen unterbrochen wurde. "Finger weg, alter Mann! Bleib bei dem Katsudon und lass meinen Beka in ruhe!" kam es wütend von Yuri. Er sah wirklich angepisst aus. Aus seinem Blickwinkel hätte es aber auch aussehen können als wenn Victor Otabek einen Kuss geben wollte. Zähneknirschend stellte er sich zwischen den beiden und versuchte Victor mit seinen Blicken zu erdolchen.
Victor wich erschrocken zurück und hielt seine Hände schützend vor sein Gesicht. Er erwartete nämlich eine Kratzattacke von dem Teenie. Nicht, das Yuri das schon mal getan hatte. Aber so aufgebracht wie er vor ihm stand und ihm wütend in die Augen starrte konnte man sich nicht sicher sein was er alles tun würde. Der Tritt war ja nur eine Warnung gewesen. Auch wenn er nicht sonderlich weh getan hatte.
Genau deshalb aber war Victor in eine verteidigende Haltung gegangen und hatte ganz vergessen das er seine Hände eigentlich verstecken wollte. Er wartete darauf, das der jüngere ihn wie eine Katze zerkratzte doch es waren die Worte des Japaners die in erschauern ließen.
"Wo ist denn dein Ring, Victor?" fragte dieser ganz normal. Doch für Victor hörten sich diese Worte ganz anders an. Für ihn klangen sie vorwurfsvoll und verletzt. Es war nur seine Fantasie die ihm einem Streich spielte doch für ihn war es die Realität. Er hatte die Person, die er am meisten liebte verletzt. Marina wollte grade etwas sagen doch ein Blick auf Victor ließ sie verstummen. Er sah Yuuri schweigend in die Augen und Tränen sammelten sich in den seinen. Schluchzend ließ er sich auf die Knie fallen und fing hemmungslos an zu weinen. Alle, sogar Otabek, sahen ihn geschockt an doch niemand wusste was mit dem Russen plötzlich los war. Besorgt kniete sich Yuuri zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Was ist los, Vitya? Tut dir was weh? Ist dir schlecht?"fragte er so ruhig wie möglich doch er war ganz offensichtlich überfordert. Das sein Verlobter einfach so in Tränen ausbrach war ungewohnt für ihn. Normalerweise war er doch derjenige, der zu nah am Wasser gebaut war. Auch Marina war besorgt um Victor und sah hilflos zu ihrem Bruder und Otabek. "Wie stark hast du bitte zugetreten, Yuri?" fragte sie mit einem leicht verunsicherten Unterton. Yuri zuckte kurz zusammen und sah sie dann ungläubig an. "Du glaubst doch nicht wirklich, das ich stark genug zugetreten habe damit Victor so reagiert?" Das seine Schwester so von ihm dachte versetzte ihm einen leichten Stich ins Herz. "Ich glaube es liegt eher an den fehlenden Ring an Victors Hand. Vielleicht hat er ihn verloren und nun Angst, das Yuuri deshalb sauer auf ihn ist." meldete sich Otabek zu Wort. Überrascht sahen ihn die drei an und ein lautes wimmern schien seine Worte zu bestätigen.
Mit einem sanften lächeln nahm Yuuri Victor in dem Arm und strich beruhigend über seinen Rücken. "Hast du den Ring wirklich verloren?"fragte er vorsichtig. Anstatt ihm zu antworten krallte sich der ältere in seine Jacke und sah ihn mit Tränen in den Augen an. "Es tut mir so leid, Yuuri. Ich habe nicht aufgepasst und meinen Ring verloren. Dabei bedeutete er mir doch so viel. Immerhin ist es doch unser Verlobungsring und ein Zeichen unserer Liebe."brachte er endlich schluchzend hervor. "Bitte hass mich jetzt nicht. Ich liebe dich so sehr und allein der Gedanke dich zu verletzten ist unerträglich für mich. Und doch habe ich etwas so wichtiges verloren. Bitte verzeih mir." fügte er mit Tränen erstickter Stimme hinzu. Yuuri hörte ihm schweigend zu und nahm schließlich sein Gesicht in seine Hände nachdem er geendet hatte. Lächelnd strich er die Tränen mit den Daumen fort und küsste seinen Geliebten sanft. "Wie könnte ich dich dafür hassen? Du hast nur ein Stück Metall verloren, nicht meine Liebe zu dir. Wir brauchen weder einen Ring noch sonst irgendwas um zu wissen was wir für einander fühlen. Immerhin beweist du es mir doch jeden Tag. Allein dein Blick, wenn du mir in die Augen schaust, schreit geradezu hinaus wie sehr du mich liebst. Jedes mal wenn du meine Hand nimmst und zärtlich festhältst kann ich spüren wie schnell dein Herz schlägt. Und das nur für mich. Jeder `Gute Nacht` Kuss, jedes ´Pass auf dich auf´, jedes ´sei vorsichtig´ ist ein stilles ´Ich liebe dich` von dir und kein Ring der Welt könnte mir deine Liebe so deutlich zeigen." sagte er und wurde dabei wieder leicht rot. Es fiel ihm nicht leicht so etwas zu sagen doch er konnte spüren das Victor das hören musste.
Otabek hatte während dieser Liebeserklärung sanft Yuris Hand genommen und schenkte ihm ein lächeln. Es kam ihm fast so vor als würde er das öfter tun seitdem er den jungen Russen kannte. Dieser blickte leicht errötet zu Boden doch er ließ seine Hand nicht los. Viel zu schön war es den Herzschlag seines Freundes zu spüren. Marina kam sich etwas fehl am Platz vor doch sie war trotzdem glücklich ihren Bruder so zu sehen. Doch etwas beschäftigte sie und ließ sie kurz nachdenken. War da nicht noch was.......?
Schniefend stand Victor auf und zog Yuuri in eine feste Umarmung. "Du hasst mich wirklich nicht?" fragte er nochmal zu Sicherheit. "Nicht in eintausend Jahren könnte ich dich hassen, Vitya." antwortete der kleinere mit einem lächeln. Allein der Gedanke daran seinen Partner zu hassen war unmöglich für ihn.
Mit einem leisen ´Entschuldigung´ lenkte Marina nun die Aufmerksamkeit auf sich. Verlegen stand sie da und traute sich nicht ihren Blick vom Boden zu lösen. Sie wusste nicht wie sie das folgende erklären sollte. Deshalb atmete sie einmal tief ein und aus und streckte ihre geöffnete Hand nach vorn. Und was in ihr lag verblüffte alle. In Marina´s ausgestreckter Hand lag ein goldener Ring. "Es tut mir so unendlich Leid, Victor. Ich habe den Ring letzte Nacht auf dem Weg vor dem Café gefunden und eingesteckt. Ihr wusste nicht ob es wirklich deiner war. Und als ich sah, das du deinen Ring nicht am Finger hattest wollte ich ihn dir sofort geben doch da bist du schon in Tränen ausgebrochen. Ich dachte erst, das es wegen Yuras Tritt war. Nie hätte ich gedacht, das dir dieser Ring so unglaublich wichtig ist." Ihre Stimme und ihre Hände zitterten leicht. Sie hatte Schuldgefühle, weil Victor wegen ihr gelitten hatte. Hätte sie nur früher ihren Mund aufgemacht. Fast rechnete sie damit ausgeschimpft zu werden doch Victor fiel ihr nur um den Hals und drückte sie fest an sich. "Gott sei dank hast du ihn gefunden. Danke, Marischa." sagte er dankbar und gab ihr einen Kuss auf´s Haar. Sie errötete bei diesem Kosenamen noch mehr und drückte ihm den Ring in die Hand. " Pass einfach besser drauf auf. Damit so etwas nicht nochmal passiert." sie sagte diese Worten ohne ihm die Augen schauen. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet.
Victor wollte sich grade den Ring anstecken als ihm dieser von Yuuri aus der Hand genommen wurde. "Das ist meine Aufgabe."sagte er nur und steckte Victor den Ring an den Finger. Dann küsste er den Ring so wie er es sonst bei seinem vor einer Kür tat.
Victor wollte ihm grade um den Hals fallen als er von Yuri unterbrochen wurde. "Schluss jetzt, alter Mann. Wir wissen ja jetzt alle wie unglaublich sehr ihr beide euch liebt aber wenn ihr so weiter macht habe ich echt keinen Hunger mehr. Wollten wir nicht eigentlich zusammen Frühstücken?"sagte er genervt und ein lautes Magenknurren war zu hören.
"Das ist jetzt doof. Ich habe schon gefrühstückt."sagte Marina und erntete einen entsetzten Blick ihres Bruders. "Du Verräterin! Wie kannst du nur schon gegessen haben wenn ich hier am verhungern bin. Warum hast du nicht auf uns gewartet?" fragte er leicht gereizt. Es war wirklich nicht mit ihm zu spaßen wenn er hungrig war. Da machte er auch nicht vor seiner geliebten Schwester halt. Doch Otabek wusste, das Marina keine Schuld traf und legte Yuri beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Beruhige dich, Yura. Sie hat, wenn man das so nennen will, lediglich meine Anweisung von heute Morgen befolgt. Ich hatte sie doch gebeten schon mal vor zu gehen und zu frühstücken."erinnerte er ihn. Yuri sah ihn kurz an und schnaubte nur genervt. "Egal. Dann isst sie eben zwei mal. Und jetzt kommt mit. Ich sterbe noch vor Hunger." meinte er nur und packte Marina und Otabek jeweils an einer Hand. Ohne auf Yuuri und Victor zu warten zog er die beiden in den Speisesaal des Hotels und steuerte direkt das Buffet an.
Sie frühstückten ausgiebig zusammen und unterhielten sich genau so wie am Abend zuvor. Es war eine angenehme Stimmung am Tisch und von Yuris schlechter Laune war spätestens nach dem dritten Schokobrötchen nichts mehr zu spüren. Auch wenn er nicht so aussah, war er ein guter Esser und überraschte zuhause Lilia immer wieder damit wie viel er verdrücken konnte. Sie alberten alle ein bisschen herum und grade als Marina Victor die Weintrauben klauen wollte wurde sie von ihrem Bruder am Arm gepackt. Sie erschrak und ihr Ärmel rutschte etwas weiter nach Oben. Was man dann sah verschlug allen den Atem. Sie hatten wohl alle vergessen warum Yuri sie für Tod gehalten hatte. Yuris Stimme klang, als würde ihm der Atem fehlen als er fragte. "Was ist das an deinem Arm, Marina?"
Yuri hielt noch immer Marinas Arm fest und konnte nicht wirklich glauben, was er da grade gesehen haben sollte. Als Marina Victor die Weintrauben klauen wollte, war der Ärmel von ihrem Pullover etwas nach oben gerutscht und hatte etwas freigelegt, was sie eigentlich verstecken wollte. Doch Yuri hatte es gesehen. Jedenfalls glaubte er das. Er brauchte Gewissheit. Ohne ihr die Möglichkeit zu geben ihren Arm zu befreien zog er ihr den Ärmel bis zum Ellbogen hoch und jeder erstarrte bei dem Anblick dessen, was er daraufhin freilegte. Eine breite Narbe zog sich über den gesamten Unterarm. Und das war nicht die einzige. Viele kleinere waren überall verteilt. Manche tiefer als die anderen. Es war ein furchtbarer Anblick. Keiner von ihnen konnte oder wollte sich vorstellen was diese Narben verursacht hatte und welche Schmerzen Marina deshalb ertragen haben musste.
Auch Marina war erstarrt. Nie hatte sie geplant diese Narben irgendjemanden zu zeigen. Ihrem Bruder erst recht nicht. Waren sie doch der Beweis, das dieser schreckliche Unfall damals wirklich passiert und kein böser Albtraum gewesen war. Sie hasste diese Narben so sehr. Und doch würden diese sie bis an ihr Lebensende begleiten. Natürlich waren die an ihrem Arm nicht die einzigen. Ihr ganzer Körper erzählte die Geschichte über den Sturz von dem Baum und die Zeit danach. Die unzähligen Operationen und die ganzen Stürze während und nach der Reha hatten ihre Spuren hinterlassen. Sei es nur ein blauer Fleck oder gar ein gebrochener Knochen. Seit dem verhängnisvollen Tag vor 8 Jahren war ihr Leben geprägt von Schmerzen und Krankenhausaufenthalten.
Doch sie wusste, das es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte gelähmt sein, im Koma liegen oder gar Tod sein können. Schwer genug waren ihre Verletzungen damals gewesen. Doch so konnte sie immerhin endlich wieder laufen und hatte die Chance ein eigenständiges Leben zu führen. Und das alles an der Seite ihres Bruders. Alleine das ließ sie jeden Schmerz und jeden Albtraum vergessen.
Der Gedanke an was hätte sein können riss sie aus ihrer Starre und sie entzog ihren Arm aus Yuris Griff. Schnell zog sie den Ärmel wieder runter und versteckte damit das, was niemand sehen soll. Auch Yuri schien nun aus seiner Starre zu erwachen und sah sie mit Tränen verschleierten Augen an. Sie konnte sehen, das er was sagen wollte doch kein Laut kam über seine Lippen. Der Rest der Gruppe war genauso Sprachlos wie er und niemand sagte ein Wort. Was sollten sie auch sagen? Sollten sie Fragen stellen? Durften sie das überhaupt? Immerhin kannten sie sich erst seit gestern und nur Yuri gehörte zu Marinas Familie.
Die junge Russin konnte sehen wie jeder sich unzählige Fragen stellte und nichts falsches sagen wollte. Genau diese Rücksichtnahme entlockte ihr ein kichern. Ihr Bruder hatte wirklich ein paar gute Freunde gefunden. "Ihr braucht euch nicht zu überlegen was jetzt das Richtige zu sagen wäre. Es ist ok. Stellt mir die Fragen, die euch auf der Zunge liegen und denkt nicht darüber nach ob es mich verletzten könnte. Genau wegen diesen Verhalten bin ich doch überhaupt erst mit Otabek mitgegangen. Ich ertrage dieses auf rohen Eiern laufen einfach nicht." sagte sie ruhig und lächelte dabei leicht.
Yuri war der erste, der seine Stimme wiederfand. Zaghaft nahm er ihre Hand in die seine und fragte leise: "Sind diese Narben von dem Sturz? Ich kann mich zwar daran erinnern, wie du dir die Haut an der Rinde aufgerissen hast aber nie hätte ich gedacht, das solche Narben zurückbleiben würden." Sie drückte seine Hand leicht und wischte die Träne fort, die sich aus seinem Auge gestohlen hatte. "Es tut mir Leid, das du dich daran noch erinnern kannst. Nicht alle Narben sind von damals. Manche sind von den Operationen und andere von den Stürzen wenn ich mich überschätzt hatte. Manchmal wollte ich den Fortschritt mit reiner Willenskraft erreichen, doch das hat nicht immer funktioniert. Ich wünschte, ich könnte dir sagen das es nicht weh getan hatte oder das ich mich nicht mehr an den Schmerz erinnere, doch das wäre gelogen. Und wenn ich eines nicht will, dann ist es dich anzulügen. Du bist meine Familie und hast nichts als die Wahrheit von mir verdient. Auch wenn diese nicht immer angenehm sein wird." beantwortete sie seine Frage. Damit hatte sie aber nun all seine Dämme gebrochen und er versteckte sein Gesicht schnell an ihrer Schulter. Er hasste es, wenn andere ihn weinen sahen. Doch nach diesen Worten konnte er nicht anders. Marina strich ihm beruhigend über den Rücken und konnte sehen, das auch Yuuri und Victor sehr mit sich rangen nicht in Tränen auszubrechen. Nur bei Otabek konnte sie nicht richtig sagen was in ihm vorging. Er würde ihr mit seinen Pokerface wohl immer ein Rätsel bleiben.
Als die Stimmung aber immer weiter in den Keller ging, weil Victor dann doch seine Fassung verloren hatte und heulend in den Armen seines Verlobten lag, wurde es ihr zu bunt und sie schob ihren Bruder von sich. "Genug jetzt! Ich bin zwar wirklich froh, das ihr mit mir mitfühlt aber was zu viel ist, ist zu viel. Es geht mir verdammt nochmal gut. Ich bin am Leben und außer den Narben gibt es nichts, was noch von damals geblieben ist. Außerdem bin ich das erste Mal in Japan und wollte etwas mit meinem Bruder und seinen Freunden unternehmen. Das in den Armen liegen und heulen hatte ich eigentlich schon gestern abgehakt. Also reißt euch zusammen und kommt." Sie sagte das mit einer energischen Stimme und zog ihren Bruder mit sich hoch, der sie aber nur perplex ansah. Doch ihr strahlendes Lächeln hob seine Laune und er lächelte ebenfalls. "Sie hat ja so etwas wie von recht! Was sind wir eigentlich für Heulsusen? Reißt euch zusammen und macht euch fertig. Also, Marischa. Wo willst du als erstes hin?" fragte er und strahlte dabei genauso wie sie.
Otabek dachte kurz daran, Yuri darauf hinzuweisen das er nicht geheult hatte aber als er das strahlende lächeln seines Freundes sah, entschloss er sich es dabei zu belassen. Victor fing sich ebenfalls und nahm Marina die Entscheidung einfach ab. "In die Eishalle!" rief er, packte seinen Yuuri und Marina an jeweils einen Arm und zog die beiden einfach mit sich mit. Otabek und Yuri waren von diesen plötzlichen Stimmungswechsel Seitens des älteren Russen total verwirrt und sahen sich kurz an bevor sie dann doch hinterher rannten. Victor wollte nämlich so schnell es geht zu seinen Ziel und ignorierte dabei total das Marina deutlich kleiner war und damit auch kürzere Beine hatte als er. Da sie sich nicht aus seinen Griff befreien konnte und Victor jeglichen Protest ihrerseits überhörte, blieb ihr nichts anderes übrig als verzweifelt zu versuchen mit ihm Schritt zu halten. Er ging nämlich nicht gerade langsam. Es war eher ein rennen. Noch nicht mal Yuuri konnte ihr helfen und das obwohl er doch direkt neben ihr war. Einen voll motivierten Victor konnte wohl wirklich nichts stoppen. Selbst ihr Bruder und Otabek hatten Probleme mit ihnen mitzuhalten. Verbissen zwang sie sich weiterzulaufen und nicht zu stolpern. Egal wie anstrengend das auch war.
So waren sie wirklich den ganzen Weg vom Hotel zur Eishalle mehr oder weniger gerannt und als Victor endlich stehen blieb, ließ sich Marina erschöpft zu Boden fallen und versuchte krampfhaft wieder zu Atem zu kommen. Selbst Yuuri, der eigentlich sehr trainiert war und eine fast abnormale Ausdauer hatte, musste mit dem Atem ringen und von ihrem Bruder wollte sie gar nicht erst sprechen. Der hing nämlich wie ein Schluck Wasser in der Kurve am Treppengeländer und selbst Otabek wirkte leicht außer Atem. Doch seine zitternden Beine verrieten, das er zu viel gerannt war. Nur Victor wirkte weder außer Atem noch sonst wie erschöpft. Strahlend und mit bester Laune stand er vor der Tür zur Eishalle und ließ ein lautes "Taadaaaa!" erklingen. Erst als er sich die anderen genauer ansah, schien er zu merken, das er es übertrieben hatte. Yuri wollte eigentlich einen Stapel von Flüchen ablassen doch seine Lunge brannte schlimmer als nach einem besonders intensiven Trainingstag und genau das ließ ihn besorgt zu seiner Schwester schauen. Wenn es einem trainierten Eisläufer mit einer guten Ausdauer so ging, wie musste es ihr dann gehen? Er wusste nicht ob oder wie viel Sport sie machte aber ihrem derzeitigen Anblick nach, konnte dieser nicht auf Ausdauer ausgelegt sein. Ihr Gesicht war knallrot und ihr Atem rasselte sogar leicht.
Er kämpfte sich die letzten Treppenstufen hoch und ging neben ihr auf die Knie. "Alles klar bei dir, Schwesterherz?"fragte er sie besorgt und legte ihr eine Hand auf den Rücken. Er konnte spüren das ihr ganzer Körper vor Anstrengung zitterte und er warf einen finsteren Blick in Victors Richtung. Dieser hatte ein sichtlich schlechtes Gewissen und verschwand kurz in die Eishalle um eine Flasche Wasser zu holen. Er bot diese Marina an und sie nahm die Flasche dankbar an. Nicht, das sie etwas davon trinken konnte doch der Gedanke war nett. Langsam beruhigte sich ihre Atmung und das Gefühl zu ersticken verschwand nach und nach. Wie lange war es her, das sie so viel am Stück gerannt war? War sie das überhaupt nach dem Unfall? Sie wusste es nicht. "Alles ok?" fragte Otabek sie, nachdem sie halbwegs wieder normal Atmen konnte und nicht mehr unkontrolliert zitterte. Sie lächelte ihn an und sagte:"Jepp. Alles wieder gut. Bin es nur nicht gewohnt solche Strecken zu rennen."
"Das ist niemand von uns! Victor ist einfach nur wahnsinnig und ein kompletter Idiot. Auch wenn ich nicht gedacht hätte, das er so unglaublich blöd ist ausgerechnet dich die ganze Strecke hinter sich her zu zerren. Das waren bestimmt 10 Kilometer und du hast ja versucht ihn aufzuhalten. Ihm war das aber vollkommen egal. Warum hast du nichts getan?" warf ihr Bruder aufgebracht ein und stellte die letzte Frage direkt an Yuuri. Dieser wurde rot und wusste nicht was er antworten sollte.
Auf der einen Seite gab er Yuri recht aber auf der anderen wollte er diesen harten Worten keine Zustimmung geben. Victor dagegen sah aus als wenn er jeden Augenblick wieder zu weinen anfangen würde. Er wollte Marina doch nur eine Freude machen. Bevor das alles wieder in einer tränenreichen Szene enden konnte, versuchte Marina die Situation zu entschärfen. "Ist schon ok, Yura. Ich bin ja nicht verletzt oder so. Nur ein wenig aus der Puste." sagte sie und versuchte zu lächeln. Doch die einsetzenden Seitenstechen und die leichte Übelkeit hinderten sie daran. Sie war scheinbar wirklich zu viel gerannt.
"Ein wenig aus der Puste? Du siehst aus als wenn du gleich verreckst. Und daran ist nur Victor Schuld."regte sich Yuri auf doch Marina schüttelte nur den Kopf. "Ich sehe nur so aus weil ich eine geringe Ausdauer habe. Beruhige dich und lass uns reingehen. Ich möchte meinen großartigen Bruder unbedingt in Aktion auf dem Eis sehen." meinte sie und zwang sich aufzustehen. Ihre Beine fühlten sich zwar wie Pudding an doch sie versteckte das so gut es ging. Und tatsächlich konnte sie mit ihrem, nun wieder strahlenden, lächeln alle bis auf Otabek täuschen der sie besorgt musterte und sich vornahm sie nicht aus den Augen zu lassen. Denn wenn ihr etwas passieren würde, wäre sein Liebster bestimmt wieder traurig. Yuri glücklich zu machen war praktisch seine Lebensaufgabe geworden und für sein lächeln würde er alles tun. In diesem Fall auf ein Mädchen aufpassen, das niemanden zeigen wollte, das es ihr im Moment schlecht ging. Mit einem stummen seufzen ging er den anderen nach und hoffte, das nichts schlimmes passieren würde.
"Das kann nicht dein Ernst sein, alter Mann!" erklang es wütend durch die ganze Eishalle. Yuri hatte Victor am Kragen gepackt und zu sich runter gezogen um ihn wütend anzustarren. Er war wirklich angepisst.
Nicht nur, das seine Schwester wegen dem älteren Russen beinahe zusammengebrochen wäre, nun war der ganze Weg hierher scheinbar auch noch umsonst gewesen. Es hatten nämlich nur Victor und Yuuri ihre Sporttaschen mit der Trainingskleidung und den Schlittschuhen dabei. Die Kleidung war nicht das Problem. Aber was sollten sie ohne ihre Schlittschuhe in der Eishalle tun? Nie im Leben würde Yuri sich welche ausleihen. Gott allein weiß wer da vor ihm seine Füße drin hatte. Reinigung hin oder her, es war ihm einfach zuwider. Otabek sah das zwar genauso, aber Yuri´s Aufstand war seiner Meinung nach genug Ablehnung dieser Idee gegenüber.
"Tut mir leid, Yurio. Marina war gestern so begeistert von den Fotos und den Videos gewesen, da wollte ich ihr zeigen wie es in echt aussieht. Vielleicht liegt das Talent für´s Eiskunstlaufen sogar in der Familie und sie könnte dann zusammen mit dir trainieren. Dann wärst du nächstes Jahr auch nicht mit Yakov alleine." erklärte Victor und hoffte dabei, das Yuri ihm verzeihen würde. Immerhin hatte er sich doch erst vor fünf Minuten beruhigt und war jetzt schon wieder auf hundertachtzig. Wer weiß, ob ihm da nicht doch eine Sicherung durchknallt. Das war aber zum Glück nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Perplex ließ Yuri ihn los und starrte ihn für einen Moment verständnislos an. "Was meinst du mit 'alleine'? Du wolltest doch ein Comeback machen?" fragte er und legte dabei den Kopf schief. Er konnte sich nicht vorstellen warum er mit Yakov alleine sein sollte wenn Victor seine Karriere wieder aufnehmen und die Coachsache erst mal zur Seite schieben wollte. Hatte er es sich etwa anders überlegt?
"Hab ich es dir etwa nicht erzählt? Ich bleibe bei Yuuri in Japan. Russland ist zwar meine Heimat aber hier ist mein Zuhause." sagte Victor mit einem glücklichen lächeln. Für ihn war das scheinbar keine große Sache aber für Yuri schon. Betroffen sah er zu Boden und schwieg. Nie hätte er gedacht, das sein Kollege und Trainingspartner Russland wirklich den Rücken kehren würde. Erst jetzt wurde ihm wirklich klar wie viel Bedeutung in den Ringen steckte. Er hatte zwar gewusst, das die beiden heiraten wollten und das es daher keine Freundschaftsringe waren aber das Victor deshalb gehen würde hatte er nie bedacht. Seit 8 Jahren war Victor immer an seiner Seite gewesen und er hatte immer gedacht, das es in der Zukunft ebenso sein würde. Natürlich war er auch ohne Victor nicht alleine. Da waren ja immer noch Yakov, Lilia, Mila und jetzt auch Marina die er jeden Tag um sich haben würde. Und natürlich sein Otabek. Sie waren ebenfalls schon dabei Pläne für die Zukunft zu schmieden und wollten irgendwann zusammenziehen. Und doch hatte er Victor immer in sein Leben mit eingeplant. Als wenn seine Anwesenheit selbstverständlich gewesen wäre.
Doch scheinbar war dem nicht so. Victor hatte seine eigenen Pläne. Und in denen war kein Platz für ihn.
Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich ins Herz doch er wusste auch, das er es nicht ändern konnte. Oder viel mehr durfte. Er war kein kleines Kind mehr und Victor hatte es verdient glücklich zu sein. Auch wenn er dafür Russland verlassen müsste. Die Zeit nach Marinas Unfall und dem Anfang seiner Eiskunstlauf Karriere hatte er hauptsächlich wegen Victor überstanden. Ohne ihn hätte er sich weder Mila noch sonst wem neben seinem Großvater geöffnet. Geschweige denn Otabeks Freundschaft damals angenommen. Nur weil Victor ihn damals an die Hand genommen hatte konnte er nun von sich sagen, das er glücklich war. Und das sogar ohne Marina an seiner Seite zu haben. Etwas, das er damals nie für möglich gehalten hätte.
Ein tiefer Seufzer entkam ihm ohne das er es wollte und er richtete seinen Blick direkt in Victors blaue Augen. "Hab schon verstanden. Sieh nur zu, das du es nicht versaust. Yakov würde dich in Stücke reißen wenn du es dir mit dem Katsudon verscherzt und dann heulend angerannt kommst. Ich hoffe sehr, das du deine Entscheidung nicht bereust." meinte er und wurde dabei immer leiser. Es fiel ihm etwas schwer keine Beleidigungen und Flüche mit einzubauen. Yakovs harscher Ton war in der ganzen Zeit scheinbar zu sehr auf ihm abgefärbt. Doch diese Worte waren nicht böse gemeint und sollten auf gar keinen Fall falsch rüber kommen. Und genau das ließ ihn leicht erröten. Es war immerhin nicht seine Art etwas nettes oder ermutigendes zu sagen.
Zum Glück verstand Victor ihn gut genug um zu wissen wie er es meinte und umarmte ihn fest. "Danke, Yurio. Das bedeutet mir viel." Yuri wollte sich erst gegen die Umarmung wehren, entschied sich dann aber doch anders. Es würde ihn schon nicht umbringen ein mal eine Umarmung seitens Victor zu akzeptieren.
"Dann holt jetzt mal schnell eure Sachen damit wir anfangen können Marina zu zeigen was wir drauf haben. Ich bringe ihr in der Zeit die Grundlagen über das Eislaufen bei." meinte Victor mit einem mal fröhlich, ließ Yuri los und schnappte sich Marina die schnell ihr Handy weg steckte. Sie war jedoch nicht wirklich von dem Vorhaben begeistert. Ihre Beine waren immer noch ein wenig wackelig und alleine der Gedanke an das glatte Eis ließ sie erschaudern. Sie hatte ihnen versichert, das es ihr gut ging und jetzt sollte sie auf einer sehr rutschigen Fläche herumfahren. Mit Beinen wir Gummi. Und null Erfahrung.
Ihr tat der Hintern jetzt schon weh.
"Ähm...Das ist wirklich sehr nett von dir Victor, aber sollten wir nicht lieber warten bis Yuri und Otabek wieder da sind? Ich fände es auch voll ok nur zuzuschauen. Du musst dir keine Umstände machen nur damit ich Eislaufen kann." versuchte sie leicht verzweifelt zu verstehen zu geben. Doch Victor hörte ihr nicht zu und Yuuri schien die Idee ebenfalls gut zu finden.
"Keine Sorge, Marina. Wir sind gleich wieder da und auf uns zu warten wäre reine Zeitverschwendung. Noch ist die Eishalle recht leer weil es so früh ist. Das müssen Neulinge wie du auskosten." meinte ihr Bruder nur lächelnd und winkte ihr zu Abschied. Dann nahm er Otabek bei der Hand und verschwand aus der Eishalle Richtung Hotel. "Verräter!" schrie sie ihm in Gedanken hinterher.
Sie ergab sich ihrem Schicksal und lieh sich ein paar passende Schlittschuhe aus.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, nahm sie Victors Hand und betrat vorsichtig das Eis. Yuuri blieb direkt hinter ihr um sie notfalls auffangen zu können. Immerhin hatten sie Yuri versichert, das ihr nichts geschah. Vorsichtig zog Victor sie zu sich und setzte sich langsam in Bewegung damit sie sich nicht erschreckte. Trotzdem zitterte und verkrampfte Marina sich schrecklich. "Hab keine Angst. Wir lassen dich schon nicht fallen, Marina-chan."versuchte Yuuri sie zu beruhigen. Marina war kurz verwirrt über das '-chan' doch sie entspannte sich tatsächlich. Mit etwas mehr vertrauen in ihre beiden Begleiter, versuchte sie Victors Bewegungen nachzumachen. Langsam und vorsichtig fuhren sie so an der Bande entlang um mit niemanden zusammenzustoßen. Jedes mal, wenn Marina drohte zu fallen wurde sie von Yuuri und Victor festgehalten. Mit der Zeit entspannte sie sich immer mehr und schaffte es sogar, sich von selbst nach vorn zu bewegen. Natürlich ohne Victor dabei loszulassen. So viel vertrauen hatte sie dann doch nicht in ihre Beine.
Inzwischen machte es ihr sogar richtig Spaß und sie konnte es kaum erwarten mit ihrem Bruder auf dem Eis zu stehen. Dieser kam grade auf die drei zugefahren und blieb mit einem Strahlen vor ihnen stehen. Otabek war direkt hinter ihm und lächelte ebenfalls leicht. "Du bist wirklich ein Naturtalent, Schwesterherz." scherzte Yuri. "Pass bloß auf, Yurochka. Die nächste Goldmedaille gehört mir." scherzte sie zurück und ließ Victors Hände los. Sie wollte es jetzt unbedingt alleine versuchen. Vielleicht steckte in Yuris Worten etwas Wahrheit und sie war wirklich ein Naturtalent?
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