Ich befürchte fast, dass dieses Thema mittlerweile den Allermeisten auf die Nerven geht, zumal auch ich schon ein, zwei Worte dazu hier verloren habe. Es gibt da aber dennoch ein paar Kleinigkeiten, die mir zum Thema Triggerwarnungen in Romanen unter den Nägeln brennen.
Zunächst einmal die Frage danach, was ein Trigger überhaupt ist. Als Trigger (englisch für Auslöser) wird in der Psychologie ein Schlüsselreiz bezeichnet, der den oder die Betroffene*n in eine bestimmte Situation zurückversetzt. Grundsätzlich kann das alles sein, ein bestimmtes Geräusch oder ein Geruch beispielsweise. Rieche ich beispielsweise ein ganz bestimmtes Parfum, muss ich unweigerlich sofort an meinen Ex denken, weil er dieses Parfum immer aufgetragen hatte. Ein Trigger ist also per se erst einmal nichts Schlimmes, sondern ist einfach.
Meistens werden Triggerwarnungen jedoch in Kontexten verwendet, in denen Betroffene durch den Trigger in retraumatisierende Situationen zurückversetzt werden (können). Der Anblick einer bestimmten Getränkemarke kann ein Gewaltopfer beispielsweise wieder in eine missbräuchliche Situation zurückversetzen, weil der Täter in solchen Situationen immer dieses Getränk zu sich nahm. Damit ist auch gleich gezeigt, das wirklich alles ein Trigger sein kann.
Die Stimmen, die Triggerwarnungen für Romane an welcher Stelle auch immer fordern, sind laut, aber ebenso die Gegenstimmen. Gerne einmal wird da von Zensur und Einschnitt in die Meinungs- und Kunstfreiheit gesprochen. Leute, die Triggerwarnungen »bräuchten«, sollten halt lernen, sich damit auseinanderzusetzen, statt sich eine Safebubble zu schaffen.
Mit Verlaub, aber: Das ist Bullshit. Warum, damit möchte ich mich in diesem Beitrag befassen.
Hin und wieder wird argumentiert, dass Triggerwarnungen mehr schaden würden als nützen, weil Betroffene damit ihren Triggern aus dem Weg gehen, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen und den Umgang mit ihnen zu lernen. Elea Brandt hat sich in diesem wundervollen Beitrag damit auseinander gesetzt und uns erklärt, was die Wissenschaft dazu meint. Kurz zusammengefasst ist das: Genau das Gegenteil ist der Fall! Triggerwarnungen helfen Betroffenen, gezielter den Umgang mit ihren persönlichen Triggern zu lernen.
Triggerwarnungen nehmen den Leuten nichts, sondern geben ihnen etwas: die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen.
Selten wird aus einem Klappentext ersichtlich, dass im Text eine Vergewaltigung geschildert oder grafisch auf einen Selbstmord eingegangen wird. Das sind Themen, da sind wir uns hoffentlich alle einig, die definitiv triggernd wirken können. Betroffene, die solche Trigger haben, würden ohne Warnung mit dieser Szene konfrontiert werden. Das nimmt ihnen die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie im Moment stabil genug sind, um damit umgehen zu können. Sicherlich können sie jederzeit das Buch zur Seite legen, aber oft ist dann der Schaden schon angerichtet.
Ich beispielsweise werde von detaillierten Beschreibungen von SVV (besonders dem »klassischen« Schneiden) getriggert. Es ist mir nun schon ein paar Mal passiert, dass ich völlig unvorbereitet und ohne Warnung in eine solche Szene stolperte. In instabilen Phasen hat das durchaus schon in mir das Verlangen nach SVV getriggert, und wenn ich dann mein Finalgon nicht in Griffweite habe, kann das übel enden. (Finalgon ist eigentlich eine Wärmecreme zur Behandlung von Gelenkbeschwerden. Nimmt man eine höhere Stärke und trägt sie dick auf, fängt sie an zu brennen, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Der Schmerz hat dann eine ähnlich entlastende Wirkung wie das SVV. Es gibt noch andere Möglichkeiten wie beispielsweise einen Eiswürfel auf die entsprechende Hautpartie drücken oder einen Haargummi gegen das Handgelenk schnippsen lassen.)
Ich las neulich den Vergleich mit der Angabe von Allergenen und er gefiel mir. Leute mit einer Nussallergie können eine tödliche allergische Reaktion erleiden, wenn sie Lebensmittel mit Nüssen zu sich nehmen. Manchmal sind die Nüsse nur in Spuren enthalten und nicht immer ist ersichtlich, ob sie enthalten sind. Daher wird das angegeben, damit die Betroffenen dann gleich wissen, was Sache ist. Ähnlich verhält es sich mit Triggerwarnungen. Wenn die Leute es nicht wissen, können sie es nicht meiden oder sich nicht entsprechend vorbereitet dem stellen.
Viele Betroffene wissen übrigens um ihre Trigger und haben mit der Zeit ihre Methoden entwickelt, um damit umzugehen. Ich lese dennoch Romane, in denen SVV vorkommt, obwohl das einer meiner Trigger ist. Und warum? Weil ich damit umzugehen gelernt habe und mich entsprechend darauf vorbereiten kann. Wenn ich es weiß.
Eben deswegen werde ich, nett gesagt, sehr fuchsig, wenn ich lese, dass Gegner von Triggerwarnungen sich hinstellen und sagen, dass sie keine Triggerwarnungen setzen, weil die Leute halt lernen sollen, damit umzugehen. Ein Mensch mit einer Essstörung begegne schließlich auch jeden Tag auf der Straße Essen.
Das ist dreist, grob unhöflich und zu alledem auch noch sehr übergriffig. Was diese Leute sich damit herausnehmen, ist, meine*n Therapeut*in spielen zu wollen. Sie nehmen sich heraus, besser als ich zu wissen, wie ich mit meinen Triggern umzugehen habe. Sie nehmen sich heraus, mich erziehen zu wollen. Sie nehmen sich heraus, ein Mitspracherecht bei etwas zu haben, das nur den/die Betroffene*n und ggf. Vertraute dieser Person etwas angeht. Sie nehmen sich heraus, über das private Leben und Erkrankungen von ihnen völlig fremden Personen zu bestimmen. Dreist ist eigentlich gar kein Ausdruck dafür.
Hinzu kommt: Ja, das reale Leben hat für mich auch keine Triggerwarnungen. Wenn ich eine glückliche Familie im Park spielen sehe, dann triggert mich das durchaus und löst in mir ganz bestimmte depressive Gedankenmuster aus. Dann kann es durchaus Tage dauern, bis ich aus diesem Loch wieder herausfinde.
Und eben genau deswegen wünsche ich mir eine Insel der Ruhe, wo ich mich nicht ständig mit der Scheiße in meinem Kopf auseinandersetzen muss. Wir alle haben schließlich Rückzugsorte, an denen wir uns erholen können, seien sie physisch oder mental. Lesen ist für mich so ein Rückzugsort. Stell dir vor, du hattest einen harten Arbeitstag, der echt mies lief. Du kommst heim, haust dich in deinen Lieblingssessel, willst das alles nur noch vergessen, und dann kommt auf einmal ein Wildfremder in deine Bude gestürmt und erinnert dich an jedes Detail deines beschissenen Tages. Nicht gerade das, was du dir erhofft hast, oder?
So ungefähr könnte man einen unerwarteten Trigger an einem entspannten Leseabend beschreiben. Puff, aus und vorbei die gemütliche Stimmung, abschalten geht jetzt erst mal gar nicht mehr. Schon dreht sich wieder das Gedankenkarussell, juchu! Also die ganze Arbeit um sonst, alles auf Anfang. Uff.
Zensieren Trigger? Definitiv nicht. Keine Ahnung, wer sich diesen Quatsch ausgedacht hat. Es wird den Leuten doch nichts genommen (eher im Gegenteil, siehe oben!). Beschränken sie einen im kreativen Fluss? Also ich mach mir ja erst hinterher Gedanken darüber, was alles in meinem Text triggernd wirken würde. Beschneiden sie die Meinungsfreiheit? Es verbietet ja niemand, jemals wieder über Missbrauch, Gewalt und Vertreibung zu schreiben, bloß nicht! Triggerwarnungen sind ein Hinweis auf den Inhalt, nichts weiter. Spoilern sie? Ich wüsste nicht, wo »Suizid« als Hinweis triggern könnte, wenn schließlich nicht einmal erwähnt wird, in welchem Kontext das passiert. Anders als würde ich mich jetzt hinstellen und euch verraten, wie die letzte Staffel »Game of Thrones« ausging.
Wie sollte im besten Falle also eine Triggerwarnung aussehen? Wo im Buch sie steht, ist mir vollkommen egal, Hauptsache sie steht irgendwo. Im Idealfall steht noch da »Suizid, Seite 245«, aber »Suizid« reicht im Prinzip auch vollkommen. Trigger wie »Essen« vergisst man gern einmal, aber solche Listen können schließlich stets erweitert werden, auch durch das Feedback der Leser oder eigene Reflektion. Bei Onlinetexten ist das besonders einfach, einfach noch mal fix den Text bearbeiten, bei eBooks fast ebenso. Bei Printexemplaren kann man die Änderung immerhin bei einer nächsten Auflage ergänzen und/oder es bis dahin beispielsweise auf der Verkaufsseite oder Homepage beim Buch erwähnen. Was alles einsagen wir mal, »gängiger« Trigger sein kann, verrät einem mMn schon der gesunde Menschenverstand. Welche Themen können belastend wirken? Welche gar retraumatisierend? Solche Themen zu benennen, kann nie verkehrt sein, und spezifischere Trigger können immer noch ergänzt werden.
Mir ist ehrlich gesagt völlig schleierhaft, warum so viele so vehement gegen Triggerwarnungen sind. Ich persönlich bin auch dagegen, sie wie Allergene gesetzlich verpflichtend zu machen, eben weil es so schwer ist, wirklich jeden Trigger im Text gesetzessicher zu erwischen. Es könnte beispielsweise jemand durch einen grünhaarigen, jungen Menschen in blau-gelben Vault 76 Anzug und mit einem Pitboy am Arm getriggert werden, der gerade eine Nukacola trinkt. Diese Person verklagt dann den/die Autor*in, gewinnt vor Gericht und der/die Autor*in ist dann der/die Gelackmeierte, weil er/sie einen so unglaublich spezifischen Trigger nicht erwähnt hatte. (Kleiner Spaß am Rande: Wer hat die Anspielung erkannt? Hände hoch!) Vielmehr sehe ich es als höfliches Entgegenkommen der Autor*innen an ihre Leser*innen an, wenn sie Triggerwarnungen anbieten, außerdem als weiterer Schritt zur Inklusion und zu einem harmonischen Miteinander.
Wer sich bewusst gegen Triggerwarnungen entscheidet, sollte sich immer bewusst sein, dass er willentlich andere Menschen einer potenziellen Gefahr aussetzt.