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Iss doch mal was!

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20.10.22 00:48
6 Ab 6 Jahren
Fertiggestellt

Auf einer Sommer-Veranstaltung meines Arbeitgebers werden Snacks verteilt. Man kann sich zwischen einem Donut und einer gesünderen Variante entscheiden. Ich nehme Option Nr. 2. Ein rundlicher Ehrenamtlicher Anfang 50 kommentiert meine Wahl ungefragt: „Ein Donut täte dir auch mal ganz gut!“ Er grinst stolz und zufrieden über sein ganzes Gesicht. Ich sehe den Mann zum ersten Mal. Und er tut etwas, von dessen Existenz er wahrscheinlich noch nicht einmal weiß: Skinny Shaming.

Genervt denke ich: „Ja, ganz bestimmt täte mir diese Zuckerbombe ausgezeichnet. Ich freue mich schon riesig auf die gesundheitlichen Auswirkungen vom übermäßigen Zuckerkonsum: Pickel, Karies, tiefe Falten, Cellulitis, ein schwaches Immunsystem, Aggressionen, Diabetes Typ 2 … Einfach traumhaft!“ Ironie aus. Diese gesundheitlichen Aspekte hat mein „Kollege“ bei seinem „Ratschlag“ wohl nicht beachtet. (An dieser Stelle möchte ich es mit meinen Ausführungen nicht völlig übertreiben und damit anderen die Freude am Süßen nehmen …)

Worauf er hinaus wollte, war natürlich mein Körpergewicht. Ich bin zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt und wiege bei einer Körpergröße von 1,61 m ca. 48 kg. In den 13 Jahren davor variierte mein Gewicht nur leicht zwischen 47 und 52 kg. Eine Standpauke kann ich dem Typen aufgrund seiner wichtigen Funktion leider nicht halten! Ich weiß auch, dass er es eigentlich nicht böse meint. Aber was genau stört mich so an seinem Kommentar?

Es ist seine Übergriffigkeit gepaart mit Unwissenheit und Ignoranz. Jemand Fremdes etwas Ungesundes zu empfehlen, weil er/sie sehr schlank ist, macht einfach keinen Sinn! Doch das ist es noch nicht ganz: Mit seiner Aussage nimmt er sich das Recht, ungefragt über meinen Körper zu urteilen. Und sein Urteil kommt übersetzt so bei mir an: „Du bist einfach zu dünn! So wie du bist, genügst du nicht! “

WEDER DAS ERSTE NOCH DAS LETZTE MAL

Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass sich jemand das Recht herausgenommen hat, meinen Körper zu kommentieren und ihn dabei als zu dünn zu bewerten.

Fast jeder zierliche Mensch hat diese eine füllige Tante, die einen auf jedem Familienfest ständig darauf hinweist, wie dünn man ist; danach fragt, ob man überhaupt irgendetwas isst und einem mit Essen mästen will. Auch diese Tante meint es eigentlich gut. Was bei mir ankommt, ist aber wieder ein ungefragtes Urteil über meinen Körper: „Du bist zu dünn, um gesund zu sein! Du bist zu dünn, um schön zu sein!“

BODYSHAMING: FAT- UND SKINNY SHAMING

Stellen wir uns das Ganze mal andersherum vor: Ich hätte dem rundlichen Mitarbeiter empfohlen, auf den Donut zu verzichten. Oder ich würde bei jedem Familientreffen ständig das Übergewicht meiner Tante kommentieren und ihr dringend eine Diät empfehlen. Schließlich mache ich mir nur Sorgen um ihre Gesundheit und um ihr äußeres Erscheinungsbild. Wären die beiden dankbar für meinen Tipp und würden sie sich wertgeschätzt fühlen? Sicherlich nicht! Das wäre ein absolutes No-Go und käme Fatshaming sehr nah.

Zum Fatshaming gibt es in den (sozialen) Medien in den letzten Jahren eine Gegenbewegung –endlich! Frauen mit Kurven und in Plussize präsentieren sich stolz auf Instagram und werden dafür gelobt. Das ist auch gut so. Weibliche Runden sind schön und jede Frau sollte sich in ihrem Körper wohlfühlen dürfen. Doch an vielen Stellen geschieht diese Gegenbewegung zum Fatshaming auf Kosten von dünnen Menschen. Vielen scheint es einfach nicht klar zu sein, dass urteilende oder gar abwertende Kommentare gegenüber sehr schlanken Menschen genau wie das Fatshaming eine Art von Bodyshaming sind. Sie greifen an, sie verletzen.

Skinny Shaming hat sich tief in die Gesellschaft und die (sozialen) Medien eingebürgert. Dünne Menschen bekommen ständig Sprüche gedrückt: „Iss doch mal was! Du bist nur noch ein Strich in der Landschaft!“ Oder auch: „Du siehst aus wie ein Skelett“. Besonders schlimm finde ich diesen beliebten Spruch hier: „Richtige Männer stehen auf Kurven, nur Hunde spielen mit Knochen!” Also mein Mann kommt mir doch schon wie ein richtiger Mann vor und ich scheine ihm so zu gefallen, wie ich bin. Von Männern mal abgesehen: Sollte Frau ihren Körper nur dann schön finden dürfen, wenn es auch andere tun?

ICH WILL SO BLEIBEN WIE ICH WILL!

Ich habe es satt, mich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich es nicht nur mag, sehr schlank zu sein, sondern es auch noch bevorzuge, so schlank zu bleiben!

Der wichtigste Grund dafür ist, dass mein geringes Gewicht kein gesundheitliches Problem darstellt – im Gegenteil. Seit Jahren trinke ich keinen Alkohol, rauche nicht, schlafe ausreichend und versuche Stress zu vermeiden. Eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung ist mir wichtig, gelingt jedoch nicht immer. Ich treibe täglich Sport: Tanzen oder Fitness. Zwischen zehn Minuten und drei Stunden am Tag. Mein Fokus liegt dabei auf meiner Fitness. Also auf Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Koordination. Beim Tanzen natürlich auch auf der Kunst. Abnehmen war dagegen nie mein Ziel. Meine Figur ist also das Ergebnis eines schnellen Stoffwechsels und eines gesunden Lebensstils. Fazit: Mein leichtes Körpergewicht ist gesund für mich, für meinen Knochenbau.

Der zweite Grund fürs Schlank bleiben ist eben der, dass ich meine Schlankheit nicht als Makel ansehe, sondern sie sogar als sehr ästhetisch empfinde. Ist es denn verwerflich, den Körper, den man geschenkt bekommen hat, zu lieben und ihn nach bestem Wissen und Gewissen zu pflegen? Ich denke nicht. Das gilt sowohl für natürlich Kurvige als auch für natürlich schlank gebaute Menschen.

„Echte Frauen“ können dick oder dünn sein. Sie können so aussehen, wie sie eben aussehen (wollen). Wir haben nicht alle dieselben Vorstellungen darüber, wie unser Körper auszusehen hat und das ist auch gut so! Ich appelliere an Bodypositivity auf beiden Seiten! Der Fokus sollte stets auf der Gesundheit liegen.

Übrigens: Kein fettleibiger oder magersüchtiger Mensch wurde jemals aufgrund von Bodyshaming plötzlich gesund! Daher: Bitte einfach sein lassen.

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Diese Story wird neben Gesundheit auch in den Genres Körperpflege, Beauty, Medien, Internet und Vermischtes gelistet.