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Wörter: | 649 | |
Zeichen: | 3.688 |
Der kalte Oktoberwind tanzte um mich herum, wirbelte mein Haar auf und fand einen Unterschlupf in meiner zu großen Jacke. Ich starrte immerzu auf die Straße. Autos, die kreuz und quer fuhren. Fußgänger, die versuchten, einen Weg durch diese Blechwelle zu finden. Fahrräder, die mit quietschenden Rädern stehen blieben und deren Besitzer verärgert gestikulierten.
Ampeln sprangen von rot auf grün und der unverkennbare Ton, der die Aufmerksamkeit der Fußgänger auf sich zog, ertönte. Ampeln sprangen von grün auf rot.
Aus der Bäckerei nebenan strömte mir der Duft von Croissants und frischen Brötchen entgegen. Passanten liefen mit vollen Einkaufstüten daran vorbei. Wenige schenkten den köstlichen Backwaren einen Blick. Manche traten hinein und dann hörte ich Kleingeld klirren. Gelächter. Die Jugendlichen auf der verdreckten Bank hörten Musik. Sie hallte von den hohen Mauern der Stadt wider und drang zusammen mit dem Straßenlärm in mein Ohr.
Wo war sie bloß? Ich seufzte und begann auf der Stelle zu treten. Ein Bus hielt vor meiner Nase, die Türen öffneten sich mit einem lauten Zischen. Dann strömten Fußgänger, wie eine Flut auf den Bürgersteig und verteilten sich in alle Richtungen. Mein aufmerksamer Blick suchte nach ihr. Versuchte ihr strahlend rotes Haar in der Menge auszumachen, doch ich entdeckte sie nicht. Sie war nicht da. Ungeduldig warf ich einen erneuten Blick auf die Uhr. Es war bereits eine Stunde vergangen, in der ich nichts anderes getan hatte als zu warten. Jeder vernünftige Mensch wäre schon längst gegangen, doch ich konnte nicht. Ich klammerte mich an der Hoffnung fest, dass sie jeden Moment auftauchen würde. Ihr zartes Stimmchen, das: "Tut mir so leid", rief. Dass der Zug Verspätung hatte, dass sie sich um ihre Mutter kümmern musste. Irgendetwas.
Meine eiskalten Finger tasteten nach meinem Handy in meiner Jackentasche. Ich zog es langsam hervor und entsperrte das Display. Keine Nachricht. Kein Anruf. Nichts. Die letzte Nachricht unseres Chats stammte von ihr: "Ich freue mich schon auf Freitag."
Ich schaute in meinen Kalender und auf das Datum. Heute war Freitag.
Doch jetzt war sie nicht da. War ich nicht gut genug für sie? Wollte sie nichts mit mir zu tun haben? Wieso tat sie mir so etwas an? Der plötzliche Schmerz drang tief in meine Brust. Messerstiche in meinem Herzen. So fühlte es sich an. Sie hatte mich versetzt.
Die Tränen konnte ich nicht zurückhalten. Sie waren warm und kullerten einzeln meine Wangen hinab. Verärgert wischte ich sie weg. Wieso sollte ich weinen? Anscheinend lag ihr nichts an mir. Warum sonst sollte sie das tun? Für einen kurzen Moment übermannte mich die Wut. Ich schmeckte sie auf meiner Zunge, hörte sie in lautem Rauschen in meinen Ohren. Ich sah sie in Form von roten Flecken vor meinen Augen. Ich wollte ihr wütende Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Nachrichten schreiben, wie man so feige sein könne. Aber ich tat es nicht. Die Wut dauerte nicht lange an. Verdampfen tat sie. Als hätte ich das Feuer mit Schaum erstickt.
Die Jugendlichen auf der Bank hatten eine neue Playlist gestartet. Melancholische Musik ertönte aus der Box. Sie beachteten mich nicht. Aber ich hatte das Gefühl, die Musik spiegelte meine Innenwelt wider.
Ich wollte warten. Wollte ich wirklich. Aber mich beschlich das Gefühl, dass es keinen Zweck hatte. Ich machte auf den Absatz kehrt. Ich entfernte mich von der Bushaltestelle. Jeder Schritt tat weh und doch fühlte es sich richtig an.
Der Oktoberwind tanzte um mich herum, wirbelte mein Haar auf und fand einen Unterschlupf in meiner zu großen Jacke.
Ampeln sprangen von rot auf grün und der unverkennbare Ton, der die Aufmerksamkeit der Fußgänger auf sich zog, ertönte.
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Silly • Am 22.10.2023 um 22:34 Uhr | |
Liebe Mira, ich kann es fühlen und das Salz der Tränen schmecken... Du hast sehr gefühlvoll und detailliert eine Situation beschrieben, die mich mitgenommen hat. Liebe Grüße Silly |
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Gesko • Am 24.03.2024 um 11:57 Uhr | |
Eine berührende Schilderung, flüssig und anschaulich erzählt. Bestätigt mich darin, warum ich es hasse, auf jemand warten zu müssen. Irgendwann habe ich beschlossen: Nur eine Viertelstunde. Und wenn es der Kaiser von China wäre! | ||
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BerndMoosecker • Am 28.11.2023 um 21:08 Uhr | |
Liebe Mira, Deine gefühlvolle Geschichte über den Schmerz, der einen ereilt wenn man versetzt wird, hat mich mitten ins Herz getroffen. Ich wurde nicht versetzt, aber das Gefühl, das mich ereilte, als ich nach einem langen gemeinsamen Weg allein auf der Straße stand und nicht wusste, wie es weitergehen könnte, ist genau das Gefühl, das Du in Deinen Worten beschrieben hast. Liebe Grüße Bernd |
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