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Fifty Shits of Gerda Schrömpels Grey

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10.03.24 06:58
18 Ab 18 Jahren
Fertiggestellt

 

Oder: Fifty shades of shit to be gray.

     

    Es gab eine Zeit, als Gerda Schrömpel nicht darüber nachgedacht hat: Ob sie nun jedes einzelne, graue Haar persönlich begrüßen oder eine Menstruations-Abschieds-Party mit Neumondgetrommel und schamanischem letzter-Tampon-Bestattungsritual feiern soll, um der Welt mitzuteilen, dass sie allmählich älter wird. Gerda Schrömpel ist eine gestandene Frau. Wenn sie auch lieber sitzen würde. Keine Ahnung, wie lange sie schon nicht mehr jung ist. Ihr Bindegewebe sagt: Schon länger. 

    Sie steht nur noch selten nackt vorm Spiegel. Weil sie ihren Gesichtsausdruck nicht erträgt - dieses mäandern zwischen Erstaunen und Fassungslosigkeit. Da hilft kein gutes Wort, kein Trost. „Auch das geht vorbei“, hieße, zu Ende gedacht: Wenn sie erst unterm grünen Rasen läge und wütend die Gänseblümchen von unten durch den Torfmull treten und schreien würde: „Aber ich war doch erst gestern noch aufm Santana-Konzert!“

    Eigentlich hat Gerda Schrömpel überhaupt kein Problem mit dem Älter werden. Womöglich ein klein wenig Übergewicht. Vielleicht ein klitzekleines Alkoholproblem - und auch erst, seit ihre Gynäkologin beim Ultraschall festgestellt hat: „Hier kann man es schon ganz deutlich sehen ... !

    „Was?“, hat Frau Schrömpel beunruhigt gefragt.

    „… das Schild an ihren Ovarien: SALE. ALLES MUSS RAUS!“

    Schön, dass es Frauen gibt, die so viel Humor haben, denkt Frau Schrömpel.

    Menschen ohne Bildungshintergrund bezeichnen Frauen wie Gerda jetzt als Alterspubertier, Shabby-Chic-Else oder menopausales Dörrobst. Für die Werbung und für Selbstoptimierungs- und Ratgeberliteratur ist sie nun keine Zielgruppe mehr: Weil es sich nicht mehr lohnt. In ihrem Alter. Jeder zweite Satz fängt nun mit : In meinem Alter ... an. Lieferanten, Busfahrer und Handwerker nennen sie immer häufiger „junge Frau“. Was soll das? Sie quatscht alte, dickbäuchige Silberrücken ja auch nicht mit „junger Bursche“ an.

    Wer in einem Land zu ihrer Zeit geboren ist - als es noch Worte gab wie: Sendeschluss, Testbild und Mittagsruhe und eine Entmietung aus dem mütterlichen Uterus meistens Zuhause, auf dem Küchentisch stattfand, der hatte das, was man eine schöne Kindheit nannte. Wenn die Erziehungsberechtigten es zuließen. Frische Luft und naturnahes Spielen war Pflicht. Nur im äußersten Notfall ließ man Kinder tagsüber wieder in die Wohnung, nachdem man sie nach draußen geschickt hatte: “Geh raus, spielen – und wehe, du klingelst! Wenn’s blutet, mach Spucke drauf und wenn du Hunger hast: Klau Äpfel!“

    Horden vernachlässigter Kinder mussten sich wie die kleine Gerda auf überfüllten Spielplätzen herumtreiben, sich in Banden zusammenrotten, um Verstecken, Fangen, Völkerball, Gummitwist oder mit Murmeln zu spielen. Jedenfalls sah es von außen so aus. In Wirklichkeit quälten und drangsalierten Ältere die jüngeren Opfer, indem sie diese, qua Körpergewicht, hoch oben auf der Wippe, „verhungern“ ließen. Mit der Kaltblütigkeit von Serienkillern blieben größere und schwerere Kinder so lange auf ihrem Sitz unten auf der Wippe hocken, bis ihr kleines, schwächliches Opfer, dass hoch oben in der Luft hing und ängstlich um Gnade bettelte, sich vor Angst einnässte. Manch waghalsiger Todessprung eines Fünfjährigen - mit Landung auf steinhartem Sand-Schottergemisch war teilnehmend zu beobachten. Wenn das Opfer dies überlebte und tränenblind und laut brüllend nach Hause lief, lauerten ihm bereits hinter der nächsten Hausecke kindliche Mafiosi auf, die ihn nach Kleingeld, Süßigkeiten oder Spielzeug filzten. 

    Es war nicht immer leicht, jung zu sein. Und dieser Stärkere-haben-das-Sagen-Contest zog sich weiter durch Gerda Schrömpels Leben: Die flotten Sechziger, die wilden Siebziger, die schrillen Achtziger … Was hat sie in ihrem Leben nicht alles essen oder trinken müssen: Mett-Igel, Jacobs Krönung, Persico, Ahoi-Brause, Toast Hawai, Feuerzangenbowle … bis sie irgendwann völlige Trendresistenz entwickelt hatte.

    Als junge Frau hat sie Kurse wie „Sinnliches Beckenbodentraining“ und „Postmenopausale Lyrik des 20. Jahrhunderts“ an der Volkshochschule belegt - neben „Blumenampeln aus Makramee“ und „Töpfern für Anfänger“. 

    Gerda Schrömpel war schon immer vielseitig interessiert. Auch an Männern. An vielseitigen Männern. Vom juvenilen Naturburschen bis zum glutäugigen Latin Lover war viel Schönes dabei. Bis sie in die Wechseljahre kam und für Männeraugen unsichtbar wurde. Für gutaussehende Naturburschen und glutäugige Ferienflirts geht sie höchstens als Claudia Obert-Verschnitt durch, die für Liebesdienste einiges springen lassen muss.

    Wenn Gerda Schrömpel dem unaufhörlichen Verfall und der Erschlaffung ihres Bindegewebes etwas Positives abringen soll, dann dies: Mit fortschreitendem Alter ist Flirten deutlich weniger strapaziös. Sie muss nicht mehr auf High Heels ihrem Mr. Lover-Lover auf der Tanzfläche mit einer kompletten Choreo und shakiraesken Bewegungen umzappeln. Als Seniorita darf sie relaxed sitzenbleiben und Männer wie eine argentinische Tango-Tänzerin mit Blicken zum Liebesdienst heranwinken. Von ihr wird nicht mehr erwartet, dass sie einen Strip in Lack und Leder hinlegt oder Blutgrätschen an der Stange turnt. Statt dessen darf sie nach einem opulenten Essen den oberen Hosenknopf öffnen und einer entspannten Zeit der Verdauung entgegensehen. Gerda Schrömpel findet, wer behauptet, es gäbe in der Menopause angeblich tausend Chancen zu entdecken und Sechzig sei das neue Vierzig, der lügt. Es sei denn, frau will vier Stunden täglich zur körperlichen Ertüchtigung nach der Pilates-CD von Barbara Becker turnen oder morgens nur noch Algen-Schlamm-Smoothies zur Entschlackung trinken. Oder sich in wandverspiegelten Muckibuden demütigen lassen, wo junge, muskelbepackte Männer ihr dabei zuschauen, wie sie auf einem Folterinstrument, das sich „Beinpresse“ nennt, ihre Beine spreizen lässt und das vom „Power House“ gebildete Zentrum so verzweifelt wie vergeblich anzuspannen versucht und dabei komische Grimassen schneidet. Für diesen ganzen Mist will Gerda Schrömpel gerne zu alt sein – und nicht mehr optimistisch genug, dass sie noch einen gutmütigen und schlichten Hulk findet, der ihre Vita finanzieren möchte. In ihrem Alter träumt frau höchstens davon, sich Mariah-Careyesk auf einem Sofa zu drapieren, sich guten Wein zuzuführen und sich dabei horizontal möglichst wenig zu bewegen, wenn sie ab und zu von halbnackten Bodybuildern zum WC getragen wird …

    Seit ihr bewusst ist, dass sie unaufhörlich altert, kommt Gerda Schrömpel an keinem Seniorenheim mehr vorbei, ohne Kruzifix und Knoblauch in der Tasche. Irgendwas zwischen Mittelalt, Silver Ager und Master Consumer zu sein, macht deutlich weniger Spaß, wenn gerade eine Karawane schlurfender, humpelnder Senior*innen in hornhautumbrafarbenen Übergangsjacken vorbei humpelt, von unsensiblen Alltagsbegleiter*innen angetrieben, die ihr grausam vor Augen führen, dass Altersarmut, Altersgebrechlichkeit, Senilität und Schnabeltassen-Blues nichts für Feiglinge ist. Wie soll sie, angesichts solcher real existierenden Gruselbilder des Altseins in den Jahren des Wechsels die Göttin in sich entdecken und bis in die Achtzig aussehen wie Frau Schöneberger? Die ist gerade Vierzig geworden … also das neue zwanzig. Wie die meisten öffentlichen Frauen verkündet die in ihrer BARBARA gerne Doppelbotschaften: Shaping-Unterwäsche, High Heels und Botox gehören unbedingt zum Frau sein dazu: „ Ich tu’ das für mich. Ich will nicht nur gefallen. Ich hab einen eigenen Sport-Coach, esse keinen Zucker, keine Kohlehydrate, kein Fleisch, trinke keinen Kaffee, keinen Alkohol, schlafe viel und koche immer frisch für meine Kinder …“

    Bevor Gerda Schrömpel sich in die, von Frau Schöneberger so hochgelobten, schlammfarbenen Spanx quetscht, die ihr Busen und Beckenboden unters Kinn hochzurren, mutiert sie lieber zu einer Unausstehlichen, die die junge Kassiererin bei ROSSMANN anfaucht: „Junge Dame, halten sie die Tena Ladys und das Vagisan beim Scannen extra so hoch, damit hier jeder in der Schlange mitkriegt, was sie über ihren Scanner ziehen?“

    Vielleicht ist es auch bviel schöner, in Würde zu verschlampen. Und so eine durchgeknallte Alte zu werden, die von kleinen Mädchen gefragt wird: „Oma, riechst du so komisch, weil du so allein bist und niemand dich lieb hat …?“

    Was bleibt also einer reifen Frau - außer einer Mischung aus Feminismus und Alkoholismus? Ein Leben lang hat Gerda Schrömpel selbst für fällige Wechsel gesorgt. Auf einen „Wind of Change“ in den Zellen würde sie liebend gerne verzichten. Ihre Trennungskompetenzen sind ordentlich entwickelt, was braucht sie jetzt Möpse, die nicht mehr keck am gewohnten Platz hervorlugen, sondern sich auf Selbstfindungstrip nach Osten, Westen oder Süden befinden? Es ist ein verdammter Mist: Kaum hat man als Frau im Oberstübchen alles beieinander, bricht einem der Rest weiter unten schon zusammen!

    Und falls wieder einer dieser Telefon-Verkäufer bei ihr anruft: „Herzlichen Glückwunsch, Frau Schrömpel, Sie haben gewonnen!“, wird sie mit zittriger Greisinnen-Stimme antworten: „Schön - und ich möchte mit Ihnen über Gott reden … !“

     

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