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| Kapitel: | 3 | |
| Sätze: | 878 | |
| Wörter: | 11.359 | |
| Zeichen: | 67.526 |
Es war ein Freitagabend wie jeder andere, oder so dachten sie zumindest. David Williams saß hinter seinem selbstgebauten DM-Screen aus Pappe in seinem Keller, umgeben von den üblichen Überresten eines D&D-Abends: kalte Pizza, leere Red Bull-Dosen, Chipstüten und genug Würfel um ein kleines Casino zu eröffnen. Er war sechsunddreißig, arbeitete in der IT und verbrachte seine Freitagabende damit vier andere Leute durch selbsterfundene Fantasiewelten zu führen, sie leiden zu lassen und gelegentlich fast zu töten. Es war das Beste am ganzen Leben.
Seine Spieler, seine Opfer wie er sie liebevoll nannte, saßen ihm gegenüber: Sarah, Ende zwanzig, Grafikdesignerin mit chronischen Impulsivitätsproblemen, die ihre Halbelf-Magierin Kira mit derselben Rücksichtslosigkeit spielte mit der sie ihr echtes Leben lebte. Emma, Grundschullehrerin mit der Geduld einer Heiligen, deren Elfen-Klerikerin Elara permanent verhindern musste dass die anderen drei sich umbrachten. Tom, stiller Bodybuilder der einen Zwerg-Barbar namens Thoran spielte und die Ironie dass ein zwei Meter Mann einen Zwerg spielte nie müde wurde zu erwähnen. Und Felix, Versicherungsverkäufer und heimlicher Meisterdieb, dessen Halbling-Schurke Finn alles klaute was nicht niet- und nagelfest war.
"Okay Leute", sagte David mit seiner DM-Stimme, tief und dramatisch, "ihr steht vor dem Portal. Es pulsiert mit dunkler Energie, die Luft knistert und dahinter hört ihr Schreie. Was macht ihr?" Sarah lehnte sich vor ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. "Ich gehe rein." Emma seufzte so tief dass ihre Seele mitzuseufzen schien. "Natürlich tust du das. Denkst du auch mal nach bevor du handelst?" "Wo wäre der Spaß dabei?" Tom lachte. "Ich folge Kira. Jemand muss sie beschützen wenn sie wieder Mist baut." "Das war EIN MAL!", protestierte Sarah. "Letzten Monat hast du versucht einen Drachen mit deiner Unterwäsche zu bestechen", sagte Felix trocken. "Das hätte funktionieren können!"
David nahm seine Würfel, aber nicht seine normalen abgegriffenen Würfel die er seit zehn Jahren benutzte. Heute hatte er etwas Besonderes dabei, etwas das er auf einem Flohmarkt von einem seltsamen alten Mann mit noch seltsameren Tattoos gekauft hatte. Die Würfel waren schwarz wie Obsidian, perfekt poliert, und die Zahlen glühten in tiefem Rot.. Der Verkäufer hatte gesagt: "Sei vorsichtig mit diesen, junger Mann. Sie zeigen immer die Wahrheit." David hatte gelacht, hatte fünf Euro bezahlt und war gegangen. Jetzt, als er die Würfel in der Hand hielt und ihre unnatürliche Wärme spürte, fragte er sich ob der Preis nicht zu günstig gewesen war.
"Jeder wirft auf Willenskraft", sagte er und seine Spieler griffen nach ihren Würfeln. Sarah rollte eine jämmerliche Drei, Emma eine Acht, Tom eine Fünf, Felix eine Neun. Standard-Würfe für einen Standard-Abend. David ließ seinen neuen W20 über seine Finger rollen und dann warf er. Die Würfel rollte über den Tisch, zwischen Cola-Flecken und Charakterbögen, und blieb liegen auf der Zwanzig. Perfekt. Aber dann begann die Zahl zu glühen, nicht das normale Glühen. Das Rot wurde heller, intensiver, bis der ganze Keller in blutrotes Licht getaucht war.
"Ähm, David?", sagte Sarah und schob ihren Stuhl zurück. "Was zur Hölle?" Aber David machte gar nichts, starrte nur auf die Würfel. Die Würfel begann zu vibrieren, zu summen, ein tiefes Geräusch das er in seinen Knochen fühlte. "David!", schrie Emma. "Hör auf damit!" "Ich mache nichts!", schrie er zurück und dann war alles schwarz. Sarah wusste sofort, dass etwas fundamental falsch war. Der Boden unter ihr war nicht Davids Teppich sondern weich und feucht und roch nach Erde und Leben. Die Luft war frischer als jede Luft die sie je geatmet hatte, kalt und süß. Ihr ganzer Körper fühlte sich anders an, leichter aber kraftvoller. Sie öffnete die Augen und sah Himmel und Bäume und Sonnenlicht das durch Blätter fiel in Mustern, die zu schön waren um echt zu sein.
Sie setzte sich auf und dann sah sie ihre Hände. Das waren nicht ihre Hände. Die Finger waren zu lang und schlank, die Nägel perfekt, und ihre Haut hatte einen goldenen Schimmer. Auf ihren Unterarmen waren Runen tätowiert, arkane Symbole und Sarah starrte darauf während ein Teil ihres Gehirns hysterisch zu lachen anfing, weil das unmöglich war.
"LEUTE!", schrie eine Stimme panisch. "WAS ZUR HÖLLE IST HIER PASSIERT?" Sarah fuhr herum und sah eine Elfe, eindeutig eine Elfe mit langen blonden Haaren und spitzen Ohren und violetten Augen. Sie trug eine weiße Robe und hielt einen hölzernen Stab und Sarah brauchte drei Sekunden bevor sie die Verbindung machte. "Emma?" Die Elfe starrte sie an, berührte ihre Haare, ihre Ohren. "Sarah? Warum siehst du aus wie... oh Gott, was ist passiert?"
"Was ist hier los?", kam eine tiefe Stimme und da stand ein echter Zwerg. Knapp über einen Meter groß, massiv gebaut mit roten Haaren und einem Bart der bis zur Brust fiel, Lederrüstung und eine Streitaxt auf dem Rücken. Er sah an sich runter, hob seine Hände, berührte seinen Bart. "Ich bin ein Zwerg. Ich bin ein verdammter Zwerg." Tom. Das war Tom. "Ich bin ein Halbling", kam eine dritte Stimme. Felix stand hinter einem Baum, klein mit lockigen Haaren und absurd großen behaarten Füßen, in dunkler Lederkleidung mit Dolchen am Gürtel. "Das kann nicht real sein. Wir träumen oder?"
Sarah hob ihre Hand und dachte an Magie, an Zauberformeln, und ihre Hand begann zu glühen. Blaue Energie knisterte um ihre Finger, bildete Muster in der Luft, und sie spürte die Macht durch ihren Körper strömen wie Elektrizität aber besser. "Oh mein Gott", flüsterte sie. "Ich kann Magie. Ich kann wirklich Magie." Sie lachte hysterisch und Emma war sofort bei ihr, legte einen Arm um sie. "Es ist okay", sagte Emma mit ihrer Lehrer-Stimme. "Es ist okay, wir finden raus was hier passiert."
"NEIN!", brüllte Tom und seine Zwergenstimme hallte durch den Wald. "Es ist nicht okay! Wir waren in Davids Keller! Und jetzt sind wir... was? In der Spielwelt? Als unsere CHARAKTERE?" Er lachte verzweifelt. "Das ist Wahnsinn." Felix kniete sich hin, berührte das Gras, roch daran, biss sogar ein Stück ab. "Es fühlt sich real an. Was auch immer das ist, es ist verdammt überzeugend."
Emma schloss die Augen, atmete tief durch, die Eins-bis-zehn-Methode. Als sie die Augen öffnete war sie ruhiger. "Okay. Wir bleiben ruhig. Was war das Letzte was passiert ist?" Sarah zwang sich zu denken. "Wir haben gespielt. Das Portal. David hat gewürfelt mit diesen neuen Würfeln..." "Und sie haben angefangen zu glühen", sagte Felix. "Rot. Dann der Blitz..." "Und jetzt sind wir hier", beendete Tom. "Als unsere D&D-Charaktere."
Sarah fühlte es dann, eine Flut von Erinnerungen die nicht ihre waren. Sie wusste plötzlich Zaubersprüche, konnte Geschichte rezitieren, erinnerte sich an einen fünften Geburtstag als Kira als ihr Vater ihr einen Zauberstab schenkte. Aber das war nicht passiert, nicht Sarah, das war Kira. "Habt ihr auch diese Erinnerungen?", fragte sie leise. "Erinnerungen die nicht eure sind?" Emma nickte. "Elara. Ich habe Elaras Erinnerungen. Das Kloster wo ich aufgewachsen bin, Gebete zu Sehanine." "Finn", sagte Felix. "Aufgewachsen auf den Straßen, erster Diebstahl mit acht. Ich erinnere mich als wäre ich es gewesen."
Tom schwieg, seine Fäuste geballt. "Tom?", fragte Sarah sanft. "Ich erinnere mich an meinen ersten Kampf", sagte er rau. "Thoran war fünfzehn. Orc-Überfall. Sein Vater gab ihm eine Axt. Er tötete zwei Orcs, rettete seinen Bruder." Seine Stimme brach. "Ich kann ihn vor mir sehen, kann das Blut riechen. Aber ich HATTE keinen Bruder. Thorans Erinnerungen sind jetzt meine und ich weiß nicht mehr was echt ist." Emma sprach, die Stimme der Vernunft. "Wir sind immer noch wir. Ich erinnere mich an mein echtes Leben. Diese anderen Erinnerungen sind wie ein zweiter Track. Aber ich bin immer noch Emma. Ihr seid immer noch ihr." "Zwei Seelen in einem Körper", murmelte Felix. "Das ist entweder poetisch oder beängstigend." "Beides", sagte Sarah und dann fragte sie: "Wo ist David?"
Sie sahen sich um, wirklich um. Wald so weit das Auge reichte, riesige Bäume, Sonnenlicht durch Blätter. Keine Spur von David. "Vielleicht ist er woanders gelandet", sagte Emma. "Wir müssen ihn suchen." "Oder er ist nicht hier", sagte Felix leise. "Vielleicht nur die Spieler wurden transportiert. Der Dungeon Master ist noch in der echten Welt." Die Vorstellung war zu deprimierend. "Wir finden es raus", sagte Sarah. "Aber zuerst—"
Aus dem Wald kam ein Knurren, tief und bedrohlich. Alle erstarrten. Tom griff nach seiner Axt, Felix nach seinen Dolchen, Sarah hob ihre Hände und fühlte Magie kribbeln, Emma hielt ihren Stab. Das Knurren kam näher, Büsche bewegten sich, und dann trat es aus den Schatten. Ein Wolf. Aber größer als ein Pferd mit schwarzem Fell, roten Augen, Zähnen wie Dolche. Schatten wirbelten um seinen Körper und Sarah wusste mit Kiras Wissen dass das ein Schattenwolf war, Level 6, tödlich.
"Schattenwolf", flüsterte sie. "Level 6. Resistent gegen normale Waffen, verwundbar durch Magie und Silber." "Wir sind Level 5", sagte Felix bleich. Der Wolf machte einen Schritt näher, sein Knurren bebte in ihrer Brust. Tom positionierte sich vor den anderen. "Was machen wir?", flüsterte Emma. "Wir kämpfen", sagte Sarah. "Oder wir sterben." "Großartige Optionen", murmelte Felix. Der Wolf knurrte ein letztes Mal. Dann sprang er.
Er war unglaublich schnell, eine schwarze Masse die durch die Luft schoss. Sarah schrie, hob ihre Hände, dachte an Feuer. "FEUERBALL!" Und Feuer explodierte aus ihren Handflächen, eine rollende Kugel die den Wolf mitten im Sprung traf. Die Explosion schleuderte ihn zur Seite, sein Fell rauchte, aber er war nicht tot, er war wütend, fixierte Sarah. "DAS HAT FUNKTIONIERT!", schrie sie ungläubig. "ICH HABE GERADE EINEN FEUERBALL GEWORFEN!" "GROSSARTIG JETZT MACH ES NOCHMAL!", brüllte Tom aber der Wolf sprang wieder, zielte auf Sarah. Tom warf sich dazwischen, seine Axt traf die Schulter des Wolfs, schnitt tief. Schwarzes Blut spritzte. Der Wolf heulte, landete, schnappte nach Toms Arm. Zähne gruben sich durch Rüstung in Fleisch. Tom schrie.
"TOM!", brüllte Emma und ihr Stab glühte weiß-gold. "HEILIGE FLAMME!" Ein Strahl aus göttlichem Licht traf den Wolf wie ein Hammer. Das Monster heulte, ließ Tom los, sprang zurück, die Haut verbrannt. Felix war bereits in Bewegung, glitt unter dem Wolf hindurch, beide Dolche blitzten. Er schnitt an der Unterseite entlang, sprang auf, rollte ab. Der Wolf taumelte, drei Wunden jetzt, geschwächt. Er wirbelte und fixierte Felix, setzte zum Sprung an. "NEIN!", schrie Sarah und hob beide Hände, fühlte Magie strömen heißer als zuvor. "FEUERSTRAHL!" Ein konzentrierter Strahl aus Flammen schoss aus ihren Handflächen, traf den Wolf direkt ins offene Maul. Das Monster heulte, ein schrecklicher Laut der abbrach als der Feuer seinen Rachen verbrannte. Es landete, zuckte, rauchte, und wurde still. Der Schattenwolf lag tot da, seine Augen erloschen.
Stille. Nur schweres Atmen. Sarah sank auf die Knie, ihre Hände zitterten unkontrollierbar. Sie hatte gerade ein Monster getötet, hatte Leben genommen mit Magie. "Ist es tot?", fragte Emma weinend. Tom ging näher, stieß den Wolf mit dem Fuß. "Ja. Wir haben es getötet." Felix kam zurück, seine Dolche blutig. "Wir haben ein verdammtes Monster getötet." "Wir hätten sterben können", sagte Emma und ließ ihren Stab fallen, sie sank zu Boden. "Das war real, wir hätten wirklich sterben können." "Aber wir sind nicht gestorben", sagte Tom erstaunt. "Wir haben gekämpft und gewonnen." Sarah sah auf ihre Hände die immer noch glühten. Sie hatte zwei Zauber gewirkt, hatte getötet. Ein Teil von ihr, der Kira-Teil, fühlte Stolz. Aber Sarah fühlte hauptsächlich Angst.
"Was machen wir jetzt?", fragte Felix leise. Emma stand auf, wischte ihre Tränen weg und Sarah sah Entschlossenheit zurückkehren. "Wir finden raus wo wir sind. Wir suchen nach Zivilisation, nach Menschen, nach jemandem der uns sagen kann was passiert ist. Und wir finden David oder einen Weg zurück." "Und wenn es keinen Weg zurück gibt?", fragte Sarah. Emma sah sie an mit ihren violetten Augen. "Dann überleben wir. Zusammen. Das ist was wir immer getan haben." Tom hob seine Axt auf. "Zusammen." Felix nickte. "Zusammen." Sarah stand auf. "Zusammen."
Sie standen im Kreis um den toten Wolf, verloren in einer fremden Welt. Aber sie waren am Leben und sie waren zusammen und vielleicht war das genug für jetzt.
Sie gingen eine Stunde durch den Wald bevor jemand den Mut hatte etwas zu sagen. Felix führte die Gruppe und seine neuen Halbling-Instinkte ließen ihn Pfade sehen die für normale Augen unsichtbar waren. Es war seltsam wie natürlich sich das anfühlte, als hätte er sein ganzes Leben in Wäldern verbracht statt in Düsseldorfer Büros. Tom ging am Ende mit seiner Axt über der Schulter und beobachtete ihre Rückseite. Seine Zwergenbeine waren kürzer aber irgendwie ermüdeten sie nicht so schnell wie seine menschlichen Beine es getan hätten. Emma und Sarah gingen in der Mitte und beide zitterten noch vom Kampf, versuchten zu verarbeiten dass sie gerade ein lebendes Wesen getötet hatten.
"Wir müssen darüber reden", sagte Emma schließlich, weil sie immer diejenige war die schwierige Gespräche anfing. "Über das was passiert ist." Tom lachte bitter und der Klang hallte durch die Bäume. "Welchen Teil meinst du? Den Teil wo wir in eine Fantasy-Welt transportiert wurden oder den Teil wo wir fast von einem Wolf gefressen wurden der größer war als mein Auto?" "Vielleicht beide?", schlug Emma vor und versuchte zu lächeln. Sarah blieb stehen und die anderen blieben ebenfalls stehen, bildeten einen kleinen Kreis zwischen den alten Bäumen. "Habt ihr gemerkt wie natürlich sich das angefühlt hat? Der Kampf?", fragte sie und sah auf ihre Hände, die immer noch leicht zitterten. "Ich habe nicht nachgedacht, ich habe einfach gewusst was zu tun ist. Die Zauber, die Bewegungen, alles kam automatisch wie Reflexe."
"Muskelgedächtnis", sagte Felix nachdenklich. "Oder was auch immer die magische Entsprechung davon ist. Finn hat hunderte von Kämpfen überlebt und diese Instinkte sind jetzt Teil von mir. Als ich unter dem Wolf durchgeglitten bin, hat mein Körper gewusst was zu tun ist, auch wenn mein Gehirn geschrien hat, dass ich verrückt bin." "Thorans Kampferfahrung hat übernommen", sagte Tom und seine Stimme war leise, fast ehrfürchtig. "Ich erinnere mich an seine Trainingseinheiten, an seinen Vater der ihm beibrachte wie man eine Axt schwingt, an jahrelange Übung. Und in dem Moment wo der Wolf gesprungen ist, war ich nicht mehr Tom der IT-Support. Ich war Thoran der Barbar und das fühlte sich richtiger an als alles was ich je in meinem echten Leben gemacht habe." "Verschmelzen wir mit ihnen?", fragte Sarah besorgt und Emma konnte die Angst in ihrer Stimme hören, die Panik die knapp unter der Oberfläche brodelte. "Verlieren wir uns selbst?"
Emma dachte lange nach und wählte ihre Worte sorgfältig, weil das wichtig war, vielleicht das Wichtigste überhaupt. "Ich glaube nicht dass wir verschmelzen im Sinne von verschwinden. Ich glaube wir sind beide gleichzeitig. Ich bin Emma und ich bin Elara, zwei Bewusstseine in einem Körper, zwei Lebensgeschichten die parallel laufen wie zwei Lieder die gleichzeitig spielen. Wenn ich heile denke ich nicht daran wie ich es machen soll, ich weiß es einfach weil Elara es weiß. Aber wenn ich an mein Leben denke, an meine Wohnung und meinen Job und meine Katze, das ist alles noch da, nichts davon ist weg oder verschwommen. Beide Leben existieren gleichzeitig in meinem Kopf." "Zwei Leben für den Preis von einem", murmelte Felix düster. "Was für ein beschissenes Angebot."
Sie gingen weiter und nach einer weiteren halben Stunde lichtete sich der Wald allmählich. Zwischen den Bäumen sahen sie Zivilisation, Felder mit Weizen oder etwas das wie Weizen aussah, eine Straße aus festgetretener Erde die sich durch die Landschaft schlängelte, und in der Ferne Rauch von Schornsteinen. "Eine Stadt", sagte Emma erleichtert und beschleunigte ihre Schritte. "Oder ein Dorf zumindest, aber Zivilisation." "Vielleicht können sie uns helfen", fügte Sarah hinzu aber Felix schüttelte den Kopf und hob eine warnende Hand. "Oder uns töten. Wir haben keine Ahnung wo wir sind, welches Königreich das ist, ob hier Krieg herrscht, ob unsere Rassen willkommen sind oder verfolgt werden." "Was schlägst du vor?", fragte Tom und verschränkte die Arme. "Dass wir im Wald bleiben und verhungern?" Felix seufzte und rieb sich die Augen. "Nein, natürlich nicht. Aber lasst mich vorgehen und spionieren. Ich bin ein Schurke, Heimlichkeit ist meine Stärke. Ich kann reinschleichen, herausfinden ob es sicher ist." "Und wenn du nicht zurückkommst?", fragte Sarah mit besorgter Stimme. Felix grinste, das erste echte Grinsen seit ihrer Ankunft das sein ganzes Gesicht erhellte. "Dann wisst ihr dass die Stadt feindlich ist und solltet schnell in die andere Richtung rennen."
Er verschwand im hohen Gras bevor jemand protestieren konnte, einfach weg. Sarah fragte sich ob sie alle solche Fähigkeiten hatten, ob ihre Charakterklassen ihnen Dinge ermöglichten die für normale Menschen unmöglich schienen. Sie setzte sich ins Gras und die anderen taten es auch, alle erschöpft von der Wanderung und dem Adrenalin-Crash nach dem Kampf. "Wie geht es deinem Arm?", fragte Emma und kroch zu Tom rüber, ihre Augen fixiert auf seine blutige Rüstung. "Tut weh", gestand Tom und verzog das Gesicht als er sich bewegte. "Aber weniger als es sollte. Ich glaube Zwerge haben höhere Schmerztoleranz oder dickere Haut oder so etwas." Emma legte ihre Hand auf die Wunde und murmelte Worte in einer Sprache die Sarah nicht verstand, eine fließende melodische Sprache die wie Musik klang. Goldenes Licht umhüllte Toms Arm und als Emma die Hand wegnahm war die Wunde nicht weg aber deutlich besser, die tiefen Bissspuren jetzt nur noch oberflächliche Kratzer die kaum bluteten.
"Heilmagie", flüsterte Tom erstaunt und berührte seinen geheilten Arm mit zitternden Fingern. "Du hast mich gerade mit Heilmagie geheilt wie in einem verdammten Videospiel." Emma sah auf ihre glühende Hand und Tränen liefen über ihre Wangen. "Elara konnte das, ich konnte das, ich meine ich kann das..." Sie brach ab und wischte sich die Tränen weg mit dem Handrücken. "Das ist zu viel. Das ist alles zu viel für mein Gehirn zu verarbeiten." Sarah rutschte näher und nahm Emmas Hand, drückte sie fest und versuchte durch die Berührung Trost zu spenden. "Wir schaffen das zusammen. Wir haben einen verdammten Schattenwolf getötet, wir können alles schaffen wenn wir zusammenbleiben." "Können wir?", fragte Emma und ihre Stimme brach, wurde klein und verletzlich. "Sarah, wir sind normale Menschen. Ich bin Grundschullehrerin, ich bringe Kindern das Alphabet bei. Tom macht IT-Support und hilft Leuten ihre Computer neu zu starten. Felix verkauft Versicherungen. Du machst Grafikdesign. Wir sind keine Helden, wir sind keine Abenteurer. Wir spielen nur so am Freitagabend zum Spaß."
"Aber jetzt sind wir es", sagte Tom fest und seine Stimme hatte eine Entschlossenheit die Sarah selten von ihm gehört hatte. "Ob wir wollen oder nicht, ob es fair ist oder nicht, wir sind jetzt unsere Charaktere. Wir haben ihre Fähigkeiten, ihre Stärken, ihre Erinnerungen und ihr Wissen. Und solange wir zusammenbleiben, solange wir einander vertrauen und unterstützen..." Er ließ den Satz hängen aber sie alle wussten was er meinte, fühlten die unausgesprochene Wahrheit. Zusammen hatten sie eine Chance zu überleben, getrennt waren sie verloren in einer Welt die sie nicht verstanden.
Felix kam nach zwanzig Minuten zurück und materialisierte sich aus dem Gras wie ein Geist, so plötzlich dass alle zusammenzuckten. "Die Stadt heißt Grünfurt", sagte er und setzte sich zu ihnen ins Gras, noch keuchend von seinem Lauf. "Handelsstadt, politisch neutral, keine aktuellen Kriege soweit ich sehen konnte. Sollte relativ sicher sein für uns." "Sollte?", fragte Sarah skeptisch und hob eine Augenbraue. "Nichts ist jemals hundert Prozent sicher in einer Welt wo Monster existieren", sagte Felix pragmatisch. "Aber die Leute da scheinen normal zu sein, friedlich, beschäftigt mit ihrem Leben. Ich habe verschiedene Rassen gesehen, Menschen und Zwerge und Elfen und sogar einen Tiefling mit Hörnern. Wir werden nicht mehr auffallen als alle anderen, nicht mehr als üblich zumindest." "Dann gehen wir hin", entschied Tom und stand auf, klopfte Gras von seiner Hose. "Wir brauchen Informationen über diese Welt, wir brauchen Essen weil unsere Mägen schon knurren, und vielleicht einen Platz zum Schlafen in einem echten Bett." "Wir brauchen auch Geld", korrigierte Felix und zog eine kleine Ledertasche aus seiner Jackentasche. "Ich habe Finns Taschen durchsucht während ihr geredet habt. Er hatte drei Goldmünzen bei sich, das ist alles was wir besitzen." "Ist das viel?", fragte Emma hoffnungsvoll.
Felix' Augen wurden für einen Moment glasig während Finns Wissen aktivierte, fremde Erinnerungen über Preise und Wirtschaft flossen in sein Bewusstsein. "Genug für eine Nacht in einer billigen Taverne und vielleicht zwei bescheidene Mahlzeiten. Dann sind wir komplett pleite und müssen betteln oder stehlen." "Dann finden wir einen Job", sagte Sarah mit mehr Zuversicht als sie fühlte, versuchte optimistisch zu klingen. "Eine Quest oder so. Leute bezahlen Abenteurer für gefährliche Aufgaben oder? Das ist wie D&D funktioniert." "In Davids Kampagne ja", sagte Tom zweifelnd. "Aber das hier ist echt, das hier ist eine echte Welt mit echten Menschen. Wer sagt dass echte Leute echte Abenteurer bezahlen statt einfach selbst ihre Probleme zu lösen?" "Dann finden wir es raus", sagte Emma und stand auf, klopfte Gras von ihrer weißen Robe die schon Flecken hatte. "Los, bevor ich den Mut verliere und beschließe doch im Wald zu leben."
Sie gingen zur Stadt und mit jedem Schritt fühlte sich die Situation realer an, weniger wie ein Traum. Die Straße wurde breiter und gepflasterter, und sie begegneten anderen Reisenden. Händler mit Karren voller Waren, Gemüse und Stoffe und seltsame Dinge die Sarah nicht identifizieren konnte. Bauern die Körbe mit Eiern und Getreide trugen, ihre Gesichter wettergebräunt und müde. Sogar andere Abenteurer in verschiedenen Rüstungen mit Waffen an ihren Gürteln, die sie mit professioneller Neugier musterten. Die meisten schauten sie kurz an aber niemand schien schockiert oder ängstlich. Fantasy-Rassen waren hier normal, alltäglich, und Sarah musste sich immer wieder daran erinnern dass sie jetzt auch eine Fantasy-Rasse war, eine Halbelf mit spitzen Ohren und magischen Tattoos auf ihren Armen.
Die Stadttore waren offen und wurden von zwei Soldaten in grünen Uniformen bewacht, die sie durchließen ohne Fragen zu stellen, nur ein kurzes Nicken. Dann waren sie drin und Sarah musste stehen bleiben weil es zu viel war, zu real, zu überwältigend für ihre Sinne. Grünfurt war wie aus einem Fantasy-Film gesprungen aber realer, lebendiger, mit Gerüchen und Geräuschen und Details die kein CGI je reproduzieren könnte. Gepflasterte Straßen schlängelten sich zwischen Häusern aus Stein und Holz, manche drei Stockwerke hoch mit bunten Fensterläden. Geschäfte mit handgemalten Schildern, eine Bäckerei aus der der Duft von frischem Brot strömte, eine Schmiede wo ein Zwerg auf glühendes Metall hämmerte. Tavernen aus denen Musik und Lachen drangen, fröhliche Melodien gespielt auf Instrumenten die Sarah nicht kannte. Märkte voller Menschen und Nicht-Menschen die handelten und stritten und feilschten, ihre Stimmen vermischten sich zu einem konstanten Summen von Leben.
Es roch nach gebratenem Fleisch und exotischen Gewürzen und Pferdedung und hundert anderen Dingen, manche angenehm manche weniger. Über allem lag ein Summen von Leben das so anders war als jede moderne Stadt, lebendiger und chaotischer und irgendwie ehrlicher. "Das ist unglaublich", flüsterte Sarah und drehte sich im Kreis, versuchte alles gleichzeitig aufzunehmen. "Das ist alles so verdammt echt." "David hat das alles erfunden?", fragte Tom ungläubig und berührte eine Hauswand als müsste er sich vergewissern dass sie solide war. "Diese ganze Welt mit all diesen Details?" "Vielleicht hat er es nicht erfunden", sagte Felix nachdenklich und seine Augen waren weit vor Staunen. "Vielleicht hat er es entdeckt, vielleicht existierte diese Welt schon immer irgendwo und die Würfel waren nur ein Tor das uns hierher gebracht hat." "Das ist sehr philosophisch für jemanden der vor ein paar Stunden noch Versicherungen verkauft hat", sagte Tom aber er klang nicht spöttisch, nur müde und überfordert.
Felix führte sie durch die gewundenen Straßen zu einer Taverne mit einem verblassten Schild das einen lachenden Bären zeigte, halb verdeckt von wildem Wein. Drinnen war es laut und voll und wunderbar normal in seiner Chaos. Abenteurer saßen an groben Holztischen und tranken aus Krügen, erzählten Geschichten von Monstern und Schätzen mit lauten Stimmen und großen Gesten. An den Wänden hingen Bretter aus Kork mit Pergamenten festgepinnt, Quest-Angebote vermutlich, Hilfegesuche von verzweifelten Menschen. Sie setzten sich an einen Tisch in der Ecke, weit weg von den meisten anderen, und eine Kellnerin kam sofort angerannt. Sie war eine junge Frau mit freundlichem rundem Gesicht, Mehl auf ihrer Schürze und Erschöpfung in ihren Augen.
"Was darf's sein für die hungrigen Reisenden?", fragte sie mit einem Lächeln das echt wirkte. "Vier Biere und was auch immer ihr zu essen habt das schnell geht", sagte Felix geschäftsmäßig und legte eine Goldmünze auf den Tisch mit einem zuversichtlichen Klicken. Die Kellnerin nahm sie, biss darauf um zu testen ob sie echt war, was Sarah fasziniert beobachtete, nickte zufrieden und verschwand in der Menge. "Hat sie gerade auf unsere Münze gebissen?", fragte Sarah amüsiert. "Alte Gewohnheit um Falschgeld zu erkennen", erklärte Felix mit Finns Wissen das automatisch hochkam. "Blei ist weicher als Gold, man kann den Unterschied schmecken und fühlen mit den Zähnen." "Hier", wiederholte Emma und lachte ein bisschen hysterisch, ein Lachen das zu laut war für die Situation. "Wir sagen 'hier' als wären wir im Urlaub oder auf einer Geschäftsreise, nicht als wären wir in eine andere verdammte Dimension gefallen ohne Vorwarnung."
Das Essen kam überraschend schnell, dampfende Schüsseln mit Eintopf und frisches Brot und Bier in schweren Krügen. Sie aßen hungrig und schweigend, realisierten erst jetzt wie ausgehungert sie waren. Sie hatten seit dem Frühstück in Davids Keller nichts mehr gegessen, was gefühlt vor einem Leben gewesen war, in einer anderen Welt. Das Bier schmeckte anders als deutsches Bier, süßer und würziger mit einem Hauch von Honig, aber nach dem Tag den sie hatten schmeckte es wie Himmel. Um sie herum redeten Abenteurer und Sarah hörte zu, lauschte den Gesprächen und versuchte Informationen aufzusaugen wie ein Schwamm. Sie hörte Gerüchte über Monster im Norden, über politische Spannungen zwischen den Königreichen Eranor und Vestia, über einen Drachen der im Osten gesichtet wurde, über Quests mit hohen Belohnungen und tödlichen Risiken. Es klang alles vertraut weil es alles Dinge waren die David in seiner Kampagne benutzt hatte, aber hier waren sie real, nicht nur Geschichten die ein Dungeon Master erfand sondern echtes Leben mit echten Konsequenzen.
"Entschuldigung", sagte plötzlich eine tiefe Stimme neben ihrem Tisch und sie fuhren alle erschrocken herum. Da stand ein Mann, vielleicht fünfzig Jahre alt mit grauem Haar und freundlichen braunen Augen, einfache aber saubere Kleidung die von einem gewissen Wohlstand sprach. "Ihr seht aus wie Abenteurer, wie fähige Leute die wissen wie man mit einem Schwert umgeht. Seid ihr neu in der Stadt?" Sarah wollte lügen, wollte sagen dass sie schon lange hier waren, aber Felix war schneller. Der Schurke wusste instinktiv wann Ehrlichkeit nützlicher war als Täuschung. "Ja, gerade heute angekommen", sagte er vorsichtig aber nicht unfreundlich. "Warum fragt Ihr?"
"Mein Name ist Halwin und ich bin der Bürgermeister von Grünfurt", sagte der Mann und setzte sich ungefragt an ihren Tisch, faltete die Hände vor sich. "Ihr seht jung aus aber erfahren, und ich habe ein Problem das erfahrene Abenteurer braucht, Menschen die nicht vor Gefahr zurückschrecken." "Was für ein Problem?", fragte Tom misstrauisch und lehnte sich zurück, eine Hand unbewusst zu seiner Axt wandernd. Halwin seufzte tief und schwer. "Goblins. Sie haben sich im alten Bergwerk östlich der Stadt eingenistet vor etwa einem Monat. Seitdem überfallen sie unsere Händler auf den Straßen, stehlen Waren und töten jeden der sich wehrt. Wir haben schon drei Menschen verloren, gute Menschen mit Familien. Wir brauchen jemanden der die Goblins vertreibt oder eliminiert, und unsere eigenen Soldaten sind zu wenige und zu unerfahren für so eine Aufgabe."
"Bezahlung?", fragte Felix direkt und ohne Umschweife, immer der Geschäftsmann. Halwin zögerte nicht. "Fünfzig Gold für die Gruppe. Plus was auch immer ihr im Bergwerk findet, dürft ihr behalten. Waffen, Schätze, alles gehört euch." Fünfzig Gold klang nach viel aber Sarah hatte keine Ahnung ob es viel war, hatte keinen Referenzpunkt. Sie sah die anderen an und versuchte stumm zu kommunizieren, ihre Gedanken durch Blicke zu teilen. Emma kaute auf ihrer Unterlippe was sie immer tat wenn sie nachdachte. "Wie viele Goblins schätzt Ihr?", fragte Tom ernst. "Unsere Scouts die das Gebiet beobachtet haben schätzen zwanzig bis dreißig, vielleicht mehr. Es ist schwer zu sagen weil sie ständig rein und raus gehen." Tom tat schnell die Mathematik und Sarah konnte es in seinen Augen sehen, konnte sehen wie Thorans Kampferfahrung die Chancen kalkulierte. "Können wir eine Minute privat überlegen?", fragte Emma höflich mit ihrem besten Lehrer-Lächeln.
Halwin nickte verständnisvoll und stand auf. "Natürlich, natürlich. Nehmt euch die Zeit die ihr braucht. Ich bin an der Bar wenn ihr euch entschieden habt." Er ging und sofort lehnten sich alle vier über den Tisch, ihre Köpfe fast zusammen, ihre Stimmen flüsternd. "Können wir das wirklich?", fragte Sarah nervös. "Dreißig Goblins? Das sind viel mehr als der eine Wolf." "Wir haben einen Schattenwolf getötet", argumentierte Tom. "Und Goblins sind Level einhalb laut Standard-Regeln, viel schwächer als ein Schattenwolf. Das Problem ist die Anzahl." "Dreißig gegen vier", sagte Emma und ihre Stimme zitterte. "Das sind schlechte Chancen für uns, wir könnten alle sterben." "Aber wir haben Magie, Heilung, Heimlichkeit und Thorans Kampferfahrung", zählte Felix auf und tippte mit jedem Punkt auf den Tisch. "Und am wichtigsten, wir brauchen das Geld dringend. Ohne Geld können wir keine Vorräte kaufen, können nicht reisen, können nicht überleben in dieser Welt."
"Weitermachen wohin?", fragte Sarah frustriert. "Wir haben keinen Plan, keine Ahnung wo David ist oder wie wir zurückkommen oder ob es überhaupt möglich ist." "Dann ist das unser Plan", sagte Tom fest und schlug mit der Faust auf den Tisch, nicht laut aber bestimmt. "Wir nehmen die Quest, verdienen Geld, gewinnen Erfahrung im Kämpfen und Überleben. Und während wir das tun suchen wir nach Hinweisen, nach Informationen über David, nach einem Weg zurück in unsere Welt. Ein Schritt nach dem anderen." Es war nicht der beste Plan aber es war ein Plan, mehr als sie vor fünf Minuten gehabt hatten, eine Richtung statt ziellosen Umherirrens. "Abstimmung", sagte Emma demokratisch. "Wer ist dafür die Quest anzunehmen trotz der Gefahren?" Felix hob sofort die Hand ohne zu zögern. Tom zögerte einen langen Moment, sein Gesicht zeigte inneren Kampf, dann hob auch er die Hand. Sarah sah Emma an und Emma sah Sarah an, und sie hatten beide Angst, beide wussten dass sie sterben könnten, aber was war die Alternative? Hier sitzen und langsam verhungern? Aufgeben? Sarah hob ihre Hand mit zitternden Fingern. Emma seufzte so tief dass es wehtat, aber dann hob sie auch ihre Hand. "Dann sind wir uns einig", sagte Tom mit fester Stimme. "Wir machen es."
Sie riefen Halwin zurück und der Bürgermeister war so erleichtert dass Sarah sich fragte wie verzweifelt die Stadt wirklich war, wie viele andere Gruppen abgelehnt hatten. Er gab ihnen eine grobe Karte zum Bergwerk, gezeichnet auf altem Pergament, sagte ihnen dass sie morgen früh bei Tageslicht starten sollten, und gab ihnen einen rostigen Schlüssel für ein Zimmer in dieser Taverne auf Kosten der Stadt. "Seid vorsichtig da draußen", sagte er ernst und seine Augen waren traurig. "Die Goblins sind nicht nur dumme Kreaturen die man unterschätzen sollte. Sie haben einen Anführer, einen Hobgoblin namens Gruk der sehr intelligent und sehr gefährlich ist. Er hat schon Dörfer niedergebrannt und Dutzende getötet. Unterschätzt ihn nicht." "Wir werden vorsichtig sein", versprach Emma und Sarah hoffte inständig dass das nicht eine Lüge war, dass sie vorsichtig genug sein würden. Als Halwin ging saßen sie schweigend da und ließen die Realität ihrer Entscheidung einsickern wie kaltes Wasser. Morgen würden sie in ein Goblin-Versteck gehen, würden gegen dreißig Monster kämpfen, würden vielleicht sterben weit weg von ihren Familien und Freunden.
"Wir sollten einen detaillierten Plan machen", sagte Felix praktisch und breitete die Karte auf dem Tisch aus. "Strategie, Taktiken, wer macht was und in welcher Reihenfolge." "Thoran geht vorne", sagte Tom automatisch mit seiner DM-Stimme. "Zieht Aufmerksamkeit, tankt Schaden wie ein Barbarian sollte. Finn flankiert von den Seiten, nutzt Heimlichkeit für kritische Treffer. Elara bleibt mittlere Distanz, heilt und unterstützt mit Zaubern. Kira bleibt hinten, maximale Distanz, wirft Flächenzauber wie Feuerbälle." Es war exakt wie sie am Spieltisch seit Jahren spielten, ihre perfektionierten Rollen die sie in hunderten von Kämpfen geübt hatten. "Aber das war ein Spiel", sagte Sarah leise. "Das hier ist echt und wenn wir sterben gibt es keinen Respawn, keinen neuen Charakter, einfach nur Tod." "Dann sterben wir nicht", unterbrach Tom fest. "Wir sind ein gutes eingespieltes Team, wir kennen unsere Stärken und Schwächen. Wir haben das schon hundertmal gemacht, nur die Würfel waren anders." "Am Spieltisch", wiederholte Sarah frustriert. "Mit Würfeln und Charakterbögen und der Möglichkeit einfach neu zu starten wenn David uns alle tötet." "Dann", sagte Emma leise aber mit einer Stärke die Sarah bewunderte, "sorgen wir dafür dass es nicht schiefgeht. Wir planen jedes Detail, wir sind vorsichtig, und wir überleben zusammen."
Sie gingen nach oben in ihr Zimmer, eine knarrende Treppe hoch, und der Raum war klein mit vier schmalen Betten und einem Fenster, aber er war sauber und warm und fühlte sich sicher an. Sarah ließ sich auf eines der Betten fallen und starrte an die Holzdecke mit ihren Balken und Spinnweben, versuchte zu glauben dass das alles real war, dass sie hier war, dass morgen sie gegen echte Monster kämpfen würde mit echtem Leben auf dem Spiel. "Was wenn wir hier nie rauskommen?", fragte sie leise in die Stille des Raumes. "Was wenn das jetzt für immer unser Leben ist?" Niemand antwortete für eine lange schwere Zeit. Dann sagte Tom: "Dann lernen wir damit zu leben, machen das Beste draus, überleben so lange wir können." "Und suchen weiter nach einem Weg zurück", fügte Emma hinzu mit Entschlossenheit. "Wir geben nicht auf, egal wie lange es dauert." "Niemals", sagte Felix. Sie schliefen unruhig diese Nacht, jeder geplagt von Träumen die eine Mischung waren aus ihrem alten Leben und ihrem neuen, von Kellern mit Würfeln und Wäldern mit Monstern, von Pizza und Blut, von Freunden in der echten Welt und Gefahren in dieser. Und am Morgen als die Sonne aufging über Grünfurt und die Stadt zum Leben erwachte, standen sie auf, rüsteten sich und machten sich bereit für ihr erstes echtes bezahltes Abenteuer.
Sie brachen bei Sonnenaufgang auf nachdem sie in der Taverne gefrühstückt hatten, eine herzhafte Mahlzeit aus Haferbrei mit Honig und gebratenem Speck, die besser schmeckte als sie sollte. Vielleicht lag es daran dass sie wussten dass es ihre letzte Mahlzeit sein könnte, oder vielleicht war das Essen hier einfach besser als in ihrer Welt. Halwin hatte ihnen Rationen mitgegeben, getrocknetes Fleisch und Hardbread das ewig halten würde, und Wasser in Lederschläuchen die an ihren Gürteln baumelten. Die Karte war grob aber lesbar, zeigte einen Weg durch Farmland und dann in hügeliges Gelände, wo das Bergwerk sein sollte.
Es war ein schöner Morgen und die Sonne war warm auf ihren Gesichtern, vertrieb die Kälte der Nacht. Vögel sangen in den Bäumen, Melodien die Sarah nicht kannte aber trotzdem schön fand. Die Welt schien friedlich, fast idyllisch, und Sarah dachte dass es absurd war wie ruhig alles aussah wenn sie doch zu einem Kampf gingen der sie alle töten könnte. Felix führte die Gruppe wie immer, seine Halbling-Augen waren scharf und scannten ständig die Umgebung nach Gefahren. Tom ging direkt hinter ihm und seine Hand ruhte locker auf dem Griff seiner Axt, bereit sie zu ziehen bei der kleinsten Bedrohung. Emma und Sarah gingen zusammen am Ende der Gruppe, und Sarah merkte dass sie Emmas Gesellschaft brauchte, die Ruhe, die die Klerikerin ausstrahlte selbst wenn sie innerlich genauso nervös sein musste.
"Hast du Angst?", fragte Sarah leise nachdem sie eine halbe Stunde schweigend gegangen waren. "Todangst", gestand Emma ehrlich und lachte ein bisschen, ein nervöses Lachen das nicht lustig klang. "Aber Elara hat das hundertmal gemacht in ihren Erinnerungen. Ist in Dungeons gegangen, hat Monster bekämpft, hat ihre Gefährten geheilt und beschützt. Ihre Erinnerungen sagen mir dass wir das schaffen können, dass wir die Fähigkeiten haben." "Aber wir sind nicht sie", wandte Sarah ein. "Nicht wirklich." Emma sah sie mit diesen seltsamen violetten Augen an, die im Sonnenlicht fast leuchteten. "Nein, du hast recht, wir sind nicht sie. Aber wir sind auch nicht mehr nur wir selbst. Wir sind irgendwas dazwischen, eine Mischung aus beiden Leben. Und vielleicht, nur vielleicht, ist das genug um zu überleben."
Nach vier Stunden Marsch durch zunehmend ödes Gelände erreichten sie das Bergwerk. Es war ein gähnender Eingang in einen Hügel, umgeben von verfallenen Holzstrukturen die einmal Unterkünfte für Arbeiter gewesen sein mussten. Rostige Schienen führten aus dem Eingang heraus, überwuchert von Gras und Unkraut, Zeugnisse einer Zeit als hier noch gearbeitet wurde. Es sah verlassen aus, fast friedlich, aber Felix kniete sich sofort hin und untersuchte den Boden mit konzentrierter Miene. "Spuren überall", murmelte er. "Viele verschiedene Abdrücke, Goblin-Größe definitiv. Und hier, diese größeren Spuren, das könnte der Hobgoblin sein. Schwer zu sagen wie alt sie sind, aber nicht älter als einen Tag würde ich schätzen."
"Wie frisch?", fragte Tom und seine Hand umklammerte seine Axt fester. "Heute Morgen vermutlich, vielleicht vor ein paar Stunden. Sie sind aktiv, gehen rein und raus." Sie sahen sich an und ohne dass jemand etwas sagen musste checkten sie ihre Ausrüstung mit nervösen Händen. Tom testete den Griff seiner Axt und schwang sie ein paarmal, Felix zog seine Dolche halb aus ihren Scheiden und schob sie wieder zurück, Emma griff ihren Stab fester und murmelte ein leises Gebet, Sarah übte still eine Handbewegung für einen Feuerzauber und fühlte die Magie an ihren Fingerspitzen kribbeln. "Plan", sagte Tom mit seiner Anführer-Stimme. "Felix spioniert voraus, sieht wie viele Wachen es am Eingang gibt und wo sie stehen. Wir schalten sie leise aus wenn möglich, kämpfen laut wenn nötig. Aber wichtig: Wir bleiben zusammen, keine Helden-Solo-Aktionen." Er sah Sarah direkt und bedeutungsvoll an bei dem letzten Teil.
Sarah lachte nervös und hob die Hände defensiv. "Hey, das mit dem Drachen war EIN MAL und ich habe mich dafür entschuldigt!" "Zweimal", korrigierten Felix und Emma gleichzeitig mit identischen Stimmen, und trotz der Anspannung mussten alle kurz lächeln. Felix verschwand in den Schatten beim Eingang des Bergwerks, wurde eins mit der Dunkelheit in einer Weise die physikalisch unmöglich aussah aber irgendwie funktionierte. Seine kleine Gestalt verschmolz mit dem Schatten als wäre er nie da gewesen. Sie warteten und die Minuten fühlten sich an wie Stunden, jede Sekunde dehnte sich qualvoll. Sarahs Herz hämmerte so laut dass sie sicher war die anderen mussten es hören können. Dann war Felix zurück, so plötzlich dass Sarah zusammenzuckte.
"Zwei Goblin-Wachen direkt am Eingang", berichtete er leise. "Bewaffnet mit rostigen Kurzschwertern, tragen keine Rüstung soweit ich sehen konnte. Sie reden viel, streiten über irgendetwas, achten nicht wirklich auf ihre Umgebung. Wenn wir schnell sind und leise, können wir sie ausschalten bevor sie Alarm schlagen oder ihre Freunde warnen können." "Töten wir sie einfach so?", fragte Emma und ihre Stimme zitterte leicht, verriet ihren inneren Konflikt. "Ohne Warnung, ohne ihnen eine Chance zu geben?" Es war eine Sache Monster in Selbstverteidigung zu töten wenn sie angriffen, eine ganz andere war kaltblütige Eliminierung von Wachen die ihnen nichts getan hatten.
"Sie sind Monster", sagte Tom aber seine Stimme klang nicht ganz überzeugt, als würde er sich selbst davon überzeugen wollen. "Sie überfallen Händler, töten Unschuldige, haben laut Halwin schon drei Menschen getötet. Das ist nicht Mord, das ist Gerechtigkeit oder Selbstverteidigung oder wie auch immer man es nennen will." "Aber wir wissen nicht ob das stimmt", argumentierte Sarah und fühlte sich plötzlich unwohl. "Was wenn Halwin lügt oder übertreibt? Was wenn die Goblins nur hier leben wollen und die Menschen sie verdrängen wollen aus ihrem Territorium?" Felix schüttelte entschieden den Kopf. "Ich habe die Spuren draußen genau untersucht. Da war Blut, menschliches Blut gemischt mit den Fußspuren, vermischt mit gestohlenen Waren. Stoffreste, Münzen, ein Stiefel. Die Goblins töten und plündern Sarah, das ist keine Propaganda. Das ist Fakt."
"Dann", sagte Emma und schloss kurz die Augen als betete sie zu ihrer Göttin um Vergebung für das was sie gleich tun würden, "machen wir was wir tun müssen um zu überleben und anderen zu helfen." Sie schlichen zum Eingang, ihre Schritte so leise wie möglich auf dem steinigen Boden. Tom und Felix gingen voraus und Sarah sah fasziniert zu wie Tom sich bewegte mit einer Stille und Grazie die seiner massiven Zwergengröße komplett widersprach. Felix wurde praktisch unsichtbar, verschmolz mit jedem Schatten, bewegte sich wie Rauch. Die zwei Goblins standen neben dem Eingang und streitten lautstark in ihrer grollenden Sprache, kleine grüne Kreaturen mit spitzen Ohren und gelben Augen die im schwachen Licht leuchteten. Sie waren vielleicht einen Meter groß, dürr mit langen Armen, und ihre Zähne waren spitz wie Nadeln.
Tom und Felix bewegten sich synchron als hätten sie das tausendmal geübt. Tom's Axt schwang in einem sauberen präzisen Bogen und traf den ersten Goblin am Hals. Der Kopf flog in einem Bogen und der Körper sank lautlos zusammen. Felix' Dolch fand die Kehle des zweiten Goblins in derselben Sekunde, eine perfekte Bewegung, und beide Wachen waren tot bevor sie wussten was passierte. Beide Körper lagen im Staub, Blut sickerte langsam in den Boden, und Sarah fühlte sich krank. Sie hatte gerade zugesehen wie zwei Lebewesen getötet wurden, effizient und ohne Gnade, und ein Teil von ihr wollte schreien oder weinen. Aber Kiras Teil, der pragmatische Teil, sah es als notwendig, als taktisch klug, als Überleben. "Weiter", flüsterte Tom und wischte seine Axt an einem der toten Goblins ab.
Sie gingen ins Bergwerk und die Dunkelheit verschluckte sie. Der Tunnel war eng und niedrig, so niedrig dass Toms Kopf die Decke streifte und kleine Steinchen auf ihn rieselten. Fackeln an den Wänden gaben flackerndes oranges Licht, warfen tanzende Schatten die wie Monster aussahen. Es roch nach Schimmel und Fäulnis und etwas Tierischem, etwas das Sarah's Magen rebellieren ließ. Voraus hörten sie Stimmen, hohe Goblin-Stimmen in ihrer grollenden Sprache die Sarah's Ohren wehtat. "Verstehst du was sie sagen?", flüsterte Felix Sarah zu und blieb stehen. Sarah konzentrierte sich, ließ Kiras Wissen durchsickern wie Wasser durch einen Filter. "Gammalgoblin... sie reden über Essen, darüber dass sie Hunger haben und wann die nächste Karawane kommt die sie überfallen können. Einer beschwert sich dass der Boss, vermutlich der Hobgoblin, alles beste Fleisch für sich behält."
"Wie viele Stimmen?", fragte Tom. Sarah lauschte angestrengt. "Vier, vielleicht fünf verschiedene Stimmen, schwer zu sagen bei dem Echo hier." Tom sah sie alle der Reihe nach an. "Felix lenkt ab mit einem Geräusch, ich stürme rein und ziehe Aufmerksamkeit, Sarah und Emma bleibt zurück und unterstützt mit Fernkampf-Zaubern. Auf drei." Sie nickten alle, positionierten sich an den Wänden des Tunnels. Felix nahm einen losen Stein vom Boden, wog ihn in der Hand, und warf ihn dann mit präziser Kraft den Tunnel runter wo er mit lautem Klappern landete und über den Steinboden rollte. Die Goblin-Stimmen verstummten sofort, eine plötzliche beunruhigende Stille. Dann hörten sie Schritte, mehrere Paare kleiner Füße, die näher kamen.
Drei Goblins kamen um die Ecke, Kurzschwerter gezogen, neugierig aber auch vorsichtig. Ihre gelben Augen scannten die Dunkelheit. Tom wartete nicht eine Sekunde. Er brüllte, sein Barbar-Kriegsschrei hallte durch den engen Tunnel wie ein Donner, ein Schrei der in den Knochen vibrierte. Die Goblins erstarrten vor Schock, ihre Augen wurden riesig. Tom's Axt schwang in einem weiten Bogen und traf den ersten Goblin mitten in der Brust mit einem kranken Knirschen. Rippen brachen, Blut spritzte, und der Goblin fiel tot um. Sarah hob ihre zitternden Hände und diesmal dachte sie nicht nach, ließ Training und Instinkt übernehmen. "Magisches Geschoss!", rief sie und fühlte die Magie durch ihre Arme fließen.
Drei kleine Geschosse aus blauer magischer Energie materialisierten sich in der Luft vor ihr und schossen vorwärts wie leuchtende Pfeile. Sie trafen den zweiten Goblin in Brust, Hals und Kopf mit präziser Genauigkeit. Der Goblin schrie hoch und durchdringend, taumelte, und fiel dann auf sein Gesicht. Emma's Stab glühte weiß-gold, heiliges Licht erfüllte den dunklen Tunnel und trieb die Schatten zurück. "Heilige Flamme!", rief sie mit einer Stimme voller Kraft. Ein Strahl aus purem göttlichem Licht schoss aus der Spitze ihres Stabes und traf den dritten Goblin wie ein Hammerschlag. Das Monster schrie als heiliges Feuer seine Haut verbrannte, rauchte, und dann war es still. Drei tote Goblins in weniger als zehn Sekunden, und Sarah fühlte sich nicht mehr krank, sie fühlte sich taub und leer, als hätte ihr Gehirn entschieden dass Emotionen gerade zu gefährlich waren um sie zu fühlen.
Sie gingen tiefer in das Bergwerk und der Tunnel verzweigte sich mehrmals wie ein Labyrinth. Felix folgte den Geräuschen, den Stimmen, dem Licht der Fackeln, sein Orientierungssinn war perfekt. Sie kämpften sich durch weitere kleine Gruppen von Goblins, zwei hier an einer Kreuzung, drei da bei einem alten Minenwagen, und mit jedem Kampf wurden sie besser, ihre Bewegungen synchroner und flüssiger. Tom tankte und zog Aufmerksamkeit wie ein Magnet, sein massiver Zwergenkörper absorbierte Schläge die andere getötet hätten. Felix flankierte mit der Grazie eines Tänzers, seine Dolche fanden immer lebenswichtige Stellen, Kehlen und Herzen und Nieren. Emma heilte und unterstützte, ihr goldenes Licht hielt sie am Leben und gesund. Sarah warf Zauber mit zunehmender Zuversicht, Feuerbälle und magische Geschosse und einmal einen Blitz-Zauber den sie nicht wusste dass sie kannte, bis sie ihn wirkte und der Blitz aus ihren Fingern schoss.
Nach dem sechsten oder siebten Kampf ( Sarah hatte den Überblick verloren in dem Chaos ) fanden sie eine größere Kammer. Die Decke war höher hier, gestützt von dicken Holzbalken, und Fackeln erleuchteten den Raum in flackerndem Orange. Das war das Hauptlager und Sarah's Herz sank als sie sah was sie erwartete. Es war ein großer offener Raum, eine alte Minenkammer jetzt gefüllt mit Goblin-Leben. Mindestens zwanzig Goblins, vielleicht mehr, schwer zu zählen bei der Bewegung, alle beschäftigt mit verschiedenen Dingen. Einige kochten über offenen Feuern, rührten in Töpfen mit etwas das verdächtig nach Fleisch roch. Andere schärften Waffen auf Wetzsteinen, das schabende Geräusch hallte durch die Kammer. Einige schliefen in unordentlichen Haufen in der Ecke, schnarchten und zuckten. Andere stritten lautstark über Beute, zerrten an einem zerrissenen Stoffbeutel.
Und in der Mitte der Kammer, auf einem improvisierten Thron aus gestapelten Kisten und gestohlenen Waren, saß er. Der Hobgoblin. Er war fast so groß wie Sarah, vielleicht einssiebzig, mit rotbrauner Haut die wie gegerbtes Leder aussah. Muskeln spannten sich über seinen ganzen Körper wie gespannte Seile, jede Bewegung zeigte rohe Kraft. Narben kreuzten sein Gesicht und seine Arme in komplexen Mustern, Geschichten von hundert Kämpfen und überlebten Schlachten. Er trug grobe Lederrüstung die mit Metall verstärkt war, und eine große Kriegsaxt lehnte neben seinem Thron, die Klinge war gefleckt mit altem Blut. Seine Augen, dunkel und intelligent und völlig anders als die dummen Augen der Goblins, scannten sein Territorium wie ein König der sein Königreich überwacht.
"Scheiße", flüsterte Felix und seine Stimme war kaum hörbar. "Das ist kein normaler Hobgoblin. Das ist ein Kriegsherr, ein Anführer. Ich habe Finns Erinnerungen von solchen, sie sind Level fünf oder sechs mindestens." "Können wir gegen ihn gewinnen?", fragte Emma mit bleicher Stimme. Tom studierte den Raum mit Thorans taktischem Verstand, kalkulierte Winkel und Gefahren und Chancen. "Nicht frontal, definitiv nicht gegen zwanzig Goblins plus ihn gleichzeitig. Wir würden in Sekunden überrannt werden. Wir brauchen einen cleveren Plan, etwas das die Chancen ausgleicht." "Feuerball", sagte Sarah plötzlich und alle Köpfe drehten sich zu ihr. "Ich werfe einen großen Feuerball mitten ins Lager, töte so viele wie möglich im ersten Schlag. Das gibt uns eine Chance gegen den Rest, reduziert die Anzahl."
"Du würdest sie alle auf einmal töten?", fragte Emma schockiert und ihre Hand flog zu ihrem Mund. "Ohne Warnung?" Sarah fühlte sich schlecht aber Kiras Pragmatismus und Kälte übernahm ihren Verstand. "Es ist sie oder wir, Emma. Halwin bezahlt uns nicht um nett zu sein, er bezahlt uns um das Problem zu lösen. Wir können nicht fair kämpfen gegen solche Zahlen, wir müssen jeden Vorteil nutzen den wir haben." "Sie hat recht", sagte Tom widerwillig und seine Stimme war schwer. "Im Kampf gibt es keine fairen Regeln, keine Ritterlichkeit. Wir nutzen jeden Vorteil, oder wir sterben. Das ist die harte Wahrheit." Felix nickte langsam. "Aber der Feuerball wird die Hölle los treten und die Überlebenden werden wütend sein und auf uns zustürmen. Wir müssen bereit sein für totales Chaos danach."
Sie machten einen schnellen Plan, flüsternd und mit Handzeichen. Sarah würde den Feuerball werfen vom sicheren Tunneleingang aus, würde zielen auf die größte Konzentration von Goblins um die Feuer aber weg vom Hobgoblin weil sie ihn nicht sofort töten konnten. Tom und Felix würden sich positionieren im engen Tunnel wo nur wenige Goblins gleichzeitig durchkommen konnten, würden sie abfangen in einem tödlichen Flaschenhals. Emma würde heilen wann immer nötig und mit Fernkampf-Zaubern helfen. Es war nicht perfekt, es gab hundert Dinge die schief gehen könnten, aber es war alles was sie hatten. "Auf drei", sagte Tom und seine Stimme war ruhig trotz allem. "Eins... zwei..." Sarah hob beide Hände und fühlte Magie aufbauen wie Druck in einem Kochtopf, heißer und intensiver als jeder Zauber den sie bisher gewirkt hatte. Das war ein Level 3 Zauber, einer von Kiras mächtigsten und gefährlichsten, fähig ganze Gruppen auszulöschen.
"Drei!" Sarah schrie mit aller Kraft die sie hatte: "FEUERBALL!" Die Magie explodierte aus ihren Händen in einer rollenden Kugel aus Flammen, orange-rot leuchtend und heiß genug dass Sarah die Hitze auf ihrem ganzen Gesicht fühlte wie bei einem offenen Ofen. Die Kugel schoss durch den Tunnel in die Kammer, wuchs während sie flog, und traf mitten in eine Gruppe von Goblins die um ein Feuer saßen und aßen. Die Explosion war ohrenbetäubend in dem geschlossenen Raum, so laut dass Sarah's Ohren klingelten. Flammen erfüllten die halbe Kammer, verschlangen alles in ihrem Radius. Goblins schrien, hohe durchdringende Schreie voller Schmerz und Terror, Schreie die Sarah's Seele zerrissen. Als der Rauch sich legte sah sie mindestens zehn Goblins tot am Boden liegen, verkohlt bis zur Unkenntlichkeit, und weitere waren verletzt, ihre Kleidung brannte, ihre Haut blasig.
Der Hobgoblin war von seinem Thron gesprungen und brüllte Befehle in Gammalgoblin, seine tiefe Stimme übertönte selbst das Chaos. Die überlebenden Goblins, vielleicht zehn oder zwölf noch kampffähig, griffen nach ihren Waffen mit zitternden Händen und stürmten auf den Tunnel zu, auf die Quelle der Explosion, blind vor Wut und Angst. "HIER KOMMEN SIE!", brüllte Tom und positionierte sich im Tunnel, seine Axt bereit in beiden Händen. Felix verschwand in die Schatten an der Seite des Tunnels, wurde eins mit der Dunkelheit. Der erste Goblin stürmte durch die enge Öffnung und Tom's Axt traf ihn mitten im Lauf mit voller Kraft. Der Goblin wurde buchstäblich in zwei Hälften gespalten, Blut und Innereien spritzten überall. Der zweite und dritte Goblin kamen zusammen, versuchten Tom zu umzingeln, aber Felix sprang aus den Schatten wie ein Rachegeist. Beide Dolche fanden Kehlen gleichzeitig, perfekte Präzision, und beide Goblins fielen gurgelnd.
Der vierte Goblin kam durch und Sarah wirkte magisches Geschoss ohne nachzudenken, drei leuchtende Pfeile die ihn trafen und zurückschleuderten in die Kammer. Der fünfte bekam Emma's heilige Flamme direkt ins Gesicht, schrie und starb. Sie kamen weiter, einer nach dem anderen oder in kleinen verzweifelten Gruppen, und Tom und Felix hackten sie systematisch runter wie eine grausame Maschine, ihre Bewegungen waren mechanisch und effizient. Sarah und Emma unterstützten mit Magie aus sicherer Distanz, ihre Zauber trafen immer. Der Tunnel wurde zu einem Schlachthaus, Blut floss über den Steinboden in kleinen Bächen, Körper stapelten sich. Nach fünf Minuten die sich anfühlten wie Stunden lagen zwölf tote Goblins im Tunnel in grotesken Posen, und keine weiteren kamen. Stille fiel über das Bergwerk, durchbrochen nur von schwerem Atmen und dem Knistern von sterbenden Feuern in der Kammer.
"Ist das alles?", keuchte Emma und lehnte sich gegen die Tunnelwand, ihr Gesicht war blass. "Nein", sagte Felix und deutete mit zitterndem Finger. "Da." Der Hobgoblin stand immer noch in der Kammer, seine massive Gestalt ragte auf zwischen den Leichen seiner eigenen Leute. Er brüllte, ein Schrei aus purer Wut und Herausforderung, ein Schrei der Sarah's Blut gefrieren ließ. Dann stürmte er auf den Tunnel zu, seine Axt über seinem Kopf, und seine Größe und Geschwindigkeit waren erschreckend für etwas so Massives. "ZURÜCK!", schrie Tom aber der Hobgoblin war schon da, füllte den Tunneleingang mit seiner Präsenz. Seine Axt schwang in einem weiten Bogen der die Luft pfeifend schnitt. Tom blockte mit seiner eigenen Axt, Metall traf Metall mit einem Klang der Sarah's Ohren schmerzen ließ, und die schiere Kraft des Schlags war unglaublich. Tom wurde zurückgeworfen wie eine Stoffpuppe, stolperte, schlug gegen die Tunnelwand mit einem hässlichen Knall.
Der Hobgoblin drückte seinen Vorteil aus, zielte auf Tom der am Boden lag und verwundbar war, seine Axt hob sich für einen tödlichen Schlag. Felix warf sich dazwischen ohne nachzudenken, reiner Instinkt und Loyalität. Seine Dolche schnitten an den Beinen des Hobgoblins entlang, versuchten Sehnen zu treffen, aber die Lederrüstung war dick und verstärkt. Die Schnitte waren oberflächlich, ärgerten mehr als sie verletzten. Der Hobgoblin trat nach Felix mit seinem massiven Stiefel, traf ihn in die Brust. Felix flog durch die Luft und schlug gegen die Wand mit einem kranken Laut, ein Knirschen das gebrochene Rippen versprach. "NEIN!", schrie Sarah und Panik überschwemmte ihren Verstand. Sie hob beide Hände, warf einen Feuerstrahl der den Hobgoblin in den breiten Rücken traf. Flammen leckten an seiner Rüstung, verbrannten seine Haut, und er brüllte aus Schmerz und Wut. Er drehte sich zu Sarah, fixierte sie mit mörderischen Augen voller Hass, und in diesem Moment wusste Sarah dass sie sterben würde.
Er stürmte auf Sarah zu, seine Axt hoch erhoben, und Sarah war zu erschrocken um sich zu bewegen, ihre Füße waren am Boden festgefroren. Sie sah die Axt fallen, sah ihren Tod kommen, und dann war Emma plötzlich zwischen ihnen. Ihr Stab glühte heller als Sarah je gesehen hatte, fast blendend. "HEILIGE FLAMME!", schrie Emma und ihre Stimme war stärker als Sarah je von ihr gehört hatte, voller göttlicher Macht. Das goldene Licht traf den Hobgoblin direkt ins Gesicht wie ein Blitz aus reiner Sonne. Er schrie, ein schrecklicher Laut, stolperte blind, seine Hände flogen zu seinem verbrannten Gesicht. Tom war wieder auf den Beinen, Blut rann von einer Wunde an seiner Stirn aber seine Augen waren klar und voller Zorn. Er brüllte seinen Barbar-Schrei, ein Schrei der die Luft vibrieren ließ, und stürmte vorwärts mit seiner Axt. Die Klinge schwang in einem perfekten Bogen, alle Kraft in einem Schlag konzentriert, und traf den Hobgoblin an der Seite. Die Axt schnitt tief, trennte Rippen und durchtrennte lebenswichtige Organe, biss sich fest im Fleisch.
Der Hobgoblin taumelte, seine eigene Axt fiel aus seiner kraftlosen Hand mit einem lauten Klirren. Er sank auf die Knie, Blut strömte aus der massiven Wunde an seiner Seite in Strömen. Für einen langen gefrorenen Moment sahen sie sich an, der sterbende Hobgoblin-Kriegsherr und die vier erschöpften Abenteurer. Sarah sah etwas in seinen dunklen Augen, etwas das wie Erkenntnis aussah, vielleicht Respekt für würdige Gegner, oder einfach nur Akzeptanz des Todes der für alle Krieger kommt. Dann fiel er nach vorne auf sein Gesicht, sein massiver Körper schlug auf den Steinboden, und er bewegte sich nicht mehr. Der Hobgoblin war tot, der Kriegsherr besiegt. Das Bergwerk war endlich still bis auf ihr schweres keuchendes Atmen, das Tropfen von Blut, und das ferne Tropfen von Wasser irgendwo tief in den Tunneln.
Sarah sank auf die Knie weil ihre Beine sie nicht mehr tragen konnten, alle Kraft hatte ihren Körper verlassen. "Ist es vorbei?", fragte sie mit gebrochener Stimme. Tom sah sich langsam um in der Kammer voller toter Goblins und Rauch und Blut, sein Gesicht war eine Maske aus Erschöpfung. "Ja", sagte er und seine Stimme klang hohl. "Es ist vorbei. Wir haben gewonnen, wir haben überlebt." Emma rannte zu Felix der immer noch gegen die Wand lehnte und keuchte, sein Gesicht war verzerrt vor Schmerz. "Bist du okay? Kannst du atmen?" "Gebrochene Rippen", krächzte Felix und jedes Wort schien wehzutun. "Vielleicht drei oder vier, fühlt sich jedenfalls so an. Aber ich lebe, bin nicht tot." Emma legte ihre zitternden Hände auf seine Brust, ihre Handflächen glühten warm, und murmelte Gebete zu Sehanine. Goldenes heilendes Licht umhüllte Felix wie eine Decke, sickerte in seine Verletzungen. Die Schmerz-Grimasse auf seinem Gesicht entspannte sich langsam, seine Atmung wurde leichter und tiefer. "Besser?", fragte Emma besorgt. "Viel besser, fast gut", sagte Felix und lächelte schwach. "Danke, du hast mir wahrscheinlich das Leben gerettet."
Tom setzte sich schwer auf den blutigen Boden und ließ seine Axt mit einem Klirren fallen, alle Energie war aus ihm gewichen. "Wir haben gerade mindestens dreißig Goblins getötet und einen Hobgoblin-Kriegsherr besiegt." Er lachte ungläubig, ein Lachen das fast hysterisch klang. "Wir haben das wirklich getan, wir haben überlebt gegen unmögliche Chancen." Sarah sah auf ihre Hände die immer noch rauchten vom Feuerstrahl, ihre Haut war rot aber nicht verbrannt. Sie hatte heute mehr Kreaturen getötet als sie zählen konnte, hatte Magie benutzt um Leben auszulöschen, hatte einen Feuerball in eine Gruppe geworfen und sie alle verbrannt. Ein Teil von ihr, Kiras Teil, fühlte Triumph und Stolz auf ihre Macht. Aber Sarah, die echte Sarah, fühlte nur Leere und Übelkeit. "Was macht das aus uns?", fragte sie leise und ihre Stimme brach. "Dass wir das alles töten können ohne zu zögern, ohne Reue?"
Emma kam zu ihr rüber, setzte sich neben sie im Dreck und Blut, legte einen Arm um ihre Schultern. "Es macht uns zu Überlebenden", sagte sie fest aber sanft. "Es macht uns zu Menschen die tun was nötig ist um am Leben zu bleiben in einer Welt die uns töten will." "Zu Abenteurern", fügte Tom hinzu. "Zu Helden vielleicht", aber das Wort fühlte sich hohl an, falsch in seinem Mund. Sarah schüttelte den Kopf. "Helden töten nicht dutzende Lebewesen in Minuten. Helden fühlen etwas dabei." "Dann sind wir keine Helden", sagte Felix pragmatisch. "Wir sind Überlebende, Söldner, Menschen die einen Job machen. Und das ist okay, das ist genug." Sie saßen da zwischen den Leichen und dem Rauch, ließen die Realität von dem was sie getan hatten langsam einsickern wie kaltes Wasser. Dann, weil sie praktisch sein mussten, standen sie auf und durchsuchten die Kammer.
Sie fanden Kisten mit gestohlenen Waren die sie zurückbringen konnten, Beweise von den Überfällen. Münzen und Edelsteine in einer rostigen Truhe, mehr Reichtum als sie erwartet hatten. Waffen die sie verkaufen konnten, einige davon überraschend gut gemacht. Und in der Ecke, versteckt hinter dem Thron des Hobgoblins, fanden sie eine verschlossene Truhe aus dunklem Holz mit Eisenbeschlägen. Felix kniete sich davor und seine Finger tanzten über das Schloss, Spüren und Manipulieren mit erschreckender Leichtigkeit. Nach dreißig Sekunden klickte es und die Truhe öffnete sich. Drinnen lag ein Buch, ledergebunden und alt mit Flecken auf dem Cover, mit arkanen Symbolen eingeritzt die schwach glühten.
Sarah nahm es heraus mit zitternden Händen und öffnete es vorsichtig. Sie erwartete magische Formeln oder Zaubersprüche oder vielleicht eine Schatzkarte. Stattdessen fand sie Notizen, handgeschriebene Seiten in verschiedenen Sprachen, manche die sie nicht lesen konnte, manche in gebrochenen Common. Sie blätterte durch die Seiten, mehr neugierig als hoffnungsvoll, und dann auf Seite fünfundzwanzig sah sie etwas das ihr Herz aussetzen und dann doppelt so schnell schlagen ließ. Notizen in perfektem klarem Deutsch, in einer Handschrift die sie sofort erkannte weil sie diese Handschrift hundertmal gesehen hatte auf Charakterbögen und Kampagnen-Notizen. David's Handschrift.
"Leute", sagte Sarah und ihre Stimme zitterte so sehr dass sie kaum sprechen konnte. "Ihr müsst das sehen, ihr müsst das sofort sehen." Sie kamen näher, drängten sich um sie, und Sarah zeigte ihnen die Seite mit zitterndem Finger. Die Notizen lauteten in David's vertrauter Schrift: "Tag 47. Immer noch keine Rückkehr, immer noch gefangen hier. Die Würfel sind der Schlüssel aber ich verstehe nicht wie sie funktionieren oder wie man sie benutzt. Muss den Tempel des Schicksals finden im Norden. Dort sollen Antworten sein laut den Legenden, dort wo alles begann. Koordinaten: 52°N, 13°O basierend auf den Sternen. Wenn jemand das findet, folgt den Sternen nach Norden. - D.W." "D.W.", flüsterte Emma und ihre Hand flog zu ihrem Mund. "David Williams. Das ist David's Handschrift, ich würde sie überall erkennen."
"Er ist hier", sagte Tom und stand plötzlich auf, alle Müdigkeit war vergessen, ersetzt durch aufgeregte Energie. "David ist in dieser Welt, er ist irgendwo hier!" "Und er sucht nach einem Weg zurück", sagte Felix und nahm das Buch, blätterte hastig durch mehr Seiten. "Hier, schaut, mehr Notizen über mehrere Seiten verteilt. Er spricht über die Würfel, über wie sie ein Portal zwischen Welten sein könnten, über einen uralten Tempel wo die Magie der Würfel ihren Ursprung hat." Sarah las über Felix' Schulter, verschlang jedes einzelne Wort mit hungrigen Augen. "Er hat das vor sieben Wochen geschrieben basierend auf dem Datum das er notiert hat. Das heißt er ist uns sieben Wochen voraus auf seiner Reise, sieben Wochen näher an Antworten."
"Der Tempel des Schicksals", sagte Emma nachdenklich und ihre Augen waren fern. "Hat jemand davon gehört in euren Charakter-Erinnerungen? Irgendwelche Informationen?" Sie alle konzentrierten sich, schlossen die Augen und suchten in den fremden Erinnerungen die jetzt Teil von ihnen waren. Es war Felix der zuerst sprach, seine Augen öffneten sich plötzlich. "Finn hat davon gehört vor Jahren. Ein alter verlassener Tempel in den Nordbergen, weit weg von der Zivilisation. Als extrem gefährlich und verflucht bekannt, voller tödlicher Fallen und uralter Magie. Die meisten Leute meiden ihn wie die Pest, nur Wahnsinnige oder Verzweifelte gehen dort hin." "Dann sind wir wohl beides", murmelte Sarah. "Wahnsinnig und verzweifelt." "Aber David ist dort hin gegangen oder war zumindest auf dem Weg dorthin", sagte Tom. "Er hat Hinweise hinterlassen, eine Spur für uns zu folgen."
"Wie weit ist der Tempel von hier?", fragte Emma praktisch. Felix' Augen wurden wieder glasig während Finns geografisches Wissen und Erinnerungen aktivierten, eine mentale Karte formte sich in seinem Kopf. "Von Grünfurt aus etwa zwei Wochen zu Fuß durch zunehmend gefährliches Gelände, vielleicht mehr je nach Wetter und wie viele Monster uns angreifen. Durch Wildnis, dann durch die Nordberge die hoch und kalt sind. Es wird nicht leicht, es wird gefährlich." "Dann", sagte Tom und seine Stimme war voller Entschlossenheit, "gehen wir nach Norden. Sammeln unsere Belohnung von Halwin in Grünfurt, kaufen ordentliche Vorräte und Ausrüstung, und folgen David's Spur. Finden ihn und finden hoffentlich einen Weg nach Hause."
"Zu einem verfluchten uralten Tempel voller Fallen", sagte Emma aber sie lächelte dabei, ein müdes aber echtes Lächeln. "Warum auch nicht? Nach heute kann es nicht viel schlimmer werden." "Sag das nicht laut", warnte Felix abergläubisch. "Das ist genau wie man einen Fluch herbeiruft oder das Schicksal herausfordert." Sie sammelten alles Wertvolle was sie tragen konnten ohne überladen zu sein, ihre Arme voll mit Beute. Das kostbare Buch mit David's Notizen steckte Sarah in ihre Tasche, presste es nah an ihr Herz, als könnte sie es durch Nähe beschützen. Sie verließen das Bergwerk und ließen die Dunkelheit und den Tod hinter sich. Draußen war die Sonne am Untergehen, malte den Himmel in spektakulären Farben von Orange und Pink und Lila, und Sarah realisierte schockiert dass sie den ganzen Tag in dem Bergwerk gewesen waren, gekämpft und getötet und überlebt hatten.
"Wir haben unsere erste bezahlten Quest abgeschlossen", sagte sie ungläubig und blinzelte ins Sonnenlicht. "Wir haben unser erstes echtes Abenteuer als Gruppe überlebt", korrigierte Emma. "Gegen alle Wahrscheinlichkeit." Sie gingen zurück nach Grünfurt in der Dämmerung, ihre Schatten lang auf dem Weg. Sie waren müde und blutig und traumatisiert aber sie waren lebendig, alle vier noch atmend. Und zum ersten Mal seit sie in diese verrückte Welt gefallen waren hatten sie echte Hoffnung, nicht nur vage Wünsche sondern konkrete Hoffnung. David war hier, David suchte nach einem Weg zurück, David hatte Hinweise hinterlassen wie Brotkrumen in einem Märchen. Sie waren nicht verloren, nicht allein, nicht ohne Richtung. Sie hatten einen Weg vor sich, ein Ziel, eine Mission. Richtung Norden, richtung Gefahr und Unbekanntes, richtung einen verfluchten Tempel und hoffentlich, hoffentlich, richtung Antworten und einen Weg nach Hause.
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