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Sätze: | 76 | |
Wörter: | 1.189 | |
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Cora und Mike warteten seit zwei Stunden darauf, dass ihr gemeinsamer Sohn Timmy, der 6 Jahre alt war, aus der Narkose erwachte. Er hatte eine 5stündige Herz-OP hinter sich, da eine Herzkapsel nicht mehr funktionsfähig war. Die OP war kompliziert gewesen und Timmys Lebenschancen standen 70 zu 30 für die Herzklappe.
Dann plötzlich kam der Doktor heraus.
Doktor Bergstein sagte zu ihnen: "Ich muss Sie beide bitte in meinem Büro sprechen"
Cora wusste sofort instinktiv, dass nur noch Schadensbegrenzung betrieben werden konnte, doch sie versuchte, positiv zu bleiben, vielleicht hatte Dr. Bergstein auch nur halbschlechte Nachrichten, vielleicht ging es Timmy gut, vielleicht musste er nur eine lange Zeit im Krankenhaus bleiben, aber würde dafür wenigstens sein restliches Leben in Normalität verbringen.
Das Büro von Dr. Bergstein war dunkel eingerichtet, mit schweren Eichenmöbeln und roch muffig und nach Desinfektionsmittel.
Bergstein bat sie auf die lederüberzogenen Stühle vor seinem Schreibtisch und ließ sich selbst in den alten Chef-Stuhl fallen.
"Ich muss Ihnen gestehen, die Lage sieht nicht gut aus, Mr. und Mrs. Hanson. Absolut nicht"
Cora spürte die Tränen kommen, ihre Hände wurden kalt.
"Sagen Sie uns bitte einfach, was uns erwartet. Wir kommen damit klar, wir wollen nur nicht in Samt gebettet werden", sagte Mike und Cora spürte, wie sich der Druck auf ihre Hand verstärkte, den Mike hielt sie im eisernen Griff, als würde es das Schicksal ihres Sohnes abwenden.
"Er hat noch eine Stunde. Wir haben versucht, ihn zu retten, doch die Schäden waren so irreparabel..."
Irgendwann hörte Cora nicht mehr zu. Sie konnte nicht, sie wollte nicht, sie schaltete ab und eine Erinnerung flammte in ihrem Kopf auf. Sie konnte sich noch gut an Timmys Geburt erinnern. Es ging schnell. Die Entbindung hatte fast zwei Stunden gedauert, ihr Junge war einfach durchmarschiert nach draußen, er war schon immer furchtlos.
Tränen rannen über ihre Wangen.
Sie hatte gedacht, würde es jemals zu diesem Tag X kommen, der heute scheinbar eingetreten war, würde sie Heulkrämpfe bekommen, verrückt werden und sich am liebsten aus dem nächstbesten Fenster werfen.
Doch sie blieb ganz ruhig, wusste, dass sie für ihren Sohn stark sein musste.
Mike diskutierte immer noch mit dem Arzt.
"Verfickte Scheiße, hört auf zu reden! Ich will zu meinem Sohn!", platzte sie plötzlich dazwischen.
Beide Männer starrten sie überrascht an. Doch Cora achtete nicht weiter auf sie, sie verließ einfach den Raum und ging quer durch den Korridor zum Zimmer ihres Sohnes.
Er lag dort angebunden, an Schläuchen und Beatmungsgeräten, doch eine Krankenschwester war gerade dabei, sie ihm rauszuziehen und abzunehmen.
Die Schwester nickte Cora stumm und ohne eine Lächeln zu, doch Cora wusste, dass sie es nett meinte, sie damit ihr Mitleid ausdrücken wollte.
Dankend nickte Cora zurück und setzte sich neben ihren langsam erwachenden Sohn.
"Mama?", war das erste was er fragte, als er mit noch müden Augen durch das sterile Krankenzimmer stierte. Als er sie rechts neben sich entdeckte, lächelte er.
"Hab ich es geschafft?", fragte er hoffnungsvoll.
Wie sollte Cora ihm erklären, dass er es nicht geschafft hatte? Wie sollte sie ihm sagen, dass er sterben würde? Timmy würde doch Heilkrämpfe bekommen und in seiner letzten Stunde vielmehr verängstigt als beruhigt sein. Doch Cora kam eine Idee, wie sie es ausdrücken konnte.
"Ja, Timmy. Du hast es geschafft. Du wirst aber gleich nochmal einschlafen, okay? Und wenn du danach noch einmal aufwachst, dann warte einfach, bis wir wiederkommen, ja?", sie lächelte ihren Sohn voller Mut an.
Timmy lächelte zurück. Dann fragte er: "Wo ist Papa?"
"Dien Vater kommt sofort, er unterhält sich gerade noch mit dem Arzt. Er dankt ihm für die OP"
Timmy nickte, so als wüsste er jetzt Bescheid.
Dann ging wie auf Kommando auch schon die Tür auf. Mike kam rein, sein Blick war traurig und abgefressen. Er warf Cora einen irritierten Blick zu, als sie ihn fröhlich anlächelte. Doch er schien dann zu verstehen und nickte seinem Sohn zu: "Na, alles gut, Sportsfreund?"
Timmy nickte überzeugt. Er lächelte seinen Vater stolz an, so als sei er es gewesen der die OP durchgeführt hätte.
"Wann komme ich aus dem Krankenhaus?", fragte Timmy nölend.
Cora kam Mike zuvor und sagte ihm: "Wenn du dich später ausgeschlafen hast. Dann wartest du bis wir kommen, ja?"
Mike blickte Cora verwirrt an, doch dann verstand er das Ausmaß ihrer Worte und es war, als hätte sie ihm mit diesen Worten einen Dolch zwischen die Augen gerammt.
Unwillkürlich sah sie zur Uhr.
30 Minuten noch, dann würde es losgehen.
"Gibst du mir meinen Plüschaffen, Papa?", fragte Timmy und deutete auf das Kuscheltier, das hinter Mike auf der Kommode stand. Mike drehte sich um, gab dem Jungen sein Spielzeug und sah zu, wie er den Affen, den er Mr. Koko getauft hatte, ein wenig schaukelte und ihn so konzentriert ansah, als würde Mr. Koko ihm eine komplizierte Geschichte erzählen.
Mike sah Cora an, er weinte.
"Was ist los?", fragte Timmy. Seine Konzentration war sozusagen gebrochen und er achtete nicht mehr wirklich auf den Affen. Stattdessen schloss er ihn einfach in den Arm und sah seinen Vater aufmerksam an.
"Ich freue mich, dass wir es überstanden haben!", sagte er nur.
In den nächsten Minuten erzählten Cora und Mike Timmy auf Wunsch ein Märchen. Der Junge hatte Geschichten, insbesondere Märchen schon immer geliebt, war richtiggehend verrückt geworden danach.
"... und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!"
Timmy wirkte froh über die Geschichte.
Doch während Cora erzählte hatte, sah sie, dass er immer müder aussah und sein Gesicht blutleerer wurde. Es war so, als würde langsam das Leben aus ihm hinausspazieren, so wie es Menschen taten, die nach wochenlangem Regenwetter zum ersten Mal wieder rausgingen und die Sonne genossen.
Cora und Mike warfen sich einen Blick zu. Es war bald soweit.
Bereits während sie das Märchen erzählt hatten, hatte Cora auf Autopilot umgeschaltet, sich einfach auf das Märchen konzentriert und nicht weiter nachgedacht.
Doch jetzt sah sie, wie auch Timmy langsam etwas mitbekam.
"Irgendwie tut mein Kopf weh!", sagte er.
"Das ist normal. Gleich schläfst du ein und dann tut es nicht mehr weh!", sagte Mike und hielt Timmys Hand fest.
Cora legte ihren Arm um Timmys Schultern und legte ihre Wange an seine. Als sie sein eisiges Gesicht spürte, merkte sie, wie ein kalter Schauer ihren Rücken hinunterfuhr.
"Es tut weh!", sagte er wieder.
Diesmal standen ihm Tränen in die Augen.
Cora drückte ihn fester.
Timmy hielt Mr. Koko krampfhaft fest, er begann zu weinen, weil sein Kopf so sehr schmerzte.
Doch das Schluchzen verharrte irgendwann, es hörte auf.
Der Griff um Mr. Koko lockerte sich und der Plüschaffen rollte zu Boden.
Und dann brachen Cora und Mike über der Leiche ihres Sohnes in Tränen aus.
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