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Flucht ins Leben

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06.05.23 11:42
Fertiggestellt

Das laute und nervige Trällern des Weckers reisst mich aus dem wohligen Traum. 4:30 Uhr. Draussen herrscht Dunkelheit. Bis auf das Tapsen im Wohnzimmer ist es still im Haus. Mithilfe der integrierten Taschenlampe des Handys bahne ich mir einen Weg zum Badezimmer. Auf dem Weg den kleinen Knuddel noch schnell gedrückt. Währenddessen sind Laufschritte zu hören. Die Schwester kommt. Gemeinsam sammeln wir die letzten Sachen zusammen und überprüfen noch einmal unseren Proviant und die Ausrüstung. Leuchtweste und Geschirr liegen bereit, doch Rony, der Labrador, scheint nicht so gewillt zu sein. Rucksack geschultert, Hund unten, brauchts nur noch den Fahrer. Um 5:00 Uhr sitzen wir vier, ich, meine Schwester, unsere Mutter und Rony im Auto und der alte Wagen setzt sich ruckelnd in Bewegung.

Der Parkplatz am See ist menschenleer. Stirn- und Brustlampen weisen uns den Weg. Auch der Hund ist beleuchtet. Die rote kurze Leine wird ersetzt durch die lange gelbe. Denn hier um diese Zeit hat er die Möglichkeit, die Gegend genauer unter die Lupe zu nehmen als sonst. Zu Beginn ist der Plan, einen Teil dem See entlang zu folgen und dann mit dem Bus zurück zum Auto. Als es endlich dämmert, lässt sich auch die schöne Natur betrachten. Die aufgehende Sonne glitzert im stillen See und die Vögel stimmen ein Lied an. Die Berge im Hintergrund werfen einen Schatten und tauchen das Tal in Dunkelheit, die sogleich von der Sonne verjagt wird. Auf dem Weg wird Ausschau gehalten nach den besten Spots, und es werden haufenweise Fotos geschossen. Eine kurze Verschnaufpause ist nicht durchführbar. Sobald wir uns hinsetzen, schwimmen Enten in unsere Richtung, um etwas von unseren Brötchen zu erhaschen. Ergo springen wir wieder auf und gehen zum nächsten Bänkli weiter. Aber auch dort sind wieder die Enten. Sie mögen zwar herzig sein für uns Menschen, doch Rony ist weniger von ihrer Anwesenheit begeistert.

Inzwischen hat die Sonne die hohen Berge bezwungen und vertreibt die kühle Luft. Ein schöner Anblick. Die Welt erwacht und wir sind mitten drin. Die mit Tau bedeckten Blätter der Bäume funkeln in den Farben des Regenbogens. Immer mehr Spaziergänger und Wandervögel werden aufgrund der morgendlichen Stimmung aus den Häusern runter zum See gelockt. Die Lampen sind schon bald nicht mehr nötig. Das freundlicher werdende Wetter lässt uns in den dicken Winterjacken, Kappen und Handschuhen wie Isländer aussehen. Geschafft! Vis-a-vis, auf der anderen Seeseite ist unser Startpunkt zu sehen. Doch müde sind wir noch nicht, also setzen wir die Wanderung fort.

Aus der Vogelperspektive befinden wir uns mittlerweile an der linken länglichen Seite. Was vorher noch eine Idee war, nur als Spass gemeint, kristallisiert sich als Drang heraus. Jetzt sind wir schon so weit, da muss das restliche Stück auch noch drin liegen. Dieses ist, im Gegensatz zum schon gelaufenen, nur noch ein Klacks. Mithilfe der Bäume und einer Mauer aus zwei von uns, gelingt uns die Bewältigung der häufiger werdenden Hundebegegnungen. Durch die Müdigkeit geschwächt ist Rony reizbarer, aber zu dritt kriegen wir auch das hin. Ist ja nicht unser erstes Rodeo.

Etwa um zwölf Uhr kommt der alte VW-Bus in Sicht. Hier und da noch einmal kurz versteckt und dann haben wir es tatsächlich geschafft. Die ganze Seerunde war zwar nicht das Ziel, doch das ist das gute an spontanen Abenteuern, man weiss nie was alles so passiert. Erschöpft freuen wir uns während der Heimfahrt auf das mittägliche Frühstück. So endet unser neues Abenteuer. Mit der Familie (Rony natürlich eingerechnet) quer durch die Natur.

 

Wenn die gefüllten Züge, die beengten Zimmer, die verstopften Gänge und grauen Wände, das grelle Licht und das laute Summen des Beamers zu viel werden, suche ich Zuflucht in der Natur. In der Weite. Ich fliehe an einen Ort, an dem alles möglich scheint, kein Druck von jemanden und keine zu erfüllenden Erwartungen. Die Natur und ihre Bewohner leben. Die Last wird genommen und der Wind bringt den Hauch von Leben zurück, der teils unter der Woche verloren geht. Die Natur, vor allem die Wälder, sind die Batterien meines Lebens. Zuflucht nicht an einem spezifischen Ort, sondern dorthin, wo das Herz wieder schlägt.

 

 

 

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