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Der Roboter

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29.01.19 10:55
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

„Bedenke, dass du dein Bewegungsziel noch nicht erreicht hast“, erklärte der Roboter mit klarer Stimme. 

„Du nervst“, stöhnte die Frau. „Ich habe heute keine Lust, verstehst du das nicht, du Blechtrottel?“

„Nenne mich, wie du willst“, bemerkte die Maschine und wandte sich wieder der Gartenarbeit zu.

Lena streckte die Beine aus und machte es sich auf der Liege bequem. Seitdem ihr Mann ihr einen Roboter nach Hause gebracht hatte, musste sie keinen Handgriff mehr selbst machen. Absolut nichts. Sie schloss die Augen und genoss den heißen Sommernachmittag. 

Der Roboter arbeitete genauer und besser, als ein Mensch es tun konnte. Er war ruhig, benötigte nichts außer Strom und einmal im Jahr ein Service und laufend wurde er mit Updates gefüttert. Ja, so wie alle Geräte war auch er mit dem Internet verbunden, rund um die Uhr. Man konnte ihm so wie Alexa oder Siri Fragen stellen, mit ihm spielen, hatte zugleich einen starken Partner für den Einkauf oder auch einen Wächter, der immer die Augen offen hatte und eine Alarmanlage wunderbar imitieren konnte. Weiters konnte er sofort Hilfe holen, wenn sie benötigt wurde und wusste stets bescheid über die Vitalfunktionen seiner Besitzer oder wieviel Kalorien verbraucht werden mussten, er hatte immerzu Tipps auf Lager, wie man sich richtig ernährte, Diäten einhielt, Sport trieb oder wann man zu welchem Arzt gehen sollte, um ewig zu leben. 

Ja, Lena genoss den neuen Roboter. Aber einige Funktionen wollte sie ausschalten. Die nervigen Aufforderungen sich zu bewegen, oder die Ernährungsvorschläge.

„Stehe auf“, bemerkte der Roboter plötzlich. 

„Gib eine Ruhe“, seufzte Lena ärgerlich.

„Stehe auf!“, wiederholte die Maschine mit klarer Stimme. „Sofort!“

„He, du sollst mich in Ruhe lassen!“, rief Lena ungehalten. „Verschwinde!“

„Stehe auf!“ Der Roboter packte ihren Arm und zog sie hoch.

„Du tust mir weh!“, schrie Lena. „Ruhemmodus!“ 

Doch der Roboter reagierte nicht, packte sie nur fester. Lena versuchte sich aus dem eisernen Griff zu befreien, hatte jedoch keine Chance. Das Gerät zerrte sie ins Haus hinein.

„Was soll das?“, heulte Lena. Eine Welle von Panik überrollte sie. Sie war einem Roboter, einer Maschine ausgeliefert, die alles unter Kontrolle hatte, so auch sie selbst.

Der Roboter bugsierte sie auf das Sofa. 

Mit einem surrenden Geräusch fuhren die automatischen Rolläden hinunter und verschlangen das Sonnenlicht. Es wurde dämmrig im Wohnzimmer. Ein leises Klicken signalisierte Lena, dass sich die EIngangstüre verriegelt hatte.

„Was willst du?“, stammelte sie und sah die Maschine an. Sie war einem menschlichen Wesen nachempfunden, auf den ersten Blick konnte man nicht erkennen, ob es sich um eine Maschine oder um einen echten Menschen aus Fleisch und Blut handelte.

Das Gerät reagierte nicht auf ihre Frage. Es setzte seelenruhig seine Hausarbeit fort. Staubsaugen, Blumen gießen, Abstauben. 

Ein Kurzschluss, eine Fehlfunktion, redete sich Lena ein. Sie musste nur an seine Sicherung kommen und die Notfallsausschaltung aktivieren. Aber wie? Die Maschine würde sie nicht an sich heran lassen. Warten bis ihr der Strom ausging und sie sich wieder aufladen musste? Wann war es soweit?

 

Ein schnurrendes Fellknäuel kam auf sie zu. Lenas schwarzer Kater Mika schlich sich auf Samtpfoten um den Roboter und hüpfte leichtfüßig zu Lena auf das Sofa. Der Roboter reagierte nicht auf das Tier. Nachdenklich strich Lena dem Kater über den Kopf. 

Plötzlich hatte sie einen Einfall. Die Katzenklappe im Keller. Sie konnte dem Kater eine Nachricht um den Hals binden oder? Nur brauchte sie einen Vorwand aufstehen zu dürfen und musste sich dann in den Keller schleichen. 

„He, Blechtrottel!“ rief sie laut. Der Roboter schaltete den Staubsauger aus und schaute zu ihr.

„Ich muss auf die Toilette und Mika füttern.“

Für einen Augenblick hielt der Roboter inne, dann nickte er leicht.

Lena atmete durch und ging erhobenen Hauptes und extra ohne Eile an der Maschine vorüber in Richtung Vorraum. Wie gedacht, folgte ihr der Kater auf Schritt und Tritt. 

Im Vorraum angekommen, verschnaufte sie kurz. Hoffentlich wurde der Roboter nicht misstrauisch. Die Frage, ob Roboter seiner Bauart Menschen was antun konnten, wollte sie lieber nicht geklärt haben, zumal das Gerät mit Sicherheit nicht richtig funktionierte. Wahrscheinlich ein Internetvirus. So was konnte schon mal vorkommen. Hatte ihr Ehemann darauf vergessen ein Virenschutzprogramm zu installieren? 

Die Kellertüre stand für den Kater stets einen Spalt offen. Lautlos stieg sie hinunter. Mika folgte ihr. Der Kater trug ein Halsband. Sie benötigte nur etwas zu schreiben und ein Stück Papier.  Oh nein! Die Lade mit dem Zettelwerk befand sich im Vorraum. Lena biss die Zähne zusammen, schlich erneut hinauf und glitt zu dem Kästchen unter dem Spiegel. Vorsichtig zog sie die Lade auf und griff nach einem kleinen Zettel und einem Kugelschreiber. Sie konnte den Roboter nicht sehen, nur das gleichmäßige Brummen des Staubsaugers hören. 

Auf Zehenspitzen kehrte sie zurück zur Treppe und stieg in den Keller. Gut, Mika wartete auf sie bei seiner Futterschüssel. Lena kritzelte Namen, Adresse und einen Beschreibung ihrer Lage auf den Zettel. Sie rollte ihn ein und befestigte ihn am Halsband des Katers. Danach nahm sie eine Handvoll Trockenfutter und warf es durch die Katzenklappe. Das Tier wartete nicht lange. Mit einem Sprung war es draußen im Garten. Lena hoffte, dass ihn wie immer sein Weg zu den Nachbarn führte und jemand auf ihr Schreiben aufmerksam wurde. 

„Lena!“, rief der Roboter. Er stand oben auf der Kellertreppe und schaute hinunter. „Was machst du da unten.“

Cool bleiben!, redete sich die Frau ein.

„Was tust du da?“, fragte die Maschine erneut.

„Die Katze füttern“, lautete die plausible Antwort. Lena hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken ausgesprochen und kehrte ohne Eile ins Wohnzimmer zurück.

Der Roboter sah sie noch einige Sekunden an, als würde er nach irgendetwas Verdächtigem in ihrem Inneren suchen. Langsam wandte er sich ab und wusch den Boden auf.

Lena beobachtete das Gerät argwöhnisch. Was führte es im Schilde? 

Plötzlich läutete ihr Smartphone. Einmal, zweimal, dann Stille? 

Lena griff danach, aber der Bildschirm war schwarz. Sie versuchte es einzuschalten, aber es blieb tot. War der Akku leer? 

In diesem Augenblick kam der Roboter auf sie zu, nahm ihr das Telefon aus der Hand und zerquetschte es mit Leichtigkeit. Die Scherben saugte er weg, das Handy schmieß er in den Müll. 

„Was?“, schrie Lena aufgebracht. „Das war sauteuer, du Idiot!“ Unglaubliche Wut wallte in ihr auf. Sie sprang auf, lief zum Schirmständer und holte sich die Nordicwalking Stöcke. 

Der Roboter folgte ihr ins Vorzimmer, emotionslos, berechnend. Lena hob die Stöcke und drosch mit ihnen auf die Maschine ein. In ihrem Innersten wusste sie natürlich, dass es sinnlos war. Sie hatte gegen den Roboter keine Chance. Rasend vor Zorn versuchte sie das Gerät aufzuspießen, aber der Stock prallte ab. Lena verlor das Gleichgewicht und schlug sich den Kopf an. Halb benommen spürte sie, wie sie zum Sofa zurückgeschliffen wurde. 

„Dein Bewegungsziel wurde erreicht“, waren die letzen Worte, die Lena vor ihrem Ohnmachtsanfall hörte.

Als sie wieder aufwachte, lag sie in ihrem Bett. Es war mitten in der Nacht. Ihr Ehemann schnarchte seelenruhig neben ihr. Verwirrt setzte sie sich auf und sah sich um. Alles sah aus wie immer, alles war vertraut. Lena gähnte und stand auf. Sie ging in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Kein Roboter. Nur Mika, ihr Kater, rieb sich schnurrend an ihren Beinen. Er wollte seine Milch und hinaus in den Garten. Wo war sein Halsband? Lena schüttelte den Kopf. Natürlich hatte er keines. Es war alles nur ein Traum gewesen, wenn auch ein wahrlich seltsamer! 

 

 

Feedback

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BerndMooseckers Profilbild
BerndMoosecker Am 04.02.2019 um 19:14 Uhr
Guten Abend,

eine beklemmende Vorstellung, vom Wohlwollen einer Maschine abhängig zu sein. Die Geschichte ist in sich stimmig und schön geschrieben.

Gruß Bernd
Kathi71s Profilbild
Kathi71 (Autor)Am 04.02.2019 um 21:47 Uhr
Hallo Bernd!
Danke für dein Feedback!
Liebe Grüße
Katharina
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Simons Profilbild
Simon Am 01.02.2019 um 12:31 Uhr
Guter gut geschriebener Text! :)

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Kurzbeschreibung

Ein Roboter auf Abwegen