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Apokalypse

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18.03.24 10:19
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Der Whisky Cola sah harmlos aus im grünen Glas. Der erste Schluck brannte aber wie immer im Hals. Nach dem zweiten, großen Zug, der eher dem Durst galt, lehnte ich mich zurück, zog die Beine hoch und stellte die Hand mit dem Glas auf meinen Bauch ab.Ich schaute an die Decke. Der Kopf rauschte. Kein gutes Rauschen erinnerte ich mich. Es gab mal ein gutes Rauschen. Eins der Sehnsucht. Nach einem durchgefeierten Wochenende oder einem Festival, bei dem einen lange danach noch die Eindrücke überfahren. Das Rauschen kam immer zur Stille. Als könne man den Prozess des Denkens hören, ein permanentes Hintergrundgeräusch, wie das Summen einer Hochspannungsanlage.

Um die dröhnende Ruhe nicht ertragen zu müssen, schaltete ich den Fernseher ein. Das Geplapper aus dem Flachbild unterlegte die sich einstellende, gleichmäßige Müdigkeit. Wie immer eine Reportage über die Killerkartoffel. Bilder vom Weltraum, dem Sonnensystem und der ISS, Weißkittel mit Nickelbrillen, die Hände in den Taschen vergraben, standen um einen Teil einer Rakete versammelt, wahrscheinlich der Sprengkopf, und beäugten aufmerksam Blaupausen und technische Dokumente. Aufwändige Animationen zeigten, wie man „LMAA18“, so der Name des Planetenkillers, das nukleare Zäpfchen verpassen wollte. Und das der Bastard davon nicht mal zerstört, sondern nur der Kurs um ein paar rettende Grad verändert werden würde.

Der Aufschlagsort sei nun bekannt. Ausgerechnet in Nordkorea sollte er, nach neuesten Berechnungen die Erdkruste betreten und ein paar Kilometer unterhalb der unfreundlichen Kommunistenrepublik mit großem Knall zum Stillstand kommen.

Wenn wir ihn nicht vorher davon abhalten.

Ich wurde kurz hellhörig und stellte mir vor, wie die Kim Jong Dynastie daraufhin einen kurzfristigen Pauschalurlaub in den Bergen der Schweizer Alpen antritt. Ein paar alte Klassenkameraden besucht oder so. In der Rundfunkansprache an das Volk spricht er dann von einer vom Westen geplanten und durchgeführten Verschwörung und einem Angriff auf den Kommunismus selbst und rät den Genossen zu bleiben aber nicht direkt in den Blitz zu sehen.

Die Diktatoren trifft der Schlag immer zuletzt.

Vielleicht diesmal nicht? Das mit der Abgrenzung und dem ganzen Nationalismus hatte sich sowieso schlagartig geändert, als die Welt erfuhr, dass man nun den ultimativen Einwanderer vor der Tür hat. Na, also! Der Friedefreude – Eierkuchen Gutmensch braucht also nur die Apokalypse, um dem doofen egomanischen Autokratenpack die Gefolgschaft abzulaufen!

Zum einen wohl deswegen, weil es der Führer mit einer ihm fremden Kultur besser aushält, als mit gar keiner, zum zweiten musste man wohl oder übel international zusammenarbeiten, um den gewaltigen Bedarf an Ressourcen, Spezialisten und Platz bereit stellen zu können.

Vom Nationalisten zum Terraisten.

Wir durften all unseren Hass auf diesen kalten Felsbrocken projizieren und uns auf den Endsieg mit gigantischem Feuerwerk freuen!

Oder auf den Untergang. Und doch nur der umfallende Sack Reis fürs Universum. Kein Obi Wan würde sich nach uns umdrehen und sagen: „…als ob Millionen in panischer Angst aufschrien und plötzlich verstummten...“
Dann schwieg der Kopf.

Das Aufwachen war dieser Tage nicht mehr so leicht. Es war kein wach werden im klassischen Sinne. Eher ein Augenöffnen. Nicht ausgeruht, erst recht nicht ausgeschlafen. Die Nacht frisst den Tag und Biss für Biss wurde es dunkler. Offensichtlich hatte ich das Glas nicht leer getrunken oder abgestellt, denn die grünen Scherben badeten wie Edelsteine in einem schwarzen See. Ich ersetzte zuerst Glas und Inhalt, dann kümmerte ich mich um die Leiche seines Vorgängers neben meinem Bett.
 

Ich wollte dem rotköpfigen Hausmeister schon lange neben dem ein oder anderen Mangel, den pissstrahligen Wasserdruck anmerken. Maximal lauwarm und mit dem Druck einer Sauciere versuchte ich mir den Tag abzuwaschen.
Für das innere Cleanup hatte ich mein Glas ins Bad mitgenommen.

Das kleine blaue Kapuzenhandtuch hing am Wandhaken, verdeckt von meinem. Das schlechte Gewissen riss mich zurück zur Hoffnung, die man haben muß. Für das eigene Kind. Das doch alles gut gehen wird und ich mich auf ein „Danach“ einstellen musste. Den Kloß im Hals spülte ich mit dem letzten großen Schluck aus dem Ikea Glas hinunter.
Die Leber als Gewissens-Siphon.

Ein neuer Morgen

Mit einem Becher Kaffee in der Hand öffnete ich die Balkontür und wechselte aus dem warmen, hellen Zimmer in den kalten dunklen Morgen, stellte den dampfenden Becher auf die Fensterbank zog die Kapuze über den Kopf und  den Reißverschluss des Hoodies höher.

Der Kopf rauschte wie die erwachenden Straßen, die gesäumt von müde blinzelnden Fenstern und matten Fassaden, vom Lärm zurückerobert wurden.

Ich zündete mir eine Zigarette an. In der kalten Morgenluft brannte der Rauch, er verbiss sich in den Lungen, die sich nach kurzem aber  intensivem Schmerz der Betäubung des Nikotins befriedigt ergaben. 

Das Licht der Straßenlaternen, zu einzelnen Kegeln isoliert, kristallisierte funkelnd im Reif der Autodächer und Mülltonnendeckel.

Ich mochte die Wintermorgende und bewunderte, wie sich die Nacht - still, kalt und unendlich müde - so beharrlich gegen den Tag wehren konnte.

 

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Diese Story wird neben Nachdenkliches auch im Genre Trauriges gelistet.