Ein Mann und seine Ehefrau schlenderten, wie so oft an schönen Tagen durch den städtischen Park. Auf einer lichten Graswiese sah der Ehemann eine einsame, rotblühende Rose stehen. Als er sie seiner Frau zeigte, schaute die ihn verwundert an. Egal wie sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Rose einfach nicht sehen; stattdessen blühte da auf der Wiese ein einsames Veilchen. Zu Anfang dachten die beiden noch, der Andere erlaubte sich einen Scherz, doch wenig später erkannten sie, dass sie tatsächlich nicht dasselbe sahen. Da aber jeder von ihnen auf ihr Recht beharrte, fingen sie sich zu zanken an. Bevor es jedoch zu einem Streit kam, entschlossen sie sich, eine dritte Person hinzuzuziehen. Sie fragten einen Mann, der an ihnen vorbei-joggte, ob er denn nicht einen schnellen Blick auf die Blume werfen könnte. Dieser willigte ein und folgte ihnen. Der Ehemann traute dann seinen Ohren kaum, denn auch der Jogger sah da ein Veilchen. Entrüstet sprach er ein junges Pärchen an, das mit einem Kinderwagen unterwegs war, und fragte, was sie denn sehen würden. Für diese beiden war da eindeutig eine Rose. Empört zog die Ehefrau ein kleines Mädchen zu sich, in der Hoffnung, noch jemanden zu haben, für den da ein Veilchen stand. Zwischen beiden Fronten fand sich jedoch das Kind wieder, denn für sie war da weder eine Rose noch ein Veilchen, sondern eine Lilie. Nach dieser Antwort entbrannte ein Wortgefecht, da sich jede von ihnen im Recht sah, und das auch bekräftigen wollte. Dieser Tumult lockte mit der Zeit noch weitere Passanten an, die sich der Debatte anschlossen. Manche sahen eine Rose, manche ein Veilchen, manche eine Lilie und einige sahen etwas völlig anderes. Je lauter die Streitereien wurden, desto mehr Menschen schlossen sich ihr an. Keine der Gruppen wollte sich Unrecht eingestehen, und so stritten sie noch bis tief in die Nacht hinein. Am nächsten Morgen hatte sich die ganze Stadt auf der kleinen, lichten Wiese versammelt. Jede von ihnen schloss sich einer der Parteien an, und debattierte hitzig mit ihrem Nächsten. So ging das noch einige Tage lang weiter, bis sich in der Traube aus Menschen keine einzelne Stimme mehr fand. Es war alles nur noch ein wirres Durcheinander aus Klängen und Tönen, das aus dem Schlund der Massen hervorkam. Vor lauter Wut und lauter Zorn, bemerkte keine von ihnen, dass das Blümchen, das da einsam auf der Wiese stand, bereits verwelkt war.
Autorennotiz
Unterschiedliche Standpunkte sorgen für Konflikte. Das habe ich hier in dieser kurzen Geschichte erfassen wollen. Sie ist entstanden im Rahmen eines Workshops an meiner Uni. Ich hoffe sie gefällt euch.
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Ein Mann und seine Frau spazieren durch den Park. Auf einer Wiese sieht der Mann eine Rose, die Frau ein Veilchen. Aus der Unsicherheit, was da für eine Blume tatsächlich steht, entbrennt ein Streit, dem sich nach und nach noch mehr Menschen anschließen.
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