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Currywurst mit Paul Auster

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30.11.20 13:20
Fertiggestellt

Neulich ging ich mal wieder am Rhein spazieren. Meine »kleine Runde«. Runter zum Fluss und dann nach links, Richtung City. Am Schokoladenmuseum biege ich dann meistens ab und gehe über die Severinsstraße zurück. So also auch letzte Woche. Am Schokoladenmuseum findet derzeit der Rheinauhafen-Weihnachtsmarkt statt, und weil mir ein wenig fröstelig zumute war, dachte ich an ein Tässchen Glühwein.

Es war kurz nach halb neun Uhr abends, als ich am Glühweinstand ankam. Viele Besucher waren nicht mehr dort und so hatte ich freie Sicht, unter anderem auch auf den Bratwurststand schräg gegenüber. Das ist wichtig, denn bei den Menschenmassen, die sich hier nachmittags zwischen den Ständen hindurchschieben, hätte ich ihn gar nicht bemerken können: Dort drüben stand Paul Auster an einem Stehtisch und aß eine Currywurst!!

Unwillkürlich machte ich spontan das, was ich immer mache, wenn mir auf der Straße oder in einem Restaurant ein Promi begegnet – ich schau’ weg. Das ist vermutlich seltsam, aber es wäre mir überaus peinlich, jemanden blöd anzuglotzen, womöglich noch mit offenem Mund.

Nun stößt man in Köln mit seinen Rundfunk- und Fernsehsendern nicht selten auf medienbekannte Gesichter. So hat zum Beispiel Dietmar Bär – besser bekannt als KHK F. Schenk – ganz in der Nähe eine Wohnung, und zu Tatortdrehzeiten sieht man öfter in der Kölner Südstadt. Elke Heidenreich, Frank Schätzing, Jürgen Becker – also worauf ich hinaus will, man begegnet öfter mal jemandem »den man z. B. aus dem Fernsehen kennt« und ich schau dann weg und stell mich doof. Aber an diesem Abend dachte ich »Sei nicht dämlich, schau hin, du bist noch weit genug entfernt, er sieht bestimmt nicht, dass du in anstierst.«. Ich schaute wieder hin und tatsächlich: er war es! Da stand Paul Auster und aß Currywurst. (Dass es eine Currywurst war, erkannte ich daran, dass er einzelne Stückchen aus einer Schale pickte. Bratwürste werden dort unzerhäckselt verkauft).

Dann aber kamen mir Zweifel. Was sollte Paul Auster, ein weltberühmter amerikanischer Autor, in der Vorweihnachtszeit bei nieselig-grauem Schmuddelwetter auf einem Kölner Weihnachtsmarkt? Eben, diese Frage muss man sich einfach mal stellen. Der Hafenweihnachtsmarkt mag ja ganz nett sein, aber er ist sicher nicht der repräsentativste. (Der Dom ist noch ziemlich weit entfernt.) Die Buchmessen sind vorbei, von einer Lesung in Köln oder Umgebung hätte ich bestimmt etwas gehört oder gelesen und wäre er nicht in jedem Fall in Begleitung? Also klar, ich meine jetzt nicht unbedingt Siri Hustvedt, aber jemand vom Verlag oder sein deutscher Agent, (wird er ja wohl haben), wäre doch sicher beim Weihnachtsmarktbummel dabei. Oder jemand vom Fernsehen, wenn er in einer Literatursendung auftreten würde. Aber er stand ganz alleine da und wirkte keineswegs unzufrieden. Nein, das konnte nicht Paul Auster sein. Der saß jetzt sicher in seinem Haus in Brooklyn und nippte an einem heißen Espresso nach dem Mittagessen. Andererseits: Vor noch gar nicht so langer Zeit war ich bei der Vorstellung seines Buchs »4 3 2 1«, bei der er auf der Bühne saß und interviewt wurde. Und beim Büchersignieren hinterher musste ich ganz nah an ihm vorbei gehen – dieser Mann da mit der Currywurst sah haargenau so aus wie Paul Auster!

Plötzlich wusste ich, wie ich es herausfinden könnte. Ich hole mir ebenfalls eine Currywurst und stelle mich zu Auster an den Tisch. Ich würde »guten Abend« sagen, wie man das ja so macht und er würde mir antworten und dann könnte ich ja hören, ob er mir auf amerikanisch ein »good evening« wünscht oder auf deutsch mit amerikanischem Akzent. Am besten wäre es natürlich zu fragen »Sie sehen genau aus wie der amerikanische Schriftteller Paul Auster. Hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?«, aber das würde ich mich niemals trauen, ganz gewiss nicht. Also ging ich rüber an den Würstchenstand und bestellte eine Currywurst. Gleich würde ich das Rätsel lösen, mir aber auf jeden Fall den Mann ganz aus der Nähe anschauen können.

Ich kann nicht sagen, dass das Auswählen und Kleinschneiden der Wurst sehr zeitraubend gewesen wäre. Auch Soße und Pulver drübergeben ging schnell. Aber mal ehrlich, ich Idiot! Wie lange sollte Paul Auster denn auf einer Currywurst herumkauen? Als ich mich umdrehte und zum Tisch gehen wollte, war er weg! Natürlich! Für so eine Currywurst, die übrigens sehr lecker war, brauchst du selbst wenn sie sehr heiß ist, nicht länger als drei Minuten, oder? Jedenfalls, er war weg! Spurlos verschwunden! Na gut, das war jetzt kein Hexenwerk. So ein Weihnachtsmarkt ist natürlich nicht beleuchtet wie ein Fußballstadion und es waren immer noch genügend Besucher dort, die ihn in der Menge untergehen ließen.

Ich lief mit meiner Pappschale in die einzelnen Gassen zwischen den Buden, aber ich fand Paul Auster nicht wieder. Oh, mein Gott, was war ich ein Trottel! Ich stellte mir vor, wie ich mit Paul Auster auf dem Kölner Hafenweihnachtsmarkt zusammen Currywürste esse und dabei mit ihm über Literatur rede. Und hinterher würde ich ihn zu einem Glühwein einladen und er gäbe mir für meine Freundin ein Autogramm auf einer Frittenschale.

 

Autorennotiz

Anmerkung: Der Text ist schon etwas älter, und in diesem Jahr gibt es natürlich (C-Wort) keinen Weihnachtsmarkt im Rheinauhafen.

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Autor

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Sätze: 53
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Kurzbeschreibung

Wie der Titel schon sagt – jedenfalls beinahe.

Kategorisierung

Diese Story wird neben Humor auch im Genre Vermischtes gelistet.