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Glatteis

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08.11.17 23:07
Fertiggestellt

Je weiter sie gingen, desto eisiger wurde es. Man konnte förmlich spüren, wie der Frost die beiden Freunde umfing, die ihrem Weg durch den kniehohen Schnee folgten – einer vorneweg, der andere in dessen Fußstapfen tretend.

»Was ist eigentlich mit deinem Geburtstag nächste Woche?«, fragte der Hintere irgendwann, als er bemerkte, dass das Laufen allein sie nicht mehr warmhielt.

Eine Windböe, so schneidend, dass sie auch unter die beste Winterjacke drang und ein durch den gesamten Körper kriechendes Frösteln erzeugte, zerrte an den beiden, bevor der andere antwortete.

»Ich hatte vor, in kleinem Rahmen zu feiern. Nichts Besonderes.«

»Ach so?«

Für einen Moment blieb der Wind still.

»Ja, wie gesagt, nichts Besonderes.«

»Okay. Aber was hast du denn geplant?«

Der Vordere zögerte seine Antwort hinaus, doch der Hintere war sich nicht sicher, ob es daran lag, dass er noch nichts geplant hatte oder das Schneetreiben ihm zu sehr zu schaffen machte.

»Zu Hause was trinken und dann schauen, was sich so ergibt«, ließ er schließlich mit einem Windstoß einhergehend verlauten, der einem nicht nur Schnee, sondern auch die Tränen in die Augen trieb.

»Klingt gut. Soll man irgendwas mitbringen? Essen? Alkohol?«

Der Wind war immer noch nicht abgeflaut, heulte sogar noch lauter auf als zuvor. Der Vordere hatte sich daher die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, weswegen ihm die Frage möglicherweise entgangen war. Für einige Sekunden schien es so, als gäbe es nur Wind und Schnee.

»Und?« hakte der Fragende noch einmal nach, diesmal lauter als zuvor.

Jetzt erhielt er direkt eine Antwort. »Nein, nein, passt schon alles.«

Obwohl der Weg nicht sonderlich breit war, trat der Hintere jetzt einen Schritt nach vorne, sodass sie gleichauf waren.

»Sag mal, kann es sein, dass du mich gar nicht dabeihaben willst?«

Überrascht blickte sein Nebenmann ihn an.

»… Wie kommst du denn darauf?«

»Was soll ich anderes denken, so knapp wie du meine Fragen abfertigst? Also, hattest du vor, abzuwarten, zu hoffen, dass ich nicht an deinen Geburtstag denken würde und mich gar nicht einzuladen?«

Nachdem der ehemals Hintere kurz die Hitze der Wut verspürt und sich vielleicht sogar für einen winzigen Moment an dieser erfreut hatte, kehrte die Kälte mit einem Schlag zurück, als er auf die Antwort seines Freundes wartete. Dieser blieb, trotz oder gerade wegen des immer heftigeren Schneetreibens, stehen.

»Das ist doch Schwachsinn!«

Auch der andere hielt nun an – mit verschränkten Armen, um die Eiseskälte, welche stärker angriff als zuvor, zu vertreiben – und wartete auf eine stichhaltigere Rechtfertigung.

»Ich hätte dir doch gar nichts von der Feier erzählt, wenn ich nicht wollen würde, dass du kommst.«

»Wirklich?«

»Ja! Wir sind jetzt seit x Jahren befreundet. Ich mein, komm schon…«

Er setzte sich wieder in Bewegung, nahm nun aber nicht mehr den Pfad, auf dem sie all die Zeit davor gegangen waren, sondern führte sie beide hin zu einer Fläche, welche in den warmen Jahreszeiten ein großer See zu sein schien. Der andere, nun wieder hinten, folgte ihm, auch wenn er das Gespräch noch nicht als beendet betrachtete.

»Wirklich?«

»Ja, verdammt. Glaub mir, ich wäre nicht mit dir befreundet, wenn ich dich nicht mögen würde.«

Der Hintere atmete erleichtert auf, obwohl ihm die Eisluft in der Lunge brannte. »Gut.«

»Und jetzt lass uns über was anderes reden…«

Sie gingen weiter, direkt über den zugefrorenen See, doch obwohl der Folgende wie eh und je in die Fußstapfen des anderen trat, fand er in diesen keinen Halt mehr.

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