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Dunkelheit unter den Wellen

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19.10.23 20:01
Fertiggestellt

Die Wellen des Ozeans hoben und senkten sich sacht im Rhythmus des Windes. Die kürzliche, über dem Horizont erschienene Sonne, glitzerte im salzigen Wasser. Der unebene Strand und die hohen pazifischen Palmen schmiegten sich in die Landschaft ein. Möwen sausten über seinen Kopf hinweg. Aufkommender Lärm des nahegelegenen Hafens schwappte bis zu ihm hinüber. Heute ist es soweit. Der weiss-orange Anzug passte ihm wie angegossen. Die Sauerstoffflasche auf seinem Rücken nochmals überprüft. Das laute Tröten des Horns eines Containerschiffs gab ihm den Startschuss. Ein Sprung. Und kühles Meerwasser umgab seinen kleinen Körper.

Je weiter er tauchte, desto mehr hüllte ihn die Dunkelheit ein. Seine Stirnlampe wies ihm den Weg durch das kühle Nass. Mit dem mechanischen Antrieb gelangte er schnell bis zum Grund. Schon von weitem konnte er das grosse, blinkende Schild erkennen. «Willkommen in Ocean City», stand darauf. Sobald seine Füsse Boden fassten, stellte Hip die erweiterte Gravitation ein. Diese erlaubte es ihm, wie an Land gehen zu können. Er schlenderte durch das Städtchen tief im Meer. Die Unterwasserwelt bot eine Mischung aus Vertrautem und Unbekanntem. Aus seinem Trance ähnlichem Zustand wurde er gerufen, als ein Meeresbewohner ihn ansprach. Das Seepferdchen stellte sich als Lucius der III. vor. Verblüffung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. So einen wie ihn, habe er hier noch nie gesehen. Lucius führte Hip herum. Da gab es ein Postamt, dort einen Kleiderladen und vis-à-vis einen Lidl in Unterwasserform. Laut Lucius ist aber das Beste hier unten, das «Wirtshaus zum verrückten Oktopus.» Sein Kumpel Bernd wäre der einzige in allen Tiefseen, der die Kraft der «Cuisine» einfangen könne. Was auch immer das heissen soll. Nach der nächsten Biegung könne er es schon sehen. So hell sei die Beleuchtung. Hip freute sich schon, die bunten Lichter zu sehen. Doch als sie abbogen, sah er nichts als Schwärze. Auf einem Schild an der Tür stand: «Wegen Krankheit geschlossen.»

Seit einiger Zeit werde OC von einer Krankheitswelle heimgesucht, aber niemand kenne den Ursprung. Lucius meinte, die ersten Kranken seien am östlichen Stadtrand erschienen. Sie beschlossen, sich dort mal umzusehen. Ohne die grossen Strassenlaternen konnten sie hier aussen nur etwas mit Hips Stirnlampe erkennen. Der Übeltäter war schnell gefunden, ein grosser, schwarzer, vibrierender Fleck. Irgendwo von oben kam es her. Hip schwamm zur Oberfläche und streckte seinen Kopf aus dem Wasser. Aus dem grossen Menschen-Betonklotz floss durch ein Metallrohr das Schwarze ins Meer. Die Fabrik der Menschen schüttete irgendetwas ins Meer, auf direktem Wege zu Ocean City. Daran mussten alle erkrankt sein. Und da das Verlassen des Wassers für sie nicht in Frage kam, konnten sie auch nichts dagegen tun. Ein Schwall von Hoffnungslosigkeit überkam Hip.

Aber ich kann an Land, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf. So schnell in seine kleinen Pfoten voranbrachten schwamm er an Land. Den Unterwasseranzug in einer Hecke versteckt, schlich Hip nun durch die langen grauen Gänge der Fabrik. «Geschäftsführer», entzifferte er an einem metallischen Rechteck. Durch die offene Tür huschte er hinein Der Mann hinter dem grossen Holztisch war gerade mit einem Telefonat beschäftigt. Hip kletterte auf den Tisch, strich sein Fell glatt und richtete sich kerzengerade auf. Er räusperte sich, doch der Mann bemerkte ihn nicht, auch nach vermehrtem Räuspern nicht. Selbst als er aufgelegt hatte, sah der Mann ihn nicht und verliess das Büro. Wie soll er seinen Freunden helfen, wenn die Menschen ihm nicht einmal zuhören. Niedergeschlagen ging Hip den Weg zurück zur Eingangshalle. Es war lauter als zuvor. Der Mann redetet nun mit einem der Arbeiter und beachtete nicht das Mädchen neben ihm. Sie zog an seinen Ärmeln, sprang, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen und sagte nörgelnd immer wieder «Dad». Er achtete nicht auf sie, aber sie bemerkte den kleinen Hip, behutsam nahm sie ihn auf den Arm. Schnell weihte Hip die Kleine, namens Lilly, ein, sie versprach augenblicklich, ihm zu helfen.

Irgendwann war der Vater auch endlich mal fertig mit dem Gespräch und liess sich von Lilly zurück in sein Büro locken. Zurück an seinem Schreibtisch fing der Mann sofort wieder an mit seinen Klienten am anderen Ende der Welt zu reden, anstelle das rothaarige Kind vor ihm zu beachten, nur wenige Meter, nein, nicht Meter, sondern Zentimeter entfernt von ihm. Erst als sie auf seinen Schoss hopste und mit ihren kleinen Händen seinen Kopf Richtung Meer lenkte, legte er endlich sein Telefon beiseite. Zitternd erhob er sich von seinem Arbeitsplatz. Seine Stimme versagte, sein Atem stockte, Totenstille legte sich über den Raum. Auf dem blau schimmernden Wasser lagen hunderte tot erscheinende Fische, Seepferdchen, Krebse, Oktopusse und seltsamerweise auch ein Hamster. Die Stille wurde nur durch Lillys leise, aber deutliche Stimme unterbrochen: «Du hast die Macht etwas zu verändern, sie nicht.»

 

 

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Sätze: 66
Wörter: 820
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Kategorisierung

Diese Story wird neben Fantasy auch in den Genres Natur und Freundschaft gelistet.