Storys > Kurzgeschichten > Angst > Insekten

Insekten

114
19.10.22 16:18
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Ich kann es spüren.
Sie sind in mir und ich kann es spüren.

Ich liege in meinem Bett und noch bin ich – im biologischen Sinne, wohlgemerkt – so lebendig, wie man nur eben sein kann; so lebendig, wie ich immer war. Schon seit meiner Geburt hat der Verfall begonnen, was das betrifft, bin ich mir sicher. Von Anfang an haben sie mich ausgehöhlt, Löcher und Gänge in diesen abstoßenden Körper gegraben, mich innerlich zernagt und jeden Ansatz der Gesundheit im Keim erstickt. Ich habe zu sterben begonnen, seitdem ich meinen ersten Atemzug tat. Das meine ich nicht in dieser logisch-faktischen "Mit jeder Sekunde des Lebens ist man eine näher am Tod"-Haltung, sondern in dem Sinne, dass ich nie dazu bestimmt war, am Leben zu sein.
So flüstert er mir jedenfalls das Kribbeln ein, das in meinen Gliedmaßen vorherrscht, als würden sich klebrig-ertrunkene Insekten durch verstopfte Blutbahnen kämpfen. Dabei ist mein Körper doch noch gar nicht bereit für den Leichenschmaus, die Vielfüßler sind unecht. Bevor ich mich verfüttere, und damit wenigstens nach meinem Tod zu etwas nütze bin, müssen die Pillen wirken. Lange kann es nicht mehr dauern. Mühsam kämpfe ich mich aus dem Bett, der weiche Stoff der Decke ist plötzlich eine für meine Hände unerträgliche Berührung. Auf bloßen Füßen, die im Dämmerlicht so fremd wirken (sind das meine Füße? ist das mein Körper?) taste ich mich nach draußen. Es war immer schön gewesen, einen Wald direkt hinter dem Haus zu haben, das Ungeziefer in mir scheint zu jubeln. Endlich bringe ich es für immer nach Hause.
Ich hatte nie Stimmen in meinem Kopf, bekräftige ich noch ein mal für mich selbst, doch merke, dass meine Gedanken und Schritte immer schleppender werden. Nie Stimmen. Immer nur...Insekten. Krabbelnde Mistviecher, die mit ihren dünnen Beinchen Worte in die Innenseite meiner Haut gestampft haben und mich oft wünschen ließen, es würde schneller zu Ende gehen. Mittlerweile bin ich so schwach, dass ich mich mit meinen Händen an den Bäumen abstützen muss, an denen ich vorüberwanke. Es ist mir unerträglich, etwas Reales, etwas aus der Außenwelt, anzufassen, fasst mich von innen doch schon genug an.
Als ich mich schließlich fallen lassen muss, bin ich deshalb auch zunächst angewidert von der unabstreitbaren Realität des Waldbodens unter mir. Ein Krabbeln von allen Seiten und ich Echt und Unecht nicht mehr auseinanderhalten.
Doch das macht nichts. Bald wird mich von Außen auffressen, was sich schon jahrelang innerlich an mir labte.

Feedback

Die Kommentarfunktion wurde für diese Story deaktiviert

Autor

fortassiss Profilbild fortassis

Bewertung

Noch keine Bewertungen

Statistik

Sätze: 22
Wörter: 453
Zeichen: 2.478

Kurzbeschreibung

"Sterben kann ewig dauern, jedoch beginnt der Körper schon 5 Minuten nach dem Tod zu verwesen – und wird dann zu einem gigantischen Festschmaus für andere Organismen." (Warnungen: Suizid, generelle Ekligkeit)

Kategorisierung

Diese Story wird neben Angst auch im Genre Horror gelistet.