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Karim´s kleine Krise

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03.02.21 14:22
12 Ab 12 Jahren
Fertiggestellt

Karim´s kleine Krise

"Die haben mich provoziert. Mit allem, was die gemacht haben. Ich wollte denen gar nichts tun, ich hab denen gesagt, die sollen damit aufhören, aber die haben einfach nur gelacht und mich nicht ernst genommen. Dann konnte ich nicht anders. Was hätte ich machen sollen?

Ich sitze im Zimmer von Karim. Laute Musik dringt durch die Wände des Studentenwohnheims. Am Fenster auf den Flur stehen zwei Mädchen und unterhalten sich bei einer Zigarette. Man versteht nicht genau, was sie sagen, da die Wände für gewöhnlich sehr dämmend sind. Die Musik aus der Küche aber hört man klar und deutlich, gerade läuft „Party Rock Anthem“.

Für gewöhnlich achte ich bei unseren Partys darauf, dass die Musik nicht allzu laut ist, zumindest nicht bis tief in die Nacht hinein. Dafür hatte ich schon zu viele Gespräche mit Nachbarn, die sich über den Lärm beschwert haben. Und dafür war ich schon zu oft der Notfallkontakt der Polizei, der die Verantwortung tragen musste. Doch heute ist es anders. Gerade verschwende ich keinen Gedanken an die laute Musik. Selbst die Tatsache, dass auf dem Flur geraucht wird und der Rauch auch noch die nächsten Tage zu riechen sein wird, wenn man den Flur betritt, lässt mich gerade kalt.

Meine volle Aufmerksamkeit liegt bei Karim, der in Tränen aufgelöst vor mir sitzt. Wir haben uns in seinem Zimmer verschanzt und die Türe abgesperrt, um ihn vor den neugierigen Blicken betrunkener Gäste zu schützen. Das erste Mal seit einer Stunde habe ich meinen Atem halbwegs im Griff.

„Sag mir, bin ich ein schlechter Mensch? Ich kenne es nicht anders, ich bin so aufgewachsen, ich wurde so erzogen. Alle in meiner Heimat hätten das Gleiche gemacht wie ich, wenn nicht noch mehr. Ich sollte raus und nochmal …“

„Wir gehen nirgends hin, Karim." falle ich ihm ins Wort. "Wir bleiben hier und beruhigen uns erst einmal, okay?“

Karim vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und krümmt sich auf dem Sessel. Kurz hatte er sich aufgerichtet, während er die Minuten davor kraftlos an der Rückenlehne gehangen und erfolglos versuchte hatte, die Tränen aufzuhalten. Seit dem Wutausbruch hatte sich zumindest sein Atem reguliert, und die Aggression war einer verzweifelten Trauer gewichen. In diesem Zustand traute man ihm nicht zu, dass er auch nur einer Fliege etwas zuleide tun könnte, geschweige denn, einem Menschen mit der Faust ins Gesicht zu schlagen.

„Karim, erzähl mir bitte nochmal genau, was passiert ist.“ Ich hoffte, dass Karim´s Wut verflogen und er jetzt bereit war, zu erzählen, warum er Sascha ins Gesicht geschlagen hatte.

„Ich... Also die haben den ganzen Abend mich immer ausgelacht. Die schauen mich an und denken sich, was für ein Dreck ich bin und dass ich nicht nach Deutschland gehör, das denken die. Wenn jemand von daheim das hören würde, die würden kommen und denen zeigen, da war das noch harmlos, was ich gemacht hab.“

„Aber warum hast du es gemacht? Wie haben sie dich provoziert?“

„In meinem Land, Schwuchtel werden getötet, die werden auf der Straße aufgehängt. Alle wissen, dass Schwuchtel sein nicht normal ist, das haben sie immer gesagt. Du weißt, ich hab´ hier alles richtig gemacht, ich mag dich, ich mag Tobi, ich will keinen Streit mit niemandem. Aber wenn ich von einem Schwuchtel provoziert werd´, dann muss ich zuschlagen, verstehst du?“

Karim hatte sich in seinem Sessel aufgerichtet und schaute mir direkt in die Augen. Ich schaue auf den Boden, dann wieder ihn an. Mein Herzschlag pumpt zum Takt der Musik von außen, alle anderen Geräusche nehme ich nicht wahr.

„Karim, Sascha ist aber nicht schwul, das ist der Freund von Johanna. Die sind zusammen, also in einer Beziehung, verstehst du? Der ist nicht schwul.“

„Und warum küsst der den anderen? Warum? Wenn der glücklich ist mit Johanna, warum braucht der ein Mann zum Küssen? Ich will keinen Stress, du weißt ich will hier sein für Party und für Spaß, ich will nicht Schlägerei haben bei unserer Party. Aber warum ist der nicht glücklich mit Johanna?

„Karim, ich …“

„Und warum fasst der mir an den Arsch? Ich habe ihm gesagt, der soll das lassen, drei Mal, vier Mal. Ich habe ihm gesagt, ich bin kein Schwuchtel, ich will keinen Stress, der soll mir nicht an den Arsch. Warum hat er dann nochmal mir an den Arsch gefasst? Ich steh auf Frauen, ich habe dir oft erzählt von den Frauen im Club. Du weißt, ich bin kein Schwuchtel.“

„Karim, hör mir zu. Ich weiß nicht, warum er den Typen geküsst hat. Das war aber nicht ernst gemeint, die machen das anscheinend so in ihrer Verbindung. Also wo die wohnen. Die sind aber nicht automatisch schwul oder sowas, die machen das einfach so, okay? “

„Aber warum an mich? Der soll mich in Ruhe lassen, ich hab fünf Mal gesagt, der soll mich in Ruhe lassen. Warum an meinen Arsch?“

Er schaut mir direkt in die Augen. Seine Augen sind tränenverlaufen und rot, sein Blick fixiert mich und scheint gleichzeitig durch mich hindurch zu gehen. Auf seltsame Weise bin ich ihm so nah und so fern zugleich.

„Der war betrunken, das ist das Problem. Der hätte das nicht gemacht, wäre er nicht betrunken gewesen, verstehst du? Der war dumm im Kopf, das war nur der Alkohol. Mit Alkohol macht man dummes Zeug“

„Nicht so. Das macht man nicht, verstehst du? Ich kann Leute anrufen und sagen, die sollen den kaputt machen, und die machen das, verstehst du? Ich ruf meinen Onkel an, der soll kommen und den bestrafen für was er gemacht hat heute. Der soll kommen, du weißt, was dann passiert. Ich mag euch, aber wenn ich den nur anrufe, der kommt vorbei mit andere Leuten. Der macht den kaputt und seine Familie und Johanna und seine Familie.“

Karims Miene hat sich bei den letzten Sätzen verändert. Er wirkt auf einmal entschlossen, gar nicht mehr in sich zusammengesunken wie noch vor ein paar Minuten. Seine dunklen Augen bringen mich dazu, ihm jedes seiner grausamen Worte zu glauben. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

„Was ist los bei dir?“, frage ich ihn. Ich kann kaum glauben, was da aus seinem Mund kommt.

„Wenn ich einen Anruf mache, kommen die alle, ich weiß dass die kommen. Wenn ich erzähle das von dem Typ, wenn ich denen sage, dann sind die hier. Die legen den um, Johanna auch wenn ich denen sage. Ganze Studentenwohnheim. Die gehen zu seine Haustür, klopfen und machen den dann kaputt. Weil ich das kenne so, verstehst du? Ganze Stadt wird brennen, ganz Deutschland wenn ich dem sage. Dich und Tobi, ich würde euch nichts machen, ich schwöre, ich mag dich, du bist guter Mann, aber alle, die gelacht haben, ganze Stadt wird mit Bombe sein, wenn ich denen sage. Willst du das?“

Karim schaut mich erwartungsvoll an.

„Nein, Karim. Das will ich nicht."

Karim schaut mir ein letztes Mal ins Gesicht. Erst jetzt fällt mir auf, wie betrunken er eigentlich ist. Er richtet sich auf, wischt sich die Tränen mit dem Oberarm aus dem Gesicht, nuschelt etwas, was verdächtig nach "Gute Nacht" klingt, und wirft sich auf sein Bett. Ich schließe die Tür auf, verlasse das Zimmer und mache mich auf, die 3 Meter zu meinem Zimmer zu überwinden. Auf dem Weg schauen mich die beiden Mädchen an, ich kann nicht deuten, was sie denken. Für heute Abend kann mir das auch herzlich egal sein, entscheide ich, und betrete mein eigenes Zimmer. Während ich meine Tür abschließe, verstummt auch die Musik im Hintergrund und lässt mich im dunklen Raum alleine zurück.

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Lukasmitkas Profilbild Lukasmitka

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Kurzbeschreibung

Die Kurzgeschichte dreht sich um die Schwierigkeit, verschiedene Kulturen zusammenzubringen. Dass dies im Großen geschieht, lesen wir jeden Tag in der Zeitung, sehen wir im Fernsehen, hören wir in den Nachrichten. Dass die Schwierigkeit aber auch im Kleinen anfangen kann, soll diese Geschichte aufzeigen. (P.S. Trotz der Schwierigkeiten sollten wir niemals aufhören, fremde Kulturen zu integrieren. Es hilft allerdings, sich mögliche Schwierigkeiten bewusst zu machen.)