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Der erste Teil ist natürlich Satire, wobei ich nicht die in den Filmen gezeigten Leute durch den Kakao ziehen will, sondern das verlogene Sendeformat. Ich finde, es wird dort schon genug auf die Tränendrüsen gedrückt. Das brauche ich nicht auch zu noch machen. Aber wenn man soviel Scheiß auf einmal sieht, dann muss man einfach kontern.
Ich hatte meinen Beitrag auch schon an eine Straßenzeitung geschickt, aber keine Antwort erhalten. Wahrscheinlich haben sie das völlig falsch verstanden und alles Eins zu Eins genommen. Hätte ich irgendwelchen rührseligen Firlefanz geschrieben, wäre ich bestimmt veröffentlicht worden. Oder sie wollten es sich mit RTL 2 nicht verderben, denn die sitzen am längeren Hebel und haben die besseren Anwälte.
Eins
„Hier habt ihr mein Leben. Nehmt es Euch und vierteilt mich oder macht mit mir, was ihr wollt.“
Ich stehe mit leerem Blick vor dem Kühlschrank, öffne die Tür und gebe den Blick frei auf ein aufgerissenes Päckchen A & P Salami und eine halbe Flasche Cola. Hiermit will ich also noch über die Woche kommen, und es ist erst Mittwoch. Trotz dieser schlechten Ernährungslage sehe ich alles andere als verhungert aus. Boshafte Gemüter würden jetzt denken: „Die soll doch an ihre Reserven gehen.“ Aber vielleicht gibt es bei der Tafel ja noch ein paar angestoßene Tomaten.
Die Kamera schwenkt in Großaufnahme auf meine Spüle, wo sich in einer Ecke frech eine Kakerlake räkelt. Leute, die mich nicht leiden könne und das sehen, reiben sich die Hände und stellen das Video der Sendung bei you tube rein.
Auch meine ehemaligen Klassenkameraden, mit denen ich Abitur gemacht habe, befällt bei meinem Anblick ein angenehmes Schaudern. Kurz und gut, ich bin gesellschaftlich erledigt. Aber das ist mir scheißegal.
Nachdem die Kameras ausgeschaltet sind, wird die chloroformierte Kakerlake vorsichtig wieder in ihr Glas zurückgesetzt und aufbewahrt bis zum nächsten Drehtag. Ich hole eine knusprige Gans aus der Röhre.
Die Champagnerkorken knallen, und der bestellte Hummer wird geliefert, während die
A & P Salami, deren Farbe sowieso schon ins Grünliche tendiert hat, weiter einsam in meinem Kühlschrank vor sich hin modert.
Fickt Euch, Ihr angestoßenen Tomaten von der Tafel. Jetzt wird gelebt. Das Kamerateam und ich lachen uns scheckig. „Aber Tanja, beim nächsten Mal musst Du Dir noch eine ausgeleiertere Jogginghose anziehen.“ Ich verspreche die nagelneue Markenhose drei Mal bei 100 Grad in der Waschmaschine zu waschen. Das wird ja wohl reichen.
Während ich in einen Hummer beiße, muss ich über meine „Fans“ schmunzeln, die mich jetzt einsam und allein, griesgrämig über einen Teller Wassersuppe gebeugt, ohne Heizung und Strom im Kämmerchen von meiner sozialen Brennpunktwohnung sitzend, vermuten. Träumt weiter, ihr könnt mich mal kreuzweise.
Durch den Champagner werden wir übermütig und werfen Eier und Tomaten gegen die Wände, übrigens abgelaufene Eier von der Tafel. Das wird für den nächsten Drehtag geniale Aufnahmen geben. Die Zuschauer, in ihren aufgeräumten Wohnzimmern, werden ins Schaudern kommen und die Einschaltzahlen werden in die Höhe gehen.
In der Hitze des Gefechts geht das Glas mit der Kakerlake kaputt, und sie kann entkommen. Wir lassen uns alle auf die Knie nieder und robben auf dem Boden rum auf der Jagd nach der Flüchtigen. Weit kann sie ja nicht sein, bei der Dosis Chloroform, die wir ihr verabreicht haben. Die Freude ist groß, als sie Rainer Maria, unser Regieassistent, endlich fängt. Bis zum nächsten Dreh in einer Woche setzen wir sie einfach, in Ermangelung von einem geeigneten Gefäß, in den leeren Kühlschrank.
Zwei
Hier möchte ich auch mal ausnahmsweise nicht nur Kritisches über das sogenannte Armuts TV auf RTL 2 schreiben.
Auf der einen Schulter der Redakteure sitzt ein Engelchen und rät: „Lass das lieber.“ und auf der anderen das Teufelchen, das ihnen ins Ohr flüstert: „Haltet mit der Kamera drauf.“
Den „bösen Buben“ vom RTL Team geht es wie Mephistopheles im Faust: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und manchmal auch was Gutes schafft.“* Jeder Klardenkende wird mir jetzt ´nen Vogel zeigen und fragen: „Was denn Gutes?“. Aber immerhin wird ja auf die Situation von Leuten aufmerksam gemacht, die sonst unter den Tisch fallen. Immerhin gelingen, wahrscheinlich oft ungewollt, ungeschminkte, ehrliche Momentaufnahmen von Menschen, die manchmal sogar die letzten von ihnen sind.
Das liegt auch daran, dass manche Protagonisten so ein starkes Eigenleben entwickeln, dass sie sogar das blöde Format sprengen. Man ahnt, dass die freche Klappe von Franziska aus Luckenwalde bloß Fassade ist. Man nimmt Anteil wie bei dem Tod von Rainer in Altes Lager in Luckenwalde, der mir auf der Straße bloß als Suffkopp erschienen wäre und den ich jetzt aber ganz anders sehe. Ich möchte jetzt nicht dieses ekelige Wort Betroffenheit in den Mund nehmen. Die Sendung ist immer gut, wenn die Leute vor der Kamera völlig offen reden, wie letztens als die alleinerziehende Christine aus den Benz Baracken eingestand, dass sie keine Energie mehr hat, ewig nur zu kämpfen.
Hier bekommt man vor der Kamera vom Arzt Todesurteile verkündet, es werden aber auch Kinder vor der Kamera geboren. Im Kreissaal geht das RTL Team ja sowieso schon aus und ein.
Ich habe den Eindruck, viele Leute sind froh, dass sich Jemand für ihre Situation interessiert. Den Intelligentesten unter ihnen ist schon klar, was ihnen blühen könnte, aber sie wagen trotzig die Flucht nach vorn. Ich habe mir mal geschockt die hasserfüllten Kommentare im Internet durchgelesen.
Ich selber habe an der Situation der Abgefilmten noch nie etwas Beneidenswertes entdecken können.
Meine Landsleute aus Rostock Groß Klein haben sich ebenfalls von RTL bequatschen lassen. Meine gutmütige Landsmännin, die Rostockerin Sandra, ihre Kinder und ihre Hunde und Katzen, sind auch mit von der Partie in der Sendung über den Blockmacherring. Jetzt ist ihnen nicht nur allein das Jugendamt auf der Spur sondern auch noch das auch Veterinäramt, das alle Tiere einkassiert hat. Dagegen scheint dem Rollstuhlfahrer Kowalski aus Groß Klein das Interesse an ihm sichtlich gut zu bekommen.
Eng wird es, wenn Junkies begleitet werden. Da scheint das RTL Team ja mit den Abrisshäusern zu wohnen. Es wird ein Elend gezeigt, dass schwer zu ertragen ist. Man sieht Sachen, die man gar nicht sehen möchte. Ich habe schon abgeschaltet, als Leute sich ins Gesicht gespritzt haben. Diesem Elend steht man ratlos gegenüber.
Viele Leute in den Sendungen wirken wie in Agonie gefallen, auch ohne Drogen und machen immer das gleiche. Das Pärchen, das endlich eine Wohnung hat, bezahlt schon wieder keine Miete, obwohl der Mann genug verdient. Ein 15 jähriges Mädchen aus Groß Klein bricht die Schule ab, obwohl sie sehr intelligent rüberkommt. Und dem 19 jährigen Legastheniker aus den Benz Baracken hat immer noch keiner Lesen und Schreiben beigebracht.
Die Besseren unter den Machern der Sendung werden wohl schon manchmal heftig mit Gewissensbissen zu kämpfen haben. Es ist auch makaber, wenn man den Eindruck hat, dass die Gefilmten das RTL Team für ihre Freunde zu halten beginnen, was ja natürlich absolut nicht der Fall ist. Das wird noch ein böses Erwachen geben.
*Zitat sehr frei wiedergegeben
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BerndMoosecker • Am 22.04.2023 um 20:24 Uhr | |||
Hallo Schriftstellerin, ich glaube, Du hast gut dargestellt. Selbst jemand, wie ich, der kaum einmal das Fernsehen anschaltet, bekommt einen lebendigen Eindruck davon, was in dieser Art von Sendungen abläuft. Vielleicht hättest Du noch böser formulieren sollen, aber das ist nur ein nebensächlicher Einwurf. Mir gefällt die frische Art, in der Du diese Geschichte geschrieben hast. Herzliche Grüße Bernd |
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