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Das sagte ein russischer Schriftsteller, der bekannt ist für seine witzigen Bücher, als man ihn fragte, wie es ihm gerade geht.
Ich weine auch.
Vor mir, am Rummelsburger Ufer, fährt ein kleines Mädchen. Ich weiß, dass Kinder unberechenbar sind und versuche vorsichtig, sie zu überholen, was schwierig ist, da sie ständig die Richtung wechselt. Ihre Mutter, die hinter ihr radelt, ruft ihr auf Russisch etwas zu. Ein etwa zwölfjähriger Junge gehört auch mit zu den beiden. Ich kapiere sofort, was los ist. Die Mutter ist mit den Kindern auf der Flucht, der Vater ist in der Ukraine geblieben.
Zum Glück musste Jewtuschenko das nicht mehr erleben.
„Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Frag, wenn die Stille tödlich stieg.“
Dieses Lied, nach einem Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko, in dem es um sowjetische Soldaten, die ihr Land verteidigen, geht und das für mich das ultimative Friedenslied ist, hörte ich das erste Mal vor vielen Jahren bei einer Mitschülerin in meiner Berufschule in Meck-Pomm.
Bei einem sogenannten Kulturwettbewerb sang sie das Lied zur Gitarre und alle staunten nur mit offenem Mund, denn keiner von uns wußte, dass sie Gitarre spielen konnte, und dass sie eine so schöne Stimme besaß, RIP D.
„Den russischen Soldaten frag. Er liegt dort, wo er sterbend lag. Hol ihn ans Licht und sieh ihn an. Und weil er selbst nicht sprechen kann, frag seinen Sohn von Mann zu Mann.“
Vorher gab es nur eine, wenn auch zugegebenermaßen sehr gute Version, von der Stasisingegruppe „Oktoberklub“, an der sich auch meine Mitschülerin damals orientierte. Die Aufnahme ist wirklich genial. Es war nicht alles schlecht im Osten.
Aber vor einem Jahr hat eine Berliner Band zu dem russischen Text eine neue Melodie geschrieben und ein Video auf dem Gelände des Ehrenmals in Treptow gedreht. Das ist der Friedhof von 5000 sowjetischen Soldaten, was viele nicht wissen.
„Meinst Du die Russen wollen, meinst Du die Russen wollen Krieg.“
Vor zwei Tagen hat jemand unter die Kommentare von dem Lied bei YouTube geschrieben: „Doch sie wolln.“
Linke Gruppen hatten zum 70. Jahrestag der Befreiung auf dem Parkplatz gegenüber dem Denkmal des Unbekannten Soldaten in Treptow eine Gedenkveranstaltung organisiert. Als ich kam, übergab gerade eine Reggaetruppe an eine Klezmerband. Die Stimmung war sehr entspannt. Alles tanzte ausgelassen.
Bei den Linken aus Friedrichshain war wohl in diesem Jahr die Kombi aus schwarzer Kniehose und schwarzer Kapuzenjacke angesagt, denn fast jeder, dem ich begegnete, trug so etwas.
Nach einer Weile ging mir die Klezmermugge und die aufgesetzt fröhliche Stimmung, die bei solchen Volksfesten immer herrscht, so auf die Nerven, dass ich auf die andere Straßenseite der Puschkinallee rüberging, zum Denkmal des Unbekannten Soldaten. Hier war die Stimmung weniger fröhlich. Es befanden sich fast nur Russen da, die natürlich einen völlig anderen Bezug zu diesem Jahrestag hatten.
„Nicht nur fürs eigene Vaterland starb der Soldat im Weltenbrand. Nein, dass auf Erden jeder Mann sein Leben endlich leben kann. Hol Dir auch bei dem Kämpfer Rat, der siegend an die Elbe trat. Frag, was in seinem Herzen blieb.“
Der große Hügel, auf dem sich das Denkmal befindet, war vollständig mit Blumen, Kerzen und Bildern von jungen Soldaten bedeckt, und es kamen noch immer mehr Leute, die Blumen niederlegten. Ich nahm an, dass viele der in Berlin lebenden Russen, wohl Angehörige während des zweiten Weltkriegs verloren hatten, aber das war ja immerhin schon 70 Jahre her.
„Meinst Du, die Russen wolln, meinst Du, die Russen wolln, meinst Du, die Russen wollen Krieg?“
Ich versuchte nachzurechen in welcher Beziehung viele derjenigen, die Blumen und Bilder niederlegten, wohl zu den Abgebildeten standen. Großvater, Urgroßvater, Ururgroßvater? Auf alle Fälle hat wohl keiner von ihnen einen davon noch persönlich gekannt. Aber trotzdem erschien mir ihre Trauer noch lebendig.
Zwei junge Männer kamen mit einem riesigen Kranz angeschleppt und richteten liebevoll die Schleife. Dem Aufdruck konnte ich entnehmen, dass sie Abgesandte der russischstämmigen Community in Potsdam waren. Also sind sie extra deswegen von Potsdam angefahren gekommen.
Mich beunruhigte bloß, dass ihre Gesichter einen irgendwie fanatischen Ausdruck hatten. Kam hier ein neuer russischer Nationalismus auf, und wurde das Andenken an die Gefallenen mißbraucht? Diese jungen Männer waren, wahrscheinlich unfreiwillig, als Kinder von ihren Eltern in ein fremdes Land verpflanzt worden und suchten nun nach ihrer Identität. „Hoffentlich gehen sie dabei nicht Putin auf den Leim“, dachte ich.
„Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn, doch nie mehr möge es geschehn, dass Menschblut so rot und heiß die Erde tränkt als bittrer Preis. Ich seh das Haar der Mütter graun, und frag auch des Soldaten Frau. Dann weißt Du, wo die Antwort liegt.“
Langsam leerte sich das Areal und es wurde dämmrig. Im letzten Tageslicht sah ich mir noch die Fotos an, die rings umher an die Umfriedungsmauer gepinnt waren. Es waren alles Soldaten, die noch in den letzten Tagen vor der Kapitulation gefallen waren. So gut wie keiner hatte die 30 erreicht.
Wenn man sich mal so überlegt, man überlebt den ganzen Feldzug, und dann auf den letzten Metern erwischt es einen noch. Einige waren sogar noch nach der Befreiung verstorben, vielleicht an den Folgen einer älteren Verletzung.
Umgeben von den ganzen jungen russischen Soldatengesichtern, wurde mir etwas flau im Magen. Das ganze sinnlose Sterben erhielt ein Gesicht. Allein in der Schlacht auf den Seelower Höhen vor Berlin fielen fast 50000 deutsche und russische Soldaten.
„Meinst Du, die Russen wollen, meinst Du, die Russen wollen Krieg?“
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BerndMoosecker • Am 30.04.2022 um 15:55 Uhr | |||
Hallo Schriftstellerin, Deine Gedanken haben mich beeindruckt und bewegt. Du stellst viele Fragen, ich kann darauf auch keine Antwort geben. Wollen die Russen Krieg? Wohl eher nicht! Wollen die Menschen Krieg? Bestimmt nicht. Aber wie ich es auch drehe und wende, irgendjemand muss doch Krieg wollen, sonst gäbe es keinen Krieg. Ein Macht hungriger Staatenlenker kann einen Krieg nicht alleine führen, wie gelingt es ihm, genug Menschen zu finden, die ihm folgen? Du siehst, ich bin dabei Deinen Fragen, weitere hinzuzufügen. Als Hinterbliebener des großen Krieges, kann ich nur sagen, der fehlende Sohn - der fehlende Mann - und in meinem Fall, der fehlende Vater - schafft Wunden, die niemals heilen wollen. Ein Anlass genügt! Ein Angriff, ob nun in der Ukraine, im Kosovo oder sonstwo auf der Welt genügt und die oberflächlich vernarbte Wunde reißt auf. Ich vergebe bewusst keine Bewertung, denn irgendwelche Sterne zu diesem Thema zu vergeben, erscheint mir absurd. Gruß Bernd Mehr anzeigen |
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