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Alles fing damit an, dass vor mir zwei schwarzhaarige Männer aus Osteuropa liefen, als ich in einer Spätsommernacht links in Richtung Biesdorf über die Lichtenberger Brücke radelte. Die beiden trugen in jeder Hand eine fast leere, weiße Plastiktüte.
Plötzlich, kurz hinter der Brücke, waren sie weg, mitsamt ihren Tüten, wie vom Erdboden verschluckt. Neugierig geworden blickte ich ihnen hinterher in die Richtung, in die sie verschwunden waren. Ich entdeckte eine Treppe, die von dichtem Buschwerk verdeckt war. Deshalb war mir diese Treppe vorher noch nie aufgefallen. Sie führt von der Brückenauffahrt hinein in einen Tunnel. An dem anderen Ende des Tunnels sieht man schon den Lichtenberger Bahnhof.
Ich sah den beiden einsamen Wanderern noch einige Zeit dabei zu, wie sie mit ihrem leichten Gepäck die Skandinavische Straße, die steil ansteigt, wenn sie aus dem Tunnel herauskommt, erklommen. Nach einer Weile wurden auch sie vom nächtlichen Lichtenberg verschluckt, und diese Ecke der Stadt war wieder so verlassen, wie es sich dort für diese Uhrzeit gehörte. Wo sie wohl hingegangen sind, und was war eigentlich in den Tüten?
Was ihr Anblick in mir auslöste, nennt man wohl ein Déjà-vu. Der Tunnel und diese Straße waren mir nur zu vertraut. Sie haben mich früher immer begrüßt, wenn ich als Studentin wieder aus meiner mecklenburgischen Heimat in Berlin eingetroffen bin.
Petra, Karin, Susi und Angelika, vier Kommilitoninnen, die auch aus dem Norden kamen, hatten herausgefunden, dass man am bequemsten zum Studentenwohnheim in der Storkower Straße kam, wenn man in Oranienburg vom D-Zug in die S-Bahn umstieg.
Mit der S-Bahn fuhr man bis zum Ostbahnhof und danach gondelte man mit dem 30 ziger Bus stundenlang nachts durch ganz Friedrichshain und Lichtenberg.
Wir Provinzmädchen blickten neugierig durch die Busfenster des orangeroten Schlenkis (Ikarus Busse) auf das nächtliche Berlin.
Draußen lag eine unbekannte Welt, die uns erwartungsvoll machte. Man träumte von Abenteuern, Erfolgen und natürlich von der Liebe. Aber unsere Gemeinschaft im vertraut nach Diesel riechenden Schlenki gab uns auch eine Sicherheit und einen Schutz vor der nächtlichen unbekannten Außenwelt.
Aber irgendwie wusste man insgeheim, eines Tages wäre man alleine mit der Realität außerhalb der Busfenster konfrontiert. Das machte uns auch irgendwie Angst.
Besonders tief hat sich der immer der Moment in meine Erinnerung eingegraben, wenn der Bus, vom Bahnhof Lichtenberg kommend, aus dem Tunnel auf der ansteigenden Skandinavischen Straße wieder nach oben fuhr und der Blick plötzlich auf eigenartige meterhohe Wände fiel, von denen die Fahrbahn links und rechts wie ein Hohlweg umschlossen wurde.
Ich weiß auch nicht, warum es gerade dort war, aber in diesem Augenblick dachte ich immer: "Berlin hat mich wieder." Dieser Ort ist übrigens bei Nacht die aller einsamste Stelle in der ganzen Stadt, aber damals, beschützt, mit Freundinnen zusammen im Schlenki sitzend, übte gerade dieser Platz einen ganz besonderen Zauber auf mich aus.
Nach Beendigung unseres Studiums verlor ich den Kontakt zu meinen nächtlichen Reisegefährtinnen. In vielem ist es so gekommen, wie ich damals im Geheimen befürchtet habe, und das war auch gut so. Das Leben ist kein Ponyhof.
Ich habe gerade kürzlich das Buch von Irmgard Keun „Das kunstseidene Mädchen“ gelesen. Es geht um eine junge Kölnerin, die, auf sich alleine gestellt, versucht im Berlin des Jahres 1931, also lange vor meiner Ankunft, Fuß zu fassen, mit zweifelhaftem Erfolg.
Ich habe gestaunt, dass ich trotz der geänderten Zeiten, so viele Parallelen zu heute entdeckt habe. Berlin bleibt immer Berlin, daran ändern wohl auch Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazidiktatur, SED Herrschaft und Wiedervereinigung nichts.
Die Namen übrigens sind alle original. Unsere Eltern wollten uns wohl keine Steine in den Weg legen und haben uns deshalb keine Namen gegeben, die auf Fantasie oder wenigstens auf irgendetwas hindeuten, sodass ich da nichts ändern muss.
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