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Frustriert oder Lichtenberg hat den Blues II

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13.05.22 09:37
In Arbeit

An der Marktstraße auf Höhe der Pfarrstraße kamen drei fröhliche, bierkastentragende junge Männer mit bunten Haaren auf mich zu. Ich taxierte sie vom Bauchgefühl her auf Berlinbesucher, die in der Wohnung von einem Kumpel eine feuchtfröhliche Nacht verlebt hatten und jetzt Nachschub holten, so nach dem Motto „Sie verkauften ihre Betten, und sie schliefen auf Stroh.“ Die Stadt gehörte ihnen. Alte Zeiten kamen mir in den Sinn.

Einer von ihnen, ein freundlich wirkender junger Mann mit orangeroten Haaren, wohl der sensibelste der drei, hatte meinen Blick aufgefangen und verstand mich ohne Worte. Habe ich denn wirklich so frustriert ausgesehen?

Ich war an diesem kühlen Januarmorgen hier unterwegs, um für diesen Beitrag Maulbeerbäume zu fotografieren. Angeblich war in dem Park an der Rummelsburger Straße, der ein ehemaliger Friedhof ist, eine Allee von 12 Maulbeerbäumen angepflanzt worden. Damit sollten die Maulbeerbäume am Ostkreuz ersetzt werden, die dort im Zuge der Bauarbeiten abgeholzt worden waren
.
An diesem trüben und kalten Berliner Morgen fiel mir besonders auf, wie sehr sich die Bezirke Friedrichshain und Lichtenberg unterscheiden. Wenn man die Stadtbezirksgrenze überschritten hat, scheinen die Uhren anders zu gehen. Jetzt kamen mir auch keine sorglosen Touristen und fröhlichen Studenten mehr entgegen. 

Aber dieser kühle Lichtenberger Vormittag hatte trotzdem die aufregende Atmosphäre, die entsteht, wenn ein Haufen Häuser, Menschen, Straßen, Autos, Bäume auf engstem Raum zusammengedrängt sind und die wahrscheinlich nur jemand fühlt, der wie ich vom Dorf kommt. 
Davon schienen die Berliner, die mir mürrisch Platz machten, während sie, wohl auf dem Weg zur Arbeit oder zum Amt, auf den Bus warteten, jedenfalls nichts zu verspüren. 

In dieser Gegend schien ein Wettbewerb darüber ausgebrochen zu sein, wer die meisten Bauzäune in einer Straße unterbringen konnte. Das machte die Verkehrssituation horrible, wie ein spanischer Freund sagen würde, sowohl für Autofahrer, wie auch für  Fußgänger. Sein Testament sollte man am besten schon gemacht haben. 

Endlich, nachdem ich mich tapfer durch das Verkehrschaos geschlagen hatte, sah ich den Park an der Rummelsburger Straße. Das Fotografieren von Maulbeerbäumen wurde leider dadurch nicht einfacher gemacht, dass ich eigentlich gar nicht wusste wie Maulbeerbäume aussehen.

Der einzige Besucher außer mir in dem riesengroßen Park war ein Mann, der mit vielen Jacken übereinander und einem Berg von Tüten wohl eine sehr frische Januarnacht verbracht hatte. Ich wollte ihn schon um Rat  fragen, schließlich war der Park ja sein Wohnzimmer, und da kennt man sich aus. Aber er hatte bestimmt gerade andere Probleme als Maulbeerbäume. 
So habe ich einfach drauflosfotografiert und auch ein paar Laubblätter mitgenommen. Ich wollte sie später mit Fotos im Internet vergleichen, was leider misslungen ist, oder sind das auf dem Foto etwa Maulbeerbäume? 

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An der Marktstraße auf Höhe der Pfarrstraße kamen drei fröhliche, bierkastentragende junge Männer mit bunten Haaren auf mich zu. Ich taxierte sie vom Bauchgefühl her auf Berlinbesucher, die in der Wohnung von einem Kumpel eine feuchtfröhliche Nacht verlebt hatten und jetzt Nachschub holten, so nach dem Motto „Sie verkauften ihre Betten, und sie schliefen auf Stroh.“ Die Stadt gehörte ihnen. Alte Zeiten kamen mir in den Sinn. Einer von ihnen, ein freundlich wirkender junger Mann mit orangeroten Haaren, wohl der sensibelste der drei, hatte meinen Blick aufgefangen und verstand mich ohne Worte. Habe ich denn wirklich so frustriert ausgesehen?