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Kapitel: | 2 | |
Sätze: | 112 | |
Wörter: | 1.930 | |
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Also soll ich mich vorstellen?, fragst du.
Ja, erwidere ich, deswegen habe ich die Kamera angemacht. Also sag etwas zu deiner Person.
Nun ja, beginnst du und zuckst mit den Schultern. Wir kennen uns doch, du weißt, dass ich 1929 in Rostock geboren wurde und seit 1939 und bis zum Ende des Krieges in der Hitlerjugend war – auch überzeugt davon, setzt du nach, dann hältst du inne und ich ahne, was in dir vorgeht. Ich war überzeugt davon, glühender Anhänger, wiederholst du in leicht schleppendem Tonfall. Ich war sogar stolz darauf, mein Vaterland in den letzten Stunden verteidigen zu dürfen.
Ich weiß, flüstere ich und räuspere mich: Aber dann kamen die Russen.
Du nickst: Ja, dann kamen die Russen und ich verstand und ich schwor mir, mich nie wieder so sehr verführen zu lassen, sondern immer zu prüfen, wem oder was ich folgen möchte. Wieder hältst du inne, schüttelst den Kopf. Ich spüre, dass es dich selbst nach all der Zeit noch immer Kraft kostet, darüber zu sprechen, dass du dich für den Jugendlichen, der du einst warst, schämst.
Bei Kriegsende warst du 16, bist wieder in die Schule gegangen, hast dein Abitur gemacht. Du siehst mich an, sagst jedoch nichts. Und mit 21 Jahren hast du dich an der Filmhochschule in Babelsberg für das Regiestudium beworben.
Ja, stimmst du mir nun zu und dann drängt es so schnell aus dir heraus, dass ich leicht zusammenzucke: Ich war Regisseur bei der DEFA, über 40 Jahre, zunächst im Studio für Dokumentarfilm, dann im Spielfilm und heute, heute da bin ich Handwerker.
Handwerker? Wie? Du meinst ... Und ich deute auf dein Haus, denn ich halte es für einen deiner Witze. Du aber schüttelst den Kopf. Nein, nein, das nicht. Ich meine damit, dass ich heutzutage nicht mehr Regisseur, sondern Handwerker bin.
Wie? Ich verstehe noch immer nicht. Na ja, sagst du, heute drehe ich nur noch Vorabendserien. Und bei dieser Arbeit ist eben nicht mehr der Regisseur gefragt, der seine eigenen Themen hat und sich überlegt, wie er sie inszeniert, sondern nur noch der Handwerker, der ein vorgegebenes Drehbuch abarbeitet.
Planwirtschaft also, versuche ich mich an einem Witz und du zwinkerst mir zu: Doch auch das will gelernt sein. Ja, aber wie gehst du damit um? Wie fühlst du dich dabei, dass du nicht mehr kreativ sein kannst?, möchte ich wissen.
Wie soll ich mich fühlen? Immerhin habe ich Arbeit, was nicht selbstverständlich ist. Noch dazu in dem Bereich, in dem ich gelernt habe. Und von dem Geld, das ich verdiene, kann ich mir doch einen gewissen Lebensstandard leisten.
Aber …, begehre ich auf. Es ist in jedem Fall besser, als daheim hinterm Fenster zu sitzen und auf die Straße zu starren, hältst du mir entgegen und wirst dabei ein wenig lauter: Ich möchte nicht darauf warten müssen, dass ein Produzent vorbeikommt, der bereit ist, meinen nächsten Film zu finanzieren. Denn das verbittert. Viel lieber bin ich unter Menschen. Und ich habe ein unheimlich freundliches und engagiertes Team um mich. Du machst eine kurze Pause: Aber lass uns über die Nachwendezeit später sprechen.
Ich nicke. Gut. Möchtest du mir stattdessen etwas über deine Art des Filmemachens erzählen? Welchen Themen hast du dich in der DDR zugewandt und wie hast du sie auf die Leinwand gebracht?
Du schmunzelst, dann schaust du kurz zur Seite, holst tief Luft. Meine Lehrer waren Gerhard Klein und Słatan Dudow. Orientiert habe ich mich auch an Bergman, Pasolini und Tarkowski. Ebenso wie sie interessierte ich mich schon immer für die Menschen um mich herum: für deren Wünsche, Sehnsüchte, Lüste, Leidenschaften, Sorgen, Ängste – für ihr Leben. Und dieses Leben wollte ich auf die Leinwand bringen. Mit reinstem Herzen, wenn ich das so sagen darf.
Gerade dadurch wurdest du zu einem der provokantesten Regisseure in der DDR, werfe ich ein.
Du zuckst mit den Schultern. Als Regisseur muss man wissen, was die Leute bewegt, was sie umtreibt. Denn das ist die Voraussetzung, um gute Geschichten erzählen zu können. Und gute Geschichten sind Geschichten, die alle angehen. Natürlich provozierte das dann, wenn du da beispielsweise eine junge Frau hast, die von der Liebe träumt und eben nicht vom Aufbau der Sozialistischen Gesellschaft.
Du spielst auf deinen Film Die Legende von Paul und Paula an. Da frage ich mich, inwieweit sich Menschen wie Paula von der Sozialistischen Gesellschaft getragen wissen. Wird ihnen überhaupt das Recht zugestanden, so zu sein, wie sie sind?
Ja, so, sagst du. Wir haben hier die von der Politik propagierte Allbeglückung – und die traf in gewisser Weise ja auch zu. Du warst in der DDR abgesichert. Dir fehlte zum Leben erst einmal nichts. Du hattest eine Wohnung und eine Arbeit. In deinem Viertel gab es ein Ambulatorium, eine Kaufhalle, eine Leihbücherei. Kinos und Theater waren nicht weit. Vor allem Kinos gab es ja an jeder Ecke, Ladenkinos, Wohnzimmerkinos, Kinokisten.
Ein hohes Gut, werfe ich ein, von unschätzbarem Wert ist das.
Ja, gibst du mir recht. Es kamen zwar nicht immer Filme, die sehenswert waren. Aber immerhin gab es Kinos. Und für deine Kinder gab es Krippen- und Kindergartenplätze. Dann die Schule und am Nachmittag der Hort oder Arbeitsgemeinschaften und Sportvereine. Die Kinder waren untergebracht und bis zum Abend versorgt. Das Leben war durchstrukturiert und, mehr noch, sinnvoll genutzt. Aber bei all dem, was uns Sicherheit gab, wurde doch der einzelne Mensch vergessen – und eben auch das, was ihn erst zum Menschen macht.
Die Liebe in all ihren Facetten.
Natürlich kannst du das an der Liebe festmachen, stimmst du mir zu. Aber es ist mehr noch das, was die Menschen glücklich macht. Gerade um diesen Widerspruch ging es mir: hier ist das Ideal, der Sozialistische Humanismus, der vorgibt, die Bedürfnisse der Menschen befriedigen zu können. In der Realität aber sahen sich die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Glück oftmals gar nicht ernstgenommen.
Die Individualität und der Drang, sich selbst auch anders zu erfahren, als es die Gesellschaft vorgibt, war nicht erwünscht und wurde unterdrückt, sage ich. Wie auch der Film Solo Sunny von Konrad Wolf zeigt.
Ja natürlich! Und das war auch einer der größten Fehler, die die DDR gemacht hat. Sie schrieb den Menschen vor, wie sie zu sein hatten, ohne darauf zu achten, dass der Mensch auch zutiefst menschliche Bedürfnisse hat. Dass wir alle Individuen sind, die sich, wie in Paulas Situation nicht nur nach staatlicher Sicherheit, sondern eben auch nach leidenschaftlicher Liebe sehnen, die ihr dann eben auch wichtiger ist als all der sozialistische Aufbau.
Ach, ja, unterbreche ich dich, zur leidenschaftlichen Liebe fällt mir noch etwas ein. Ich halte inne und wundere mich darüber, wie ich das tun kann, dich einfach so zu unterbrechen. Du aber siehst mich nur an, scheinst geradezu gelassen zu sein. Ich meine, setze ich daher etwas ruhiger nach, mich hat die Kompromisslosigkeit, mit der Paula ihre Liebe auslebte so sehr berührt. Und mehr noch, dass diese Kompromisslosigkeit aus ihr herauskam, einfach so, ohne, dass sie überlegen musste.
Du schmunzelst, nickst, sagst dann: Ja, wir wollten zeigen, dass die Liebe kompromisslos ist.
Aber auch anarchisch, füge ich hinzu, schnappe nach Luft: Bist du der Ansicht, dass Veränderungen, egal, welcher Art sie sind, einer gewissen Kompromisslosigkeit bedürfen und eben auch einer Anarchie?
Du schweigst, schweigst lange und siehst mich derweil an. Und wieder meine ich in deinem Blick jene, von Melancholie getragene Sehnsucht zu erkennen. Ich halte still, versuche zu begreifen. Da nickst du plötzlich und sagst ungewöhnlich leise: Ja, jeder Veränderung – egal, ob im Zwischenmenschlichen oder im Großen, Gesellschaftlichen und Politischen – wohnt wohl Anarchie inne.
Unmittelbar nach der Wende hast du – wie so viele deiner Kollegen auch – die Kündigung erhalten. Da warst du gerade erst 60 Jahre alt.
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0 | Schriftstellerin • Am 04.01.2023 um 14:21 Uhr | |
Hallo Klatschkopie, mich macht Dein Text neugierig auf die Fortsetzung. Du wolltest doch noch ein paar Zeitzeugenberichte. Hier ein paar Links zu Texten von mir auf anderen Websits: kulturring.berlin/hundert-jahre-gross-berlin/artikel?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=1315&cHash=6f0704b12c4f13dd745e701c720f1558 wortkrieger.de/threads/kennt-einer-nancy.68053 wandel.kulturring.berlin/geschichten/ueber-uns-der-himmel-ueber-berlin Daraus geht hervor: so absichert waren wir gar nicht. Ein Frohes neues Jahr wünscht Schriftstellerin Mehr anzeigen | ||
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