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Raya

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03.10.18 20:58
12 Ab 12 Jahren
Abgebrochen

 

„Was ist Liebe?

Das ist die Frage, die sich der Mensch stellen muss, wenn er von Liebe reden will. Jeder wirft immer mit diesem Begriff um sich, doch kann ihn keiner so richtig definieren. Wofür ein Wort erfinden, wenn es keinen nennenswerten Zweck erfüllt?

Will ein Mensch die Liebe beschreiben, so fallen häufig Worte wie ,warm', ,schön' oder ,atemberaubend', und doch ist es jedem Menschen relativ, wie er dieses Gefühl vernimmt, jedoch scheint ein allgemeiner Konsens darüber zu herrschen, dass Liebe erstmal ein positives Gefühl ist.

Als Gesellschaft sehen wir Nächstenliebe als liebevoll an, doch ist sie nicht gleichzusetzen mit jener Liebe, welche das Wort an sich beschreibt, schon gar nicht, wenn der Mensch dahinter niedere Absichten hegt – dann finden wir es verachtenswert.

An dieser Stelle würde ich die Liebe gerne in zwei ‚Lieben' aufteilen – die biologische Liebe und die lyrische Liebe.

Auf der einen Seite verspürt der Mensch nun die biologische Liebe: Das Gefühl, sich zu einem Partner aufgrund seiner Fortpflanzungsmöglichkeiten hingezogen zu fühlen. Man hat das Verlangen, sich in der Präsenz seines Geliebten zu befinden und möglichst viel Kontakt zu ihm zu pflegen. Dies wiederum führt zu einer übermäßigen Ausschüttung an Endorphinen – im Volksmund auch als Glückshormone bekannt - im Gehirn, und dies wiederum führt zu einem stärkeren Verlangen nach dem eigenen Partner. Doch wie wählen wir unseren Partner aus? Es ist eigentlich ganz einfach, und trotz dass es ein natürlicher Vorgang ist, wird er in der Gesellschaft doch so sehr verhasst, als primitiv dargestellt, obwohl der Mensch nur Probleme damit hat, seine Instinkte zu unterdrücken, eigentlich unterdrücken wir uns damit selbst ein wenig. Aber zurück zur Selektion: Jeder Mensch wird seinen potentiellen Partner zuerst ausgiebig beobachten – Verhaltensweisen, äußere Erscheinung, wobei hier vor allem die Geschlechtsorgane eine primäre Rolle spielen, und viele weitere, geschlechtsspezifische  Faktoren. Männer werden zum Beispiel ihre Blicke eher auf Frauen richten, welche eine üppige Oberweite und einen runden Hintern haben: Die Oberweite gibt eine gute Fruchtbarkeit und eine mehr als genügende Versorgung des Neugeborenen an, wohingegen das ausgeprägte Gesäß für Stabilität und eine gute Geburt steht, weswegen auch Herzen die Form eines umgekehrten Gesäßes haben, wobei Wissenschaftler sich hier noch nicht ganz einig sind. Da der Phallus für Frauen nicht direkt sichtbar ist, schauen sie eher auf die Körpergröße und reagieren zusätzlich besonders auf den Testosteronwert des Mannes, man kann also guten Gewissens behaupten, dass Frauen sich eher männliche Männer aussuchen als solche, die eben über keinen hohen Testosteronspiegel verfügen. Zusätzlich achten beide Geschlechter auf Merkmale wie symmetrische Gesichter, die Art, wie der potentielle Partner tanzt, Ähnlichkeit zum andersgeschlechtlichen Elternteil. Diese Art der Liebe ist sehr gewaltvoll – ,Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt' beschreibt ihre Macht wohl am besten: Sowohl Mann als Frau werden einige Steine ins Rollen bringen, um den Partner für sich zu gewinnen, und man will ihn nicht gehen lassen, unter keinen Umständen, doch ist diese Liebe vollkommen unbrauchbar, erfüllt sie doch nur den Zweck, sich selbst fortzupflanzen und das eigene Geschlecht weiterbestehen zu lassen: Man könnte sie als egoistische Liebe klassifizieren.

Auf der anderen Seite haben wir die lyrische Liebe – Die Idealform der menschlichen Existenz, das höchste aller Gefühle, welches Romeo und schließlich auch Julia zum Suizid führte. Rein vom Gefühl lässt sich an dieser Stelle nur schwer von der biologischen Liebe unterscheiden, schließlich empfindet der Mensch auch hier das Verlangen nach der Aufmerksamkeit des Partners, intimen Kontakt und weiteren Arten des Umgangs mit dem Partner. Doch ist die Vorstellung der Partnerwahl gänzlich anders: Hierbei wird der potentielle Partner nicht nach biologischen, sondern nach mentalen und emotionalen Werten ausgesucht – geläufiger ist wohl der Ausdruck ‚innere Werte'. Allerdings werden auch hier wieder zahlreiche Endorphine im Gehirn freigesetzt, welche das Verlangen nach dem Partner stärken. Inwiefern will man also zwischen den beiden Liebesformen unterscheiden, wenn doch beide dasselbe Ziel, den geliebten Partner, verfolgen, und warum?

Ab hier mischt die Lyrik mit, welche auch namensgebend für diese Liebesform ist. Wie bereits erwähnt wird der Partner hierbei nicht nach biologischen Merkmalen bewertet, sondern nach mentalen und emotionalen. Und obwohl auch hier der Protagonist alles dafür tun wird, um seine Geliebte zu erreichen, geht hier das Opfer doch viel weiter: Eine Liebe, welche auf rein biologischer Ebene basiert, würde niemals ein Opfer gleichsetzend mit dem eigenen Leben riskieren, da dies den Verlust der eigenen Gene bedeuten würde – Doch ist dies in der lyrischen Liebe kein Problem. Hier sind beide Liebenden gleichberechtigt, fühlen sich aufgrund der Persönlichkeit des anderen zueinander hingezogen, und es ist generell die moralisch korrektere Form der Liebe. Primär geht es um das Wohl des anderen, wobei das eigene Wohl solange in den Hintergrund gestellt wird, bis das Wohl des Geliebten gesichert ist. Einer der Liebenden nimmt immer die Rolle des weißen Ritters ein und beschützt den Geliebten mit seinem eigenen Leben, in jedem freien Moment wird an den Partner gedacht, und selbst wenn die Liebe nicht erwidert wird, wird der am Boden zerstörte Protagonist doch weiter für das Leben, den Luxus des anderen, kämpfen, auch gegen sich selbst, bis seine Frustration nachlässt und er sich voll und ganz in den Dienst seines Geliebten stellen kann. Ab diesem Zeitpunkt ist seine Liebe dann vollendet: Kein Gefühl wird ihn von hier an höher beflügeln als ein Blick des Geliebten, die Stimme, die alleinige Präsenz, und sollte die Liebe nun doch erwidert werden, entsteht zwischen beiden eine Unendlichkeit, ein zeitloser Augenblick, und sie leben glücklich, falls sie noch nicht gestorben sein sollten.

Mir persönlich gefällt ja eher die lyrische Auffassung der Liebe – Wenn ich das mal so am Rande erwähnen darf."

Sichtlich gelangweilt starrte sie mit ihren großen, braunen Augen ein Loch in meine Seele. „Dein Vortrag war ja ganz lehrreich..." Sie machte eine kurze Pause, um sich ihre Haare aus dem Gesicht zu schieben, „...aber was genau willst du mir jetzt damit sagen?"

„Was ich dir damit sagen will?

Ich liebe dich."

 

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„Du... liebst mich..." Sie nahm ihre schwarze Lederhandtasche und stand von ihrem Stuhl auf, nur um sich ein weiteres Mal das in ihr Gesicht gefallene Haar wieder rauszuschieben.

„Darf ich dir eine Frage stellen?"

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, doch ich durfte mir es mir nicht anmerken lassen, immerhin habe ich hier gerade mehr als nur ein paar Minuten ihres Lebens verschwendet, das letzte Bisschen schaffe ich auch noch.

„Klar, schieß los." Ich versteckte meine schwitzenden Hände hinter meinem Rücken.

„Auf welche Art liebst du mich denn? Weißt du, eigentlich will ich ja gar keinen Freund, der mich aufgrund meiner Oberweite begehrenswert findet..." Ihre Mundwinkel zogen sich hoch, sie öffnete ihren Mund, streckte mir ihre Zunge entgegen.

Das war wohl das erste Mal, an dem sie mir jede innere Ruhe nahm. Kein Mensch auf dieser Welt hätte mit solch einer Reaktion gerechnet, und doch war es so typisch für sie.

Ein wenig frustriert forderte ich sie heraus. „Willst du nicht lieber selber raten, auf welche Art und Weise ich dich liebe?"

„Kennst du mich überhaupt gut genug?"

„Gut genug, um mir sicher zu sein, dass ich gerne dein Romeo wäre."

„Wirklich? Darf deine zukünftige eventuell-Julia noch etwas einwenden?"

„Sicher."

Aus ihrer kleinen Ledertasche zückte sie ein dunkelblau eingebundenes Notizbuch, blätterte ein wenig darin rum, dann blieben ihre Finger plötzlich stehen.

„Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Wo ich ihn nicht hab',
Ist mir das Grab,
Die ganze Welt
Ist mir vergällt.

Mein armer Kopf
Ist mir verrückt,
Mein armer Sinn
Ist mir zerstückt.

Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Nach ihm nur schau' ich
Zum Fenster hinaus,
Nach ihm nur geh' ich
Aus dem Haus.

Sein hoher Gang,
Sein' edle Gestalt,
Seines Mundes Lächeln,
Seiner Augen Gewalt,

Und seiner Rede
Zauberfluß,
Sein Händedruck,
Und ach sein Kuß!

Meine Ruh' ist hin,
Mein Herz ist schwer;
Ich finde sie nimmer
Und nimmermehr.

Mein Busen drängt
Sich nach ihm hin.
Ach dürft' ich fassen
Und halten ihn,

Und küssen ihn,
So wie ich wollt',
An seinen Küssen
Vergehen sollt'!"

Goethe. Faust, um genau zu sein. Damals war ich reichlich überrascht, von ihr ein Zitat Goethes zu hören. Aber sie hatte wohl Recht, ich kannte sie zu der Zeit noch nicht gut genug.

„Darf ich dir antworten?"

„Selbstverständlich." Wieder zogen sich ihre Mundwinkel die roten Wangen hinauf. Doch diesmal grüßte mich nicht ihre Zunge, sondern Augen voller Erwartung, voller Hoffnung, glänzende, braune Augen, wie ich sie zuvor nie gesehen hatte. Es waren Augen, die ich mein Leben lang gesucht hatte.

In diesem Moment wollte ich sie wohl einfach beeindrucken.

„Dem Schnee, dem Regen,
Dem Wind entgegen,
Im Dampf der Klüfte,
Durch Nebeldüfte,
Immer zu! Immer zu!
Ohne Rast und Ruh!

Lieber durch Leiden
Möcht ich mich schlagen,
Als so viel Freuden
Des Lebens ertragen.
Alle das Neigen
Von Herzen zu Herzen,
Ach, wie so eigen
Schaffet das Schmerzen!

Wie soll ich fliehen?
Wälderwärts ziehen?
Alles vergebens!
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du!
"

Vers für Vers, ohne einmal eine Pause zu machen,  ratterte ich die „Rastlose Liebe" aus meinem Gedächtnis hinunter. Ob es wohl zu viel war?

Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Gar nicht mal schlecht." Mit einem Satz ging sie auf mich zu und starrte erneut durch mich hindurch.

Im Nachhinein war ich sehr froh, dass ich ihren Blick dieses eine Mal erwidern konnte.

 

 

„Also..." Sie nahm erneut Platz auf ihrem Stuhl, „dann erzähl doch mal ein wenig über dich."

Erwartungsvoll tippte sie mit ihren Fingern in einem gleichmäßigen Rhythmus auf dem kleinen Holztisch herum. Es machte mich wahnsinnig.

Dabei wusste ich noch gar nicht so richtig, was sie von mir wollte. Bevor ich ihr antworten konnte, musste ich erst einmal die ganzen wirren Gedanken aus meinem Kopf verbannen.

„Mein Name ist Azul, ich bin 17 Jahre alt und-"

„Nicht sowas." Sie unterbrach meine kleine Selbstpräsentation, „Das weiß ich doch alles schon. Erzähl mir etwas über dich."

„Kannst du dich nicht ein wenig präziser fassen? Ich weiß nicht recht, was ich dir jetzt über mich erzählen soll, dass du noch nicht von mir weißt." Mir entwich ein kleiner Seufzer. Typisch Ich...

„Alles." Ihre Stimme schoss wie kalter Stahl durch mich, und ihre Aura schlug schlagartig in eine unterdrückende Kälte um. Sie wusste genau, was sie von mir wissen wollte.

„N-Nun ja, den Großteil meiner Freizeit verbringe ich in der Schulbibliothek, um dort in Ruhe zu lesen."

Flucht war von hier an keine Möglichkeit mehr. Ihre Aura hatte meine Beine zu Eiszapfen mutieren lassen.

Ich wurde immer nervöser. Meine Finger verkrampften sich im Leder meines Stuhls.

„Irgendwann hab ich... hab ich dann Gefallen an Lyrik gefunden... und..."

„Und?" Ihre Stimme wurde weicher.

„Und ich merkte, wie bescheiden unsere Bildung in diesem Bereich ausfällt. Ich meine, den Großteil der bedeutendsten Lyriken haben wir bis jetzt noch kein einziges Mal im Unterricht behandelt, viele Deutschlehrer kennen sich mit dem Thema ja noch nicht mal richtig aus. Dazu -"

Wieder unterbrach sie mich. Doch diesmal war es kein strenger Ton, der mich meine Boxer einnässen ließ, es war ein Lachen. Ein wunderschönes Lachen.

„War das jetzt wirklich so schwer?"

Mein Seufzen wollte einfach kein Ende nehmen.

Was hab' ich mir hier nur eingebrockt...?

Sie stoppte ihr Tippen. Unsere Blicke schweiften zu einem nicht allzu weit entfernten Spielplatz. Die Knirpse konnte man hier hinten allerdings nicht hören.

„Meine Eltern brachten mir die Lyrik nahe. Für sie war es immer die einzig wahre Form der Literatur, die Texte der ‚großen Denker', wie sie Goethe, Schiller und die ganzen Greise bezeichnen." Sie fuhr mit ihrem Finger am Rand ihres Kaffees entlang. dann deutete sie auf das kleine, blau eingebundene Buch neben ihrer Hand.

„Das hier... ist mein Notizbuch. Wann immer ich ein interessantes Gedicht sehe, schreibe ich es hier auf. Das hilft mir, es besser zu verinnerlichen."

Sprachlos stand ich da. Dass es jemand mit dem selben Hobby wie mich geben sollte - ich kniff mich unbemerkt, nur um sicher zu gehen, dass ich wirklich nicht träumte. Dann fasste ich mich wieder.

„Also, wenn ich ein interessantes Gedicht lese..." Ich ergriff die Führung des Gesprächs, „dann will ich eigentlich mehr über den Dichter herausfinden."

Ich stieg mit einem Fuß auf den Stuhl vor mir, hob meine rechte Hand gen Himmel und meine linke führte ich zu meinen Herzen, um möglichst poetisch rüberzukommen, „Was bewegte ihre puren Herzen...", meine rechte Hand schnellte vor mein Gesicht, „...solch schmerzliche Worte auf Papier zu bringen?"

Sie war ein harter Brocken. Sie verzog nicht eine Mine nach meiner Aktion.

Warum sind Mädchen denn bitte so kompliziert?

„Wie gesagt, meine Eltern führten mich zur Lyrik. Auch wenn viele Kinder sich immer wieder beschweren, wenn ihre Eltern ihnen etwas mit auf den Weg geben, ist dies bei mir nicht der Fall: Ich genieße es, die Labyrinthe aus Worten, welche uns die Dichter hinterlassen haben, zu entschlüsseln und Zeuge ihrer wahren Bedeutung zu werden. Ihr Vermächtnis soll unsere Euphorie sein!" Sie schloss ihre Augen, wischte sich mit ihrer Rückhand über ihre Stirn. Wie ein sterbender Schwan.

Jetzt will sie mich aber auf den Arm nehmen.

Erneut seufzte ich, diesmal etwas lauter. Sie bemerkte es wohl, anders konnte ich mir ihr Kichern nicht erklären.

„Und warum? Warum willst du die ‚Labyrinthe entschlüsseln'?"

„Warum willst du mehr über die Leute erfahren, die uns die Labyrinthe gebaut haben? Einfacher: Wieso spielen Jungs Fußball, auch wenn sie keine Fußballer werden wollen? Aus welchem Grund reiten Mädchen, wenn sie keine professionellen Turnierreiterinnen werden wollen? Wir können nicht immer produktiv sein. Ich habe einfach Spaß daran."

Eine sehr hedonistische Lebensansicht. Aber im Kern wohl wahr: Wir konnten nicht immer etwas zu tun haben. Allein bei dem Gedanken an ständige Arbeit wurde mir schwindlig.

„Und warum interessierst du dich so für die Vergangenheit der Dichter?" In ihren Augen blitzte Neugierde auf.

„Nun ja..." Meine Hand wanderte zu meinem Hinterkopf „Jedes Mal, wenn wir im Deutschunterricht das Thema Lyrik durchnehmen, schauen wir uns ein paar Gedichte, vielleicht auch mal ein Theaterstück, an. Wir zernehmen jede Zeile, jeden Vers auf Anaphern, Metaphern, Symbole, ihre syntaktische Zusammensetzung, und doch beachten wir nie das Wichtigste: Die Menschen hinter diesen Kreationen. Wann hast du schon einmal von der Beziehung zwischen Goethe und Charlotte von Stein gehört? Dass Schiller aus seinem Heimatstaat floh, weil der Herzog ihm das Dichten verbot? Wir Menschen materialisieren gerne, und vergessen dabei, dass diese Werke nicht durch Zauberei entstanden sind, sondern von leidenden, liebenden, erfreuten, verzweifelten Menschen wie dir und mir geschrieben wurden. Und damit schmeißen wir einen großen Teil der Lyrik und von uns selbst weg: Die Menschlichkeit. Und wenn wir dieses Thema schon im Unterricht behandeln, dann sollten wir es nicht beleidigen, indem wir ihren Hauptpunkt mit Füßen treten. Das nervt mich gewaltig.

Außerdem..."

Ich hielt kurz inne. Es war eine schlechte Angewohnheit von mir, anderen Personen immer wieder viel zu lange Vorsätze zu halten und ihnen jeden Weg zur Beteiligung am Gespräch zu versperren. Schleichend wanderte mein Blick in ihre Richtung...

Sie saß da, seelenruhig. Ihren Kopf stütze sie mit ihren Händen ab, ihre Ellbogen auf dem Holztisch. Sie hörte mir zu. Ihre Neugierde war noch nicht erloschen.

Sie loderte in Erwartung auf meinen nächsten Satz.

„...will ich mal..." meine Zunge drehte sich in meinem Mund, unfähig, die leichtesten Wörter auszusprechen. Ich atmete einmal tief durch, sammelte mich.

„Ich will einmal Autor werden."

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„...Autor soll's also sein, was?" Mit einem Mal ersetzte ein sadistischer Sarkasmus die Wärme in ihren Augen.

Wenn ein Mädchen Löcher in Raum und Zeit starren konnte, dann war es definitiv sie.

„Machen sich deine Eltern denn gar keine Sorgen darum? Was, wenn niemand deine Bücher lesen will, wenn du von allen Verlägen abgelehnt wirst? Und selbst wenn dir Erfolg vergönnt ist, wer kann dir versprechen, dass sich der Geldhahn nicht schließt? Das ist doch viel zu unsicher."

Sie guckte mir tief in die Augen. Mit einem verschmitzten Lächeln wollte sie ihre Aussage verstärken, mir den letzten Schlag verpassen.

Aber mich ließ das kalt. Nicht, weil sie Unrecht hatte. Ich konnte sie vollkommen nachvollziehen, auch, wenn es mich innerlich ein wenig schmerzen ließ.

Und das war das Problem: Sie hatte Recht.

„Am Geld wird es nicht scheitern. Meine Familie hat mehr als genug Geld um mich bis in mein Nachleben zu versorgen. Aber du hast Recht: Was mache ich, wenn niemand meine Werke liest, wenn sie mit Füßen getreten werden? Dann trauere ich, weine meinen verstorbenen Träumen nach, oder?

Aber was mache ich, wenn ich den Leuten nicht einmal die Chance gebe, meine Texte zu lesen, sie zu kritisieren, und sie letzten Endes vielleicht mit Füßen zu treten? Verwehre ich mir dann nicht selbst meinen Traum?"

Ich war nicht nervös. Ich sprach gegen das Mädchen, dem ich eben noch meine Liebe gestanden hatte, doch ich konterte sie nicht. Ich blieb bei meinem Punkt. Mich hätten keine zehn Pferde erschüttern können.

„Diese Vorstellung ist doch viel schlimmer. Sich selbst nicht zu leben, weil man Angst vor sich selbst hat. Außerdem: Wenn es mir Spaß macht, ist mir der Rest der Welt vorerst egal - Sie kann allerdings gerne auf meine Aussagen reagieren, auf das ich, welches sie ohne mich nicht kennenlernen würde."

Ich konnte nicht recht beurteilen, ob ihr Gesicht danach Verwunderung oder völlige Verwirrung ausdrückte. Jedoch hatte ich auch keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

Ihr Blick wandte sich wieder dem Spielplatz zu. Ein leichter Wind fuhr ihr durch die Haare. Alleine dieser Anblick machte mich schon glücklich. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals.

„Schau dir diese Kinder an..." Sie stützte ihren Kopf nur noch mit einer Hand ab, mit der anderen zeigte sie in Richtung Klettergerüst. „Unbekümmert, unerfahren, vom Leben völlig unberührt. Und was machen sie?"

Zuerst war ich von der Frage verdutzt. Was sollten Kinder auf einem Spielplatz denn bitte machen? „Spielen, natürlich."

„Genau. Sie wollen etwas sein, die sieben Meere besegeln, das weite All erkunden. Menschen helfen. Jemand anderes sein, wenn man es genau haben will."

Einen Moment lang war es ruhig. Ein Gefühl der Nostalgie machte sich zwischen uns breit, und verschwand mit dem Wind wieder.

„Und was willst du sein?"

Aus meinem Tagtraum gerissen antwortete ich. „Jetzt gerade? Schüler."

„Das bist du. Was willst du später mal werden?"

„Autor."

„Und was musst du dafür sein?" Sie guckte weiterhin den Kindern beim Spielen zu. Ich wurde aus ihren Fragen einfach nicht schlau.

„Ich sollte vielleicht Deutsch studieren. Dafür bräuchte ich aber erst einmal einen ordentlichen Abschluss..."

„Falsch." Der Wind streifte die Blätter, doch konnte er ihre Entschiedenheit nicht verdecken.

„Dann sag's mir."

„Es bringt dir nichts, wenn ich es dir sage."

Ihre Worte prallten in meinem Kopf von einer Seite zur anderen. Ich wusste, dass es eine Antwort gab, die sie hören wollte, nur nicht welche, und auch nicht, wie ich zu ihrer Erkenntnis kam. Doch eine wohlüberlegte Antwort wäre wohl auch die falsche Entscheidung gewesen.

Dann fing sie wieder an zu sprechen.

„Weswegen willst du Autor werden?"

Mein Körper spannte sich an. „Es macht mir Spaß zu schreiben. Es ist mein Traum..."

„Und warum bewunderst du Goethe, Schiller? Warum ist es schwer, Autor zu sein?"

„Als Autor ist man sich nicht sicher, ob den Lesern die eigenen Werke gefallen, ob man davon leben kann..."

Erneut, Stille. Nur der Wind und ich.

Ich dachte erneut über unser Gespräch nach. Nach und nach zeichnete sich in meinem Kopf ein klares Motiv.

„Du sagst, Kinder geben vor, etwas anderes zu sein, nicht wahr?" Meine Stimme war ein wenig zittrig. „Das stimmt. Sie wollen jemand anderes sein, weil es ihnen besser gefällt. Das werden sie ihr Leben lang machen, damit sie in der Gesellschaft leben können, um anderen zu gefallen, und um sich selbst zu gefallen."

Sie guckte wieder mich an. Ihre Aufmerksamkeit war ein Segen.

„Aber ich darf das nicht. Damit würde ich mich selbst hintergehen. Ich muss ich selbst bleiben. Mir bleibt doch gar nichts anderes übrig..."

„Sag das doch nicht so, als ob es etwas Schlechtes wäre." Ihre Mundwinkel zogen sich hoch. „Immerhin bist du der einzige, der in unserer Gesellschaft die Chance dazu erhält."

Genau.

„Und meine Leser sind die Einzigen, die mich außerhalb der Gesellschaft kennenlernen können."

„Also hast du's doch verstanden." Ihren Kopf legte sie auf eine Brücke aus ihren Händen. Ihre braunen Haare wehten im Wind.

 

„Dann schreib mal schön, mein kleiner Shakespeare."

 

Wieder gab es einen kleinen Moment der Stille. Dann packte sie ihr Notizbuch in ihre Tasche.

„Weißt du..." Sie nahm ihre Tasche in die Hand, schob ihren Stuhl zurück „Es wird Zeit für unseren ersten Abschied." Wieder streckte sie mir ihre Zunge entgegen.

Wie reagiert man bitte, wenn das Mädchen der eigenen Träume einem ständig die Zunge ins Gesicht streckte? Verwirrt und gleichzeitig ein wenig bekümmert schaute ich mich in der Gegend um.

„Hast du nicht noch ein wenig Zeit? Ich mein, so spät ist es doch noch gar nicht." Es gab keinen besonderen Grund sie hierzubehalten. Bestimmt hatte sie schon bessere Pläne, irgendwas Wichtiges... „Musst du denn wirklich schon nach Hause? Kannst du nicht noch ein wenig bleiben? Nur zum Plaudern oder so..."

Ihr Körper drehte sich nach links, sie wich meinem Blick aus. Doch dieses Mal konnte ich sie nicht kichern oder Lachen hören. Auch ihr Gesichtsausdruck wurde schwerer.

Die Luft spannte sich an. Ihren Mundwinkeln folgten nun auch ihre Schultern auf dem Weg nach unten. Das war wohl das erste Mal, dass ich sie traurig sah, und ich war dran schuld.

„N-Nicht, dass mir das so wichtig wäre..." Meine Stimme wurde unsicher, zittrig.

„Wenn du noch etwas zu tun hast, dann geht das natürlich vor..."

Ich flüchtete mich in Ausreden. Ich wollte alles in meiner Macht stehende tun, Hauptsache sie ist nicht mehr traurig.

„Es tut mir Leid... Ich würde gerne noch ein wenig bleiben, aber... weißt du... da gibt es ein paar persönliche Gründe... und..." Ihr fiel es schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie war doch eben noch so bestimmt.

Verzweifelt warf ich ihr ein Lächeln zu. „Du musst es mir nicht erzählen, wenn du es mir nicht erzählen willst." Meine Hände wurden schwitzig, krampften sich zu Fäusten.

„Ich mein, ich bin irgendein Typ, mit dem du noch nie zuvor geredet hast. Ich hab dir die letzten 15 Minuten nur einen Vortrag über Liebe gehalten, und um ehrlich zu sein, ich würde am liebsten im Erdboden versinken..."

Vor meinem nächsten Satz stockte ich ein wenig. Er steckte mir wie ein Kloß im Hals.

Tief Luft holen, einmal Mut fassen...

 

„Aber du warst hier." Meine Wangen brannten.

Vom Spielplatz drang totale Leere hinüber.

Die Sonne konnte den Horizont schon längst nur noch von unten erleuchten.

Ein angenehm warmer Herbstwind fuhr an meiner Hand vorbei.

Und sie. Ihr weißes Kleid passte super in das Farbschema. Es war kein grelles weiß, eher perlweiß. Trotz ihrer tragischen Aura sah sie noch atemberaubend aus.

„Und weißt du..." Meine Stimme war sanfter geworden. Meine Hände lockerten sich.

Ich genoss den Moment. Ich genoss ihren Anblick.

Ich konnte nicht anders, als mir den Ahorn neben uns anzuschauen.

Ein Lächeln zog sich über mein ganzes Gesicht. „Abschiede sind nicht immer schlimm."

Ihre volle Aufmerksamkeit lag auf mir. Ihr Gesicht war noch immer getrübt von dem bedrückten Ausdruck. Aber ich konnte wieder einen Funken Neugier in ihren Augen finden. Sie ergriff das Wort.

„Wie meinst du das?"

Damit setzte ich sie Schachmatt.

„Nun ja..." Ich hatte nicht mit einer so direkten Frage gerechnet, doch meine Antwort darauf kannte ich bereits. „Ich freue mich gerade. Nicht nur weil du heute gekommen bist, sondern weil ich dich wiedersehen kann. Ich fühle jetzt schon die Vorfreude darauf, dass ich dich morgen, vielleicht übermorgen wiedersehen, mich wieder mit dir unterhalten, wieder dein Lächeln sehen kann, deine Stimme vernehmen darf..."

Ein Blatt nach dem anderen segelte auf den Boden.

„Natürlich wäre es schön wenn du noch ein wenig bleiben könntest... aber der Abschied gehört genauso dazu wie das Kommen. Der Abschied wäre ohne dein Kommen nicht möglich gewesen. Und dein Wiederkommen nicht ohne den Abschied."

Ein leises Schniefen.

„Jetzt hast du mir doch schon wieder einen Vortrag gehalten..." Sie strengte sich an, ein Kichern durch ihre Trauer durchzubekommen. Wobei...

Sie stand da, von jeglichen Geistern verlassen, den Blick gen Sonne gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck leer.

Doch ihre Präsenz fühlte sich deutlich leichter an.

Verlegen suchte meine Hand ihren Weg zu meinem Hinterkopf.

„Wie wäre es dann direkt morgen?" Sie sprach etwas leiser. „Wieder hier?"

Ich ließ einen großen Stoß Luft aus. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich ja noch gar nicht, ob sie sich überhaupt noch ein weiteres Mal mit mir treffen wollte.

„Gerne." Mein Lächeln war noch nicht abgeklungen. „Nach der Schule?"

„Ja. Hört sich gut an." Sie nickte sich ein paar Mal selbst zu. „Ich habe morgen aber relativ lange Schule."

„Mach dir darüber mal keine Gedanken, ich habe sowieso nichts zu tun. Das bisschen Warten wird mich schon nicht umbringen."

Ihre Mundwinkel zogen sich ein wenig nach oben.

„Gut." Sie drehte sich wieder um. Ein paar Meter weiter von hier war eine Busstelle, ein ziemlich ungemütliches Plätzchen, um ehrlich zu sein. Abgeranzte Sitze, überfüllte Mülleimer. Sie passte gar nicht ins Bild hinein.

„Mein Bus sollte jeden Moment kommen."

„Dann sollte ich mich wohl auch langsam mal fertig machen..." Auch ich stand von meinem Stuhl auf, streckte mich.

Wahrscheinlich ist sie direkt nach der Schule hierhin gekommen. Im Gegensatz zu ihr hatte ich meine Schulsachen längst schon zuhause, erstens, weil ich in der Regel immer früh frei habe, und zweitens wollte ich mich kurz vor unserem Treffen noch einmal frischmachen...

Sie starrte noch ein wenig der Sonne entgegen. Und mit dieser simplen Geste hatte sie es erneut geschafft, mir die Sprache zu verschlagen. Ich konnte nie verstehen, wie sie das immer hinkriegte, solch einen malerischen Anblick zu schaffen.

Ein Motorrattern zerstörte diese Szene nicht allzu bald. Der beißende Geruch eines Diesels gefolgt von einem metallenen Monstrum blockierte meinen Verstand. Die Bremsen quietschten, als der Metallklumpen zum Stehen kommen wollte.

„Das ist meiner." Sie warf mir noch ein paar letzte Worte des Abschieds entgegen. „Bis morgen."

Ich war überrumpelt von der plötzlichen Präsenz des Busses. Aber was will man machen...

„Ja. Bis morgen." Zu mehr konnte ich meine Lippen nicht bewegen.

Schritt für Schritt stolperte sie Richtung Bus. Ihre Sohlen hallten auf den Pflastersteinen wider.

Ein Zischen entwich dem Bus beim Zurückziehen der Türen. Sie schaute noch ein letztes Mal in meine Richtung. Sie sagte etwas.

Ich konnte sie nicht verstehen, aber ich verstand es.

 

„Danke."

 

Und mit dem Schließen der Türen verschwand sie.

 

Auch mein Pfad führte mich dann Richtung Heimat.

Ich blickte noch einmal zur Bushaltestelle. Es war eine Schande, dass so etwas neben diesem schönen Café überhaupt existieren durfte.

 

Der Ort, an dem ich mich mit ihr getroffen hatte, war ein kleines, rustikales Café. Es war nie wirklich überfüllt, aber der Kaffee dort schmeckte unglaublich gut und die Bedienungen waren nett. Wenn man den Spruch „Der Kunde ist König" auf etwas beziehen wollte, wäre dieses Café wohl am ehesten dafür geeignet.

Ein Schmunzeln schlich sich auf mein Gesicht.

Just in dem Moment, in dem ich meinen Blick wieder nach vorne gerichtet hatte, blendete mich die herbstliche Abendsonne. Ein großer, orangener Feuerball, der uns allen Wärme spendet. Und in dem Lichtverhältnis atemberaubend.

Zwei Kinder liefen an mir vorbei. Sie kamen wohl gerade vom Spielplatz neben dem Café.

„Hey, Marie, warte auf mich!" Der Junge humpelte ein wenig, hatte sich wohl beim Spielen verletzt.

„Ist deine Schuld, wenn du mich auch immer ärgern willst, du Blödmann!" Sie verzog ihr Gesicht zu einer spöttischen Grimasse. Vertauschte Rollen.

Mit einem Mal legte der Junge den Sprint seines Lebens hin. „Wart nur ab, dich krieg' ich!"

Ihre kleine Auseinandersetzung endete in einer Verfolgungsjagd gen Sonnenuntergang. Bei dem Anblick konnte ich mir das Lachen einfach nicht verkneifen.

Allerdings hatte ich auch allen Grund dazu: Heute war ein schöner Tag. Trotz meiner Nervosität schaffte ich es doch irgendwie, ein halbwegs anständiges Gespräch mit ihr auf die Beine zu stellen. Wobei ich ihr ja eigentlich nur meine Liebe gestehen wollte. Doch noch habe ich keine Absage bekommen. Ich kam, sah, und siegte immerhin ein wenig.

Mein verschmitztes Lächeln war mittlerweile an beiden Enden meiner Wangen angekommen.

Ich blieb kurz stehen, meine Arme hinter dem Kopf verschränkt, und beobachtete erneut den Abendhimmel. Der ganze Himmel war in ein sanftes orange-rot gehüllt, gefüllt mit Wolken, die ein riesiges Mandala bildeten. Sie machten diesen Anblick zu einem einzigartigen Unikat. So wie jedes Mal.

Den Schatten der Gebäude konnte ich beim Bewegen buchstäblich zusehen. Langsam aber sicher krochen sie am Boden entlang, um Schutz vor der Sonne zu finden.

Die Zeit hatte ich schon längst aus meinen Gedanken verbannt. Ob es jetzt 19 Uhr oder 21 Uhr war, das alles spielte für mich keine Rolle. Die einzige Zeit, für die ich mich interessierte, war der nächste Tag, ein Freitag. Normalerweise habe ich da gegen 13 Uhr frei. Wie lange sie wohl Schule hatte?

Ich blieb kurz stehen.

Manchmal gebe ich mich selbst auf...

 

Bis zur Kreuzung hatte ich die Autos der Hauptstraße komplett ausgeblendet, sowohl die Geräuschkulisse als auch den Gestank. Ein Strom Autos zog vor meiner Nase vorbei, alles mehr oder weniger glückliche Seelen, welche dieselbe Reise wie ich bestritten. Gut 30 von ihnen durfte ich beim Erhellen der Straßen bewundern, bis die Ampel von Rot auf Grün umschlug.

Mein Weg führte mich entlang der Hauptstraße, an einer alten Mühle rechts, auf direktem Weg zu meiner Schule. Eigentlich zu mir nach Hause, aber sie lag auf meinem Heimweg.

Da drin habe ich sie das erste Mal getroffen. In diesem trostlosen Klotz eines Gymnasiums, welcher von der Verzweiflung und der Motivationslosigkeit aller Schüler zusammengehalten wird. Eine Bildungsinstitution, welche sich mehr wie eine Gefängniszelle anfühlte. Und das Treffen mit ihr war das Mindeste, was dieser graue Brocken mir als Entschädigung geben konnte. Obwohl es eigentlich schon reichte, um mich vollends glücklich zu machen.

Ohne es zu merken stand ich bereits vor meiner Haustür. Unser Haus war relativ geräumig, ich hatte sogar mein eigenes Bad. Ich kramte den Schlüssel aus meiner Jackentasche und öffnete langsam die quietschende Tür.

„Mama? Bin wieder da!" Meine Stimme hallte durch den Eingangsbereich. Keine Antwort. Sie war wohl noch arbeiten.

Mein Verlangen nach Essen führte mich in die Küche. Ich hatte einen Bärenhunger. Hoffentlich hat sie was für mich vorbereitet...

Ich suchte die Küche nach etwas Essbarem ab. Weder auf dem Tisch noch auf der Spüle konnte ich etwas finden. Erst nach meiner Suchaktion fiel mir der große Zettel am Kühlschrank auf.

 

 

Ich komme heute etwas später nach Hause. Erika ist krank, daher muss ich ein paar Überstunden machen. Ich habe dir ein wenig Reis mit Hähnchen gemacht, solltest du Hunger bekommen. Warte mit dem Essen nicht auf mich.

Hab dich lieb

Mama

 

Das erklärte so einiges.

Eifrig schnappte ich mir die Dose und schob sie in die Mikrowelle. Reis mit Hähnchen hatte ich schon länger nicht mehr gegessen.

Ich nahm mir ein Glas und füllte es mit Wasser. Dann war Warten angesagt, warten, bis das Surren der Mikrowelle endete.

Ding

Mit meinem Essen in der Hand ging ich die Treppe hinauf, die erste Tür links, mein Zimmer. Vorzufinden war ein PC, ein Fernseher, ein Bett. Und die große Unordnung auf Boden und Schreibtisch.

Ich schob die leeren Flaschen von letztem Wochenende zur Seite um Platz für mein Essen zu schaffen.

Mein Blick wanderte durch mein Zimmer. Zwischen den ganzen Hosen und dem Müll versteckte sich meine Schultasche. Meine Hausaufgaben hatte ich zum Glück schon vor dem Treffen mit ihr gemacht. Zumindest die für den nächsten Tag.

Ich nahm die ersten Löffel. Meine Mutter war wirklich gesegnet, so eine gute Köchin findet man nur selten. Das Hähnchen war zart, und der Basmati-Reis war ein Geschenk für den Gaumen. Hätte ich meine Mutter nicht, könnte ich nichts mehr essen. Es würde mir einfach nicht schmecken.

Ich stocherte im Reis herum.

Den ganzen Weg über wollte mir diese eine Frage nicht aus dem Kopf: Aus welchem Grund war sie auf einmal so bedrückt? Das ganze Gespräch über sah sie doch so lebhaft aus, und so ein tragischer Gesichtsausdruck steht ihr gar nicht.

War es vielleicht meine Schuld? Habe ich etwas Falsches gesagt? Wahrscheinlich war das nur meine Einbildung, aber... was, wenn ich wirklich Schuld an ihrer Gemütsänderung hatte?

Ich schob den Teller zur Seite, stand auf, öffnete ein Fenster. Der Gestank meines Mülls war unerträglich. Eigentlich sollte ich mal aufräumen, aber ich bin viel zu faul dafür.

Mein Kinn stützte sich auf meine Hand, diese auf meinen Ellbogen, und der auf die Fensterbank. Auf der Straße konnte ich die Kinder von vorhin ausmachen. Der Junge hatte seine Drohung erfüllt – er ging Seite an Seite mit dem kleinen Mädchen.

Ich ließ einen Seufzer aus.

Im Endeffekt hatte es doch keinen Sinn darüber nachzudenken, denn je mehr ich darüber nachdachte, desto unsicherer würde ich ihr gegenüber werden. Und das konnte ich mir nach diesem Auftritt nun wirklich nicht leisten.

Es wurde langsam dunkel. Die Straßenlaternen schalteten sich ein, fluteten die Straßen mit ihrem grellen Licht, das selbst daran gewöhnte Augen noch blenden konnte.

Ich schaute auf mein Bett. „Anleitung zum Unglücklichsein" – sollten wir mal in der neunten Klasse lesen. Doch ich konnte den Gedanken einfach nicht abschütteln.

Das Buch landete schlussendlich irgendwo im Chaos meiner Ordnung, gestopft in irgendeine Schublade an meinem Schreibtisch. Dann landete mein Körper auf der sanften Oberfläche meines Bettes, mit allen Vieren von sich gestreckt.

Ich starrte Löcher in die Decke, so lange, bis die Decke schwarz wurde, dann mein ganzes Blickfeld, bis ich wieder zu blinzeln begann. Einige Male machte ich das, mal dauerte es länger, mal ging es schneller, aber immer mit demselben Ergebnis. Und ich dachte, jedes Mal, mal länger, mal schneller.

Darüber, wie ich ihr morgen begegnen sollte. Darüber, was ich morgen anziehen sollte. Darüber, wie ich sie morgen begrüßen sollte. Aber das waren nur oberflächliche Fragen. Die einzige Frage, welche mir Bauchschmerzen bereitete, war,

ob sie morgen überhaupt kommen würde. Wollte sie überhaupt?

Vielleicht wollte sie auch einfach nicht unhöflich sein und hat deswegen „Gerne" gesagt. Aber sagt man dann nicht eher „Mal schauen"? Diese Frage zerriss mich innerlich, und wie ich zuvor nicht aus ihrem Verhalten schlau werden konnte, machten es ihre Gefühle dieses Mal schwer.

Ich schaute auf die Uhr. 23:24. War ich wirklich so lange draußen geblieben? Eigentlich hätte ich langsam mal einschlafen sollen, wenn ich am nächsten Tag nicht wie ein untoter Wandelnder vor ihr stehen wollte.

Das war dann mein zweites Treffen mit ihr... Streng genommen schon mein drittes. Das erste Treffen war an unserem ersten Schultag nach den Sommerferien. So lange ist das noch gar nicht her, erst zwei Monate sind seitdem vergangen.

Der erste Schultag...

Ich schloss meine Augen. Ich musste mich ein wenig ausruhen, ich war hundemüde, es nützte alles nichts. So lag ich dann da, auf dem Rücken, meine Arme und Beine in alle Himmelsrichtungen verteilt, immer noch in meiner Freizeitkleidung.

Dann schlief ich ein.

 

„Azul! Beweg endlich deinen Hintern aus dem Bett!" Wie jeden Schulmorgen riss mich die zärtliche Stimme meiner liebevollen Mutter aus dem Tiefschlaf.

„Ich komm ja schon, ich komm ja schon..." Mein Kissen verstand mein Gemurmel laut und deutlich. Bei meiner Mutter war ich mir nicht so sicher.

Die nächsten sechs Minuten verbrachte ich jedoch im Bett.

„Azul, wird's bald? Ich muss zur Arbeit!" Ein weiterer wundervoller Versuch meiner Mutter mich zum Aufstehen zu ermutigen.

Doch ich musste raus. Das wusste ich.

Letztendlich erbarmte sich dann auch mein Körper: Ein Bein nach dem anderen hievte ich an die Bettkante, erhob meinen Oberkörper in wenig graziler Manier. Mein Selbstbild kam dem eines nassen Sacks gleich.

Verschlafen durchsuchte ich mein Zimmer. Wie gewöhnlich zierte eine Armee Hosen und Shirts den Fußboden. Nichts Sauberes mehr.

Am Fuße meines Schreibtischs konnte ich meine Schultasche entdecken: Eine schwarze Umhängetasche, die wir von unserer Schule gestellt bekamen – Auch, wenn ich nicht wusste warum.

Ich gähnte.

Langsam aber sicher führten meine Beine mich Richtung Schrank, um mir Kleidung für den Tag aussuchen zu können. Ich entschied mich für ein schlichtes graues Shirt und eine blaue Jeans. Nicht das kreativste, wohl aber das praktischste Outfit an einem Sommertag.

Zusammen mit einer Boxershorts und einem Paar Socken trat ich dann den Weg ins Badezimmer an. Schließlich musste ich für mein Wiedersehen mit der Schule ja gut aussehen.

Nummer eins auf der Tagesordnung war Duschen. Meine Kleidung riss ich mir vom Körper und sprang ins kühle Nass. Nur weniger episch.

Schon beim Duschen fiel mir eine ungewöhnliche... Beunruhigung auf. Das einzige, was ich normalerweise am ersten Schultag nach den Ferien fühlte, war ein gewisser Reiz meiner sonst so entspannten Nerven. Zumindest in den Ferien waren sie entspannt.

Vielleicht war dieses Gefühl aber auch nicht so ungewöhnlich – immerhin wechselte ich dieses Schuljahr von einer Klassengemeinschaft in eine Kursgemeinschaft. Ob ich wohl mit alten Klassenkameraden in einen Kurs gestopft werde? Dieser Gedanke reichte vorerst aus um meinen Geist erneut Ruhe finden zu lassen.

Nach dem Zähneputzen ging es dann auch schon in die Küche, wobei es mehr ein Ess-Wohn-Koch-Hybrid war. Es war alles gleichzeitig und doch keins davon, ein wahres Wunder der Architektur.

Dort vorzufinden waren ein Toaster, ein Backofen, Brot, Messer, Herd, Spülmaschine, der Geruch frisch gemachten Rühreis... alles, was in einer Küche so benötigt wird.

Und meine Mutter. Ihre Bosheit zerging mir auf der Zunge.

„Azul, ich weiß, dass für dich heute erst der normale Alltag beginnt..." So wie jedes Mal zitierte sie sich selbst: Ich solle besser aus dem Bett kommen, andere Leute haben nicht so viel Zeit wie ich...

Sie schwang ihren Finger mahnend vor meine Nase „Aber ich habe es heute echt eilig. Monika ist krank, daher muss ich auch ihre Schicht übernehmen. Ergo komme ich später nach Hause. Verstanden?"

Mit dem Mund voller Rührei-Toast nickte ich. Der Geschmack machte ihre Standpauke allemal wett.

„Wenn du also Hunger bekommen solltest..." sie öffnete den Kühlschrank, deutete auf ein paar Dosen, „hab ich was für dich vorbereitet."

Ich konnte den Inhalt der Dosen zwar nicht erkennen, allerdings musste es gut sein – schließlich hatte meine Mutter es gekocht.

„Aber musst du nicht langsam auch los?" Ein leichtes Kopfdrehen und mein Blickfeld fokussierte die Uhr. 7:20. Ich hatte noch mehr als genug Zeit.

„Langsam, ja, aber nur ganz langsam..." Das Gewicht meiner Augenlider machte es schwer, eine ordentliche Konversation mit meiner Mutter zu führen. Mein Kopf hing so tief, dass ich schon die Wärme des Rühreis spüren konnte.

„Vor 11 werde ich wahrscheinlich nicht zuhause sein." Sie packte noch ihre Akte in die Tasche und steckte den Autoschlüssel ein. „Benimm dich. Und viel Spaß in der Schule." Zum Abschied gab's noch einen dicken Schmatzer auf die Wange, und bevor ich es merkte war die Tür auch schon zugefallen.

So viel Spaß wie ich in der Schule haben kann...

Nachdem der Toast verdrückt und der Orangensaft ausgetrunken war, begann ich, meine Schulsachen zu packen. Viel mehr als ein Mäppchen und zwei Collegeblöcke waren allerdings nicht eingeplant, denn unsere Schule war so gut organisiert, dass ich erst am ersten Schultag in der Schule erfuhr, wo und wann ich welche Kurse hatte.

Kurse. Schon den ganzen Morgen konnten sich meine Gedanken nicht von dieser Vorstellung losreißen. Die letzten Jahre hatte ich immer genau einen Klassenraum mit immer denselben Mitschülern in meiner Klasse, einzige Ausnahme: Jemand blieb sitzen oder kam neu auf unsere Schule. Am Grundgerüst änderte sich jedoch nie etwas.

Mich neu zu sozialisieren war die eine Sache, die Noten die andere. Die Zeugnisse der letzten Jahre machten mir nicht die größten Hoffnungen.

Ein erneuter Blick auf die Uhr. 7:37. Jetzt sollte ich langsam den Gang Richtung Schule einlegen.

Treppe hoch, Schule geholt, Treppe wieder runter. Ein paar schlichte, schwarze Sneakers. Schlicht war eigentlich schon immer mein Style, wenn ich überhaupt einen Style hatte.

Auf dem Weg zur Tür warf ich mir noch eben meinen Rucksack über, prüfte, ob ich denn auch alles hatte. Der Schlüssel zu unserem Haus war vorhanden, auch mein Handy war an seinem Platz und mein Portemonnaie machte es sich schon längst in meiner Hosentasche gemütlich. Eine Jacke brauchte ich keine – Die Temperaturen waren noch hochsommerlich und Regen war auch keiner angesagt.

Das einzige, was mich noch von meinem trauten Heim und der Außenwelt trennte war unsere Haustür. Für geübte Bewohner kein allzu großes Hindernis.

Mit einem Mal riss ich die Tür auf und bereute es sofort. Die Morgensonne blendete mich fieser als jede Taschenlampe.

Ein Schwall warmer Luft begrüßte mich, der zarte Gesang der Rotkehlchen lockte mich und der süße Duft der Blumen überzeugte mich letztlich.

 

So begann meine Reise in das neue Schuljahr.

„Azul! Beweg endlich deinen Hintern aus dem Bett!“ Wie jeden Schulmorgen riss mich die zärtliche Stimme meiner liebevollen Mutter aus dem Tiefschlaf.

„Ich komm ja schon, ich komm ja schon…“ Mein Kissen verstand mein Gemurmel laut und deutlich. Bei meiner Mutter war ich mir nicht so sicher.

Die nächsten sechs Minuten verbrachte ich jedoch im Bett.

„Azul, wird’s bald? Ich muss zur Arbeit!“ Ein weiterer wundervoller Versuch meiner Mutter mich zum Aufstehen zu ermutigen.

Doch ich musste raus. Das wusste ich.

Letztendlich erbarmte sich dann auch mein Körper: Ein Bein nach dem anderen hievte ich an die Bettkante, erhob meinen Oberkörper in wenig graziler Manier. Mein Selbstbild kam dem eines nassen Sacks gleich.

Verschlafen durchsuchte ich mein Zimmer. Wie gewöhnlich zierte eine Armee Hosen und Shirts den Fußboden. Nichts Sauberes mehr.

Am Fuße meines Schreibtischs konnte ich meine Schultasche entdecken: Eine schwarze Umhängetasche, die wir von unserer Schule gestellt bekamen – Auch, wenn ich nicht wusste warum.

Ich gähnte.

Langsam aber sicher führten meine Beine mich Richtung Schrank, um mir Kleidung für den Tag aussuchen zu können. Ich entschied mich für ein schlichtes graues Shirt und eine blaue Jeans. Nicht das kreativste, wohl aber das praktischste Outfit an einem Sommertag.

Zusammen mit einer Boxershorts und einem Paar Socken trat ich dann den Weg ins Badezimmer an. Schließlich musste ich für mein Wiedersehen mit der Schule ja gut aussehen.

Nummer eins auf der Tagesordnung war Duschen. Meine Kleidung riss ich mir vom Körper und sprang ins kühle Nass. Nur weniger episch.

Schon beim Duschen fiel mir eine ungewöhnliche… Beunruhigung auf. Das einzige, was ich normalerweise am ersten Schultag nach den Ferien fühlte, war ein gewisser Reiz meiner sonst so entspannten Nerven. Zumindest in den Ferien waren sie entspannt.

Vielleicht war dieses Gefühl aber auch nicht so ungewöhnlich – immerhin wechselte ich dieses Schuljahr von einer Klassengemeinschaft in eine Kursgemeinschaft. Ob ich wohl mit alten Klassenkameraden in einen Kurs gestopft werde? Dieser Gedanke reichte vorerst aus um meinen Geist erneut Ruhe finden zu lassen.

Nach dem Zähneputzen ging es dann auch schon in die Küche, wobei es mehr ein Ess-Wohn-Koch-Hybrid war. Es war alles gleichzeitig und doch keins davon, ein wahres Wunder der Architektur.

Dort vorzufinden waren ein Toaster, ein Backofen, Brot, Messer, Herd, Spülmaschine, der Geruch frisch gemachten Rühreis… alles, was in einer Küche so benötigt wird.

Und meine Mutter. Ihre Bosheit zerging mir auf der Zunge.

„Azul, ich weiß, dass für dich heute erst der normale Alltag beginnt…“ So wie jedes Mal zitierte sie sich selbst: Ich solle besser aus dem Bett kommen, andere Leute haben nicht so viel Zeit wie ich…

Sie schwang ihren Finger mahnend vor meine Nase „Aber ich habe es heute echt eilig. Monika ist krank, daher muss ich auch ihre Schicht übernehmen. Ergo komme ich später nach Hause. Verstanden?“

Mit dem Mund voller Rührei-Toast nickte ich. Der Geschmack machte ihre Standpauke allemal wett.

„Wenn du also Hunger bekommen solltest…“ sie öffnete den Kühlschrank, deutete auf ein paar Dosen, „hab ich was für dich vorbereitet.“

Ich konnte den Inhalt der Dosen zwar nicht erkennen, allerdings musste es gut sein – schließlich hatte meine Mutter es gekocht.

„Aber musst du nicht langsam auch los?“ Ein leichtes Kopfdrehen und mein Blickfeld fokussierte die Uhr. 7:20. Ich hatte noch mehr als genug Zeit.

„Langsam, ja, aber nur ganz langsam…“ Das Gewicht meiner Augenlider machte es schwer, eine ordentliche Konversation mit meiner Mutter zu führen. Mein Kopf hing so tief, dass ich schon die Wärme des Rühreis spüren konnte.

„Vor 11 werde ich wahrscheinlich nicht zuhause sein.“ Sie packte noch ihre Akte in die Tasche und steckte den Autoschlüssel ein. „Benimm dich. Und viel Spaß in der Schule.“ Zum Abschied gab’s noch einen dicken Schmatzer auf die Wange, und bevor ich es merkte war die Tür auch schon zugefallen.

So viel Spaß wie ich in der Schule haben kann…

Nachdem der Toast verdrückt und der Orangensaft ausgetrunken war, begann ich, meine Schulsachen zu packen. Viel mehr als ein Mäppchen und zwei Collegeblöcke waren allerdings nicht eingeplant, denn unsere Schule war so gut organisiert, dass ich erst am ersten Schultag in der Schule erfuhr, wo und wann ich welche Kurse hatte.

Kurse. Schon den ganzen Morgen konnten sich meine Gedanken nicht von dieser Vorstellung losreißen. Die letzten Jahre hatte ich immer genau einen Klassenraum mit immer denselben Mitschülern in meiner Klasse, einzige Ausnahme: Jemand blieb sitzen oder kam neu auf unsere Schule. Am Grundgerüst änderte sich jedoch nie etwas.

Mich neu zu sozialisieren war die eine Sache, die Noten die andere. Die Zeugnisse der letzten Jahre machten mir nicht die größten Hoffnungen.

Ein erneuter Blick auf die Uhr. 7:37. Jetzt sollte ich langsam den Gang Richtung Schule einlegen.

Treppe hoch, Schule geholt, Treppe wieder runter. Ein paar schlichte, schwarze Sneakers. Schlicht war eigentlich schon immer mein Style, wenn ich überhaupt einen Style hatte.

Auf dem Weg zur Tür warf ich mir noch eben meinen Rucksack über, prüfte, ob ich denn auch alles hatte. Der Schlüssel zu unserem Haus war vorhanden, auch mein Handy war an seinem Platz und mein Portemonnaie machte es sich schon längst in meiner Hosentasche gemütlich. Eine Jacke brauchte ich keine – Die Temperaturen waren noch hochsommerlich und Regen war auch keiner angesagt.

Das einzige, was mich noch von meinem trauten Heim und der Außenwelt trennte war unsere Haustür. Für geübte Bewohner kein allzu großes Hindernis.

Mit einem Mal riss ich die Tür auf und bereute es sofort. Die Morgensonne blendete mich fieser als jede Taschenlampe.

Ein Schwall warmer Luft begrüßte mich, der zarte Gesang der Rotkehlchen lockte mich und der süße Duft der Blumen überzeugte mich letztlich.

 

So begann meine Reise in das neue Schuljahr.

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Kapitel: 6
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Wörter: 8.126
Zeichen: 48.067

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Diese Story wird neben Nachdenkliches auch in den Genres Liebe, Drama und gelistet.

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