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Kapitel: | 7 | |
Sätze: | 656 | |
Wörter: | 8.177 | |
Zeichen: | 47.191 |
Kapitel 1 - Prolog
Ich heiße Fynn und ich möchte euch eine Geschichte erzählen. Es ist eine lange Geschichte. Eine Geschichte voller Emotionen, voller Leid und voller Trauer. Aber auch voller Freude und Hoffnung. Ich bin nicht unbedingt der Hauptcharakter, ich bin eher ein Nebencharakter und trotzdem bin ich wohl derjenige, der diese Geschichte am besten erzählen kann. Warum fragt ihr euch? Ganz einfach. Ich habe alles bis zu meinem Tod genaustens mitverfolgt und größtenteils mit meiner Kamera festgehalten.
Bestimmt wollt ihr wissen, warum ich euch diese Geschichte überhaupt erzähle. Ich weiß es selber nicht. Vermutlich, weil ich sie erzählenswert finde und ich als totes Irgendwas sowieso nichts besseres zu tun habe.
Wie ich gestorben bin, ist auch so eine Sache für sich, aber ich möchte ja nicht, gleich am Anfang, alles verraten, das macht man ja nicht. Ihr werdet alles noch früh genug erfahren.
Ich sagte zwar, dass ich euch eine Geschichte erzählen will, aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.
Beginnen wir doch einfach mal bei dem Urknall. Das Universum entstand. Es war der Beginn von etwas großem. Lange danach entstand die Erde, mit ihren Bewohnern darauf, die sich selbst Menschheit nannte. Wenn ihr gut in Geschichte seid, dann wisst ihr ja, was noch alles passiert ist, bis wir letztendlich das Jahr 2017 erreichten.
In Deutschland gibt es jetzt Schulen. Institutionen, die zum Teil mit sehr merkwürdigen Methoden versuchen, Schülern Wissen zu vermitteln. Ich war jetzt schon eine ganze Weile auf so einer Schule und eins kann ich mit Gewissheit sagen. Das Wissen interessierte niemanden. Nur Noten zählen.
Ich lernte nichts, was ich im wahren Leben großartig hätte brauchen können. Ich wusste wie man Funktionen und Wurzeln berechnete, hatte aber keine Ahnung, wie ich Reifen wechsel oder wie die Politik in unserem Land funktioniert und dann wundert sich die Regierung, warum immer weniger Menschen wählen gehen.
Witzig ist auch, dass Deutschland ein sehr hohes Einkommen hat und die normalen Arbeiter, die sich Tag für Tag den Arsch aufreißen, nur etwas mehr als HarzV verdienen und die Reichen selbst das Kindergeld noch bezahlt bekommen. Wo ist das bitte fair? Aber egal, was kann jemand, wie ich schon ausrichten? Nichts. Was kann ein einzelner tun, wenn so viele gegen einen sind?
Ein großes Problem an unseren heutigen Schulen, ist aber nicht nur unser Lehrsystem, nein, Mobbing wird auch ein immer größeres Thema.
Was kann ein einzelner schon ausrichten?
Was? wenn doch alle gegen einen sind.
Kapitel 3 – Erik
Schultag Nummer zwei stand an. Meine Freude hielt sich in Grenzen.
Am Frühstückstisch, war es wie immer sehr lebhaft. Meine kleine Schwester hatte verschlafen und schmierte sich innerhalb von wenigen Sekunden ein besseres Nutellabrot, als ich es jemals hätte tun können und rannte wie ein Usain Bolt durch die Küche zur Bushaltestelle.
Sie schien ihre neue Schule sehr zu mögen. Auch meine Eltern schienen sich schon gut eingelebt zu haben. Ein paar Häuser weiter haben sie zusammen eine Zahnarztpraxis eröffnet. Jetzt war ich also der einzige, der sich an das Leben hier noch gewöhnen musste.
Ich biss seufzend in mein Toastbrot.
„Alles Okay, mein Schatz?"
Meiner Mom entging auch echt nichts.
„Ja, Mom. Wird nur wieder ein langer Schultag."
„Hast du schon ein paar nette Bekanntschaften gemacht?", fragte mein Vater enthusiastisch und verschüttete etwas von seinem Kaffee.
„Ach Schatz, was machst du bloß für Sachen?“, sagte meine Mutter und holte gleich einen Lappen zur Schadensbegrenzung.
„Tut mir leid, das ist immer meine gute Laune am Morgen."
„Oder das Koffein im Kaffee", sagte ich grinsend.
Mein Vater hob seine Schultern.
„Es ist wohl eine Mischung aus beidem“, sagte er und nippte genüsslich weiter.
Auch meine Eltern hatten es an diesem Tag sehr eilig, also verschwanden sie kurz darauf ebenfalls aus der Tür.
Ich malte mir aus, wie der heutige Schultag wohl ablaufen würde. Wird Jason wieder da sein? Oder werd ich auf mich alleine gestellt sein? Werd ich wieder bei den Beliebten sitzen?
Es ist schon echt nervig, sich wieder komplett neu irgendwo eingliedern zu müssen.
Mein Ziel für heute: Überleben!
Ich schluckte den letzten Rest meines Frühstücks runter und schwang mich auf mein Drahtesel. Hier in Thüringen, waren die Straßen deutlich hügeliger als in Hessen.
Ich musste an meine alte Schule denken, an meine alten Freunde dort. Am liebsten wäre ich gar nicht erst weggezogen. Aber in der Vergangenheit schwelgen, bringt einen nicht weiter. Ich musste das Beste aus meiner jetzigen Situation machen, auch, wenn es schwer ist.
Nach 15 Minuten in Erinnerung schwelgen und radeln, erreichte ich mein Ziel.
Die Schule oder auch Bildungsanstalt bzw. Lehranstalt genannt.
Eine Institution, in der Kinder und Jugendliche durch planmäßigen Unterricht Wissen und Bildung vermittelt bekommen.
War noch nie ein großer Fan von, aber was muss, das muss.
Ich schlenderte über den Schulhof Richtung Eingangstor.
Mir fiel erst jetzt auf, dass es eigentlich eine ganz schön edle Schule ist.
Alles ziemlich prunkvoll, aber für den Preis, den man hierfür bezahlen musste, kann man das auch wirklich erwarten.
Auf den Eingangstreppen standen Mark und Larissa. Die zwei schienen echt nie, die Hände voneinander lassen zu können.
„Guten Morgen, Neuer!", rief Mark.
Ich wusste, diesen Namen werd ich wahrscheinlich noch eine Weile beibehalten.
„Guten Morgen, Mark."
Ich ging an ihnen vorbei und befand mich nun erneut im endlos langen Schulflur.
Heute waren die Blicke nicht so intensiv wie gestern, trotzdem waren noch viele neugierige Blicke auf mich gerichtet.
Ich traute mich dieses mal, auch mehr auf meine Umgebung zu achten. Überall hingen Anti-Mobbing-Poster und Poster mit Suizid-ist-keine-Lösung-Sprüche rum.
Klar, gab es die an meiner letzten Schule auch, aber hier wurden die Wände regelrecht damit tapeziert.
Am Spind 21 stand Jason mit seinen zwei Kumpels. David und André.
Ich hatte mich gefragt, ob er eine Klasse wiederholen musste, weil sie eins über uns waren, aber wie sich herausstellte, scheinen die drei Kindheitsfreunde zu sein. Ihre Eltern sind gut miteinander befreundet und sollen sehr wohlhabend sein. Man sieht es ihnen aber auch schon an, dass sie nicht aus schlechtem Hause sind.
Mir tippte jemand auf meine Schulter.
„Hey, du bist Fynn, richtig? Ich bin Rita, ich leite die AG für Fotografie und wir suchen nach neuen Mitgliedern. Hast du Interesse?"
Sie ist mir gestern schon aufgefallen. Sie ist winzig klein und trägt scheinbar permanent eine riesige Kamera mit sich rum. Ein witziger Anblick, wie ich finde.
„Klar, ich wollte sowieso einer AG beitreten und ich fotografier für mein Leben gern!"
Ein zuckersüßes Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit.
„Super, Leute wie dich brauchen wir! Komm doch heute nach der Schule zu uns, wir sind im Raum C11."
„Okay, wird gemacht!"
Mich hatte ihr Angebot wirklich sehr glücklich gemacht. Fotografieren war voll mein Ding und das war meine Chance, Freunde mit den gleichen Interessen zu finden, denn bei den Beliebten zu sitzen, ist zwar gut und schön, aber nicht das Richtige für jemanden wie mich und Rita hat einen sehr netten Eindruck gemacht, dann werden die anderen in dieser AG hoffentlich genauso nett sein, dachte ich mir.
Es war kurz vor Unterrichtsbeginn, also huschte ich schnell bis zum ende des Korridors, um meine Bücher zu holen. Ich checkte meinen Stundenplan und das Bild meiner Lieblingsband.
„Ob es hier wohl noch andere Leute gibt, die BMTH mögen?"
„Du murmelst gerne Sachen vor dich hin, oder?"
Es war wieder Jason.
„Ja, blöde Angewohnheit."
„Macht ja nichts."
Er lächelte.
„Um auf deine Frage zurückzukommen, klar gibt es hier Leute die BMTH mögen, z.B. Freddie aus der Parallel. Er hat sogar eine Band und covert die gerne."
„Oh echt? Ist ja cool!"
„Wenn du willst, stell ich dich ihm heute nach der Schule vor."
„Hab leider schon andere Pläne, tut mir leid."
„Kein Ding, dann halt ein anderes mal, aber jetzt müssen wir echt langsam los, Herr Reinhart ist verdammt streng, mit dem sollten wir uns besser nicht anlegen."
„Na gut, dann mal los."
Alles was Jason sagte war nett, nur verstand ich nie, warum jemand wie er, so nett zu mir war. Hatte er Hintergedanken? Oder gibt es wirklich so perfekte Menschen, wie ihn? Vielleicht machte ich mir auch einfach nur zu viele Gedanken. Ist doch gut, wenn er nett ist, dachte ich mir. Besser, als wenn er unfreundlich ist.
In der Mittagspause verschwand Jason wieder mit David und André, während ich aufs Neue bei Mark, Larissa und den anderen, deren Namen ich noch nicht so drauf hatte, landete.
Mark erzählte, dass Jason, André und David meistens auf der Schulwiese hocken und nur in der Kantine hängen, wenn es regnet.
„Sind halt Frischluftfanatiker", sagte Larissa lachend.
„Ja, vor allem André, so viel wie der immer raucht"
Mark schien wohl nicht besonders viel von André zu halten.
Eine Rothaarige mit großen braunen Augen, die von mir den Spitznamen Bambi bekommen hatte, mischte sich nun mit in das Gespräch ein.
„Ach Mark, du bist doch nur neidisch, weil André besser in Basketball ist als du"
„Würde das stimmen, müsste ich Jason ja genauso hassen, wie ihn. Ist er nicht sogar besser als André?"
Wütend verschränkte Bambi ihre Arme.
„Jason ist Jason, niemand kann sich mit ihm messen, das gildet also nicht."
Bambi hatte ihre Gefühle für André noch nie besonders gut verstecken können, wenn ich jetzt so drüber nachdenke.
Als es dann wieder zum Unterricht klingelte, war ich recht dankbar, diesem Geschwafel nicht mehr zuhören zu müssen. Auch, wenn es manchmal echt interessant war, so zu erfahren, wer denn jetzt eigentlich wer ist.
Wie ich später erfuhr, hieß Bambi eigentlich Lara und war eine gute Freundin der drei Frischluftfanatiker.
Nach dem Unterricht bin ich natürlich direkt in die C11.
Mein Herz schlug ziemlich schnell, als ich dann vor der Tür der Foto-AG stand.
Wie viele Leute da wohl drin sind? Ob das vielleicht doch nicht so eine gute Idee ist?
Egal, Augen zu und durch!
Ich klopfte und ging rein. Es war ein kleiner Raum, aber in ihm hingen viele Fotos, entweder auf einem Plakat aufgeklebt, an einer Schnur quer durch den Raum befestigt oder klassisch an einer Pinnwand geheftet.
Mitten drin saßen nur drei Leute. Rita, ein Typ und das Mädchen, mit den langen hellbraunen Haaren, das überall neben Jason saß.
Rita stand auf und lief direkt auf mich zu.
„Fynn, schön, dass du gekommen bist!"
„Die Freude ist ganz meinerseits", sagte ich etwas verlegen.
„Darf ich vorstellen, das sind Freddie und Marielle."
Freddie stand auf und lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und drückte mich fester, als es eine Würgeschlange hätte tun können.
„Willkommen in unserer AG, ist jetzt nicht die größte, aber was solls."
Marielle hatte nicht vor aufzustehen, sie war ziemlich mit dem Ausschneiden von irgendwelchen Fotos beschäftigt und sagte nur kurz und knapp:
„Willkommen, Phill."
Woraufhin Rita sie zu berichtigen versuchte, doch vergebens. Marielle hat mich noch bis zu meinem bitteren Ende Phill genannt.
Wir hatten uns in einen kleinen Sitzkreis gesetzt und unsere Erfahrungen mit dem Fotografieren ausgetauscht.
Rita bevorzugte es, mit ihrer großen Nikon, Bilder vom Schulleben zu machen und veröffentlichte diese regelmäßig in der Schülerzeitung oder auf der Website der Schule. Freddie hingegen liebte es Bilder auf Events zu schießen, vor allem Konzerte hielt er gerne auf Fotos fest und Marielle, naja, sie schien kein festes Schema zu haben. Sie fotografierte einfach das, was sie vor die Linse bekam. Dabei kamen tatsächlich manchmal echt coole Bilder zustande. Ich musste zugeben, dass ich auch nicht wirklich ein Schema hatte. Ich fotografierte aber am liebsten Menschen.
Die Stimmung war echt gut.
Freddie, Rita und Marielle waren schon eher die Art Freunde, die ich haben wollte, auch, wenn Mark, Larissa und Co. damals auch recht nett zu mir waren.
Ich dachte mir, dass ich jetzt vielleicht nochmal einen zweiten Versuch starten könnte, bezüglich meines Spinds und meines Tischs.
„Hey, wisst ihr eventuell was über meinen Tisch oder über meinen Spind? Es kommt mir nur irgendwie komisch vor, weil es die einzigen an dieser Schule sind, die beschmiert wurden."
Auch sie tauschten nun unter sich sehr merkwürdige Blicke aus.
„Naja, das ist eine lange Geschichte."
Rita und Marielle schauten bedrückt auf den Boden. Freddie aber schaute mir direkt in die Augen. "Es gab einen Typen an unserer Schule. Ein echt korrekter Typ. Er war auch in unserer AG."
Er machte eine kurze Pause. Ihm schien es nicht leicht zu fallen, darüber zu reden.
„Ja, auf jeden Fall, wurde er von ein paar Schülern krass gemobbt und dann hat er sich umgebracht."
Eine kurze Stille machte sich im Raum breit.
Rita kamen die Tränen und Freddie nahm sie in die Arme. Marielle stand auf und holte einen Flyer aus ihrer Tasche.
„Hier, dir sind diese ganzen Flyer und Plakate in der Schule bestimmt auch schon aufgefallen, oder? Es hängen natürlich nicht ohne Grund so viele davon hier. Sie sollen uns daran erinnern, was letztes Jahr passiert ist."
Rita ballte ihre Hände zu Fäusten.
„Aber diese Flyer werden uns Erik auch nicht mehr zurückbringen können und das Mobbing an unserer Schule, wird dadurch auch nicht aufhören."
„Es werden immer noch Leute an dieser Schule gemobbt?"
Freddie nickte.
„Es ist zwar nicht mehr so schlimm, wie vorher, aber ja es kommt noch vor."
„Die meisten Mobber wurden von der Schule verwiesen, nach dem Vorfall mit Erik", ergänzte Marielle.
„Und welche sind übrig geblieben?"
Rita seufzte.
„Zu viele. Eindeutig zu viele. Aber die meisten, scheinen mittlerweile zumindest eingesehen zu haben, dass das was sie taten falsch war und haben aufgehört.“
Marielle legte eine Hand auf meine Schulter.
"Halte dich lieber etwas auf Abstand mit den Leuten aus unserer Klasse“, riet sie mir.
„Warum?"
Rita und die anderen standen auf.
„Wir müssen jetzt los, die Foto-AG ist immer Montags und Mittwochs, hoffentlich kommst du ab jetzt regelmäßig vorbei."
Wir verabschiedeten uns.
Mir wurden zwar ein paar Fragen beantwortet, aber dafür kamen andere dazu.
Ich weiß nicht warum ich damals so neugierig war, aber der Fall mit Erik hatte mich einfach nicht mehr losgelassen. Vielleicht lag es daran, dass ich seinen Sitzplatz und sein Spind bekommen hatte, selbst seinen Platz in der AG hatte ich nun eingenommen.
Kapitel 3 – Erik
Schultag Nummer zwei stand an. Meine Freude hielt sich in Grenzen.
Am Frühstückstisch, war es wie immer sehr lebhaft. Meine kleine Schwester hatte verschlafen und schmierte sich innerhalb von wenigen Sekunden ein besseres Nutellabrot, als ich es jemals hätte tun können und rannte wie ein Usain Bolt durch die Küche zur Bushaltestelle.
Sie schien ihre neue Schule sehr zu mögen. Auch meine Eltern schienen sich schon gut eingelebt zu haben. Ein paar Häuser weiter haben sie zusammen eine Zahnarztpraxis eröffnet. Jetzt war ich also der einzige, der sich an das Leben hier noch gewöhnen musste.
Ich biss seufzend in mein Toastbrot.
„Alles Okay, mein Schatz?"
Meiner Mom entging auch echt nichts.
„Ja, Mom. Wird nur wieder ein langer Schultag."
„Hast du schon ein paar nette Bekanntschaften gemacht?", fragte mein Vater enthusiastisch und verschüttete etwas von seinem Kaffee.
„Ach Schatz, was machst du bloß für Sachen?“, sagte meine Mutter und holte gleich einen Lappen zur Schadensbegrenzung.
„Tut mir leid, das ist immer meine gute Laune am Morgen."
„Oder das Koffein im Kaffee", sagte ich grinsend.
Mein Vater hob seine Schultern.
„Es ist wohl eine Mischung aus beidem“, sagte er und nippte genüsslich weiter.
Auch meine Eltern hatten es an diesem Tag sehr eilig, also verschwanden sie kurz darauf ebenfalls aus der Tür.
Ich malte mir aus, wie der heutige Schultag wohl ablaufen würde. Wird Jason wieder da sein? Oder werd ich auf mich alleine gestellt sein? Werd ich wieder bei den Beliebten sitzen?
Es ist schon echt nervig, sich wieder komplett neu irgendwo eingliedern zu müssen.
Mein Ziel für heute: Überleben!
Ich schluckte den letzten Rest meines Frühstücks runter und schwang mich auf mein Drahtesel. Hier in Thüringen, waren die Straßen deutlich hügeliger als in Hessen.
Ich musste an meine alte Schule denken, an meine alten Freunde dort. Am liebsten wäre ich gar nicht erst weggezogen. Aber in der Vergangenheit schwelgen, bringt einen nicht weiter. Ich musste das Beste aus meiner jetzigen Situation machen, auch, wenn es schwer ist.
Nach 15 Minuten in Erinnerung schwelgen und radeln, erreichte ich mein Ziel.
Die Schule oder auch Bildungsanstalt bzw. Lehranstalt genannt.
Eine Institution, in der Kinder und Jugendliche durch planmäßigen Unterricht Wissen und Bildung vermittelt bekommen.
War noch nie ein großer Fan von, aber was muss, das muss.
Ich schlenderte über den Schulhof Richtung Eingangstor.
Mir fiel erst jetzt auf, dass es eigentlich eine ganz schön edle Schule ist.
Alles ziemlich prunkvoll, aber für den Preis, den man hierfür bezahlen musste, kann man das auch wirklich erwarten.
Auf den Eingangstreppen standen Mark und Larissa. Die zwei schienen echt nie, die Hände voneinander lassen zu können.
„Guten Morgen, Neuer!", rief Mark.
Ich wusste, diesen Namen werd ich wahrscheinlich noch eine Weile beibehalten.
„Guten Morgen, Mark."
Ich ging an ihnen vorbei und befand mich nun erneut im endlos langen Schulflur.
Heute waren die Blicke nicht so intensiv wie gestern, trotzdem waren noch viele neugierige Blicke auf mich gerichtet.
Ich traute mich dieses mal, auch mehr auf meine Umgebung zu achten. Überall hingen Anti-Mobbing-Poster und Poster mit Suizid-ist-keine-Lösung-Sprüche rum.
Klar, gab es die an meiner letzten Schule auch, aber hier wurden die Wände regelrecht damit tapeziert.
Am Spind 21 stand Jason mit seinen zwei Kumpels. David und André.
Ich hatte mich gefragt, ob er eine Klasse wiederholen musste, weil sie eins über uns waren, aber wie sich herausstellte, scheinen die drei Kindheitsfreunde zu sein. Ihre Eltern sind gut miteinander befreundet und sollen sehr wohlhabend sein. Man sieht es ihnen aber auch schon an, dass sie nicht aus schlechtem Hause sind.
Mir tippte jemand auf meine Schulter.
„Hey, du bist Fynn, richtig? Ich bin Rita, ich leite die AG für Fotografie und wir suchen nach neuen Mitgliedern. Hast du Interesse?"
Sie ist mir gestern schon aufgefallen. Sie ist winzig klein und trägt scheinbar permanent eine riesige Kamera mit sich rum. Ein witziger Anblick, wie ich finde.
„Klar, ich wollte sowieso einer AG beitreten und ich fotografier für mein Leben gern!"
Ein zuckersüßes Lächeln machte sich in ihrem Gesicht breit.
„Super, Leute wie dich brauchen wir! Komm doch heute nach der Schule zu uns, wir sind im Raum C11."
„Okay, wird gemacht!"
Mich hatte ihr Angebot wirklich sehr glücklich gemacht. Fotografieren war voll mein Ding und das war meine Chance, Freunde mit den gleichen Interessen zu finden, denn bei den Beliebten zu sitzen, ist zwar gut und schön, aber nicht das Richtige für jemanden wie mich und Rita hat einen sehr netten Eindruck gemacht, dann werden die anderen in dieser AG hoffentlich genauso nett sein, dachte ich mir.
Es war kurz vor Unterrichtsbeginn, also huschte ich schnell bis zum ende des Korridors, um meine Bücher zu holen. Ich checkte meinen Stundenplan und das Bild meiner Lieblingsband.
„Ob es hier wohl noch andere Leute gibt, die BMTH mögen?"
„Du murmelst gerne Sachen vor dich hin, oder?"
Es war wieder Jason.
„Ja, blöde Angewohnheit."
„Macht ja nichts."
Er lächelte.
„Um auf deine Frage zurückzukommen, klar gibt es hier Leute die BMTH mögen, z.B. Freddie aus der Parallel. Er hat sogar eine Band und covert die gerne."
„Oh echt? Ist ja cool!"
„Wenn du willst, stell ich dich ihm heute nach der Schule vor."
„Hab leider schon andere Pläne, tut mir leid."
„Kein Ding, dann halt ein anderes mal, aber jetzt müssen wir echt langsam los, Herr Reinhart ist verdammt streng, mit dem sollten wir uns besser nicht anlegen."
„Na gut, dann mal los."
Alles was Jason sagte war nett, nur verstand ich nie, warum jemand wie er, so nett zu mir war. Hatte er Hintergedanken? Oder gibt es wirklich so perfekte Menschen, wie ihn? Vielleicht machte ich mir auch einfach nur zu viele Gedanken. Ist doch gut, wenn er nett ist, dachte ich mir. Besser, als wenn er unfreundlich ist.
In der Mittagspause verschwand Jason wieder mit David und André, während ich aufs Neue bei Mark, Larissa und den anderen, deren Namen ich noch nicht so drauf hatte, landete.
Mark erzählte, dass Jason, André und David meistens auf der Schulwiese hocken und nur in der Kantine hängen, wenn es regnet.
„Sind halt Frischluftfanatiker", sagte Larissa lachend.
„Ja, vor allem André, so viel wie der immer raucht"
Mark schien wohl nicht besonders viel von André zu halten.
Eine Rothaarige mit großen braunen Augen, die von mir den Spitznamen Bambi bekommen hatte, mischte sich nun mit in das Gespräch ein.
„Ach Mark, du bist doch nur neidisch, weil André besser in Basketball ist als du"
„Würde das stimmen, müsste ich Jason ja genauso hassen, wie ihn. Ist er nicht sogar besser als André?"
Wütend verschränkte Bambi ihre Arme.
„Jason ist Jason, niemand kann sich mit ihm messen, das gildet also nicht."
Bambi hatte ihre Gefühle für André noch nie besonders gut verstecken können, wenn ich jetzt so drüber nachdenke.
Als es dann wieder zum Unterricht klingelte, war ich recht dankbar, diesem Geschwafel nicht mehr zuhören zu müssen. Auch, wenn es manchmal echt interessant war, so zu erfahren, wer denn jetzt eigentlich wer ist.
Wie ich später erfuhr, hieß Bambi eigentlich Lara und war eine gute Freundin der drei Frischluftfanatiker.
Nach dem Unterricht bin ich natürlich direkt in die C11.
Mein Herz schlug ziemlich schnell, als ich dann vor der Tür der Foto-AG stand.
Wie viele Leute da wohl drin sind? Ob das vielleicht doch nicht so eine gute Idee ist?
Egal, Augen zu und durch!
Ich klopfte und ging rein. Es war ein kleiner Raum, aber in ihm hingen viele Fotos, entweder auf einem Plakat aufgeklebt, an einer Schnur quer durch den Raum befestigt oder klassisch an einer Pinnwand geheftet.
Mitten drin saßen nur drei Leute. Rita, ein Typ und das Mädchen, mit den langen hellbraunen Haaren, das überall neben Jason saß.
Rita stand auf und lief direkt auf mich zu.
„Fynn, schön, dass du gekommen bist!"
„Die Freude ist ganz meinerseits", sagte ich etwas verlegen.
„Darf ich vorstellen, das sind Freddie und Marielle."
Freddie stand auf und lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und drückte mich fester, als es eine Würgeschlange hätte tun können.
„Willkommen in unserer AG, ist jetzt nicht die größte, aber was solls."
Marielle hatte nicht vor aufzustehen, sie war ziemlich mit dem Ausschneiden von irgendwelchen Fotos beschäftigt und sagte nur kurz und knapp:
„Willkommen, Phill."
Woraufhin Rita sie zu berichtigen versuchte, doch vergebens. Marielle hat mich noch bis zu meinem bitteren Ende Phill genannt.
Wir hatten uns in einen kleinen Sitzkreis gesetzt und unsere Erfahrungen mit dem Fotografieren ausgetauscht.
Rita bevorzugte es, mit ihrer großen Nikon, Bilder vom Schulleben zu machen und veröffentlichte diese regelmäßig in der Schülerzeitung oder auf der Website der Schule. Freddie hingegen liebte es Bilder auf Events zu schießen, vor allem Konzerte hielt er gerne auf Fotos fest und Marielle, naja, sie schien kein festes Schema zu haben. Sie fotografierte einfach das, was sie vor die Linse bekam. Dabei kamen tatsächlich manchmal echt coole Bilder zustande. Ich musste zugeben, dass ich auch nicht wirklich ein Schema hatte. Ich fotografierte aber am liebsten Menschen.
Die Stimmung war echt gut.
Freddie, Rita und Marielle waren schon eher die Art Freunde, die ich haben wollte, auch, wenn Mark, Larissa und Co. damals auch recht nett zu mir waren.
Ich dachte mir, dass ich jetzt vielleicht nochmal einen zweiten Versuch starten könnte, bezüglich meines Spinds und meines Tischs.
„Hey, wisst ihr eventuell was über meinen Tisch oder über meinen Spind? Es kommt mir nur irgendwie komisch vor, weil es die einzigen an dieser Schule sind, die beschmiert wurden."
Auch sie tauschten nun unter sich sehr merkwürdige Blicke aus.
„Naja, das ist eine lange Geschichte."
Rita und Marielle schauten bedrückt auf den Boden. Freddie aber schaute mir direkt in die Augen. "Es gab einen Typen an unserer Schule. Ein echt korrekter Typ. Er war auch in unserer AG."
Er machte eine kurze Pause. Ihm schien es nicht leicht zu fallen, darüber zu reden.
„Ja, auf jeden Fall, wurde er von ein paar Schülern krass gemobbt und dann hat er sich umgebracht."
Eine kurze Stille machte sich im Raum breit.
Rita kamen die Tränen und Freddie nahm sie in die Arme. Marielle stand auf und holte einen Flyer aus ihrer Tasche.
„Hier, dir sind diese ganzen Flyer und Plakate in der Schule bestimmt auch schon aufgefallen, oder? Es hängen natürlich nicht ohne Grund so viele davon hier. Sie sollen uns daran erinnern, was letztes Jahr passiert ist."
Rita ballte ihre Hände zu Fäusten.
„Aber diese Flyer werden uns Erik auch nicht mehr zurückbringen können und das Mobbing an unserer Schule, wird dadurch auch nicht aufhören."
„Es werden immer noch Leute an dieser Schule gemobbt?"
Freddie nickte.
„Es ist zwar nicht mehr so schlimm, wie vorher, aber ja es kommt noch vor."
„Die meisten Mobber wurden von der Schule verwiesen, nach dem Vorfall mit Erik", ergänzte Marielle.
„Und welche sind übrig geblieben?"
Rita seufzte.
„Zu viele. Eindeutig zu viele. Aber die meisten, scheinen mittlerweile zumindest eingesehen zu haben, dass das was sie taten falsch war und haben aufgehört.“
Marielle legte eine Hand auf meine Schulter.
"Halte dich lieber etwas auf Abstand mit den Leuten aus unserer Klasse“, riet sie mir.
„Warum?"
Rita und die anderen standen auf.
„Wir müssen jetzt los, die Foto-AG ist immer Montags und Mittwochs, hoffentlich kommst du ab jetzt regelmäßig vorbei."
Wir verabschiedeten uns.
Mir wurden zwar ein paar Fragen beantwortet, aber dafür kamen andere dazu.
Ich weiß nicht warum ich damals so neugierig war, aber der Fall mit Erik hatte mich einfach nicht mehr losgelassen. Vielleicht lag es daran, dass ich seinen Sitzplatz und sein Spind bekommen hatte, selbst seinen Platz in der AG hatte ich nun eingenommen.
Kapitel 4 – Mobbing ist Mord
Tag drei an dieser Schule.
Langsam hatte ich einen grobe Vorstellung, wo ich genau gelandet bin.
Das Humble-Gymnasium.
Eine Elite-Privatschule für Schüler mit zu viel Geld.
Für manche war es die Hölle und für andere war es ein Spiel.
Ich bin nie gerne durch diese Schultore gegangen.
Je länger ich auf dieser Schule war, umso mehr kam mir das Kotzen, wenn ich auch nur das Wort Schule hörte.
Mir gefiel die Tatsache nicht, dass mir jeder etwas zu verheimlichen versuchte. Jeder schien irgendwas geheim halten zu wollen. Eine Klasse voller Geheimnisse und ich, als neuer Schüler, mittendrin.
Ich wollte auf jeden Fall mehr über Erik erfahren. Auch Jason ließ mir keine ruhe. Warum war er so nett zu mir? Ich habe es nicht verstehen können.
Im Matheunterricht, dachte ich über die Worte von Marielle nach. Ich solle mit den Leuten aus unserer Klasse auf Abstand gehen.
Mein Blick wanderte zu ihr und Jason, die sich scheinbar Zettelchen schrieben, während Herr Reinhart ein paar einfache Gleichungen an die Tafel schrieb.
Haben unsere Klassenkameraden etwas mit dem Tod von Erik zu tun? War er letztes Jahr in derselben Klasse? Haben die Leute hier ihn dazu gebracht, so weit zu gehen?
Ich konnte mir das gar nicht wirklich vorstellen. Bis jetzt wirkten alle auf mich recht freundlich, oder waren sie es nur, weil sie mich noch nicht einordnen konnten?
Mein Blick wanderte nun zu der ruhigen Asiatin in der ersten Reihe. Sie wirkte angespannt. Ich fragte mich, was sie wohl so unwohl fühlen ließ. An den einfachen Gleichungen wird es wohl kaum gelegen haben, sie schien einer der Besten in dieser Klasse zu sein.
Als es zur Mittagspause klingelte, verschwand sie gleich als erste aus dem Klassenzimmer. Normalerweise interessierte es mich nicht so wirklich, was die anderen Schüler so in den Pausen trieben, aber mir kam die Situation irgendwie merkwürdig vor, also beschloss ich ihr zu folgen.
Sie ging zu ihrem Spind. Sie hatte genau den, neben meinem.
Es wirkte so, als würde sie etwas darin suchen und sie suchte immer panischer danach.
Der Korridor leerte sich langsam, da alle in die Kantine gingen, also versteckte ich mich nun hinter einer Ecke.
Plötzlich tauchten Mark und zwei seiner Kumpels auf.
Sie liefen auf sie zu.
Als sie das bemerkte, versuchte sie noch schnell die Flucht zu ergreifen, aber es war zu spät. Mark knallte, mit einer ordentlichen Wucht, die Tür ihres Schließfaches zu und lehnte sich dann mit der Schulter an.
„Na suchst wohl was?"
Seine Freunde fingen an zu lachen.
Sie schaute nur beschämt auf den Boden.
Ich holte in diesem Moment meine Kamera heraus.
„Ich hab dich was gefragt!", brüllte er sie an.
Man konnte ihre Angst in ihrem Gesicht sehen. Sie zitterte.
„Hey, ich rede verdammt nochmal mit dir!"
Er trat nun ein paar Schritte näher an sie heran.
„Dachtest du, ich würde dich damit einfach so davon kommen lassen? Hm? Dachtest du das etwa?" Er schlug ihr, die Bücher aus der Hand.
„Dachtest du, mir würde das nichts ausmachen, wenn du meine Hausaufgaben so erledigst, als hätte sie ein behinderter Vollidiot gemacht?"
Sie fing an zu weinen.
„Pass auf Mädchen, ab jetzt lieferst du mir wieder ordentliche Sachen ab, sonst verbrenn ich es, haben wir uns verstanden?"
Sie nickte.
„Gut", antwortete er kalt und er und seine Kumpels machten einen Abflug.
Im perfekten Augenblick, schoss ich ein Beweisfoto, leider machte ich damals den Fehler, zu früh aus meiner Deckung zu kommen.
Mark bemerkte meine Anwesenheit. Er warf mir aber nur einen bösen Blick zu, der es in sich hatte. Sollte ich jetzt mit ihr reden, fragen, was los ist und sie trösten, oder sollte ich einfach drüber hinweg sehen und mein eigenes Ding machen?
Auch, wenn mir die zweite Option deutlich lieber gewesen wäre, konnte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, sie jetzt einfach da stehen zu lassen. So ging ich also auf sie zu.
Sie erschrak erst mal. Sie hatte wohl angst, dass ich Mark sein könnte.
Als sie mich dann anschaute, sah ich die Erleichterung in ihren Augen.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und ich half ihr die Bücher wieder auf zu heben.
„Ist alles okay?", fragte ich sie mit einem gesenkten Blick.
„Es geht schon, ich bin ja irgendwie selbst dran schuld", antwortete sie mit zittriger Stimme.
„Es war nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Ich gib dir einen kleinen Rat, Fynn. Halt dich da besser raus, sonst wird es nicht lange dauern, bis es dir ähnlich ergeht."
Ich weiß nicht was mich damals mehr verwundert hatte.
War es Mark, den ich komplett falsch eingeschätzt hatte oder war es die Asiatin, die sich das alles gefallen ließ?
Wenn ich Mark schon so falsch eingeschätzt hatte, wie ist es dann erst bei den anderen? Kann ich hier überhaupt jemanden vertrauen?
Es wurden immer mehr Fragen, die mich beschäftigten.
An meiner alten Schule, wurde niemand so behandelt, zumindest wüsste ich nichts, in dieser Richtung.
Wir haben im Ethikunterricht immer viel über Mobbing geredet. Darüber, wie schlimm es ist und wie sich Leute fühlen, die Betroffen sind. Wir haben auch darüber geredet, warum Menschen so etwas schreckliches überhaupt tun und wir haben darüber diskutiert, ob Mobber Mörder wären.
Ich bin der Meinung, dass es stimmt.
Mobber töten zwar nicht direkt, aber indirekt und für einen Schüler kam bereits jede Hilfe zu spät und ein neues Opfer war wohl schon längst gefunden.
Kapitel 5 – Frischluftfanatiker
Es war wirklich nicht schwer etwas über die Frischluftfanatiker herauszufinden. Eher im Gegenteil, man erfuhr ständig etwas neues über sie, ob man wollte oder nicht.
Es ist wirklich nicht übertrieben, zu sagen, dass David Orsiek, André Hofmann und Jason von Gilsen wirklich Gesprächsthema Nummer eins an unserer Schule waren.
Die Jungs wollten so sein wie sie und die Mädchen schwärmten von ihnen.
Ich muss zugeben, dass ich sie auch bewunderte.
Jason, derjenige, der von Anfang an so freundlich zu mir war, obwohl er es wirklich nicht nötig hatte sich mit mir abzugeben, bewunderte ich natürlich am meisten.
Aber auch David und André waren nicht ganz ohne.
David beispielsweise hatte seit der Grundschule angeblich immer ein 1er Zeugnis und André punktete in jeder Sportart mit Bestleistungen.
Trotzdem schlug sie Jason, sowohl im Sport als auch in den meisten Fächern.
Ich hatte in meinem kurzen Leben nicht oft die Gelegenheit tiefgründige Gespräche mit ihnen zu führen, trotzdem wusste ich mehr über sie, als über andere Menschen, die mir deutlich näher standen, als sie es taten.
André soll angeblich immer sehr schnell genervt und launisch sein, aber an sich ist er kein schlechter Mensch, meinte Rita mal zu mir.
David ist hingegen eher so der Ruhige bzw. eigentlich ein klassischer Streber, nur sah er dafür 1. zu gut aus und 2. hatte er zu beliebte Freunde dafür. Außerdem soll er auch ganz anders sein können, wenn er will.
Freddie erzählte mir auch mal, dass er übelst auf Mangas und Animes steht und ziemlich gut Japanisch spricht, was ihn mir ziemlich sympathisch erschienen ließ.
Alle drei haben eine kleine Schwester, so wie ich.
Davids kleine Schwester hieß Melanie, Andrés hieß Sarah und Jasons hieß Melissa. Sie gingen auf die gleiche Mädchenschule, wie meine kleine Schwester Melodie.
Ich erfuhr erst viel später, dass das auch die besten Freundinnen meiner kleinen Schwester waren. André hatte auch noch einen großen Bruder namens Christopher und Jason einen namens Frederik, der in Heidelberg Medizin studierte.
Es überraschte mich zu hören, dass Jason auch noch einen kleinen Bruder an unserer Schule hatte. Er hieß Torben und war eine Klasse unter uns. Er hängt auch öfters mal bei ihnen auf der Wiese ab. Jetzt noch ein paar allgemeine Fakten.
Jason ist der kleinste, er ist 1,75 m, dann folgt David mit 1,82 m und Andre mit 1,83 m. Witzigerweise soll Jason angeblich gerne stricken, was ich irgendwie sehr amüsant fand.
Ich denke das war jetzt erst mal genug an Informationen. Kommen wir mal zu den Gerüchten, die über sie im Umlauf waren, die sind nämlich genauso interessant gewesen.
André soll angeblich gar nicht André heißen, sondern Jonas und André ist nur sein Zweitname. Er bevorzugte es aber André genannt zu werden, da seine Mutter ihn immer Jonas nannte und er kein gutes Verhältnis zu ihr haben soll, da sie angeblich eine Prostituierte ist.
Es geht auch das Gerücht rum, dass David der Sohn von einem Geschäftsführer einer großen Firma namens Orsie in Italien sein soll und dass Jason mit Zweitnamen Gottfried heißt und adelig ist. Nicht mal ganze 4 Tage hier und ich fühlte mich schon wie der absolute Experte.
Mir hätte es nicht so gefallen, wenn jeder an der Schule so viel über mich wissen würde.
Es wäre doch irgendwie belastend, immer so im Mittelpunkt zu stehen.
Fehler sollte man sich da besser auch nicht erlauben.
Aber ich hatte diese Beliebtheitsprobleme ja sowieso nie.
Kapitel 6 – Die Foto-AG
Mittlerweile hatte ich mich schon ziemlich gut an das Schulleben hier gewöhnt.
Die Pausen verbrachte ich ab jetzt immer in der AG mit Freddie, Rita und Marielle. Unglaublicherweise wurde mir erst an diesem Tag klar, dass Freddie, der Freddie ist, den mir Jason ja eigentlich vorstellen wollte.
Es war cool, dass Freddie den gleichen Musikgeschmack und das selbe Hobby wie ich hatte.
In unserer kleinen Zuflucht, wie wir sie gerne nannten, war wie immer eine tolle Stimmung. Wir diskutierten darüber, welcher unserer Bilder wir im Atrium ausstellen wollen.
Ich hatte leider nicht viel zu bieten, außer ein paar Fotos, die ich in dieser Woche, so nebenbei, mal halbherzig geknipst hatte, nur wollte mir Rita da nicht so wirklich glauben. Also nahm sie meine Kamera und stöberte selbst darin rum, was mich in Alarmbereitschaft versetzte. Ich hatte nämlich ein paar Bilder auf meiner Kamera, die sie besser nicht hätte sehen sollen. Dazu gehörte z.B. auch das Beweisfoto von Mark.
„Man Rita, das ist voll unsozial von dir, gib sie zurück!"
Sie ignorierte mich und machte einfach weiter.
Freddie grinste und aß genüsslich seine Kartoffelchips, während er mir dabei zu sah, wie ich vergeblich versuchte, Rita davon zu überzeugen mir meine Kamera wieder zu geben.
„Rita, bist du dir sicher, dass du dir die Fotos, auf einer Kamera, eines pubertierenden Jungen ansehen willst?", fragte Freddie und verschluckte sich vor Lachen an seinen Chips.
„So einer ist Fynn nicht, hab ich recht Fynn?"
Rita hatte wieder dieses zuckersüße Lächeln drauf, nur konnte ich es mir leider nicht richtig anschauen, ich war zu nervös, wegen den Fotos.
„Ihr Jungs seid doch alle gleich, schau nur Rita, wie nervös er ist, ich wette auf dieser Kamera sind 100 pro nicht jugendfreie Bilder drauf."
Marielle setzte sich neben Rita und nun durchsuchten beide meine Kamera, während Freddie mich festgehalten hatte.
„Komm schon, hör auf dich zu wehren, etwas schlimmeres als bei mir damals, werden sie auf deiner bestimmt nicht finden."
Diese Worte beruhigten mich nicht wirklich, sondern machten mich eher neugierig, was das für Bilder waren, die er damals auf seiner Kamera hatte.
„Hm, Fynn, also dir scheinen ein paar bestimmte Mädchen, hier auf der Schule, ja sehr zu gefallen, so viele Fotos, wie du von denen gemacht hast."
Marielle nahm die Kamera und zeigte eins der Bilder Freddie. "Ooohoo, Lara, ja die ist schon süß, Fynni, da gebe ich dir recht, nur leider schwärmt sie nur für André"
„Ich weiß", antwortete ich.
Ritas zuckersüße Lächeln verwandelte sich in eine eher trübe Miene.
Marielle gab mir meine Kamera zurück.
„Hier hast du sie wieder, schätze du bist wirklich nicht so ein Typ, wie Rita schon sagte."
Freddie ließ mich los und widmete sich wieder seiner großen Liebe, den Kartoffelchips.
„Krümel nicht so viel. Das musst du später selber sauber machen!", sagte Rita genervt.
„Ja, Mama", antwortete Freddie und krümelte dann extra viel, um Rita zu provozieren.
Marielle warf Freddie einen genervten Blick zu.
„Werd erwachsen."
„Sagte, das Mädchen ohne Titten", ergänzte Freddie sie.
Marielle stand wütend auf, griff nach ihrer Tasche und knallte die Tür laut hinter sich zu.
Freddie schien einen wunden Punkt bei ihr getroffen zu haben.
Ich und Rita schauten ihn vorwurfsvoll an.
„Ja, schon gut, ich werd mich bei ihr entschuldigen."
Er warf seine Chipstüte in den Müll, kehrte schnell die Krümel zusammen und ging ihr hinterher. Rita und ich waren nun die einzigen in diesem Raum.
„Du stehst also auf Lara?"
Ich wurde rot.
„Nein, nur, ähm, sie ähnelt jemanden sehr und das fand ich irgendwie faszinierend."
Dass dieser jemand Bambi ist und dass Bambi mal mein Lieblingsfilm war, erwähnte ich besser nicht vor ihr.
„Verstehe, tut mir leid, ich war nur neugierig."
Da war es wieder, ihr süßes Lächeln.
Rita ist echt schön.
Ich war froh, dass sie nicht gesehen hatte, dass ich sie auch ein paar mal fotografiert hatte.
Kapitel 7 – Masken
Ich glaube jeder von uns versteckt sich ab und zu hinter einer Maske.
Bei Mädchen ist es oft ihr übertriebenes Make-up oder bei Jungs ist es zum Beispiel die Brille oder ein aggressives Verhalten.
Wir versuchen uns, durch unsere Masken zu schützen, denn, wenn wir uns vor Menschen öffnen, machen wir uns dabei verletzlich, deswegen sollte es sich gut überlegt sein, was wir von uns preis geben und was wir lieber für uns behalten sollten.
Durch eine Maske, kann man ganz genau kontrollieren, wer einen näher kommen kann und wen man lieber von sich fern hält.
Meine Maske, war wohl meine zurückhaltende Art. Sie verhinderte, dass ich ohne es zu wollen, zu viel von mir preis gab und versteckte meinen wahren Charakter, meine innersten Gedanken.
Ich war froh, sie zu haben, nur manchmal, da verbergen unsere Masken aber auch Dinge, die gesehen werden sollten.
Die Schulwoche näherte sich dem Ende zu.
Ich freute mich schon auf das Wochenende.
Endlich ausschlafen und die Schule mal vergessen.
Schultor, Korridor, Spind.
Ich hatte die Routine nun voll im Blut.
Stundenplan, BMTH, A22.
Normalerweise müsste Jason jetzt auftauchen und mich wieder beim Murmeln belauschen, aber heute war er nicht an seinem Spind. Ich ging alleine zum Klassenraum. Er saß schon an seinem Tisch und ärgerte Marielle, in dem er ihre Frisur ruinierte.
„Guten Morgen, Fynn!"
„Morgen."
Er lächelte wieder, auf die gleiche Art und Weise, wie er es immer tat.
Gibt es wirklich Menschen, die immer gut drauf sind?
Ich setzte mich auf meinen Platz, räumte meine Sachen aus, aber mein Blick hing immer noch an Jason.
Dieses Lächeln, irgendwas stimmte nicht damit.
Frau Möller betrat nun den Raum. "Ach meine Täubchen, tut mir leid, dass ich immer zu spät bin." Sie katapultierte ihre Tasche wieder mit einem gekonnten Schwung auf ihren Tisch.
An sich ist es ein Wunder, dass dieser nicht unter der schweren Last, dieser vollgestopften Tasche nachgab.
„Ach ja, ich wünsch euch natürlich einen guten Morgen."
Im Chor antwortete die Klasse mit einem einfachen und halbherzigen „Morgen.“
Es schien noch niemand besonders wach zu sein.
Frau Möller setzte sich an ihren Tisch und wischte sich erst mal den Schweiß von der Stirn.
Sie kam immer in unseren Raum gestürmt, wie eine Rakete, dabei hätte es uns wirklich nichts ausgemacht, wenn sie einfach ein paar Minuten später gekommen wäre.
„Ich habe leider traurige Nachrichten zu verkünden, eure Mitschülerin Lynn, hat leider die Schule gewechselt."
Eine merkwürdige Stille machte sich breit.
Mir fiel erst in diesem Moment auf, dass die Asiatin, in der ersten Reihe fehlte.
„Ihr Name war also Lynn", murmelte ich.
Ich drehte mich um und sah in Richtung Mark.
Er schien nicht begeistert von der Nachricht zu sein.
„Hat sie auch gesagt warum?", fragte er sichtlich angepisst.
„Nein, sie wollte uns keinen Grund nennen."
Mark nickte und Frau Möller begann, nachdem sie uns eine ewig lange Predigt, über Gott und die Welt hielt, mit dem Unterricht.
Hatte sie es nicht mehr hier ausgehalten?
Ich meine, ich kann verstehen, dass sie sich das nicht länger bieten lassen wollte, aber sich nicht mal von der Klasse zu verabschieden, sondern einfach so zu verschwinden, das kam mir merkwürdig vor.
Ist wieder etwas zwischen ihr und Mark vorgefallen?
Nach dem Unterricht, kam Mark direkt auf mich zu und knallte seine Hand auf meinen Tisch.
Er beugte sich so weit vor, dass er mir direkt in die Augen sehen konnte.
„Hey Neuer, wie gut bist du eigentlich in der Schule?"
Alle Blicke waren auf mich gerichtet.
Jason stand auf und warf ihm einen erstaunlich ernsten Blick zu.
Das war das erste Mal, dass ich ihn so wütend sah.
Mark schien daraufhin einen Rückzieher zu machen.
„Komm Fynn, ich wollte dir noch etwas zeigen." Jason winkte mich zu sich und wir verließen zusammen den Raum.
„Du steckst jetzt ganz schön tief in der Scheiße", sagte er zu mir.
Mittlerweile hatte er wieder sein Lächeln drauf gehabt.
„Wie meinst du das?"
„Ich erkläre es dir lieber an einem Ort, wo wir ungestört reden können, folge mir einfach."
Er war schon wieder so nett zu mir. Warum war er so nett? Ich war in diesem Moment ziemlich verwirrt. Warum genau folge ich ihm jetzt? Wo gehen wir hin? Was meinte Mark vorhin?
Mir wurde es zu viel, also konzentrierte ich mich einfach nur auf Jasons Rücken, der mir zugewandt war.
Er trug ein schwarzes T-Shirt, hatte breite Schultern und wirkte durchtrainiert, war an sich aber trotzdem eher schmal gebaut. Seine blonden Haare bildeten einen ziemlichen Kontrast zu seinem dunklen T-Shirt.
Ich fragte mich, ob er, neben Basketball, noch anderweitig Sport betrieb und warum er kein Ärger bekam, weil er seine Schuluniform nicht trug.
Er drehte sich kurz um und lächelte.
Wahrscheinlich wollte er nur mal sichergehen, dass ich auch hinterher komme und mich nicht schon aus dem Staub gemacht habe.
„Wir sind gleich da. Warst du schon mal im Chemieraum?"
„Nein noch nicht, Chemie fiel ja diese Woche aus."
„Hast recht. Hier ist es."
Wir blieben vor einer, im Vergleich zu den anderen, recht großen und massiven Tür stehen.
Sie war verschlossen.
Jason kramte in seiner Hosentasche rum und zog einen Schlüssel heraus, den ich schon öfters bei den Lehrern gesehen hatte.
Ich schaute ihn fragend an.
Er lachte.
„Es hat schon so seine Vorteile Schülersprecher zu sein."
Die Tür war nun offen und wir konnten eintreten.
Es war ein sehr moderner Raum. Überall waren weiße Fliesen und es war so sauber, dass man meinen könnte, hier hätte noch nie jemand Unterricht gehabt.
Jason setzte sich auf einen der Tische. Ich hingegen lief Richtung Fenster, weil ich nicht so ganz wusste, wo ich hin sollte und wissen wollte, wie der Ausblick von hier ist. Man konnte direkt auf die Schulwiese schauen.
„Fynn." Ich drehte mich um.
„Wir müssen reden."
„Über was müssen wir reden?"
„Über ein paar Dinge."
Er stand auf und ging ein paar Schritte auf mich zu.
Er schaute jetzt auch aus dem Fenster.
„Dir hat bestimmt schon jemand etwas über Erik erzählt, oder?"
Ich nickte.
Ich verstand nicht, warum er selbst jetzt dieses Lächeln drauf hatte. Es ging doch offensichtlich um ein ernstes Thema.
„Er war Lynns Vorgänger, du weißt ja was mit ihm passiert ist, richtig?"
Ich nickte wieder. Er schaute mich nun an. Seine eiskalten blauen Augen verrieten mir nichts über seine Emotionen. War er traurig? War er wütend? Ich konnte es nicht sagen.
„Mark ist einer der Typen, die sich gerne aufspielen, musst du wissen."
Er lief Richtung Tafel und setzte sich auf den Lehrerstuhl.
„Er schikaniert gerne Leute und dafür sucht er sich immer ein Opfer aus. Diese Person muss dann seine Hausaufgaben machen und für blödsinnige Sachen herhalten. Lynn und Erik konnten ihm nicht lange stand halten. Ich denke du weißt jetzt langsam, worauf ich hinaus möchte, oder?"
Ich wusste nicht worauf er hinaus wollte.
„Jetzt, da Lynn weg ist, scheinst du das neue Opfer zu sein, Fynn."
Plötzlich sah ich alles klar vor mir. Wie konnte ich das nicht erkennen? Ich war der neue Erik. Ich war das neue Opfer.
Mein Herz rutschte mir in die Hose und alles was ich in diesem Moment dachte war einfach nur: Scheiße, warum ich?
Genau jetzt, in diesem Augenblick verlor ich meine Maske, die ich immer so sehr wertschätzte. „Jason, du musst mir helfen, ich werd das doch niemals aushalten können!"
Die Verzweiflung in mir war riesig, so riesig, dass ich Jason Gottfried von Gilsen gerade doch tatsächlich lauthals angefleht hatte, mich aus meiner misslichen Lage zu retten.
„Fynn, Ich..."
„Du hilfst mir, richtig? Mark scheint auf dich zu hören, hab ich recht?"
„Fynn, …"
„Ich hab recht, oder? Sag, dass ich recht hab!"
Ich war von mir selbst überrascht, ich hätte niemals gedacht, dass ich mal so verzweifelt jemanden nach Hilfe fragen würde.
„Verdammt nochmal Fynn!"
Jason stand auf und packte mich an den Schultern.
„Reiß dich mal zusammen, ja?"
Langsam beruhigte ich mich etwas. Jason ließ mich wieder los und ich schaute beschämt auf den Boden.
„Was soll ich denn jetzt nur machen?", fragte ich ihn.
Er legte seine Hand auf meine Schulter.
„Wir finden eine Lösung, aber es wird nicht einfach."
Er lächelte.
Warum lächelte er? Warum war er so nett zu mir? Was brachte ihm das? Kann ich ihm überhaupt trauen? Warum sehe ich keine Emotionen in seinen Augen? Hat er so etwas wie Gefühle überhaupt? Es wurden immer mehr Fragen.
Aber eine Sache wurde mir an diesem Tag klar.
Jason hatte eine undurchschaubare Maske und meine fing an zu bröckeln.
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Kapitel: | 7 | |
Sätze: | 656 | |
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