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Der Atem der Nacht

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13.10.25 12:13
16 Ab 16 Jahren
In Arbeit

Kapitel 1: Schatten des Alltags

Die kleine Haus am Rande von Eldervale, wirkte unscheinbar zwischen den hohen Bäumen und dem Gestrüpp, das den Hügel hinauf wuchs. Schiefe Holzbalken trugen das noch schiefere Dach, Risse zogen sich durch die Wände, und Rauch stieg mühsam aus dem schmalen Schornstein. Drinnen brannte ein kleines Feuer im Herd, das den Raum schwach erleuchtete und den Geruch von verbranntem Holz und dünner Suppe verströmte. Es war kein prächtiges Heim – doch es war mein Zuhause.

Ich wischte mir die Hände an meiner schmutzigen Schürze ab und blickte in den Spiegel, der über dem kleinen Holztisch hing. Meine langen schwarzen Haare fielen wie ein glänzender Schleier über meine Schultern, meine leicht gebräunte Haut spiegelte die Arbeit unter Sonne und Wind wider. Am auffälligsten waren meine eisblauen Augen, die wie ein kleines Stück Winter inmitten der Wärme des Raumes leuchteten. Ich bewegte mich mit der Gelassenheit einer jungen Frau, die die Mühen des Lebens kennt, ohne daran zu verzweifeln.

Meine Katze Lyra sprang leise auf die Fensterbank, streifte durch mein Bein und schnurrte. Ich lächelte, während ich sie streichelte. Lyra war mehr als ein Haustier; sie war meine ständige Gefährtin, die mich überall hin begleitete.

„Delia, die Hühner brauchen Futter, bevor es dunkel wird!“ rief meine Mutter aus der Stube, in der sie alte Kleidung flickte.

Meine Mutter, eine zierliche Frau mit gebräunter Haut und dunklem Haar, das zu einem lockeren Knoten gebunden war, wirkte trotz der Härte des Lebens ruhig und stark. Sie sprach selten lauter als nötig, doch ihre Augen verrieten Fürsorge und Wärme.

Mein Vater war ein großer Mann, von harter Arbeit gezeichnet, mit breiten Schultern und rauen Händen. Sein Gesicht war wettergegerbt, doch seine Augen blickten sanft, besonders wenn sie auf mich oder Amalia fielen. Er kümmerte sich um den kleinen Garten und die wenigen Hühner, die uns über den Winter halfen.

Amalia, meine kleine fünfzehnjährige Schwester, war lebhaft und aufgeweckt, ein wenig ungestüm, aber voller Neugier. Ihre braunen Locken fielen ungebändigt über die Schultern, und ihr Lachen füllte den Raum wie ein heller Lichtstrahl. Während ich die letzten Pflichten im Haus erledigte, half Amalia eifrig beim Flicken von Lumpen, die noch brauchbar waren, und träumte dabei laut über das Leben außerhalb der Hütte.

Unser Leben war einfach und hart. Die Vorratskammer war spärlich gefüllt, nur ein paar getrocknete Kräuter, Hülsenfrüchte und Mehl lagen auf den Regalen. Doch trotz der Armut herrschte eine Wärme, die sich nicht in Gold oder Seide messen ließ: das gemeinsame Lachen am Abend, das leise Knistern des Feuers, die vertraute Nähe meiner Familie.

Ich liebte diese Momente, und trotzdem spürte ich tief in mir eine Sehnsucht nach etwas mehr – nach einem Leben, das größer und geheimnisvoller war, als es unser kleines Haus am Waldrand von Eldervale, je bieten konnte.

 

Kapitel 2: Tuscheln in Eldervale

Der Morgen lag noch kühl und feucht über den Feldern, als ich mich mit Lyra an meiner Seite auf den Weg nach Eldervale machte. Unser kleines Heim lag nur wenige Bogenmeilen außerhalb der Stadtmauern, im Schatten der Türme und Zinnen, doch der Unterschied zwischen dem dörflichen Vorort und dem Leben innerhalb der Stadt war groß. Die Straßen waren noch von Tau bedeckt, und der Geruch von feuchter Erde und Holzrauch hing schwer in der Luft.

Lyra schritt geschmeidig neben mir her, ihre Pfoten kaum hörbar auf dem unebenen Pflaster, und ich konnte das Schnurren in meinem Ohr spüren, das mich beruhigte. Bald erreichte ich die erste Kreuzung, und da sprang mir eine vertraute Gestalt entgegen. „Delia!“ rief Ronan, mein treuer Freund seit Kindertagen.

Er war kräftig, die Haare dunkel wie die Erde nach dem Regen, die grünen Augen hell und wachsam, und sein Lächeln wirkte stets so, als könne es selbst die trübsten Tage erhellen. Seit wir Kinder waren, hatten wir zusammen im Wald gespielt, über Feldwege gelaufen und uns Geheimnisse anvertraut.

„Ronan! Du hast mich fast umgerannt“, lachte ich, während Lyra sich zwischen uns schob und neugierig die Hände meines Freundes beschnupperte.

„Ich muss dir etwas erzählen“, begann er, seine Stimme ernster als sonst. „In der Stadt reden die Leute von einem Etwas… einem seltsamen, schwarzen Ross. Sie sagen, es sei größer und mächtiger als alle Pferde, die je ein Mensch gesehen hat. Manche flüstern, es sei direkt aus der Hölle gekommen, und seine Augen sollen glühen wie Feuer…“

Ich musste lachen, obwohl ein merkwürdiges Ziehen in meiner Brust blieb. „Ronan… das klingt nach einem der üblichen Gerüchte. Wahrscheinlich hat irgendein Bauer ein normales Pferd gesehen und daraus eine Legende gestrickt.“

„Vielleicht“, meinte er mit einem leichten Schulterzucken, seine Augen funkelten dabei schelmisch. „Ich wollte nur, dass du es hörst, bevor es noch weiter aufgebauscht wird. Pass auf dich auf, Delia.“

Ich nickte, schüttelte die Gedanken ab und wandte mich wieder der Straße zu. Mehl war schließlich Mehl, und der Kauf war dringend nötig, um unsere Vorratskammer aufzufüllen. Lyra trottete dicht hinter mir, als wir den schmalen Pfad in die Stadt hinein nahmen.

Eldervale war geschäftig und laut. Händler riefen laut ihre Waren aus, Kinder rannten über die Pflastersteine, und das Klappern von Hufen und Wagen mischte sich mit dem Klirren von Schmiedehämmern. Ich trat in die kleine Bäckerei am Rand des Marktplatzes und bestellte das Mehl. Während ich wartete, konnte ich hören, wie einige Leute leise tuschelten. „Habt ihr es schon gesehen? Das schwarze Etwas… Augen wie glühende Kohlen…“

Ich schluckte, spürte, wie sich mein Herz einen Moment lang zusammenzog, und murmelte zu mir selbst: „Es sind nur Gerüchte. Nichts weiter.“

Doch als ich den Sack Mehl in die Arme nahm und Lyra wieder auf meinen Schultern spürte, wusste ich, dass irgendetwas in den Schatten von Eldervale lauerte – etwas, das meine Welt für immer verändern würde..

 

Kapitel 3: Geräusche im Dunkeln

Die Sonne war längst hinter den Hügeln versunken, und der Himmel färbte sich in ein dunkles Purpur, das langsam in Nacht überging. Ich hatte gerade die letzten Holzscheite in den Herd gelegt, als es an der Tür klopfte.

„Delia?“ Die Stimme war mir vertraut — Ronan.

Ich öffnete, und der Wind, der mit ihm hereinwehte, trug den Duft von feuchtem Moos und nahendem Regen mit sich. Sein Blick war unruhig, fast fiebrig. „Ich hab’ etwas gesehen“, begann er ohne Umschweife. „Im Wald, hinter dem alten Bachlauf. Es war… ich weiß nicht, wie ich’s beschreiben soll. Du musst es sehen.“

„Was meinst du?“ fragte ich, während Lyra sich um meine Beine schmiegte und leise miaute.

„Etwas Großes. Schwarzes. Es hat sich bewegt wie ein Tier, aber… es war anders. Bitte, komm mit mir.“

Ich sah ihn einen Moment lang an — sein ernster Ausdruck ließ mir kaum Raum für Spott oder Zweifel. Dann nickte ich. „Warte, ich sage Vater Bescheid.“

Mein Vater saß noch am Tisch, das Licht der Kerze zeichnete tiefe Furchen in sein wettergegerbtes Gesicht. „Wir gehen kurz hinaus“, sagte ich. „Ronan hat etwas gesehen. Wir sind bald zurück.“

Er hob den Blick, musterte uns beide mit diesem ruhigen, prüfenden Ausdruck, der mir immer das Gefühl gab, wieder klein zu sein. „Bleibt nicht zu lange. Der Wald ist nachts kein Ort für junge Leute.“

Ich nickte und wandte mich dann Lyra zu, die sich auf den Stuhl geschwungen hatte und mich mit ihren bernsteinfarbenen Augen ansah. „Bleib hier, mein Mädchen. Ich bin bald zurück.“

Draußen umfing uns die Nacht wie ein lebendiges Wesen. Der Wind hatte sich gelegt, und jedes Geräusch schien lauter als gewöhnlich — das Knacken eines Astes, das entfernte Rufen einer Eule, unser Atem. Der Mond hing wie eine Sichel über den Baumwipfeln, und der Weg, den wir einschlugen, führte uns an Feldern vorbei, deren Halme silbern schimmerten.

„Hier entlang“, flüsterte Ronan. „Ich war am Bach, als ich’s gesehen habe. Es stand da… mitten zwischen den alten Weiden. Ich schwöre, Delia, es hat mich angesehen.“

Ich wollte etwas sagen, aber meine Stimme blieb mir im Hals stecken. Je tiefer wir in den Wald kamen, desto dichter wurde die Luft. Es war, als läge ein unsichtbarer Druck auf uns, schwer wie ein Geheimnis, das die Erde selbst nicht preisgeben wollte. Der Wind roch nach Metall, nach Sturm, nach etwas, das mir fremd war. Meine Finger griffen unbewusst nach Ronans Arm.

„Fühlst du das auch?“ flüsterte ich.

Er nickte nur. „Ja. Etwas stimmt hier nicht.“

Und in diesem Augenblick, als wir den Bach erreichten und der Mond sein fahles Licht auf die Wasseroberfläche warf, glaubte ich, in der Ferne etwas zu hören — ein Schnauben, tief, dumpf, fast wie ein Grollen aus der Tiefe der Erde.

Ich hielt den Atem an.

Etwas war da draußen.

Und die Nacht selbst schien ihren Atem anzuhalten..

Kapitel 4: Das Flackern jenseits des Nebels

Ein Laut schnitt durch die Stille — so tief, dass er eher gespürt als gehört werden konnte. Der Boden unter meinen Füßen vibrierte schwach, als hätte etwas Unsichtbares den Atem der Erde berührt. Ich fror.

„Ronan…“, flüsterte ich. „Hast du das gehört?“

Er nickte kaum merklich. Sein Blick haftete an der Dunkelheit jenseits des Bachlaufs. Dort, wo das fahle Mondlicht kaum noch hinreichte, glomm plötzlich ein fernes, schwaches Leuchten auf. Erst dachte ich, es sei ein Irrlicht — diese tückischen Flammen, von denen die Alten erzählten, die Reisende in den Tod locken. Doch dies hier… war anders.

Das Licht war kein Flammenflackern. Es glomm stetig, fast unnatürlich, und schien von tief innen heraus zu brennen — wie von einem Wesen, das selbst aus Feuer und Schatten gemacht war.

„Bei allen Heiligen“, hauchte Ronan. „Was… was ist das?“

Ich konnte keine Antwort finden. Etwas in mir wusste nur, dass wir hier nicht sein sollten. Die Luft war kalt geworden, viel kälter, als sie sein durfte — mein Atem bildete Nebel, und jedes Rascheln der Blätter klang plötzlich zu nah, zu laut, zu lebendig.

Dann — ein dumpfer Laut, irgendwo im Dickicht. Ein Schnaufen, tief und rau, als würde etwas Großes durch die Dunkelheit atmen.

„Wir müssen weg“, stieß ich hervor.

Ronan zögerte, doch als ein zweiter Laut folgte — ein Schnauben, gefolgt von einem metallischen Klingen wie von Hufen auf Stein — griff er nach meiner Hand und gemeinsam rannten wir.

Die Äste schlugen uns ins Gesicht, das Unterholz riss an unseren Kleidern. Wir rannten so schnell wir konnten. Doch das Leuchten folgte — flackernd, unbeständig, und doch unaufhaltsam näherkommend. Es war, als verfolgte uns die Nacht selbst, als würde sie sich verdichten, um uns zu verschlingen. Meine Lungen brannten, meine Beine zitterten, und dennoch lief ich weiter, getrieben von einer Furcht, die jenseits des Verstehens lag.

„Schneller!“ rief Ronan, und ich stolperte über eine Wurzel, fing mich im letzten Augenblick.

Da — ein Schrei, irgendwo hinter uns. Kein Menschenschrei. Kein Tierlaut.

Etwas anderes. Etwas… Unnatürliches.

Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, während ich den Griff um Ronans Hand fester zog. Der Wald schien kein Ende zu nehmen, und die Dunkelheit atmete mit uns, kalt und wachsam. Erst, als wir die ersten Felder sahen und die vertrauten Silhouetten der Stadtmauern von Eldervale im fahlen Licht des Mondes auftauchten, wagten wir, stehenzubleiben.

Hinter uns war Stille. Kein Laut mehr. Kein Leuchten. Nur der Wind, der sacht durch die Ähren strich.

„Delia…“, flüsterte Ronan atemlos, „was immer das war — es hat uns gesehen.“

Ich nickte stumm.

Denn tief in mir wusste ich, dass das, was dort im Wald gewartet hatte, kein Traum und kein Gerücht gewesen war. Etwas Altes war erwacht. Und es hatte unseren Namen im Atem der Nacht getragen..

Kapitel 5: Flüstern im Dunkeln

Ronan brachte mich nach Hause. Kein Wort fiel auf dem Weg. Nur das Knirschen unserer Schritte auf dem feuchten Boden war zu hören, und das ferne Rauschen des Windes, der über die Felder strich. Die Schatten zwischen den Bäumen wirkten dichter als sonst, beinahe wachsam, als wüssten sie, was wir gesehen hatten. Als wir unser Haus erreichten, brannte drinnen noch Licht. Mein Vater saß am Tisch, das Gesicht hart, die Stirn in Sorgenfalten gelegt. Meine Mutter stand daneben, die Hände aneinander gepresst.

„Wo wart ihr so lange?“ fragte sie mit einer Stimme, die leise bebte.

„Nur ein Stück im Wald,“ antwortete ich rasch, bevor Ronan etwas sagen konnte. „Wir haben uns verspätet. Es war nichts.“

Vaters Blick ruhte einen Moment auf mir, prüfend. Dann seufzte er nur, stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Bleibt das nächste Mal näher am Haus, Delia. Die Nächte werden unruhiger.“

Ich nickte, wagte keinen Widerspruch. Ronan verabschiedete sich kurz und verschwand in der Dunkelheit, sein Schatten verschmolz mit dem Flackern der Laterne vor der Tür. Im Haus war es still, nur das Holz im Herd knisterte. Amalia schlief bereits unter der alten Decke, die Mutter einst aus Reststoffen genäht hatte. Ich ging leise in meine Kammer, Lyra wartete dort schon auf mich, ihre bernsteinfarbenen Augen glänzten im Dämmerlicht.

„Du hättest es sehen sollen,“ flüsterte ich, während ich mich neben sie setzte und über ihr weiches Fell strich. „Es war… nicht von dieser Welt.“ Lyra schnurrte leise, als könnte sie meine Unruhe spüren. Vielleicht tat sie das auch.

Später, als das Feuer längst erloschen war, lag ich wach. Der Wind wehte gegen die dünnen Wände, und das Dach ächzte unter seinem Atem. Doch dazwischen… war etwas anderes. Ein Laut, kaum hörbar. Wie das ferne Schnauben eines Pferdes. Tief, kehlig, fremd.

Ich hielt den Atem an.

Einmal, zweimal. Dann wieder Stille.

Ich wollte glauben, dass ich es mir nur einbildete — dass meine Gedanken mir Streiche spielten, genährt von Furcht und Müdigkeit. Doch tief in meinem Innern wusste ich, dass das, was ich gehört hatte, real war. Etwas war dort draußen. Als ich die Augen schloss, sah ich das Licht wieder — dieses unirdische Glühen jenseits der Dunkelheit.

Und ich wusste: Dies war erst der Anfang..

Kapitel 6: Spuren aus Asche

Der Morgen graute trüb über Eldervale. Nebel hing schwer über den Feldern, und die Sonne schien nur als blasser Schimmer hinter grauen Wolken. Die Luft roch nach feuchter Erde und Rauch, nach einem neuen Tag, der kaum anders werden würde als die vielen davor — und doch spürte ich, dass etwas sich verändert hatte.

Mit dem Eimer in der Hand machte ich mich auf den Weg zum Fluss, der hinter unserem kleinen Haus träge durch das Tal floss. Lyra lief mir lautlos nach, wie immer. Ihr schwarzes Fell glänzte feucht vom Tau, und sie huschte zwischen meinen Beinen hindurch, als würde sie die Nähe suchen. Ich wollte mich gerade hinunterbeugen, um den Eimer zu füllen, da blieb ich abrupt stehen.

Im matschigen Uferboden vor mir waren Abdrücke zu sehen. Tiefe, runde Einkerbungen, als hätte ein Tier hier gestanden. Doch kein Pferd konnte solche Spuren hinterlassen — sie waren schwarz an den Rändern, verbrannt, und aus der Erde stieg ein schwacher Dunst auf, der nach Eisen und Asche roch. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ich kniete mich langsam hin, streckte die Hand aus, berührte vorsichtig den Rand eines Abdrucks — und zog sie sofort wieder zurück. Die Erde war warm.

„Heilige Mutter…“ flüsterte ich.

Lyra fauchte leise, das Fell gesträubt, die Augen weit geöffnet. Sie starrte in die Richtung des Waldes, unbewegt, als sähe sie etwas, das mir verborgen blieb. Ich stand auf, blickte mich um. Der Fluss plätscherte ruhig, die Welt war still, und doch lag etwas in der Luft — etwas Unsichtbares, das jede Bewegung, jeden Atem schwer machte. Ich füllte rasch meinen Eimer und ging zurück, so schnell ich konnte, ohne zu laufen.

Zu Hause erwartete mich der vertraute Alltag: Vater war schon auf dem Feld, die Hacke in der Hand; Mutter bereitete aus dem letzten Mehl etwas Brot, während Amalia in der Ecke mit Fäden spielte, die sie zu einem Netz flocht. Der Geruch von Rauch und frischem Teig erfüllte das Haus. Ich setzte den Eimer ab, half beim Kneten, sprach kein Wort. Doch meine Gedanken blieben am Fluss, bei diesen verbrannten Spuren, bei dem Laut in der Nacht. Was, wenn es wirklich existierte? Dieses Wesen, das durch Feuer zu gehen schien und die Dunkelheit im Atem trug?

Ich sah zu Lyra, die zusammengerollt am Herd schlief, und spürte, wie mir ein Schauder über den Rücken lief.

Etwas hatte die Welt berührt in jener Nacht..

Kapitel 7: Das Flüstern am Waldrand

Die Nacht senkte sich früh über Eldervale. Der Himmel war schwer und wolkenverhangen, kein Stern zeigte sich, kein Mondschein fiel auf die Felder. Es war, als hielte die Welt den Atem an. Ich saß auf der kleinen Bank vor dem Haus, ein grobes Tuch um die Schultern gelegt. Mutter und Vater hatten sich längst zur Ruhe begeben, und Amalia murmelte im Schlaf. Nur Lyra war bei mir, eingerollt neben meinen Füßen, wachsam und still.

Das Feuer im Herd war längst verloschen, und die Stille ringsum war fast unnatürlich. Nur der Wind strich durch die Halme, trug das leise Rascheln der Blätter mit sich.

Doch dann — ein Laut.

Ein fernes Schnauben. Tief, kehlig, kaum mehr als ein Hauch, und doch so deutlich, dass mir das Blut in den Adern gefror. Ich richtete mich auf, blickte zum Waldrand. Zwischen den Bäumen schien sich etwas zu bewegen — ein Schatten, kaum greifbar, und doch... da.

Und dann sah ich es.

Ein Glühen. Schwach zuerst, wie ein Irrlicht zwischen den Ästen, dann heller, lebendiger — ein warmes, unirdisches Licht, das pulsierte wie ein Herzschlag. Ich konnte mich nicht rühren. Etwas in mir zog mich an, flüsterte leise, süß, gefährlich. Es war, als rief mich die Nacht selbst bei meinem Namen.

Lyra fauchte und sprang auf die Fensterbank. Ihr Blick war starr auf das Licht gerichtet, das nun schwächer wurde, als hätte es bemerkt, dass ich es sah.

„Was bist du?“ hauchte ich, mehr zu mir selbst als zu dem, was dort draußen lauerte. Keine Antwort. Nur der Wind, der nun stärker wurde, das Gras sich bog, und ein dumpfer Laut, der tief aus dem Wald zu kommen schien — ein Schritt, schwer und kraftvoll, wie von Hufen auf Erde.

Mein Herz raste. Dann, mit einem letzten, flackernden Aufleuchten, verschwand das Licht. Der Wald lag wieder still. Nur das Rauschen der Blätter blieb. Ich trat ins Haus, schloss die Tür und legte den Riegel vor. Doch selbst hinter dem sicheren Holz konnte ich es noch spüren — dieses Flüstern in der Luft, das mir sagte, dass es noch dort draußen war..

 

Kapitel 8: Das Feuer in der Nacht

Seit Tagen redete ganz Eldervale von nichts anderem. Vom Wesen im Wald. Von dem Feuer, das kein Feuer war, und den Spuren, die verbrannt waren in den Boden, als hätte selbst die Erde Angst gehabt. An jenem Abend rief der Stadtrat die Männer zusammen. Sie kamen bewaffnet mit Fackeln, Schwertern, Speeren — und mit Angst in den Augen, die sie hinter lauten Stimmen und groben Worten zu verbergen suchten. Einige ritten auf ihren Pferden, stolze Tiere in Weiß und Braun, die im Licht der Fackeln schnaubten und unruhig mit den Hufen traten. Andere gingen zu Fuß, in Kettenhemden, die dumpf klirrten, während sie sich in Bewegung setzten.

Ich folgte ihnen heimlich, über den kalten Boden, den Mantel eng um mich geschlungen. Der Wald empfing uns mit Dunkelheit — einer Dunkelheit, die lebte.

Die Wachen gingen schweigend, nur das Knistern der Fackeln und das dumpfe Schnauben der Pferde brach die Stille. Der Geruch von Pech und feuchtem Laub hing in der Luft. Wir liefen eine Weile, tiefer und tiefer in den Wald hinein. Die Männer flüsterten, einer schwor, er habe ein Licht gesehen — ein anderer lachte nervös, zu laut.

Doch nichts geschah.

„Da ist nichts,“ sagte einer schließlich, „nur Furcht und alte Weiber­märchen.“ Ein anderer lachte, wollte schon wenden, als plötzlich — der Wind erstarb.

Kein Laut mehr. Kein Rascheln, kein Flügelschlag. Selbst das Feuer der Fackeln brannte still, als hielte die Nacht den Atem an.

Dann kam es.

Zuerst war es nur ein Schimmer, fern zwischen den Bäumen. Ein rotes Leuchten, schwach wie Glut unter Asche. Es flackerte, zögerlich, wie ein Herzschlag im Dunkeln. Dann pulsierte es — stärker, heißer. Der Nebel begann sich zu färben, blutrot, und das Licht atmete, als hätte es ein eigenes Leben.

Die Männer wichen zurück. Einer murmelte ein Gebet, die Hand um den Griff seines Schwertes verkrampft.

Das Leuchten wuchs.

Es formte sich — langsam, qualvoll, schön.

Zuerst sah man nur Umrisse, ein Glühen wie flüssiges Metall, das sich sammelte und formte. Die Luft zitterte, Funken tanzten wie goldener Staub. Dann kam der Klang — ein tiefes, dumpfes Grollen, das nicht von der Erde, sondern aus dem Licht selbst zu kommen schien.

Etwas in mir schrie, ich solle fliehen. Doch ich konnte nicht. Ich stand da, gebannt, gefangen zwischen Angst und Ehrfurcht.

Das Glühen verdichtete sich.

Ein Schatten trat daraus hervor, schwarz wie Pech, umflammt von rotem Feuer. Ein Kopf hob sich — stolz, majestätisch, mit Augen, die wie flüssige Kohlen glühten. Dann die Schultern, der Hals, die mächtigen Beine. Und schließlich — ein Wiehern, so tief und hallend, dass selbst der Wald erzitterte.

Vor uns stand ein Pferd.

Doch es war kein Lebewesen, kein Geschöpf aus dieser Welt. Sein Körper bestand aus purem Widerspruch — Schatten und Glut, Feuer und Rauch. Das Fell war dunkel wie verbrannte Erde, doch unter der Haut pulsierte etwas, das brannte, als wäre darin ein Herz aus Lava. Seine Mähne war ein Sturm aus Feuerfäden, flackernd, lebendig — sie züngelten, tanzten, loderten wie die Flammen eines Höllenofens. Sein Atem war Rauch und Schwefel, jeder Ausstoß ließ Funken in der Luft schweben, als spie es Leben aus der Hölle selbst. Und die Augen — sie waren das Schrecklichste und Schönste zugleich. Zwei brennende Sonnen, tiefrot, glühend. Ein Blick darin ließ mein Innerstes erzittern.

Die Erde dampfte, wo seine Hufe den Boden berührten. Der Geruch von Asche und verbranntem Boden lag in der Luft. Und mit jedem Schritt hinterließ es schwarze Brandmale, kreisrund, tief, als hätte Feuer selbst den Boden geküsst.

Dann geschah es — Die Pferde der Wachen schrien, bäumten sich auf, panisch vor Schrecken. Einer riss sich los, trat wild um sich, ein anderer stürzte. Die Männer schrien, rannten davon, ließen alles zurück — Waffen, Fackeln, Mut. Innerhalb eines Herzschlags war ich allein.

Nur ich — und das Wesen aus der Hölle.

Das Feuer flackerte an den verlassenen Fackeln, warf tanzende Schatten über die Bäume. Der Atem des Pferdes war wie ein Flammenstoß, der den Nebel zerriss. Es trat einen Schritt auf mich zu, langsam. Die Luft vibrierte, warm und kalt zugleich. Ich konnte mich nicht rühren.

Es sah mich an — nicht wie ein Tier, das Beute wittert, sondern wie etwas, das erkennt. Als wüsste es, wer ich bin. Die Welt schwieg. Nur das leise Knistern der verkohlten Erde, nur mein Herz, das hämmerte wie ein wildes Tier in der Falle.

Dann hob das Wesen den Kopf, stolz und unnahbar, die Mähne ein Feuersturm um sein Gesicht. Ein Laut brach aus seiner Brust — tief, uralt, wie Donner über einem Meer aus Blut. Und in diesem Laut lag keine Wut. Nur eine Macht, die alles Leben in Ehrfurcht zwang. Ich fühlte, wie die Luft brannte, wie die Erde unter meinen Füßen bebte und ich wusste, das Ding aus Glut und Schatten war aus einem bestimmten Grund gekommen.

Dann verging es.

Nicht in Rauch, nicht in Feuer — es verblasste, als hätte die Dunkelheit es verschluckt, und zurück blieb nur ein Geruch von Schwefel und ein leises Knistern in der Luft. Ich stand noch immer da, das Herz wild, die Haut kalt. Denn dies war kein Tier. Kein Geist. Kein Fluch.

Es war ein Bote. Und zwar aus der Hölle..

 

 

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oOMissyOos Profilbild oOMissyOo

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Kapitel: 8
Sätze: 263
Wörter: 4.120
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Kurzbeschreibung

Am Rande der alten Stadt Eldervale lebt Delia mit ihrer Familie in bescheidenen Verhältnissen. Nur ihre treue Katze Lyra und ihr Kindheitsfreund Ronan bringen Licht in den grauen Alltag. Eines Tages breiten sich in Eldervale unheimliche Gerüchte aus – von einem Etwas, schwarz wie die Nacht, mit Augen, die wie glühende Kohlen leuchten sollen. Manche sagen, es sei ein Bote der Hölle, andere flüstern von einem alten Fluch.