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Von einem der auszog das Fürchten zu lernen
Dies ist die Geschichte von Hans Peter Naumann, geboren 1966 in Ludwigsburg, der in seinem an Anekdoten reichen Leben sehr viele ungewöhnliche Wege gegangen ist. Viele dieser Wege brachten für ihn Erfahrungen mit sich, die sein Leben üppig werden ließen wie eine farbengesprenkelte Frühsommerweide. Der Weg von dem ich hier erzählen möchte brachte ihm allerdings auch Erfahrungen, auf die er gerne heute verzichten würde. Er hätte ihn im Jahr 2015 beinahe mit verbundenen Augen vor ein Erschießungskommando der indonesischen Strafjustiz geführt. Gottlob nur beinahe - Hans Peter Naumann wurde schließlich zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, für einen Fehler, den er bitter bereut.
Naumann hatte bis dahin 48 Jahre lang ein buntes, spontanes und wohl auch teilweise verrücktes Leben geführt. Er war der sprichwörtlich „Rollende Stein“, der in jungen Jahren bei der französischen Fremdenlegion anheuerte, später eine Schauspielschule besuchte und die Vielfalt hatte für den Spagat zwischen der Theaterbühne, wo er den weisen König „Salomon“ am Staatstheater Ulm spielen durfte und der Verkörperung standhafter Mannsbilder in einer Reihe von Sexfilmchen. Aus dem Hans Peter, der aus der engen Provinz geflohen war, wurde „Patrick“, wie er sich fortan nannte - und der Stein rollte weiterhin über immer neue Wege durch Dick und Dünn. Patrick schaffte es schließlich sein Hobby, die Musik, zum Haupterwerb zu machen. Er wurde Schlagersänger und bekam gute Verträge, sein größter Hit „One Night Stand“ schien ihm auf den Leib geschrieben, er kam jetzt noch mehr herum. Patrick wurde Vater einer heiß geliebten Tochter, die Vaterrolle füllte er aber nie so aus, wie er eigentlich gewollt und gesollt hätte. Er sang auf Festen und Partys in ganz Deutschland, war eine feste Größe in Mallorca am „Ballermann“ und zuletzt bereicherte er Pattaya, das „Nightlife-El Dorado“ am Golf von Siam, wo er sich Anfang 2014 am Betrieb eines bayrischen Biergartens beteiligte.
Pech nur, dass er irgendwann Schutzgeld zahlen sollte. Ein Problem, mit dem dort viele Gastronomen hadern, aber eines, dessen sich ein dort ansässiger „Patron“, eine schillernde Gestalt namens Robert, gebürtiger Kanadier, der sich schon seit einigen Jahren als Ausländer in Thailand wie der Fisch im Wasserglas bewegte, annahm. Er kannte die „örtlichen Verhältnisse“ und versprach rasch Abhilfe. Und siehe da! Das Schutzgeldproblem wurde tatsächlich gelöst. Gut, dachte Patrick Naumann und ihm fiel ein Stein von Herzen. Der Biergarten konnte weiterlaufen. Schlecht war, dass jener Robert am Vorabend einer bereits geplanten Urlaubsreise Patricks nach Bali bei ihm auftauchte und ihn nach einigem Hin und Her mit einem Revolver bedrohte. Er zwang Patrick in einem Hotelzimmer diverse Kapseln mit Kokain zu schlucken und als Bodypacker nach Bali zu schmuggeln. Manche Zeitgenossen, die diese Version hören, mögen mit dem Kopf schütteln, und sich denken, das höre sich nach einer „Schutzbehauptung“ an, wie die Juristen verschwurbelt zu sagen pflegen. Ich glaube Patrick seine Schilderung. Er hat sie mir immer wieder, auch in den kleinsten Details im Randbereich gleichlautend, erzählt. Dem Einwand, dieses Vorgehen wäre für Robert doch sehr riskant gewesen, da Patrick zur Polizei hätte gehen können, vermag er überzeugend mit der eindringlichen Beschreibung entgegenzutreten, wie Robert ihn skrupellos an sein Faustpfand erinnerte: Patricks in Pattaya lebende und nicht mit nach Bali reisende Lebensgefährtin.
Am 26. September 2014 ging Flug FD 396 von Bangkok nach Denpasar. An Bord war Patrick Naumann, im Bauch diverse Kapseln mit 328 Gramm Kokain - und jeder Menge Todesangst! Eine sich im Körper öffnende Kapsel wäre fast gleichbedeutend mit dem sicheren Tod, – und dann auch noch die Kontrolle bei der Einreise an Flughafen! Er hat noch nie in seinem Leben eine vorsätzliche Straftat gegangen, doch Patrick weiß: Indonesien hat die Todesstrafe bei Drogendelikten. Aber die Angst im Hotelzimmer vor Roberts Revolver und die Sorge um die Lebensgefährtin war da noch größer gewesen. Es kommt wie es kommen muss! Bei der Einreise läuft alles schief. Patrick ist schlecht, er ist kalkweiß im Gesicht. Kontrolle - Drogenfund - Gefängnis!
Szenenwechsel: Bali, 23. Januar 2015. Ich sitze neben Patrick Naumann in einem stickigen Raum des berüchtigten Gefängnisses Kerobokan in Denpasar auf Bali. Das Mandat habe ich übernommen, weil es mich fasziniert hat. Ein paar Tage zuvor saß ich Morgens mit meiner Frau in unserer Küche beim Frühstückskaffee und las die Dürener Zeitung. „Deutschem auf Bali droht die Todesstrafe!“, war da zu lesen, einige Wochen später sitze ich diesem Mann auf Bali gegenüber und wir überlegen Strategien zur Vermeidung des Schlimmstmöglichen. Naumann ist verzweifelt. In ein paar Wochen beginnt der Prozess, die Todesstrafe ist für ihn ein reales Szenario geworden. Verschlimmert wird die Gemütslage durch die Haftbedingungen. Ein Moskitostich am Bein hat sich unter den katastrophalen gegebenen hygienischen Bedingungen zu einer riesigen eitrigen Wunde entwickelt. Es droht eine Sepsis. Ein Arzt aus Düren, dem ich das Bild zeige meint: Wenn jetzt nicht schnell geholfen wird ist das Bein verloren! Ärztliche Versorgung in Kerobokan? Fehlanzeige! Das ist ein Selbstversorgerknast, ohne eigenes Geld gehst Du vor die Hunde. Und er hat keins! Ich habe mehrfach am Tag Kontakt mit dem Auswärtigen Amt in Berlin, schließlich wird eine ambulante Behandlung der Wunde im örtlichen Krankenhaus möglich. Ich stehe daneben, als ihm ohne Narkose unter Schmerzensschreien die Wunde gesäubert und ausgeschnitten wird. Als Wache stehen schwerbewaffnete Uniformierte neben dem Krankenbett, andere Patienten des Großraumbehandlungssaals lugen neugierig und verstört aus ihren Betten zu uns hinüber. Neben uns steht noch der gut gelaunt wirkende balinesische Staatsanwalt und plaudert mit Patricks balinesischen Strafverteidiger.
Die Todesangst bleibt in den nächsten Tagen und Wochen Patricks ständiger Begleiter. Indonesiens neuer Präsident Widodo lässt neuerdings auch wieder die Todesstrafe, deren Vollstreckung über Jahre ausgesetzt war, vollstrecken. Ab 5 Gramm Kokain droht der Tod. Die Vollstreckung sieht in diesen düsteren Tagen so aus, dass sich bis zu zehn Delinquenten in einer Reihe nebeneinander aufstellen müssen und mehrere Schützen pro Todeskandidat aus einer Distanz von wenigen Metern das Urteil vollstrecken. Wer möchte, hat die Wahl eine Kopfkapuze zu tragen oder darauf zu verzichten und sehenden Auges zu sterben.
Andrew Chan hat letztere Variante gewählt. Andrew, ein Australier, hat mehr als 10 Jahren zuvor ein Drogenvergehen begangen für das er zum Tode verurteilt wurde. Als ich Naumann besuche, sehe ich Andrew Chan aus wenigen Metern in die Augen. Er sitzt in einem als Todestrakt genutzten ehemaligen Wasserturm und sieht verzweifelt aus. In Kürze soll sein Todesurteil vollstreckt werden. Präsident Widodo hat kürzlich sein letztes Gnadengesuch abgelehnt. Naumann hat sich mit ihm im Knast befreundet. Andrew Chan hatte ihm zu Beginn ihres Kennenlernens eine Matratze geschenkt, damit Naumann nicht mehr auf dem nackten Betonboden der Zelle schlafen musste. Am 29. April 2015 wird Chan zusammen mit mehreren anderen Ausländern auf der Gefängnisinsel Nusakambangan erschossen. Er war knapp über zwanzig Jahre alt als er verurteilt wurde. Er stirbt mit Einunddreißig. Einen Tag vor der Hinrichtung heiratet er noch seine langjährige Freundin. Als der Kugelhagel beginnt, halten sich die Todeskandidaten an den Händen und singen das christliche Lied „The Amazing Grace“. So berichtet es später der australische Priester, der den Delinquenten bis zuletzt Trost zu spendete.
Ich bespreche mit Naumann, dass wir versuchen müssen ein Urteil in Indonesien zu verhindern und einen Prozess in Deutschland zu bekommen. Bei Drogendelikten gilt das „Weltrechtsprinzip“, weshalb ich ihn bei der Staatsanwaltschaft Augsburg anzeige, die ein Verfahren gegen ihn eröffnet wegen „Beihilfe zum Handeltreiben mit Drogen in nicht geringer Menge“. Das ist Grundlage für ein Auslieferungsersuchen an den indonesischen Staat. Unser Ziel: Liefert Naumann nach Deutschland aus und wir machen ihm dort den Prozess!
In der Folge beginnt parallel zu dem in Bali laufenden Prozess ein wochenlanges Ringen um eine Auslieferung nach Deutschland. Trotz Hoffnung bis zuletzt, und dem großartigen Einsatz der Sachbearbeiterin beim Auswärtigen Amt in Berlin, kommt am Ende doch die niederschmetternde Nachricht. Indonesien lehnt die Auslieferung ab und wird selbst ein Urteil fällen. Mitte März wird Patrick Naumann schließlich in Bali zu einer Gefängnisstrafe von 15 Jahren verurteilt. Er entgeht der Todesstrafe denkbar knapp. Wie es dazu kommt, darüber kann im Detail heute noch nicht berichtet werden.
Patrick Naumann hat die langen Jahre der Haft in Bali bislang in bewundernswerter Weise genutzt. Er hat dort eine Kochschule gegründet, sich für andere Mitgefangene eingesetzt, aber er hat auch Gefängnisrevolten überlebt und Insassen sterben sehen. Doch trotz aller Widrigkeiten hat er nie seinen Mut und die Hoffnung verloren. Vor allem aber hat er über sein bisheriges Leben nachgedacht. „Ich war oft ein Arschloch. Aber wenn dein Leben auf „Werkseinstellung“ zurück gesetzt wird und du die Chance bekommst noch einmal bei Null anzufangen, dann sollte man zugreifen.“, hat er mir einmal gesagt - und es hört sich nicht nach Lippenbekenntnissen an. Patrick hat den Kontakt zu seiner Tochter neu aufgebaut, die heute eine hübsche junge Frau ist. Als er frisch in Kerobokan ankam und sein Fall durch die deutschen Medien ging, war sie ein junges Mädchen und es war für sie ein Schock den Vater so zu sehen. Sie schickte ihm ein selbstgemaltes Bild mit einer hellen Sonne. Für ihn war das der Punkt alles Bisherige zu prüfen und Dinge zu verändern. Das alles wird in seinem Buch „5447 Tage im Schatten vom Paradies“ erzählt. Er hat es in der Haft geschrieben und wer mag kann seine unglaubliche Geschichte selbst nachlesen. Es ist im Internet und ausgewählten Buchhandlungen erhältlich.
Nun seit wenigen Wochen gibt es die konkrete Hoffnung, dass Patrick aufgrund einer Gesetzesänderung in Indonesien im Herbst 2022, nach fast 8 Jahren Gefängnis, vorzeitig auf Bewährung entlassen werden kann. Er wird die „Insel der Götter“ dann mehrere Jahre nicht verlassen dürfen, auch das gehört zu den Bewährungsauflagen.
Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ihn dann am rostverfärbten Gefängnistor von Kerobokan in die Arme nehmen und die ersten Meter Freiheit zusammen mit ihm zurücklegen. Vielleicht werden wir später beim Sonnenuntergang am Strand von Seminyak sitzen, die Füße in den weißen Sand bohren und zusehen, wie sich die glutrote Abendsonne in den Kristallen am Flaschenhals eines eisgekühlten „Bintang“ Bieres spiegelt. Es wird der Anfang vom Ende des „Albtraumes Bali“ sein. Wir werden uns gegenseitig unsere Pläne erzählen, die wir in unseren unterschiedlichen Welten als Mittfünfziger noch so haben. Gut möglich, dass die Sonne bereits wieder aufgeht, wenn wir damit fertig sind!
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Klugscheisser • Am 06.10.2024 um 15:57 Uhr | |
Sehr bewegende Geschichte ! Ich persönlich würde in ein Land, in dem es dieTodesstrafe gibt, keinen Fuss setzen. | ||
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