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Kapitel: | 5 | |
Sätze: | 561 | |
Wörter: | 10.095 | |
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"Einen Dämon beschwören, was für ein Unsinn!" Kopfschüttelnd verließ Gideon das Studienzimmer seines Bruders. "Einen Dämon!" hörte Hector ihn auf dem Gang noch einmal ausrufen, dann verklangen die hallenden Schritte.
Gideon hatte noch nie viel Verständnis für die Forschungen seines Bruders gezeigt, und Hector war klar, daß Gideon in ihm nur einen weltfernen Spinner sah, dem die Berichte über Magier und Zauberer und ihre wundersamen Taten ebenso zu Kopf gestiegen waren, wie der Wein, dem Hector bisweilen ein wenig übermäßig zusprach. Aber er würde es Gideon schon zeigen! Es würde ihm gelingen, einen Dämon zu beschwören und aus den entferntesten Teilen des Landes würden die Magier und Zauberer zu ihm, dem unvergleichlichen Hector pilgern, nur um, zu seinen Füßen sitzend, seinen Weisheiten zu lauschen. Und König Ulric selbst würde ihn, als den größten aller lebenden Magier und Zauberer, zu sich rufen, ihn ehren und ihm die Hand seiner Tochter versprechen, befreite er sie mit seinen Zauberkünsten nur aus der Macht jenes unheilvollen Hexers Richard, der die schöne Prinzessin Gwendolin seit fünf Jahren in seinem finsteren Schloß gefangen hielt.
Hector griff zum halb geleerten Krug und füllte seinen Becher aufs neue mit Wein, dann horchte er an der Tür, ob irgendjemand auf dem Gang war. Als er sicher war, ungestört mit der Beschwörung beginnen zu können, nahm er den Kerzenhalter von seinem Lesepult und leuchtete die Wand dahinter ab, bis er den lockeren Stein gefunden hatte, der einen Hohlraum in der Wand verschloß. Dort bewahrte Hector seine kostbarsten Schätze auf: vom Erzzauberer Daniel geweihte rote Kreide, das Formelbuch Mortimers, dessen Seiten von den machtvollen Zaubern, die auf ihnen standen, an den Rändern verkohlt waren und fünf Kerzen aus feinstem Bienenwachs, die er vor einigen Tagen aus dem Vorrat für die kleine Hauskapelle gestohlen hatte, und für deren Verschwinden die Frau seines Bruders Gideon die Mäuse in der Burg verantwortlich machte.
Nachdem das Loch in der Mauer wieder sorgfältig verschlossen worden war, schlug Hector das Formelbuch an der Stelle auf, an der er Tags zuvor ein dickes ledernes Lesezeichen hineingelegt hatte und zeichnete dann mit der geweihten Kreide sorgfältig ein Pentagramm auf den steinernen Fußboden seines Studienzimmers. Im Formelbuch wurde außerordentlicher Wert auf eine exakte Ausführung der Dämonenbeschwörung gelegt, da es sich um eine der gefährlichsten magischen Übungen überhaupt handele. Nachdem Hector die Kreide weggelegt hatte, stellte er an den Ecken des Sterns jeweils eine Kerze auf und entzündete sie vorsichtig. Er hatte sich ein kleines Kissen zurechtgelegt, auf dem er während der Beschwörung bequem sitzen konnte, und als die Kerzen ruhig brannten, wandte er sich der eigentlichen Beschwörungsformel zu:
"Eighnal efplas fivha tosofour
efflturnto fourlzwo geplu
shatos geunfour
natosofo effun
fouha gezwo."
Noch während Hector die Beschwörungsformel verlas, bildete sich im Innern des Pentagramms dichter violetter Nebel, der, von den Seiten des inneren Pentagons begrenzt, wie ein fünfseitiger Pfeiler an die Decke des Raumes stieß. Im Stillen rief Hector den heiligen Hieronimus an, den Schutzheiligen der Magier und Zauberer, aber er wandte seinen Blick nicht eine Sekunde von der immer deutlicher sichtbar werdenden riesigen Gestalt, die im Nebel materialisierte. Bevor sich die fast bis zur Decke reichende Erscheinung jedoch verfestigen konnte, sprach Hector geistesgegenwärtig eine Formel, die dem Dämon menschliches Aussehen gab.
Der menschliche Körper des Dämons war klein, mager und rothaarig, allgemein von unauffälligem Aussehen, und seine Kleidung bestand hauptsächlich aus einem knielangen, fadenscheinigen und teilweise mit farbigen Flecken versehenen Gewand, dessen Grundfarbe weiß zu sein schien. Der Nebel lichtete sich allmählich und wurde von einem unirdischen Wind in die Bereiche verweht, aus denen der Dämon beschworen worden war. Doch erst als Hector die wasserblauen Augen des Dämons klar erkennen konnte, wagte er, das Formelbuch zu schließen und das Pentagramm zu öffnen.
"Wo bin ich?" fragte der Dämon. Auch zuvor hatten sich seine Lippen bereits bewegt, aber durch das geschlossene Pentagramm war kein Laut in den Raum gedrungen.
Hector reckte sich stolz. "Dämon, Du hast die Ehre, von dem größten Magier und Zauberer unserer Zeit beschworen worden zu sein, von mir, Hector dem Unvergleichlichen!"
Der Dämon schwieg eine Weile, zweifelsohne aus Ehrfurcht und Bewunderung, dann sagte er nach einer angedeuteten Verbeugung: "Der Unvergleichliche Hector hat die unvergleichliche Ehre, Döman, den größten Chem-hicker unserer Zeit beschworen zu haben."
Hector war etwas enttäuscht. Nach den wochenlangen Vorbereitungen hatte er gehofft, doch zumindest einen Phys-hicker, laut dem Formelbuch Mortimers der zweithöchste Typus der Dämonen, beschworen zu haben, die Chem-hicker standen erst an dritter Stelle. Nichtsdestoweniger erfüllte ihn die Gewißheit, einen echten Dämon beschworen zu haben, mit einiger Genugtuung, denn das war etwas, was seit dem großen Mortimer selbst, niemand mehr zustande gebracht hatte. Die Magier und Zauberer der neueren Zeit brachten es allenfalls noch zur Beschwörung von Tekn-hickern, einer unbedeutenden Halbdämonenart.
Während sich der Chem-hicker durch die enge Öffnung aus dem Pentagramm wandt, warf Hector rasch einen Drei-Monats-Bann über ihn und schrieb in Gedanken schon den Brief an König Ulric, in dem er ihm mitteilte, daß der größte Magier und Zauberer unserer Zeit, Hector der Unvergleichliche, mit seinem höchstkostbaren Dämon Döman zum Schloß zu reisen gedächte, um sich dort um die Befreiung der wunderschönen Prinzessin Gwendolin aus den Klauen des schrecklichen Hexers Richard zu bewerben.
*
Einen Monat nach der denkwürdigen Beschwörung Dömans erhielt Hector endlich einen Brief des Königs, der darin befahl, Hector möge sich mit seinem Dämon unverzüglich in die Hauptstadt und dort in das Königsschloß begeben. Voller Freude besorgte Gideon seinem Bruder einen Lastesel für die Reise, denn nachdem sich recht bald herausgestellt hatte, daß der schmächtige Chem-hicker über einen gesegneten Appetit verfügte und ihm sein dämonischer Magen erlaubte, sowohl gebeiztes 200-jähriges Holz als auch Granit mit Genuß zu verzehren, fürchtete Gideon begreiflicherweise um seine kleine Burg, die er, als der Ältere, von seinem Vater geerbt hatte, jedoch mit der Auflage, stets mit aller angebrachten Sorgfalt für Hectors Wohl zu sorgen und seine Gäste als die eigenen zu betrachten.
* * *
Nach knapp sechs Stunden Marsch erreichten Hector und Döman am frühen Nachmittag die Hauptstadt und mieteten sich in einem schloßnahen Gasthof ein, wo sie Gepäck und Esel zurückließen. Dann machten sie sich auf zum Schloß.
An der Landseite der überdachten Zugbrücke stand ein grimmiger Wächter und schrie: "Eure Passierscheine!"
Hector sah den königlichen Wächter erstaunt an. "Wieso Passierscheine? Mein Dämon und ich werden erwartet."
"Eure Passierscheine", beharrte der Wächter stur und vertrat den Weg.
"Wir haben keine", sagte Hector ruhig und wartete darauf, daß der Wächter sie vorbeiließ.
"Ohne einen gültigen und beglaubigten Passierschein kann ich weder Euch noch Euren Dämon einlassen", wiederholte der Wächter hartnäckig. "Außerdem gelten für Dämonen und Halbdämonen aller Art Sonderbestimmungen. Ihr braucht zum Beispiel ein magisches Gutachten, das die Gutartigkeit des Dämons nachweist."
Hector richtete sich hoch auf und ein ganz kleiner Zauberspruch bauschte seinen Umhang ein wenig, so daß er noch eindrucksvoller wirken mußte. "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit. König Ulric der Dritte selbst hat mich und meinen Dämon zu sich gerufen, Mann! Und was diesen meinen Dämon betrifft, so kann ich versichern, daß er gutartig ist." Für den Wächter unsichtbar gab Hector dem Chem-hicker ein knappes Zeichen und dieser bejahte die Aussage seines Meisters mit energischem Nicken.
Der Wächter musterte Döman mißtrauisch, ließ seinen Blick einen Moment auf den fleckigen Händen des schmächtigen Dämons ruhen und zog dann an einem herunterhängenden Klingelzug. Als Hector sich an ihm vorbeidrängen wollte, deutete der Wächter jedoch mit der unfreundlich aussehenden Spitze seine Hellebarde auf Hectors rotgewandeten Bauch. "Ohne Passierschein kommt weder Ihr noch Euer Dämon hier herein!" wiederholte er in leicht ungehaltenem Ton.
Mit einem leisen Seufzer ergab Hector sich in sein Schicksal und fragte sich, ob das Ziehen am Klingelzug im Innern des Schlosses zu irgendwelchen Aktivitäten führte.
Inzwischen rupfte der Dämon am Straßenrand einige Grashalme und zerrieb sie in seinen Händen zu einem weißen Pulver, das er mit Genuß von seinen unappetitlich aussehenden Händen leckte.
"Was ist das?" fragte Hector, der sich mit dem Gedanken trug, eine Studie über den Speisezettel und das Freßverhalten der Chem-hicker zu verfassen.
"Polysaccaride", antwortete Döman und holte tief Luft, um seine kurze Antwort näher auszuführen, aber in letzter Sekunde konnte Hector noch einen Schweigebann über den Dämon werfen, denn nur zu genau erinnerte er sich an die verstandeslähmenden Redeschwälle des Dämons im vergangenen Monat, der aus einem scheinbar endlosen Wortvorrat schöpfte, wenn er glaubte, Erläuterungen seien angebracht.
Unbekümmert, obwohl der Stimme für kurze Zeit verlustig, zog Döman ein dickes, quadratisches Kupferblech aus der Luft und eine Bleikugel aus der Tasche seines Gewandes, die Hector als Munition von Gideons Vorderlader erkannte. Dann begann er, das Blech mit bloßen Händen um die Kugel zu kneten. Als ein etwa faustgroßer Klumpen entstanden war, bestrich Döman ihn mit einem silbrigen Pulver und ließ die Kugel kurz aufflammen. Abschließend polierte er den goldfarbenen Klumpen an seinem Ärmel.
Von den merkwürdigen Tätigkeiten des Dämons abgelenkt, hatten sowohl Hector als auch der königliche Wächter die Ankunft des Majordomus überhört, der sich in höchsteigener Person zum Schloßtor bemüht hatte und nun gemessenen Schrittes über die Zugbrücke zu den Wartenden kam. Ein prachtvoll besticktes Wams zierte seine hagere Brust und der dicke Rüschenkragen kaschierte einen kleinen Buckel. "Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?" fragte der Majordomus bedächtig.
Hector machte eine vollendete Verbeugung, dergleichen hatte er nach seiner Bewerbung bis zum Eintreffen der huldvollen Vorladung durch seine Majestät König Ulric III. vor einem großen Spiegel geübt, der sonst im Ankleidezimmer seiner Schwägerin seinen Platz hatte. "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit. Seit dem großen Mortimer bin ich der erste, dem es gelungen ist, einen Dämon zu beschwören. Deswegen habe ich mich bei seiner erlauchten Majestät, König Ulric dem Dritten, um die Befreiung seiner rosengleichen Tochter, der Prinzessin Gwendolin, aus dem düsteren und schrecklichen Schloß des bösen Hexers Richard beworben und auch alsbald ein Antwortschreiben von seiner Majestät höchsteigener verehrungswürdiger Hand erhalten." Hector hielt dem Majordomus das Schriftstück unter die hervorragende Nase, auf dem die fehlerreiche Schrift des allerhöchsten Landesherren zweifelsfrei zu erkennen war. "In diesem Schreiben geruhte seine Majestät, König Ulric der Dritte, mich aufzufordern, unverzüglich zusammen mit meinem Dämon vor ihm zu erscheinen, auf daß seine vielgeliebte, vieltausendmal schöne Tochter noch in diesem Jahre aus den Klauen des abgrundtief bösen Hexers Richard befreit werde."
Der Majordomus las das Schreiben des Königs zwei mal durch und nickte dann. "Es hat alles seine Richtigkeit", bestätigte er und warf dem Wächter einen kühlen Seitenblick zu. "Gebt mir Euren Passierschein und den Eures Dämons, und schon morgen werdet ihr eine Audienz beim König beantragen können."
"Aber wir haben keine Passierscheine", wiederholte Hector.
"Dann besorgt Euch welche und kommt morgen wieder", entgegnete der Majordomus und ging wieder ins Schloß zurück.
Hector überlegte schon, ob er sich nicht schicksalsergeben ebenfalls zum Gehen wenden sollte, aber sein Dämon hielt ihn zurück. Er drückte den Goldklumpen, mit dem seine Hände noch immer spielten, mit einem freundlichen Grinsen dem mißtrauischen Wächter in die freie Hand. "Der König verlangt nach uns", sagte er und ging an dem verdutzten Wächter vorbei.
Hector beeilte sich, ihm zu folgen.
*
Nach einigem Suchen entdeckten sie in dem verlassen wirkenden Schloß schließlich einen Wächter, der vor einer schweren Holztür stand.
"Was ist das für ein Raum?" fragte Hector ihn neugierig.
"Das königliche Arbeitszimmer. Ich sorge dafür, daß seine Majestät nicht gestört wird."
"Endlich", seufzte Hector befriedigt und verkündete dann großspurig: "Platz für Hector den Unvergleichlichen!"
"Aber Herr!" protestierte der Türwächter des königlichen Arbeitszimmers, als Hector ihn mit zauberspruchverstärktem Arm beiseite schob und sich, seinen Dämon hinter sich herzerrend, an ihm vorbeidrängte.
Döman ließ alles ruhig mit sich geschehen und sah sich interessiert schweigend im königlichen Arbeitszimmer um: zwei Wände waren mit großen Landkarten tapeziert, die beiden anderen wurden von überfüllten Bücherregalen verdeckt. Allein ein winziges Fenster und die Tür waren ausgespart. Auf einem riesigen Schreibtisch türmten sich Bücher und lose Blätter.
Nachdem der Wächter noch einmal schockiert Worte des Protestes ausgerufen hatte, kamen die Blätter auf dem Schreibtisch plötzlich in Bewegung, und ein kleiner kahlköpfiger Mann in einem tintengefleckten Gewand aus rotem Damast wurde sichtbar. Es zeigte sich, daß der Schreibtisch nicht annähernd so groß war, wie das viele Papier glauben gemacht hatte. Der Türwächter sank auf die Knie und hauchte: "Euer Majestät", dann kroch er rückwärts hinaus und schloß die Tür hinter sich.
"Ulric der Dritte, von vielen auch der H-lose genannt", flüsterte Hector dem Dämon unaufgefordert zu und verneigte sich geübt in Richtung König. "Euer Majestät, in meiner Person naht Euch die Rettung Eurer bezaubernden Tochter, der Prinzessin Gwendolin, aus dem furchtbaren Schloß des bösen Hexers Rich-ard. Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit, und mit mir kam der von mir beschworene Dämon, ein Chem-hicker mit Namen Döman, wie Eure Majestät es in Eurem Schreiben zu befehlen geruhten." Wieder eine glatte Verbeugung, die Döman unbeholfen nachzuahmen versuchte.
Der König kniff die Augen zusammen und blinzelte in Hectors Richtung. Dann wühlte er aus den Papierstapeln auf dem Schreibtisch schießlich eine Brille hervor, bog die Bügel sorgfältig um die königlichen Ohren und besah sich Hector noch einmal genau durch die verschmierten Gläser. "Was macht Euch so sicher, meine Tochter aus den Klauen des bösen Hexers Richard befreien zu können? Es wird behauptet, er sei der Fähigste im Umgang mit der Magie und Zauberei und keiner käme ihm gleich. Ja, gehört nicht sogar ein Drache zu seinem Haushalt?"
Hector verneigte sich entschuldigend. "Der Besitz eines Drachens ist noch kein Qualitätsmerkmal für seinen Meister, ganz anderes jedoch der Besitz eines Dämons. Wie Euer Majestät zweifellos bekannt sein wird, ist es noch nicht einmal dem bösen Hexer Richard gelungen, einen Dämon zu beschwören. Laut dem Formelbuch Mortimers handelt es sich dabei jedoch um eine der schwersten magischen Übungen überhaupt, und, in aller Bescheidenheit Majestät, Ihr seht mir ist die Beschwörung gelungen."
"Ist der im Vollbesitz seiner Kräfte?" fragte der König mißtrauisch und hob die Brille etwas an, um den Dämon durch die Zentren der kleinen Gläser mustern zu können.
"Aber wo denkt Ihr hin, Majestät", erwiderte Hector vorwurfsvoll. "Nichts ist gefährlicher, als einem beschworenen Dämon seine vollen Kräfte zu belassen. Ich habe einen Bann über ihn geworfen, der ihn in seinen Möglichkeiten so weit einschränkt, daß er mir keinen wirklichen Schaden anrichten kann. Außerdem ist er mir natürlich vollkommen ergeben und wird eine unschätzbare Hilfe bei der Befreiung Eurer Tochter sein, der wunderschönen hochedlen Prinzessin Gwendolin."
"Laßt Euren Dämon eine Probe seines Könnens geben, bevor ich meine Zustimmung zu Eurem Plan gebe", entschied der König nach einer Denkpause und setzte sich auf einen Stuhl, den ein praktisch unbemerkbarer Page beflissen freigeräumt hatte.
"Was soll ich machen?" fragte Döman seinen Meister flüsternd. "Irgendetwas, was zischt und knallt? Sowas schindet immer Eindruck, aber so ein König ist ja nicht irgendwer. Vielleicht sieht er es als einen Anschlag auf sein Leben an."
Hector überlegte kurz. "Irgendetwas Eindrucksvolles, nicht zu Lautes wäre genau das Richtige."
Döman nickte, konzentrierte sich einen Moment intensiv und beschrieb dann mit seinen fleckigen Händen mehrere Kreise in der Luft. Zunächst passierte überhaupt nichts und Hector fürchtete schon, sein Dämon habe plötzlich aus unverfindlichen Gründen all seine Fähigkeiten verloren, aber dann bildete sich langsam eine blaue Flüssigkeit, die ein unsichtbares Gefäß zu füllen begann und heftig kochte. Eine Fliege, die sich unvorsichtigerweise in Dömans Zauberzone wagte, erstarrte augenblicklich und fiel zu Boden, wo sie leise klirrend in tausend Stücke zersprang.
Hector hörte, wie Döman die Formel für eine kleine Schweigemauer sprach und ein sanftes Ploppen ertönte, mit dem die Flüssigkeit plötzlich lichterloh brannte. Als sie verbraucht war, erloscht die Flamme allmählich und ein rotbraunes Pulver setzte sich an den Wänden des unsichtbaren Gefäßes ab. Langsam wurde das Pulver flüssig, leuchtete feuerrot auf und floß in einem silbrig glänzenden Klumpen am Boden des unsichtbaren Gefäßes zusammen. Zuerst bewegte sich der Klumpen träge, dann sah man, daß sich ein Fingerreif zu bilden begann, der schließlich, ohne durch die Wände des unsichtbaren Gefäßes behindert zu werden, auf die Hand der verblüfften Königs zuschwebte und sich dort auf einem Finger niederließ.
Als der Dämon die Zauberzone mit einer schwungvollen Armbewegung wieder auflöste, war das leise Reißen von morschem Gewebe zu hören, und ein neues Loch zierte das Gewand des Chem-hickers. Mit einem zufriedenen Lächeln registrierte Döman das zustimmende Nicken seines Meisters und wartete gespannt auf die Reaktion des Königs, der schweigend dasaß und verzückt auf den glänzenden Ring blickte.
Als der König nach gut zwei Minuten noch immer in keiner Weise reagiert hatte, sondern steif auf seinem Stuhl saß und auf den Ring starrte, wagte sich der Page an seinen Herrn heran und ergriff vorsichtig das königliche Handgelenk. Erschrocken weiteten sich seine Augen. "Er...", sagte der Page heiser, räusperte sich und schluckte, "er ist tot!" Dann fing er sich wieder etwas, riß die Tür des Arbeitszimmers auf und rief in den Gang: "Ein Dämon hat unseren König ermordet!"
Während der Page laut schreiend den Gang hinunterlief, stürzte der Türwächter in das Arbeitszimmer und vertrat Hector und Döman mit vorgehaltener Waffe den Weg. Hector sandte ein Stoßgebet zum heiligen Hieronimus und verfluchte den ungeschickten Dämon, den zu beschwören er das Pech gehabt hatte. Döman seinerseits betrachtete zerknirscht seine Füße.
Wenige Minuten später kam ihre Majestät die Königin an den Ort des Geschehens und betrachtete lange und nachdenklich den steif dasitzenden toten König.
"Majestät, dieses sind die Mörder Eures Gemahls, des Königs", erklärte der Türwächter der Königin und stach mit der Hellebarde nach Döman, der geschickt auswich.
Königin Genoveva die Blauäugige besah sich den Unvergleichlichen Hector und seinen ungeschickten Dämon, der sie zur Witwe gemacht hatte und ging mit trippelnden Schritten im Arbeitszimmer ihres verstorbenen Gatten auf und ab. "Page", befahl sie dann knapp, und der Jüngling rutschte auf den Knien zu ihren Füßen. "Hat dieser Dämon den König, meinen hochedlen Gatten und Gebieter berührt?"
Der Page, dessen schreckensgeweiteten Augen angstvoll auf dem Dämon ruhten, der unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat, schüttelte zaghaft den Kopf. "Keiner der beiden hat Hand an ihn gelegt, Euer Majestät."
"So." Die Königin spitzte die Lippen und rieb bedächtig ihre Hände. "Nicht einer von ihnen hat den König berührt, doch es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er durch ihr unheilvolles Wirken ums Leben gekommen ist... oder leugnet Ihr Eure Tat, Dämon?" wandte die Königin sich plötzlich an Döman, der aufschrak.
"Äh,... nein, wissen Sie... Ihr... Majestät, äh, irgendwie hat das nicht richtig hingehaun, das mit dem Silberring", Döman lachte leicht hysterisch. "War eigentlich nicht beabsichtigt, Majestät. Ich muß mich da mit den Formeln vertan haben. Eigentlich sollte es ein Silberring werden, aber ich habe mich wohl in der Gruppe geirrt und es wurde ein Cadmiumring, oder so. Wißt Ihr, Majestät, mit den Nebengruppen habe ich mich schon immer etwas schwer getan. Aber eigentlich hätte es auch in diesem Fall auf keinen Fall zum Tode Eures hochedlen Gatten und Gebieters kommen dürfen. Es war wirklich ein Versehen und es ist mir auch schrecklich peinlich. Mir ist das zum ersten Mal passiert, jedenfalls so ziemlich, und ich will wirklich gerne alles tun, um es wieder gut zu machen. Zum Beispiel könnte ich..." Döman machte noch einige lautlose Mundbewegungen, aber endlich war Hector nach dem erlittenen Schrecken die Formel für den Schweigebann wieder eingefallen, und erleichtert aufatmend genoß er die plötzlich eingetretene Stille.
Auch die Königin schien über die Unterbrechung des Redeschwalls nicht über Gebühr verärgert. Sie wandte sich an Hector, der Dömans wütenden Blick ignorierte, denn schließlich stand der Dämon unter seinem Bann und konnte weder absichtlich noch unbeabsichtigt etwas gegen seinen Meister unternehmen.
"Seid Ihr auch fähig, gegen wehrhafte Magier und Zauberer vorzugehen?" fragte die Königin interessiert.
Hector schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. "Meint Euer Majestät vielleicht den bösen Hexer Richard, der Euer süßes Töchterlein, die Prinzessin Gwendolin, auf seinem düsteren Schloß gefangen hält?"
Freudiges Erstaunen spiegelte sich in den blauen Augen der Königin. "Wäret Ihr fähig und willens?" erkundigte sie sich vorsichtig.
Hector machte einen Kratzfuß. "Aber Euer Majestät, Hector der Unvergleichliche liegt Euch zu Füßen, und wie Ihr seht, habe ich meinen Dämon nun unter Kontrolle. Ohne meine Einwilligung wird es zu keiner erneuten Katastrophe kommen."
"Euer Wort bindet Euch", drohte die Königin freundlich und winkte den Wächter und den Pagen hinaus. Als die Tür geschlossen und zwei Kelche mit teurem Wein gefüllt waren, wurde das Geschäftliche besprochen.
"Auch wenn es ein Unfall war, der König ist durch Eure Fahrlässigkeit ums Leben gekommen", begann die Königin, und ohne Hector die Gelegenheit zu geben, sich herauszureden, fuhr sie fort: "Daher müßt Ihr alles tun, um die entstandene Lücke zu füllen. Ich beauftrage Euch hiermit, die Prinzessin Gwendolin, meine geliebte Tochter, aus den Klauen des bösen Hexers Richard zu befreien, sie zur Frau zu nehmen und an ihrer Seite das Königreich zu regieren. Natürlich unter der Voraussetzung, daß Ihr meinen Ratschlägen wohlwollend Gehör schenkt."
"Die Alternative?" fragte Döman, der inzwischen nicht mehr durch den Kurzzeitschweigebann am Sprechen gehindert wurde.
"Auf Königsmord steht Tod durch Abtrennen des Kopfes vom Körper", erklärte die Königin sachlich.
"Ich denke, ich nehme an", sagte Hector freundlich und küßte die Hand seiner zukünftigen Schwiegermutter.
"Ist es nicht etwas unklug, zuzusagen bevor Ihr die Prinzessin gesehen habt?... wenn Ihr sie überhaupt zu Gesicht bekommt", wagte Döman einzuwenden, wurde aber durch einen vernichtenden Blick der Königin zum Schweigen gebracht.
*
Eine knappe Stunde später befanden Hector und sein Dämon sich schon auf dem Weg zum düsteren Schloß des bösen Hexers Richard, in dem die bezaubernde Prinzessin Gwendolin seit fünf Jahren gefangen gehalten wurde.
* * *
Als die Sonne unterging, erreichten Hector und Döman den Rand eines Waldes, durch den ein schmaler, von mit grüner Seide bezogenen Lampions beleuchteter Pfad führte.
"Dieser Weg führt sicherlich zu einer Herberge", sagte Hector zuversichtlich und schritt munter aus. Trotz der Lampions aber wurde der Pfad immer dunkler und schon nach wenigen Schritten schien es Hector, als hätten die Äste der Bäume den Weg zurück hinter ihnen verschlossen. "Vielleicht ist der Weg auch eine Falle des Waldes für arglose Wanderer", vermutete Hector nach einer Weile mit leichtem Zittern in der Stimme und sein Schritt wurde deutlich zaghafter.
"Das ist ein finsterer Wald", ließ Döman sich vernehmen, aber Hector bemühte sich vergeblich, in der Stimme des Dämons irgendein Zeichen der Angst zu entdecken. Ihm wäre viel wohler gewesen, wenn Döman sich nicht so offensichtlich wohl gefühlt hätte.
"Das ist der Finstere Wald", zwitscherte ein zartes Stimmchen aus dem Blätterdickicht über dem schmalen Trampelpfad, den der Wald den Reisenden zugestand.
Hector fuhr zusammen. "Wer bist Du?" rief er schrill, konnte aber gerade noch verhindern, daß sich seine Stimme überschlug. Er spührte, wie ihm der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat.
"Ich bin ein Moorhuhn", flötete das Stimmchen. "Und wer seid Ihr?"
"Ich...", kiekste Hector, räusperte sich nachdrücklich und fuhr in normaler Tonlage fort: "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit." Die vertraute Litanei gab Hector einen guten Teil seines Selbstvertrauens zurück und er straffte die Schultern.
Döman sah sich suchend nach dem Besitzer des Stimmchens um, aber er konnte nichts erkennen. "Ich bin Döman, ein Chem-hicker", sagte er in das Zwielicht der grünen Lampions. "Warum zeigst Du Dich nicht?"
Im Blätterdach raschelte es. "Ich komme!" juchzte das Stimmchen, und wie ein Stein fiel ein riesiger weißer Federball auf den Weg. Im Grunde genommen hatte das Tier wenig Ähnlichkeit mit einem Huhn, sein Aussehen erinnerte eher an eine überdimensionierte Wachtel. Das Moorhuhn plusterte sein Gefieder und legte die Federn ohne Zuhilfenahme des Schnabels oder sonstiger Extremitäten tadellos zurecht.
"Was siehst Du putzig aus!" entfuhr es Hector.
Die dunklen Knopfaugen des Moorhuhns blitzten im gedämpften grünen Licht der Lampions böse. Dann reckte es sich zur vollen Größe, so daß es Döman um eine Federbreite überragte. "Was sucht Ihr in meinem Wald?" fragte das Tier mit seiner Piepsstimme streng.
Einem derart albern wirkenden Bewohner des Finsteren Waldes gegenüber hatte Hector bereits seinen ganzen Mut wiedergefunden und so entgegnete er hochmütig: "Das geht Dich überhaupt nichts an, was wir hier suchen."
"Wenn Ihr aufmüpfig werdet, rufe ich meinen großen Bruder!" fauchte das Moorhuhn.
"Ist das auch so ein ulkiges Vieh wie Du?" fragte Hector, der den Kampf gegen sein breites Grinsen schon lange verloren hatte.
Das Moorhuhn bewegte unruhig seinen Kopf und schließlich blieb eines seiner Knopfaugen an Döman hängen. "Ist der immer so?" fragte es in vertraulichem Flüsterton.
Döman zuckte mit den Schultern. "Ich kenne ihn gerade erst einen Monat. Aber von Menschen kann man sowieso nicht viel erwarten", wisperte er zurück.
"Wie wahr", seufzte das Moorhuhn. "Wo wollt Ihr hin?"
"Zum Schloß des bösen Hexers Richard. Kennst Du den Weg vielleicht zufällig?"
Das Moorhuhn erzeugte einen Pfeifton, der Hector durch Mark und Bein ging, dann dachte es angestrengt nach. "Ich weiß nur, daß es hinter dem Zweitages-Moor liegt. Und um das zu überqueren, braucht Ihr dringend einen Führer. Die Sumpfhühner sind nicht so gutmütig wie ich." Mit der letzten Bemerkung traf Hector ein stechender Blick.
"Und wo können wir einen Führer finden?" erkundigte Hector sich gelangweilt.
Das Moorhuhn ignorierte Hector. "Der Weg führt Euch zu einer kleinen Hütte, in der der Moorführer wohnt. Handelt auf jeden Fall den Preis für die Führung im voraus aus, sonst könnt Ihr Euer blaues Wunder erleben. Und bezahlt erst, wenn Ihr wieder auf sicherem Boden steht."
"Wie ist das mit dem Rückweg?" warf Hector ein.
"Sag Deinem Mensch, er soll ruhig sein", wies das Moorhuhn Döman streng zurecht, dann fuhr es fort: "Das Zweitages-Moor ist verzaubert. Eigentlich braucht man zu seiner Überquerung nur einen Tag und für den Rückweg ebenfalls. Durch die Verzauberung geht man jedoch Hin- und Rückweg in einem Stück, so daß man bei der Rückkehr in den Finsteren Wald den Rückweg spart."
"Praktisch", bemerkte Döman.
"Überhaupt nicht. Man kann nämlich nur zurück, wenn man das Zweitages-Moor schon einmal überquert hat... ist die Sonne schon untergegangen?" erkundigte sich das Moorhohn plötzlich.
"Sie war gerade dabei, als wir den Wald betraten", ließ Hector sich vernehmen.
"Na, denn tschüß. Die Hütte werdet Ihr schon allein finden." Mit hüpfenden Sprüngen verschwand das Moorhuhn im Dickicht, während es sich bereits in einen moorhuhngroßen Frosch verwandelte.
"Merkwürdige Geschöpfe gibt es", sagte Hector versonnen, und wie als Antwort erhob sich plötzlich von allen Seiten ohrenbetäubendes Gequake riesiger Frösche. Hector winkte Döman und den Esel, den der Dämon führte, heran und suchte sich aus seinem Gepäck das Buch mit akustischen Zaubersprüchen heraus. Hastig blätterte er darin und versuchte, im spärlichen Licht der grünen Lampions den Text zu entziffern. "Ah, das ist es: eine Fremdschallabsorptionsglocke. Bis zur Hütte des Moorführers wird sie wohl reichen."
Nach einer knappen Stunde Wegs über den immer schmaler werdenden Pfad, auf dem sich Hector und Döman oft Wurzeln und Äste in den Weg gelegt hatten und der Esel mehrmals von peitschenden Zweigen erwischt worden war, erblickten sie in einiger Entfernung endlich ein Licht, dessen Leuchtkraft sich wohltuend von den schummrigen Lampions abhob. Tatsächlich war es der Schein einer Lampe, der durch das Fenster einer Hütte nach draußen drang und den Reisenden den rechten Weg wies.
Hector klopfte nachdrücklich an die aus unbearbeiteten Brettern zusammengezimmerte Tür, aber niemand öffnete. "Hallo, Herr Moorführer, wir bedürfen Eures Dienstes!" rief Hector und klopfte erneut, so daß die Hütte leicht schwankte.
"Es scheint keiner da zu sein", sagte Döman langsam und umrundete die Hütte, um sich von der Richtigkeit seiner Vermutung zu überzeugen. An der offenstehenden Tür des leeren Stalls entdeckte er einen an einem Nagel befestigten Zettel, auf dem in ungelenken Buchstaben stand: "Komme gleich wieder. Bitte nehmen sie solange kostenlos meine Gastfreundschaft an. Moorführer."
Döman brachte den Zettel seinem Meister, der sich glücklich schätzte, von der Königin, seiner zukünftigen Schwiegermutter, so reichlich mit Proviant versorgt worden zu sein, denn auch nach mehreren Versuchen ließ sich die Hüttentür nicht öffnen. Allein der Stall bot Meister, Dämon und Esel ein Dach über dem Kopf.
Rechtschaffen müde von den Abenteuern des vergangenen Tages und vom Inhalt zweier Rotweinflaschen über die schlechte Nachtunterkunft besänftigt, schlief Hector schnell ein. Döman wachte zusammen mit einem kleinen und sehr unruhigen Weckzauber, dessen ständiges Herumgehüpfe und leises aufgeregte Schnattern ihn störte, über den Schlaf seines Meisters. Er zerrieb einige der feuchten Stohhalme in seinen Händen zu weißem Polysaccarid-Pulver und bot dem kleinen, unförmigen Zauber davon an, aber der lehnte mit einem warnenden Fauchen ab. Inzwischen tat sich der genügsame Esel an dem Stroh, das Meister und Dämon als nächtliche Lagerstatt diente, gütlich.
*
Nach einigen Stunden fiel durch die noch immer offenstehende Stalltür trübes Licht. Der Weckzauber sprang nach draußen und tauchte nach wenigen Augenblicken wieder auf, um Hector zu wecken und zu verschwinden.
Hector rieb sich den Schlaf aus den verquollenen Augen und leierte einen kurzen Spruch gegen Kopfschmerzen herunter. "Na, hast du gut geschlafen?" fragte er Döman, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern suchte aus seinem voluminösen Gepäck sein Rasierzeug heraus. "Ich dachte, ich hätte gestern Abend hier irgendwo ein Wasserfaß gesehen... oder war das draußen vor dem Stall?" Sich abwechselnd an Kopf und Bauch kratzend, die Tasche mit dem Rasierzeug unter den Arm geklemmt, machte Hector sich auf die Suche nach einer Waschgelegenheit.
Döman verließ den Stall, um festzustellen, woher das diffuse Licht stammte und entdeckte hinter der Hütte des Moorführers einen fast völlig verlandeten Teich, in dem Schilf wucherte, durch das einige Nebelschwaden krochen. Der Wald endete vor der Tür der Moorführerhütte, doch der graue Nebel über dem Zweitages-Moor war für die Sonnenstrahlen fast ebenso undurchdringlich, wie das dichte Blätterdach des Finsteren Waldes.
Plötzlich stand ein schemenhafter Schatten am Rand des Teiches, und allmählich löste sich ein Mann von gedrungener Gestalt aus dem Nebel, der einen weiten dunklen Kaputzenmantel trug, dessen Gewebe mit einem Wasserabweisungszauber versehen war. Er verzog sein Fischgesicht zu seinem freudigen Grinsen, und sich die Hände reibend begrüßte er Döman und Hector, der gerade von seiner morgendlichen Katzenwäsche hinter der Hütte hervorkam. "Seid gegrüßt, werte Kunden, ich bin der hiesige Moorführer. Womit kann ich Euch dienen?"
Hector schüttelte sich einen Rest Wasser aus den Ohren und ergriff freundestrahlend das Wort. "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit. Das hier ist mein Dämon. Wir suchen das Schloß des bösen Hexers Richard, um die engelsgleiche Prinzessin Gwendolin aus Richards Gewalt zu befreien. Das Schloß soll hinter dem Zweitages-Moor liegen."
Der Moorführer spitzte die Lippen. "Das ist eine heikle Angelegenheit... ich persönlich werde mich dem Schloß nicht weiter als bis auf Sichtweite nähern, und natürlich wird auch der Preis höher als für einen gewöhnlichen Weg zu veranschlagen sein... acht Goldstücke und der Esel." Das grau bepelzte Tier kam gerade aus dem Stall getrotten, auf der Suche nach dem süßen Pulver, das der Dämon stets für ihn bereit hielt.
Nach einem gemeinsamen Frühstück und zähen Verhandlungen einigte man sich schließlich auf vier Goldstücke und den Esel, einschließlich einiger Extras, wobei der Esel sofort in den Besitz des Moorführers übergehen sollte, allerdings bis zum Erreichen des Zieles weiterhin das Gepäck Hectors zu tragen hatte, während das Geld und die Extras erst bei glücklicher Ankunft zu entrichten waren. Am späten Vormittag machte man sich schließlich auf den zwei Tage dauernden Weg.
* * *
"Das ist das Schloß des bösen Hexers Richard", sagte der fischgesichtige Moorführer nach zwei Tagen endlich zu Hector und zeigte auf das finstere, zinnenbewehrte Bauwerk, das sich auf einem Hügel drohend vor dem düsteren, gewitterwolkenverhangenen Himmel erhob. Der Moorführer streckte Hector die leere, schwielige Handfläche entgegen. "Meinen Lohn, werter Kunde. Weiter werde ich mich dem unheilvollen Schloß nicht nähern." Und im flüsternden Verschwörerton teilte er Hector mit: "Es heißt, ein Drache bewacht die Zugbrücke. Ich rate Euch, es mir gleichzutun und das Weite zu suchen."
Hector warf Döman einen vielsagenden Blick zu, dann grub er in seiner Tasche mißmutig nach den vier Goldstücken, die als Lohn für die weitgehend ereignislose Führung durch das Zweitages-Moor vereinbart worden waren.
Der Moorführer prüfte die Güte der Münzen mit seinen verfaulten Zähnen, dann nickte er befriedigt, steckte das Geld weg und zeigte auf den Esel, der inzwischen sein Eigentum war und von dem Döman gerade Hectors Gepäck abgeladen hatte.
Hector erinnerte sich an die Extras und nickte widerwillig. Er sprach einen kurzen Flugflügelzauber, und während sich der verdutzte Esel mehrmals um seine Achse drehte, um den nicht ganz artgerechten Federschmuck zu begutachten, der seinen Rücken zierte und sein Besitzer sich bemühte, ihn ruhig zu halten, um ihn besteigen zu können, machten Hector und Döman sich auf den Weg, hinauf zum Schloß des bösen Hexers Richard.
Der Pfad wurde immer unwegsamer und steiler und schließlich kamen Hector und sein Dämon nur noch weiter, wenn sie sich gegenseitig stützten. Nach einer guten Stunde Aufsteigs, während der sich Döman mit dem umfangreichen Gepäck seines Meisters abgemüht hatte, legten sie schließlich eine Pause ein und bemerkten zu ihrem großen Erstaunen, daß sich das Schloß und die darüber schwebenden schwarzen Wolken weiter entfernt von ihnen befanden, als jemals zuvor. Hector schüttelte ungeduldig seinen Kopf, stieg ein paar Schritte aufwärts, blickte zum Schloß hinauf, trat dann wieder ein paar Schritte zurück, schaute abermals hinauf und wiederholte das Ganze einige Male. Schließlich ließ er sich von Döman seinen Ledersack geben, in dem er auch einen Großteil seiner umfangreichen Bibliothek mit sich führte und fischte sich das 'Who is who der Magier, Zauberer und Hexer' heraus. Er blätterte, las einen Absatz und zeigte Döman die Seite:
Richard, Hexer (böse), Besitzer eines Drachen. Spezialitäten:
Optische Tricks,
Gestaltwandlungen,
Irreführungen und
Wetterzauber.
"Da haben wir es", sagte Hector verzweifelt. "Entweder die Entfernung des Schlosses oder das Schloß selbst ist ein optischer Trick." Aber dann erhellte sich sein Gesicht plötzlich. "Im Wein ist die Wahrheit. Gibt mir mal eine Flasche rüber."
Während Hector sich wieder einmal an dem schweren Rotwein aus dem königlichen Keller gütlich tat, dessen reichlicher Vorrat im Proviantsack schon einigermaßen dezimiert war, mixte Döman sich seine eigene Erfrischung: in ein aus der Luft gezogenes Kelchglas füllte er ein weißes Pulver und einige eckige Stückchen einer Substanz, die wie feuchte rote Kreide aussah. Dazu ließ er aus seinen Fingern Wasser fließen und mischte das Ganze mit einer öligen, farblosen Flüssigkeit. Plötzlich begannen die roten Stückchen auf- und niederzuhüpfen, Bläschen stiegen auf und am Boden des Kelchglases begann es, zu blitzen. Die Flüssigkeit färbte sich gelb und Rauch stieg auf.
Hector, der inzwischen gut die halbe Weinflasche geleert hatte, beugte sich interessiert über Dömans Schulter. "Was ist das?" fragte er neugierig.
Döman kostete seine Kreation mit spitzen Lippen und schlug sich dann die Zunge um dieselben. "Exquisit... das, mein lieber Meister, ist ein P-Cocktail."
Nachdem Hector die Flasche und Döman seinen Kelch geleert hatte, wandten sie sich wieder dem Schloß zu, das sich unter den Gewitterwolken in eine wehrhafte Burg verwandelt hatte, von der fast nur die dunkelgraue Mauer zu sehen war. "Also war es ein optischer Trick", sagte Hector triumphierend, und leicht schwankend machte er sich an den Aufstieg. Schon nach wenigen Minuten hatten sie die Kuppe des Hügels erreicht, auf dem das Schloß, das eigentlich eine Burg war, stand. Der Fuß der Wehrmauer war durch einen breiten, mit schwarzem, verfault stinkendem Wasser gefüllten Graben von Hector und Döman getrennt. Bis auf die hoch angesetzten Schießscharten war die Mauer völlig geschlossen, gebaut aus riesigen, fugenlos zusammengesetzten Granitquadern.
"Wie sollen wir da hineingelangen?" fragte Döman und stellte erschöpft Hectors Gepäck ab.
Hector musterte Döman prüfend. "Aber das ist doch ganz klar. Wenn ein Drache die Zugbrücke bewacht, muß es eine Zugbrücke geben."
"Aber das Schloß ist doch nur ein optischer Trick, um die Leute in die Irre zu führen. Warum sollten Drache und Zugbrücke nicht auch..."
"Die Autoren des 'Who is who' werden sich kaum durch einen optischen Trick in die Irre führen lassen. Wenn da steht, daß es einen Drachen gibt, gibt es auch einen. Laß uns die Zugbrücke suchen... und nimm mein Gepäck mit!" Der Zauberer murmelte noch etwas von der sprichwörtlichen Schwerfälligkeit der Chem-hicker, dann versengte er mit einem winzigen Feuerstrahl ein Stück des Grases am Grabenufer, um die Stelle, an der sie ihre Suche nach der Zugbrücke aufnahmen, zu kennzeichnen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, die Burg zu umrunden. An einigen Stellen war der Burggraben von monströsen Pflanzen überwuchert, deren Blüten der faulige Gestank entströmte, der überall in der Nähe des Wassers wahrzunehmen war. In der Tiefe des schwarzen Wassers schammen einige grünlich leuchtende Fische, die nur aus Gräten, Zähnen und boshaften Augen zu bestehen schienen.
"Die arme Prinzessin", sagte Hector einmal leise und schüttelte mitleidig den Kopf, als er daran dachte, daß die Prinzessin Gwendolin, die Tochter des toten Königs, seine zukünftige Gattin, schon seit über fünf Jahren in dieser ungesunden, unheimlichen Umgebung gefangen gehalten wurde.
Plötzlich blieb Döman, der dem leicht betrunkenen Zauberer trotz des Gepäcks immer einige Schritte voraus war, so abrupt stehen, daß Hector beinahe gegen ihn stieß. "Pscht!" zischte der Dämon seinem Meister zu, der gerade zu lamentieren anfangen wollte und wies um die Ecke. Dort war die Zugbrücke. Sie hing in einem 45-Grad-Winkel zur Mauer über dem Wasser des Grabens, ohne durch irgendwelche sichtbaren Seile oder Ketten gehalten zu werden. Das Wasser, das durch den Schatten der Brücke eigentlich noch dunkler hätte sein müssen, blinkte smaragdgrün.
*
Ein smaragdgrüner Kopf fuhr aus dem Wasser. "Wer seid Ihr?" fragte der Drache mit unangenehm schriller Stimme. An seinem grün geschuppten Hals blinkten Wassertropfen im Zwielicht der halb hinter schwarzen Gewitterwolken versteckten Sonne, und seine goldenen Augen mit den schlangenartig geschlitzten Pupillen musterten Hector und Döman geringschätzig.
Hector richtete sich zu seiner vollen Größe auf, kaschierte seine leichten Gleichgewichtsstörungen mit einer angedeuteten Verbeugung und erwiderte von oben herab: "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit. Aus dem Weg, Wurm! Laß mich zu Deinem Herrn, auf daß ich ihn zum Zaubererduell fordere, um das Leben und die Freiheit der schönen Prinzessin Gwendolin."
"Und wer ist die halbe Portion?" fragte der Drache unbeeindruckt.
Dömans wasserblaue Augen verdunkelten sich zu einem unheilvollen Blutrot. "Ich bin der Dämon Döman", sagte er finster und schnippte aus seinen Fingern einen winzigen Kugelblitz, der mit einem wilden Sirren um den kleinen länglichen Kopf des Drachen düste, bis dieser ihn mit einem gezielten Wasserstrahl aus seinem Maul löschte.
"Nimm Deinen Minidämon unter den Arm und verschwinde. Der Große Hexer Richard will nicht wegen jeder Lappalie gestört werden." Als sei die Angelegenheit damit erledig, glitt der Kopf des Drachen wieder ins Wasser zurück, nur seine nilpferdartigen Nüstern blieben über der Wasseroberfläche, gerade noch in Hectors Reichweite.
Hector krempelte seinen Ärmel hoch und drückte die Nase des Drachen unter Wasser. Sofort begann der Drache, sich windend zu wehren und etwa eineinhalb Meter von der Nase entfernt peitschte eine grüngeschuppte Schwanzspitze durchs Wasser. Hector, der den Druck seines Armes mit einem Zauber verstärkt hatte, konnte den kleinen Drachen ohne Mühe unter Wasser halten. Als eines der tütenförmigen Ohren des Drachen an die Oberfläch kam, ergriff Hector es mit der anderen Hand, beugte sich darüber und sagte: "Läßt Du uns rein, laß ich Dich los."
Nach einigen Minuten stellte der Drache seinen Widerstand schließlich ein und Hector erlaubte ihm, den Kopf aus dem Wasser zu heben. Nachdem er schnaufend wieder zu Luft gekommen war, sagte der Drache: "Ich werde Euch nicht am Betreten der Burg hindern, aber ich kann Euch auch nicht besonders helfen. Diese Brücke hängt nun schon seit fünf Jahren so auf halber Höhe und bisher ist es weder Richard noch mir gelungen, sie auch nur einen Millimeter zu bewegen... seit fünf Jahren hat keiner mehr die Burg betreten oder verlassen."
"Also war die Prinzessin Gwendolin die letzte", folgerte Döman.
"Hat diese mikrige Figur etwas zu sagen?" erkundigte der Drache sich bei Hector.
"Beleidige meinen Dämon nicht", mahnte Hector freundlich.
"Von so großartiger Größe bist Du ja auch nicht gerade", brummelte Döman derweil.
Der Drache spreizte seine ledrigen Flügel. "Für einen Wasserdrachen bin ich sogar ausgesprochen groß."
"Du sagtest, man bekäme die Zugbrücke nicht mehr auf", erinnerte Hector den Wasserdrachen, um einem boshaften Wortwechsel zwischen Dämon und Drache zuvorzukommen.
Der Wasserdrache nickte. "Seit fünf Jahren", und nach einem kurzen Seitenblick auf Döman fügte er hinzu: "Kurz nachdem die Prinzessin hier angekommen war."
"Sie wurde vom Hexer entführt", berichtigte Hector den Drachen, aber der zuckte nur mit den Flügeln. "Ich weiß nur, daß sie in der Burg ist, nicht warum."
"Weißt Du denn, wie das mit der Brücke passiert ist?" fragte Döman.
"Jemand wollte hinaus, ein anderer hat ihn daran gehindert, und so hat sich irgendetwas in der Zauberautomatik verklemmt. Ich nehme es jedenfalls an, schließlich bin ich kein Mekan-hicker."
Hector nickte. "Vermutlich wollte die Prinzessin Gwendolin fliehen, aber der böse Hexer Richard hat sie daran gehindert... erfolgreich."
Dömans Gesicht leuchtete plötzlich auf. "Ich habe eine Idee... dieser kleine Wasserdrache hier..." Die geschlitzten Pupillen verengten sich drohend. "Der sehr geschätzte Wasserdrache hier vor uns", verbesserte Döman sich rasch, "hat eine recht schrille Stimme. Da wüßte ich schon, wie wir der Brücke zu Leibe rücken können. Allerdings sind wir auf Euch, Herr Drache, angewiesen."
"Fräulein Drache, bitteschön", sagte der Wasserdrache giftig. "Aber ich bin bereit, zu helfen."
"Er kennt sich mit Drachen eben nicht so aus", entschuldigte Hector sich für seinen Dämon und ließ endlich das Ohr der Drächin los. Er erwog ernsthaft, wieder einmal einen Schweigebann über seinen Dämon zu verhängen.
Döman warf indessen ein paar violette Kristalle in die Luft und hatte gleich darauf zwei kleine schwarze Würfel in der Hand, die offenbar aus in diese Form gepresstem Pulver bestanden. Der Dämon reichte der Drächin die Würfel und wies sie an, sie auf die beiden, vor Rost kaum erkennbaren unteren Scharniere der Zugbrücke zu legen, zum Ufer zurückzuschwimmen und weitere Anweisungen abzuwarten.
Die Drächin nickte, nahm die beiden Würfel vorsichtig zwischen die gelben Reißzähne und tat, wie ihr geheißen. Als sie zurückschwamm, überprüfte Döman mit zusammengekniffenen Augen die Ausführung und sagte dann: "Stoße einen schrillen, möglichst sehr nachdrücklichen Schrei aus, dann werden die beiden Würfel explodieren und die Brücke aus ihrer Verankerung reißen... hoffe ich jedenfalls. Am besten schwimmst Du, beste Drächin, ein wenig aus der Fallgeraden."
Die Wasserdrächin nickte, begann mit einem sirenenartigen Gesang und steigerte sich zu einem ungeahnten Diskant. Nach dem darauf folgenden Knall entfernte sich die Zugbrücke mit einer Geschwindigkeit von mehreren Stundenkilometern von der Burgmauer und polterte den Hügel hinunter. Ein entferntes Platschen zeigte an, daß sie im Moor gelandet war.
Die Drächin, die unter Wasser Zuflucht gesucht hatte, wagte sich wieder an die Oberfläche und mit offenem Maul betrachtete sie die staubwolkenverhangene Öffnung, die in der Mauer gähnte. Als sich der Staub etwas gelegt hatte, wurde das nach innen gefallene Burgtor sichtbar, auf dem, eingeramt von der riesigen Öffnung mit dem gezackten Rand, eine kleine, in helles Grün gekleidete Gestalt stand, eine junge Frau, deren offenes, leuchtend orangenes Haar wie Kaskaden eines Wasserfalls über ihre Schultern und Hüften fiel.
"Was wollt Ihr?" rief die Schöne über den Burggraben hinweg.
Hector freute sich, wieder einmal eine seiner hervorragenden Verbeugungen anbringen zu können. "Ich bin Hector der Unvergleichliche, der größte Magier und Zauberer unserer Zeit. Ich bin mit meinem Dämon gekommen, um Euch aus der Burg zu befreien, edles Fräulein. Natürlich nur, wenn Ihr nichts dagegen habt."
Die rothaarige Schönheit lächelte geschmeichelt. "Oh, mein edler Ritter, Ihr wollt es wirklich wagen? Ihr stellt Euch tapfer gegen das Ungeheuer, das mich in dieser Burg schon seit fünf Jahren gegen meinen Willen gefangen hält, und bringt mich fort von hier?"
Hector nickte bestimmt. "Mit Hilfe meines Chem-hickers Döman und dieser Wasserdrächin hier, wenn Ihr nur so gütig wäret, auf ihrem Rücken den Wassergraben zu überqueren."
"Fragt mich hier eigentlich mal irgendwer?" fragte die Wasserdrächin pikiert, daber dann schamm sie schon auf das Loch in der Mauer zu, um die grüngekleidete Schönheit trockenen Fußes ans Ufer zu bringen, weg von der Burg, die fünf Jahre lang verschlossen gewesen war.
"Ihr seid der Dämon?" fragte die zierliche Schöne Döman interessiert, als sie ans Ufer trat.
Döman verneigte sich ungewohnt galant. "Verfügt über mich."
Die Schöne klapperte mit den langen roten Wimpern. "Zwei so charmante Männer und das nach fünf Jahren der Gefangenschaft bei diesem Ungeheuer... nehmt Euch in Acht, meine Herren, daß ich Euch nicht zu nahe trete."
"Ihr scherzt", sagte Hector wegwerfend. "Aber ich hätte bestimmt nichts dagegen, wenn Ihr mir zu nahe treten... äh, Prinzessin Gwendolin, ich habe den höchstköniglichen Auftrag Eurer Mutter, Euch wohlbehalten zurück zum Schloß zu bringen. Außerdem setze ich Euch hiermit vom Tode Eures Vaters in Kenntnis. Er fiel einem Versehen zum Opfer, das meinem Dämon unterlief, während er einen Demonstrationszauber durchführte. Außerdem..."
"Das kann schließlich jedem mal passieren. Es tut mir ja auch leid", unterbrach Döman Hector ungehalten.
Die Schöne tätschelte mit ihren zarten Fingern Dömans unrasierte Wange. "Euch sei verziehen." Dann wandte sie sich wieder Hector zu. "Und was weiter?"
"Ich bin Euch zum Manne bestimmt", sagte Hector gewichtig und straffte stolz seinen Bauch.
"Es ist mir eine Ehre, einen so fähigen und tapferen Zauberer zum Manne zu nehmen", gurrte die Schöne. "Wollen wir uns nicht auf den Weg machen?"
"Was ist mit dem Drachen?" frage Döman.
Die Wasserdrächin zirpte abfällig und tauchte im schwarzen Wasser des Burggrabens unter. Der Dämon zuckte mit den Schultern, nahm Hectors Gepäck auf und wandte sich hügelabwärts.
"Wehe, Du läßt Dich hier noch einmal blicken!" keifte plötzlich eine Frauenstimme. In der zackigen Öffnung der Burgmauer war eine dicke Frau mit strohblonden Haaren und einem nichtssagenden sommersprossigen Gesicht aufgetaucht. "Zieh bloß ab, Du! Und nimm Deine Gewitterwolke mit!" Dann drehte sich die Frau auf dem Absatz um und verschwand außer Sicht.
"Wer war das?" fragte Hector erstaunt.
Döman blickte indessen nachdenklich auf das kleine Gewitterwölkchen, das über dem Kopf der Schönen schwebte, und er erinnerte sich, daß der böse Hexer Richard sowohl Spezialist für Gestaltwandlungen als auch für Wetterzauber war. Er tippte seinen Meister vorsichtig an und deutete verstohlen auf das tintenschwarze Wölkchen.
Hinter Hectors Stirn arbeitete es langsam, dann zeigte er mit dem Zeigefinger direkt auf die wohlgeformte Nase der Schönen und stellte fest: "Du bist Richard."
Die Schöne lächelte entschuldigend. "Ihr seid im Irrtum, Herr. Ich bin Ricarde, Richards Zwillingsschwester."
"Und wieso zaubert Ihr auch?"
"Richard kann gar nicht zaubern", gestand Ricarde. "Zu jedem Kongress hat er mich hingeschickt. Ich mußte mich in einen Mann verwandeln und unter seinem Namen mein Können unter Beweis stellen."
"Und was ist mit der Prinzessin?" erkundigte Hector sich weiter.
"Richard hat sie vor fünf Jahren geheiratet. Ich wollte weg, denn schließlich hatte Richard nun ja jemanden, der ihm den Haushalt führen konnte, aber er hat mich eingesperrt, damit ich weiterhin für ihn und seine Frau zaubere. Sogar den Bann, der mich ihm unterstellte, mußte ich selbst weben. Aber dank Eurer Hilfe bin ich endlich frei."
Hector nickte. "Ja, Ihr seid frei, aber was sagen wir der Königin?... auf Königsmord steht Tod durch Abtrennen des Kopfes vom Körper", erinnerte er sich unbehaglich.
Richarde sah Hector aus ihren großen grünen Augen an und schüttelte den Kopf. "Aber das war gar nicht Döman, der den König umgebracht hat, das war ich. Bei der täglichen Beobachtung des Königsschlosses, die ich im Auftrag der Prinzessin Gwendolin durchführen mußte, hat es eine Störung in meiner Kristallkugel gegeben. Sie ist explodiert und die Rückkopplung hat den König... naja, er ist eben tot."
"Werdet Ihr das auch der Königin erzählen?" erkundigte Hector sich mißtrauisch.
"Aber sicher, Mein Ehrenwort als Hexe darauf", versicherte Richarde ernst. "Außerdem können wir ja auch meinen Bruder und seine Frau, die Prinzessin Gwendolin, mitnehmen, damit sie meine Geschichte bestätigen."
"Meinst Du, es geht gut?" erkundigte Hector sich flüsternd bei seinem Dämon, während Ricarde sich schon an den Rückweg zum Schloß machte, eine Hand am Kleidersaum, mit der anderen die störend um ihren Kopf schwebende Gewitterwolke beiseitewedelnd.
Döman grinste breit. "Mir kann die Königin eh nichts."
* * *
"Eine Hochzeit feiern? Hier??" Gideon starrte seinen Bruder fassungslos an, mit der Zeit zeichnete sich in seinen Zügen jedoch immer deutlicher die Verärgerung ab.
"Der König wird sie finanzieren", warf Döman ein. "Schließlich ist die Braut seine Schwester."
"Was ist denn nun genau passiert?" erkundigte sich die Hausherrin, Gideons Gattin, bei Hector, der es sich neben Ricarde auf einer Bank bequem gemacht hatte.
"Also, es begann damit, daß ich Döman beschworen habe", begann Hector langsam.
"Es begann damit, daß ich verbannt wurde", berichtigte Döman seinen Meister mit einem entschuldigenden Lächeln. "Sonst hättest Du mich nämlich gar nicht beschwören können."
"Du bist verbannt worden?" fragte Ricarde interessiert, ohne den Blick von der Feile zu wenden, mit der sie ihre Fingernägel bearbeitete.
"Weshalb denn?" fragte Hector mit mäßigem Interesse.
"Mißachtung der Sicherheitsvorschriften. Eigentlich war es etwas ganz banales, eine Tieftemperaturzauberzone, wie das beim König, und das Ergebnis war auch ähnlich. Daher glaubte ich ja auch, sein Tod wäre meine Schuld gewesen, obwohl ich eigentlich dachte, alles beachtet zu haben."
"Ich bin sicher, daß es beim König die Sache mit meiner Kristallkugel war. Es war ein Billigmodell, die haben häufig irgendwelche Macken", versicherte Ricarde und begutachtete kritisch ihre Nägel.
"Na, auf jeden Fall stand Döman schließlich in meinem Pentagramm", fuhr Hector ungeduldig fort und beschrieb haarklein, was ihm und seinem Chem-hicker Döman während der viertägigen Abwesenheit alles widerfahren war. "Richard hat Prinzessin Gwendolin schon vor fünf Jahren geheiratet und ist jetzt zu den Bedingungen, die die Königin mir gestellt hatte, König geworden. Ricarde ist mit uns gekommen und in zwei Wochen werden wir zwei heiraten", endete Hector stolz und hauchte seiner Zukünftigen einen Kuß auf die samtige Wange.
"Bist Du sicher, daß der König alles bezahlt?" fragte Gideons Gattin. "Ich frage nur wegen des Essens. Ich habe die Gästeliste gesehen und so viele Leute..."
"Sei beruhigt." Hector tätschelte den Arm seiner Schwägerin. "Wenn der König sagt, er bezahlt alles, wird er schon bezahlen. Wo kämen wir denn hin, wenn man nicht einmal mehr dem Wort eines Königs trauen dürfte?"
"Außerdem kommt Richard auch, und der war schon immer ein Freund außergewöhnlicher Spezialitäten", ergänzte Ricarde und ließ die Feile in der Luft verschwinden. "Er wird schon dafür sorgen, daß alles vorhanden ist, wonach sein Herz begehrt. Du brauchst Dir wirklich keine Sorgen zu machen, meine Liebe. Und zur Not... optische Tricks sind meine Spezialität."
Die Hausherrin nickte dankbar und wandte sich dann ihren unerledigten Pflichten zu.
*
Am Morgen der Hochzeit kamen aus Richtung Königsschloß zahlreiche, mit Lebensmitteln überladene Wagen, außerdem trafen die ersten Gäste ein, vor allen Dingen Zaubererkollegen von Hector und Ricarde.
Die Hausherrin freute sich zwar darüber, daß ihr die Beschaffung der Lebensmittel abgenommen worden war, was sich dann jedoch ihren Augen bot, begeisterte sie weniger. Es waren ganze Fässer voll von Schnecken in Schokoladensauce und Ameisen in Essig und Öl gebracht worden, außerdem Heuschrecken-Cocktails (2000 Gläser!), mit kandierten Echsenschwänzen gefüllte Oliven und vieles andere mehr.
Gideons Gattin überließ es den aus dem Königsschloß geschickten Bediensteten, Tische und Büfett aufzubauen und zog sich auf unbestimmte Zeit zurück.
Der Priester aus dem nahegelegenen Dorf, der das Brautpaar trauen sollte, kam schon recht zeitig, um die beiden zukünftigen Eheleute getrennt in einem ernsthaften Gespräch unter vier Augen auf die Ehe vorzubereiten. Während er sich den bereits leicht beschwipsten Hector vornahm, kam die Braut, in ein bodenlanges, bis zum Kinn und bis fast zu den Fingerspitzen reichendes weißes Spitzenkleid gehüllt, die offenen, orange glänzenden Haare wie ein Fuchspelz über Schultern und Rücken gebreitet, zu den Gästen, um sich mit ihnen zu unterhalten. Auch Döman stand schon an Büfett, um sich an den flambierten Salamanderzungen gütlich zu tun. Er begrüßte Ricarde freundlich und verabschiedete sich gleichzeitig von ihr, denn zur Feier des Tages hatte Hector ihn aus dem gerade halb erfüllten Drei-Monats-Bann entlassen. Außerdem hatte er von seinen dämonischen Vorgesetzten erfahren, daß er in seiner Abwesenheit auf Bewährung wieder in Dienst genommen worden war und ihn sofort antreten sollte.
"Ich beglückwünsche Dich", sagte Ricarde mit einem bezaubernden Lächeln, dann senkte sie ihre Lider über ihre großen stachelbeergrünen Augen, die mit den wasserblauen Augen Dömans auf einer Höhe waren. Das Gewitterwölkchen über ihr donnerte verhalten, als sie leise sagte: "Schade, daß Du nicht bleibst, Döman... Du und ich... das hätte prächtige rothaarige Kinder gegeben." Mit zarten Lippen küßte sie den Dämon flüchtig auf die glattrasierte Wange und verschwand in der Menge.
Nachdenklich blickte Döman ihr nach, dann ging er, etwas traurig über den Abschied, zu Hectors Studienzimmer. Dort kam ihm der Priester entgegen. "Wo kann ich die Braut finden?" fragte er geschäftig und rieb sich seine wurstförmigen Finger.
"Bei der Gesellschaft", erwiderte Döman hilfsbereit und trat zu Hector ein.
Sein Meister hatte bereits das Pentagramm, mit dem der Dämon zurückgeschickt werden sollte, auf den Boden des Raumes gezeichnet und die Kerzen, bis auf eine, entzündet. Er ergriff zum Abschied Dömans fleckige Hand und hielt sie lange, ohne etwas zu sagen, dann seufzte er tief. "Alles in allem war es doch eine schöne Zeit."
Döman leckte sich verstohlen einen Rest der Fischmagensauce aus den Mundwinkeln und nickte. "Ich werde Dich vermissen, trotz Deiner Schweigebänne."
Hector nickte schmunzelnd, in Erinnerung versunken. "Jaja", sagte er dann leise. "Vielleicht, eines Tages, sehen wir uns einmal wieder."
Döman wiegte den Kopf. "Wer weiß?... ich gebe Dir meine Adresse. Komm doch mal mit Ricarde zu einem Dämonenkongress."
Hector reichte Döman dankbar ein Blatt Papier, auf das der Dämon mit seinem bloßen Finger seinen Namen und seine Adresse kritzelte.
Hector legte den Zettel auf sein Schreibpult. "Auf bald."
"Auf bald", entgegnete Döman und stieg in das Pentagramm.
Hector wollte gerade die fünfte Kerze entzünden, da klopfte es an der Tür. "Die Trauung soll jetzt beginnen. Der Priester sagt, er habe heute noch drei Taufen und eine Beerdigung."
Hector seufzte entschuldigend und drückte Döman das brennende Zündholz in die Hand. "Du weißt ja, wie es geht," dann verließ er sein Studienzimmer.
*
"Wenn sie hier auch nicht ist..." erklang Gideons Stimme auf dem Flur, dann öffnete er die Tür des Studienzimmers seines Bruders, der hinter ihm die Schwelle überschritt. Im von fünf brennenden Kerzen umgebenen Pentagramm verflogen gerade die letzten violetten Rauchschwaden.
"Ist Ricarde da drin?" fragte der König und kam auch ins Studienzimmer. "Was ist das?" fragte er Hector dann und zeigte auf den Zettel, der auf dem Schreibpult lag.
"Dömans Adresse", entgegnete Hector abwesend und öffnete die Tür zum Wandschrank, um auch dort zu suchen.
"Unsinn. Ich erkenne doch die Schrift meiner Schwester, wenn ich sie sehe", sagte der König ungehalten und langte nach dem Zettel. "Mein Lieber", las er vor.
"Es tut mir leid, daß ich Dich schon vor unserer Hochzeit enttäuschen muß, aber in den vergangenen zwei Wochen habe ich festgestellt, wie viel eher Döman meinem Idealbild von einem Mann entspricht, als Du. Außerdem finde ich, daß ein alkoholisierter Zauberer und eine böse Hexe, deren Spezialität optische Tricks sind, nicht gut zusammenpassen. Du hast ja umseitig Dömans Adresse, wenn Du mich mal besuchen willst, steht dem nichts im Wege. Ich denke, als Gestaltwandlerin werde ich mich in der Dämonenwelt schon einleben. Ricarde."
* * *
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