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Wie man eine Mary Sue vermeidet

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12.05.20 11:50
Fertiggestellt

Mary Sues werden allgemein als Seuche, Landplage und andere Ausgeburten der Hölle bezeichnet. Gefühlt 90% aller FFs haben mittlerweile eine Sue als Hauptperson. Sie kann alles, sie weiß alles und sie bekommt den Helden der Geschichte ab. Und wenn sie einmal nicht alles kann, dann ist ihre Tollpatschigkeit wiederum so voller Talent, dass sie doch aus jedem Schlammassel heil herausfindet und dabei auch noch die Welt rettet. Mit anderen Worten: Sie ist perfekt.

Sues haben noch einige weitere Eigenschaften. In der Regel sind sie Selfinserts der zumeist jugendlichen Autorinnen (wobei sie nicht unbedingt jugendlich sein müssen) und damit Erfüllung ihrer pupertären (Feucht)Träume. Darüber hinaus warten Sues mit einem tragischen Ereignis entweder in der Gegenwart und/oder Vergangenheit auf, das sie zu etwas ganz besonderen macht. Oftmals werden sie auch mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet sowie einem ebenso irgendwie besonderen Tierbegleiter. Darüber ist die Sue der Schwarm aller im Text, und wenn sie wegen bspw. ihrer spitzen Ohren in der Schule gehänselt wird, dann wird das meist nur oberflächlich angekratzt und untermalt vielmehr ihre Perfektion.

Ganz ehrlich: Ich selbst habe in meiner Anfangszeit selbst die grausamsten Sues verbrochen und Maria Ringschmied aus „Glanz der Sterne“ ist ebenso dazu konzipiert, eine solche Sue zu werden. Allerdings erschienen meine frühen Sues nirgends im Internet und ich selbst hielt sie alsbald nicht für das Gelbe vom Ei. Ganz im Gegenteil wurde mir noch vor FF.de und damit ohne jegliche Rückmeldung außer von Familie und Freunden klar, dass das irgendwie doof ist, was ich da schrieb.

Jedem auch nur etwas erfahrenen Schreiberling ist klar, warum Sues eine solche Todsünde sind: Ihre Perfektion raubt dem Text jegliche Spannung. Sobald klar ist, dass es sich um eine Sue handelt, kann man mit 100%iger Trefferquote das Ende voraussagen. Und die Sueigkeit wird in der Regel schon in den ersten Sätzen offenbart. Darüber hinaus laufen die Texte immer nach demselben Muster ab, lediglich die Akteure können leicht variieren. Pairing OCxLegolas oder OCxAragorn, das spielt da keine Rolle mehr.
 
Allein schon aus dem Fakt heraus, dass ich selbst einmal solche Sünden verzapft habe, kann ich die Autoren zumindest ein kleines Stück weit verstehen, zumindest so lange sie noch die geistige Reife eines Kindes oder gerade beginnender Pupertät besitzen. Aber sobald man ein wenig reifer ist, muss man doch verstehen, dass eine Sue so ziemlich das Schlimmste ist, was man verzapfen kann. Was allerdings partout nicht in meinen Schädel will, ist, warum Sues so unglaublich viele Fans haben, während die wahren Perlen sang- und klanglos untergehen.
 
Betrachten wir die Fakten, warum Earenis‘ ursprüngliche Mission als Edel... nein, nicht Edelnutte, aber als Edelsue scheiterte. Sie ist eine tragische Vergangenheitssue. Ihre Mutter, eine Elbin aus Elronds Hausvolk, die mit Gildor auf Wanderschaft ging, wurde bei einem Überfall von einem Ork vergewaltigt. Daraus entstand Earenis (und ich ignorierte den Fakt, dass genau so etwas durch den Kanon eigentlich nicht möglich ist). Sie trug ihr Kind, halb Ork, halb Elbin, aus, wurde aber auf Drängen der bruchtaler Bevölkerung von Elrond verbannt. Earenis wuchs allein mit ihrer Mutter, die sie nie liebte, in der Wildnis auf. Als sie sich selbst versorgen konnte, ließ ihre Mutter vom Leben ab, unsere Halbelbin ist nun also mutterseelenallein. Sie heuert bei verschiedenen Söldnerbanden an, lernt den Schwertkampf und verkauft ihren Schwertarm fortan für den Höchstbietenden. Sie ist biestig und misstrauisch und ist am liebsten für sich allein. Hinzu kommt, dass sie eine telepathische Verbindung zu ihrem Hund Mistaroa aufbauen kann und im zweiten Teil des Textes drei Drachen als Anspielung auf Daenerys Targaryen bekommt, die sie freilich auch als ihre Kinder ansieht. Hinzu kommt, dass Legolas sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten in sie verliebt. Earenis aber, die zunächst für den bereits verlobten Gimli schwärmt, verliebt sich aber in Ghâshburz, den Bösewicht des Textes, von dem sie auch die Drachen bekam.

Es gibt also reichlich Liebeswirren nebst dem Fakt, dass es Earenis ist, die immer wieder entweder Gefahren bannt oder gleich frühzeitig bemerkt. Das Potenzial zur Sue ist also ohne Ende da.

Warum Earenis dennoch keine Sue ist, fasste Mythopoeia einmal sehr treffend in einem Satz zusammen: „Sie agiert logisch mit ihrer Umgebung.“

Genau das ist der Punkt, woran so viele andere Sues scheitern. Es wird nicht als selbstverständlich angesehen, dass eine Frau sich als Söldner durchs Leben schlägt. Earenis wird immer wieder mit Vorurteilen bis Misstrauen konfrontiert. Aufgrund des Anteils, den sie von ihrem orkischen Erzeuger mitbekommen hat, wird sie insbesondere von Elben regelrecht gehasst. Legolas verhält sich ihr gegenüber anfangs sehr rassistisch, noch schlimmer ist sein Vater, der Earenis sogar einsperren lässt. Legolas braucht eine ganze Weile, bis er erkennt, dass Earenis eigentlich ganz ok ist. Lediglich Gimli ist von Anfang an freundlich zu ihr, sodass er es ist, zu dem Earenis am schnellsten Vertrauen fassen kann.

Im Prinzip ist also das Zitat Mythopoeias das ganze Geheimnis, um eine Sue zu vermeiden. Das Beispiel Earenis zeigt, dass man vieles schreiben kann und es keine hohe Kunst ist, das Ganze nicht in eine Mary Sue abrutschen zu lassen. Denn am Ende scheitert Earenis final, da sie auf ihrem Weg zahlreiche Fehler beging und sie sich mit den falschen Leuten einlässt. Sie ist also bei weitem nicht perfekt und unfehlbar.

Man kann dem Leser vieles auftischen, wenn man dabei stets die Sinnhaftigkeit dessen im Blick behält, was man da zusammenfabuliert. Natürlich kann man immer schreien: „Dann lies es halt nicht, wenn du es so scheiße findest! Das ist MEINE Geschichte, da kann ich machen, was ICH will!!!!!1!!11!!! Aber dann darf man auch nicht davon ausgehen, dass man einen vernünftigen Text abliefert, denn solches Geschrei sagt nichts weiter aus, als dass sich die Autorin (/der Autor) keine Mühe gibt und nicht einsieht, dass man aus Fehlern lernt. Masse statt Klasse. Hauptsache klick- und reviewgeil sein.

Aber zurück zum Thema.

Wie gesagt ist die logische Interaktion mit dem Umfeld der springende Punkt beim Ganzen, jedoch nicht einzig und allein. Eine Ainu, egal, welche Macht sie besitzt, die sich aktiv und frei Schnauze in die Geschehnisse der Welt Ardas einmischt und dabei am besten auch noch die Tochter Manwes ist und deshalb einen Sonderstatus besitzt in Aman, kann schon allein deswegen niemals logisch mit ihrer Umgebung agieren, weil die Grundvoraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Eine Tochter Manwes, gut, ist heikel, aber machbar, da in einem bestimmten Stadium des Legendariums Kinder der Valar sogar belegt sind. Aber sie wird niemals frei Schnauze in Mittelerde herumturnen. Nicht einmal die Istari durften schalten und walten, wie sie gekonnt hätten. Denn seit Zeitaltern griffen die Valar nicht mehr aktiv in die Geschicke der Welt ein, da ihre Macht, die Welten formen konnte, groß genug ist, sie auch wieder zu zerstören, wie Beleriand ja zeigte.

Es ist eben auch eine Frage der Kanontreue, und zwar einer Treue, die sich nicht auf solche Einzelheiten beschränkte wie, dass Elrond in der Sternentochter noch nicht nach Valinor gegangen ist und damit seine Tochter doch noch einmal sieht. Nein, ich meine damit solch gravierende Dinge wie die Suetochter Manwes.

Ein schönes Beispiel dafür aus dem Fanfiktion-Lexikon ist die Sache mit Aragorn und Arwen. Es gibt viele Texte, in denen Aragorn eine neue Flamme angedichtet wird, dabei aber Arwen nicht aus dem Rennen ist. Will heißen: Lúthiens Ebenbild nimmt es einfach so hin, dass ihre Liebe des Lebens mit einem dahergelaufenen Bauernmädchen durchbrennt. Ich habe selten einmal gesehen, dass so eine Handlung wirklich fundiert geschrieben wurde.

Oder, um wieder auf Earenis zurückzukommen, dasselbe mit Legolas. Es ist in der Regel ein wohlgemerkt Mädchen aus unserer Zeit oder ein Bauernmädchen wahlweise auch anderer niederer Herkunft, die sich in Legolas verliebt, jenen Elben, der mindestens einige hundert, wahrscheinlich sogar tausende Jahre alt ist. Natürlich heiraten sie am Ende und keinen interessieren die Standesunterschiede; Legolas als Königssohn gehört immerhin dem Hochadel an. Zwar beinhaltete Earenis auch einen tüchtig verliebten Legolas, jedoch einen, dem es nur allzu schmerzlich bewusst war, dass er Earenis, da sie von viel zu niederer Geburt war, niemals wird ehelichen können.

Und ehe sich eine Ainu mit einem einlässt, muss man schon vom Kaliber Thingol Graumantel sein.

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PacoMs Profilbild
PacoM Am 30.01.2017 um 22:55 Uhr
Als ich 10-13 Jahre alt war liebte ich auch solche "Mary Sue" Geschichten und konnte selbst nach 70 Bänden nicht genug bekommen. Wobei meine Mary Sue damals "Kara Ben Nemsi" oder "Old Shatterhand" hieß aber die Perfektion in Person war es immer und die Ich-Form der Erzählung tat ihr Übriges ;)
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issachars Profilbild
issachar Am 27.04.2018 um 20:34 Uhr
Hi, endlich habe ich diesen Text wieder gefunden. ;-)
Schon während ich ihn vor einigen Stunden das erste Mal überflog, drängte sich mir die Frage auf, ob es nicht auch eine Art Anti-Sue gibt, die aber im Grunde genauso nerviog daherkommt. Und ich glaube, ich fabriziere gerade eine ... Aber egal: der Anti-Stue ist für mich Alfons Zitterbacke, den hier vielleicht niemand kennt, DDR-Kinder ausgenommen, der der geborene Pechvogel ist. Allerdings versteht es Holtz-Baumert grandios, seinen kleinen Helden authentisch auftreten zu lassen.
Dein Text istgut geschrieben, allerdings setzt er ja doch einiges an Vorwissen hinsichtlich einiger im Text genannter Texte voraus, die ich jedoch nicht habe. Dennoch: klar wird Marys nerven aus diversen Gründen (... und die Antis auch, sofern sie nicht auf humorvolle Weise auf die "Bühne" gebracht werden ;-)

LG
issachar
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Elenyafinwe
M
(Autor)
Am 29.04.2018 um 19:21 Uhr
Hallo,
ja, der Name sagt mir was, Ossi-Kind :D Aber ja, ich denke, so ne Anti-Sue könnte genauso nervig sein. Ich schaue momentan Lost in Space auf Netflix und mir geht's tierisch auf den Sack, dass da alles schief geht, was schief gehen kann.
Lg Auctrix
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Vermuepft Am 20.01.2017 um 17:25 Uhr
Man sollte meinen, dass ich, ob meiner Erkenntnis, besser im Vermeiden von Sues wäre xD
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Vermuepft Am 20.01.2017 um 18:46 Uhr
Hab da noch Bedenken.. ^^
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Elenyafinwe
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Am 20.01.2017 um 18:42 Uhr
Bist du es? :D
Lg Auctrix

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Sätze: 65
Wörter: 1.402
Zeichen: 8.613

Kurzbeschreibung

Mary Sues werden allgemein als Seuche, Landplage und andere Ausgeburten der Hölle bezeichnet. Gefühlt 90% aller FFs haben mittlerweile eine Sue als Hauptperson, was zu einigem Frust bei vielen Lesern führt. Dabei ist es gar keine so große Kunst, eine Sue zu vermeiden, ehrlich.